[0001] [0002] [0003] [0004] [0005] [0006] [0007] Critik der reinen Vernunft von Immanuel Kant Profeſſor in Koͤnigsberg. [Abbildung] Riga, verlegts Johann Friedrich Hartknoch 1781. [0008] [0009] Sr. Excellenz, dem Koͤnigl. Staatsminiſter Freiherrn von Zedlitz. [0010] Gnaͤdiger Herr. Den Wachsthum der Wiſſenſchaften an ſeinem Theile befoͤrdern, heißt, an Ew. Excellenz eigenem Intereſſe arbeiten; denn dieſes iſt mit ienen, nicht blos durch den erhabenen Poſten eines Beſchuͤtzers, ſon- dern durch das viel vertrautere eines Lieb- habers und erleuchteten Kenners innigſt verbunden. Deswegen bediene ich mich auch des einigen Mittels, das gewiſſer- maſſen in meinem Vermoͤgen iſt, meine Dankbarkeit vor das gnaͤdige Zutrauen zu bezeigen, womit Ew. Excellenz mich beeh- [0011] beehren, als koͤnte ich zu dieſer Abſicht etwas beitragen. Wen das ſpeculative Leben vergnuͤgt, dem iſt, unter maͤſſigen Wuͤnſchen, der Beifall eines aufgeklaͤrten, guͤltigen Rich- ters eine kraͤftige Aufmunterung zu Be- muͤhungen, deren Nutze groß, obzwar ent- fernt iſt, und daher von gemeinen Au- gen gaͤnzlich verkant wird. Einem Solchen und Deſſen gnaͤdi- gem Augenmerke widme ich nun dieſe Schrift und, Seinem Schutze, alle uͤbri- ge a 3 [0012] ge Angelegenheit meiner literaͤriſchen Be- ſtimmung und bin mit der tiefſten Ver- ehrung Ew. Excellenz Koͤnigsberg den 29ſten Merz 1781. unterthaͤniggehorſamſter Diener Immanuel Kant. [0013] [Abbildung] Vorrede. Die menſchliche Vernunft hat das beſonde- re Schickſal in einer Gattung ihrer Er- kentniſſe: daß ſie durch Fragen belaͤſtigt wird, die ſie nicht a weiſen kan; denn ſie ſind ihr durch die Natur der Vernunft ſelbſt aufgegeben, die ſie aber auch nicht beantworten kan, denn ſie uͤberſteigen alles Vermoͤgen der menſchlichen Vernunft. In dieſe Verlegenheit geraͤth ſie ohne ihre Schuld. Sie faͤngt von Grundſaͤtzen an, deren Ge- brauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zu- gleich durch dieſe hinreichend bewaͤhrt iſt. Mit die- ſen ſteigt ſie (wie es auch ihre Natur mit ſich bringt) immer hoͤher, zu entferneteren Bedingungen. Da ſie a 4 [0014] Vorrede. ſie aber gewahr wird, daß auf dieſe Art ihr Geſchaͤfte iederzeit unvollendet bleiben muͤſſe, weil die Fragen niemals aufhoͤren, ſo ſieht ſie ſich genoͤthigt, zu Grundſaͤtzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen moͤg- lichen Erfahrungsgebrauch uͤberſchreiten und gleich- wol ſo unverdaͤchtig ſcheinen, daß auch die gemeine Menſchenvernunft damit im Einverſtaͤndniſſe ſtehet. Dadurch aber ſtuͤrzt ſie ſich in Dunkelheit und Wider- ſpruͤche, aus welchen ſie zwar abnehmen kan, daß irgendwo verborgene Irrthuͤmer zun Grunde liegen muͤſſen, die ſie aber nicht entdecken kan, weil die Grundſaͤtze, deren ſie ſich bedien, da ſie uͤber die Graͤnze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probier- ſtein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampf- platz dieſer endloſen Streitigkeiten heißt nun Meta- phyſik. Es war eine Zeit, in welcher ſie die Koͤnigin aller Wiſſenſchaften genant wurde und, wenn man den Willen vor die That nimt, ſo verdiente ſie, we- gen der vorzuͤglichen Wichtigkeit ihres Gegenſtandes, allerdings dieſen Ehrennahmen. Jezt bringt es der Modeton des Zeitalters ſo mit ſich, ihr alle Verach- tung zu beweiſen und die Matrone klagt, verſtoſſen und verlaſſen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot [0015] Vorrede. tot generis natisque potens — nunc trahor exul, inops — Ovid. Metam. Anfaͤnglich war ihre Herrſchaft, unter der Ver- waltung der Dogmatiker, deſpotiſch. Allein, weil die Geſetzgebung noch die Spur der alten Barbarey an ſich hatte, ſo artete ſie durch innere Kriege nach und nach in voͤllige Anarchie aus und die Sceptiker, eine Art Nomaden, die allen beſtaͤndigen Anbau des Bodens verabſcheuen, zertrenneten von Zeit zu Zeit die buͤrgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Gluͤck nur wenige waren, ſo konten ſie nicht hindern, daß iene ſie nicht immer aufs neue, obgleich nach keinem unter ſich einſtimmigen Plane, wieder anzubauen ver- ſuchten. In neueren Zeiten ſchien es zwar einmal, als ſolte allen dieſen Streitigkeiten durch eine gewiſſe Phyſiologie des menſchlichen Verſtandes (von dem beruͤhmten Locke) ein Ende gemacht und die Recht- maͤſſigkeit iener Anſpruͤche voͤllig entſchieden werden; es fand ſich aber, daß, obgleich die Geburt iener vor- gegebenen Koͤnigin, aus dem Poͤbel der gemeinen Er- fahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaſſung mit Recht haͤtte verdaͤchtig werden muͤſſen, dennoch, weil dieſe Genealogie ihr in der That faͤlſchlich ange- dichtet war, ſie ihre Anſpruͤche noch immer behaupte- te, a 5 [0016] Vorrede. te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm- ſtichigen Dogmatism und daraus in die Geringſchaͤ- tzung verfiel, daraus man die Wiſſenſchaft hatte zie- hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man ſich uͤberredet) vergeblich verſucht ſind, herrſcht Ueber- druß und gaͤnzlicher Indifferentism, die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wiſſenſchaften, aber doch zugleich der Urſprung, wenigſtens das Vorſpiel einer nahen Umſchaffung und Aufklaͤrung derſelben, wenn ſie durch uͤbel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden. Es iſt nemlich umſonſt, Gleichguͤltigkeit in Anſehung ſolcher Nachforſchungen erkuͤnſteln zu wollen, deren Gegenſtand der menſchlichen Natur nicht gleich- guͤltig ſeyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In- differentiſten, ſo ſehr ſie ſich auch durch die Veraͤn- derung der Schulſprache in einem populaͤren Ton un- kentlich zu machen gedenken, wofern ſie nur uͤberall etwas denken, in metaphyſiſche Behauptungen unver- meidlich zuruͤck, gegen die ſie doch ſo viel Verachtung vorgaben. Indeſſen iſt dieſe Gleichguͤltigkeit, die ſich mitten in dem Flor aller Wiſſenſchaften eraͤugnet und gerade dieienige trift, auf deren Kentniſſe, wenn der- gleichen zu haben waͤren, man unter allen am wenig- ſten [0017] Vorrede. ſten Verzicht thun wuͤrde, doch ein Phaͤnomen, das Aufmerkſamkeit und Nachſinnen verdient. Sie iſt offenbar die Wirkung nicht des Leichtſinns, ſondern der gereiften Urtheilskraft *) des Zeitalters, wel- ches ſich nicht laͤnger durch Scheinwiſſen hinhalten laͤßt und eine Auffoderung an die Vernunft, das be- ſchwerlichſte aller ihrer Geſchaͤfte, nemlich das der Selbſterkentniß aufs neue zu uͤbernehmen und einen Gerichtshof einzuſetzen, der ſie bey ihren gerechten Anſpruͤchen ſichere, dagegen aber alle grundloſe An- maſ- *) Man hoͤrt hin und wieder Klagen uͤber Seichtigkeit der Denkungsart unſerer Zeit und den Verfall gruͤndlicher Wiſſenſchaft. Allein ich ſehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt iſt, als Mathematik, Naturlehre ꝛc. dieſen Vorwurf im mindeſten verdienen, ſondern vielmehr den alten Ruhm der Gruͤndlichkeit behaupten, in der lezte- ren aber ſogar uͤbertreffen. Eben derſelbe Geiſt wuͤrde ſich nun auch in anderen Arten von Erkentniß wirkſam beweiſen, waͤre nur allererſt vor die Berichtigung ihrer Principien geſorgt worden. In Ermangelung derſel- ben ſind Gleichguͤltigkeit und Zweifel und endlich, ſtrenge Critik, vielmehr Beweiſe einer gruͤndlichen Denkungs- art. Unſer Zeitalter iſt das eigentliche Zeitalter der Critik, der ſich alles unterwerfen muß. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Geſetzgebung durch ihre Maieſtaͤt, wollen ſich gemeiniglich derſelben entziehen. Aber alsdenn erregen ſie gerechten Verdacht wider ſich, und koͤnnen auf unverſtellte Achtung nicht Anſpruch machen, die die Vernunft nur demienigen bewilligt, was ihre freie und oͤffentliche Pruͤfung hat aushalten koͤnnen. [0018] Vorrede. maſſungen, nicht durch Machtſpruͤche, ſondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Geſetzen, abfertigen koͤnne und dieſer iſt kein anderer als die Critik der reinen Vernunft ſelbſt. Ich verſtehe aber hierunter nicht eine Critik der Buͤcher und Syſteme, ſondern die des Vernunftver- moͤgens uͤberhaupt, in Anſehung aller Erkentniſſe, zu denen ſie, unabhaͤngig von aller Erfahrung, ſtreben mag, mithin die Entſcheidung der Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit einer Metaphyſik uͤberhaupt und die Beſtimmung ſo wol der Quellen, als des Umfanges und der Graͤnzen derſelben, alles aber aus Principien. Dieſen Weg, den einzigen, der uͤbrig gelaſſen war, bin ich nun eingeſchlagen und ſchmeichle mir, auf demſelben die Abſtellung aller Irrungen angetrof- fen zu haben, die bisher die Vernunft im erfahrungs- freien Gebrauche mit ſich ſelbſt entzweiet hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, daß ich mich mit dem Unvermoͤgen der menſchlichen Ver- nunft entſchuldigte; ſondern ich habe ſie nach Prin- cipien vollſtaͤndig ſpecificirt und, nachdem ich den Punct des Mißverſtandes der Vernunft mit ihr ſelbſt entdeckt hatte, ſie zu ihrer voͤlligen Befriedigung auf- geloͤſt. [0019] Vorrede. geloͤſt. Zwar iſt die Beantwortung iener Fragen gar nicht ſo ausgefallen, als dogmatiſchſchwaͤrmende Wiß- begierde erwarten mogte; denn die koͤnte nicht anders als durch Zauberkuͤnſte, darauf ich mich nicht ver- ſtehe, befriedigt werden. Allein, das war auch wol nicht die Abſicht der Naturbeſtimmung unſerer Ver- nunft und die Pflicht der Philoſophie war: das Blend- werk, das aus Mißdeutung entſprang, aufzuheben, ſolte auch noch ſo viel geprieſener und beliebter Wahn dabey zu nichte gehen. In dieſer Beſchaͤftigung habe ich Ausfuͤhrlichkeit mein groſſes Augenmerk ſeyn laſ- ſen und ich erkuͤhne mich zu ſagen, daß nicht eine ein- zige metaphyſiſche Aufgabe ſeyn muͤſſe, die hier nicht aufgeloͤſt, oder zu deren Aufloͤſung nicht wenigſtens der Schluͤſſel dargereicht worden. In der That iſt auch reine Vernunft eine ſo vollkommene Einheit: daß, wenn das Princip derſelben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur auf- gegeben ſind, unzureichend waͤre, man dieſes immer- hin nur wegwerfen koͤnte, weil es alsdenn auch keiner der uͤbrigen mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit gewachſen ſeyn wuͤrde. Ich glaube, indem ich dieſes ſage, in dem Ge- ſichte des Leſers einen mit Verachtung vermiſchten Un- willen [0020] Vorrede. willen uͤber, dem Anſcheine nach, ſo ruhmredige und unbeſcheidene Anſpruͤche wahrzunehmen, und gleich- wol ſind ſie ohne Vergleichung gemaͤſſigter, als die, eines ieden Verfaſſers des gemeineſten Programs, der darin etwa die einfache Natur der Seele, oder die Nothwendigkeit eines erſten Weltanfanges zu bewei- ſen vorgiebt. Denn dieſer macht ſich anheiſchig, die menſchliche Erkentniß uͤber alle Graͤnzen moͤglicher Er- fahrung hinaus zu erweitern, wovon ich demuͤthig ge- ſtehe: daß dieſes mein Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteige, an deſſen Statt ich es lediglich mit der Vernunft ſelbſt und ihrem reinen Denken zu thun habe, nach deren ausfuͤhrlicher Kentniß ich nicht weit um mich ſuchen darf, weil ich ſie in mir ſelbſt antreffe und wovon mir auch ſchon die gemeine Logik ein Beiſpiel giebt, daß ſich alle ihre einfache Handlungen voͤllig und ſyſtema- tiſch aufzaͤhlen laſſen; nur daß hier die Frage aufge- worfen wird, wie viel ich mit derſelben, wenn mir aller Stoff und Beiſtand der Erfahrung genommen wird, etwa auszurichten hoffen duͤrfe. So viel von der Vollſtaͤndigkeit in Erreichung eines ieden, und der Ausfuͤhrlichkeit in Erreichung aller Zwecke zuſammen, die nicht ein beliebiger Vor- ſatz, ſondern die Natur der Erkentniß ſelbſt uns auf- giebt, als der Materie unſerer critiſchen Unterſuchung. Noch [0021] Vorrede. Noch ſind Gewißheit und Deutlichkeit zwey Stuͤcke, die die Form derſelben betreffen, als weſentli- che Foderungen anzuſehen, die man an den Verfaſ- ſer, der ſich an eine ſo ſchluͤpfriche Unternehmung wagt, mit Recht thun kan. Was nun die Gewißheit betrift, ſo habe ich mir ſelbſt das Urtheil geſprochen: daß es in dieſer Art von Betrachtungen auf keine Weiſe erlaubt ſey, zu mei- nen und daß alles, was darin einer Hypotheſe nur aͤhnlich ſieht, verbotene Waare ſey, die auch nicht vor den geringſten Preiß feil ſtehen darf, ſondern, ſo bald ſie entdeckt wird, beſchlagen werden muß. Denn das kuͤndigt eine iede Erkentniß, die a priori feſt ſtehen ſoll, ſelbſt an: daß ſie vor ſchlechthinnothwendig ge- halten werden will, und eine Beſtimmung aller reinen Erkentniſſe a priori noch vielmehr, die das Richtmaaß, mithin ſelbſt das Beiſpiel aller apodictiſchen (philoſo- phiſchen) Gewißheit ſeyn ſoll. Ob ich nun das, wozu ich mich anheiſchig mache, in dieſem Stuͤcke geleiſtet habe, das bleibt gaͤnzlich dem Urtheile des Leſers an- heim geſtellt, weil es dem Verfaſſer nur geziemet, Gruͤnde vorzulegen, nicht aber uͤber die Wirkung der- ſelben bey ſeinen Richtern zu urtheilen. Damit aber nicht etwas unſchuldigerweiſe an der Schwaͤchung der- ſelben [0022] Vorrede. ſelben Urſache ſey, ſo mag es ihm wol erlaubt ſeyn, dieienige Stellen, die zu einigem Mißtrauen Anlaß ge- ben koͤnten, ob ſie gleich nur den Nebenzweck ange- hen, ſelbſt anzumerken, um den Einfluß, den auch nur die mindeſte Bedenklichkeit des Leſers in dieſem Puncte auf ſein Urtheil, in Anſehung des Hauptzwecks, haben moͤchte, bey zeiten abzuhalten. Ich kenne keine Unterſuchungen, die zu Ergruͤn- dung des Vermoͤgens, welches wir Verſtand nennen, und zugleich zu Beſtimmung der Regeln und Graͤn- zen ſeines Gebrauchs, wichtiger waͤren, als die, wel- che ich in dem zweiten Hauptſtuͤcke der transſcendenta- len Analytik, unter dem Titel der Deduction der reinen Verſtandesbegriffe, angeſtellt habe; auch haben ſie mir die meiſte, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Muͤhe gekoſtet. Dieſe Betrachtung, die etwas tief angelegt iſt, hat aber zwey Seiten. Die eine bezieht ſich auf die Gegenſtaͤnde des reinen Verſtandes, und ſoll die obiective Guͤltigkeit ſeiner Begriffe a priori dar- thun und begreiflich machen; eben darum iſt ſie auch weſentlich zu meinen Zwecken gehoͤrig. Die andere geht darauf aus, den reinen Verſtand ſelbſt, nach ſeiner Moͤglichkeit und den Erkentnißkraͤften, auf de- nen er ſelbſt beruht, mithin ihn in ſubiectiver Bezie- hung [0023] Vorrede. hung zu betrachten und, obgleich dieſe Eroͤrterung in Anſehung meines Hauptzwecks von groſſer Wichtig- keit iſt, ſo gehoͤret ſie doch nicht weſentlich zu demſel- ben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kan Verſtand und Vernunft, frey von aller Er- fahrung, erkennen und nicht, wie iſt das Vermoͤgen zu Denken ſelbſt moͤglich? Da das leztere gleichſam eine Aufſuchung der Urſache zu einer gegebenen Wir- kung iſt, und in ſo fern etwas einer Hypotheſe Aehn- liches an ſich hat (ob es gleich, wie ich bey anderer Gelegenheit zeigen werde, ſich in der That nicht ſo verhaͤlt), ſo ſcheint es, als ſey hier der Fall, da ich mir die Erlaubniß nehme, zu meinen, und dem Leſer alſo auch frey ſtehen muͤſſe, anders zu meinen. In Betracht deſſen muß ich dem Leſer mit der Erinnerung zuvorkommen: daß, im Fall meine ſubiective De- duction nicht die ganze Ueberzeugung, die ich erwarte, bey ihm gewirkt haͤtte, doch die obiective, um die es mir hier vornemlich zu thun iſt, ihre ganze Staͤrke be- komme, wozu allenfals dasienige, was Seite 92 bis 93 geſagt wird, allein hinreichend ſeyn kan. Was endlich die Deutlichkeit betrift, ſo hat der Leſer ein Recht, zuerſt die diſcurſive (logiſche) Deut- lichkeit, durch Begriffe, denn aber auch eine in- tuiti- b [0024] Vorrede. tuitive (aͤſthetiſche) Deutlichkeit, durch Anſchau- ungen, d. i. Beiſpiele oder andere Erlaͤuterungen, in concreto zu fodern. Vor die erſte habe ich hinrei- chend geſorgt. Das betraf das Weſen meines Vor- habens, war aber auch die zufaͤllige Urſache, daß ich der zweiten, obzwar nicht ſo ſtrengen, aber doch bil- ligen Foderung nicht habe Gnuͤge leiſten koͤnnen. Ich bin faſt beſtaͤndig im Fortgange meiner Arbeit unſchlieſ- ſig geweſen, wie ich es hiemit halten ſolte. Beiſpiele und Erlaͤuterungen ſchienen mir immer noͤthig und floſſen daher auch wirklich im erſten Entwurfe an ih- ren Stellen gehoͤrig ein. Ich ſahe aber die Groͤſſe meiner Aufgabe und die Menge der Gegenſtaͤnde, womit ich es zu thun haben wuͤrde, gar bald ein und, da ich gewahr ward, daß dieſe ganz allein, im trocke- nen, blos ſcholaſtiſchen Vortrage, das Werk ſchon gnug ausdehnen wuͤrden, ſo fand ich es unrathſam, es durch Beiſpiele und Erlaͤuterungen, die nur in po- pulaͤrer Abſicht nothwendig ſind, noch mehr anzu- ſchwellen, zumal dieſe Arbeit keinesweges dem popu- laͤren Gebrauche angemeſſen werden koͤnte und die ei- gentliche Kenner der Wiſſenſchaft dieſe Erleichterung nicht ſo noͤthig haben, ob ſie zwar iederzeit angenehm iſt, hier aber ſogar etwas zweckwidriges nach ſich zie- hen konte. Abt Terraſſon ſagt zwar: wenn man die [0025] Vorrede. die Groͤſſe eines Buchs nicht nach der Zahl der Blaͤt- ter, ſondern nach der Zeit mißt, die man noͤthig hat, es zu verſtehen, ſo koͤnne man von manchem Buche ſagen: daß es viel kuͤrzer ſeyn wuͤrde, wenn es nicht ſo kurz waͤre. Anderer Seits aber, wenn man auf die Faßlichkeit eines weitlaͤuftigen, dennoch aber in einem Princip zuſammenhaͤngenden Ganzen ſpeculativer Erkentniß ſeine Abſicht richtet, koͤnte man mit eben ſo gutem Rechte ſagen: manches Buch waͤre viel deutlicher geworden, wenn es nicht ſo gar deutlich haͤtte werden ſollen. Denn die Huͤlfs- mittel der Deutlichkeit fehlen zwar in Theilen, zer- ſtreuen aber oͤfters im Ganzen, indem ſie den Leſer nicht ſchnell gnug zu Ueberſchauung des Ganzen ge- langen laſſen und durch alle ihre helle Farben gleichwol die Articulation, oder den Gliederbau des Syſtems verkleben und unkentlich machen, auf den es doch, um uͤber die Einheit und Tuͤchtigkeit deſſelben urtheilen zu koͤnnen, am meiſten ankomt. Es kan, wie mich duͤnkt, dem Leſer zu nicht ge- ringer Anlockung dienen, ſeine Bemuͤhung mit der des Verfaſſers, zu vereinigen, wenn er die Ausſicht hat, ein groſſes und wichtiges Werk, nach dem vorgelegten Entwurfe, ganz und doch dauerhaft zu vollfuͤhren. Nun b 2 [0026] Vorrede. Nun iſt Metaphyſik, nach den Begriffen, die wir hier davon geben werden, die einzige aller Wiſſen- ſchaften, die ſich eine ſolche Vollendung und zwar in kurzer Zeit, und mit nur weniger, aber vereinigter Bemuͤhung, verſprechen darf, ſo daß nichts vor die Nachkommenſchaft uͤbrig bleibt, als in der didacti- ſchen Manier alles nach ihren Abſichten einzurichten, ohne darum den Inhalt im mindeſten vermehren zu koͤnnen. Denn es iſt nichts als das Inventarium aller unſerer Beſitze durch reine Vernunft, ſyſte- matiſch geordnet. Es kan uns hier nichts entgehen, weil, was Vernunft gaͤnzlich aus ſich ſelbſt hervor- bringt, ſich nicht verſtecken kan, ſondern ſelbſt durch Vernunft ans Licht gebracht wird, ſobald man nur das gemeinſchaftliche Princip deſſelben entdeckt hat. Die vollkommene Einheit dieſer Art Erkentniſſe, und zwar aus lauter reinen Begriffen, ohne daß irgend etwas von Erfahrung, oder auch nur beſondere An- ſchauung, die zur beſtimten Erfahrung leiten ſolte, auf ſie einigen Einfluß haben kan, ſie zu erweitern und zu vermehren, machen dieſe unbedingte Vollſtaͤn- digkeit nicht allein thunlich, ſondern auch nothwendig. Tecum habita et noris, quam ſit tibi curta ſupellex. Perſius. Ein [0027] Vorrede. Ein ſolches Syſtem der reinen (ſpeculativen) Vernunft hoffe ich unter dem Titel: Metaphyſik der Natur, ſelbſt zu liefern, welches, bey noch nicht der Haͤlfte der Weitlaͤuftigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben ſoll, als hier die Critik, die zuvoͤrderſt die Quellen und Bedingungen ihrer Moͤglichkeit dar- legen mußte, und einen ganz verwachſenen Boden zu reinigen und zu ebenen noͤthig hatte. Hier erwarte ich an meinem Leſer die Gedult und Unpartheylichkeit eines Richters, dort aber die Willfaͤhrigkeit und den Beiſtand eines Mithelfers; denn, ſo vollſtaͤndig auch alle Principien zu dem Syſtem in der Critik vorge- tragen ſind, ſo gehoͤrt zur Ausfuͤhrlichkeit des Syſtems ſelbſt doch noch, daß es auch an keinen abgeleiteten Begriffen mangele, die man a priori nicht in Ueber- ſchlag bringen kan, ſondern die nach und nach aufge- ſucht werden muͤſſen, imgleichen, da dort die ganze Syntheſis der Begriffe erſchoͤpft wurde, ſo wird uͤber- dem hier gefodert, daß eben daſſelbe auch in Anſe- hung der Analyſis geſchehe, welches alles leicht und mehr Unterhaltung als Arbeit iſt. Ich habe nur noch Einiges in Anſehung des Drucks anzumerken. Da der Anfang deſſelben etwas verſpaͤtet war, ſo konte ich nur etwa die Haͤlfte der Aus- b 3 [0028] Vorrede. Aushaͤngebogen zu ſehen bekommen, in denen ich zwar einige, den Sinn aber nicht verwirrende, Druckfehler antreffe, auſſer demienigen, der S. 379. Zeile 4 von unten vorkomt, da ſpecifiſch an ſtatt ſceptiſch gele- ſen werden muß. Die Antinomie der reinen Ver- nunft, von Seite 425 bis 461, iſt ſo, nach Art einer Tafel, angeſtellt, daß alles, was zur Theſis gehoͤrt, auf der linken, was aber zur Antitheſis gehoͤrt, auf der rechten Seite immer fortlaͤuft, welches ich dar- um ſo anordnete, damit Satz und Gegenſatz deſto leichter mit einander verglichen werden koͤnte. [Abbildung] Inhalt [0029] [Abbildung] Inhalt. Einleitung. Seite 1 I. Transſeendentale Elementarlehre. 17 Erſter Theil. Transſcendentale Aeſthetik. 19 1. Abſchnitt. Vom Raume. 22 2. ‒ ‒ ‒ Von der Zeit. 30 Zweiter Theil. Transſcendentale Logik. 50 1. Abtheilung. Transſcendentale Analytik in zwey Buͤchern und deren verſchiedenen Hauptſtuͤcken und Abſchnitten. 64 2. Abtheilung. Transſcendentale Dialectik in zwey Buͤchern und deren verſchiedenen Hauptſtuͤcken und Abſchnitten. 293 II. Trans- [0030] Inhalt. Seite II. Transſcendentale Methodenlehre. 705 1. Hauptſtuͤck. Die Diſciplin der reinen Vernunft. 708 2. 〃〃〃 Der Canon der reinen Vernunft. 795 3. 〃〃〃 Die Architectonik der reinen Ver- nunft. 832 4. 〃〃〃 Die Geſchichte der reinen Vernunft. 852 [Abbildung] Einlei- [[1]/0031] [Abbildung] Einleitung. I. Idee der Transſcendental-Philoſophie. Erfahrung iſt ohne Zweifel das erſte Product, welches unſer Verſtand hervorbringt, indem er den rohen Stoff ſinnlicher Empfindungen bearbeitet. Sie iſt eben dadurch die erſte Belehrung, und im Fortgange ſo unerſchoͤpflich an neuem Unterricht, daß das zuſammengekettete Leben aller kuͤnftigen Zeugungen an neuen Kentniſſen, die auf dieſem Boden geſammlet werden koͤnnen, niemals Mangel haben wird. Gleich- wohl iſt ſie bey weitem nicht das einzige Feld, darinn ſich unſer Verſtand einſchraͤnken laͤßt. Sie ſagt uns zwar, was da ſey, aber nicht, daß es nothwendiger Weiſe, ſo und nicht anders, ſeyn muͤſſe. Eben darum giebt ſie uns auch keine wahre Allgemeinheit, und die Vernunft, welche nach dieſer Art von Erkentniſſen ſo begierig iſt, wird A [2/0032] Einleitung. wird durch ſie mehr gereizt, als befriediget. Solche allgemeine Erkentniſſe nun, die zugleich den Character der innern Nothwendigkeit haben, muͤſſen, von der Er- fahrung unabhaͤngig, vor ſich ſelbſt klar und gewis ſeyn; man nennt ſie daher Erkentniſſe a priori: da im Gegen- theil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt iſt, wie man ſich ausdruͤkt, nur a poſteriori, oder empiriſch erkannt wird. Nun zeigt es ſich, welches uͤberaus merkwuͤrdig iſt, daß ſelbſt unter unſere Erfahrungen ſich Erkentniſſe men- gen, die ihren Urſprung a priori haben muͤſſen, und die vielleicht nur dazu dienen, um unſern Vorſtellungen der Sinne Zuſammenhang zu verſchaffen. Denn, wenn man aus den erſteren auch alles wegſchaft, was den Sin- nen angehoͤrt, ſo bleiben dennoch gewiſſe urſpruͤngliche Begriffe und aus ihnen erzeugte Urtheile uͤbrig, die gaͤnzlich a priori, unabhaͤngig von der Erfahrung ent- ſtanden ſeyn muͤſſen, weil ſie machen, daß man von den Gegenſtaͤnden, die den Sinnen erſcheinen, mehr ſagen kan, wenigſtens es ſagen zu koͤnnen glaubt, als bloße Erfahrung lehren wuͤrde, und daß Behauptungen wah- re Allgemeinheit und ſtrenge Nothwendigkeit enthalten, dergleichen die blos empiriſche Erkentniß nicht liefern kan. Was aber noch weit mehr ſagen will, iſt dieſes, daß gewiſſe Erkentniſſe ſo gar das Feld aller moͤglichen Er- fah- [3/0033] Einleitung. fahrungen verlaſſen, und durch Begriffe, denen uͤberall kein entſprechender Gegenſtand in der Erfahrung gege- ben werden kan, den Umfang unſerer Urtheile uͤber alle Grenzen derſelben zu erweitern den Anſchein haben. Und gerade in dieſen lezteren Erkentniſſen, welche uͤber die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden noch Berichtigung geben kan, liegen die Nachforſchungen unſrer Vernunft, die wir der Wichtig- keit nach vor weit vorzuͤglicher, und ihre Endabſicht vor viel erhabener halten, als alles, was der Verſtand im Felde der Erſcheinungen lernen kan, wobey wir, ſogar auf die Gefahr zu irren, eher alles wagen, als daß wir ſo angelegene Unterſuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringſchaͤtzung und Gleichguͤltigkeit aufgeben ſollten. Nun ſcheint es zwar natuͤrlich, daß, ſo bald man den Boden der Erfahrung verlaſſen hat, man doch nicht mit Erkentniſſen, die man beſizt, ohne zu wiſſen woher, und auf den Credit der Grundſaͤtze, deren Urſprung man nicht kennt, ſo fort ein Gebaͤude errichten werde, ohne der Grundlegung deſſelben durch ſorgfaͤltige Unterſuchungen vorher verſichert zu ſeyn, daß man alſo die Frage vor- laͤngſt werde aufgeworfen haben, wie denn der Verſtand zu allen dieſen Erkentniſſen a priori kommen koͤnne, und welchen Umfang, Guͤltigkeit und Werth ſie haben moͤgen. In A 2 [4/0034] Einleitung. In der That iſt auch nichts natuͤrlicher, wenn man un- ter dieſem Wort das verſteht, was billiger und vernuͤnf- tiger Weiſe geſchehen ſollte; verſteht man aber darunter das, was gewoͤhnlicher Maaßen geſchieht, ſo iſt hinwie- derum nichts natuͤrlicher und begreiflicher, als daß dieſe Unterſuchung lange Zeit unterbleiben mußte. Denn ein Theil dieſer Erkentniſſe, die mathematiſche, iſt im alten Beſitze der Zuverlaͤßigkeit, und giebt dadurch eine guͤnſtige Erwartung auch vor andere, ob dieſe gleich von ganz verſchiedener Natur ſeyn moͤgen. Ueberdem, wenn man uͤber den Kreis der Erfahrung hinaus iſt, ſo iſt man ſicher, durch Erfahrung nicht widerſprochen zu werden. Der Reiz, ſeine Erkentniſſe zu erweitern, iſt ſo groß, daß man nur durch einen klaren Widerſpruch, auf den man ſtoͤßt, in ſeinem Fortſchritt aufgehalten wer- den kan. Dieſer aber kan vermieden werden, wenn man ſeine Erdichtungen behutſam macht, ohne daß ſie deswegen weniger Erdichtungen bleiben. Die Mathe- matik giebt uns ein glaͤnzendes Beyſpiel, wie weit wir es unabhaͤngig von der Erfahrung in der Erkentniß a priori bringen koͤnnen. Nun beſchaͤftigt ſie ſich zwar mit Ge- genſtaͤnden und Erkentniſſen, blos ſo weit als ſich ſolche in der Anſchauung darſtellen laſſen. Aber dieſer Um- ſtand wird leicht uͤberſehen, weil gedachte Anſchauung ſelbſt a priori gegeben werden kan, mithin von einem bloſſen reinen Begriff kaum unterſchieden wird. Durch einen ſolchen Beweis von der Macht der Vernunft auf- gemun- [5/0035] Einleitung. gemuntert, ſieht der Trieb zur Erweiterung keine Gren- zen. Die leichte Taube, indem ſie im freyen Fluge die Luft theilt, deren Widerſtand ſie fuͤhlt, koͤnte die Vor- ſtellung faſſen, daß es ihr im Luftleeren Raum noch viel beſſer gelingen werde. Eben ſo verließ Plato die Sin- nenwelt, weil ſie dem Verſtande ſo vielfaͤltige Hinder- niſſe legt, und wagte ſich ienſeit derſelben auf den Fluͤ- geln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Ver- ſtandes. Er bemerkte nicht, daß er durch ſeine Bemuͤ- hungen keinen Weg gewoͤnne, denn er hatte keinen Wie- derhalt, gleichſam zur Unterlage, worauf er ſich ſteifen, und woran er ſeine Kraͤfte anwenden konte, um den Ver- ſtand von der Stelle zu bringen. Es iſt aber ein gewoͤhn- liches Schickſal der menſchlichen Vernunft in der Specula- tion ihr Gebaͤude ſo fruͤh, wie moͤglich, fertig zu machen, und hintennach allererſt zu unterſuchen, ob auch der Grund dazu gut geleget ſey. Alsdenn aber werden allerley Be- ſchoͤnigungen herbey geſucht, um uns wegen deſſen Tuͤch- tigkeit zu troͤſten, oder eine ſolche ſpaͤte und gefaͤhrliche Pruͤfung abzuweiſen. Was uns aber waͤhrend dem Bauen von aller Beſorgniß und Verdacht frey haͤlt, und mit ſcheinbarer Gruͤndlichkeit ſchmeichelt, iſt dieſes. Ein groſ- ſer Theil, und vielleicht der groͤßte, von dem Geſchaͤfte unſerer Vernunft beſteht in Zergliederungen der Begriffe, die wir ſchon von Gegenſtaͤnden haben. Dieſes liefert uns eine Menge von Erkentniſſen, die, ob ſie gleich nichts weiter als Aufklaͤrungen oder Erlaͤuterungen desienigen ſind, A 3 [6/0036] Einleitung. ſind, was in unſern Begriffen, (wiewohl noch auf verworr- ne Art) ſchon gedacht worden, doch wenigſtens der Form nach neuen Einſichten gleich geſchaͤtzet werden, wie- wohl ſie der Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, ſondern nur aus einan- der ſetzen. Da dieſes Verfahren nun eine wirkliche Er- kentniß a priori giebt, die einen ſichern und nuͤzlichen Fort- gang hat, ſo erſchleicht die Vernunft, ohne es ſelbſt zu merken, unter dieſer Vorſpiegelung Behauptungen von ganz anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begrif- fen a priori ganz fremde hinzu thut, ohne daß man weiß, wie ſie dazu gelange, und ohne ſich dieſe Frage auch nur in die Gedanken kommen zu laſſen. Ich will daher gleich anfangs von dem Unterſchiede dieſer zwiefachen Erkentniß- art handeln. Von dem Unterſchiede analytiſcher und ſynthetiſcher Urtheile. In allen Urtheilen, worinnen das Verhaͤltniß eines Subjects zum Praͤdicat gedacht wird, (wenn ich nur die beiahende erwege: denn auf die verneinende iſt die An- wendung leicht) iſt dieſes Verhaͤltniß auf zweierley Art moͤglich. Entweder das Praͤdicat B gehoͤret zum Subiect A als etwas, was in dieſem Begriffe A (verſteckter Weiſe) enthalten iſt; oder B liegt ganz auſſer dem Begriff A, ob es zwar mit demſelben in Verknuͤpfung ſteht. Im erſten Fall nenne ich das Urtheil analytiſch, im andern ſynthe- tiſch. [7/0037] Einleitung. tiſch. Analytiſche Urtheile (die beiahende) ſind alſo dieie- nige, in welchen die Verknuͤpfung des Praͤdicats mit dem Subiect durch Identitaͤt, dieienige aber, in denen dieſe Verknuͤpfung ohne Identitaͤt gedacht wird, ſollen ſynthe- tiſche Urtheile heiſſen. Die erſtere koͤnte man auch Er- laͤuterungs- die andere Erweiterungs-Urtheile heiſſen, weil iene durch das Praͤdicat nichts zum Begriff des Subiects hinzuthun, ſondern dieſen nur durch Zergliederung in ſeine Theilbegriffe zerfaͤllen, die in ſelbigen ſchon, (obſchon verworren) gedacht waren: dahingegen die leztere zu dem Begriffe des Subiects ein Praͤdicat hinzuthun, wel- ches in ienem gar nicht gedacht war, und durch keine Zer- gliederung deſſelben haͤtte koͤnnen herausgezogen werden, z. B. wenn ich ſage: alle Koͤrper ſind ausgedehnt, ſo iſt dies ein analytiſch Urtheil. Denn ich darf nicht aus dem Begriffe, den ich mit dem Wort Koͤrper verbinde, hinaus- gehen, um die Ausdehnung als mit demſelben verknuͤpft zu finden, ſondern ienen Begriff nur zergliedern, d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, nur bewuſt werden, um dieſes Praͤdicat darin anzutreffen; es iſt alſo ein analytiſches Urtheil. Dagegen, wenn ich ſage: alle Koͤrper ſind ſchwer, ſo iſt das Praͤdicat etwas ganz anders, als das, was ich in dem bloſſen Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt denke. Die Hinzufuͤgung eines ſolchen Praͤdicats giebt alſo ein ſynthetiſch Urtheil. Nun iſt hieraus klar: 1) daß durch analytiſche Ur- theile unſere Erkentniß gar nicht erweitert werde, ſondern der A 4 [8/0038] Einleitung. der Begriff, den ich ſchon habe, aus einander geſezt, und mir ſelbſt verſtaͤndlich gemacht werde. 2) daß bey ſynthe- tiſchen Urtheilen ich auſſer dem Begriffe des Subiects noch etwas anderes (X) haben muͤſſe, worauf ſich der Ver- ſtand ſtuͤzt, um ein Praͤdicat, das in ienem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehoͤrig zu erkennen. Bey empiriſchen oder Erfahrungsurtheilen hat es hiemit gar keine Schwierigkeit. Denn dieſes X iſt die vollſtaͤndige Erfahrung von dem Gegenſtande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Theil dieſer Er- fahrung ausmacht. Denn ob ich ſchon in dem Begriff eines Koͤrpers uͤberhaupt das Praͤdicat der Schwere gar nicht einſchlieſſe, ſo bezeichnet er doch die vollſtaͤndige Er- fahrung durch einen Theil derſelben, zu welchem alſo ich noch andere Theile eben derſelben Erfahrung, als zu dem erſteren gehoͤrig, hinzufuͤgen kan. Ich kan den Begriff des Koͤrpers vorher analytiſch durch die Merkmale der Aus- dehnung, der Undurchdringlichkeit, der Geſtalt ꝛc. die alle in dieſem Begriff gedacht werden, erkennen. Nun erweitere ich aber meine Erkentniß, und, indem ich auf die Erfahrung zuruͤck ſehe, von welcher ich dieſen Begriff des Koͤrpers abgezogen hatte, ſo finde ich mit obigen Merk- malen auch die Schwere iederzeit verknuͤpft. Es iſt alſo die Erfahrung ienes X, was auſſer dem Begriffe A liegt, und worauf ſich die Moͤglichkeit der Syntheſis des Praͤ- dicats der Schwere B mit dem Begriffe A gruͤndet. Aber [9/0039] Einleitung. Aber bey ſynthetiſchen Urtheilen a priori fehlt dieſes Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich auſſer dem Begriffe A hinaus gehen ſoll, um einen andern B, als damit verbunden zu erkennen, was iſt das, worauf ich mich ſtuͤtze, und wodurch die Syntheſis moͤglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er- fahrung darnach umzuſehen. Man nehme den Satz: „Alles, was geſchieht, hat ſeine Urſache.