Manche
Dinge verändern nicht die Welt. Aber sie machen unseren Alltag ein bisschen
angenehmer. Oder sie sind einfach "nice to have". Oder sogar beides. Um diese
Gadgets und Apps geht es in der ZEIT-ONLINE-Serie "nice und nützlich".
Es gibt diese Phrasen, die sich hartnäckig im Sprachgebrauch halten, obwohl sie ziemlich veraltet sind. Eine davon ist "im Internet surfen". Früher verstand man darunter, den Rechner hochzufahren, den Browser zu öffnen, dessen Startseite vielleicht gmx.net oder aol.com war und von dort aus sprang man dann von Website zu Website.
Heute surft man nicht mehr im Internet, heute scrollt man sich durch Feeds: Irgendwer stellt Content ins Internet, den man sich bei TikTok, Instagram oder X anschaut und dort scrollt man, bis der Daumen wehtut oder die Augen zufallen. Und es sind wirklich viele verschiedene Feeds: Kurznachrichten, Bilder, Reels, Kurzvideos, Langvideos, Podcasts.
Ist das die App gegen meine Feed-Fatigue?
Wenn ich beispielsweise Zeit und Lust habe, zu schauen, was in den sozialen Medien los ist, öffne ich erst Bluesky, dann X. Meist lege ich das Handy dann schnell wieder weg. Mich machen die verschiedenen Plattformen wahnsinnig. Obwohl ich gar nicht so viele Netzwerke nutze, habe ich das Gefühl, zunehmend den Überblick zu verlieren. Wohin soll ich meine Aufmerksamkeit lenken? Die Leute posten ständig irgendwo irgendwas. Ich fühle mich davon schnell überreizt, vermutlich leide ich unter einer akuten Feed-Fatigue.
Zum Glück gibt es Apps, die einem versprechen, in der ganzen Flut neuer Inhalte den Überblick zu behalten. Tapestry ist eine von ihnen, sie will die verschiedenen Feeds zu einem gemeinsamen zusammenführen. Die Idee ist nicht neu, das Konzept ähnelt dem der RSS-Feeds, die in den Nullerjahren ein beliebtes System waren, um über neue Blogbeiträge und Website-Aktualisierungen informiert zu werden.
Zu Beginn enttäuscht Tapestry mich allerdings erst einmal, die App gibt es nur für iOS und nicht für Androidnutzer. Nachdem ich die App auf mein iPhone geladen habe, verknüpfe ich die ersten Feeds mit der Anwendung. Mit Bluesky und Mastodon geht das recht schnell, ich gebe einfach meine Log-in-Daten ein und schon erscheinen die Feeds auch in Tapestry. Auch bei YouTube-Kanälen geht das sehr unkompliziert, ich kann einfach die URL mit dem entsprechenden Kanalnamen eingeben und die Plattformen sind miteinander verknüpft, ähnlich funktioniert es mit einzelnen Blogs.
Aber die Möglichkeiten sind begrenzt: X, Instagram und TikTok kann man zum Beispiel nicht mit der App verknüpfen, damit fallen einige der beliebtesten Feeds schon einmal raus. Nachdem ich Tapestry mit einigen Verknüpfungen gefüttert habe, erscheint auf meinem Bildschirm eine senkrechte Aneinanderreihung von Posts, in verschiedenen Farben – je nach Herkunft der Feeds, rot steht etwa für YouTube, blau für Bluesky, lila für Blogbeiträge.
Schnell stelle ich fest, dass ich auf Tapestry nur lesen und schauen kann. Liken, retweeten, auf Posts antworten oder kommentieren geht in der App nicht. Ich mache das ohnehin nie, deshalb stört es mich nicht, aber ich kann auf Tapestry auch keine Threads oder YouTube-Kommentare lesen – das ist ein Nachteil. Immerhin bietet die App die Möglichkeit, mit einem Klick zur Originalquelle zu wechseln, um dort interagieren zu können.
Sie haben 2.365 ungelesene Posts
Eine weitere Besonderheit von Tapestry ist, dass die App keinen algorithmisch sortierten Feed anzeigt, sondern schön chronologisch sortiert, was gepostet wurde. Ich fühle mich ermächtigt. Nicht ein Algorithmus, sondern ich selbst entscheide, was ich interessant finde, toll!
Doch die Freude ist schnell verflogen. Die strikt chronologische Anzeige der Inhalte macht ein Übel unserer digitalen Welt so richtig sichtbar: Es gibt einfach viel zu viel Content. Tapestry zentralisiert gewissermaßen das doomscrolling: Ich kann mir nun in einem einzigen Feed das Gehirn wegbrutzeln statt ohne die App in sieben verschiedenen.
