Tim Flink forscht seit 15 Jahren zur Wissenschaftspolitik. Zudem hat er den Bundestagsabgeordneten Ruppert Stüwe beraten.

Mangelt es der Politik in Deutschland an wissenschaftlicher Beratung? Quantitativ betrachtet gewiss nicht. Kontinuierlich erhalten politische Entscheider Informationen und Ratschläge von Behörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, von Akademien, Thinktanks und Stiftungen. Die Beratung erfolgt durch Aufträge oder wird proaktiv von Wissenschaftlern geleistet, manche Beratungen sind punktuell, andere erfolgen kontinuierlich.

Problematisch ist jedoch die Kakofonie wissenschaftlicher Beratung in Deutschland: Mehr als 400 Hochschulen, fast ebenso viele außeruniversitäre Organisationen, Akademien und Einrichtungen der Ressortforschung tragen ihr Wissen in die Politik. Können da beispielsweise Bundestagsabgeordnete im hektischen Tagesgeschäft den Überblick behalten oder die Qualität der Expertise einschätzen? Eben nicht. Deshalb greifen Entscheidungsträger oftmals auf parteipolitische Präferenzen zurück. Jede Fraktion bestimmt für Anhörungen in den Fachausschüssen des Bundestags ihre Experten selbst.

Das zweite Problem: Wer am Geldhahn der Politik hängt, leistet nicht nur wissenschaftliche Beratung zu komplexen Sachverhalten, sondern tut dies auch zur Eigenwerbung. Das birgt die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten und medialer Selbstüberhöhung.

Schließlich versperrt das Ressortprinzip einer guten Beratung den Weg. Ministerien und Bundestagsausschüsse arbeiten oft in thematischen Silos und konkurrieren um Deutungshoheit. Doch globale Herausforderungen lassen sich nicht in diese engen Grenzen pressen. Welches Ressort wäre denn zum Beispiel zuständig, die miteinander verwobenen Folgen des Klimawandels zu bearbeiten – Flucht, Krankheiten, Energieengpässe, Veränderungen der Präferenzen auf globalen Märkten? Es ist nicht sinnvoll, diese verschlungenen Herausforderungen rein außenpolitisch oder rein wirtschaftspolitisch zu betrachten oder sich auf wenige wissenschaftliche Disziplinen zu beschränken. Auch der verengte Blick auf den deutschen Kontext greift meist zu kurz.

Wie kann wissenschaftliche Politikberatung also besser und effektiver rezipiert werden? Dabei kann der Blick in andere Länder helfen. In allen angloamerikanischen Staaten begleiten wissenschaftliche Chefberater das Regierungskabinett direkt. Für diese Zeit stellt sie ihre Universität frei. Als hervorragend vernetzte und anerkannte Persönlichkeiten können sie das benötigte Wissen aus der wissenschaftlichen Community rasch organisieren, einschätzen und destillieren. Sie sitzen mit am Kabinettstisch, informieren die Regierungschefs und Minister proaktiv, bieten sich als Sparringspartner für neue Ideen an und begleiten Politiker auf Delegationsreisen.

In Großbritannien zum Beispiel haben alle Ministerien eigene wissenschaftliche Berater, koordiniert durch den "Chief Science Advisor" des Premierministers. Dieses Beraterteam erteilt auch Aufträge an die in den Auslandsbotschaften entsandten Wissenschaftsreferenten. Zudem ist der Chefberater dafür zuständig, die Politikberatung mit der wissenschaftlichen Community und der Politik zu reflektieren. In anderen Staaten wie etwa Japan organisieren Chief Science Advisors in den Ministerien eigens hierfür Vorlesungen und Workshops. Regierungsbeamte sollen motiviert werden, sich aktiv wissenschaftlichen Rat einzuholen und starre Ressortprinzipien aufzubrechen.

Deutschland kann von diesen Beispielen lernen. Wissenschaftliche Berater auf höchster Regierungsebene – fest installiert, aber dennoch weitgehend unabhängig – würden die Evidenzbasierung der Politik stärken und könnten weltweit Expertise aktiv einbinden. Ein international vernetzter "German Chief Science Advisory"-Mechanismus könnte komplexe Herausforderungen ganzheitlich angehen. Wer ohnehin über einen nationalen Sicherheitsrat für Deutschland diskutiert, könnte diesen gleich in ein solches wissenschaftliches Beratergremium integrieren.