“ In dem Begriff von Etwas, das geſchieht, denke ich zwar ein Daſeyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus laſſen ſich analytiſche Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Urſache zeigt Etwas von dem, was geſchieht, verſchie- denes an, und iſt in dieſer lezteren Vorſtellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was uͤberhaupt geſchiehet, etwas davon ganz verſchiedenes zu ſagen, und den Begriff der Urſachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen. Was iſt hier das X, worauf ſich der Verſtand ſtuͤzt, wenn er auſſer dem Begriff von A ein demſelben fremdes Praͤ- dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft ſey. Erfahrung kan es nicht ſeyn, weil der angefuͤhrte Grundſaz nicht allein mit groͤſſerer Allgemeinheit, als die Erfahrung verſchaffen kan, ſondern auch mit dem Aus- druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich a priori und aus bloſſen Begriffen dieſe zweyte Vorſtellungen zu der erſteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf ſolchen ſynthetiſchen d. i. Erweiterungs-Grundſaͤtzen die ganze Endabſicht unſe- rer A 5 [10/0040] Einleitung. rer ſpeculativen Erkentniß a priori; denn die analytiſchen ſind zwar hoͤchſt wichtig und noͤthig, aber nur um zu der- ienigen Deutlichkeit der Begriffe zu gelangen, die zu einer ſicheren und ausgebreiteten Syntheſis, als zu einem wirklich neuen Anbau, erforderlich iſt. Es liegt alſo hier ein gewiſſes Geheimniß verborgen *), deſſen Aufſchluß allein den Fortſchritt in dem grenzenloſen Felde der reinen Verſtandeserkentniß ſicher und zuverlaͤßig machen kan: nemlich mit gehoͤriger Allgemeinheit den Grund der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile a priori auf- zudecken, die Bedingungen, die eine jede Art derſelben moͤglich machen, einzuſehen, und dieſe ganze Erkentniß (die ihre eigene Gattung ausmacht) in einem Syſtem nach ihren urſpruͤnglichen Quellen, Abtheilungen, Umfang und Grenzen, nicht durch einen fluͤchtigen Umkreis zu bezeich- nen, ſondern vollſtaͤndig und zu iedem Gebrauch hinrei- chend zu beſtimmen. So viel vorlaͤufig von dem Eigen- thuͤmlichen, was die ſynthetiſchen Urtheile an ſich haben. Aus dieſem allen ergiebt ſich nun die Idee einer be- ſondern Wiſſenſchaft, die zur Critik der reinen Vernunft die- *) Waͤre es einem von den Alten eingefallen, auch nur dieſe Frage aufzuwerfen, ſo wuͤrde dieſe allein allen Sy- ſtemen der reinen Vernunft bis auf unſere Zeit maͤchtig widerſtanden haben, und haͤtte ſo viele eitele Verſuche erſpahrt, die, ohne zu wiſſen, womit man eigentlich zu thun hat, blindlings unternommen worden. [11/0041] Einleitung. dienen koͤnne. Es heißt aber iede Erkentniß rein, die mit nichts Fremdartigen vermiſcht iſt. Beſonders aber wird eine Erkentniß ſchlechthin rein genannt, in die ſich uͤberhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmiſcht, welche mithin voͤllig a priori moͤglich iſt. Nun iſt Ver- nunft das Vermoͤgen, welches die Principien der Erkent- niß a priori an die Hand giebt. Daher iſt reine Vernunft dieienige, welche die Principien etwas ſchlechthin a priori zu erkennen, enthaͤlt. Ein Organon der reinen Vernunft wuͤrde ein Inbegriff derienigen Principien ſeyn, nach de- nen alle reine Erkentniſſe a priori koͤnnen erworben und wirklich zu Stande gebracht werden. Die ausfuͤhrliche Anwendung eines ſolchen Organon wuͤrde ein Syſtem der reinen Vernunft verſchaffen. Da dieſes aber ſehr viel verlangt iſt, und es noch dahin ſteht, ob auch uͤberhaupt eine ſolche Erweiterung unſerer Erkentniß, und in welchen Faͤllen ſie moͤglich ſey; ſo koͤnnen wir eine Wiſſenſchaft der bloſſen Beurtheilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen, als die Propaͤdevtick zum Syſtem der rei- nen Vernunft anſehen. Eine ſolche wuͤrde nicht eine Doctrin, ſondern nur Critik der reinen Vernunft heiſſen muͤſſen, und ihr Nutze wuͤrde wirklich nur negativ ſeyn, nicht zur Erweiterung, ſondern nur zur Laͤuterung unſerer Vernunft dienen, und ſie von Irrthuͤmern frey halten, welches ſchon ſehr viel gewonnen iſt. Ich nenne alle Er- kentniß transſcendental, die ſich nicht ſo wohl mit Gegen- ſtaͤnden, ſondern mit unſern Begriffen a priori von Gegen- ſtaͤn- [12/0042] Einleitung. ſtaͤnden uͤberhaupt beſchaͤftigt. Ein Syſtem ſolcher Be- griffe wuͤrde Transſcendental-Philoſophie heißen. Dieſe iſt aber wiederum vor den Anfang zu viel. Denn weil eine ſolche Wiſſenſchaft ſo wol die analytiſche Erkentniß, als die ſynthetiſche a priori vollſtaͤndig enthalten muͤßte, ſo iſt ſie, in ſo fern es unſre Abſicht betrift, von zu wei- tem Umfange, indem wir die Analyſis nur ſo weit treiben duͤrfen, als ſie unentbehrlich noͤthig iſt, um die Principien der Syntheſis a priori, als warum es uns nur zu thun iſt, in ihrem ganzen Umfange einzuſehen. Dieſe Unter- ſuchung, die wir eigentlich nicht Doctrin, ſondern nur transcendentale Critik nennen koͤnnen, weil ſie nicht die Erweiterung der Erkentniſſe ſelbſt, ſondern nur die Be- richtigung derſelben zur Abſicht hat, und den Probierſtein des Werths oder Unwerths aller Erkentniſſe a priori abge- ben ſoll, iſt das, womit wir uns iezt beſchaͤftigen. Eine ſolche Critik iſt demnach eine Vorbereitung, wo moͤglich, zu einem Organon, und, wenn dieſes nicht gelingen ſollte, wenigſtens zu einem Canon derſelben, nach welchen allen- falls dereinſt das vollſtaͤndige Syſtem der Philoſophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloſſer Begrenzung ihrer Erkentniß beſtehen, ſo wol analytiſch, als ſynthetiſch dargeſtellt werden koͤnnte. Denn daß die- ſes moͤglich ſey, ia daß ein ſolches Syſtem von nicht gar groſſem Umfange ſeyn koͤnne, um zu hoffen, es ganz zu vollenden, laͤßt ſich ſchon zum voraus daraus ermeſſen, daß hier nicht die Natur der Dinge, welche unerſchoͤpflich iſt, [13/0043] Einleitung. iſt, ſondern der Verſtand, der uͤber die Natur der Dinge urtheilt, und auch dieſer wiederum nur in Anſehung ſei- ner Erkentniß a priori den Gegenſtand ausmacht, deſſen Vorrath, weil wir ihn doch nicht auswaͤrtig ſuchen duͤr- fen, uns nicht verborgen bleiben kan, und allem Vermu- then nach klein genug iſt, um vollſtaͤndig aufgenommen, nach ſeinem Werthe oder Unwerthe beurtheilt und unter richtige Schaͤtzung gebracht zu werden. II. Eintheilung der Transſcendental- Philoſophie. Die Transſcendental-Philoſophie iſt hier nur eine Idee, wozu die Critik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektoniſch d. i. aus Principien entwerfen ſoll, mit voͤlliger Gewaͤrleiſtung der Vollſtaͤndigkeit und Sicher- heit aller Stuͤcke, die dieſes Gebaͤude ausmacht. Daß dieſe Critik nicht ſchon ſelbſt Transſcendental-Philoſophie heißt, beruhet lediglich darauf, daß ſie, um ein vollſtaͤn- dig Syſtem zu ſeyn, auch eine ausfuͤhrliche Analyſis der ganzen menſchlichen Erkentniß a priori enthalten muͤßte. Nun muß zwar unſre Critik allerdings auch eine vollſtaͤn- dige Herzehlung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkentniß ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausfuͤhrlichen Analyſis dieſer Begriffe ſelbſt, wie auch der vollſtaͤndigen Recenſion der daraus abgeleiteten, enthaͤlt ſie ſich billig, theils weil dieſe Zergliederung nicht zweck- maͤßig [14/0044] Einleitung. maͤßig waͤre, indem ſie die Bedenklichkeit nicht hat, wel- che bey der Syntheſis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Critik da iſt, theils, weil es der Ein- heit des Plans zuwider waͤre, ſich mit der Verantwortung der Vollſtaͤndigkeit einer ſolchen Analyſis und Ableitung zu befaſſen, deren man in Anſehung ſeiner Abſicht doch uͤberhoben ſeyn konte. Dieſe Vollſtaͤndigkeit der Zerglie- derung ſo wohl, als der Ableitung aus den kuͤnftig zu liefernden Begriffen a priori, iſt indeſſen leicht zu ergaͤn- zen, wenn ſie nur allererſt als ausfuͤhrliche Principien der Syntheſis da ſind, und ihnen in Anſehung dieſer weſent- lichen Abſicht nichts ermangelt. Zur Critik der reinen Vernunft gehoͤrt demnach alles, was die Transſcendental-Philoſophie ausmacht, und ſie iſt die vollſtaͤndige Idee der Transſcendental-Philoſophie, aber dieſe Wiſſenſchaft noch nicht ſelbſt, weil ſie in der Analyſis nur ſo weit geht, als es zur vollſtaͤndigen Beur- theilung der ſynthetiſchen Erkentniß a priori erforder- lich iſt. Das vornehmſte Augenmerk bey der Eintheilung einer ſolchen Wiſſenſchaft iſt: daß gar keine Begriffe hin- einkommen muͤſſen, die irgend etwas Empiriſches in ſich enthalten, oder daß die Erkentnis a priori voͤllig rein ſey. Daher, ob zwar die oberſten Grundſaͤtze der Moralitaͤt, und die Grundbegriffe derſelben, Erkentniſſe a priori ſind, ſo [15/0045] Einleitung. ſo gehoͤren ſie doch nicht in die Transſcendental-Philoſo- phie, weil die Begriffe der Luſt und Unluſt, der Begier- den und Neigungen, der Willkuͤhr ꝛc. die insgeſammt em- piriſchen Urſprunges ſind, dabey vorausgeſetzt werden muͤßten. Daher iſt die Transſcendental-Philoſophie eine Weltweisheit der reinen blos ſpeculativen Vernunft. Denn alles Praktiſche, ſo fern es Bewegungsgruͤnde ent- haͤlt, bezieht ſich auf Gefuͤhle, welche zu empiriſchen Er- kentnißquellen gehoͤren. Wenn man nun die Eintheilung dieſer Wiſſenſchaft aus dem allgemeinen Geſichtspuncte eines Syſtems uͤber- haupt anſtellen will, ſo muß die, welche wir iezt vortra- gen, erſtlich eine Elementar-Lehre, zweitens eine Metho- den-Lehre der reinen Vernunft enthalten. Jeder dieſer Haupttheile wuͤrde ſeine Unterabtheilung haben, deren Gruͤnde ſich gleichwohl hier noch nicht vortragen laſſen. Nur ſo viel ſcheint zur Einleitung oder Vorerinnerung noͤ- thig zu ſeyn, daß es zwey Staͤmme der menſchlichen Er- kentniß gebe, die vielleicht aus einer gemeinſchaftlichen, aber uns unbekanten Wurzel entſpringen, nemlich, Sinn- lichkeit und Verſtand, durch deren erſteren uns Gegen- ſtaͤnde gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden. Sofern nun die Sinnlichkeit Vorſtellungen a priori ent- halten ſollte, welche die Bedingungen ausmachen, unter denen uns Gegenſtaͤnde gegeben werden, ſo wuͤrde ſie zur Transſcendental-Philoſophie gehoͤren. Die transſcen- den- [16/0046] Einleitung. dentale Sinnenlehre wuͤrde zum erſten Theile der Elemen- tarwiſſenſchaft gehoͤren muͤſſen, weil die Bedingungen, worunter allein die Gegenſtaͤnde der menſchlichen Erkent- niß gegeben werden, denienigen vorgehen, unter welchen ſelbige gedacht werden. [Abbildung] Cri- [[17]/0047] Critik der reinen Vernunft. I. Transſcendentale Elementarlehre. B [[18]/0048] [19/0049] Der Transſcendentalen Elementarlehre Erſter Theil. Die Transſcendentale Aeſthetik. Auf welche Art und durch welche Mittel ſich auch immer eine Erkentniß auf Gegenſtaͤnde beziehen mag, ſo iſt doch dieienige, wodurch ſie ſich auf dieſelbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzwekt, die Anſchauung. Dieſe findet aber nur ſtatt, ſo fern uns der Gegenſtand gegeben wird; dieſes aber iſt wiederum nur dadurch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire. Die Faͤhigkeit, (Receptivitaͤt) Vorſtellungen durch die Art, wie wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermit- telſt der Sinnlichkeit alſo werden uns Gegenſtaͤnde gegeben, und ſie allein liefert uns Anſchauungen, durch den Ver- ſtand aber werden ſie gedacht, und von ihm entſpringen Begriffe. Alles Denken aber muß ſich, es ſey gerade zu (directe) oder im Umſchweife (indirecte) zulezt auf An- ſchauungen, mithin, bey uns, auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weiſe kein Gegenſtand gegeben wer- den kan. Die Wirkung eines Gegenſtandes auf die Vorſtellungs- faͤhigkeit, ſo fern wir von demſelben afficirt werden, iſt Em- B 2 [20/0050] Elementarlehre I. Theil. Empfindung. Dieienige Anſchauung, welche ſich auf den Gegenſtand durch Empfindung bezieht, heißt empi- riſch. Der unbeſtimmte Gegenſtand einer empiriſchen Anſchauung, heißt Erſcheinung. In der Erſcheinung nenne ich das, was der Empfin- dung correſpondirt, die Materie derſelben, dasienige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erſcheinung in gewiſſen Verhaͤltniſſen geordnet, angeſchauet wird, nenne ich die Form der Erſcheinung. Da das, worinnen ſich die Empfindungen allein ordnen, und in gewiſſe Form ge- ſtellet werden koͤnnen, nicht ſelbſt wiederum Empfindung ſeyn kan, ſo iſt uns zwar die Materie aller Erſcheinung nur a poſteriori gegeben, die Form derſelben aber muß zu ihnen insgeſamt im Gemuͤthe a priori bereit liegen, und dahero abgeſondert von aller Empfindung koͤnnen betrach- tet werden. Ich nenne alle Vorſtellungen rein (im transſcen- dentalen Verſtande) in denen nichts, was zur Empfindung gehoͤrt, angetroffen wird. Demnach wird die reine Form ſinnlicher Anſchauungen uͤberhaupt im Gemuͤthe a priori angetroffen werden, worinnen alles Mannigfaltige der Er- ſcheinungen in gewiſſen Verhaͤltniſſen angeſchauet wird. Dieſe reine Form der Sinnlichkeit wird auch ſelber reine Anſchauung heiſſen. So, wenn ich von der Vorſtellung eines Koͤrpers das, was der Verſtand davon denkt, als Subſtanz, Kraft, Theilbarkeit, ꝛc. imgleichen, was davon zur Empfindung gehoͤrt, als Undurchdringlichkeit, Haͤrte, Far- [21/0051] Die Transſcendentale Aeſthetik. Farbe ꝛc. abſondere, ſo bleibt mir aus dieſer empiriſchen Anſchauung noch etwas uͤbrig, nemlich Ausdehnung und Geſtalt. Dieſe gehoͤren zur reinen Anſchauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenſtand der Sinne oder Empfindung, als eine bloſſe Form der Sinnlichkeit im Gemuͤthe ſtatt findet. Eine Wiſſenſchaft von allen Principien der Sinnlich- keit a priori nenne ich die transſcendentale Aeſthetik. *) Es muß alſo eine ſolche Wiſſenſchaft geben, die den erſten Theil der transſcendentalen Elementar-Lehre ausmacht, im Gegenſatz mit derienigen, welche die Principien des reinen Denkens enthaͤlt, und transſcendentale Logik genannt wird. In *) Die Deutſchen ſind die einzige, welche ſich iezt des Worts Aeſthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geſchmacks heiſſen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana- lyſt Baumgarten faßte, die critiſche Beurtheilung des Schoͤnen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derſelben zur Wiſſenſchaft zu erheben. Allein dieſe Bemuͤhung iſt vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Criterien ſind ihren Quellen. nach blos empiriſch, und koͤnnen alſo niemals zu Geſetzen a priori dienen, wor- nach ſich unſer Geſchmacksurtheil richten muͤßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierſtein der Richtig- keit der erſteren aus. Um deswillen iſt es rathſam, dieſe Benennung wiederum eingehen zu laſſen, und ſie derie- nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wiſſenſchaft iſt, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al- ten naͤher treten wuͤrde, bey denen die Eintheilung der Erkentniß in ἀιϑητὰ καὶ νόητα ſehr beruͤhmt war. B 3 [22/0052] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. In der tranſcendentalen Aeſthetik alſo werden wir zuerſt die Sinnlichkeit iſoliren, dadurch, daß wir alles abſondern, was der Verſtand durch ſeine Begriffe dabey denkt, damit nichts als empiriſche Anſchauung uͤbrig bleibe. Zweitens werden wir von dieſer noch alles, was zur Em- pfindung gehoͤrt, abtrennen, damit nichts als reine An- ſchauung und die bloſſe Form der Erſcheinungen uͤbrig bleibe, welches das einzige iſt, das die Sinnlichkeit a priori liefern kan. Bey dieſer Unterſuchung wird ſich finden, daß es zwey reine Formen ſinnlicher Anſchauung, als Principien der Erkentniß a priori gebe, nemlich, Raum und Zeit, mit deren Erwegung wir uns jezt beſchaͤftigen werden. Der Transſcendentalen Aeſthetik Erſter Abſchnitt. Von dem Raume. Vermittelſt des aͤuſſeren Sinnes, (einer Eigenſchaft unſres Gemuͤths) ſtellen wir uns Gegenſtaͤnde als auſſer uns, und dieſe insgeſamt im Raume vor. Dar- innen iſt ihre Geſtalt, Groͤße und Verhaͤltniß gegen ein- ander beſtimmt, oder beſtimmbar. Der innere Sinn, ver- mittelſt deſſen das Gemuͤth ſich ſelbſt, oder ſeinen inneren Zuſtand anſchauet, giebt zwar keine Anſchauung von der Seele ſelbſt, als einem Obiect, allein es iſt doch eine be- ſtimmte [23/0053] I. Abſchnitt. Von dem Raume. ſtimmte Form, unter der die Anſchauung ihres innern Zuſtandes allein moͤglich iſt, ſo, daß alles, was zu den innern Beſtimmungen gehoͤrt, in Verhaͤltniſſen der Zeit vorgeſtellt wird. Aeuſſerlich kan die Zeit nicht angeſchaut werden, ſo wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was ſind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Weſen? Sind es zwar nur Beſtimmungen, oder auch Verhaͤltniſſe der Dinge, aber doch ſolche, welche ihnen auch an ſich zukommen wuͤrden, wenn ſie auch nicht angeſchaut wuͤr- den, oder ſind ſie ſolche, die nur an der Form der An- ſchauung allein haften, und mithin an der ſubiectiven Be- ſchaffenheit unſeres Gemuͤths, ohne welche dieſe Praͤdicate gar keinem Dinge beygeleget werden koͤnnen? Um uns hieruͤber zu belehren, wollen wir zuerſt den Raum be- trachten. 1) der Raum iſt kein empiriſcher Begriff, der von aͤuſſeren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge- wiſſe Empfindungen auf etwas auſſer mich bezogen wer- den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,) als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich ſie als auſſer einander, mithin nicht blos verſchieden, ſondern als in verſchiedenen Orten vorſtellen koͤnne, dazu muß die Vorſtellung des Raumes ſchon zum Grunde liegen. Dem- nach kan die Vorſtellung des Raumes nicht aus den Ver- haͤltniſſen der aͤuſſern Erſcheinung durch Erfahrung er- borgt ſeyn, ſondern dieſe aͤuſſere Erfahrung iſt ſelbſt nur durch gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich. 2) Der B 4 [24/0054] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. 2) Der Raum iſt eine nothwendige Vorſtellung, a priori, die allen aͤuſſeren Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan ſich niemals eine Vorſtellung davon machen, daß kein Raum ſey, ob man ſich gleich ganz wohl denken kan, daß keine Gegenſtaͤnde darin angetroffen werden. Er wird alſo als die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen, und nicht als eine von ihnen abhaͤngende Beſtimmung an- geſehen, und iſt eine Vorſtellung a priori, die nothwendi- ger Weiſe aͤuſſeren Erſcheinungen zum Grunde liegt. 3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich die apodictiſche Gewißheit aller geometriſchen Grundſaͤtze, und die Moͤglichkeit ihrer Conſtructionen a priori. Waͤre nemlich dieſe Vorſtellung des Raums ein a poſteriori er- worbener Begriff, der aus der allgemeinen aͤuſſeren Er- fahrung geſchoͤpft waͤre, ſo wuͤrden die erſten Grundſaͤtze der mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmun- gen ſeyn. Sie haͤtten alſo alle Zufaͤlligkeit der Wahrneh- mung, und es waͤre eben nicht nothwendig, daß zwiſchen zween Puncten nur eine gerade Linie ſey, ſondern die Erfahrung wuͤrde es ſo iederzeit lehren. Was von der Erfahrung entlehnt iſt, hat auch nur comparative Allge- meinheit, nemlich durch Induction. Man wuͤrde alſo nur ſagen koͤnnen, ſo viel zur Zeit noch bemerkt worden, iſt kein Raum gefunden worden, der mehr als drey Ab- meſſungen haͤtte. 4) Der Raum iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ſagt, allgemeiner Begriff von Verhaͤltniſſen der Dinge uͤber- [25/0055] I. Abſchnitt. Von dem Raume. uͤberhaupt, ſondern eine reine Anſchauung. Denn erſtlich kan man ſich nur einen einigen Raum vorſtellen, und wenn man von vielen Raͤumen redet, ſo verſtehet man darunter nur Theile eines und deſſelben alleinigen Raumes. Dieſe Theile koͤnnen auch nicht vor dem einigen allbefaſſenden Raume gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus ſeine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich einig, das Man- nigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raͤumen uͤberhaupt beruht lediglich auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in Anſehung ſeiner eine Anſchauung a priori, (die nicht empiriſch iſt) allen Begriffen von den- ſelben zum Grunde liege. So werden auch alle geome- triſche Grundſaͤtze, z. E. daß in einem Triangel zwey Sei- ten zuſammen groͤßer ſeyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung und zwar a priori mit apodictiſcher Ge- wißheit abgeleitet. 5) Der Raum wird als eine unendliche Groͤße ge- geben vorgeſtellt. Ein allgemeiner Begriff vom Raum (der ſo wohl in dem Fuſſe, als einer Elle gemein iſt,) kan in Anſehung der Groͤſſe nichts beſtimmen. Waͤre es nicht die Grenzenloſigkeit im Fortgange der Anſchauung, ſo wuͤrde kein Begriff von Verhaͤltniſſen ein Principium der Unendlichkeit derſelben bey ſich fuͤhren. Schluͤſſe B 5 [26/0056] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. Schluͤſſe aus obigen Begriffen. a) Der Raum ſtellet gar keine Eigenſchaft irgend einiger Dinge an ſich, oder ſie in ihrem Verhaͤltniß auf einander vor, d. i. keine Beſtimmung derſelben, die an Ge- genſtaͤnden ſelbſt haftete, und welche bliebe, wenn man auch von allen ſubiectiven Bedingungen der Anſchauung abſtrahirte. Denn weder abſolute, noch relative Beſtim- mungen koͤnnen vor dem Daſeyn der Dinge, welchen ſie zukommen, mithin nicht a priori angeſchaut werden. b) Der Raum iſt nichts anders, als nur die Form aller Erſcheinungen aͤuſſerer Sinne, d. i. die ſubiective Be- dingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns aͤuſſere An- ſchauung moͤglich iſt. Weil nun die Receptivitaͤt des Sub- iects, von Gegenſtaͤnden afficirt zu werden, nothwendi- ger Weiſe vor allen Anſchauungen dieſer Obiecte vorhergeht, __ laͤßt ſich verſtehen, wie die Form aller Erſcheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen, mithin a priori im Gemuͤthe gegeben ſeyn koͤnne, und wie ſie als eine reine Anſchauung, in der alle Gegenſtaͤnde beſtimmt werden muͤſſen, Principien der Verhaͤltniſſe derſelben vor aller Erfahrung enthalten koͤnne. Wir koͤnnen demnach nur aus dem Standpuncte eines Menſchen vom Raum von ausgedehnten Weſen ꝛc. reden. Gehen wir von der ſubiectiven Bedingung ab, unter wel- cher wir allein aͤuſſere Anſchauung bekommen koͤnnen, ſo wie wir nemlich von den Gegenſtaͤnden afficirt werden moͤgen, ſo bedeutet die Vorſtellung vom Raume gar nichts. Dieſes [27/0057] I. Abſchnitt. Von dem Raume. Dieſes Praͤdicat wird den Dingen nur in ſo fern beyge- legt, als ſie uns erſcheinen, d. i. Gegenſtaͤnde der Sinn- lichkeit ſind. Die beſtaͤndige Form dieſer Receptivitaͤt, welche wir Sinnlichkeit nennen, iſt eine nothwendige Be- dingung aller Verhaͤltniſſe, darinnen Gegenſtaͤnde als auſ- ſer uns, angeſchauet werden, und, wenn man von die- ſen Gegenſtaͤnden abſtrahirt, eine reine Anſchauung, wel- che den Namen Raum fuͤhret. Weil wir die beſonderen Bedingungen der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Moͤglichkeit der Sachen, ſondern nur ihrer Erſcheinungen machen koͤnnen, ſo koͤnnen wir wol ſagen, daß der Raum alle Dinge befaſſe, die uns aͤuſſerlich erſcheinen moͤgen, aber nicht alle Dinge an ſich ſelbſt, ſie moͤgen nun ange- ſchaut werden oder nicht, oder auch von welchem Subiect man wolle. Denn wir koͤnnen von den Anſchauungen an- derer denkenden Weſen gar nicht urtheilen, ob ſie an die nemlichen Bedingungen gebunden ſeyn, welche unſere An- ſchauung einſchraͤnken, und vor uns allgemein guͤltig ſeyn. Wenn wir die Einſchraͤnkung eines Urtheils zum Begriff des Subiects hinzufuͤgen, ſo gilt das Urtheil alsdenn unbedingt. Der Satz: Alle Dinge ſind neben einander im Raum, gilt nur unter der Einſchraͤnkung, wenn dieſe Dinge als Gegenſtaͤnde unſerer ſinnlichen Anſchauung genommen werden. Fuͤge ich hier die Bedingung zum Begriffe; und ſage: Alle Dinge, als aͤuſſere Erſcheinungen, ſind neben einander im Raum, ſo gilt dieſe Regel allgemein und ohne Einſchraͤnkung. Unſere Eroͤrterungen lehren demnach die [28/0058] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. die Realitaͤt (d. i. die obiective Guͤltigkeit) des Raumes in Anſehung alles deſſen, was aͤuſſerlich als Gegenſtand uns vorkommen kann, aber zugleich die Idealitaͤt des Raums in Anſehung der Dinge, wenn ſie durch die Vernunft an ſich ſelbſt erwogen werden, d. i. ohne Ruͤckſicht auf die Be- ſchaffenheit unſerer Sinnlichkeit zu nehmen. Wir behaup- ten alſo die empiriſche Realitaͤt des Raumes (in Anſe- hung aller moͤglichen aͤuſſeren Erfahrung) ob zwar zugleich die transſcendentale Idealitaͤt deſſelben, d. i. daß er Nichts ſey, ſo bald wir die Bedingung der Moͤglichkeit aller Er- fahrung weglaſſen, und ihn als etwas, was den Dingen an ſich ſelbſt zum Grunde liegt, annehmen. Es giebt aber auch auſſer dem Raum keine andere ſubiective und auf etwas aͤuſſeres bezogene Vorſtellung, die a priori obiectiv heiſſen koͤnte. Daher dieſe ſubiective Bedingung aller aͤuſſeren Erſcheinungen mit keiner andern kan verglichen werden. Der Wohlgeſchmack eines Weines gehoͤrt nicht zu den obiectiven Beſtimmungen des Weines, mithin eines Obiects ſo gar als Erſcheinung betrachtet, ſondern zu der beſondern Beſchaffenheit des Sinnes an dem Subiecte, was ihn genießt. Die Farben ſind nicht Be- ſchaffenheiten der Koͤrper, deren Anſchauung ſie anhaͤngen, ſondern auch nur Modificationen des Sinnes des Geſichts, welches vom Lichte auf gewiſſe Weiſe afficirt wird. Da- gegen gehoͤrt der Raum, als Bedingung auſſerer Obiecte, nothwendiger Weiſe zur Erſcheinung oder Anſchauung der- ſelben. Geſchmack und Farben ſind gar nicht nothwendige Be- [29/0059] I. Abſchnitt. Von dem Raume. Bedingungen, unter welchen die Gegenſtaͤnde allein vor uns Obiecte der Sinne werden koͤnnen. Sie ſind nur als zufaͤllig beygefuͤgte Wirkungen der beſondern Organi- ſation mit der Erſcheinung verbunden. Daher ſind ſie auch keine Vorſtellungen a priori, ſondern auf Empfin- dung, der Wohlgeſchmack aber ſo gar auf Gefuͤhl (der Luſt und Unluſt) als einer Wuͤrkung der Empfindung gegruͤndet. Auch kan niemand a priori weder eine Vor- ſtellung einer Farbe, noch irgend eines Geſchmacks haben: der Raum aber betrift nur die reine Form der Anſchauung, ſchließt alſo gar keine Empfindung (nichts empiriſches) in ſich, und alle Arten und Beſtimmungen des Raumes koͤn- nen und muͤſſen ſo gar a priori vorgeſtellt werden koͤnnen, wenn Begriffe der Geſtalten ſo wol, als Verhaͤltniſſe ent- ſtehen ſollen. Durch denſelben iſt es allein moͤglich, daß Dinge vor uns aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn. Die Abſicht dieſer Anmerkung geht nur dahin, zu verhuͤten: daß man die behauptete Idealitaͤt des Raumes nicht durch bey weitem unzulaͤngliche Beyſpiele zu erlaͤutern ſich einfallen laſſe, da nemlich etwa Farben, Geſchmack ꝛc. mit Recht nicht als Beſchaffenheiten der Dinge, ſondern blos als Veraͤnderungen unſeres Subiects, die ſo gar bey verſchiedenen Menſchen verſchieden ſeyn koͤnnen, betrach- tet werden. Denn in dieſem Falle gilt das, was ur- ſpruͤnglich ſelbſt nur Erſcheinung iſt, z. B. eine Roſe, im empiriſchen Verſtande vor ein Ding an ſich ſelbſt, welches doch [30/0060] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. doch iedem Auge in Anſehung der Farbe anders erſchei- nen kan. Dagegen iſt der transſcendentale Begriff der Erſcheinungen im Raume eine critiſche Erinnerung, daß uͤberhaupt nichts, was im Raume angeſchaut wird, eine Sache an ſich, noch daß der Raum eine Form der Dinge ſey, die ihnen etwa an ſich ſelbſt eigen waͤre, ſondern daß uns die Gegenſtaͤnde an ſich gar nicht bekant ſeyn, und, was wir aͤuſſere Gegenſtaͤnde nennen, nichts anders als bloſſe Vorſtellungen unſerer Sinnlichkeit ſeyn, deren Form der Raum iſt, deren wahres Correlatum aber, d. i. das Ding an ſich ſelbſt, dadurch gar nicht erkant wird, noch erkant werden kan, nach welchem aber auch in der Erfah- rung niemals gefragt wird. Der Transſcendentalen Aeſthetik Zweiter Abſchnitt. Von der Zeit. I. Die Zeit iſt kein empiriſcher Begriff, der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden. Denn das Zu- gleichſeyn oder Aufeinanderfolgen wuͤrde ſelbſt nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorſtellung der Zeit nicht a priori zum Grunde laͤge. Nur unter deren Boraus- ſetzung kan man ſich vorſtellen: daß einiges zu einer und derſelben Zeit (zugleich) oder in verſchiedenen Zeiten (nach einander) ſey. 2) Die [31/0061] II. Abſchnitt. Von der Zeit. 2) Die Zeit iſt eine nothwendige Vorſtellung, die al- len Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan in An- ſehung der Erſcheinungen uͤberhaupt die Zeit ſelbſten nicht aufheben, ob man zwar ganz wol die Erſcheinungen aus der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit iſt alſo a priori ge- geben. In ihr allein iſt alle Wirklichkeit der Erſcheinun- gen moͤglich. Dieſe koͤnnen insgeſamt wegfallen, aber ſie ſelbſt, als die allgemeine Bedingung ihrer Moͤglichkeit,) kan nicht aufgehoben werden. 3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich auch die Moͤglichkeit apodictiſcher Grundſaͤtze von den Ver- haͤltniſſen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit uͤberhaupt. Sie hat nur eine Dimenſion: verſchiedene Zeiten ſind nicht zugleich, ſondern nach einander (ſo wie verſchiedene Raͤume nicht nach einander, ſondern zugleich ſeyn.) Dieſe Grund- ſaͤtze koͤnnen aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn dieſe wuͤrde weder ſtrenge Allgemeinheit, noch apodictiſche Gewißheit geben. Wir wuͤrden nur ſagen koͤnnen: ſo lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, ſo muß es ſich verhalten. Dieſe Grundſaͤtze gelten als Regeln, unter denen uͤberhaupt Erfahrungen moͤglich ſind und be- lehren uns vor derſelben, und nicht durch dieſelbe. 4) Die Zeit iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, ſondern eine reine Form der ſinnlichen Anſchauung. Verſchiedene Zeiten ſind nur Theile eben [32/0062] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. eben derſelben Zeit. Die Vorſtellung, die nur durch einen einzigen Gegenſtand gegeben werden kan, iſt aber An- ſchauung. Auch wuͤrde ſich der Satz, daß verſchiedene Zei- ten nicht zugleich ſeyn koͤnnen, aus einem allgemeinen Be- griff nicht herleiten laſſen. Der Satz iſt ſynthetiſch, und kan aus Begriffen allein nicht entſpringen. Er iſt alſo in der Anſchauung und Vorſtellung der Zeit unmittelbar enthalten. 