Mein Unbehagen steigt weiter, als ich Tapestry nach einem Tag Inaktivität wieder öffne. Die App hat sich gemerkt, bis wohin ich gescrollt habe. Das ist eigentlich nett, hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: Tapestry informiert mich mit einem kleinen bunten Button am oberen Bildschirmrand, dass da noch 2.365 neue ungelesene Posts auf mich warten. Das ist nicht aufzuholen, nicht für mich jedenfalls, mein Tag hat auch nur 24 Stunden.
Die Zählmarke verstärkt meine latente und doch komplett unerhebliche Sorge, wieder mal etwas nicht mitbekommen zu haben. Manche der Plattformen, wie X oder Bluesky, zeigen in ihren Feeds natürlich auch schon längst an, wenn es neue Posts gibt. Aber sie sind höflich und schlau genug, keine konkreten Zahlen zu nennen.
Zwei Euro für mehr Übersichtlichkeit
Tapestry lässt sich aber nicht nur für die sozialen Medien nutzen, sondern auch für Audio- und Videoabonnements. Beim Scrollen durch meinen bunten Tapestry-Feed offenbart sich dadurch recht schnell ein weiteres Problem: Wenn mein fiktiver Lieblingsyoutuber nur einmal pro Monat ein Video hochlädt, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass ich diesen einen Post inmitten der Contentschwemme im Tapestry-Feed übersehe. Das würde mir nicht passieren, wenn ich einfach nur die YouTube-App aufrufe. Dort habe ich nur wenige Kanäle abonniert, entsprechend übersichtlich ist mein YouTube-Feed.
Tapestry bietet für dieses Problem eine Lösung an: Man kann sich individuelle Feeds kuratieren. Wer etwa ein spezielles Hobby hat, kann in Tapestry alle Accounts, die sich um dieses Hobby drehen, in einem separaten Freizeitfeed zusammenführen. Um die individualisierbaren Feeds nutzen zu können, muss man allerdings knapp zwei Euro pro Monat zahlen.
Obwohl ich mit meiner Podcast-App Antennapod sehr zufrieden bin, teste ich auch die Podcastfunktion von Tapestry. Dafür suche ich mir die URL eines Podcasts heraus, den ich oft höre, und füge ihn hinzu. Das ist ein bisschen kompliziert, denn die spezifische Podcast-URL beim Dienstleister, der die Podcasts hostet (in diesem Fall ist das Simplecast) bekommt der durchschnittliche Spotify-Hörer nie zu sehen. Wenn ich das einzeln für all meine Podcastabos machen würde, wäre ich stundenlang beschäftigt.
Immerhin: Tapestry hat einen integrierten Audioplayer, mit dem ich alle Podcasts auch direkt anhören kann, allerdings ist der sehr abgespeckt. Die Möglichkeit, vor- oder zurückzuspulen, gibt es nicht. Außerdem kann ich die Wiedergabegeschwindigkeit nicht anpassen und einzelne Tracks keiner Warteschlange hinzufügen.
Das knuffige Design ist gewöhnungsbedürftig
Ein weiterer Haken: Ich finde die App nicht besonders schön. Das Design ist ein bisschen zu knuffig für meinen Geschmack. Die Anwendung sieht so aus wie ein mittelmäßig programmiertes Stück Schulsoftware.
Fazit: Mittlerweile habe ich Tapestry wieder gelöscht und mich zurück in das Wirrwarr der unterschiedlichen Feeds meiner Apps begeben, auch wenn ich es da wegen meiner Feed-Fatigue weiterhin nicht lange aushalte. Gelegentlich pflege ich darum die Kulturtechnik des Im-Internet-Surfens. Und ganz allgemein freue ich mich sehr darüber, nicht mehr angezeigt zu bekommen, dass ich noch 2.365 Posts nachlesen könnte. Es ist doch ein kleines Glück, nicht immer genau zu wissen, was ich wieder alles verpasst habe.
Preis: Die App (iOS) ist kostenlos, für Premiumfunktionen muss man entweder 1,99 Euro pro Monat, 22,99 Euro pro Jahr oder einmalig 89,99 Euro zahlen.
Transparenzhinweis: Die im Artikel beschriebene App hat der Autor unabhängig, nach eigenem Ermessen ausgewählt und nach fachlichen Kriterien getestet.