Rund 100 Männer stehen in der Kälte und starren auf einen Jeep. Der Jeep ist einer dieser Giganten, der nicht nur so groß ist, dass man ihn im Stadtverkehr kaum bewegen kann, sondern schon so riesig, dass er notfalls über die durchschnittliche Familienkarre rollt wie unsereins über eine Bordsteinkante. Die Männer sind aber nicht hier, um auf den Jeep zu starren; er bewacht nur den Eingang zur Halle 550 in Zürich Oerlikon-Ost, die in wenigen Minuten ihre Pforten öffnen soll. Die meisten haben ihre Hände vor den Nullgraden tief in den Hosentaschen versteckt, einige von ihnen tragen ihre Mäntel trotzdem offen, wohl aus Coolnessgründen. Und so stehen sie und frieren und warten und starren auf diesen riesigen Jeep als ersten Vorgeschmack darauf, was sie drinnen erwartet: die Zürcher Man's World, eine Messe für Männer.
Männermesse ist so ein Wort, das man eigentlich nur mit Feststelltaste schreiben kann, um dem kehligen Gefühl gerecht zu werden, das man verspürt, wenn man sagt: Ich gehe dieses Wochenende auf die MÄNNERMESSE. Männer schaffen es als Kollektiv nun einmal besonders dann in die Medien, wenn sie zu dumm, zu gewalttätig oder zu laut sind: weil sie sich nicht im Griff haben, weil sie sich nicht mit ihrer patriarchalen Prägung auseinandersetzen, weil sie eine Regierung sprengen oder die Brandmauer zu einer (jaja, "in Teilen") rechtsextremen Partei einreißen. "Männer!", seufzte Altkanzlerin Merkel vom Cover des Spiegels nach dem Ampel-Aus. Als Einzelpersonen werden Männer oft und gerne gefeiert, als Gruppe haben sie einen schlechten Ruf.
Und so begibt es sich, dass man üblicherweise Räume abseits der Männer sucht, Safe Spaces, wo jedes menschliche Wesen außer einem cis Mann einfach einmal sein kann, ohne von den Herren der Schöpfung erschöpft zu werden. Sind aber nun einmal alle Spaces safe, bleibt eine Frage: Wohin mit all den verbliebenen Männern? Eine mögliche Antwort scheint: ab nach Zürich, in das seelenlos wirkende Büro-Slash-Industriegebiet Oerlikon-Ost, auf die Man's World, in der ich nun stehe. Und die brennende Folgefrage ist doch: Wie läuft's da so?
Vorurteile hat man auf jeden Fall. Aggressiv maskulin wird es vermutlich, Gruppenduschen mit Motoröl statt Wasser, über dem offenen Feuer gebratene 400-Kilogramm-Ochsen und Ted-Talks zu: Wie man mit drei Handgriffen einen Grill zusammenbaut – und eine Beziehung beendet. Online verspricht das Programm Gin-, Whiskey- und Weindegustationen, Monstertruck, Paintball und Zigarrenlounge; und, besonders spannend, etwas namens "Baggerplausch", was bestenfalls Small Talk neben schwerem Gerät bedeutet und schlimmstenfalls Pick-up-Artist-Kurse. Das Ziel der Messegründer: "eine Plattform für Erlebnis, Inspiration und Genuss rund um die Interessen des Mannes zu werden".
Der erste Messesaal kann sich allerdings nicht entscheiden, was er sein will. Lastenregale im Industrial Style, die mit rustikalen Holzkisten und einer alten Ampel vollgerümpelt sind. Ein halb offener Tresor, Zigarren hinter Glas, moderne Spielautomaten und einarmige Banditen wie vom Filmset von Zwei glorreiche Halunken. In der Mitte ein Billardtisch mit blauem Filz. Zwei Männer tragen Kreide auf Queues auf, mit dieser fachmännischen Miene, die Männer immer aufsetzen, wenn sie gerade Kreide auf Queues auftragen. Von der Decke hängen riesige Kronleuchter, ihr Licht spiegelt sich auf einer glatt polierten Bar. Schon um kurz nach 11 Uhr reichen Barkeeper in weißen Hemden und dunklen Hosenträgern erste Biere über die Theke: Blaues Etikett bedeutet alkoholfrei, rot bedeutet Prozente. Fast alle Etiketten sind rot. Das soll also die Welt rund um die Interessen des Mannes sein?
Im nächsten, sehr viel größeren Messesaal sind sie dann überall: Männer. Wenig mehr lässt sich verallgemeinernd über sie sagen, so unterschiedlich ist die Klientel. Es gibt Männer in Motorradjacken mit beringten Fingern, Raucherhaut und Beinen breit genug für die Harley; Männer im Slim-Fit-Dreiteiler und mit Uhren, die nur teuer aussehen; schluffig-entspannte Familienväter mit Frau und Sohn; die Mallorca-Männer mit T-Shirts im Partnerlook und Bierflaschen; Fitness-Männer mit Muscle-Shirts, präzise kalibrierten Körperfettanteilen und vermutlich enzyklopädischem Wissen über Eiweißgehalte; Start-up-Männer in Patagonia-Westen, mit festem Händedruck und strahlendem Zahnpastalächeln. Wenigstens das Kollektiv ist divers.
Sie schieben sich durch die Reihen der Messestände. Blickt man auf die Stände, scheint die essenziellste Zutat für Männlichkeit, oder zumindest um diese zu verkaufen, gerade vor allem eines zu sein: Holz. Jeder Stand ist voll davon, mal ist es faux, mal echt, mal grob belassen, mal glatt poliert und geölt. Womöglich ist es ein unterschwelliger Appell an etwas Urmenschliches, an neuronale Überbleibsel einer Zeit als Jäger und Sammler in den Wäldern der Welt, die Marketingabteilungen bei Männern vermuten und nach erfolgreichen Betatests in Craftbeer-Schuppen und Steakhäusern nun auch auf der Männermesse ansprechen wollen.
Hier am Anfang der Halle mischt sich der Geruch einer kleinen Kaffeebar mit Shampoo und dem leichten Tankstellenduft eines schwarzen Monstertrucks. Der hat schulterhohe Räder. "DU fährst das Monster!", steht auf einem Sticker, direkt neben "CO₂-neutral dank E-Fuel". Das hätte ich nun nicht erwartet. Es hat fast etwas Zärtliches in dem vorgeschobenen Macho-Brauchtum. Der Mann von heute rollt mühelos über einen Leopard-II-Panzer, tut dies aber wenigstens umweltfreundlich.