5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle beſtimmte Groͤſſe der Zeit nur durch Einſchraͤnkungen ei- ner einigen zum Grunde liegenden Zeit moͤglich ſey. Daher muß die urſpruͤngliche Vorſtellung Zeit, als uneingeſchraͤnkt gegeben ſeyn. Wovon aber die Theile ſelbſt, und iede Groͤße eines Gegenſtandes nur durch Einſchraͤnkung be- ſtimmt vorgeſtellt werden koͤnnen, da muß die ganze Vor- ſtellung nicht durch Begriffe gegeben ſeyn, (denn da gehen die Theilvorſtellungen vorher) ſondern es muß ihre un- mittelbare Anſchauung zum Grunde liegen. Schluͤſſe aus dieſen Begriffen. a) Die Zeit iſt nicht etwas, was vor ſich ſelbſt be- ſtuͤnde, oder denen Dingen als obiective Beſtimmung an- hinge, mithin uͤbrig bliebe, wenn man von allen ſub- iectiven Bedingungen der Anſchauung derſelben abſtrahirt: denn im erſten Fall wuͤrde ſie etwas ſeyn, was ohne wirk- lichen Gegenſtand dennoch wirklich waͤre. Was aber das zweite [33/0063] II. Abſchnitt. Von der Zeit. zweite betrift, ſo koͤnte ſie als eine den Dingen ſelbſt an- hangende Beſtimmung oder Ordnung nicht vor den Ge- genſtaͤnden, als ihre Bedingung vorhergehen, und a priori durch ſynthetiſche Saͤtze erkant und angeſchaut werden. Dieſe letztere findet dagegen ſehr wohl ſtatt, wenn die Zeit nichts als die ſubiective Bedingung iſt, unter der alle An- ſchauungen in uns ſtatt finden koͤnnen. Denn da kan dieſe Form der innern Anſchauung vor den Gegenſtaͤnden, mithin a priori vorgeſtellt werden. b) Die Zeit iſt nichts anders, als die Form des in- nern Sinnes, d. i. des Anſchauens unſerer ſelbſt und unſers innern Zuſtandes. Denn die Zeit kan keine Beſtimmung aͤuſſerer Erſcheinungen ſeyn; Sie gehoͤret weder zu einer Geſtalt, oder Lage ꝛc. dagegen beſtimmt ſie das Verhaͤlt- niß der Vorſtellungen in unſerm innern Zuſtande. Und, eben weil dieſe innre Anſchauung keine Geſtalt giebt, ſuchen wir auch dieſen Mangel durch Analogien zu erſetzen, und ſtellen die Zeitfolge durch eine ins unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe aus- macht, die nur von einer Dimenſion iſt, und ſchlieſſen aus den Eigenſchaften dieſer Linie auf alle Eigenſchaften der Zeit, auſſer dem einigen, daß die Theile der erſtern zugleich, die der letztern aber iederzeit nach einander ſind. Hieraus erhellet auch, daß die Vorſtellung der Zeit ſelbſt Anſchauung ſey, weil alle ihre Verhaͤltniſſe ſich an einer aͤuſſern Anſchauung ausdruͤcken laſſen. c) Die C [34/0064] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. c) Die Zeit iſt die formale Bedingung a priori aller Erſcheinungen uͤberhaupt. Der Raum, als die reine Form aller aͤuſſeren Anſchauung iſt als Bedingung a prio- ri blos auf aͤuſſere Erſcheinungen eingeſchraͤnkt. Dagegen weil alle Vorſtellungen, ſie moͤgen nun aͤuſſere Dinge zum Gegenſtande haben, oder nicht, doch an ſich ſelbſt, als Be- ſtimmungen des Gemuͤths, zum innern Zuſtande gehoͤren: dieſer innere Zuſtand aber, unter der formalen Bedingung der innern Anſchauung, mithin der Zeit gehoͤret, ſo iſt die Zeit eine Bedingung a priori von aller Erſcheinung uͤber- haupt, und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unſerer Seelen) und eben dadurch mittelbar auch der aͤuſſern Erſcheinungen. Wenn ich a priori ſagen kan: alle aͤuſſere Erſcheinungen ſind im Raume, und nach den Verhaͤltniſſen des Raumes a priori beſtimmt, ſo kan ich aus dem Prin- cip des innern Sinnes ganz allgemein ſagen: alle Erſchei- nungen uͤberhaupt, d. i. alle Gegenſtaͤnde der Sinne, ſind in der Zeit, und ſtehen nothwendiger Weiſe in Ver- haͤltniſſen der Zeit. Wenn wir von unſrer Art, uns ſelbſt innerlich an- zuſchauen, und vermittelſt dieſer Anſchauung auch alle aͤuſ- ſere Anſchauungen in der Vorſtellungs- Kraft zu befaſſen, abſtrahiren, und mithin die Gegenſtaͤnde nehmen, ſo wie ſie an ſich ſelbſt ſeyn moͤgen, ſo iſt die Zeit Nichts. Sie iſt nur von obiectiver Guͤltigkeit in Anſehung der Er- ſcheinungen, weil dieſes ſchon Dinge ſind, die wir als Ge- genſtaͤnde unſrer Sinne annehmen, aber ſie iſt nicht mehr ob- [35/0065] II Abſchnitt. Von der Zeit. obiectiv, wenn man von der Sinnlichkeit unſrer Anſchau- ung, mithin derienigen Vorſtellungsart, welche uns ei- genthuͤmlich iſt, abſtrahirt, und von Dingen uͤberhaupt redet. Die Zeit iſt alſo lediglich eine ſubiective Bedingung unſerer (menſchlichen) Anſchauung, (welche iederzeit ſinn- lich iſt, d. i. ſo fern wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden) und an ſich, auſſer dem Subiecte, nichts. Nichts deſto weniger iſt ſie in Anſehung aller Erſcheinungen, mithin auch aller Dinge, die uns in der Erfahrung vorkommen koͤnnen, nothwendiger Weiſe obiectiv. Wir koͤnnen nicht ſagen: alle Dinge ſind in der Zeit, weil bey dem Begriff der Dinge uͤberhaupt von aller Art der Anſchauung der- ſelben abſtrahirt wird, dieſe aber die eigentliche Bedingung iſt, unter der die Zeit in die Vorſtellung der Gegenſtaͤnde gehoͤrt. Wird nun die Bedingung zum Begriffe hinzuge- fuͤgt, und es heißt: alle Dinge, als Erſcheinungen (Ge- genſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung) ſind in der Zeit, ſo hat der Grundſatz ſeine gute obiective Richtigkeit und All- gemeinheit a priori. Unſere Behauptungen lehren demnach empiriſche Realitaͤt der Zeit, d. i. obiective Guͤltigkeit in Anſehung aller Gegenſtaͤnde, die iemals unſern Sinnen gegeben wer- den moͤgen. Und da unſere Anſchauung iederzeit ſinnlich iſt, ſo kan uns in der Erfahrung niemals ein Gegenſtand gegeben werden, der nicht unter die Bedingung der Zeit gehoͤrete. Dagegen ſtreiten wir der Zeit allen Anſpruch auf abſolute Realitaͤt, da ſie nemlich, auch ohne auf die Form C 2 [36/0066] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. Form unſerer ſinnlichen Anſchauung Ruͤckſicht zu nehmen, ſchlechthin den Dingen als Bedingung oder Eigenſchaft anhinge. Solche Eigenſchaften, die den Dingen an ſich zukommen, koͤnnen uns durch die Sinne auch niemals ge- geben werden. Hierin beſteht alſo die transſcendentale Idealitaͤt der Zeit, nach welcher ſie, wenn man von den ſubiectiven Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung abſtra- hirt, gar nichts iſt, und den Gegenſtaͤnden an ſich ſelbſt (ohne ihr Verhaͤltniß auf unſere Anſchauung) weder ſub- ſiſtirend noch inhaͤrirend beygezaͤhlt werden kan. Doch iſt dieſe Idealitaͤt, eben ſo wenig wie die des Raumes, mit den Subreptionen der Empfindungen in Vergleichung zu ſtellen, weil man doch dabey von der Erſcheinung ſelbſt, der dieſe Praͤdicate inhaͤriren, vorausſezt, daß ſie ob- iective Realitaͤt habe, die hier gaͤnzlich wegfaͤllt, auſſer, ſo fern ſie blos empiriſch iſt, d. i. den Gegenſtand ſelbſt blos als Erſcheinung anſieht: wovon die obige Anmerkung des erſteren Abſchnitts nachzuſehen iſt. Erlaͤuterung. Wider dieſe Theorie, welche der Zeit empiriſche Rea- litaͤt zugeſtehet, aber die abſolute und transſcendentale ſtreitet, habe ich von einſehenden Maͤnnern einen Einwurf ſo einſtimmig vernommen, daß ich daraus abnehme, er muͤſſe ſich natuͤrlicher Weiſe bey iedem Leſer, dem dieſe Betrachtungen ungewohnt ſind, vorfinden. Er lautet ſo: Veraͤnderungen ſind wirklich (dies beweiſet der Wechſel unſe- [37/0067] II. Abſchnitt. Von der Zeit. unſerer eigenen Vorſtellungen, wenn man gleich alle aͤuſ- ſere Erſcheinungen, ſamt deren Veraͤnderungen leugnen wollte). Nun ſind Veraͤnderungen nur in der Zeit moͤg- lich, folglich iſt die Zeit etwas wirkliches. Die Beant- wortung hat keine Schwierigkeit. Ich gebe das ganze Argument zu. Die Zeit iſt allerdings etwas Wirkliches, nemlich die wirkliche Form der innern Anſchauung. Sie hat alſo ſubiective Realitaͤt in Anſehung der innern Er- fahrung, d. i. ich habe wirklich die Vorſtellung von der Zeit und meiner Beſtimmungen in ihr. Sie iſt alſo wirklich nicht als Obiect, ſondern als die Vorſtellungsart meiner Selbſt als Obiets anzuſehen. Wenn aber ich ſelbſt, oder ein an- der Weſen mich, ohne dieſe Bedingung der Sinnlichkeit, an- ſchauen koͤnte, ſo wuͤrden eben dieſelben Beſtimmungen, die wir uns iezt als Veraͤnderungen vorſtellen, eine Erkentniß geben, in welcher die Vorſtellung der Zeit, mithin auch der Veraͤnderung gar nicht vorkaͤme. Es bleibt alſo ihre empiriſche Realitaͤt als Bedingung aller unſrer Erfahrungen. Nur die abſolute Realitaͤt kan ihr nach dem oben angefuͤhrten nicht zugeſtanden werden. Sie iſt nichts, als die Form unſrer inneren Anſchauung. *) Wenn man von ihr die beſondere Bedingung unſerer Sinnlichkeit wegnimmt, ſo verſchwin- det auch der Begriff der Zeit, und ſie haͤngt nicht an den Gegen- *) Ich kan zwar ſagen: meine Vorſtellungen folgen einander; aber das heißt nur, wir ſind uns ihrer, als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des innern Sinnes be- wußt. Die Zeit iſt darum nicht etwas an ſich ſelbſt, auch keine den Dingen obiectiv anhaͤngende Beſtimmung. C 3 [38/0068] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. Gegenſtaͤnden ſelbſt, ſondern blos am Subiecte, welches ſie anſchauet. Die Urſache aber, weswegen dieſer Einwurff ſo ein- ſtimmig gemacht wird, und zwar von denen, die gleichwol gegen die Lehre von der Idealitaͤt des Raumes nichts Ein- leuchtendes einzuwenden wiſſen, iſt dieſe. Die abſolute Realitaͤt des Raumes hoffeten ſie nicht apodictiſch darthun zu koͤnnen, weil ihnen der Idealismus entgegen ſteht, nach welchem die Wirklichkeit aͤuſſerer Gegenſtaͤnde keines ſtrengen Beweiſes faͤhig iſt: Dagegen die des Gegenſtandes unſerer innern Sinnen (meiner ſelbſt und meines Zuſtan- des) unmittelbar durchs Bewußtſeyn klar iſt. Jene kon- ten ein bloſſer Schein ſeyn, dieſer aber iſt, ihrer Meinung nach, unleugbar etwas wirkliches. Sie bedachten aber nicht, daß beyde, ohne daß man ihre Wirklichkeit als Vorſtellungen beſtreiten darf, gleichwol nur zur Erſchei- nung gehoͤren, welche iederzeit zwey Seiten hat, die eine, da das Obiect an ſich ſelbſt betrachtet wird, (unangeſehen der Art, daſſelbe anzuſchauen, deſſen Beſchaffenheit aber eben darum iederzeit problematiſch bleibt) die andere, da auf die Form der Anſchauung dieſes Gegenſtandes geſehen wird, welche nicht in dem Gegenſtande an ſich ſelbſt, ſon- dern im Subiecte, dem derſelbe erſcheint, geſucht werden muß, gleichwohl aber der Erſcheinung dieſes Gegenſtandes wirklich und nothwendig zukommt. Zeit und Raum ſind demnach zwey Erkenntnißquellen, aus denen a priori verſchiedene ſynthetiſche Erkenntniſſe ge- [39/0069] II. Abſchnitt. Von der Zeit. geſchoͤpft werden koͤnnen, wie vornemlich die reine Mathe- matik in Anſehung der Erkentniſſe vom Raume und deſſen Verhaͤltniſſen ein glaͤnzendes Beyſpiel giebt. Sie ſind nem- lich beyde zuſammen genommen reine Formen aller ſinnli- chen Anſchauung, und machen dadurch ſynthetiſche Saͤtze a priori moͤglich. Aber dieſe Erkentnißquellen a priori beſtimmen ſich eben dadurch (daß ſie blos Bedingungen der Sinnlichkeit ſeyn) ihre Grenzen, nemlich, daß ſie blos auf Gegenſtaͤnde gehen, ſo fern ſie als Erſcheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge an ſich ſelbſt darſtel- len. Jene allein ſind das Feld ihrer Guͤltigkeit, woraus wenn man hinausgehet, weiter kein obiectiver Gebrauch derſelben ſtatt findet. Dieſe Realitaͤt des Raumes und der Zeit laͤßt uͤbrigens die Sicherheit der Erfahrungser- kentniß unangetaſtet: denn wir ſind derſelben eben ſo ge- wiß, ob dieſe Formen den Dingen an ſich ſelbſt, oder nur unſrer Anſchauung dieſer Dinge nothwendiger Weiſe anhaͤngen. Dagegen die, ſo die abſolute Realitaͤt des Raumes und der Zeit behaupten, ſie moͤgen ſie nun als ſubſiſtirend, oder nur inhaͤrirend annehmen, mit den Principien der Erfahrung ſelbſt uneinig ſeyn muͤſſen. Denn, entſchlieſſen ſie ſich zum erſteren (welches gemeiniglich die Parthey der mathematiſchen Naturforſcher iſt,) ſo muͤſſen ſie zwey ewige und unendliche vor ſich beſtehende Undinge, (Raum und Zeit) annehmen, welche da ſind, (ohne daß doch etwas Wirkliches iſt), nur um alles wirkliche in ſich zu befaſſen. Nehmen ſie die zweite Parthey (von der C 4 [40/0070] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. der einige metaphyſiſche Naturlehrer ſind,) und Raum und Zeit gelten ihnen als von der Erfahrung abſtrahirte, obzwar in der Abſonderung verworren vorgeſtellte Ver- haͤltniſſe der Erſcheinungen (neben oder nach einander) ſo muͤſſen ſie den mathematiſchen Lehren a priori in An- ſehung wirklicher Dinge (z. E. im Raume) ihre Guͤltigkeit, wenigſtens die apodictiſche Gewißheit ſtreiten, indem dieſe a poſteriori gar nicht ſtatt findet, und die Begriffe a priori von Raum und Zeit dieſer Meinung nach, nur Ge- ſchoͤpfe der Einbildungskraft ſind, deren Quell wirklich in der Erfahrung geſucht werden muß, aus deren abſtrahir- ten Verhaͤltniſſen die Einbildung etwas gemacht hat, was zwar das Allgemeine derſelben enthaͤlt, aber ohne die Re- ſtrictionen, welche die Natur mit denſelben verknuͤpft hat, nicht ſtatt finden kan. Die erſtere gewinnen ſo viel, daß ſie vor die mathematiſche Behauptungen ſich das Feld der Erſcheinungen frey machen: Dagegen verwirren ſie ſich ſehr durch eben dieſe Bedingungen, wenn der Verſtand uͤber dieſes Feld hinausgehen will. Die zweite gewinnen zwar in Anſehung des lezteren, nemlich, daß die Vorſtel- lungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg kom- men, wenn ſie von Gegenſtaͤnden nicht als Erſcheinungen, ſondern blos im Verhaͤltniß auf den Verſtand urtheilen wollen; koͤnnen aber weder von der Moͤglichkeit mathema- tiſcher Erkentniſſe a priori (indem ihnen eine wahre und obiectiv guͤltige Anſchauung a priori fehlt) Grund ange- ben, noch die Erfahrungsſaͤtze mit ienen Behauptungen in noth- [41/0071] II. Abſchnitt. Von der Zeit. nothwendige Einſtimmung bringen. In unſerer Theorie, von der wahren Beſchaffenheit dieſer zwey urſpruͤnglichen Formen der Sinnlichkeit, iſt beyden Schwierigkeiten ab- geholfen. Daß ſchluͤßlich die transſcendentale Aeſthetik nicht mehr, als dieſe zwey Elemente, nemlich Raum und Zeit enthalten koͤnne, iſt daraus klar, weil alle andre zur Sinnlichkeit gehoͤrige Begriffe, ſelbſt der der Bewegung, welcher beyde Stuͤcke vereinigt, etwas Empiriſches vor- ausſetzen. Denn dieſe ſezt die Wahrnehmung von etwas beweglichen voraus. Im Raum, an ſich ſelbſt betrachtet, iſt aber nichts bewegliches: Daher das bewegliche Etwas ſeyn muß, was im Raume nur durch Erfahrung ge- funden wird, mithin ein empiriſches Datum. Eben ſo kan die transſcendentale Aeſthetik nicht den Begriff der Veraͤnderung unter ihre Data a priori zehlen: denn die Zeit ſelbſt veraͤndert ſich nicht ſondern etwas, das in der Zeit iſt. Alſo wird dazu die Wahrnehmung von irgend einem Daſeyn, und der Succeßion ſeiner Beſtimmungen, mithin Erfahrung erfordert. Allgemeine Anmerkungen zur Transſcendentalen Aeſthetik. Zuerſt wird es noͤthig ſeyn, uns ſo deutlich, als moͤglich, zu erklaͤren, was in Anſehung der Grundbeſchaf- fen- C 5 [42/0072] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. fenheit der ſinnlichen Erkentniß uͤberhaupt unſre Meinung ſey, um aller Misdeutung derſelben vorzubeugen. Wir haben alſo ſagen wollen: daß alle unſre An- ſchauung nichts als die Vorſtellung von Erſcheinung ſey: daß die Dinge, die wir anſchauen, nicht das an ſich ſelbſt ſind, wofuͤr wir ſie anſchauen, noch ihre Verhaͤltniſſe ſo an ſich ſelbſt beſchaffen ſind, als ſie uns erſcheinen, und daß, wenn wir unſer Subiect oder auch nur die ſubiective Beſchaffenheit der Sinne uͤberhaupt aufheben, alle die Beſchaffenheit, alle Verhaͤltniſſe der Obiecte im Raum und Zeit, ia ſelbſt Raum und Zeit verſchwinden wuͤrden, und als Erſcheinungen nicht an ſich ſelbſt, ſondern nur in uns exiſtiren koͤnnen. Was es vor eine Bewandniß mit den Gegenſtaͤnden an ſich und abgeſondert von aller dieſer Receptivitaͤt unſerer Sinnlichkeit haben moͤge, bleibt uns gaͤnzlich unbekant. Wir kennen nichts, als unſere Art, ſie wahrzunehmen, die uns eigenthuͤmlich iſt, die auch nicht nothwendig iedem Weſen, ob zwar iedem Menſchen zu- kommen muß. Mit dieſer haben wir es lediglich zu thun. Raum und Zeit ſind die reine Formen derſelben, Empfin- dung uͤberhaupt die Materie. Jene koͤnnen wir allein a priori d. i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und ſie heiſſet darum reine Anſchauung; dieſe aber iſt das in unſerm Erkentniß, was da macht, daß ſie Erkentniß a poſteriori d. i. empiriſche Anſchauung heißt. Jene haͤngen unſrer Sinnlichkeit ſchlechthin nothwendig an, welcher Art auch unſere Empfindungen ſeyn moͤgen; dieſe koͤn- [43/0073] II. Abſchnitt. Von der Zeit. koͤnnen ſehr verſchieden ſeyn. Wenn wir dieſe unſre An- ſchauung auch zum hoͤchſten Grade der Deutlichkeit brin- gen koͤnten, ſo wuͤrden wir dadurch der Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt nicht naͤher kommen. Denn wir wuͤrden auf allen Fall doch nur unſre Art der Anſchau- ung d. i. unſere Sinnlichkeit vollſtaͤndig erkennen, und dieſe immer nur unter den, dem Subiect urſpruͤnglich an- haͤngenden Bedingungen, von Raum und Zeit; was die Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſeyn moͤgen, wuͤrde uns durch die aͤufgeklaͤrteſte Erkentniß der Erſcheinung derſelben, die uns allein gegeben iſt, doch niemals bekant werden. Daß daher unſere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Dinge ſey, welche lediglich das enthaͤlt, was ihnen an ſich ſelbſt zukoͤmmt, aber nur un- ter einer Zuſammenhaͤufung von Merkmalen und Theil- vorſtellungen, die wir nicht mit Bewußtſeyn auseinander ſetzen, iſt eine Verfaͤlſchung des Begriffs von Sinnlichkeit und von Erſcheinung, welche die ganze Lehre derſelben un- nuͤtz und leer macht. Der Unterſchied einer undeutlichen von der deutlichen Vorſtellung iſt blos logiſch, und betriſt nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthaͤlt der Begriff von Recht, deſſen ſich der geſunde Verſtand bedient, eben daſſelbe, was die ſubtileſte Speculation aus ihm entwickeln kan, nur daß im gemeinen und practiſchen Gebrauche man ſich dieſer mannigfaltigen Vorſtellungen in dieſen Gedanken, nicht bewußt iſt. Darum kan man nicht ſagen, daß der gemeine Begriff ſinnlich ſey, und eine bloſſe Erſcheinung ent- [44/0074] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. enthalte, denn das Recht kan gar nicht erſcheinen, ſon- dern ſein Begriff liegt im Verſtande, und ſtellet eine Be- ſchaffenheit, (die moraliſche) der Handlungen vor, die ihnen an ſich ſelbſt zukommt. Dagegen enthaͤlt die Vor- ſtellung eines Coͤrpers in der Anſchauung gar nichts, was einem Gegenſtande an ſich ſelbſt zukommen koͤnte, ſondern blos die Erſcheinung von Etwas, und die Art, wie wir dadurch afficirt werden, und dieſe Receptivitaͤt unſerer Erkentnißfaͤhigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von der Erkentniß des Gegenſtandes an ſich ſelbſt, ob man iene (die Erſcheinung) gleich bis auf den Grund durchſchauen moͤchte, dennoch himmelweit unterſchieden. Die Leibniz-wolfiſche Philoſophie hat daher allen Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſerer Erkentniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct angewieſen, indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen blos als logiſch betrachtete, da er offenbar transſcendental iſt, und nicht blos die Form der Deutlichkeit oder Undeut- lichkeit, ſondern den Urſprung und den Inhalt derſelben betrift, ſo daß wir durch die erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht blos undeutlich, ſondern gar nicht erkennen, und, ſo bald wir unſre ſubiective Beſchaf- fenheit wegnehmen, das vorgeſtellte Obiect mit den Ei- genſchaften, die ihm die ſinnliche Anſchauung beylegte, uͤberall nirgend anzutreffen iſt, noch angetroffen werden kan, indem eben dieſe ſubiective Beſchaffenheit die Form deſſelben, als Erſcheinung beſtimmt. Wir [45/0075] II. Abſchnitt. Von der Zeit. Wir unterſcheiden ſonſt wohl unter Erſcheinungen, das, was der Anſchauung derſelben weſentlich anhaͤngt, und vor ieden menſchlichen Sinn uͤberhaupt gilt, von dem- ienigen, was derſelben nur zufaͤlliger Weiſe zukommt, in- dem es nicht auf die Beziehung der Sinnlichkeit uͤberhaupt, ſondern nur auf eine beſondre Stellung oder Organiſation dieſes oder ienes Sinnes guͤltig iſt. Und da nennt man die erſtere Erkentniß eine ſolche, die den Gegenſtand an ſich ſelbſt vorſtellt, die zweite aber nur die Erſcheinung deſſelben. Dieſer Unterſchied iſt aber nur empiriſch. Bleibt man dabey ſtehen, (wie es gemeiniglich geſchieht,) und ſieht iene empiriſche Anſchauung nicht wiederum (wie es geſchehen ſollte) als bloſſe Erſcheinung an, ſo daß dar- in gar nichts, was irgend eine Sache an ſich ſelbſt angin- ge, anzutreffen iſt, ſo iſt unſer transſcendentale Unterſchied verloren, und wir glauben alsdenn doch, Dinge an ſich zu erkennen, ob wir es gleich uͤberall (in der Sinnenwelt) ſelbſt bis zu der tiefſten Erforſchung ihrer Gegenſtaͤnde mit nichts, als Erſcheinungen zu thun haben. So werden wir zwar den Regenbogen eine bloſſe Erſcheinung bey einem Sonnregen nennen, dieſen Regen aber die Sache an ſich ſelbſt, welches auch richtig iſt, ſo fern wir den letztern Begriff nur phyſiſch verſtehen, als das, was in der allgemeinen Erfahrung unter allen verſchiedenen Lagen zu den Sinnen, doch in der Anſchauung ſo und nicht an- ders beſtimmt iſt. Nehmen wir aber dieſes Empiriſche uͤberhaupt, und fragen, ohne uns an die Einſtimmung deſſel- [46/0076] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. deſſelben mit iedem Menſchenſinne zu kehren, ob auch dieſes einen Gegenſtand an ſich ſelbſt (nicht die Regentropfen, denn die ſind denn ſchon, als Erſcheinungen empiriſche Obiecte) vorſtelle, ſo iſt die Frage von der Beziehung der Vorſtel- lung auf den Gegenſtand transſcendental, und nicht allein dieſe Tropfen ſind bloſſe Erſcheinungen, ſondern ſelbſt ihre runde Geſtalt, ia ſo gar der Raum, in welchem ſie fal- len, ſind nichts an ſich ſelbſt, ſondern bloſſe Modificatio- nen, oder Grundlagen unſerer ſinnlichen Anſchauung, das transſcendentale Obiect aber bleibt uns unbekant. Die zweite wichtige Angelegenheit unſerer tranſcen- dentalen Aeſthetik iſt, daß ſie nicht blos als ſcheinbare Hy- potheſe einige Gunſt erwerbe, ſondern ſo gewiß und un- gezweifelt ſey, als iemals von einer Theorie gefordert wer- den kan, die zum Organon dienen ſoll. Um dieſe Gewis- heit voͤllig einleuchtend zu machen, wollen wir irgend einen Fall waͤhlen, woran deſſen Guͤltigkeit augenſcheinlich wer- den kan. Setzet demnach Raum und Zeit ſeyen an ſich ſelbſt obiectiv und Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge an ſich ſelbſt, ſo zeigt ſich erſtlich: daß von beyden a priori apodictiſche und ſynthetiſche Saͤtze in großer Zahl vornem- lich vom Raum vorkommen, welchen wir darum vorzuͤg- lich hier zum Beyſpiel unterſuchen wollen. Da die Saͤtze der Geometrie ſynthetiſch a priori, und mit apodictiſcher Gewis- [47/0077] II. Abſchnitt. Von der Zeit. Gewisheit erkant werden, ſo frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Saͤtze, und worauf ſtuͤtzt ſich unſer Verſtand, um zu dergleichen ſchlechthin nothwendigen und allgemein guͤltigen Wahrheiten zu gelangen. Es iſt kein anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anſchauungen; beydes aber, als ſolche, die entweder a priori oder a poſteriori gegeben ſind. Die letztere, naͤmlich empiriſche Begriffe, im- gleichen das, worauf ſie ſich gruͤnden, die empiriſche An- ſchauung, koͤnnen keinen ſynthetiſchen Satz geben, als nur einen ſolchen, der auch blos empiriſch d. i. ein Er- fahrungsſatz iſt, mithin niemals Nothwendigkeit und abſo- lute Allgemeinheit enthalten kan, dergleichen doch das Characteriſtiſche aller Saͤtze der Geometrie iſt. Was aber das erſtere und einzige Mittel ſeyn wuͤrde, nemlich durch bloſſe Begriffe oder durch Anſchauungen a priori zu der- gleichen Erkentniſſen zu gelangen, ſo iſt klar, daß aus bloſſen Begriffen gar keine ſynthetiſche Erkentniß, ſondern lediglich analytiſche erlangt werden kan. Nehmet nur den Satz: daß durch zwey gerade Linien ſich gar kein Raum einſchlieſſen laſſe, mithin keine Figur moͤglich ſey, und ver- ſucht ihn, aus dem Begriff von geraden Linien und der Zahl zwey abzuleiten, oder auch, daß aus dreyen geraden Linien eine Figur moͤglich ſey, und verſucht es eben ſo, blos aus dieſen Begriffen. Alle eure Bemuͤhung iſt ver- geblich, und ihr ſeht euch genoͤthiget, zur Anſchauung eure Zuflucht zu nehmen, wie es die Geometrie auch iederzeit thut. Ihr gebt euch alſo einen Gegenſtand in der An- ſchau- [48/0078] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. ſchauung; von welcher Art aber iſt dieſe, iſt es eine reine Anſchauung a priori oder eine empiriſche? Waͤre das letzte, ſo koͤnte niemals ein allgemein guͤltiger, noch weni- ger ein apodictiſcher Satz daraus werden: denn Erfahrung kan dergleichen niemals liefern. Ihr muͤßt alſo euren Gegenſtand a priori in der Anſchauung geben, und auf dieſen euren ſynthetiſchen Satz gruͤnden. Laͤge nun in euch nicht ein Vermoͤgen, a priori anzuſchauen, waͤre die- ſe ſubiective Bedingung der Form nach nicht zugleich die allgemeine Bedingung a priori, unter der allein das Ob- iect dieſer (aͤuſſeren) Anſchauung ſelbſt moͤglich iſt, waͤre der Gegenſtand (der Triangel) etwas an ſich ſelbſt ohne Beziehung auf euer Subiect, wie koͤntet ihr ſagen, daß was in euren ſubiectiven Bedingungen einen Triangel zu con- ſtruiren nothwendig liegt, auch dem Triangel an ſich ſelbſt nothwendig zukommen muͤſſe; denn ihr koͤntet doch zu euren Begriffen (von drey Linien) nichts neues (die Figur) hin- zufuͤgen, welches darum nothwendig an dem Gegenſtande angetroffen werden muͤßte, da dieſer vor eurer Erkentniß, und nicht durch dieſelbe gegeben iſt. Waͤre alſo nicht der Raum (und ſo auch die Zeit) eine bloße Form eurer An- ſchauung, welche Bedingungen a priori enthaͤlt, unter denen allein Dinge vor euch aͤuſſere Gegenſtaͤnde ſeyn koͤn- nen, die ohne dieſe ſubiective Bedingungen an ſich nichts ſind, ſo koͤntet ihr a priori ganz und gar nichts uͤber aͤuſ- ſere Obiecte ſynthetiſch ausmachen. Es iſt alſo ungezwei- felt gewiß, und nicht blos moͤglich, oder auch wahrſchein- lich, [49/0079] II. Abſchnitt. Von der Zeit. lich, daß Raum und Zeit, als die nothwendige Bedin- gungen aller (aͤuſſern und innern) Erfahrung, blos ſub- iective Bedingungen aller unſrer Anſchauung ſind, im Ver- haͤltniß auf welche daher alle Gegenſtaͤnde bloſſe Erſchei- nungen und nicht vor ſich in dieſer Art gegebene Dinge ſind, von denen ſich auch um deswillen, was die Form derſelben betrift, vieles a priori ſagen laͤßt, niemals aber das Mindeſte von dem Dinge an ſich ſelbſt, das dieſen Er- ſcheinungen zum Grunde liegen mag. [Abbildung] Der D [50/0080] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. Der Transſcendentalen Elementarlehre Zweyter Theil. Die transſcendentale Logik. Einleitung. Idee einer transſcendentalen Logik. I. Von der Logik uͤberhaupt. Unſre Erkentniß entſpringt aus zwey Grundquellen des Gemuͤths, deren die erſte iſt, die Vorſtellungen zu empfangen, (die Receptivitaͤt der Eindruͤcke) die zweite, das Vermoͤgen, durch dieſe Vorſtellungen einen Gegenſtand zu erkennen: (Spontaneitaͤt der Begriffe); durch die erſtere wird uns ein Gegenſtand gegeben, durch die zweyte wird dieſer, im Verhaͤltniß auf iene Vorſtellung (als bloſſe Be- ſtimmung des Gemuͤths) gedacht. Anſchauung und Be- griffe machen alſo die Elemente aller unſrer Erkentniß aus, ſo daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art correſpon- dirende Anſchauung, noch Anſchauung, ohne Begriffe, ein Erkentniß abgeben kan. Beyde ſind entweder rein, oder empiriſch. Empiriſch, wenn Empfindung, (die die wirk- liche Gegenwart des Gegenſtandes vorausſezt) darinn ent- halten iſt: rein aber, wenn der Vorſtellung keine Empfin- dung beygemiſcht iſt. Man kan die leztere die Materie der ſinnlichen Erkentniß nennen. Daher enthaͤlt reine Anſchauung lediglich die Form, unter welcher etwas ange- ſchaut [51/0081] Einleitung. ſchaut wird, und reiner Begriff allein die Form des Denkens eines Gegenſtandes uͤberhaupt. Nur allein reine Anſchauun- gen oder Begriffe ſind a priori moͤglich, empiriſche nur a poſteriori. Wollen wir die Receptivitaͤt unſeres Gemuͤths, Vor- ſtellungen zu empfangen, ſo fern es auf irgend eine Weiſe afficirt wird, Sinnlichkeit nennen, ſo iſt dagegen das Ver- moͤgen, Vorſtellungen ſelbſt hervorzubringen, oder die Spon- taneitaͤt des Erkentniſſes, der Verſtand. Unſre Natur bringt es ſo mit ſich, daß die Anſchauung niemals an- ders als ſinnlich ſeyn kan, d. i. nur die Art enthaͤlt, wie wir von Gegenſtaͤnden afficirt werden. Dagegen iſt das Vermoͤgen, den Gegenſtand ſinnlicher Anſchauung zu den- ken, der Verſtand. Keine dieſer Eigenſchaften iſt der andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit wuͤrde uns kein Gegenſtand gegeben, und ohne Verſtand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt ſind leer, Anſchauungen ohne Begriffe, ſind blind. Daher iſt es eben ſo nothwen- dig, ſeine Begriffe ſinnlich zu machen, (d. i. ihnen den Ge- genſtand in der Anſchauung beyzufuͤgen), als ſeine An- ſchauungen ſich verſtaͤndlich zu machen,) d. i. ſie unter Be- griffe zu bringen). Beyde Vermoͤgen, oder Faͤhigkeiten, koͤnnen auch ihre Funetionen nicht vertauſchen. Der Ver- ſtand vermag nichts anzuſchauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß ſie ſich vereinigen, kan Er- kentniß entſpringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Antheil vermiſchen, ſondern man hat große Urſache, iedes D 2 [52/0082] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. iedes von dem andern ſorgfaͤltig abzuſondern, und zu un- terſcheiden. Daher unterſcheiden wir die Wiſſenſchaft der Regeln der Sinnlichkeit uͤberhaupt, d. i. Aeſthetik, von der Wiſſenſchaft der Verſtandesregeln uͤberhaupt, d. i. der Logik. Die Logik kan nun wiederum in zwiefacher Abſicht unternommen werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des beſondern Verſtandesgebrauchs. Die erſte ent- haͤlt die ſchlechthin nothwendige Regeln des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verſtandes ſtatt findet, und geht alſo auf dieſen, unangeſehen der Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde, auf welche er gerichtet ſeyn mag. Die Logik des beſondern Verſtandesgebrauchs enthaͤlt die Re- geln, uͤber eine gewiſſe Art von Gegenſtaͤnden richtig zu denken. Jene kan man die Elementarlogik nennen, die- ſe aber das Organon dieſer oder iener Wiſſenſchaft. Die leztere wird mehrentheils in den Schulen als Propaͤdevtik der Wiſſenſchaften vorangeſchikt, ob ſie zwar, nach dem Gange der menſchlichen Vernunft, das ſpaͤteſte iſt, wozu ſie allererſt gelangt, wenn die Wiſſenſchaft ſchon lange fer- tig iſt, und nur die lezte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man muß die Gegenſtaͤnde ſchon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Re- geln angeben will, wie ſich eine Wiſſenſchaft von ihnen zu Stande bringen laſſe. Die allgemeine Logik iſt nun entweder die reine, oder die angewandte Logik. In der erſteren abſtrahiren wir von [53/0083] Einleitung. von allen empiriſchen Bedingungen, unter denen unſer Verſtand ausgeuͤbet wird, z. B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiele der Einbildung, den Geſetzen des Gedaͤcht- niſſes, der Macht der Gewohnheit, der Neigung ꝛc. mit- hin auch den Quellen der Vorurtheile, ia gar uͤberhaupt von allen Urſachen, daraus uns gewiſſe Erkentniſſe ent- ſpringen, oder unterſchoben werden moͤgen, weil ſie blos den Verſtand unter gewiſſen Umſtaͤnden ſeiner Anwendung betreffen, und, um dieſe zu kennen, Erfahrung erfordert wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es alſo mit lauter Principien a priori zu thun, und iſt ein Canon des Verſtandes und der Vernunft, aber nur in An- ſehung des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag ſeyn, welcher er wolle, (empiriſch oder transſcendental.) Eine allgemeine Logik heißt aber alsdenn angewandt, wenn ſie auf die Regeln des Gebrauchs des Verſtan- des unter den ſubiectiven empiriſchen Bedingungen, die uns die Pſychologie lehrt, gerichtet iſt. Sie hat al- ſo empiriſche Principien, ob ſie zwar in ſo fern allge- mein iſt, daß ſie auf den Verſtandesgebrauch ohne Unter- ſchied der Gegenſtaͤnde geht. Um deswillen iſt ſie auch weder ein Canon des Verſtandes uͤberhaupt, noch ein Or- ganon beſondrer Wiſſenſchaften, ſondern lediglich ein Ca- tharcticon des gemeinen Verſtandes. In der allgemeinen Logik muß alſo der Theil, der die reine Vernunftlehre ausmachen ſoll, von demienigen gaͤnz- lich abgeſondert werden, welcher die angewandte (obzwar noch D 3 [54/0084] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. noch immer allgemeine) Logik ausmacht. Der erſtere iſt eigentlich nur allein Wiſſenſchaft, obzwar kurz und trocken, und wie es die ſchulgerechte Darſtellung einer Elementar- Lehre des Verſtandes erfordert. In dieſer muͤſſen alſo die Logiker iederzeit zwey Regeln vor Augen haben. 1) Als allgemeine Logik abſtrahirt ſie von allem In- halt der Verſtandeserkentniß, und der Verſchiedenheit ih- rer Gegenſtaͤnde, und hat mit nichts, als der bloſſen Form des Denkens zu thun. 2) Als reine Logik hat ſie keine empiriſche Princi- pien, mithin ſchoͤpft ſie nichts, (wie man ſich bisweilen uͤberredet hat) aus der Pſychologie, die alſo auf den Ca- non des Verſtandes gar keinen Einfluß hat. Sie iſt eine demonſtrirte Doctrin, und alles muß in ihr voͤllig a priori gewiß ſeyn. Was ich die angewandte Logik nenne, (wider die ge- meine Bedeutung dieſes Worts, nach der ſie gewiſſe Exer- citien, dazu die reine Logik die Regel giebt, enthalten ſoll) ſo iſt ſie eine Vorſtellung des Verſtandes und der Regeln ſeines nothwendigen Gebrauchs in concreto, nemlich un- ter den zufaͤlligen Bedingungen des Subiects, die dieſen Gebrauch hindern oder befoͤrdern koͤnnen, und die insge- ſamt nur empiriſch gegeben werden. Sie handelt von der Aufmerkſamkeit, deren Hinderniß und Folgen, dem Ur- ſprunge des Irrthums, dem Zuſtande des Zweifels, des Scrupels, der Ueberzeugung u. ſ. w. und zu ihr verhaͤlt ſich die allgemeine und reine Logik, wie die reine Moral, wel- che [55/0085] Einleitung. che blos die nothwendige ſittliche Geſetze eines freyen Wil- lens uͤberhaupt enthaͤlt, zu der eigentlichen Tugendlehre, welche dieſe Geſetze unter den Hinderniſſen der Gefuͤhle, Neigungen und Leidenſchaften, denen die Menſchen mehr oder weniger unterworfen ſind, erwaͤgt, und welche nie- mals eine wahre und demonſtrirte Wiſſenſchaft abgeben kan, weil ſie eben ſowol als iene angewandte Logik empi- riſche und pſychologiſche Principien bedarf. II. Von der Transſcendentalen Logik. Die allgemeine Logik abſtrahirt, wie wir gewieſen, von allem Inhalt der Erkentniß, d. i. von aller Beziehung derſelben auf das Obiect und betrachtet nur die logiſche Form im Verhaͤltniſſe der Erkentniſſe auf einander, d. i. die Form des Denkens uͤberhaupt. Weil es nun aber ſo wol reine, als empiriſche Anſchauungen giebt, (wie die trans- ſcendentale Aeſthetik darthut), ſo koͤnte auch wol ein Un- terſchied zwiſchen reinem und empiriſchem Denken der Gegenſtaͤnde angetroffen werden. In dieſem Falle wuͤrde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkentniß abſtrahirte; denn dieienige, welche blos die Regeln des reinen Denkens eines Gegenſtandes enthiel- te, wuͤrde alle dieienige Erkentniſſe ausſchlieſſen, welche von empiriſchem Inhalte waͤren. Sie wuͤrde auch auf den Urſprung unſerer Erkentniſſe von Gegenſtaͤnden gehen, ſo D 4 [56/0086] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. ſo fern er nicht den Gegenſtaͤnden zugeſchrieben werden kan; dahingegen die allgemeine Logik mit dieſem Urſprunge der Erkentniß nichts zu thun hat, ſondern die Vorſtellun- gen, ſie moͤgen uranfaͤnglich a priori in uns ſelbſt, oder nur empiriſch gegeben ſeyn, blos nach den Geſetzen betrachtet, nach welchen der Verſtand ſie im Verhaͤltniß gegen einander braucht, wenn er denkt und alſo nur von der Verſtandes- form handelt, die den Vorſtellungen verſchaft werden kan, woher ſie auch ſonſt entſprungen ſeyn moͤgen. Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Ein- fluß auf alle nachfolgende Betrachtungen erſtreckt, und die man wol vor Augen haben muß, nemlich: daß nicht eine iede Erkentniß a priori, ſondern nur die, dadurch wir er- kennen, daß und wie gewiſſe Vorſtellungen (Anſchauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder moͤglich ſeyn, transſcendental (d. i. die Moͤglichkeit der Erkentniß oder der Gebrauch derſelben a priori) heiſſen muͤſſe. Daher iſt weder der Raum, noch irgend eine geo- metriſche Beſtimmung deſſelben a priori eine transſcenden- tale Vorſtellung, ſondern nur die Erkentniß, daß dieſe Vorſtellungen gar nicht empiriſchen Urſprungs ſeyn, und die Moͤglichkeit, wie ſie ſich gleichwol a priori auf Ge- genſtaͤnde der Erfahrung beziehen koͤnne, kan trans- ſcendental heiſſen. Imgleichen wuͤrde der Gebrauch des Raumes von Gegenſtaͤnden uͤberhaupt auch trans- ſcendental ſeyn: aber iſt er lediglich auf Gegenſtaͤn- de der Sinne eingeſchraͤnkt, ſo heißt er empiriſch. Der Unter- [57/0087] Einleitung. Unterſchied des transſcendentalen und empiriſchen gehoͤrt alſo nur zur Critik der Erkentniſſe, und betrift nicht die Beziehung derſelben auf ihren Gegenſtand. In der Erwartung alſo, daß es vielleicht Begriffe geben koͤnne, die ſich a priori auf Gegenſtaͤnde beziehen moͤgen, nicht als reine oder ſinnliche Anſchauungen, ſon- dern blos als Handlungen des reinen Denkens, die mit- hin Begriffe, aber weder empiriſchen noch aͤſthetiſchen Ur- prungs ſind, ſo machen wir uns zum voraus die Idee von einer Wiſſenſchaft des reinen Verſtandes und Vernunft- erkentniſſes, dadurch wir Gegenſtaͤnde voͤllig a priori denken. Eine ſolche Wiſſenſchaft, welche den Urſprung, den Umfang und die obiective Guͤltigkeit ſolcher Erkentniſſe beſtimmete, wuͤrde transſcendentale Logik heiſſen muͤſſen, weil ſie es blos mit den Geſetzen des Verſtandes und der Vernunft zu thun hat, aber lediglich, ſo fern ſie auf Ge- genſtaͤnde a priori bezogen wird, und nicht, wie die allge- meine Logik, auf die empiriſche ſo wol, als reine Ver- nunfterkentniſſe ohne Unterſchied. III. Von der Eintheilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialectik. Die alte und beruͤhmte Frage, womit man die Logi- ker in die Enge zu treiben vermeinte, und ſie dahin zu bringen ſuchte, daß ſie ſich entweder auf einer elenden Dialele mußten betreffen laſſen, oder ihre Unwiſſenheit, mit- D 5 [58/0088] Elementarlehre. II. Th. Tranſc. Logik. mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunſt bekennen ſolten, iſt dieſe: Was iſt Wahrheit? Die Nahmenerklaͤrung der Wahrheit, daß ſie nemlich die Uebereinſtimmung der Er- kentniß mit ihrem Gegenſtande ſey, wird hier geſchenkt, und vorausgeſezt; man verlangt aber zu wiſſen, welches das allgemeine und ſichere Criterium der Wahrheit einer ieden Erkentniß ſey. Es iſt ſchon ein großer und noͤthiger Veweis der Klugheit oder Einſicht, zu wiſſen, was man vernuͤnftiger Weiſe fragen ſolle. Denn wenn die Frage an ſich unge- reimt iſt, und unnoͤthige Antworten verlangt, ſo hat ſie, auſſer der Beſchaͤmung deſſen, der ſie auſwirft, bisweilen noch den Nachtheil, den unbehutſamen Anhoͤrer derſelben zu ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachens- werthen Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten ſagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhaͤlt. Wenn Wahrheit in der Uebereinſtimmung einer Er- kentniß mit ihrem Gegenſtande beſteht, ſo muß dadurch dieſer Gegenſtand von andern unterſchieden werden; denn eine Erkentniß iſt falſch, wenn ſie mit dem Gegenſtande, worauf ſie bezogen wird, nicht uͤbereinſtimmt, ob ſie gleich etwas enthaͤlt, was wol von andern Gegenſtaͤnden gelten koͤnte. Nun wuͤrde ein allgemeines Criterium der Wahrheit dasienige ſeyn, welches von allen Erkentniſſen, ohne Unterſchied ihrer Gegenſtaͤnde, guͤltig waͤre. Es iſt aber klar, daß, da man bey demſelben von allem Inhalt der Erkentniß (Beziehung auf ihr Obiect) abſtrahirt, und Wahr- [59/0089] Einleitung. Wahrheit gerade dieſen Inhalt angeht, es ganz unmoͤglich und ungereimt ſey, nach einem Merkmale der Wahrheit dieſes Inhalts der Erkentniſſe zu fragen, und daß alſo ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmoͤglich angegeben werden koͤnne. Da wir oben ſchon den Inhalt einer Erkentniß die Materie derſel- ben genant haben, ſo wird man ſagen muͤſſen: von der Wahrheit der Erkentnis der Materie nach laͤßt ſich kein allge- meines Kennzeichen verlangen, weil es in ſich ſelbſt wider- ſprechend iſt. Was aber das Erkentniß der bloſſen Form nach (mit Beyſeiteſetzung alles Inhalts) betrift, ſo iſt eben ſo klar: daß eine Logik, ſo fern ſie die allgemeine und nothwendige Regeln des Verſtandes vortraͤgt, eben in dieſen Regeln Criterien der Wahrheit darlegen muͤſſe. Denn, was dieſen widerſpricht, iſt falſch, weil der Verſtand dabey ſeinen allgemeinen Regeln des Denkens, mithin ſich ſelbſt wider- ſtreitet. Dieſe Criterien aber betreffen nur die Form der Wahrheit, d. i. des Denkens uͤberhaupt und ſind ſo fern ganz richtig, aber nicht hinreichend. Denn obgleich eine Erkentniß der logiſchen Form voͤllig gemaͤß ſeyn moͤchte, d. i. ſich ſelbſt nicht widerſpraͤche, ſo kan ſie doch noch im- mer dem Gegenſtande widerſprechen. Alſo iſt das blos logiſche Criterium der Wahrheit, nemlich die Uebereinſtim- mung einer Erkentniß mit den allgemeinen und formalen Geſetzen des Verſtandes und der Vernunft zwar die condi- tio ſine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahr- [60/0090] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. Wahrheit: weiter aber kan die Logik nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, ſondern den Inhalt trift, kan die Logik durch keinen Probierſtein entdecken. Die allgemeine Logik loͤſet nun das ganze formale Geſchaͤfte des Verſtandes und der Vernunft in ſeine Ele- mente auf, und ſtellet ſie als Principien aller logiſchen Be- urtheilung unſerer Erkentniß dar. Dieſer Theil der Lo- gik kan daher Analytik heiſſen, und iſt eben darum der, wenigſtens negative Probierſtein der Wahrheit, indem man zuvoͤrderſt alle Erkentniß, ihrer Form nach, an dieſen Regeln pruͤfen und ſchaͤtzen muß, ehe man ſie ſelbſt ihrem Inhalt nach unterſucht, um auszumachen, ob ſie in An- ſehung des Gegenſtandes poſitive Wahrheit enthalten. Weil aber die bloſſe Form des Erkentniſſes, ſo ſehr ſie auch mit logiſchen Geſetzen uͤbereinſtimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (obiective) Wahrheit dem Erkentniſſe darum auszumachen, ſo kan ſich Niemand blos mit der Logik wagen, uͤber Gegenſtaͤnde zu urtheilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegruͤndete Erkundigung auſſer der Logik eingezogen zu haben, um hernach blos die Benutzung und die Verknuͤpfung derſelben in einem zuſammenhangenden Ganzen nach logiſchen Ge- ſetzen zu verſuchen, noch beſſer aber, ſie lediglich darnach zu pruͤfen. Gleichwol liegt ſo etwas verleitendes in dem Beſitze einer ſo ſcheinbarer Kunſt, allen unſeren Erkentniſſen die Form des Verſtandes zu geben, ob man gleich in Anſehung des Inhalts derſelben noch ſehr leer und arm [61/0091] Einleitung. arm ſeyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein Canon zur Beurtheilung iſt, gleichſam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigſtens dem Blendwerk von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik. So verſchieden auch die Bedeutung iſt, in der die Alten dieſer Benennung einer Wiſſenſchaft oder Kunſt ſich bedienten, ſo kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche derſelben ſicher abnehmen, daß ſie bey ihnen nichts an- ders war, als die Logik des Scheins. Eine ſophiſtiſche Kunſt, ſeiner Unwiſſenheit, ia auch ſeinen vorſetzlichen Blendwerken den Anſtrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gruͤndlichkeit, welche die Logik uͤber- haupt verſchreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beſchoͤ- nigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man es als eine ſichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, ieder- zeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectiſch ſey. Denn da ſie uns gar nichts uͤber den Inhalt der Erkentniß lehret, ſondern nur blos die formale Bedingungen der Ueberein- ſtimmung mit dem Verſtande, welche uͤbrigens in Anſehung der Gegenſtaͤnde gaͤnzlich gleichguͤltig ſeyn; ſo muß die Zu- muthung, ſich derſelben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um ſeine Kentniſſe, wenigſtens dem Vor- geben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geſchwaͤtzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit eini- [62/0092] Elementarlehre. II. Th. Transſc. Logik. einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten. Eine ſolche Unterweiſung iſt der Wuͤrde der Philo- ſophie auf keine Weiſe gemaͤß. Um deswillen hat man dieſe Benennung der Dialectik lieber, als eine Critik des dialectiſchen Scheins der Logik beygezaͤhlt, und als eine ſolche wollen wir ſie auch hier verſtanden wiſſen. IV. Von der Eintheilung der transſc. Logik in die Transſcendentale Analytik und Dialectik. In einer transſcendentalen Logik iſoliren wir den Ver- ſtand, (ſo wie oben in der transſc. Aeſthetik die Sinnlich- keit) und heben blos den Theil des Denkens aus unſerm Erkentniſſe heraus, der lediglich ſeinen Urſprung in dem Verſtande hat. Der Gebrauch dieſer reinen Erkentniß aber beruhet darauf, als ihrer Bedingung: daß uns Ge- genſtaͤnde in der Anſchauung gegeben ſeyn, worauf iene angewandt werden koͤnnen. Denn ohne Anſchauung fehlt es aller unſerer Erkentniß an Obiecten, und ſie bleibt als- denn voͤllig leer. Der Theil der transſc. Logik alſo, der die Elemente der reinen Verſtandeserkentniß vortraͤgt, und die Principien, ohne welche uͤberall kein Gegenſtand gedacht werden kan, iſt die transſcendentale Analytik, und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kan keine Erkentniß widerſprechen, ohne daß ſie zugleich allen In- halt [63/0093] Einleitung. halt verloͤre, d. i. alle Beziehung auf irgend ein Obiect mithin alle Wahrheit. Weil es aber ſehr anlockend und verleitend iſt, ſich dieſer reinen Verſtandeserkentniſſe und Grundſaͤtze allein, und ſelbſt uͤber die Grenzen der Erfah- rung hinaus zu bedienen, welche doch einzig und allein uns die Materie (Obiecte) an die Hand geben kan, wor- auf iene reine Verſtandesbegriffe angewandt werden koͤn- nen: ſo geraͤth der Verſtand in Gefahr, durch leere Ver- nuͤnfteleyen von den bloſſen formalen Principien des rei- nen Verſtandes einen materialen Gebrauch zu machen, und uͤber Gegenſtaͤnde ohne Unterſchied zu urtheilen, die uns doch nicht gegeben ſind, ia vielleicht auf keinerley Wei- ſe gegeben werden koͤnnen. Da ſie alſo eigentlich nur ein Canon der Beurtheilung des empiriſchen Gebrauchs ſeyn ſollte, ſo wird ſie gemisbraucht, wenn man ſie als das Organon eines allgemeinen und unbeſchraͤnkten Gebrauchs gelten laͤßt, und ſich mit dem reinen Verſtande allein wagt, ſynthetiſch uͤber Gegenſtaͤnde uͤberhaupt zu urtheilen, zu behaupten, und zu entſcheiden. Alſo wuͤrde der Gebrauch des reinen Verſtandes alsdenn dialectiſch ſeyn. Der zweyte Theil der transſcendentalen Logik muß alſo eine Critik die- ſes dialectiſchen Scheines ſeyn, und heißt, transſcenden- tale Dialectik, nicht als eine Kunſt, dergleichen Schein dogmatiſch zu erregen, (eine leider ſehr gangbare Kunſt man- nigfaltiger metaphyſiſcher Gauckelwerke) ſondern als eine Critik des Verſtandes und der Vernunft in Anſehung ihres hy- perphyſiſchen Gebrauchs, um den falſchen Schein ihrer grund- [64/0094] Elementarlehre. II. Th. I. Abth. Transſc. Analytik. grundloſen Anmaſſungen aufzudecken, und ihre Anſpruͤche auf Erfindung und Erweiterung, die ſie blos durch trans- ſcendentale Grundſaͤtze zu erreichen vermeinet, zur bloſſen Beurtheilung und Verwahrung des reinen Verſtandes vor ſophiſtiſchen Blendwerke herabzuſetzen. Der Tranſcendentalen Logik Erſte Abtheilung. Die Transſcendentale Analytik. Dieſe Analytik iſt die Zergliederung unſeres geſamten Erkentniſſes a priori in die Elemente der reinen Ver- ſtandeserkentniß. Es kommt hiebey auf folgende Stuͤcke an. 1. Daß die Begriffe reine und nicht empiriſche Be- griffe ſeyn. 2. daß ſie nicht zur Anſchauung und zur Sinnlichkeit, ſondern zum Denken und Verſtande gehoͤren. 3. Daß ſie Elementarbegriffe ſeyn und von den abgeleiteten, oder daraus zuſammengeſetzten, wol unterſchieden wer- den. 4. Daß ihre Tafel vollſtaͤndig ſey, und ſie das ganze Feld des reinen Verſtandes gaͤnzlich ausfuͤllen. Nun kan dieſe Vollſtaͤndigkeit einer Wiſſenſchaft nicht auf den Ueber- ſchlag, eines blos durch Verſuche zu Stande gebrachten Aggregats, mit Zuverlaͤßigkeit angenommen werden; da- her iſt ſie nur vermittelſt einer Idee des Ganzen der Ver- ſtandeserkentniß a priori und die daraus beſtimmte Abthei- lung der Begriffe, welche ſie ausmachen, mithin nur durch ihren [65/0095] I. Buch. Die Analytik der Begriffe. ihren Zuſammenhang in einem Syſtem moͤglich Der rei- ne Verſtand ſondert ſich nicht allein von allem empiriſchen, ſondern ſo gar von aller Sinnlichkeit voͤllig aus. Er iſt alſo eine vor ſich ſelbſt beſtaͤndige, ſich ſelbſt gnugſame, und durch keine aͤuſſerlich hinzukommende Zuſaͤtze zu vermehren- der Einheit. Daher wird der Inbegriff ſeiner Erkentniß ein unter einer Idee zu befaſſendes und zu beſtimmendes Syſtem ausmachen, deſſen Vollſtaͤndigkeit und Articulation zugleich einen Probierſtein der Richtigkeit und Aechtheit aller hineinpaſſenden Erkentnißſtuͤcke abgeben kan. Es beſteht aber dieſer ganze Theil der transſcend. Logik aus zwey Buͤchern, deren das eine die Begriffe, das andere die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes enthaͤlt. Der Transſcendentalen Analytik Erſtes Buch. Die Analytik der Begriffe. Ich verſtehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analyſis derſelben, oder das gewoͤhnliche Verfah- ren in philoſophiſchen Unterſuchungen, Begriffe, die ſich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, ſondern die noch wenig verſuchte Zergliederung des Verſtandesvermoͤgens ſelbſt, um die Moͤglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforſchen, daß E [66/0096] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. daß wir ſie im Verſtande allein, als ihrem Geburtsorte, aufſuchen und deſſen reinen Gebrauch uͤberhaupt analyſiren; denn dieſes iſt das eigenthuͤmliche Geſchaͤfte einer Trans- ſcendental-Philoſophie; das uͤbrige iſt die logiſche Behand- lung der Begriffe in der Philoſophie uͤberhaupt. Wir werden alſo die reine Begriffe bis zu ihren erſten Keimen und An- lagen im menſchlichen Verſtande verfolgen, in denen ſie vorbereitet liegen, bis ſie endlich bey Gelegenheit der Er- fahrung entwickelt und durch eben denſelben Verſtand, von denen ihnen anhaͤngenden empiriſchen Bedingungen be- freyet, in ihrer Lauterkeit dargeſtellt werden. Der Analytik der Begriffe Erſtes Hauptſtuͤck. Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verſtandesbegriffe. Wenn man ein Erkentnißvermoͤgen ins Spiel ſezt, ſo thun ſich, nach den mancherley Anlaͤſſen, verſchiedene Begriffe hervor, die dieſes Vermoͤgen kennbar machen und ſich in einem mehr, oder weniger ausfuͤhrlichen Aufſatz ſammeln laſſen, nachdem die Beobachtung derſelben laͤnge- re Zeit, oder mit groͤſſerer Scharfſichtigkeit angeſtellt wor- den. Wo dieſe Unterſuchung werde vollendet ſeyn, laͤßt ſich, nach dieſem gleichſam mechaniſchen Verfahren, nie- mals mit Sicherheit beſtimmen. Auch entdecken ſich die Be- [67/0097] I. Abſch. Vom log. Verſt. Geb. uͤberhaupr. Begriffe, die man nur ſo bey Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und ſyſtematiſchen Einheit, ſondern werden zulezt nur nach Aehnlichkeiten gepaart und nach der Groͤſſe ihres Inhalts, von den einfachen an, zu den mehr zu- ſammengeſezten, in Reihen geſtellt, die nichts weniger als ſyſtematiſch, obgleich auf gewiſſe Weiſe methodiſch zu Stande gebracht werden. Die Transſcendental-Philoſophie hat den Vortheil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Princip aufzuſuchen; weil ſie aus dem Verſtande, als abſoluter Einheit, rein und unvermiſcht entſpringen und daher ſelbſt nach einem Begriffe oder Idee, unter ſich zu- ſammenhaͤngen muͤſſen. Ein ſolcher Zuſammenhang aber giebt eine Regel an die Hand, nach welcher iedem reinen Verſtandesbegriff ſeine Stelle und allen insgeſamt ihre Vollſtaͤndigkeit a priori beſtimt werden kan, welches alles ſonſt vom Belieben, oder dem Zufall abhaͤngen wuͤrde. Des Transſcendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verſtandesbegriffe Erſter Abſchnitt. Von dem logiſchen Verſtandesgebrauche uͤberhaupt. Der Verſtand wurde oben blos negativ erklaͤrt: durch ein nichtſinnliches Erkentnißvermoͤgen. Nun koͤn- nen wir, unabhaͤngig von der Sinnlichkeit, keiner Anſchau- ung E 2 [68/0098] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. ung theilhaftig werden. Alſo iſt der Verſtand kein Ver- moͤgen der Anſchauung. Es giebt aber, auſſer der Anſchau- ung, keine andere Art zu erkennen, als durch Begriffe. Alſo iſt die Erkentniß eines ieden, wenigſtens des menſch- lichen Verſtandes, eine Erkentniß durch Begriffe, nicht intuitiv, ſondern diſcurſiv. Alle Anſchauungen, als ſinn- lich, beruhen auf Affectionen, die Begriffe alſo auf Fun- ctionen. Ich verſtehe aber unter Function, die Einheit der Handlung, verſchiedene Vorſtellungen unter einer ge- meinſchaftlichen zu ordnen. Begriffe gruͤnden ſich alſo auf der Spontaneitaͤt des Denkens, wie ſinnliche Anſchauun- gen auf der Receptivitaͤt der Eindruͤcke. Von dieſen Be- griffen kan nun der Verſtand keinen andern Gebrauch ma- chen, als daß er dadurch urtheilt. Da keine Vorſtellung unmittelbar auf den Gegenſtand geht, als blos die An- ſchauung, ſo wird ein Begriff niemals auf einen Gegen- ſtand unmittelbar, ſondern auf irgend eine andre Vorſtel- lung von demſelben, (ſie ſey Anſchauung oder ſelbſt ſchon Begriff), bezogen. Das Urtheil iſt alſo die mittelbare Erkentniß eines Gegenſtandes, mithin die Vorſtellung ei- ner Vorſtellung deſſelben. In iedem Urtheil iſt ein Be- griff, der vor viele gilt, und unter dieſem Vielen auch eine gegebene Vorſtellung begreift, welche leztere denn auf den Ge- genſtand unmittelbar bezogen wird. So bezieht z. B. in dem Urtheile: alle Coͤrper ſind veraͤnderlich, der Begriff des Theilbaren auf verſchiedene andre Begriffe; unter dieſen aber wird er hier beſonders auf den Begriff des Coͤrpers bezo- [69/0099] I. Abſch. Vom log. Verſtd. Geb. uͤberhaupt. bezogen; dieſer aber auf gewiſſe uns vorkommende Er- ſcheinungen. Alſo werden dieſe Gegenſtaͤnde durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgeſtellt. Alle Urtheile ſind demnach Functionen der Einheit unter unſern Vor- ſtellungen, da nemlich ſtatt einer unmittelbaren Vorſtellung eine hoͤhere, die dieſe und mehrere unter ſich begreift, zur Erkentniß des Gegenſtandes gebraucht, und viel moͤgliche Erkentniſſe dadurch in einer zuſammengezogen werden. Wir koͤnnen aber alle Handlungen des Verſtandes auf Ur- theile zuruͤckfuͤhren, ſo daß der Verſtand uͤberhaupt als ein Vermoͤgen zu urtheilen vorgeſtellt werden kan. Denn er iſt nach dem obigen ein Vermoͤgen zu denken. Denken iſt das Erkentniß durch Begriffe. Begriffe aber beziehen ſich, als Praͤdicate moͤglicher Urtheile, auf irgend eine Vorſtellung von einem noch unbeſtimten Gegenſtande. So bedeutet der Begriff des Coͤrpers Etwas, z. B. Metall, was durch ienen Begriff erkant werden kan. Er iſt alſo nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorſtel- lungen enthalten ſind, vermittelſt deren er ſich auf Ge- genſtaͤnde beziehen kan. Er iſt alſo das Praͤdicat zu einem moͤglichen Urtheile, z. B. ein iedes Metall iſt ein Coͤrper. Die Functionen des Verſtandes koͤnnen alſo insgeſamt ge- ſunden werden, wenn man die Functionen der Einheit in den Urtheilen vollſtaͤndig darſtellen kan. Daß dies aber ſich ganz wol bewerkſtelligen laſſe, wird der folgen- de Abſchnitt vor Augen ſtellen. Des E 3 [70/0100] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verſtandesbegriffe Zweiter Abſchnitt. Von der logiſchen Function des Verſtandes in Urtheilen. Wenn wir von allem Inhalte eines Urtheils uͤberhaupt abſtrahiren, und nur auf die bloſſe Verſtandesform darinn acht geben, ſo finden wir, daß die Function des Denkens in demſelben unter vier Titel gebracht werden koͤnne, deren ieder drey Momente unter ſich enthaͤlt. Sie koͤnnen fuͤglich in folgender Tafel vorgeſtellt werden. 1. Quantitaͤt der Urtheile Allgemeine Beſondere Einzelne 2. Qualitaͤt Beiahende Verneinende Unendliche 3. Relation Categoriſche Hypothetiſche Disiunctive 4. Modalitaͤt. Problematiſche Aſſertoriſche Apodictiſche. Da dieſe Eintheilung in einigen, obgleich nicht we- ſentlichen Stuͤcken, von der gewohnten Technik der Logiker abzu- [71/0101] II. Abſch. Von der log. Function in Urtheilen. abzuweichen ſcheint, ſo werden folgende Verwahrungen wider den beſorglichen Misverſtand nicht unnoͤthig ſeyn. 1. Die Logiker ſagen mit Recht, daß man beym Ge- brauch der Urtheile in Vernunftſchluͤſſen die einzelne Ur- theile gleich den allgemeinen behandeln koͤnne. Denn eben darum, weil ſie gar keinen Umfang haben, kan das Praͤ- dicat derſelben nicht blos auf einiges deſſen, was unter dem Begriff des Subiects enthalten iſt, gezogen, von ei- nigem aber ausgenommen werden. Es gilt alſo von ienem Begriffe ohne Ausnahme, gleich als wenn derſelbe ein ge- meinguͤltiger Begriff waͤre, der einen Umfang haͤtte, von deſſen ganzer Bedeutung das Praͤdicat gelte. Vergleichen wir dagegen ein einzelnes Urtheil mit einem gemeinguͤltigen, blos als Erkentniß, der Groͤſſe nach, ſo verhaͤlt ſie ſich zu dieſem, wie Einheit zur Unendlichkeit, und iſt alſo an ſich ſelbſt davon weſentlich unterſchieden. Alſo, wenn ich ein einzelnes Urtheil (iudicium ſingulare), nicht blos nach ſeiner innern Guͤltigkeit, ſondern auch, als Erkent- niß uͤberhaupt, nach der Groͤſſe, die es in Vergleichung mit andern Erkentniſſen hat, ſchaͤtze, ſo iſt es allerdings von gemeinguͤltigen Urtheilen (iudicia communia) un- terſchieden, und verdient in einer vollſtaͤndigen Tafel der Momente des Denkens uͤberhaupt (obzwar freilich nicht in der, blos auf den Gebrauch der Urtheile untereinander einge- ſchraͤnkten Logik) eine beſondere Stelle. 2. Eben ſo muͤſſen in einer transſendentalen Logik unendliche Urtheile von beiahenden noch unterſchieden wer- E 4 [72/0102] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. werden, wenn ſie gleich in der allgemeinen Logik ienen mit Recht beygezaͤhlt ſind, und kein beſonderes Glied der Eintheilung ausmachen. Dieſe nemlich abſtrahirt von allem Inhalt des Praͤdicats (ob es gleich verneinend iſt) und ſieht nur darauf, ob daſſelbe dem Subiect beygelegt, oder ihm entgegen geſezt werde. Jene aber betrachtet das Urtheil auch nach dem Werthe oder Inhalt dieſer logiſchen Beiahung vermittelſt eines blos verneinenden Praͤdicats, und was dieſe in Anſehung des geſamten Erkentniſſes fuͤr einen Gewinn verſchaft. Haͤtte ich von der Seele geſagt, ſie iſt nicht ſterblich, ſo haͤtte ich durch ein verneinendes Urtheil wenigſtens einen Irrthum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die Seele iſt nicht ſterblich, zwar der logiſchen Form nach wirklich beiahet, indem ich die Seele in den unbeſchraͤnkten Umfang der Nichtſterbenden Weſen ſetze. Weil nun von dem ganzen Umfange moͤg- licher Weſen das Sterbliche einen Theil enthaͤlt, das Nicht- ſterbliche aber den andern, ſo iſt durch meinen Satz nichts anders geſagt, als daß die Seele eine von der unendli- chen Menge Dinge ſey, die uͤbrig bleiben, wenn ich das ſterbliche insgeſamt wegnehme. Dadurch aber wird nur die unendliche Sphaͤre alles Moͤglichen in ſo weit beſchraͤnkt, daß das Sterbliche davon abgetrent, und in dem uͤbri- gen Raum ihres Umfangs die Seele geſezt wird. Dieſer Raum bleibt aber bey dieſer Ausnahme noch immer un- endlich, und koͤnnen noch mehrere Theile deſſelben wegge- nommen werden, ohne daß darum der Begriff von der Seele [73/0103] II. Abſchn. Von der log. Function in Urtheilen. Seele im mindeſten waͤchſt, und beiahend beſtimt wird. Dieſe unendliche Urtheile alſo in Anſehung des logiſchen Umfanges ſind wirklich blos beſchraͤnkend in Anſehung des Inhalts der Erkentnis uͤberhaupt, und in ſo fern muͤſſen ſie in der transſcendentalen Tafel aller Momente des Den- kens in den Urtheilen nicht uͤbergangen werden, weil die hierbey ausgeuͤbte Function des Verſtandes vielleicht in dem Felde ſeiner reinen Erkentniß a priori wichtig ſeyn kan. 3. Alle Verhaͤltniſſe des Denkens in Urtheilen ſind die a) des Praͤdicats zum Subiect b) des Grundes zur Folge c) der eingetheilten Erkentniß und der geſamleten Glieder der Eintheilung unter einander. In der erſteren Art der Urtheile ſind nur zwey Begriffe, in der zweyten zweene Urtheile, in der dritten mehrere Urtheile im Ver- haͤltniß gegen einander betrachtet. Der hypothetiſche Satz: wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da iſt, ſo wird der beharrlich boͤſe beſtraft, enthaͤlt eigentlich das Verhaͤlt- niß zweyer Saͤtze: Es iſt eine vollkommene Gerechtigkeit da, und der beharrlich boͤſe wird beſtraft. Ob beyde die- ſer Saͤtze an ſich wahr ſeyn, bleibt hier unausgemacht. Es iſt nur die Conſequenz, die durch dieſes Urtheil gedacht wird. Endlich enthaͤlt das disiunctive Urtheil ein Verhaͤltniß zweener, oder mehreren Saͤtze gegen einander, aber nicht der Abfolge, ſondern der logiſchen Entgegenſetzung, ſo fern die Sphaͤre des einen die des andern ausſchließt, aber doch zugleich der Gemeinſchaft, in ſo fern ſie zuſammen die Sphaͤre der eigentlichen Erkentniß ausfuͤllen, alſo ein Ver- E 5 [74/0104] Elemental. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. Verhaͤltniß der Theile der Sphaͤre eines Erkentniſſes, da die Sphaͤre eines ieden Theils ein Ergaͤnzungsſtuͤck der Sphaͤre des andern zu dem ganzen Inbegriff der einge- theilten Erkentniß iſt, z. E. die Welt iſt entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit, oder durch eine aͤuſſere Urſache. Jeder dieſer Saͤtze nimmt einen Theil der Sphaͤre des moͤglichen Erkentniſſes uͤber das Daſeyn einer Welt uͤberhaupt ein, alle zuſammen die ganze Sphaͤre. Das Erkentniß aus einer dieſer Sphaͤren wegnehmen, heißt, ſie in eine der uͤbrigen ſetzen, und da- gegen ſie in eine Sphaͤre ſetzen, heiſt, ſie aus den uͤbrigen wegnehmen. Es iſt alſo in einem disiunctiven Urtheile eine gewiſſe Gemeinſchaft der Erkentniſſe, die darin beſteht, daß ſie ſich wechſelſeitig einander ausſchlieſſen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkentniß beſtimmen, indem ſie zuſam- mengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkentniß ausmachen. Und dieſes iſt es auch nur, was ich des folgenden wegen hiebey anzumerken noͤthig finde. 4. Die Modalitaͤt der Urtheile iſt eine ganz beſon- dere Funktion derſelben, die das Unterſcheidende an ſich hat, daß ſie nichts zum Inhalte des Urtheils beytraͤgt, (denn auſſer Groͤſſe, Qualitaͤt und Verhaͤltniß iſt nichts mehr, was den Inhalt eines Urtheils ausmachte) ſondern nur den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken uͤber- haupt angeht. Problematiſche Urtheile ſind ſolche, wo man das Beiahen, oder Verneinen als blos moͤglich (be- liebig) annimt. Aſſertoriſche, da es als wirklich (wahr) be- [75/0105] II. Abſchn. Von der log. Function in Urtheilen. betrachtet wird. Apodictiſche, in denen man es als noth- wendig anſieht *). So ſind die beyden Urtheile, deren Verhaͤltniß das hypothetiſche Urtheil ausmacht, (antec. und conſequ.) imgleichen in deren Wechſelwirkung das Dis- iunctive beſteht, (Glieder der Eintheilung) insgeſamt nur problematiſch. In dem obigen Beyſpiel wird der Satz: es iſt eine vollkommene Gerechtigkeit da, nicht aſſertoriſch ge- ſagt, ſondern nur als ein beliebiges Urtheil, wovon es moͤglich iſt, daß iemand es annehme, gedacht, und nur die Conſequenz iſt aſſertoriſch. Daher koͤnnen ſolche Ur- theile auch offenbar falſch ſeyn, und doch, problematiſch genommen, Bedingungen der Erkentniß der Wahrheit ſeyn. So iſt das Urtheil: die Welt iſt durch blinden Zufall da, in dem disiunctiven Urtheil nur von proble- matiſcher Bedeutung, nemlich, daß iemand dieſen Satz etwa auf einen Augenblick annehmen moͤge, und dient doch, (wie die Verzeichnung des falſchen Weges, unter der Zahl aller derer, die man nehmen kan,) den wahren zu finden. Der problematiſche Satz iſt alſo derienige, der nur logi- ſche Moͤglichkeit, (die nicht obiectiv iſt) ausdruckt, d. i. eine freye Wahl einen ſolchen Satz gelten zu laſſen, eine blos willkuͤhrliche Aufnehmung deſſelben in den Verſtand. Der aſſertoriſche ſagt von logiſcher Wirklichkeit oder Wahr- heit, wie etwa in einem hypothetiſchen Vernunftſchluß das *) Gleich, als wenn das Denken im erſten Fall eine Fun- ction des Verſtandes, im zweyten der Urtheilskraft, im dritten der Vernunft waͤre. Eine Bemerkung, die erſt in der Folge ihre Aufklaͤrung erwartet. [76/0106] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. das Antecedens im Oberſatze problematiſch, im Unterſatze aſſertoriſch vorkomt, und zeigt an, daß der Satz mit dem Verſtande nach deſſen Geſetzen ſchon verbunden ſey, der apodictiſche Satz denkt ſich den aſſertoriſchen durch die- ſe Geſetze des Verſtandes ſelbſt beſtimt, und daher a priori behauptend, und druͤckt auf ſolche Weiſe logiſche Nothwendigkeit aus. Weil nun hier alles ſich gradweiſe dem Verſtande einverleibt, ſo daß man zuvor etwas pro- blematiſch urtheilt, darauf auch wohl es aſſertoriſch als wahr annimt, endlich als unzertrennlich mit dem Ver- ſtande verbunden, d. i. als nothwendig und apodictiſch be- hauptet, ſo kan man dieſe drey Functionen der Modalitaͤt auch ſo viel Momente des Denkens uͤberhaupt nennen. Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verſtandesbegriffe Dritter Abſchnitt. Von den reinen Verſtandesbegriffen oder Categorien. Die allgemeine Logik abſtrahirt, wie mehrmalen ſchon geſagt worden, von allem Inhalt der Erkentniß, und erwartet, daß ihr anderwerts, woher es auch ſey, Vorſtellungen gegeben werden, um dieſe zuerſt in Begriffe zu verwandeln, welches analytiſch zugehet. Dagegen hat die transſcendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlich- keit a priori vor ſich liegen, welches die transſcendentale Aeſthe- [77/0107] III. Abſch. Von den reinen Verſtbegr. oder Categ. Aeſthetik ihr darbietet, um zu den reinen Verſtandesbe- griffen einen Stoff zu geben, ohne den ſie ohne allen In- halt, mithin voͤllig leer ſeyn wuͤrde. Raum und Zeit ent- halten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anſchauung a priori, gehoͤren aber gleichwohl zu den Bedingungen der Receptivitaͤt unſeres Gemuͤths, unter denen es allein Vorſtellungen von Gegenſtaͤnden empfangen kan, die mit- hin auch den Begriff derſelben iederzeit afficiren muͤſſen. Allein die Spontaneitaͤt unſeres Denkens erfordert es, daß dieſes Mannigfaltige zuerſt auf gewiſſe Weiſe durchgegan- gen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkentniß zu machen. Dieſe Handlung nenne ich Syntheſis. Ich verſtehe aber unter Syntheſis in der allgemein- ſten Bedeutung die Handlung, verſchiedene Vorſtellungen zu einander hinzuzuthun, und ihre Mannigfaltigkeit in ei- ner Erkentniß zu begreifen. Eine ſolche Syntheſis iſt rein, wenn das Mannigfaltige nicht empiriſch, ſondern a priori gegeben iſt (wie das im Raum und der Zeit.). Vor aller Analyſis unſerer Vorſtellungen muͤſſen dieſe zuvor gege- ben ſeyn, und es koͤnnen keine Begriffe dem Inhalte nach analytiſch entſpringen. Die Syntheſis eines Mannigfal- tigen aber (es ſey empiriſch oder a priori gegeben) bringt zuerſt eine Erkentniß hervor, die zwar anfaͤnglich noch roh und verworren ſeyn kan, und alſo der Analyſis bedarf; allein die Syntheſis iſt doch dasienige, was eigentlich die Elemente zu Erkentniſſen ſammlet, und zu einem gewiſſen In- [78/0108] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. Inhalte vereinigt; ſie iſt alſo das erſte, worauf wir acht zu geben haben, wenn wir uͤber den erſten Urſprung un- ſerer Erkentniß urtheilen wollen. Die Syntheſis uͤberhaupt iſt, wie wir kuͤnftig ſehen werden, die bloſſe Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele, ohne die wir uͤberall gar keine Erkentniß haben wuͤrden, der wir uns aber ſelten nur einmal bewuſt ſind. Allein, die- ſe Syntheſis auf Begriffe zu bringen, das iſt eine Fun- ction, die dem Verſtande zukomt, und wodurch er uns allererſt die Erkentniß in eigentlicher Bedeutung verſchaffet. Die reine Syntheſis, allgemein vorgeſtellt, giebt nun den reinen Verſtandesbegriff. Ich verſtehe aber un- ter dieſer Syntheſis dieienige, welche auf einem Grunde der ſynthetiſchen Einheit a priori beruht: ſo iſt unſer Zaͤhlen, (vornemlich iſt es in groͤſſeren Zahlen merklicher) eine Syntheſis nach Begriffen, weil ſie nach einem ge- meinſchaftlichen Grunde der Einheit geſchieht (z. E. der Decadik). Unter dieſem Begriffe wird alſo die Einheit in der Syntheſis des Mannigfaltigen nothwendig. Analytiſch werden verſchiedene Vorſtellungen unter einen Begriff gebracht, (ein Geſchaͤfte, wovon die allge- meine Logik handelt.) Aber nicht die Vorſtellungen, ſon- dern die reine Syntheſis der Vorſtellungen auf Begriffe zu bringen, lehrt die transſc. Logik. Das erſte, was uns, zum Behuf der Erkentniß aller Gegenſtaͤnde a priori gege- ben ſeyn muß, iſt das Mannigfaltige der reinen Anſchau- ung; [79/0109] III. Abſch. Von den reinen Verſtbegr. oder Categ. ung; die Syntheſis dieſes Mannigfaltigen durch die Ein- bildungskraft iſt das zweyte, giebt aber noch keine Er- kentniß. Die Begriffe, welche dieſer reinen Syntheſis Einheit geben, und lediglich in der Vorſtellung dieſer noth- wendigen ſynthetiſchen Einheit beſtehen, thun das dritte zum Erkentniſſe eines vorkommenden Gegenſtandes, und beruhen auf dem Verſtande. Dieſelbe Function, welche den verſchiedenen Vorſtel- lungen in einem Urtheile Einheit giebt, die giebt auch der bloſſen Syntheſis verſchiedener Vorſtellungen in einer Anſchauung Einheit, welche, allgemein ausgedrukt, der reine Verſtandesbegriff heißt. Derſelbe Verſtand alſo, und zwar durch eben dieſelbe Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelſt der analytiſchen Einheit, die logi- ſche Form eines Urtheils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelſt der ſynthetiſchen Einheit des Mannigfaltigen in der Anſchauung uͤberhaupt, in ſeine Vorſtellungen einen transſcendentalen Inhalt, weswegen ſie reine Verſtandes- begriffe heiſſen, die a priori auf Obiecte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leiſten kan. Auf ſolche Weiſe entſpringen gerade ſo viel reine Verſtandesbegriffe, welche a priori auf Gegenſtaͤnde der Anſchauung uͤberhaupt gehen, als es in der vorigen Ta- fel logiſche Functionen in allen moͤglichen Urtheilen gab: denn der Verſtand iſt durch gedachte Functionen voͤllig erſchoͤpft, und ſein Vermoͤgen dadurch gaͤnzlich ausgemeſ- ſen. Wir wollen dieſe Begriffe, nach dem Ariſtoteles, Cate- [80/0110] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. Categorien nennen, indem unſre Abſicht uranfaͤnglich mit der Seinigen zwar einerley iſt, ob ſie ſich gleich davon in der Ausfuͤhrung gar ſehr entfernet. Tafel der Categorien. 1. Der Quantitaͤt Einheit Vielheit Allheit 2. Der Qualitaͤt Realitaͤt Negation Limitation 3. Der Relation. der Inhaͤrenz und Subſiſtenz (ſub- ſtantia et accidens) der Cauſalitaͤt und Dependenz (Ur- ſache und Wirkung) der Gemeinſchaft (Wechſelwirkung zwiſchen dem Handeln- den und Leidenden). 4. Der Modalitaͤt. Moͤglichkeit — Unmoͤglichkeit Daſeyn — Nichtſeyn Nothwendigkeit — Zufaͤlligkeit. Dieſes iſt nun die Verzeichnung aller urſpruͤnglich rei- nen Begriffe der Syntheſis, die der Verſtand a priori in ſich enthaͤlt, und um deren willen er auch nur ein reiner Verſtand iſt; indem er durch ſie allein etwas bey dem Man- nigfaltigen der Anſchauung verſtehen, d. i. ein Obiect derſelben denken kan. Dieſe Eintheilung iſt ſyſtematiſch aus einem gemeinſchaftlichen Princip, naͤmlich dem Ver- [81/0111] III. Abſch. Von den reinen Verſt. Begr. oder Categ. Vermoͤgen zu urtheilen, (welches eben ſo viel iſt, als das Vermoͤgen zu denken) erzeugt, und nicht rhapſodiſtiſch, aus einer auf gut Gluͤck unternommenen Aufſuchung rei- ner Begriffe entſtanden, deren Vollzaͤhligkeit man niemals gewiß ſeyn kan, da ſie nur durch Induction geſchloſſen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die leztere Art nie- mals einſieht, warum denn grade dieſe und nicht andre Begriffe, dem reinen Verſtande beywohnen. Es war ein, eines ſcharfſinnigen Mannes wuͤrdiger Anſchlag des Ari- ſtoteles, dieſe Grundbegriffe aufzuſuchen. Da er aber kein Principium hatte, ſo rafte er ſie auf, wie ſie ihm auf- ſtießen, und trieb deren zuerſt zehn auf, die er Categorien (Praͤdicamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fuͤnfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Na- men der Poſtpraͤdicamente hinzufuͤgte. Allein ſeine Tafel blieb noch immer mangelhaft. Auſſerdem finden ſich auch einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, vbi, ſirus, imgleichen prius, ſimul) auch ein empiriſcher, (mo- tus) die in dieſes Stammregiſter des Verſtandes gar nicht gehoͤren, oder es ſind auch die abgeleitete Begriffe mit un- ter die Urbegriffe gezaͤhlt, (actio, paſſio) und an eini- gen der leztern fehlt es gaͤnzlich. Um der leztern willen iſt alſo noch zu bemerken: daß die Categorien, als die wahren Stammbegriffe des rei- nen Verſtandes, auch ihre eben ſo reine abgeleitete Be- griffe haben, die in einem vollſtaͤndigen Syſtem der Trans- ſcendental-Philoſophie keinesweges uͤbergangen werden koͤnnen, F [82/0112] Elementl. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt. koͤnnen, mit deren bloſſer Erwaͤhnung aber ich in einem blos critiſchen Verſuch zufrieden ſeyn kan. Es ſey mir erlaubt, dieſe reine, aber abgeleitete Ver- ſtandesbegriffe die Praͤdicabilien des reinen Verſtandes (im Gegenſatz der Praͤdicamente) zu nennen. Wenn man die urſpruͤngliche und primitive Begriffe hat, ſo laſſen ſich die abgeleitete und ſubalterne leicht hinzufuͤgen, und der Stamm- baum des reinen Verſtandes voͤllig ausmahlen. Da es wir hier nicht um die Vollſtaͤndigkeit des Syſtems, ſon- dern nur der Principien zu einem Syſtem zu thun iſt, ſo verſpahre ich dieſe Ergaͤnzung auf eine andere Beſchaͤfti- gung. Man kan aber dieſe Abſicht ziemlich erreichen, wenn man die Ontologiſche Lehrbuͤcher zur Hand nimt, und z. B. der Categorie der Cauſalitaͤt, die Praͤdicabilien der Kraft, der Handlung, des Leidens, der der Gemein- ſchaft, die der Gegenwart, des Widerſtandes, den Praͤdi- camenten der Modalitaͤt, die des Entſtehens, Vergehens, der Veraͤnderung u. ſ. w. unterordnet. Die Categorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch unter einander verbunden, geben eine groſſe Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken, und wo moͤglich, bis zur Vollſtaͤndigkeit zu verzeichnen, eine nuͤtzliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Bemuͤhung ſeyn wuͤrde. Der Definitionen dieſer Categorien uͤberhebe ich mir in dieſer Abhandlung gefliſſentlich, ob ich gleich im Beſitz derſelben ſeyn moͤchte. Ich werde dieſe Begriffe in der Folge [83/0113] III. Abſchn. Von den reinen Verſt. Begr. oder Categ. Folge bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hinreichend iſt. In einem Syſtem der reinen Vernunft wuͤrde man ſie mit Recht von mir fordern koͤnnen: aber hier wuͤrden ſie nur den Hauptpunct der Unterſuchung aus den Augen brin- gen, indem ſie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der weſentlichen Abſicht etwas zu entziehen, gar wol auf eine andre Beſchaͤftigung verweiſen kan. In- deſſen leuchtet doch aus dem wenigen, was ich hievon an- gefuͤhrt habe, deutlich hervor, daß ein vollſtaͤndiges Woͤr- terbuch mit allen dazu erforderlichen Erklaͤrungen nicht allein moͤglich, ſondern auch leicht ſey zu Stande zu brin- gen. Die Faͤcher ſind einmal da; es iſt nur noͤthig, ſie auszufuͤllen, und eine ſyſtematiſche Topik, wie die gegen- waͤrtige, laͤßt nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin ein ieder Begriff eigenthuͤmlich gehoͤrt, und zugleich dieienige leicht bemerken, die noch leer iſt. [Abbildung] De F 2 [84/0114] Elementarl. II. Th. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Der Transſcendentalen Analytik Zweites Hauptſtuͤck. Von der Deduction der reinen Verſtandesbegriffe. Erſter Abſchnitt. Von den Principien einer Transſcendent. Deduction uͤberhaupt. Die Rechtslehrer, wenn ſie von Befugniſſen und An- maſſungen reden, unterſcheiden in einem Rechtshan- del die Frage uͤber das, was Rechtens iſt, (quid iuris) von der, die die Thatſache angeht, (quid facti) und in- dem ſie von beyden Beweis fordern, ſo nennen ſie den er- ſtern, der die Befugniß, oder auch den Rechtsanſpruch darthun ſoll, die Deduction Wir bedienen uns einer Menge empiriſcher Begriffe ohne iemandes Widerrede, und halten uns auch ohne Deduction berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir iederzeit die Erfahrung bey Hand haben, ihre obiective Realitaͤt zu beweiſen. Es giebt indeſſen auch uſurpirte Be- griffe, wie etwa Gluͤck, Schickſal, die zwar mit faſt all- gemeiner Nachſicht herumlaufen, aber doch bisweilen durch die Frage: quid iuris, in Anſpruch genommen werden, da man alsdenn, wegen der Deduction derſelben in nicht geringe Verlegenheit geraͤth, indem man keinen deutlichen Rechts- [85/0115] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. Rechtsgrund weder aus der Erfahrung, noch der Vernunft anfuͤhren kan, dadurch die Befugniß ſeines Gebrauchs deutlich wuͤrde. Unter den mancherley Begriffen aber, die das ſehr vermiſchte Gewebe der menſchlichen Erkentniß ausmachen, giebt es einige, die auch zum reinen Gebrauch a priori (voͤllig unabhaͤngig ron aller Erfahrung) beſtimt ſind, und dieſer ihre Befugniß bedarf iederzeit einer Deduction; weil zu der Rechtmaͤßigkeit eines ſolchen Gebrauchs Beweiſe aus der Erfahrung nicht hinreichend ſind, man aber doch wiſ- ſen muß, wie dieſe Begriffe ſich auf Obiecte beziehen koͤn- nen, die ſie doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher die Erklaͤrung der Art, wie ſich Begriffe a priori auf Gegenſtaͤnde beziehen koͤnnen, die transſc. Deduction derſelben, und unterſcheide ſie von der empi- riſchen Deduction, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion uͤber dieſelbe erworben wor- den, und daher nicht die Rechtmaͤßigkeit, ſondern das Factum betrift, wodurch der Beſitz entſprungen. Wir haben iezt ſchon zweierley Begriffe von ganz ver- ſchiedener Art, die doch darin mit einander uͤbereinkommen, daß ſie beyderſeits voͤllig a priori ſich auf Gegenſtaͤnde be- ziehen, nemlich, die Begriffe des Raumes und der Zeit, als Formen der Sinnlichkeit, und die Categorien, als Begriffe des Verſtandes. Von ihnen eine empiriſche De- duction verſuchen wollen, wuͤrde ganz vergebliche Arbeit ſeyn; weil eben darin das Unterſcheidende ihrer Natur liegt, F 3 [86/0116] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. liegt, daß ſie ſich auf ihre Gegenſtaͤnde beziehen, ohne et- was zu deren Vorſtellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn alſo eine Deduction derſelben noͤthig iſt, ſo wird ſie iederzeit transſcendental ſeyn muͤſſen. Indeſſen kan man von dieſen Begriffen, wie von allem Erkentniß, wo nicht das Principium ihrer Moͤglich- keit, doch die Gelegenheitsurſachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufſuchen, wo alsdenn die Eindruͤcke der Sin- ne den erſten Anlaß geben, die ganze Erkentnißkraft in Anſehung ihrer zu eroͤfnen, und Erfahrung zu Stande zu bringen, die zwey ſehr ungleichartige Elemente enthaͤlt, nemlich, eine Materie zur Erkentniß aus den Sinnen, und eine gewiſſe Form, ſie zu ordnen, aus dem innern Quell des reinen Anſchauens und Denkens, die, bey Ge- legenheit der erſteren, zuerſt in Ausuͤbung gebracht wer- den, und Begriffe hervorbringen. Ein ſolches Nach- ſpuͤhren der erſten Beſtrebungen unſerer Erkentnißkraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Be- griffen zu ſteigen, hat ohne Zweifel ſeinen groſſen Nutzen, und man hat es dem beruͤhmten Locke zu verdanken, daß er dazu zuerſt den Weg eroͤfnet hat. Allein eine Deduction der reinen Begriffe a priori komt dadurch niemals zu Stande, denn ſie liegt ganz und gar nicht auf dieſem We- ge, weil in Anſehung ihres kuͤnftigen Gebrauchs, der von der Erfahrung gaͤnzlich unabhaͤngig ſeyn ſoll, ſie einen ganz andern Geburtsbrief, als den der Abſtammung von Er- fahrungen, muͤſſen aufzuzeigen haben. Dieſe verſuchte phyſi- [87/0117] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. phyſiologiſche Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduction heiſſen kan, weil ſie eine quæſtio facti betrift, will ich daher die Erklaͤrung des Beſitzes einer reinen Erkentniß nennen. Es iſt alſo klar, daß von dieſen allein es eine transſcend. Deduction und keinesweges eine empiriſche ge- ben koͤnne, und daß leztere in Anſehung der reinen Be- griffe a priori, nichts als eitele Verſuche ſind, womit ſich nur derienige beſchaͤftigen kan, welcher die ganz eigen- thuͤmliche Natur dieſer Erkentniſſe nicht begriffen hat. Ob nun aber gleich die einzige Art einer moͤglichen Deduction der reinen Erkentniß a priori, nemlich die auf dem transſcendentalen Wege eingeraͤumet wird, ſo erhellet dadurch doch eben nicht, daß ſie ſo unumgaͤnglich nothwen- dig ſey. Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der Zeit, vermittelſt einer transſcendentalen Deduction zu ihren Quellen verfolgt, und ihre obiective Guͤltigkeit a priori erklaͤrt und beſtimt. Gleichwol geht die Geometrie ihren ſichern Schritt durch lauter Erkentniſſe a priori, ohne daß ſie ſich, wegen der reinen und geſetzmaͤßigen Ab- kunft ihres Grundbegriffs vom Raume, von der Philoſo- phie einen Beglaubigungsſchein erbitten darf. Allein der Gebrauch dieſes Begriffs geht in dieſer Wiſſenſchaft auch nur auf die aͤuſſere Sinnenwelt, von welcher der Raum die reine Form ihrer Anſchauung iſt, in welcher alſo alle geometriſche Erkentniß, weil ſie ſich auf Anſchauung a priori gruͤndet, unmittelbare Evidenz hat, und die Ge- genſtaͤnde durch die Erkentniß ſelbſt, a priori (der Form nach) F 4 [88/0118] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Haupſt. nach) in der Anſchauung, gegeben werden. Dagegen faͤngt mit den reinen Verſtandesbegriffen die unumgaͤng- liche Beduͤrfniß an, nicht allein von ihnen ſelbſt, ſondern auch vom Raum die transſcendentale Deduction zu ſuchen, weil, da ſie von Gegenſtaͤnden nicht durch Praͤdicate der Anſchauung und der Sinnlichkeit, ſondern des reinen Den- kens a priori redet, ſie ſich auf Gegenſtaͤnde ohne alle Be- dingungen der Sinnlichkeit allgemein beziehen, und die, da ſie nicht auf Erfahrung gegruͤndet ſind, auch in der Anſchauung a priori kein Obiect vorzeigen koͤnnen, wor- auf ſie vor aller Erfahrung ihre Syntheſis gruͤndeten, und daher nicht allein wegen der obiectiven Guͤltigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht erregen, ſondern auch ienen Begriff des Raumes zweydeutig machen, da- durch, daß ſie ihn uͤber die Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung zu gebrauchen geneigt ſind, weshalb auch oben von ihm eine transſcendent. Deduction von noͤthen war. So muß denn der Leſer von der unumgaͤnglichen Nothwen- digkeit einer ſolchen transſc. Deduction, ehe er einen einzigen Schritt im Felde der reinen Vernunft gethan hat, uͤberzeugt werden; weil er ſonſt blind verfaͤhrt, und, nachdem er mannigfaltig umher geirrt hat, doch wieder zu der Un- wiſſenheit zuruͤck kehren muß, von der er ausgegangen war. Er muß aber auch die unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich einſehen, damit er nicht uͤber Dunkelheit klage, wo die Sache ſelbſt tief eingehuͤllt iſt, oder uͤber der Wegraͤumung der Hinderniſſe zu fruͤh verdroſſen wer- den, [89/0119] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. den, weil es darauf ankomt, entweder alle Anſpruͤche zu Einſichten der reinen Vernunft, als das beliebteſte Feld, nemlich dasienige uͤber die Grenzen aller moͤglichen Erfah- rung hinaus, voͤllig aufzugeben oder dieſe critiſche Un- terſuchung zur Vollkommenheit zu bringen. Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter Muͤhe begreiflich machen koͤnnen, wie dieſe als Erkentniſſe a priori ſich gleichwol auf Gegenſtaͤn- de nothwendig beziehen muͤſſen, und eine ſynthetiſche Er- kentniß derſelben, unabhaͤngig von aller Erfahrung, moͤg- lich macheten. Denn da nur vermittelſt ſolcher reinen For- men der Sinnlichkeit uns ein Gegenſtand erſcheinen, d. i. ein Obiect der empiriſchen Anſchauung ſeyn kan, ſo ſind Raum und Zeit reine Anſchauungen, welche die Bedingung der Moͤglichkeit der Gegenſtaͤnde als Erſcheinungen a priori enthalten, und die Syntheſis in denſelben hat obiective Guͤltigkeit. Die Categorien des Verſtandes dagegen ſtellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenſtaͤnde in der Anſchauung gegeben werden, mithin koͤnnen uns al- lerdings Gegenſtaͤnde erſcheinen, ohne daß ſie ſich nothwen- dig auf Functionen des Verſtandes beziehen muͤſſen, und dieſer alſo die Bedingungen derſelben a priori enthielte. Daher zeigt ſich hier eine Schwierigkeit, die wir im Felde der Sinnlichkeit nicht antrafen, wie nemlich ſubiective Bedingungen des Denkens ſollten obiective Guͤltigkeit haben, d. i. Bedingungen der Moͤglichkeit aller Erkentniß der F 5 [90/0120] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. der Gegenſtaͤnde abgeben: denn ohne Functionen des Ver- ſtandes koͤnnen allerdings Erſcheinungen in der Anſchauung gegeben werden. Ich nehme z. V. den Begriff der Urſache, welcher eine beſondere Art der Syntheſis bedeutet, da auf et- was A was ganz verſchiedenes B nach einer Regel geſezt wird. Es iſt a priori nicht klar, warum Erſcheinungen etwas dergleichen enthalten ſollten, (denn Erfahrungen kan man nicht zum Beweiſe anfuͤhren, weil die obiective Guͤltigkeit dieſes Begriffs a priori muß dargethan werden koͤnnen) und es iſt daher a priori zweifelhaft, ob ein ſolcher Be- griff nicht etwa gar leer ſey und uͤberall unter den Erſchei- nungen keinen Gegenſtand antreffe. Denn daß Gegen- ſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung denen im Gemuͤth a priori liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit gemaͤß ſeyn muͤſſen, iſt daraus klar, weil ſie ſonſt nicht Gegen- ſtaͤnde vor uns ſeyn wuͤrden; daß ſie aber auch uͤberdem den Bedingungen, deren der Verſtand zur ſynthetiſchen Einſicht des Denkens bedarf, gemaͤß ſeyn muͤſſen, davon iſt die Schlußfolge nicht ſo leicht einzuſehen. Denn es koͤn- ten wol allenfals Erſcheinungen ſo beſchaffen ſeyn, daß der Verſtand ſie den Bedingungen ſeiner Einheit gar nicht gemaͤß faͤnde, und alles ſo in Verwirrung laͤge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erſcheinungen ſich nichts dar- boͤte, was eine Regel der Syntheſis an die Hand gaͤbe, und alſo dem Begriffe der Urſache und Wirkung entſpraͤche, ſo daß dieſer Begriff alſo ganz leer, nichtig und ohne Be- deutung waͤre. Erſcheinungen wuͤrden nichts deſtoweniger unſe- [91/0121] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. unſerer Anſchauung Gegenſtaͤnde darbiethen, denn die An- ſchauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine Weiſe. Gedaͤchte man ſich von der Muͤhſamkeit dieſer Unter- ſuchungen dadurch loszuwickeln, daß man ſagte: Die Erfahrung boͤte unablaͤßig Beyſpiele einer ſolchen Regel- maͤßigkeit der Erſcheinungen dar, die genugſam Anlaß ge- ben, den Begriff der Urſache davon abzuſondern, und da- durch zugleich die obiective Guͤltigkeit eines ſolchen Begriffs zu bewaͤhren, ſo bemerkt man nicht, daß auf dieſe Weiſe der Begriff der Urſache gar nicht entſpringen kan, ſondern daß er entweder voͤllig a priori im Verſtande muͤſſe ge- gruͤndet ſeyn, oder als ein bloſſes Hirngeſpinſt gaͤnzlich aufgegeben werden muͤſſe. Denn dieſer Begriff erfordert durchaus, daß etwas A von der Art ſey, daß ein anderes B daraus nothwendig und nach einer ſchlechthin allge- meinen Regel folge. Erſcheinungen geben gar wol Faͤlle an die Hand, aus denen eine Regel moͤglich iſt, nach der etwas gewoͤhnlicher maſſen geſchieht, aber niemals, daß der Erfolg nothwendig ſey: daher der Syntheſis der Ur- ſache und Wirkung auch eine Dignitaͤt anhaͤngt, die man gar nicht empiriſch ausdruͤcken kan, nemlich, daß die Wirkung nicht blos zu der Urſache hinzu komme, ſondern durch dieſelbe geſezt ſey, und aus ihr erfolge. Die ſtren- ge Allgemeinheit der Regel iſt auch gar keine Eigenſchaft empiriſcher Regeln, die durch Induction keine andere als com- [92/0122] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. comparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete Brauchbar- keit bekommen koͤnnen. Nun wuͤrde ſich aber der Gebrauch der reinen Verſtaͤndesbegriffe gaͤnzlich aͤndern, wenn man ſie nur als empiriſche Producte behandeln wollte. Uebergang zur Transſc. Deduction der Categorien. Es ſind nur zwey Faͤlle moͤglich, unter denen ſyntheti- ſche Vorſtellung und ihre Gegenſtaͤnde zuſammentreffen, ſich auf einander nothwendiger Weiſe beziehen, und gleich- ſam einander begegnen koͤnnen. Entweder wenn der Ge- genſtand die Vorſtellung, oder dieſe den Gegenſtand allein moͤglich macht. Iſt das erſtere, ſo iſt dieſe Beziehung nur empiriſch, und die Vorſtellung iſt niemals a priori moͤglich. Und dies iſt der Fall mit Erſcheinung, in An- ſehung deſſen, was an ihnen zur Empfindung gehoͤrt. Iſt aber das zweyte, weil Vorſtellung an ſich ſelbſt (denn von deſſen Cauſſalitaͤt, vermittelſt des Willens, iſt hier gar nicht die Rede,) ihren Gegenſtand dem Daſeyn nach nicht her- vorbringt, ſo iſt doch die Vorſtellung in Anſehung des Ge- genſtandes alsdenn a priori beſtimmend, wenn durch ſie allein es moͤglich iſt, etwas als einen Gegenſtand zu erkennen. Es ſind aber zwey Bedingungen, unter denen allein die Erkentniß eines Gegenſtandes moͤglich iſt, erſtlich, Anſchauung, dadurch derſelbe, aber nur als Erſcheinung, gegeben wird: zweytens, Begriff, dadurch ein Gegen- ſtand [93/0123] I. Abſch. Von den Princip. einer Transſc. Deduct. ſtand gedacht wird, der dieſer Anſchauung entſpricht. Es iſt aber aus dem obigen klar, daß die erſte Bedingung, nemlich die, unter der allein Gegenſtaͤnde angeſchaut wer- den koͤnnen, in der That den Obiecten der Form nach a priori im Gemuͤth zum Grunde liegen. Mit dieſer for- malen Bedingung der Sinnlichkeit ſtimmen alſo alle Er- ſcheinungen nothwendig uͤberein, weil ſie nur durch die- ſelbe erſcheinen, d. i. empiriſch angeſchauet und gegeben wer- den koͤnnen. Nun fraͤgt es ſich, ob nicht auch Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenn gleich nicht angeſchauet, dennoch als Gegenſtand uͤberhaupt gedacht wird, denn alsdenn iſt alle empiriſche Erkentniß der Gegenſtaͤnde ſolchen Begriffen nothwendi- ger Weiſe gemaͤß, weil, ohne deren Vorausſetzung, nichts als Obiect der Erfahrung moͤglich iſt. Nun enthaͤlt aber alle Erfahrung auſſer der Anſchauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einen Begriff von einem Ge- genſtande, der in der Anſchauung gegeben wird, oder er- ſcheint: demnach werden Begriffe von Gegenſtaͤnden uͤber- haupt, als Bedingungen a priori aller Erfahrungserkent- niß zum Grunde liegen: folglich wird die obiective Guͤl- tigkeit der Categorien, als Begriffe a priori, darauf be- ruhen, daß durch ſie allein Erfahrung, (der Form des Denkens nach) moͤglich ſey. Denn alsdenn beziehen ſie ſich nothwendiger Weiſe und a priori auf Gegenſtaͤnde der Erfahrung, weil nur vermittelſt ihrer uͤberhaupt irgend ein Gegenſtand der Erfahrung gedacht werden kan. Die [94/0124] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Die transſc. Deduction aller Begriffe a priori hat alſo ein Principium, worauf die ganze Nachforſchung ge- richtet werden muß, nemlich dieſes: daß ſie als Bedingun- gen a priori der Moͤglichkeit der Erfahrungen erkant wer- den muͤſſen (es ſey der Anſchauung, die in ihr angetrof- fen wird, oder des Denkens). Begriffe, die den obiecti- ven Grund der Moͤglichkeit der Erfahrung abgeben, ſind eben darum nothwendig. Die Entwickelung der Er- fahrung aber, worinn ſie angetroffen werden, iſt nicht ihre Deduction, (ſondern Illuſtration) weil ſie dabey doch nur zufaͤllig ſeyn wuͤrden. Ohne dieſe urſpruͤngliche Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, in welcher alle Gegenſtaͤnde der Erkentniß vorkommen, wuͤrde die Beziehung derſelben auf irgend ein Obiect gar nicht begriffen werden koͤnnen. Es ſind aber drey urſpruͤngliche Quellen, (Faͤhigkei- ten oder Vermoͤgen der Seele) die die Bedingungen der Moͤglichkeit aller Erfahrung enthalten, und ſelbſt aus kei- nem andern Vermoͤgen des Gemuͤths abgeleitet werden koͤnnen, nemlich, Sinn, Einbildungskraft, und Apper- ception. Darauf gruͤndet ſich 1) die Synopſis des Man- nigfaltigen a priori durch den Sinn; 2) die Syntheſis dieſes Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft: endlich 3) die Einheit dieſer Syntheſis durch urſpruͤngliche Ap- perception. Alle dieſe Vermoͤgen haben, auſſer dem em- piriſchen Gebrauch, noch einen transſc., der lediglich auf die Form geht, und a priori moͤglich iſt. Von dieſem haben wir in Anſehung der Sinne oben im erſten Theile geredet, [95/0125] II. Abſch. Princip. der Moͤglichkeit der Erfahr. geredet, die zwey andre aber wollen wir ietzt ihrer Natur nach einzuſehen trachten. Der Deduction der reinen Verſtandesbegriffe Zweiter Abſchnitt. Von den Gruͤnden a priori zur Moͤglichkeit der Erfahrung. Daß ein Begriff voͤllig a priori erzeugt werden, und ſich auf einen Gegenſtand beziehen ſolle, obgleich er weder ſelbſt in den Begriff moͤglicher Erfahrung gehoͤ- ret, noch aus Elementen einer moͤglichen Erfahrung be- ſteht, iſt gaͤnzlich widerſprechend und unmoͤglich. Denn er wuͤrde alsdenn keinen Inhalt haben, darum, weil ihm keine Anſchauung correſpondirte, indem Anſchauungen uͤber- haupt, wodurch uns Gegenſtaͤnde gegeben werden koͤnnen, das Feld, oder den geſamten Gegenſtand moͤglicher Er- fahrung ausmachen. Ein Begriff a priori, der ſich nicht auf dieſe bezoͤge, wuͤrde nur die logiſche Form zu einem Begriff, aber nicht der Begriff ſelbſt ſeyn, wodurch etwas gedacht wuͤrde. Wenn es alſo reine Begriffe a priori giebt, ſo koͤn- nen dieſe zwar freilich nichts Empiriſches enthalten: ſie muͤſſen aber gleichwol lauter Bedingungen a priori zu ei- ner moͤglichen Erfahrung ſeyn, als worauf allein ihre ob- iective Realitaͤt beruhen kan. Will man daher wiſſen, wie reine Verſtandesbegriffe moͤglich ſeyn, ſo muß man unterſuchen, welches die Be- din- [96/0126] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. dingungen a priori ſeyn, worauf die Moͤglichkeit der Er- fahrung ankomt, und die ihr zum Grunde liegen, wenn man gleich von allem Empiriſchen der Erſcheinungen ab- ſtrahiret. Ein Begriff, der dieſe formale und obiective Bedingung der Erfahrung allgemein und zureichend aus- druͤckt, wuͤrde ein reiner Verſtandesbegriff heiſſen. Habe ich einmal reine Verſtandesbegriffe, ſo kan ich auch wohl Gegenſtaͤnde erdenken, die vielleicht unmoͤglich, vielleicht zwar an ſich moͤglich, aber in keiner Erfahrung gegeben werden koͤnnen, indem in der Verknuͤpfung iener Begriffe etwas weggelaſſen ſeyn kan, was doch zur Bedingung einer moͤglichen Erfahrung nothwendig gehoͤret, (Begriff eines Geiſtes) oder etwa reine Verſtandesbegriffe weiter aus- gedehnet werden, als Erfahrung faſſen kan (Begriff von Gott). Die Elemente aber zu allen Erkentniſſen a priori ſelbſt zu willkuͤhrlichen und ungereimten Erdichtungen koͤn- nen zwar nicht von der Erfahrung entlehnt ſeyn, (denn ſonſt waͤren ſie nicht Erkentniſſe a priori) ſie muͤſſen aber iederzeit die reine Bedingungen a priori einer moͤglichen Erfahrung und eines Gegenſtandes derſelben enthalten, denn ſonſt wuͤrde nicht allein durch ſie gar nichts gedacht werden, ſondern ſie ſelber wuͤrden ohne Data auch nicht einmal im Denken entſtehen koͤnnen. Dieſe Begriffe nun, welche a priori das reine Den- ken bey ieder Erfahrung enthalten, finden wir an den Categorien, und es iſt ſchon eine hinreichende Deduction derſelben, und Rechtfertigung ihrer obiectiven Guͤltigkeit, wenn [97/0127] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. wenn wir beweiſen koͤnnen: daß vermittelſt ihrer allein ein Gegenſtand gedacht werden kan. Weil aber in einem ſolchen Gedanken mehr als das einzige Vermoͤgen zu den- ken, nemlich der Verſtand beſchaͤftiget iſt, und dieſer ſelbſt, als ein Erkentnißvermoͤgen, das ſich auf Obiecte beziehen ſoll, eben ſo wol einer Erlaͤuterung, wegen der Moͤglich- keit dieſer Beziehung, bedarf: ſo muͤſſen wir die ſubiective Quellen, welche die Grundlage a priori zu der Moͤglich- keit der Erfahrung ausmachen, nicht nach ihrer empiri- ſchen, ſondern transſcendentalen Beſchaffenheit zuvor er- wegen. Wenn eine iede einzelne Vorſtellung der andern ganz fremd, gleichſam iſolirt, und von dieſer getrent waͤre, ſo wuͤrde niemals ſo etwas, als Erkentniß iſt, entſpringen, welche ein Ganzes verglichener und verknuͤpfter Vorſtel- lungen iſt. Wenn ich alſo dem Sinne deswegen, weil er in ſeiner Anſchauung Mannigfaltigkeit enthaͤlt, eine Sy- nopſis beylege, ſo correſpondirt dieſer iederzeit eine Syn- theſis und die Receptivitaͤt kan nur mit Spontaneitaͤt verbunden Erkentniſſe moͤglich machen. Dieſe iſt nun der Grund einer dreyfachen Syntheſis, die nothwendiger Wei- ſe in allem Erkentniß vorkommt: nemlich, der Appre- henſion der Vorſtellungen, als Modificationen des Gemuͤths in der Anſchauung, der Reproduction derſelben in der Ein- bildung und, ihrer Recognition im Begriffe. Dieſe ge- ben nun eine Leitung auf drey ſubiective Erkentnißquellen, welche ſelbſt den Verſtand und, durch dieſen, alle Er- fah- G [98/0128] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. fahrung, als ein empiriſches Product des Verſtandes moͤg- lich machen. Vorlaͤufige Erinnerung. Die Deduction der Categorien iſt mit ſo viel Schwie- rigkeiten verbunden, und noͤthigt, ſo tief in die erſte Gruͤn- de der Moͤglichkeit unſrer Erkentniß uͤberhaupt einzudrin- gen, daß ich, um die Weitlaͤuftigkeit einer vollſtaͤndigen Theorie zu vermeiden, und dennoch, bey einer ſo noth- wendigen Unterſuchung, nichts zu verſaͤumen, es rathſa- mer gefunden habe, durch folgende vier Nummern den Leſer mehr vorzubereiten, als zu unterrichten; und im naͤchſtfolgenden dritten Abſchnitte, die Eroͤrterung dieſer Elemente des Verſtandes allererſt ſyſtematiſch vorzuſtellen. Um deswillen wird ſich der Leſer bis dahin die Dunkelheit nicht abwendig machen laſſen, die auf einem Wege, der noch ganz unbetreten iſt, anfaͤnglich unvermeidlich iſt, ſich aber, wie ich hoffe, in gedachtem Abſchnitte zur vollſtaͤn- digen Einſicht aufklaͤren ſoll. 1. Von der Syntheſis der Apprehenſion in der Anſchauung. Unſere Vorſtellungen moͤgen entſpringen, woher ſie wollen, ob ſie durch den Einfluß aͤuſſerer Dinge, oder durch innere Urſachen gewirkt ſeyn, ſie moͤgen a priori, oder empiriſch als Erſcheinungen entſtanden ſeyn; ſo gehoͤren ſie [99/0129] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. ſie doch als Modificationen des Gemuͤths zum innern Sinn, und als ſolche ſind alle unſere Erkentniſſe zulezt doch der formalen Bedingung des innern Sinnes, nemlich der Zeit unterworfen, als in welcher ſie insgeſamt geordnet, ver- knuͤpft und in Verhaͤltniſſe gebracht werden muͤſſen. Die- ſes iſt eine allgemeine Anmerkung, die man bey dem fol- genden durchaus zum Grunde legen muß. Jede Anſchauung enthaͤlt ein Mannigfaltiges in ſich, welches doch nicht als ein ſolches vorgeſtellt werden wuͤrde, wenn das Gemuͤth nicht die Zeit, in der Folge der Eindruͤcke auf einander unterſchiede: denn als in einem Augenblik ent- halten, kan iede Vorſtellung niemals etwas anderes, als abſolute Einheit ſeyn. Damit nun aus dieſem Mannig- faltigen Einheit der Anſchauung werde, (wie etwa in der Vorſtellung des Raumes) ſo iſt erſtlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und denn die Zuſammennehmung deſ- ſelben nothwendig, welche Handlung ich die Synthe- ſis der Apprehenſion nenne, weil ſie gerade zu auf die Anſchauung gerichtet iſt, die zwar ein Mannigfaltiges dar- bietet, dieſes aber als ein ſolches, und zwar in einer Vor- ſtellung enthalten, niemals ohne eine dabey vorkommende Syntheſis bewirken kan. Dieſe Syntheſis der Apprehenſion muß nun auch a priori, d. i. in Anſehung der Vorſtellungen, die nicht em- piriſch ſeyn, ausgeuͤbet werden. Denn ohne ſie wuͤrden wir weder die Vorſtellungen des Raumes, noch der Zeit a priori haben koͤnnen: da dieſe nur durch die Syn- G 2 [100/0130] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Syntheſis des Mannigfaltigen, welches die Sinnlichkeit in ihrer urſpruͤnglichen Receptivitaͤt darbietet, erzeugt werden koͤnnen. Alſo haben wir eine reine Syntheſis der Apprehenſion. 