In meinen ersten Monaten
in Berlin war ich, wenn ich mich in der Stadt bewegt habe, mit dem Lesen von
U-Bahn-Plänen, der Übersetzung von sozialen Codes und der Entdeckung neuer
Landschaften beschäftigt. So habe ich nicht gleich bemerkt, dass hinter den
Unterschieden und dem Neuen etwas für mich besonders Unbehagliches steckte.
Irgendwann begann ich in
der U-Bahn, im Supermarkt, bei der Arbeit, einen beunruhigenden Blick auf
meinen Körper zu spüren, belastet mit einem Vorwurf, wie ich ihn noch nie zuvor
erlebt hatte. Bis heute begleitet mich dieser Blick, der entschlossen in der
Übermittlung seiner Botschaft ist. Er zieht eine klare Linie: die des
Territoriums, zu dem er gehört, wo ich als Fremde gelesen werde, diejenige, die
von außen kommt.
Meine Haut ist dunkel,
meine Augenbrauen sind dick, mein Haar ist schwarz und gelockt. Dort, wo ich
geboren bin, in Brasilien, bin ich weiß.
Ein für Deutsche oft schwer verständlicher Fakt. In Berlin habe ich mich als Person of Color entdeckt. Dieser Prozess ereignete sich nicht über Nacht, begann aber definitiv mit der Wahrnehmung dieses
wertenden Blicks.
Während ich als Weiße in Brasilien die Legitimität habe,
Räume – seien sie öffentlich, akademisch, beruflich oder kulturell – wie
selbstverständlich zu besetzen, wird meine Anwesenheit hier infrage gestellt.
Während ich in Brasilien das Privileg der Neutralität lebe (ich bin das
Zentrum, das "Normale", das Subjekt), hat sich in Deutschland die
Gleichung umgekehrt. Aufgrund meines Aussehens wurde ich in "die Andere" verwandelt, ein Objekt des Randes, anfällig für die Willkür des
deutschen weißen Blicks.
Ich lebe seit zwölf
Jahren mit dieser Mehrdeutigkeit. Das hat mich natürlich verändert. Das
Oszillieren zwischen verschiedenen Seiten sozialer Geografien, selbst von
einem sicheren Ort aus, hat mich mich gezwungen, über meinen Horizont hinauszublicken und meine eigene Rolle in Frage zu stellen.
Ich habe begonnen, mich mit anderen Brasilianern auszutauschen, die in Berlin in einer ähnlichen
Situation leben. Ich wollte wissen, ob es nur mir so ging. Was
ist Weißsein in Brasilien? Warum
hören wir in Deutschland auf, weiß zu
sein? Wie lassen sich die komplexen Hintergründe beschreiben? Was haben wir
gelernt und wie hat es unser Selbstverständnis und unser Verhältnis zur
Gesellschaft, der wir angehören, verändert?
Erbe des europäischen Kolonialismus
Brasilien ist ein extrem rassistisches Land – ein Erbe des Jahrhunderte währenden europäischen Kolonialismus. Nach der Abschaffung der Sklaverei, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war eine Gruppe brasilianischer Intellektueller erst einmal damit beschäftigt, das Selbstverständnis der jungen Republik Brasilien zu formulieren. Ausgehend von der ethnischen Durchmischung wurde die Theorie einer vermeintlichen Harmonie zwischen den verschiedenen Gruppen entwickelt. Ungeachtet der Tatsache, dass diese ethnische Durchmischung durch die Vergewaltigung schwarzer und indigener Frauen durch weiße Männer verursacht worden war, diente die Idee als Beleg dafür, dass es in Brasilien keinen Rassismus gäbe und dass in diesem tropischen Paradies alle, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft, die gleichen Chancen hätten. Der berüchtigte Mythos der sogenannten rassischen Demokratie wurde so geboren und verbreitet. Jahrzehntelang wurde Rassismus aus der Debatte und der öffentlichen Politik herausgehalten und hat sich zunehmend in allen Bereichen der Sozialstruktur etabliert.
Heute zeigen die
Statistiken die brutale ethnische Ungleichheit im Land. Während die indigene
Bevölkerung fast ausgelöscht wurde und heute nur noch 0,4 Prozent der
Gesamtgesellschaft ausmacht, werden Schwarze – etwas mehr als die Hälfte der
Gesamtbevölkerung – systematisch unterdrückt. 75
Prozent der von der Polizei Getöteten, 64
Prozent der Gefängnisinsassen und 75
Prozent der Ärmsten sind schwarz. Alle 23 Minuten wird in
Brasilien ein junger schwarzer Mann getötet. Ihre Biografien und ihre Kämpfe
stehen nicht in den Geschichtsbüchern, und ihre Religionen sind bis heute
ständigen Verfolgungen ausgesetzt.