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Psychologie Wie es gelingt, gelassen durchs Leben zu gehen

Wir bewundern Menschen, die heiter und zufrieden bleiben, auch in schweren Zeiten. Neue Forschung zeigt: Gelassenheit ist eine Haltung, die sich erlernen lässt
Frau auf einem Steg lässt die Beine baumeln
In schwierigen Zeiten und Lebensphasen die Nerven zu ­bewahren, ist eine Haltung, die sich ­erlernen lässt. Wichtig dafür: die eigenen Gefühle zu erkennen – und nicht zu wichtig zu ­nehmen
© Andriy Bezuglov / Stocksy

Da ist das Kind, das sich am Klavier in der Schulaula vor tausend Augen, tausend Ohren verspielt und dann, in aller Ruhe, noch einmal von vorn beginnt. Da ist die Notärztin, die am Straßenrand einen verletzten Motorradfahrer behandelt, der blutend, wimmernd vor ihr sitzt, und die mit ihrer Ruhe auch den Patienten beruhigt. Da ist der Vater, der sein brüllendes, strampelndes Kleinkind vom Bürgersteig pflückt und es nach Hause trägt, weil er weiß, es ist zu müde für Diskussionen: Das sind beneidenswerte Menschen. In einer Situation, in der andere in Panik verfallen, in Wut oder Verzweiflung, bleiben sie besonnen, sie sind: gelassen.

Serenitas nannten die Römer diesen Geisteszustand, im Buddhismus heißt er passaddhi und ist einer der sieben Schritte zur Erleuchtung. Für den Philosophen Platon war er eine der vier Grund­tugenden, mit denen das Leben gelingt. In der englischen Sprache schwingt noch eine zweite Bedeutung aus dem Lateinischen mit. Wer serene ist, der ist nicht nur gelassen, der ist auch heiter. Wie geht das, uns von der Welt weder umreißen zu lassen noch gleichgültig zu werden – und auch in Zeiten schwerer Erschütterungen unser Gleichgewicht zu bewahren? Gelassenheit ist schwerer zu fassen als Quecksilber; aber wir erkennen sie, wenn wir sie vor uns sehen – und noch leichter erkennen wir, wenn sie fehlt. Sie kann ein Lebensziel sein, das manche nie erreichen. Doch wer versteht, was gelassene Menschen auszeichnet, worauf Gelassenheit gründet, kann jeden Tag ein Stück vorankommen auf dem Weg dorthin. Daher: eine Annäherung in fünf Schritten.

Schritt 1: Gefühle verstehen, aber nicht überbewerten

Erschienen in GEO 08/2020