2. Von der Syntheſis der Reproduction in der Einbildung. Es iſt zwar ein blos empiriſches Geſetz, nach wel- chem Vorſtellungen, die ſich oft gefolgt oder begleitet ha- ben, mit einander endlich vergeſellſchaften, und dadurch in eine Verknuͤpfung ſetzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenſtandes, eine dieſer Vorſtellungen einen Uebergang des Gemuͤths zu der andern, nach einer beſtaͤndigen Regel, hervorbringt. Dieſes Geſetz der Re- production ſezt aber voraus: daß die Erſcheinungen ſelbſt wirklich einer ſolchen Regel unterworfen ſeyn, und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorſtellungen eine, gewiſſen Regeln gemaͤſſe, Begleitung, oder Folge ſtatt finde; denn ohne das wuͤrde unſere empiriſche Einbildungskraft nie- mals etwas ihrem Vermoͤgen gemaͤſſes zu thun bekommen, alſo, wie ein todtes und uns ſelbſt unbekantes Vermoͤgen im inneren des Gemuͤths verborgen bleiben. Wuͤrde der Zinnober bald roth, bald ſchwarz, bald leicht, bald ſchwer ſeyn, ein Menſch bald in dieſe, bald in iene thieri- ſche Geſtalt veraͤndert werden, am laͤngſten Tage bald das Land [101/0131] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. Land mit Fruͤchten, bald mit Eis und Schnee bedeckt ſeyn, ſo koͤnte meine empiriſche Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bey der Vorſtellung der rothen Farbe den ſchweren Zinnober in die Gedanken zu bekom- men, oder wuͤrde ein gewiſſes Wort bald dieſem, bald ie- nem Dinge beygeleget, oder auch eben daſſelbe Ding bald ſo bald anders benant, ohne daß hierin eine gewiſſe Re- gel, der die Erſcheinungen ſchon von ſelbſt unterworfen ſind, herrſchete, ſo koͤnte keine empiriſche Syntheſis der Repro- duction ſtatt finden. Es muß alſo etwas ſeyn, was ſelbſt dieſe Repro- duction der Erſcheinungen moͤglich macht, dadurch, daß es der Grund a priori einer nothwendigen ſynthetiſchen Ein- heit derſelben iſt. Hierauf aber komt man bald, wenn man ſich beſinnt, das Erſcheinungen nicht Dinge an ſich ſelbſt, ſondern das bloſſe Spiel unſerer Vorſtellungen ſind, die am Ende auf Beſtimmungen des inneren Sinnes aus- laufen. Wenn wir nun darthun koͤnnen, daß ſelbſt un- ſere reineſte Anſchauungen a priori keine Erkentniß ver- ſchaffen, auſſer, ſo fern ſie eine ſolche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgaͤngige Syn- theſis der Reproduction moͤglich macht, ſo iſt dieſe Syn- theſis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Principien a priori gegruͤndet, und man muß eine reine transſcendentale Syntheſis derſelben annehmen, die ſelbſt der Moͤglichkeit aller Erfahrung, (als welche die Repro- duci- G 3 [102/0132] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. ducibilitaͤt der Erſcheinungen nothwendig vorausſezt) zum Grunde liegt. Nun iſt offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder auch nur eine gewiſſe Zahl mir vorſtellen will, ich erſtlich nothwendig eine dieſer mannigfaltigen Vorſtel- lungen nach der andern in Gedanken faſſen muͤſſe. Wuͤr- de ich aber die vorhergehende (die erſte Theile der Linie, die vorhergehende Theile der Zeit, oder die nach einander vorgeſtellte Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren und ſie nicht reproduciren, indem ich zu den folgenden fortgehe, ſo wuͤrde niemals eine ganze Vorſtellung, und keiner aller vorgenanten Gedanken, ia gar nicht einmal die reineſte und erſte Grundvorſtellungen von Raum und Zeit entſpringen koͤnnen. Die Syntheſis der Apprehenſion iſt alſo mit der Syntheſis der Reproduction unzertrenlich verbunden. Und da iene den transſcendentalen Grund der Moͤglichkeit aller Erkentniſſe uͤberhaupt (nicht blos der empiriſchen, ſondern auch der reinen a priori) ausmacht, ſo gehoͤrt die reproductive Syntheſis der Einbildungskraft zu den transſcendentalen Handlungen des Gemuͤths und in Ruͤck- ſicht auf dieſelbe, wollen wir dieſes Vermoͤgen auch das transſcendentale Vermoͤgen der Einbildungskraft nennen. 3. Von [103/0133] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. 3. Von der Syntheſis der Recognition im Begriffe. Ohne Bewuſtſeyn, daß das, was wir denken, eben daſſelbe ſey, was wir einen Augenblick zuvor dachten, wuͤrde alle Reproduction in der Reihe der Vorſtellun- gen vergeblich ſeyn. Denn es waͤre eine neue Vorſtel- lung im ietzigen Zuſtande, die zu dem Actus, wodurch ſie nach und nach hat erzeugt werden ſollen, gar nicht gehoͤ- rete, und das Mannigfaltige derſelben wuͤrde immer kein Ganzes ausmachen, weil es der Einheit ermangelte, die ihm nur das Bewuſtſeyn verſchaffen kan. Vergeſſe ich im Zaͤhlen: daß die Einheiten, die mir iezt vor Sinnen ſchweben, nach und nach zu einander von mir hinzugethan worden ſind, ſo wuͤrde ich die Erzeugung der Menge, durch dieſe ſucceſſive Hinzuthuung von Einem zu Einem, mithin auch nicht die Zahl erkennen; denn dieſer Begriff be- ſteht lediglich in dem Bewuſtſeyn dieſer Einheit der Syn- theſis. Das Wort Begriff koͤnte uns ſchon von ſelbſt zu dieſer Bemerkung Anleitung geben. Denn dieſes eine Bewuſtſeyn iſt es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeſchaute, und denn auch Reproducirte, in eine Vor- ſtellung vereinigt. Dieſes Bewuſtſeyn kan oft nur ſchwach ſeyn, ſo daß wir es nur in der Wirkung, nicht aber in dem Actus ſelbſt, d. i. unmittelbar mit der Erzeugung der G 4 [104/0134] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II Hauptſt. der Vorſtellung verknuͤpfen: aber unerachtet dieſer Unter- ſchiede, muß doch immer ein Bewuſtſeyn angetroffen wer- den, wenn ihm gleich die hervorſtechende Klarheit man- gelt, un ohne daſſelbe ſind Begriffe, und mit ihnen Erkentniß von Gegenſtaͤnden ganz unmoͤglich. Und hier iſt es denn nothwendig, ſich daruͤber ver- ſtaͤndlich zu machen, was man denn unter dem Ausdruck eines Gegenſtandes der Vorſtellungen meine. Wir haben oben geſagt: daß Erſcheinungen ſelbſt nichts als ſinnliche Vorſtellungen ſind, die an ſich, in eben derſelben Art, nicht als Gegenſtaͤnde (auſſer der Vorſtellungskraft) muͤſſen an- geſehen werden. Was verſteht man denn, wenn man von einem der Erkenntniß correſpondirenden, mithin auch davon unterſchiedenen Gegenſtande redet? Es iſt leicht einzuſehen, daß dieſer Gegenſtand nur als etwas uͤberhaupt = X muͤſſe gedacht werden, weil wir auſſer unſerer Er- kentniß doch nichts haben, welches wir dieſer Erkentniß als correſpondirend gegen uͤber ſetzen koͤnten. Wir finden aber, daß unſer Gedanke von der Be- ziehung aller Erkentniß auf ihren Gegenſtand etwas von Nothwendigkeit bey ſich fuͤhre, da nemlich dieſer als dasie- nige angeſehen wird, was dawider iſt, daß unſere Er- kentniſſe nicht aufs Gerathewohl, oder beliebig, ſondern a priori auf gewiſſe Weiſe beſtimt ſeyn, weil, indem ſie ſich auf einen Gegenſtand beziehen ſollen, ſie auch nothwen- diger Weiſe in Beziehung auf dieſen unter einander uͤber- ein- [105/0135] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. einſtimmen, d. i. dieienige Einheit haben muͤſſen, welche den Begriff von einem Gegenſtande ausmacht. Es iſt aber klar, daß, da wir es nur mit dem Man- nigfaltigen unſerer Vorſtellungen zu thun haben, und ienes X, was ihnen correſpondirt (der Gegenſtand), weil er et- was von allen unſern Vorſtellungen unterſchiedenes ſeyn ſoll, vor uns nichts iſt, die Einheit, welche der Gegenſtand nothwendig macht, nichts anders ſeyn koͤnne, als die for- male Einheit des Bewuſtſeyns in der Syntheſis des Man- nigfaltigen der Vorſtellungen. Alsdenn ſagen wir: wir erkennen den Gegenſtand, wenn wir in dem Mannigfalti- gen der Anſchauung ſynthetiſche Einheit bewirkt haben. Dieſe iſt aber unmoͤglich, wenn die Anſchauung nicht durch eine ſolche Function der Syntheſis nach einer Regel hat hervorgebracht werden koͤnnen, welche die Reproduction des Mannigfaltigen a priori nothwendig und einen Be- griff, in welchem dieſes ſich vereinigt, moͤglich macht. So denken wir uns einen Triangel als Gegenſtand, indem wir uns der Zuſammenſetzung von drey geraden Linien nach einer Regel bewuſt ſind, nach welcher eine ſolche Anſchau- ung iederzeit dargeſtelt werden kan. Dieſe Einheit der Regel beſtimt nun alles Mannigfaltige, und ſchraͤnkt es auf Bedingungen ein, welche die Einheit der Apperception moͤglich machen, und der Begriff dieſer Einheit iſt die Vor- ſtellung vom Gegenſtande = X, den ich durch die gedach- te Praͤdicate eines Triangels denke. Alles G 5 [106/0136] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Alles Erkentniß erfordert einen Begriff, dieſer mag nun ſo unvollkommen, oder ſo dunkel ſeyn, wie er wolle: dieſer aber iſt ſeiner Form nach iederzeit etwas Allgemeines, und was zur Regel dient. So dient der Begriff vom Coͤr- per nach der Einheit des Mannigfaltigen, welches durch ihn gedacht wird, unſerer Erkentniß aͤuſſerer Erſcheinun- gen zur Regel. Eine Regel der Anſchauungen kan er aber nur dadurch ſeyn: daß er bey gegebenen Erſcheinungen die nothwendige Reproduction des Mannigfaltigen derſelben, mithin die ſynthetiſche Einheit in ihrem Bewuſtſeyn, vor- ſtellt. So macht der Begriff des Coͤrpers, bey der Wahrnehmung von Etwas auſſer uns, die Vorſtellung der Ausdehnung, und mit ihr die der Undurchdringlichkeit, der Geſtalt ꝛc. nothwendig. Aller Nothwendigkeit liegt iederzeit eine transſcenden- tale Bedingung zum Grunde. Alſo muß ein transſcendentaler Grund der Einheit des Bewuſtſeyns, in der Syntheſis des Mannigfaltigen aller unſerer Anſchauungen, mithin auch, der Begriffe der Obiecte uͤberhaupt, folglich auch aller Gegenſtaͤnde der Erfahrung, angetroffen werden, ohne welchen es unmoͤglich waͤre, zu unſern Anſchauungen ir- gend einen Gegenſtand zu denken: denn dieſer iſt nichts mehr, als das Etwas, davon der Begriff eine ſolche Noth- wendig der Syntheſis ausdrukt. Dieſe urſpruͤngliche und transſcendentale Bedingung iſt nun keine andere, als die transſcendentale Appercep- tion. [107/0137] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. tion. Das Bewuſtſeyn ſeiner ſelbſt, nach den Beſtim- mungen unſeres Zuſtandes, bey der innern Wahrnehmung iſt blos empiriſch, iederzeit wandelbar, es kan kein ſtehen- des oder bleibendes Selbſt in dieſem Fluſſe innrer Erſchei- nungen geben, und wird gewoͤhnlich der innre Sinn ge- nant, oder die empiriſche Apperception. Das was nothwendig als numeriſch identiſch vorgeſtellt werden ſoll, kan nicht als ein ſolches durch empiriſche Data gedacht wer- den. Es muß eine Bedingung ſeyn, die vor aller Er- fahrung vorhergeht, und dieſe ſelbſt moͤglich macht, wel- che eine ſolche transſcendentale Vorausſetzung geltend ma- chen ſoll. Nun koͤnnen keine Erkentniſſe in uns ſtatt finden, keine Verknuͤpfung und Einheit derſelben unter einander, ohne dieienige Einheit des Bewuſtſeyns, welche vor allen Datis der Anſchauungen vorhergeht, und, worauf in Be- ziehung, alle Vorſtellung von Gegenſtaͤnden allein moͤglich iſt. Dieſes reine urſpruͤngliche, unwandelbare Bewuſt- ſeyn will ich nun die transſcendentale Apperception nen- nen. Daß ſie dieſen Namen verdiene, erhellet ſchon dar- aus: daß ſelbſt die reineſte obiective Einheit, nemlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit) nur durch Bezie- hung der Anſchauungen auf ſie moͤglich ſeyn. Die nu- meriſche Einheit dieſer Apperception liegt alſo a priori allen Begriffen eben ſo wol zum Grunde, als die Man- nigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anſchauungen der Sinnlichkeit. Eben [108/0138] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Eben dieſe transſcendentale Einheit der Apperception macht aber aus allen moͤglichen Erſcheinungen, die im- mer in einer Erfahrung beyſammen ſeyn koͤnnen, einen Zuſammenhang aller dieſer Vorſtellungen nach Geſetzen. Denn dieſe Einheit des Bewuſtſeyns waͤre unmoͤglich, wenn nicht das Gemuͤth in der Erkentniß des Mannigfal- tigen ſich der Identitaͤt der Function bewuſt werden koͤnte, wodurch ſie daſſelbe ſynthetiſch in einer Erkentniß verbin- det. Alſo iſt das urſpruͤngliche und nothwendige Bewuſt- ſeyn der Identitaͤt ſeiner ſelbſt zugleich ein Bewuſtſeyn ei- ner eben ſo nothwendigen Einheit der Syntheſis aller Er- ſcheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die ſie nicht allein nothwendig reproducibel machen, ſondern da- durch auch ihrer Anſchauung einen Gegenſtand beſtim- men, d. i. den Begriff von Etwas, darin ſie nothwen- dig zuſammenhaͤngen: denn das Gemuͤth konte ſich un- moͤglich die Identitaͤt ſeiner ſelbſt in der Mannigfaltigkeit ſeiner Vorſtellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identitaͤt ſeiner Handlung vor Augen haͤtte, wel- che alle Syntheſis der Apprehenſion (die empiriſch iſt) ei- ner transſcendentalen Einheit unterwirſt, und ihren Zu- ſammenhang nach Regeln a priori zuerſt moͤglich macht. Nunmehro werden wir auch unſere Begriffe von einem Gegenſtande uͤberhaupt richtiger beſtimmen koͤnnen. Alle Vorſtellungen haben, als Vorſtellungen, ihren Gegenſtand, und koͤnnen ſelbſt wiederum Gegenſtaͤnde anderer Vorſtel- lungen ſeyn. Erſcheinungen ſind die einzigen Gegenſtaͤn- de, [109/0139] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. de, die uns unmittelbar gegeben werden koͤnnen, und das, was ſich darin unmittelbar auf den Gegenſtand bezieht, heißt Anſchauung. Nun ſind aber dieſe Erſcheinungen nicht Dinge an ſich ſelbſt, ſondern ſelbſt nur Vorſtellun- gen, die wiederum ihren Gegenſtand haben, der alſo von uns nicht mehr angeſchaut werden kan, und daher der nichtempiriſche, d. i. transſcendentale Gegenſtand = X genant werden mag. Der reine Begriff von dieſem transſcendentalen Ge- genſtande, (der wirklich bey allen unſern Erkentniſſen im- mer einerley = X iſt,) iſt das, was in allen unſern em- piriſchen Begriffen uͤberhaupt Beziehung auf einen Ge- genſtand, d. i. obiective Realitaͤt verſchaffen kan. Dieſer Begriff kan nun gar keine beſtimte Anſchauung enthal- ten, und wird alſo nichts anders, als dieienige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkentniß an- getroffen werden muß, ſo fern es in Beziehung auf einen Gegenſtand ſteht. Dieſe Beziehung aber iſt nichts an- ders, als die nothwendige Einheit des Bewuſtſeyns, mit- hin auch der Syntheſis des Mannigfaltigen durch gemein- ſchaftliche Function des Gemuͤths, es in einer Vorſtellung zu verbinden. Da nun dieſe Einheit als a priori noth- wendig angeſehen werden muß, (weil die Erkentniß ſonſt ohne Gegenſtand ſeyn wuͤrde) ſo wird die Beziehung auf einen transſcendentalen Gegenſtand d. i. die obiective Rea- litaͤt unſerer empiriſchen Erkentniß, auf dem transſcenden- talen [110/0140] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. talen Geſetze beruhen, daß alle Erſcheinungen, ſo fern uns dadurch Gegenſtaͤnde gegeben werden ſollen, unter Regeln a priori der ſynthetiſchen Einheit derſelben ſtehen muͤſſen, nach welchen ihr Verhaͤltniß in der empiriſchen Anſchauung allein moͤglich iſt, d. i. daß ſie eben ſowol in der Erfahrung unter Bedingungen der nothwendigen Ein- heit der Apperception, als in der bloſſen Anſchauung unter den formalen Bedingungen des Raumes und der Zeit ſte- hen muͤſſen, ia daß durch iene iede Erkentniß allererſt moͤglich werde. 4. Vorlaͤufige Erklaͤrung der Moͤglichkeit der Categorien, als Erkentniſſen a priori. Es iſt nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrneh- mungen als im durchgaͤngigen und geſetzmaͤßigen Zuſam- menhange vorgeſtellet werden: eben ſo, wie nur ein Raum und Zeit iſt, in welcher alle Formen der Erſcheinung und alles Verhaͤltniß des Seyns oder Nichtſeyns ſtatt finden. Wenn man von verſchiedenen Erfahrungen ſpricht, ſo ſind es nur ſo viel Wahrnehmungen, ſo fern ſolche zu einer und derſelben allgemeinen Erfahrung gehoͤren. Die durchgaͤngi- ge und ſynthetiſche Einheit der Wahrnehmungen macht nem- lich gerade die Form der Erfahrung aus und ſie iſt nichts anders, als die ſynthetiſche Einheit der Erſcheinungen nach Begriffen. Ein- [111/0141] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. Einheit der Syntheſis nach empiriſchen Begriffen wuͤrde ganz zufaͤllig ſeyn und, gruͤndeten dieſe ſich nicht auf einen transſcendentalen Grund der Einheit, ſo wuͤrde es moͤglich ſeyn, daß ein Gewuͤhle von Erſcheinungen un- ſere Seele anfuͤllete, ohne daß doch daraus iemals Erfah- rung werden koͤnte. Alsdenn fiele aber auch alle Bezie- hung der Erkentniß auf Gegenſtaͤnde weg, weil ihr die Verknuͤpfung nach allgemeinen und nothwendigen Geſetzen mangelte, mithin wuͤrde ſie zwar gedankenloſe Anſchauung, aber niemals Erkentniß, alſo fuͤr uns ſo viel als gar nichts ſeyn. Die Bedingungen a priori einer moͤglichen Erfah- rung uͤberhaupt ſind zugleich Bedingungen der Moͤglichkeit der Gegenſtaͤnde der Erfahrung. Nun behaupte ich: die eben angefuͤhrte Categorien ſind nichts anders, als die Bedingungen des Denkens in einer moͤglichen Erfah- rung, ſo wie Raum und Zeit die Bedingungen der An- ſchauung zu eben derſelben enthalten. Alſo ſind iene auch Grundbegriffe, Obiecte uͤberhaupt zu den Erſcheinungen zu denken, und haben alſo a priori obiective Guͤltigkeit; welches dasienige war, was wir eigentlich wiſſen wollten. Die Moͤglichkeit aber, ia ſo gar die Nothwendigkeit dieſer Categorien beruhet auf der Beziehung, welche die geſamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle moͤgliche Er- ſcheinungen, auf die urſpruͤngliche Apperception haben, in welcher alles nothwendig den Bedingungen der durch- gaͤngigen Einheit des Selbſtbewuſtſeyns gemaͤß ſeyn, d. i. unter [112/0142] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. unter allgemeinen Functionen der Syntheſis ſtehen muß, nemlich der Syntheſis nach Begriffen, als worin die Ap- perception allein ihre durchgaͤngige und nothwendige Iden- titaͤt a priori beweiſen kan. So iſt der Begriff einer Urſache nichts anders, als eine Syntheſis (deſſen, was in der Zeitreihe folgt, mit andern Erſcheinungen,) nach Begriffen, und ohne dergleichen Einheit, die ihre Regel a priori hat, und die Erſcheinungen ſich unterwirft, wuͤr- de durchgaͤngige und allgemeine, mithin nothwendige Ein- heit des Bewuſtſeyns, in dem Mannigfaltigen der War- nehmungen, nicht angetroffen werden. Dieſe wuͤrden aber alsdenn auch zu keiner Erfahrung gehoͤren, folglich ohne Obiect, und nichts als ein blindes Spiel der Vorſtel- lungen, d. i. weniger, als ein Traum ſeyn. Alle Verſuche, iene reine Verſtandesbegriffe von der Erfahrung abzuleiten, und ihnen einen blos empiriſchen Urſprung zuzuſchreiben, ſind alſo ganz eitel und vergeb- lich. Ich will davon nichts erwehnen, daß z. E. der Be- griff einer Urſache den Zug von Nothwendigkeit bey ſich fuͤhrt, welche gar keine Erfahrung geben kan, die uns zwar lehrt: daß auf eine Erſcheinung gewoͤhnlicher Maaſ- ſen etwas Andres folge, aber nicht, daß es nothwendig darauf folgen muͤſſe, noch daß a priori und ganz allge- mein daraus als einer Bedingung auf die Folge koͤnne ge- ſchloſſen werden. Aber iene empiriſche Regel der Aſſo- ciation, die man doch durchgaͤngig annehmen muß, wenn man ſagt: daß alles in der Reihenfolge der Begeben- heiten [113/0143] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. heiten dermaſſen unter Regeln ſtehe, daß niemals etwas geſchieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es iederzeit folge: dieſes, als ein Geſetz der Natur, wor- auf beruht es, frage ich? und wie iſt ſelbſt dieſe Aſſocia- tion moͤglich? Der Grund der Moͤglichkeit der Aſſociation des Mannigfaltigen, ſo fern es im Obiecte liegt, heißt die Affinitaͤt des Mannigfaltigen. Ich frage alſo, wie macht ihr euch die durchgaͤngige Affinitaͤt der Erſcheinungen, (da- durch ſie unter beſtaͤndigen Geſetzen ſtehen, und darunter gehoͤren muͤſſen.) begreiflich? Nach meinen Grundſaͤtzen iſt ſie ſehr wol begreiflich. Alle moͤgliche Erſcheinungen gehoͤren, als Vorſtellungen, zu dem ganzen moͤglichen Selbſtbewuſtſeyn. Von dieſem aber, als einer transſcendentalen Vorſtellung, iſt die nu- meriſche Identitaͤt unzertrenlich, und a priori gewiß, weil nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelſt die- ſer urſpruͤnglichen Apperception. Da nun dieſe Identitaͤt nothwendig in der Syntheſis alles Mannigfaltigen der Er- ſcheinungen, ſo fern ſie empiriſche Erkentniß werden ſoll, hinein kommen muß, ſo ſind die Erſcheinungen Bedingun- gen a priori unterworfen, welchen ihre Syntheſis (der Apprehenſion) durchgaͤngig gemaͤs ſeyn muß. Nun heißt aber die Vorſtellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewiſſes Mannigfaltige, (mithin auf einerley Art) geſezt werden kan, eine Regel, und wenn es ſo geſezt werden muß, ein Geſetz. Alſo ſtehen alle Erſchei- nungen in einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung nach noth- wen- H [114/0144] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. wendigen Geſetzen, und mithin in einer transſcendentalen Affinitaͤt, woraus die empiriſche die bloſſe Folge iſt. Daß die Natur ſich nach unſerm ſubiectiven Grunde der Apperception richten, ia gar davon in Anſehung ihrer Geſetzmaͤſſigkeit abhangen ſolle, lautet wol ſehr wi- derſinniſch und befremdlich. Bedenket man aber, daß dieſe Natur an ſich nichts als ein Inbegriff von Erſchei- nungen, mithin kein Ding an ſich, ſondern blos eine Men- ge von Vorſtellungen des Gemuͤths ſey, ſo wird man ſich nicht wundern, ſie blos in dem Radicalvermoͤgen aller unſrer Erkentniß, nemlich der transſcendentalen Apper- ception, in derienigen Einheit zu ſehen, um deren willen allein ſie Obiect aller moͤglichen Erfahrung, d. i. Natur heiſſen kan; und daß wir auch eben darum dieſe Einheit a priori, mithin auch als nothwendig erkennen koͤnnen, wel- ches wir wol muͤſten unterwegens laſſen, waͤre ſie unabhaͤngig von den erſten Quellen unſeres Denkens an ſich gegeben. Denn da wuͤſte ich nicht, wo wir die ſynthetiſche Saͤtze einer ſolchen allgemeinen Natureinheit hernehmen ſollten, weil man ſie auf ſolchen Fall von den Gegenſtaͤnden der Natur ſelbſt entlehnen muͤßte. Da dieſes aber nur empi- riſch geſchehen koͤnte: ſo wuͤrde daraus keine andere, als blos zufaͤllige Einheit gezogen werden koͤnnen, die aber bey weitem an den nothwendigen Zuſammenhang nicht reicht, den man meint, wenn man Natur nennt Der [115/0145] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. Der Deduction der reinen Verſtandesbegriffe Dritter Abſchnitt. Von dem Verhaͤltniſſe des Verſtandes zu Gegenſtaͤnden uͤberhaupt und der Moͤglichkeit dieſe a priori zu erkennen. Was wir im vorigen Abſchnitte abgeſondert und einzeln vortrugen, wollen wir iezt vereinigt und im Zu- ſammenhange vorſtellen. Es ſind drey ſubiective Erkent- nißquellen, worauf die Moͤglichkeit einer Erfahrung uͤber- haupt, und Erkentniß der Gegenſtaͤnde derſelben beruht: Sinn, Einbildungskraft und Apperception; iede der- ſelben kan als empiriſch, nemlich in der Anwendung auf gegebene Erſcheinungen betrachtet werden, alle aber ſind auch Elemente oder Grundlagen a priori, welche ſelbſt dieſen empiriſchen Gebrauch moͤglich machen. Der Sinn ſtellt die Erſcheinungen empiriſch in der Wahrnehmung vor, die Einbildungskraft in der Aſſociation (und Reproduction), die Apperception in dem empiriſchen Bewuſtſeyn der Iden- titaͤt dieſer reproductiven Vorſtellungen mit den Erſchei- nungen, dadurch ſie gegeben waren, mithin in der Re- cognition. Es liegt aber der ſaͤmtlichen Wahrnehmung die reine Anſchauung (in Anſehung ihrer als Vorſtellung die Form der inneren Anſchauung, die Zeit,) der Aſſociation die rei- H 2 [116/0146] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. reine Syntheſis der Einbildungskraft, und dem empiri- ſchen Bewuſtſeyn die reine Apperception, d. i. die durch- gaͤngige Identitaͤt ſeiner ſelbſt bey allen moͤglichen Vorſtel- lungen, a priori zum Grunde. Wollen wir nun den innern Grund dieſer Verknuͤp- fung der Vorſtellungen bis auf denienigen Punct verfolgen, in welchem ſie alle zuſammenlaufen muͤſſen, um darin allererſt Einheit der Erkentniß zu einer moͤglichen Erfah- rung zu bekommen, ſo muͤſſen wir von der reinen Apper- ception anfangen. Alle Anſchauungen ſind vor uns nichts, und gehen uns nicht im mindeſten etwas an, wenn ſie nicht ins Bewuſtſeyn aufgenommen werden koͤnnen, ſie moͤgen nun direct oder indirect, darauf einflieſſen, und nur durch dieſes allein iſt Erkentniß moͤglich. Wir ſind uns a priori der durchgaͤngigen Identitaͤt unſerer ſelbſt in Anſehung aller Vorſtellungen, die zu unſerem Erkentniß iemals gehoͤren koͤnnen, bewuſt, als einer nothwendigen Bedingung der Moͤglichkeit aller Vorſtellungen, (weil dieſe in mir doch nur dadurch etwas vorſtellen, daß ſie mit allem andern zu einem Bewuſtſeyn gehoͤren, mithin darin wenigſtens muͤſſen verknuͤpft werden koͤnnen). Dies Princip ſteht a priori feſt, und kan das transſcendentale Princip der Einheit alles Mannigfaltigen unſerer Vor- ſtellungen (mithin auch in der Anſchauung), heiſſen. Nun iſt die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subiect ſynthetiſch: alſo giebt die reine Apperception ein Princi- pium [117/0147] III. Abſch. Vom Verh. d. Verft. zu Gegenſt. ꝛc. pium der ſynthetiſchen Einheit des Mannigfaltigen in aller moͤglichen Anſchauung an die Hand. *) Dieſe *) Man gebe auf dieſen Satz wol acht, der von groſſer Wichtigkeit iſt. Alle Vorſtellungen haben eine nothwen- dige Beziehung auf ein moͤgliches empiriſches Bewuſt- ſeyn: denn haͤtten ſie dieſes nicht, und waͤre es gaͤnzlich unmoͤglich, ſich ihrer bewuſt zu werden; ſo wuͤrde das ſo viel ſagen, ſie exiſtirten gar nicht. Alles empiriſche Bewuſt- ſeyn hat aber eine nothwendige Beziehung auf ein trans- ſcendentales (vor aller beſondern Erfahrung vorhergehen- des) Bewuſtſeyn, nemlich das Bewuſtſeyn meiner Selbſt, als die urſpruͤngliche Apperception. Es iſt alſo ſchlecht- hin nothwendig, daß in meinem Erkentniſſe alles Be- wuſtſeyn zu einem Bewuſtſeyn (meiner Selbſt) gehoͤre. Hier iſt nun eine ſynthetiſche Einheit des Mannigfal- tigen, (Bewuſtſeyns) die a priori erkant wird, und ge- rade ſo den Grund zu ſynthetiſchen Saͤtzen a priori, die das reine Denken betreffen, als Raum und Zeit zu ſol- chen Saͤtzen, die die Form der bloſſen Anſchauung an- gehen, abgiebt. Der ſynthetiſche Satz: daß alles ver- ſchiedene empiriſche Bewuſtſeyn in einem einigen Selbſt- bewuſtſeyn verbunden ſeyn muͤſſe, iſt der ſchlechthin erſte und ſynthetiſche Grundſatz unſeres Denkens uͤberhaupt. Es iſt aber nicht aus der Acht zu laſſen, daß die bloſſe Vor- ſtellung Ich in Beziehung auf alle andere (deren collec- tive Einheit ſie moͤglich macht) das transſendentale Be- wuſtſeyn ſey. Dieſe Vorſtellung mag nun klar (empiri- ſches Bewuſtſeyn) oder dunkel ſeyn, daran liegt hier nichts, ia nicht einmal an der Wirklichkeit deſſelben; ſondern die Moͤglichkeit der logiſchen Form alles Erkentniſſes beru- het nothwendig auf dem Verhaͤltniß zu dieſer Appercep- tion als einem Vermoͤgen. H 3 [118/0148] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Dieſe ſynthetiſche Einheit ſezt aber eine Syntheſis vor- aus, oder ſchließt ſie ein, und ſoll iene a priori nothwendig ſeyn, ſo muß leztere auch eine Syntheſis a priori ſeyn. Al- ſo beziehet ſich die transſc. Einheit der Apperception auf die reine Syntheſis der Einbildungskraft, als eine Bedingung a priori der Moͤglichkeit aller Zuſammenſetzung des Man- nigfaltigen in einer Erkentniß. Es kan aber nur die pro- ductive Syntheſis der Einbildungskraft a priori ſtatt finden; denn die reproductive beruht auf Bedingungen der Erfahrung. Alſo iſt das Principium der nothwendigen Einheit der reinen (productiven) Syntheſis der Einbildungs- kraft vor der Apperception der Grund der Moͤglichkeit aller Erkentniß, beſonders der Erfahrung. Nun nennen wir die Syntheſis des Mannigfaltigen in der Einbildungskraft transſcendental, wenn ohne Un- terſchied der Anſchauungen ſie auf nichts, als blos auf die Verbindung des Mannigfaltigen a priori geht, und die Einheit dieſer Syntheſis heißt transſcendental, wenn ſie in Beziehung auf die urſpruͤngliche Einheit der Apper- ception, als a priori nothwendig vorgeſtellt wird. Da dieſe leztere nun der Moͤglichkeit aller Erkentniſſe zum Grunde liegt, ſo iſt die transſcendentale Einheit der Syn- theſis der Einbildungskraft die reine Form aller moͤglichen Erkentniß, durch welche mithin alle Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung a priori vorgeſtellt werden muͤſſen. Die [119/0149] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. Die Einheit der Apperception in Beziehung auf die Syntheſis der Einbildungskraft iſt der Verſtand, und eben dieſelbe Einheit, beziehungsweiſe auf die trans- ſcendentale Syntheſis der Einbildungskraft, der reine Verſtand. Alſo ſind im Verſtande reine Erkentniſſe a priori, welche die nothwendige Einheit der reinen Syntheſis der Einbildungskraft, in Anſehung aller moͤg- lichen Erſcheinungen, enthalten. Dieſes ſind aber die Categorien, d. i. reine Verſtandesbegriffe, folglich ent- haͤlt die empiriſche Erkentnißkraft des Menſchen nothwen- dig einen Verſtand, der ſich auf alle Gegenſtaͤnde der Sinne, obgleich nur vermittelſt der Anſchauung, und der Synthe- ſis derſelben durch Einbildungskraft bezieht, unter wel- chen alſo alle Erſcheinungen, als Data zu einer moͤglichen Erfahrung ſtehen. Da nun dieſe Beziehung der Er- ſcheinungen auf moͤgliche Erfahrung ebenfals nothwendig iſt, (weil wir ohne dieſe gar keine Erkentniß durch ſie be- kommen wuͤrden, und ſie uns mithin gar nichts angingen) ſo folgt, daß der reine Verſtand, vermittelſt der Catego- rien, ein formales und ſynthetiſches Principium aller Er- fahrungen ſey, und die Erſcheinungen eine nothwendige Beziehung auf den Verſtand haben. Jezt wollen wir den nothwendigen Zuſammenhang des Verſtandes mit den Erſcheinungen vermittelſt der Cate- gorien dadurch vor Augen legen, daß wir von unten auf, nemlich dem Empiriſchen anfangen. Das erſte, was uns gege- H 4 [120/0150] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Haupſt. gegeben wird, iſt Erſcheinung, welche, wenn ſie mit Be- wuſtſeyn verbunden iſt, Wahrnehmung heißt, (ohne das Verhaͤltniß zu einem, wenigſtens moͤglichen Bewuſtſeyn, wuͤrde Erſcheinung vor uns niemals ein Gegenſtand der Erkentniß werden koͤnnen, und alſo vor uns nichts ſeyn, und weil ſie an ſich ſelbſt keine obiective Realitaͤt hat, und nur im Erkentniſſe exiſtirt, uͤberall nichts ſeyn.) Weil aber iede Erſcheinung ein Mannigfaltiges enthaͤlt, mithin verſchiedene Wahrnehmungen im Gemuͤthe an ſich zerſtreuet und einzeln angetroffen werden, ſo iſt eine Verbindung derſelben noͤthig, welche ſie in dem Sinne ſelbſt nicht ha- ben koͤnnen. Es iſt alſo in uns ein thaͤtiges Vermoͤgen der Syntheſis dieſes Mannigfaltigen, welches wir Einbildungs- kraft nennen und deren unmittelbar an den Wahrneh- mungen ausgeuͤbte Handlung ich Apprehenſion nenne *). Die Einbildungskraft ſoll nemlich das Mannigfaltige der Anſchauung in ein Bild bringen; vorher muß ſie alſo die Eindruͤcke in ihre Thaͤtigkeit aufnehmen, d. i. apprehendi- ren. Es *) Daß die Einbildungskraft ein nothwendiges Ingredienz der Wahrnehmung ſelbſt ſey, daran hat wol noch kein Pſychologe gedacht. Das komt daher, weil man dieſes Vermoͤgen theils nur auf Reproductionen einſchraͤnkte, theils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindruͤcke, ſondern ſezten ſolche auch ſo gar zuſam- men, und braͤchten Bilder der Gegenſtaͤnde zuwege, wozu ohne Zweifel auſſer der Empfaͤnglichkeit der Eindruͤcke, noch etwas mehr, nemlich eine Function der Syntheſis derſelben erfordert wird. [121/0151] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. Es iſt aber klar, daß ſelbſt dieſe Apprehenſion des Mannigfaltigen allein noch kein Bild und keinen Zuſam- menhang der Eindruͤcke hervorbringen wuͤrde, wenn nicht ein ſubiectiver Grund da waͤre, eine Wahrnehmung, von welcher das Gemuͤth zu einer andern uͤbergegangen, zu den nachfolgenden heruͤber zu rufen, und ſo ganze Reihen derſelben darzuſtellen, d. i. ein reproductives Vermoͤgen der Einbildungskraft, welches denn auch nur empiriſch iſt. Weil aber, wenn Vorſtellungen, ſo wie ſie zuſammen gerathen, einander ohne Unterſchied reproducirten, wieder- um kein beſtimmter Zuſammenhang derſelben, ſondern blos regelloſe Haufen derſelben, mithin gar kein Erkent- niß entſpringen wuͤrde; ſo muß die Reproduction derſel- ben eine Regel haben, nach welcher eine Vorſtellung viel- mehr mit dieſer, als einer andern in der Einbildungskraft in Verbindung tritt. Dieſen ſubiectiven und empiriſchen Grund der Reproduction nach Regeln nent man die Aſ- ſociation der Vorſtellungen. Wuͤrde nun aber dieſe Einheit der Aſſociation nicht auch einen obiectiven Grund haben, ſo daß es unmoͤglich waͤre, daß Erſcheinungen von der Einbildungskraft anders apprehendirt wuͤrden, als unter der Bedingung einer moͤg- lichen ſynthetiſchen Einheit dieſer Apprehenſion, ſo wuͤrde es auch etwas ganz zufaͤlliges ſeyn, daß ſich Erſcheinun- gen in einen Zuſammenhang der menſchlichen Erkentniſſe ſchickten. Denn, ob wir gleich das Vermoͤgen haͤtten, Wahrnehmungen zu aſſociiren; ſo bliebe es doch an ſich ganz H 5 [122/0152] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. ganz unbeſtimt und zufaͤllig, ob ſie auch aſſociabel waͤren; und in dem Falle, daß ſie es nicht waͤren, ſo wuͤrde eine Menge Wahrnehmungen, und auch wohl eine ganze Sinn- lichkeit moͤglich ſeyn, in welcher viel empiriſches Bewuſt- ſeyn in meinem Gemuͤth anzutreffen waͤre, aber getrent, und ohne daß es zu einem Bewuſtſeyn meiner ſelbſt ge- hoͤrete, welches aber unmoͤglich iſt. Denn nur dadurch, daß ich alle Wahrnehmungen zu einem Bewuſtſeyn (der urſpruͤnglichen Apperception) zehle, kan ich bey allen Wahr- nehmungen ſagen: daß ich mir ihrer bewuſt ſey. Es muß alſo ein obiectiver, d. i. vor allen empiriſchen Geſe- tzen der Einbildungskraft a priori einzuſehender Grund ſeyn, worauf die Moͤglichkeit, ia ſogar die Nothwendig- keit eines durch alle Erſcheinungen ſich erſtreckenden Ge- ſetzes beruht, ſie nemlich durchgaͤngig als ſolche Data der Sinne anzuſehen, welche an ſich aſſociabel, und allgemei- nen Regeln einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung in der Re- production unterworfen ſeyn. Dieſen obiectiven Grund aller Aſſociation der Erſcheinungen nenne ich die Affinitaͤt derſelben. Dieſen koͤnnen wir aber nirgends anders, als in dem Grundſatze von der Einheit der Apperception, in Anſehung aller Erkentniſſe, die mir angehoͤren ſollen, an- treffen. Nach dieſem muͤſſen durchaus alle Erſcheinungen, ſo ins Gemuͤth kommen, oder apprehendirt werden, daß ſie zur Einheit der Apperception zuſammenſtimmen, wel- ches, ohne ſynthetiſche Einheit in ihrer Verknuͤpfung, die mithin auch obiectiv nothwendig iſt, unmoͤglich ſeyn wuͤrde. Die [123/0153] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. Die obiective Einheit alles (empiriſchen) Bewuſt- ſeyns in einem Bewuſtſeyn (der urſpruͤnglichen Appercep- tion) iſt alſo die nothwendige Bedingung ſo gar aller moͤg- lichen Wahrnehmung, und die Affinitaͤt aller Erſcheinun- gen (nahe oder entfernte) iſt eine nothwendige Folge einer Syntheſis in der Einbildungskraft, die a priori auf Re- geln gegruͤndet iſt. Die Einbildungskraft iſt alſo auch ein Vermoͤgen einer Syntheſis a priori, weswegen wir ihr den Namen der productiven Einbildungskraft geben, und, ſo fern ſie in Anſehung alles Mannigfaltigen der Erſcheinung nichts weiter, als die nothwendige Einheit in der Syntheſis der- ſelben zu ihrer Abſicht hat, kan dieſe die transſcendentale Function der Einbildungskraft genant werden. Es iſt da- her zwar befremdlich, allein aus dem bisherigen doch ein- leuchtend, daß nur vermittelſt dieſer transſcendentalen Function der Einbildungskraft, ſogar die Affinitaͤt der Erſcheinungen, mit ihr die Aſſociation und durch dieſe end- lich die Reproduction nach Geſetzen, folglich die Erfah- rung ſelbſt moͤglich werde: weil ohne ſie gar keine Be- griffe von Gegenſtaͤnden in eine Erfahrung zuſammenflieſ- ſen wuͤrden. Denn das ſtehende und bleibende Ich (der reinen Apperception) macht das Correlatum aller unſerer Vor- ſtellungen aus, ſo fern es blos moͤglich iſt, ſich ihrer bewuſt zu werden, und alles Bewuſtſeyn gehoͤrt eben ſo wol zu einer allbefaſſenden reinen Apperception, wie alle ſinnliche Anſchau- [124/0154] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. Anſchauung als Vorſtellung zu einer reinen innern Anſchau- ung, nemlich der Zeit. Dieſe Apperception iſt es nun, welche zu der reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Function intellectuel zu machen. Denn an ſich ſelbſt iſt die Syntheſis der Einbildungskraft, obgleich a priori ausgeuͤbt, dennoch iederzeit ſinnlich, weil ſie das Mannig- faltige nur ſo verbindet, wie es in der Anſchauung er- ſcheint, z. B. die Geſtalt eines Triangels. Durch das Verhaͤltniß des Mannigfaltigen aber zur Einheit der Ap- perception werden Begriffe, welche dem Verſtande ange- hoͤren, aber nur vermittelſt der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die ſinnliche Anſchauung zu Stande kommen koͤnnen. Wir haben alſo eine reine Einbildungskraft, als ein Grundvermoͤgen der menſchlichen Seele, das aller Erkent- niß a priori zum Grunde liegt. Vermittelſt deren brin- gen wir das Mannigfaltige der Anſchauung einerſeits, und mit der Bedingung der nothwendigen Einheit der rei- nen Apperception andererſeits in Verbindung. Beyde aͤuſſerſte Enden, nemlich Sinnlichkeit und Verſtand, muͤſſen vermittelſt dieſer transſcendentalen Function der Einbil- dungskraft nothwendig zuſammenhaͤngen; weil iene ſonſt zwar Erſcheinungen, aber keine Gegenſtaͤnde eines empi- riſchen Erkentniſſes, mithin keine Erfahrung geben wuͤr- den. Die wirkliche Erfahrung, welche aus der Apprehen- ſion, der Aſſociation, (der Reproduction,) endlich der Re- cognition der Erſcheinungen beſteht, enthaͤlt in der letzte- ren [125/0155] III. Abſch Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. ren und hoͤchſten (der blos empiriſchen Elemente der Er- fahrung) Begriffe, welche die formale Einheit der Erfah- rung, und mit ihr alle obiective Guͤltigkeit (Wahrheit) der empiriſchen Erkentniß moͤglich machen. Dieſe Gruͤnde der Recognition des Mannigfaltigen, ſo fern ſie blos die Form einer Erfahrung uͤberhaupt angehen, ſind nun iene Categorien. Auf ihnen gruͤndet ſich alſo alle formale Einheit in der Syntheſis der Einbildungskraft, und ver- mittelſt dieſer auch alles empiriſchen Gebrauchs derſelben (in der Recognition, Reproduction, Aſſociation, Appre- henſion) bis herunter zu den Erſcheinungen, weil dieſe, nur vermittelſt iener Elemente der Erkentniß und uͤber- haupt unſerm Bewuſtſeyn, mithin uns ſelbſt angehoͤren koͤnnen. Die Ordnung und Regelmaͤßigkeit alſo an den Er- ſcheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir ſelbſt hinein, und wuͤrden ſie auch nicht darin finden koͤnnen, haͤtten wir ſie nicht, oder die Natur unſeres Gemuͤths ur- ſpruͤnglich hineingelegt. Denn dieſe Natureinheit ſoll eine nothwendige, d. i. a priori gewiſſe Einheit der Verknuͤp- fung der Erſcheinungen ſeyn. Wie ſollten wir aber wol a priori eine ſynthetiſche Einheit auf die Bahn bringen koͤnnen, waͤren nicht in den urſpruͤnglichen Erkentnißquel- len unſeres Gemuͤths ſubiective Gruͤnde ſolcher Einheit a priori enthalten, und waͤren dieſe ſubiective Bedingun- gen nicht zugleich obiectiv guͤltig, indem ſie die Gruͤnde der [126/0156] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. der Moͤglichkeit ſeyn, uͤberhaupt ein Obiect in der Erfah- rung zu erkennen. Wir haben den Verſtand oben auf mancherley Wei- ſe erklaͤrt: durch eine Spontaneitaͤt der Erkentniß, (im Gegenſatz der Receptivitaͤt der Sinnlichkeit) durch ein Ver- moͤgen zu denken, oder auch ein Vermoͤgen der Begriffe, oder auch der Urtheile, welche Erklaͤrungen, wenn man ſie beym lichten beſieht, auf eins hinauslaufen. Jezt koͤnnen wir ihn als das Vermoͤgen der Regeln characte- riſiren. Dieſes Kennzeichen iſt fruchtbarer und tritt dem Weſen deſſelben naͤher. Sinnlichkeit giebt uns Formen, (der Anſchauung) der Verſtand aber Regeln. Dieſer iſt iederzeit geſchaͤftig, die Erſcheinungen in der Abſicht durch- zuſpaͤhen, um an ihnen irgend eine Regel aufzufinden. Regeln, ſo fern ſie obiectiv ſind, (mithin der Erkentniß des Gegenſtandes nothwendig anhaͤngen) heiſſen Geſetze. Ob wir gleich durch Erfahrung viel Geſetze lernen, ſo ſind dieſe doch nur beſondere Beſtimmungen noch hoͤherer Ge- ſetze, unter denen die hoͤchſten, (unter welchen andere alle ſtehen) a priori aus dem Verſtande ſelbſt herkommen, und nicht von der Erfahrung entlehnt ſind, ſondern viel- mehr den Erſcheinungen ihre Geſetzmaͤßigkeit verſchaffen, und eben dadurch Erfahrung moͤglich machen muͤſſen. Es iſt alſo der Verſtand nicht blos ein Vermoͤgen, durch Ver- gleichung der Erſcheinungen ſich Regeln zu machen: er iſt ſelbſt die Geſetzgebung vor die Natur, d. i. ohne Verſtand wuͤrde es uͤberall nicht Natur, d. i. ſynthetiſche Einheit des [127/0157] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. des Mannigfaltigen der Erſcheinungen nach Regeln geben: denn Erſcheinungen koͤnnen, als ſolche, nicht auſſer uns ſtatt finden, ſondern exiſtiren nur in unſrer Sinnlichkeit. Dieſe aber, als Gegenſtand der Erkentniß in einer Erfah- rung, mit allem, was ſie enthalten mag, iſt nur in der Einheit der Apperception moͤglich. Die Einheit der Ap- perception aber iſt der transſcendentale Grund der noth- wendigen Geſetzmaͤßigkeit aller Erſcheinungen in einer Er- fahrung. Eben dieſelbe Einheit der Apperception in An- ſehung eines Mannigfaltigen von Vorſtellungen (es nem- lich aus einer einzigen zu beſtimmen) iſt die Regel, und das Vermoͤgen dieſer Regeln der Verſtand. Alle Erſchei- nungen liegen alſo als moͤgliche Erfahrungen eben ſo a prio- ri im Verſtande, und erhalten ihre formale Moͤglichkeit von ihm, wie ſie als bloſſe Anſchauungen in der Sinnlichkeit liegen, und durch dieſelbe der Form nach, allein moͤglich ſind. So uͤbertrieben, ſo widerſinniſch es alſo auch lau- tet, zu ſagen: der Verſtand iſt ſelbſt der Quell der Ge- ſetze der Natur, und mithin der formalen Einheit der Na- tur, ſo richtig, und dem Gegenſtande, nemlich der Er- fahrung angemeſſen iſt gleichwol eine ſolche Behauptung. Zwar koͤnnen empiriſche Geſetze, als ſolche, ihren Urſprung keinesweges vom reinen Verſtande herleiten, ſo wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen aus der reinen Form der ſinnlichen Anſchauung hinlaͤnglich be- griffen werden kan. Aber alle empiriſche Geſetze ſind nur beſon- [128/0158] Elementarl. II. Th. I. Abth. I. Buch. II. Hauptſt. beſondere Beſtimmungen der reinen Geſetze des Verſtandes, unter welchen und nach deren Norm iene allererſt moͤglich ſind, und die Erſcheinungen eine geſetzliche Form anneh- men, ſo wie auch alle Erſcheinungen, unerachtet der Ver- ſchiedenheit ihrer empiriſchen Form, dennoch iederzeit den Bedingungen der reinen Form der Sinnlichkeit gemaͤß ſeyn muͤſſen. Der reine Verſtand iſt alſo in den Categorien das Geſetz der ſynthetiſchen Einheit aller Erſcheinungen, und macht dadurch Erfahrung ihrer Form nach allererſt und urſpruͤnglich moͤglich. Mehr aber hatten wir in der transſc. Deduction der Categorien nicht zu leiſten, als dieſes Ver- haͤltniß des Verſtandes zur Sinnlichkeit, und vermittelſt derſelben zu allen Gegenſtaͤnden der Erfahrung, mithin die obiective Guͤltigkeit ſeiner reinen Begriffe a priori be- greiflich zu machen, und dadurch ihren Urſprung und Wahr- heit feſt zuſetzen Summariſche Vorſtellung der Richtigkeit und einzigen Moͤglichkeit dieſer Deduction der reinen Verſtandesbegriffe. Waͤren die Gegenſtaͤnde, womit unſre Erkentniß zu thun hat, Dinge an ſich ſelbſt, ſo wuͤrden wir von dieſen gar keine Begriffe a priori haben koͤnnen. Denn woher ſollten wir ſie nehmen? Nehmen wir ſie vom Obiect (ohne hier noch einmal zu unterſuchen, wie dieſes [129/0159] III. Abſch. Vom Verh. d. Verſt. zu Gegenſt. ꝛc. dieſes uns bekant werden koͤnte) ſo waͤren unſere Begriffe blos empiriſch, und keine Begriffe a priori. Nehmen wir ſie aus uns ſelbſt, ſo kan das, was blos in uns iſt, die Beſchaffenheit eines von unſern Vorſtellungen unter- ſchiedenen Gegenſtandes nicht beſtimmen, d. i. ein Grund ſeyn, warum es ein Ding geben ſolle, dem ſo etwas, als wir in Gedanken haben, zukomme, und nicht vielmehr alle dieſe Vorſtellung leer ſey. Dagegen, wenn wir es uͤberall nur mit Erſcheinungen zu thun haben, ſo iſt es nicht allein moͤglich, ſondern auch nothwendig, daß gewiſſe Begriffe a priori vor der empiriſchen Erkentniß der Gegen- ſtaͤnde vorhergehen. Denn als Erſcheinungen machen ſie einen Gegenſtand aus, der blos in uns iſt, weil eine bloſſe Modification unſerer Sinnlichkeit auſſer uns gar nicht an- getroffen wird. Nun druͤkt ſelbſt dieſe Vorſtellung: daß alle dieſe Erſcheinungen, mithin alle Gegenſtaͤnde, womit wir uns beſchaͤftigen koͤnnen, insgeſamt in mir, d. i. Be- ſtimmungen meines identiſchen Selbſt ſind, eine durchgaͤn- gige Einheit derſelben in einer und derſelben Apperception als nothwendig aus. In dieſer Einheit des moͤglichen Be- wuſtſeyns aber beſteht auch die Form aller Erkentniß der Gegenſtaͤnde, (wodurch das Mannigfaltige, als zu Einem Obiect gehoͤrig, gedacht wird). Alſo geht die Art, wie das Mannigfaltige der ſinnlichen Vorſtellung (Anſchauung) zu einem Bewuſtſeyn gehoͤrt, vor aller Erkentniß des Ge- genſtandes, als die intellectuelle Form derſelben, vorher, und macht ſelbſt eine formale Erkentniß aller Gegenſtaͤnde a priori I [130/0160] Elementl. II. Th. I. Abth. II. Buch. a priori uͤberhaupt aus, ſo fern ſie gedacht werden (Ca- tegorien.) Die Syntheſis derſelben durch die reine Ein- bildungskraft, die Einheit aller Vorſtellungen in Beziehung auf die urſpruͤngliche Apperception, gehen aller empiriſchen Erkentniß vor. Reine Verſtandesbegriffe ſind alſo nur darum a priori moͤglich, ia gar, in Beziehung auf Erfah- rung, nothwendig, weil unſer Erkentniß mit nichts, als Erſcheinungen zu thun hat, deren Moͤglichkeit in uns ſelbſt liegt, deren Verknuͤpfung und Einheit (in der Vorſtellung eines Gegenſtandes) blos in uns angetroffen wird, mithin vor aller Erfahrung vorherge- hen, und dieſe der Form nach auch allererſt moͤglich ma- chen muß. Und aus dieſem Grunde, dem einzigmoͤgli- chen unter allen, iſt denn auch unſere Deduction der Cate- gorien gefuͤhret worden. Der Transſcendentalen Analytik Zweytes Buch. Die Analytik der Grundſaͤtze. Die allgemeine Logik iſt uͤber einem Grundriſſe erbauet, der ganz genau mit der Eintheilung der oberen Erkentnißvermoͤgen zuſammen trift. Dieſe ſind: Ver- ſtand, Urtheilskraft und Vernunft. Jene Doctrin handelt daher in ihrer Analytik von Begriffen, Urthei- len und Schluͤſſen, gerade den Functionen und der Ord- nung [131/0161] Die Analytik der Grundſaͤtze. nung iener Gemuͤthskraͤfte gemaͤß, die man unter der weit- laͤuftigen Benennung des Verſtandes uͤberhaupt begreift. Da gedachte blos formale Logik von allem Inhalte der Erkentniß (ob ſie rein oder empiriſch ſey) abſtrahirt und ſich blos mit der Form des Denkens (der discurſiven Erkentniß) uͤberhaupt beſchaͤftigt: ſo kan ſie in ihrem ana- lytiſchen Theile auch den Canon vor die Vernunft mit be- faſſen, deren Form ihre ſichere Vorſchrift hat, die, ohne die beſondere Natur der dabey gebrauchten Erkentniß in Betracht zu ziehen, a priori, durch bloſſe Zergliederung der Vernunfthandlungen in ihre Momente eingeſehen wer- den kan. Die transſcendentale Logik, da ſie auf einen beſtim- ten Inhalt, nemlich blos der reinen Erkentniſſe a priori, eingeſchraͤnkt iſt, kan es ihr in dieſer Eintheilung nicht nach- thun. Denn es zeigt ſich: daß der transſcendentale Ge- brauch der Vernunft gar nicht obiectiv guͤltig ſey, mit- hin nicht zur Logik der Wahrheit, d. i. der Analytik ge- hoͤre, ſondern, als eine Logik des Scheins, einen be- ſondern Theil des ſcholaſtiſchen Lehrgebaͤudes, unter dem Namen der transſcendentalen Dialectik, erfodere. Verſtand und Urtheilskraft haben demnach ihren Canon des obiectiv guͤltigen, mithin wahren Gebrauchs, in der transſcendentalen Logik, und gehoͤren alſo in ihren analytiſchen Theil. Allein Vernunft in ihren Verſuchen, uͤber Gegenſtaͤnde a priori etwas auszumachen, und das Er- kentniß uͤber die Grenzen moͤglicher Erfahrung zu erweitern, iſt I 2 [132/0162] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. iſt ganz und gar dialectiſch und ihre Scheinbehauptungen ſchicken ſich durchaus nicht in einen Canon, dergleichen doch die Analytik enthalten ſoll. Die Analytik der Grundſaͤtze wird demnach ledig- lich ein Canon vor die Urtheilskraft ſeyn, der ſie lehrt, die Verſtandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erſcheinungen anzuwenden. Aus dieſer Urſache werde ich, indem ich die eigentlichen Grund- ſaͤtze des Verſtandes zum Thema nehme, mich der Be- nennung einer Doctrin der Urtheilskraft bedienen, wo- durch dieſes Geſchaͤfte genauer bezeichnet wird. Einleitung. Von der Transſcendentalen Urtheilskraft uͤberhaupt. Wenn der Verſtand uͤberhaupt als das Vermoͤgen der Regeln erklaͤrt wird, ſo iſt Urtheilskraft das Vermoͤ- gen unter Regeln zu ſubſumiren, d. i. zu unterſcheiden, ob et- was unter einer gegebenen Regel (caſus datae legis) ſte- he, oder nicht. Die allgemeine Logik enthaͤlt gar keine Vorſchriften vor die Urtheilskraft, und kan ſie auch nicht enthalten. Denn da ſie von allem Inhalte der Erkent- niß abſtrahirt; ſo bleibt ihr nichts uͤbrig, als das Ge- ſchaͤfte, die bloſſe Form der Erkentniß in Begriffen, Ur- theile [133/0163] Einleitung. theilen und Schluͤſſen analytiſch aus einander zu ſetzen, und dadurch formale Regeln alles Verſtandesgebrauchs zu Stande zu bringen. Wollte ſie nun allgemein zeigen, wie man unter dieſe Regeln ſubſumiren, d. i. unterſcheiden ſollte, ob etwas darunter ſtehe oder nicht, ſo koͤnte dieſes nicht anders, als wieder durch eine Regel geſchehen. Die- ſe aber erfordert eben darum, weil ſie eine Regel iſt, aufs neue eine Unterweiſung der Urtheilskraft, und ſo zeigt ſich, daß zwar der Verſtand einer Belehrung und Ausruͤſtung durch Regeln faͤhig, Urtheilskraft aber ein beſonderes Ta- lent ſey, welches gar nicht belehrt, ſondern nur geuͤbt ſeyn will. Daher iſt dieſe auch das Specifiſche des ſo ge- nanten Mutterwitzes, deſſen Mangel keine Schule erſetzen kan, weil, ob dieſe gleich einem eingeſchraͤnkten Verſtande Regeln vollauf, von fremder Einſicht entlehnt, darreichen und gleichſam einpfropfen kan; ſo muß doch das Vermoͤ- gen, ſich ihrer richtig zu bedienen, dem Lehrlinge ſelbſt ange- hoͤren, und keine Regel, die man ihm in dieſer Abſicht vorſchreiben moͤchte, iſt, in Ermangelung einer ſolchen Na- turgabe, vor Mißbrauch ſicher. *) Ein Arzt daher, ein Rich- *) Der Mangel an Urtheilskraft iſt eigentlich das, was man Dumheit nent, und einem ſolchen Gebrechen iſt gar nicht abzuhelfen. Ein ſtumpfer oder eingeſchraͤnkter Kopf, dem es an nichts, als an gehoͤrigem Grade des Verſtan- des und eigenen Begriffen deſſelben mangelt, iſt durch Erlernung ſehr wol, ſo gar bis zur Gelehrſamkeit, aus- zuruͤſten. Da es aber gemeiniglich alsdenn auch an ie- nem I 3 [134/0164] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Richter, oder ein Staatskundiger kan viel ſchoͤne patholo- giſche, iuriſtiſche oder politiſche Regeln im Kopfe haben, in dem Grade, daß er ſelbſt darin ein gruͤndlicher Lehrer werden kan, und wird dennoch in der Anwendung der- ſelben leicht verſtoſſen, entweder, weil es ihm an natuͤrli- cher Urtheilskraft (obgleich nicht am Verſtande) man- gelt, und er zwar das Allgemeine in abſtracto einſehen, ob ein Fall in concreto darunter gehoͤre, nicht unterſchei- den kan, oder auch darum, weil er nicht genug durch Beyſpiele und wirkliche Geſchaͤfte zu dieſem Urtheile ab- gerichtet worden. Dieſes iſt auch der einige und groſſe Nutzen der Beyſpiele: daß ſie die Urtheilskraft ſchaͤrfen. Denn was die Richtigkeit und Praͤciſion der Verſtandes- einſicht betrift, ſo thun ſie derſelben vielmehr gemeiniglich einigen Abbruch, weil ſie nur ſelten die Bedingung der Regel adaͤquat erfuͤllen, (als caſus in terminis) und uͤber- dem dieienige Anſtrengung des Verſtandes oftmals ſchwaͤ- chen, Regeln im Allgemeinen, und unabhaͤngig von den beſonderen Umſtaͤnden der Erfahrung, nach ihrer Zulaͤng- lichkeit, einzuſehen, und ſie daher zulezt mehr wie For- meln, als Grundſaͤtze zu gebrauchen angewoͤhnen. So ſind Beyſpiele der Gaͤngelwagen der Urtheilskraft, welchen derienige, dem es am natuͤrlichen Talent deſſelben man- gelt, niemals entbehren kan. Ob *) *) nem (der ſecunda Petri) zu fehlen pflegt, ſo iſt es nichts ungewoͤhnliches, ſehr gelehrte Maͤnner anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer Wiſſenſchaft, ienen nie zu beſſernden Mangel haͤufig blicken laſſen. [135/0165] Einleitung. Ob nun aber gleich die allgemeine Logik der Urtheilskraft keine Vorſchriften geben kan, ſo iſt es doch mit der transſcen- dentalen ganz anders bewandt, ſo gar daß es ſcheint, die leztere habe es zu ihrem eigentlichen Geſchaͤfte, die Ur- theilskraft im Gebrauch des reinen Verſtandes, durch be- ſtimte Regeln zu berichtigen und zu ſichern. Denn, um dem Verſtande im Felde reiner Erkentniſſe a priori Erwei- terung zu verſchaffen, mithin als Doctrin ſcheint Philoſo- phie gar nicht noͤthig, oder vielmehr uͤbel angebracht zu ſeyn, weil man nach allen bisherigen Verſuchen, damit doch wenig oder gar kein Land gewonnen hat, ſondern als Critik, um die Fehltritte der Urtheilskraft (lapſus iudicii) im Gebrauch der wenigen reinen Verſtandesbegrif- fe, die wir haben, zu verhuͤten, dazu (obgleich der Nutzen alsdenn nur negativ iſt) wird Philoſophie mit ihrer gan- zen Scharfſinnigkeit und Pruͤfungskunſt aufgeboten. Es hat aber die Transſcendental-Philoſophie das Eigenthuͤmliche: daß ſie auſſer der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verſtandes gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kan, worauf ſie angewandt werden ſollen. Die Urſache von dem Vorzuge, den ſie in dieſem Stuͤcke vor allen andern belehrenden Wiſſenſchaften hat, (auſſer der Mathematik) liegt eben darin: daß ſie von Begriffen handelt, die ſich auf ihre Gegenſtaͤnde a priori beziehen ſollen, mithin kan ihre obiective Guͤltigkeit nicht a poſte- riori I 4 [136/0166] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. riori dargethan werden; denn das wuͤrde iene Dignitaͤt der- ſelben ganz unberuͤhrt laſſen, ſondern ſie muß zugleich die Be- dingungen, unter welchen Gegenſtaͤnde in Uebereinſtimmung mit ienen Begriffen gegeben werden koͤnnen, in allgemei- nen aber hinreichenden Kennzeichen darlegen, widrigenfals ſie ohne allen Inhalt, mithin bloſſe logiſche Formen und nicht reine Verſtandesbegriffe ſeyn wuͤrden. Dieſe transſcendentale Doctrin der Urtheils- kraft wird nun zwey Hauptſtuͤcke enthalten: das erſte, welches von der ſinnlichen Bedingung handelt, unter wel- cher reine Verſtandesbegriffe allein gebraucht werden koͤn- nen, d. i. von dem Schematismus des reinen Verſtandes; das zweyte aber von denen ſynthetiſchen Urtheilen, wel- che aus reinen Verſtandesbegriffen, unter dieſen Bedingun- gen a priori herflieſſen, und allen uͤbrigen Erkentniſſen a priori zum Grunde liegen, d. i. von den Grundſaͤtzen des reinen Verſtandes. [Abbildung] Der [137/0167] I. Hauptſt. Von d. Schemat. d. r. Verſt. Begr. Der Transſcendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundſaͤtze) Erſtes Hauptſtuͤck. Von dem Schematismus der reinen Verſtandesbegriffe. In allen Subſumtionen eines Gegenſtandes unter einen Begriff muß die Vorſtellung des erſteren mit der lez- tern gleichartig ſeyn, d. i. der Begriff muß dasienige ent- halten, was in dem darunter zu ſubſumirenden Gegenſtande vorgeſtellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenſtand ſey unter einem Begriffe enthalten. So hat der empiriſche Begriff eines Tellers mit dem reinen geometriſchen eines Cirkels Gleichartigkeit, indem die Run- dung, die in dem erſteren gedacht wird, ſich im lezteren anſchauen laͤßt. Nun ſind aber reine Verſtandesbegriffe, in Verglei- chung mit empiriſchen (ia uͤberhaupt ſinnlichen) Anſchauun- gen, ganz ungleichartig und koͤnnen niemals in irgend einer Anſchauung angetroffen werden. Wie iſt nun die Subſumtion der lezteren unter die erſte, mithin die An- wendung der Categorie auf Erſcheinungen moͤglich, da doch niemand ſagen wird: dieſe, z. B. die Cauſſalitaͤt, koͤnne auch durch Sinne angeſchauet werden und ſey in der Er- I 5 [138/0168] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptſt. Erſcheinung enthalten? Dieſe ſo natuͤrliche und erhebliche Frage iſt nun eigentlich die Urſache, welche eine transſcen- dentale Doctrin der Urtheilskraft nothwendig macht, um nemlich die Moͤglichkeit zu zeigen: wie reine Verſtan- desbegriffe auf Erſcheinungen uͤberhaupt angewandt wer- den koͤnnen. In allen anderen Wiſſenſchaften, wo die Begriffe, durch die der Gegenſtand allgemein gedacht wird, von denen, die dieſen in concreto vorſtellen, wie er gegeben wird, nicht ſo unterſchieden und heterogen ſind, iſt es unnoͤthig, wegen der Anwendung des erſteren auf den lezten beſondere Eroͤrterung zu geben. Nun iſt klar: daß es ein Drittes geben muͤſſe, was einerſeits mit der Categorie, andererſeits mit der Erſchei- nung in Gleichartigkeit ſtehen muß, und die Anwendung der erſteren auf die lezte moͤglich macht. Dieſe vermit- telnde Vorſtellung muß rein (ohne alles Empiriſche) und doch einerſeits intellectuel, andererſeits ſinnlich ſeyn. Eine ſolche iſt das transſcendentale Schema. Der Verſtandesbegriff enthaͤlt reine ſynthetiſche Ein- heit des Mannigfaltigen uͤberhaupt. Die Zeit, als die for- male Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknuͤpfung aller Vorſtellungen, enthaͤlt ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anſchauung. Nun iſt eine transſcendentale Zeitbeſtimmung mit der Categorie (die die Einheit derſelben ausmacht) ſofern gleichartig, als ſie allgemein iſt und auf einer Regel a priori beruht. Sie iſt aber andererſeits mit der Erſcheinung ſo fern gleich- [139/0169] Von dem Schematismus d. r. Verſt. Begr. gleichartig, als die Zeit in ieder empiriſchen Vorſtellung des Mannigfaltigen enthalten iſt. Daher wird eine An- wendung der Categorie auf Erſcheinungen moͤglich ſeyn, vermittelſt der transſcendentalen Zeitbeſtimmung, welche, als das Schema der Verſtandesbegriffe, die Subſumtion der lezteren unter die erſte vermittelt. Nach demienigen, was in der Deduction der Catego- rien gezeigt worden, wird hoffentlich niemand im Zweifel ſtehen, ſich uͤber die Frage zu entſchlieſſen: ob dieſe reine Verſtandesbegriffe von blos empiriſchem oder auch von transſcendentalem Gebrauche ſeyn, d. i. ob ſie lediglich, als Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung ſich a priori auf Erſcheinungen beziehen, oder ob ſie, als Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt, auf Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt (ohne einige Reſtriction auf unſre Sinnlich- keit) erſtreckt werden koͤnnen. Denn da haben wir geſe- hen; daß Begriffe ganz unmoͤglich ſeyn, noch irgend ei- nige Bedeutung haben koͤnnen, wo nicht, entweder ihnen ſelbſt, oder wenigſtens den Elementen, daraus ſie beſte- hen, ein Gegenſtand gegeben iſt, mithin auf Dinge an ſich, (ohne Ruͤckſicht, ob, und wie ſie uns gegeben wer- den moͤgen) gar nicht gehen koͤnnen: daß ferner die ein- zige Art, wie uns Gegenſtaͤnde gegeben werden, die Mo- dification unſerer Sinnlichkeit ſey, endlich, daß reine Be- griffe a priori, auſſer der Function des Verſtandes in der Categorie, noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (nament- [140/0170] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptſt. (namentlich des innern Sinnes) a priori enthalten muͤſſen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Categorie allein auf irgend einen Gegenſtand angewandt werden kan. Wir wollen dieſe formale und reine Bedin- gung der Sinnlichkeit, auf welche der Verſtandesbegriff in ſeinem Gebrauch reſtringirt iſt, das Schema dieſes Ver- ſtandesbegriffs, und das Verfahren des Verſtandes mit dieſen Schematen den Schematismus des reinen Ver- ſtandes nennen. Das Schema iſt an ſich ſelbſt iederzeit nur ein Pro- duct der Einbildungskraft; aber indem die Syntheſis der lezteren keine einzelne Anſchauung, ſondern die Einheit in der Beſtimmung der Sinnlichkeit allein zur Abſicht hat, ſo iſt das Schema doch vom Bilde zu unterſcheiden. So, wenn ich fuͤnf Puncte hinter einander ſetze, . . . . . iſt dieſes ein Bild von der Zahl fuͤnf. Dagegen, wenn ich eine Zahl uͤberhaupt nur denke, die nun fuͤnf oder hun- dert ſeyn kan, ſo iſt dieſes Denken mehr die Vorſtellung einer Methode, einem gewiſſen Begriffe gemaͤß eine Menge (z. E. Tauſend) in einem Bilde vorzuſtellen, als dieſes Bild ſelbſt, welches ich im leztern Falle ſchwerlich wuͤrde uͤberſehen und mit dem Begriff vergleichen koͤnnen. Dieſe Vorſtellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff ſein Bild zu verſchaffen, nenne ich das Schema zu dieſem Begriffe. In der That liegen unſern reinen ſinnlichen Begrif- fen nicht Bilder der Gegenſtaͤnde, ſondern Schemate zum Grunde [141/0171] Von dem Schematismus d. r. Verſt. Begr. Grunde. Dem Begriffe von einem Triangel uͤberhaupt wuͤrde gar kein Bild deſſelben iemals adaͤquat ſeyn. Denn es wuͤrde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, daß dieſer vor alle, recht- oder ſchiefwink- lichte ꝛc. gilt, ſondern immer nur auf einen Theil dieſer Sphaͤre eingeſchraͤnkt ſeyn. Das Schema des Triangels kan niemals anderswo als in Gedanken exiſtiren, und be- deutet eine Regel der Syntheſis der Einbildungskraft, in Anſehung reiner Geſtalten im Raume. Noch vielweniger erreicht ein Gegenſtand der Erfahrung oder Bild deſſelben iemals den empiriſchen Begriff, ſondern dieſer bezieht ſich iederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungs- kraft, als eine Regel der Beſtimmung unſerer Anſchauung, gemaͤß einem gewiſſen allgemeinen Begriffe. Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Ein- bildungskraft die Geſtalt eines vierfuͤſſigen Thieres allge- mein verzeichnen kan, ohne auf irgend eine einzige beſon- dere Geſtalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein iedes moͤgliche Bild, was ich in concreto darſtellen kan, eingeſchraͤnkt zu ſeyn. Dieſer Schematismus unſeres Ver- ſtandes, in Anſehung der Erſcheinungen und ihrer bloſſen Form, iſt eine verborgene Kunſt in den Tiefen der menſch- lichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur ſchwer- lich iemals abrathen, und ſie unverdeckt vor Augen legen werden. So viel koͤnnen wir nur ſagen: das Bild iſt ein Product des empiriſchen Vermoͤgens der productiven Ein- bildungskraft, das Schema ſinnlicher Begriffe (als der Figu- [142/0172] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptſt. Figuren im Raume) ein Product und gleichſam ein Mo- nogram der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererſt moͤglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelſt des Schema, wel- ches ſie bezeichnen, verknuͤpft werden muͤſſen, und an ſich demſelben nicht voͤllig congruiren. Dagegen iſt das Sche- ma eines reinen Verſtandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kan, ſondern iſt nur die reine Syn- theſis, gemaͤß einer Regel der Einheit nach Begriffen uͤber- haupt, die die Categorie ausdruͤkt, und iſt ein transſcen- dentales Product der Einbildungskraft, welches die Beſtim- mung des inneren Sinnes uͤberhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit) in Anſehung aller Vorſtellungen, betrift, ſo fern dieſe der Einheit der Apperception gemaͤß a priori in einem Begriff zuſammenhaͤngen ſollten. Ohne uns nun bey einer trockenen und langweiligen Zergliederung deſſen, was zu transſcendentalen Schematen reiner Verſtandesbegriffe uͤberhaupt erfordert wird, auf- zuhalten, wollen wir ſie lieber nach der Ordnung der Cate- gorien und in Verknuͤpfung mit dieſen darſtellen. Das reine Bild aller Groͤſſen (quantorum) vor dem aͤuſſern Sinne, iſt der Raum, aller Gegenſtaͤnde der Sinne aber uͤberhaupt, die Zeit. Das reine Schema der Groͤſſe aber (quantitatis) als eines Begriffs des Verſtan- des, iſt die Zahl, welche eine Vorſtellung iſt, die die ſuc- ceſſive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zu- ſammenbefaßt. Alſo iſt die Zahl nichts anders, als die Ein- [143/0173] Von dem Schematismus d. r. Verſt. Begr. Einheit der Syntheſis des Mannigfaltigen einer gleicharti- gen Anſchauung uͤberhaupt, dadurch, daß ich die Zeit ſelbſt in der Apprehenſion der Anſchauung erzeuge. Realitaͤt iſt im reinen Verſtandesbegriffe das, was einer Empfindung uͤberhaupt correſpondirt; dasienige alſo, deſſen Begriff an ſich ſelbſt ein Seyn (in der Zeit) anzeigt. Negation, deſſen Begriff ein Nichtſeyn (in der Zeit) vor- ſtellt. Die Entgegenſetzung beider geſchieht alſo in dem Unterſchiede derſelben Zeit, als einer erfuͤlleten, oder leeren Zeit. Da die Zeit nur die Form der Anſchauung, mit- hin der Gegenſtaͤnde, als Erſcheinungen iſt, ſo iſt das, was an dieſen der Empfindung entſpricht, die transſcen- dentale Materie aller Gegenſtaͤnde, als Dinge an ſich (die Sachheit, Realitaͤt.) Nun hat iede Empfindung einen Grad oder Groͤſſe, wodurch ſie dieſelbe Zeit, d. i. den inn- ren Sinn in Anſehung derſelben Vorſtellung eines Gegen- ſtandes, mehr oder weniger erfuͤllen kan, bis ſie in Nichts (= o = negatio) aufhoͤrt. Daher iſt ein Verhaͤltniß und Zuſammenhang, oder vielmehr ein Uebergang von Realitaͤt zur Negation, welcher iede Realitaͤt, als ein Quan- tum vorſtellig macht, und das Schema einer Realitaͤt, als der Quantitaͤt von Etwas, ſo fern es die Zeit erfuͤllt, iſt eben dieſe continuirliche und gleichfoͤrmige Erzeugung der- ſelben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewiſſen Grad hat, in der Zeit bis zum Verſchwin- den derſelben hinabgeht. oder von der Negation zu der Groͤſſe derſelben allmaͤhlig aufſteigt. Das [144/0174] Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. I. Hauptſt. Das Schema der Subſtanz iſt die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorſtellung deſſelben, als eines Subſtratum der empiriſchen Zeitbeſtimmung uͤber- haupt, welches alſo bleibt, indem alles andre wechſelt. (Die Zeit verlaͤuft ſich nicht, ſondern in ihr verlaͤuft ſich das Daſeyn des Wandelbaren. Der Zeit alſo, die ſelbſt unwandelbar und bleibend iſt, correſpondirt in der Erſchei- nung das Unwandelbare im Daſeyn, d. i. die Subſtanz, und blos an ihr kan die Folge und das Zugleichſeyn der Erſcheinungen der Zeit nach beſtimmet werden). Das Schema der Urſache und der Cauſſalitaͤt eines Dinges uͤberhaupt iſt das Reale, worauf, wenn es nach Belieben geſezt wird, iederzeit etwas anderes folgt. Es beſteht alſo in der Succeſſion des Mannigfaltigen, in ſo fern ſie einer Regel unterworfen iſt. Das Schema der Gemeinſchaft (Wechſelwirkung), oder der wechſelſeitigen Cauſſalitaͤt der Subſtanzen in An- ſehung ihrer Accidenzen, iſt das Zugleichſeyn der Beſtim- mungen der Einen, mit denen der Anderen, nach einer allgemeinen Regel. Das Schema der Moͤglichkeit iſt die Zuſammenſtim- mung der Syntheſis verſchiedener Vorſtellungen mit den Bedingungen der Zeit uͤberhaupt, (z. B. da das entgegen- geſezte in einem Dinge nicht zugleich, ſondern nur nach einander ſeyn kan), alſo die Beſtimmung der Vorſtellung eines Dinges zu irgend einer Zeit. Das [145/0175] Von dem Schematismus der Categorien. Das Schema der Wirklichkeit iſt das Daſeyn in einer beſtimten Zeit. Das Schema der Nothwendigkeit das Daſeyn eines Gegenſtandes zu aller Zeit. Man ſiehet nun aus allem dieſem, daß das Schema einer ieden Categorie, als das der Groͤſſe, die Erzeugung (Syntheſis) der Zeit ſelbſt, in der ſucceſſiven Apprehen- ſion eines Gegenſtandes, das Schema der Qualitaͤt die Syntheſis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorſtellung der Zeit, oder die Erfuͤllung der Zeit, das der Relation das Verhaͤltniß der Wahrnehmungen unter ein- ander zu aller Zeit (d. i. nach einer Regel der Zeitbeſtim- mung); endlich das Schema der Modalitaͤt und ihrer Cate- gorien, die Zeit ſelbſt, als das Correlatum der Beſtim- mung eines Gegenſtandes, ob und wie er zur Zeit gehoͤre, enthalte und vorſtellig mache. Die Schemate ſind daher nichts als Zeitbeſtimmungen a priori nach Regeln, und dieſe gehen nach der Ordnung der Categorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Anſehung aller moͤglichen Gegenſtaͤnde. Hieraus erhellet nun, daß der Schematismus des Verſtandes durch die transſcendentale Syntheſis der Ein- bildungskraft auf nichts anders, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anſchauung in dem innern Sinne, und ſo indirect auf die Einheit der Apperception, als Fun- ction, welche dem innern Sinn (einer Receptivitaͤt) cor- reſpondirt, hinauslaufe. Alſo ſind die Schemate der rei- nen K [146/0176] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. I. Hauptſt. nen Verſtandesbegriffe die wahre und einzige Bedingungen, dieſen eine Beziehung auf Obiecte, mithin Bedeutung zu verſchaffen, und die Categorien ſind daher am Ende von keinem andern, als einem moͤglichen empiriſchen Gebrau- che, indem ſie blos dazu dienen, durch Gruͤnde einer a priori nothwendigen Einheit (wegen der nothwendigen Vereinigung alles Bewuſtſeyns in einer urſpruͤnglichen Ap- perception) Erſcheinungen allgemeinen Regeln der Syn- theſis zu unterwerfen, und ſie dadurch zur durchgaͤngigen Verknuͤpfung in einer Erfahrung ſchicklich zu machen. In dem Ganzen aller moͤglichen Erfahrung liegen aber alle unſere Erkentniſſe, und in der allgemeinen Bezie- hung auf dieſelbe beſteht die transſcendentale Wahrheit, die vor aller empiriſchen vorhergeht, und ſie moͤglich macht. Es faͤllt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Categorien allererſt rea- liſiren, ſie doch ſelbige gleichwol auch reſtringiren, d. i. auf Bedingungen einſchraͤnken, die auſſer dem Verſtande liegen (nemlich in der Sinnlichkeit). Daher iſt das Sche- ma eigentlich nur das Phaͤnomenon, oder der ſinnliche Be- griff eines Gegenſtandes, in Uebereinſtimmung mit der Categorie. (numerus eſt quantitas phaenomenon, ſen- ſatio realitas phaenomenon, conſtans et perdurabile re- rum ſubſtantia phaenomenon — — æternitas, neceſ- ſitas, phaenomena etc.) Wenn wir nun eine reſtringi- rende Bedingung weglaſſen; ſo amplificiren wir, wie es ſcheint, [147/0177] Vom Schematismus der Categorien. ſcheint, den vorher eingeſchraͤnkten Begriff; ſo ſollten die Categorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedin- gungen der Sinnlichkeit, von Dingen uͤberhaupt gelten, wie ſie ſind, anſtatt, daß ihre Schemate ſie nur vor- ſtellen, wie ſie erſcheinen, iene alſo eine von allen Sche- maten unabhaͤngige und viel weiter erſtreckte Bedeutung haben. In der That bleibt den reinen Verſtandesbe- griffen allerdings, auch nach Abſonderung aller ſinnlichen Bedingung, eine, aber nur logiſche Bedeutung der bloſſen Einheit der Vorſtellungen, denen aber kein Gegenſtand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Obiect abgeben koͤnte. So wuͤrde z. B. Subſtanz, wenn man die ſinnliche Beſtimmung der Be- harrlichkeit weglieſſe, nichts weiter als ein Etwas bedeu- ten, das als Subiect, (ohne ein Praͤdicat von etwas an- deren zu ſeyn) gedacht werden kan. Aus dieſer Vorſtel- lung kan ich nun nichts machen, indem ſie mir gar nicht anzeigt, welche Beſtimmungen das Ding hat, welches als ein ſolches erſte Subiect gelten ſoll. Alſo ſind die Cate- gorien, ohne Schemate, nur Functionen des Verſtandes zu Begriffen, ſtellen aber keinen Gegenſtand vor. Dieſe Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verſtand realiſirt, indem ſie ihn zugleich reſtringirt. Der K 2 [148/0178] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Der Transſcendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundſaͤtze) Zweites Hauptſtuͤck. Syſtem aller Grundſaͤtze des reinen Verſtandes. Wir haben in dem vorigen Hauptſtuͤcke die transſeen- dentale Urtheilskraft nur nach den allgemeinen Be- dingungen erwogen, unter denen ſie allein die reine Ver- ſtandesbegriffe zu ſynthetiſchen Urtheilen zu brauchen be- fugt iſt. Jezt iſt unſer Geſchaͤfte: die Urtheile, die der Verſtand unter dieſer critiſchen Vorſicht wirklich a priori zu Stande bringt, in ſyſtematiſcher Verbindung darzu- ſtellen, wozu uns ohne Zweifel unſere Tafel der Catego- rien die natuͤrliche und ſichere Leitung geben muß. Denn dieſe ſind es eben, deren Beziehung auf moͤgliche Erfah- rung alle reine Verſtandeserkentniß a priori ausmachen muß, und deren Verhaͤltniß zur Sinnlichkeit uͤberhaupt um deswillen alle transſcendentale Grundſaͤtze des Ver- ſtandesgebrauchs vollſtaͤndig und in einem Syſtem darle- gen wird. Grundſaͤtze a priori fuͤhren dieſen Namen nicht blos deswegen, weil ſie die Gruͤnde anderer Urtheile in ſich enthalten, ſondern auch weil ſie ſelbſt nicht in hoͤhern und allgemeinern Erkentniſſen gegruͤndet ſind. Dieſe Eigen- ſchaft uͤberhebt ſie doch nicht allemal eines Beweiſes. Denn [149/0179] Syſtem aller Grundſ. des reinen Verſt. Denn obgleich dieſer nicht weiter obiectiv gefuͤhrt werden koͤnte, ſondern vielmehr alle Erkentniß ſeines Obiects zum Grunde liegt, ſo hindert dies doch nicht, daß nicht ein Beweis, aus den ſubiectiven Quellen der Moͤglichkeit einer Erkentniß des Gegenſtandes uͤberhaupt, zu ſchaffen moͤglich, ia auch noͤthig waͤre, weil der Satz ſonſt gleich- wol den groͤßten Verdacht einer blos erſchlichenen Behaup- tung auf ſich haben wuͤrde. Zweitens werden wir uns blos auf dieienigen Grund- ſaͤtze, die ſich auf die Categorien beziehen, einſchraͤnken. Die Principien der transſcendentalen Aeſthetik, nach wel- chen Raum und Zeit die Bedingungen der Moͤglichkeit aller Dinge als Erſcheinungen ſind, imgleichen die Reſtri- ction dieſer Grundſaͤtze: daß ſie nemlich nicht auf Dinge an ſich ſelbſt bezogen werden koͤnnen, gehoͤren alſo nicht in unſer abgeſtochenes Feld der Unterſuchung. Eben ſo machen die mathematiſchen Grundſaͤtze keinen Theil dieſes Syſtems aus, weil ſie nur aus der Anſchauung, aber nicht aus dem reinen Verſtandesbegriffe gezogen ſind; doch wird die Moͤglichkeit derſelben, weil ſie gleichwol ſynthe- tiſche Urtheile a priori ſeyn, hier nothwendig Platz finden, zwar nicht, um ihre Richtigkeit und apodictiſche Gewis- heit zu beweiſen, welches ſie gar nicht noͤthig haben, ſon- dern nur die Moͤglichkeit ſolcher evidenten Erkentniſſe a priori begreiflich zu machen und zu deduciren. Wir werden aber auch von dem Grundſatze analyti- ſcher Urtheile reden muͤſſen, und dieſes zwar im Gegen- ſatz K 3 [150/0180] Elementarl. II. Th I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſatz mit der ſynthetiſchen, als mit welchen wir uns eigentlich beſchaͤftigen, weil eben dieſe Gegenſtellung die Theorie der lezteren von allem Mißverſtande befreyet, und ſie in ihrer eigenthuͤmlichen Natur deutlich vor Augen leget. Das Syſtem der Grundſaͤtze des reinen Verſtandes Erſter Abſchnitt. Von dem oberſten Grundſatze aller Analytiſchen Urtheile. Von welchem Inhalt auch unſere Erkentniß ſey, und wie ſie ſich auf das Obiect beziehen mag, ſo iſt doch die allgemeine, obzwar nur negative Bedingung aller unſerer Urtheile uͤberhaupt, daß ſie ſich nicht ſelbſt widerſprechen; widrigenfals dieſe Urtheile an ſich ſelbſt (auch ohne Ruͤckſicht aufs Obiect) nichts ſind. Wenn aber auch gleich in unſerm Urtheile kein Widerſpruch iſt, ſo kan es demohngeachtet doch Begriffe ſo verbinden, wie es der Gegenſtand nicht mit ſich bringt, oder auch, ohne daß uns irgend ein Grund weder a priori noch a poſte- riori gegeben iſt, welcher ein ſolches Urtheil berechtigte, und ſo kan ein Urtheil bey allem dem, daß es von allem innern Widerſpruche frey iſt, doch entweder falſch oder grundlos ſeyn. Der [151/0181] I. Abſch. Vom oberſten Grundſ. analyt. Urtheile. Der Satz nun: Keinem Dinge komt ein Praͤdicat zu, welches ihm widerſpricht, heißt der Satz des Widerſpruchs, und iſt ein allgemeines, obzwar blos negatives Criterium al- ler Wahrheit, gehoͤrt aber auch darum blos in die Logik, weil er von Erkentniſſen, blos als Erkentniſſen uͤberhaupt, unangeſehen ihres Inhalts gilt, und ſagt: daß der Wi- derſpruch ſie gaͤnzlich vernichte und aufhebe. Man kan aber doch von demſelben auch einen po- ſitiven Gebrauch machen, d. i. nicht blos, um Falſchheit und Irrthum (ſo fern er auf dem Widerſpruch beruhet) zu verbannen, ſondern auch Wahrheit zu erkennen. Denn, wenn das Urtheil analytiſch iſt, es mag nun verneinend oder beiahend ſeyn, ſo muß deſſen Wahrheit iederzeit nach dem Satze des Widerſpruchs hinreichend koͤnnen erkant werden. Denn von dem, was in der Erkentniß des Ob- iects ſchon als Begriff liegt und gedacht wird, wird das Widerſpiel iederzeit richtig verneinet, der Begriff ſelber aber nothwendig von ihm beiahet werden muͤſſen, dar- um, weil das Gegentheil deſſelben dem Obiecte wider- ſprechen wuͤrde. Daher muͤſſen wir auch den Satz des Widerſpruchs, als das allgemeine und voͤllig hinreichende Principium aller analytiſchen Erkentniß gelten laſſen; aber weiter geht auch ſein Anſehen und Brauchbarkeit nicht, als eines hinreichenden Criterium der Wahrheit. Denn daß ihm gar keine Erkentniß zuwider ſeyn koͤnne, ohne ſich ſelbſt zu vernichten, das macht dieſen Satz wol zur conditio ſine K 4 [152/0182] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſine qua non, aber nicht zum Beſtimmungsgrunde der Wahrheit unſerer Erkentniß. Da wir es nun eigentlich nur mit dem ſynthetiſchen Theile unſerer Erkentniß zu thun haben, ſo werden wir zwar iederzeit bedacht ſeyn, dieſem unverletzlichen Grundſatz niemals zu wider zu han- deln, von ihm aber, in Anſehung der Wahrheit von der- gleichen Art der Erkentniß, niemals einigen Aufſchluß ge- waͤrtigen koͤnnen. Es iſt aber doch eine Formel dieſes beruͤhmten, ob- zwar von allem Inhalt entbloͤßten und blos formalen Grundſatzes, die eine Syntheſis enthaͤlt, welche aus Un- vorſichtigkeit und ganz unnoͤthiger Weiſe in ihr gemiſcht worden. Sie heißt: Es iſt unmoͤglich, daß etwas zu- gleich ſey und nicht ſey. Auſſer dem, daß hier die apo- dictiſche Gewißheit (durch das Wort unmoͤglich) uͤber- fluͤßiger Weiſe angehengt worden, die ſich doch von ſelbſt aus dem Satz muß verſtehen laſſen, ſo iſt der Satz durch die Bedingung der Zeit afficirt, und ſagt gleichſam: Ein Ding = A, welches etwas = B iſt, kan nicht zu gleicher Zeit non B ſeyn, aber es kan gar wol beydes (B ſo wol, als non B) nach einander ſeyn. z. B. Ein Menſch, der iung iſt, kan nicht zugleich alt ſeyn, eben derſelbe kan aber ſehr wohl zu einer Zeit iung, zur andern nicht iung, d. i. alt ſeyn. Nun muß der Satz des Wider- ſpruchs, als ein blos logiſcher Grundſatz, ſeine Ausſpruͤ- che gar nicht auf die Zeitverhaͤltniſſe einſchraͤnken, daher iſt [153/0183] I. Abſch. Vom oberſten Grundſ. analyt. Urtheile iſt eine ſolche Formel der Abſicht deſſelben ganz zu wider. Der Mißverſtand komt blos daher: daß man ein Praͤdicat eines Dinges zuvoͤrderſt von dem Begriff deſſelben abſon- dert, und nachher ſein Gegentheil mit dieſem Praͤdicate verknuͤpft, welches niemals einen Widerſpruch mit dem Sub- iecte, ſondern nur mit deſſen Praͤdicate, welches mit ienem ſyn- thetiſch verbunden worden, abgiebt, und zwar nur denn, wenn das erſte und zweyte Praͤdicat zu gleicher Zeit geſezt werden. Sage ich, ein Menſch, der ungelehrt iſt, iſt nicht gelehrt, ſo muß die Bedingung: zugleich dabey ſtehen; denn der, ſo zu einer Zeit ungelehrt iſt, kan zu einer andern gar wol gelehrt ſeyn. Sage ich aber, kein ungelehrter Menſch iſt gelehrt, ſo iſt der Satz analytiſch, weil das Merkmal (der Ungelahrtheit) nunmehr den Begriff des Subiects mit aus- macht, und alsdenn erhellet der verneinende Satz unmittel- bar aus dem Satze des Widerſpruchs, ohne daß die Be- dingung: zugleich hinzu kommen darf. Dieſes iſt denn auch die Urſache, weswegen ich oben die Formel deſſelben ſo veraͤndert habe, daß die Natur eines analytiſchen Satzes dadurch deutlich ausgedruckt wird. [Abbildung] Das K 5 [154/0184] Elementarl. II. Th. I. Abth. II Buch. II. Hauptſt. Des Syſtems der Grundſaͤtze des reinen Verſtandes Zweiter Abſchnitt. Von dem oberſten Grundſatze aller ſynthetiſchen Urtheile. Die Erklaͤrung der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile, iſt eine Aufgabe, mit der die allgemeine Logik gar nichts zu ſchaffen hat, die auch ſo gar ihren Namen nicht einmal kennen darf. Sie iſt aber in einer transſcenden- talen Logik das wichtigſte Geſchaͤfte unter allen, und ſogar das einzige, wenn von der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile a priori die Rede iſt, imgleichen den Bedingungen und dem Umfange ihrer Guͤltigkeit. Denn nach Vollendung deſſelben, kan ſie ihrem Zwecke, nemlich den Umfang und die Grenzen des reinen Verſtandes zu beſtimmen, vollkom- men ein Gnuͤge thun. Im analytiſchen Urtheile bleibe ich bey dem gegebe- nen Begriffe, um etwas von ihm auszumachen. Soll es beiahend ſeyn, ſo lege ich dieſem Begriffe nur dasienige bey, was in ihm ſchon gedacht war; ſoll es verneinend ſeyn, ſo ſchlieſſe ich nur das Gegentheil deſſelben von ihm aus. In ſynthetiſchen Urtheilen aber ſoll ich aus dem ge- gebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demſelben in Verhaͤltniß zu betrachten, welches daher niemals, weder ein Verhaͤltniß der Identitaͤt, noch des Widerſpruchs iſt, und wobey dem Ur- [155/0185] II. Abſch. Vom oberſten Grundſ. ſynthet. Urth. Urtheile an ihm ſelbſt weder die Wahrheit, noch der Irr- thum angeſehen werden kan. Alſo zugegeben: daß man aus einem gegebenen Be- griffe hinausgehen muͤſſe, um ihn mit einem andern ſyn- thetiſch zu vergleichen; ſo iſt ein Drittes noͤthig, worin allein die Syntheſis zweener Begriffe entſtehen kan. Was iſt nun aber dieſes Dritte, als das Medium aller ſynthe- tiſchen Urtheile? Es iſt nur ein Inbegriff, darin alle unſre Vorſtellungen enthalten ſind, nemlich der innre Sinn, und die Form deſſelben a priori, die Zeit. Die Syntheſis der Vorſtellungen beruht auf der Einbildungs- kraft, die ſynthetiſche Einheit derſelben aber (die zum Ur- theile erforderlich iſt) auf der Einheit der Apperception. Hierin wird alſo die Moͤglichkeit ſynthetiſcher Urtheile, und da alle drey die Quellen zu Vorſtellungen a priori ent- halten, auch die Moͤglichkeit reiner ſynthetiſcher Urtheile zu ſuchen ſeyn, ia ſie werden ſo gar aus dieſen Gruͤnden nothwendig ſeyn, wenn eine Erkentniß von Gegenſtaͤnden zu Stande kommen ſoll, die lediglich auf der Syntheſis der Vorſtellungen beruht. Wenn eine Erkentniß obiective Realitaͤt haben, d. i. ſich auf einen Gegenſtand beziehen, und in demſelben Be- deutung und Sinn haben ſoll, ſo muß der Gegenſtand auf irgend eine Art gegeben werden koͤnnen. Ohne das ſind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der That aber durch dieſes Denken nichts erkant, ſondern blos mit Vorſtellungen geſpielt. Einen Gegenſtand geben, wenn [156/0186] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. wenn dieſes nicht wiederum nur mittelbar gemeint ſeyn ſoll, ſondern unmittelbar in der Anſchauung darſtellen, iſt nichts anders, als deſſen Vorſtellung auf Erfahrung (es ſey wirkliche oder doch moͤgliche) beziehen. Selbſt der Raum und die Zeit, ſo rein dieſe Begriffe auch von allem Empiriſchen ſind, und ſo gewiß es auch iſt, daß ſie voͤllig a priori im Gemuͤthe vorgeſtellt werden, wuͤrden doch ohne obiective Guͤltigkeit und ohne Sinn und Bedeutung ſeyn, wenn ihr nothwendiger Gebrauch an den Gegen- ſtaͤnden der Erfahrung nicht gezeigt wuͤrde, ia ihre Vor- ſtellung iſt ein bloſſes Schema, das ſich immer auf die re- productive Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenſtaͤn- de der Erfahrung herbey ruft, ohne die ſie keine Bedeu- tung haben wuͤrden; und ſo iſt es mit allen Begriffen ohne Unterſchied. Die Moͤglichkeit der Erfahrung iſt alſo das, was al- len unſern Erkentniſſen a priori obiective Realitaͤt giebt. Nun beruht Erfahrung auf der ſynthetiſchen Einheit der Er- ſcheinungen, d. i. auf einer Syntheſis nach Begriffen vom Gegenſtande der Erſcheinungen uͤberhaupt, ohne welche ſie nicht einmal Erkentniß, ſondern eine Rhapſodie von Wahr- nehmungen ſeyn wuͤrde, die ſich in keinen Context nach Regeln eines durchgaͤngig verknuͤpften (moͤglichen) Be- wuſtſeyns, mithin auch nicht zur transſcendentalen und nothwendigen Einheit der Apperception zuſammen ſchicken wuͤrden. Die Erfahrung hat alſo Principien ihrer Form a priori zum Grunde liegen, nemlich allgemeine Regeln der [157/0187] II. Abſch. Vom oberſten Grundſ. ſynthet. Urtheile. der Einheit in der Syntheſis der Erſcheinungen, deren obiective Realitaͤt, als nothwendige Bedingungen, iederzeit in der Erfahrung, ia ſo gar ihrer Moͤglichkeit gewieſen werden kan. Auſſer dieſer Beziehung aber ſind ſyntheti- ſche Saͤtze a priori gaͤnzlich unmoͤglich, weil ſie kein Drit- tes, nemlich reinen Gegenſtand haben, an dem die ſynthe- tiſche Einheit ihrer Begriffe obiective Realitaͤt darthun koͤnte. Ob wir daher gleich vom Raume uͤberhaupt, oder den Geſtalten, welche die productive Einbildungskraft in ihm verzeichnet, ſo vieles a priori in ſynthetiſchen Urtheilen erkennen, ſo, daß wir wirklich hiezu gar keiner Erfahrung beduͤrfen, ſo wuͤrde doch dieſes Erkentniß gar nichts, ſon- dern die Beſchaͤftigung mit einem bloſſen Hirngeſpinſt ſeyn, waͤre der Raum nicht, als Bedingung der Erſcheinungen, welche den Stoff zur aͤuſſeren Erfahrung ausmachen, an- zuſehen: daher ſich iene reine ſynthetiſche Urtheile, ob- zwar nur mittelbar, auf moͤgliche Erfahrung, oder viel- mehr auf dieſer ihre Moͤglichkeit ſelbſt beziehen, und dar- auf allein die obiective Guͤltigkeit ihrer Syntheſis gruͤnden. Da alſo Erfahrung, als empiriſche Syntheſis, in ihrer Moͤglichkeit die einzige Erkentnißart iſt, welche aller andern Syntheſis Realitaͤt giebt, ſo hat dieſe als Erkent- niß a priori auch nur dadurch Wahrheit, (Einſtimmung mit dem Obiect), daß ſie nichts weiter enthaͤlt, als was zur [158/0188] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. zur ſynthetiſchen Einheit der Erfahrung uͤberhaupt noth- wendig iſt. Das oberſte Principium aller ſynthetiſchen Urtheile iſt alſo: ein ieder Gegenſtand ſteht unter den nothwendi- gen Bedingungen der ſynthetiſchen Einheit des Mannig- faltigen der Anſchauung in einer moͤglichen Erfahrung. Auf ſolche Weiſe ſind ſynthetiſche Urtheile a priori moͤglich, wenn wir die formale Bedingungen der Anſchau- ung a priori, die Syntheſis der Einbildungskraft und die nothwendige Einheit derſelben in einer transſcendentalen Apperception auf ein moͤgliches Erfahrungserkentniß uͤber- haupt beziehen, und ſagen: die Bedingungen der Moͤg- lichkeit der Erfahrung uͤberhaupt ſind zugleich Bedingun- gen der Moͤglichkeit der Gegenſtaͤnde der Erfahrung, und haben darum obiective Guͤltigkeit in einem ſyntheti- ſchen Urtheile a priori. Des Syſtems der Grundſaͤtze des reinen Verſtandes Dritter Abſchnitt. Syſtematiſche Vorſtellung aller ſynthetiſchen Grundſaͤtze deſſelben. Daß uͤberhaupt irgend wo Grundſaͤtze ſtatt finden, das iſt lediglich dem reinen Verſtande zuzuſchreiben, der nicht allein das Vermoͤgen der Regeln iſt, in Anſehung deſſen, was geſchieht, ſondern ſelbſt der Quell der Grund- ſaͤtze, [159/0189] III. Abſch. Vom oberſten Grundſ. ſynthet Urth. ſaͤtze, nach welchem alles, (was uns nur als Gegen- ſtand vorkommen kan) nothwendig unter Regeln ſtehet, weil, ohne ſolche, den Erſcheinungen niemals Erkentniß eines ihnen correſpondirenden Gegenſtandes zukommen koͤnte. Selbſt Naturgeſetze, wenn ſie als Grundſaͤtze des empiriſchen Verſtandesgebrauchs betrachtet werden, fuͤhren zugleich einen Ausdruck der Nothwendigkeit, mithin we- nigſtens die Vermuthung einer Beſtimmung aus Gruͤnden, die a priori, und vor aller Erfahrung guͤltig ſeyn, bey ſich. Aber ohne Unterſchied ſtehen alle Geſetze der Natur unter hoͤheren Grundſaͤtzen des Verſtandes, indem ſie dieſe nur auf beſondere Faͤlle der Erſcheinung anwenden. Dieſe allein geben alſo den Begriff, der die Bedingung und gleich- ſam den Exponenten zu einer Regel uͤberhaupt enthaͤlt. Erfahrung aber giebt den Fall, der unter der Regel ſteht. Daß man blos empir. Grundſaͤtze vor Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, oder auch umgekehrt anſehe, deshalb kan wol eigentlich keine Gefahr ſeyn; denn die Nothwendig- keit nach Begriffen, welche die leztere auszeichnet, und deren Mangel in iedem empiriſchen Satze, ſo allgemein er auch gel- ten mag, leicht wahrgenommen wird, kan dieſe Verwech- ſelung leicht verhuͤten. Es giebt aber reine Grundſaͤtze a priori, die ich gleichwol doch nicht dem reinen Verſtan- de eigenthuͤmlich beymeſſen moͤchte, darum, weil ſie nicht aus reinen Begriffen, ſondern aus reinen Anſchauungen (obgleich vermittelſt des Verſtandes) gezogen ſind; Ver- ſtand [160/0190] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſtand iſt aber das Vermoͤgen der Begriffe. Die Mathe- matik hat dergleichen, aber ihre Anwendung auf Erfah- rung, mithin ihre obiective Guͤltigkeit, ia die Moͤglichkeit ſolcher ſynthetiſcher Erkentniß a priori (die Deduction derſelben) beruht doch immer auf dem reinen Verſtande. Daher werde ich unter meine Grundſaͤtze die der Mathematik nicht mitzaͤhlen, aber wol dieienige, worauf ſich dieſer ihre Moͤglichkeit und obiective Guͤltigkeit a priori gruͤndet, und die mithin als Principium dieſer Grundſaͤtze anzuſehen ſeyn, und von Begriffen zur Anſchauung, nicht aber von der Anſchauung zu Begriffen ausgehen. In der Anwendung der reinen Verſtandesbegriffe auf moͤgliche Erfahrung iſt der Gebrauch ihrer Syntheſis ent- weder mathematiſch, oder dynamiſch: denn ſie geht theils blos auf die Anſchauung, theils auf das Daſeyn einer Erſcheinung uͤberhaupt. Die Bedingungen a priori der Anſchauung ſind aber in Anſehung einer moͤglichen Erfah- rung durchaus nothwendig, die des Daſeyns der Obiecte einer moͤglichen empiriſchen Anſchauung an ſich nur zufaͤllig. Daher werden die Grundſaͤtze des mathematiſchen Gebrauchs unbedingt nothwendig, d. i. apodictiſch lauten, die aber des dynamiſchen Gebrauchs werden zwar auch den Charac- ter einer Nothwendigkeit a priori, aber nur unter der Be- dingung des empiriſchen Denkens in einer Erfahrung, mit- hin nur mittelbar und indirect bey ſich fuͤhren, folglich die- ienige unmittelbare Evidenz nicht enthalten, (obzwar ihrer auf Erfahrung allgemein bezogenen Gewißheit unbeſchadet) die [161/0191] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. die ienen eigen iſt. Doch dies wird ſich beym Schluſſe dieſes Syſtems von Grundſaͤtzen beſſer beurtheilen laſſen. Die Tafel der Categorien giebt uns die ganz natuͤrli- che Anweiſung zur Tafel der Grundſaͤtze, weil dieſe doch nichts anders, als Regeln des obiectiven Gebrauchs der erſteren ſind. Alle Grundſaͤtze des reinen Verſtandes ſind demnach 1. Axiomen der Anſchauung 2. Anticipationen der Wahrnehmung 3. Analogien der Erfahrung 4. Poſtulate des empiriſchen Denkens uͤberhaupt. Dieſe Benennungen habe ich mit Vorſicht gewaͤhlt, um die Unterſchiede in Anſehung der Evidenz und der Aus- uͤbung dieſer Grundſaͤtze nicht unbemerkt zu laſſen. Es wird ſich aber bald zeigen: daß, was ſo wol die Evidenz, als die Beſtimmung der Erſcheinungen a priori, nach den Categorien der Groͤſſe und der Qualitaͤt (wenn man le- diglich auf die Form der lezteren acht hat) betrift, die Grund- L [162/0192] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Haupſt. Grundſaͤtze derſelben ſich darin von denen zweyen uͤbrigen nahmhaft unterſcheiden; indem iene einer intuitiven, dieſe aber einer blos diſcurſiven, obzwar beyderſeits einer voͤlligen Gewißheit faͤhig ſind. Ich werde daher iene die mathe- matiſche, dieſe die dynamiſche Grundſaͤtze nennen. Man wird aber wol bemerken: daß ich hier eben ſo wenig die Grundſaͤtze der Mathematik in einem Falle, als die Grundſaͤtze der allgemeinen (phyſiſchen) Dynamik im an- dern, ſondern nur die des reinen Verſtandes im Verhaͤlt- niß auf den innern Sinn (ohne Unterſchied der darin ge- gebenen Vorſtellungen) vor Augen habe, dadurch denn iene insgeſamt ihre Moͤglichkeit bekommen. Ich benenne ſie alſo mehr in Betracht der Anwendung, als um ihres In- halts willen, und gehe nun zur Erwaͤgung derſelben in der nemlichen Ordnung, wie ſie in der Tafel vorgeſtellt werden. 1. Von den Axiomen der Anſchauung. Grundſatz des reinen Verſtandes: Alle Erſchei- nungen ſind ihrer Anſchauung nach extenſive Groͤſſen. Eine extenſive Groͤſſe nenne ich dieienige, in welcher die Vorſtellung der Theile die Vorſtellung des Ganzen moͤg- lich macht, (und alſo nothwendig vor dieſer vorhergeht). Ich kan mir keine Linie, ſo klein ſie auch ſey, vorſtellen, ohne ſie in Gedanken zuziehen, d. i. von einem Puncte alle Thei- [163/0193] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Theile nach und nach zu erzeugen, und dadurch allererſt dieſe Anſchauung zu verzeichnen. Eben ſo iſt es auch mit ieder auch der kleinſten Zeit bewandt. Ich denke mir darin nur den ſucceſſiven Fortgang von einem Augenblick zum andern, wo durch alle Zeittheile und deren Hinzuthun endlich eine beſtimte Zeitgroͤſſe erzeugt wird. Da die bloſſe Anſchauung an allen Erſcheinungen entweder der Raum, oder die Zeit iſt, ſo iſt iede Erſcheinung als An- ſchauung eine extenſive Groͤſſe, indem ſie nur durch ſuc- ceſſive Syntheſis (von Theil zu Theil) in der Apprehen- ſion erkant werden kan. Alle Erſcheinungen werden dem- nach ſchon als Aggregate (Menge vorhergegebener Theile) angeſchaut, welches eben nicht der Fall bey ieder Art Groͤſſen, ſondern nur derer iſt, die uns extenſiv als ſolche vorgeſtellt und apprehendirt werden. Auf dieſe ſucceſſive Syntheſis der productiven Ein- bildungskraft, in der Erzeugung der Geſtalten, gruͤndet ſich die Mathematik der Ausdehnung (Geometrie) mit ihren Axiomen, welche die Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung a priori ausdruͤcken, unter denen allein das Schema eines reinen Begriffs der aͤuſſeren Erſcheinung zu Stande kommen kan, z. E. zwiſchen zwey Puncten iſt nur eine gerade Linie moͤglich; zwey gerade Linien ſchlieſſen kei- nen Raum ein ꝛc. Dies ſind die Axiomen, welche eigent- lich nur Groͤſſen (quanta) als ſolche betreffen. Was aber die Groͤße, (quantitas) d. i. die Antwort auf die Frage: wie groß etwas ſey? betrift, ſo giebt es in L 2 [164/0194] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. in Anſehung derſelben, obgleich verſchiedene dieſer Saͤtze ſynthetiſch und unmittelbar gewiß (indemonſtrabilia) ſeyn, dennoch im eigentlichen Verſtande keine Axiomen. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugethan, oder von die- ſem abgezogen, ein gleiches gebe, ſind analytiſche Saͤtze, indem ich mir der Identitaͤt der einen Groͤſſenerzeugung mit der andern unmittelbar bewuſt bin; Axiomen aber ſol- len ſynthetiſche Saͤtze a priori ſeyn. Dagegen ſind die evidente Saͤtze der Zahlverhaͤltniß zwar allerdings ſynthe- tiſch, aber nicht allgemein, wie die der Geometrie, und eben um deswillen auch nicht Axiomen, ſondern koͤnnen Zahlformeln genant werden. Daß 7 + 5 = 12 ſey, iſt kein analytiſcher Satz. Denn ich denke weder in der Vorſtellung von 7, noch von 5, noch in der Vorſtellung von der Zuſammenſetzung beyder die Zahl 12, (daß ich dieſe in der Addition beyder denken ſolle, davon iſt hier nicht die Rede; denn bey dem analytiſchen Satze iſt nur die Frage, ob ich das Praͤdicat wirklich in der Vorſtellung des Subiects denke). Ob er aber gleich ſynthetiſch iſt, ſo iſt er doch nur ein einzelner Satz. So fern hier blos auf die Syntheſis des gleichartigen (der Einheiten) geſe- hen wird, ſo kan die Syntheſis hier nur auf eine einzige Art geſchehen, wiewol der Gebrauch dieſer Zahlen nach- her allgemein iſt. Wenn ich ſage: durch drey Linien, de- ren zwey zuſammengenommen groͤſſer ſind, als die dritte, laͤßt ſich ein Triangel zeichnen; ſo habe ich hier die bloſſe Function der productiven Einbildungskraft, welche die Linien [165/0195] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Linien groͤſſer und kleiner ziehen, imgleichen nach allerley beliebigen Winkeln kan zuſammenſtoſſen laſſen. Dage- gen iſt die Zahl 7 nur auf eine einzige Art moͤglich, und auch die Zahl 12, die durch die Syntheſis der erſteren mit 5 erzeugt wird. Dergleichen Saͤtze muß man alſo nicht Axiomen, (denn ſonſt gaͤbe es deren unendliche) ſon- dern Zahlformeln nennen. Dieſer transſcendentale Grundſatz der Mathematik der Erſcheinungen giebt unſerem Erkentniß a priori groſſe Erweiterung. Denn er iſt es allein, welcher die reine Mathematik in ihrer ganzen Praͤciſion auf Gegenſtaͤnde der Erfahrung anwendbar macht, welches ohne dieſen Grund- ſatz nicht ſo von ſelbſt erhellen moͤchte, ia auch manchen Widerſpruch veranlaſſet hat. Erſcheinungen ſind keine Dinge an ſich ſelbſt. Die empiriſche Anſchauung iſt nur durch die reine (des Raumes und der Zeit) moͤglich; was alſo die Geometrie von dieſer ſagt, gilt auch ohne Wider- rede von iener, und die Ausfluͤchte, als wenn Gegenſtaͤnde der Sinne nicht den Regeln der Conſtruction im Raume (z. E. der unendlichen Theilbarkeit der Linien oder Winkel) gemaͤß ſeyn duͤrfe, muß wegfallen. Denn dadurch ſpricht man dem Raume und mit ihm zugleich aller Mathematik obiective Guͤltigkeit ab, und weis nicht mehr, warum, und wie weit ſie auf Erſcheinungen anzuwenden ſey. Die Syntheſis der Raͤume und Zeiten, als der weſentlichen Form aller Anſchauung, iſt das, was zugleich die Appre- hen- L 3 [166/0196] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. henſion der Erſcheinung, mithin iede aͤuſſere Erfahrung, folglich auch alle Erkentniß der Gegenſtaͤnde derſelben, moͤg- lich macht, und was die Mathematik im reinen Gebrauch von iener beweiſet, das gilt auch nothwendig von dieſer. Alle Einwuͤrfe dawider ſind nur Chikanen einer falſch be- lehrten Vernunft, die irriger Weiſe die Gegenſtaͤnde der Sinne von der formalen Bedingung unſerer Sinnlichkeit loszumachen gedenkt, und ſie, obgleich ſie blos Erſcheinun- gen ſind, als Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt, dem Verſtande gegeben, vorſtellt, in welchem Falle freilich von ihnen a priori gar nichts, mithin auch nicht durch reine Begriffe vom Raume, ſynthetiſch erkant werden koͤnte und die Wiſſenſchaft, die dieſe beſtimt, nemlich die Geometrie ſelbſt nicht moͤglich ſeyn wuͤrde. 2. Die Anticipationen der Wahrnehmung. Der Grundſatz, welcher alle Wahrnehmungen, als ſolche, anticipirt, heißt ſo: In allen Erſcheinungen hat die Empfindung, und das Reale, welches ihr an dem Ge- genſtande entſpricht, (realitas phaenomenon) eine inten- ſive Groͤſſe, d. i. einen Grad. Man kan alle Erkentniß, wodurch ich dasienige, was zur empiriſchen Erkentniß gehoͤrt, a priori erkennen und beſtimmen kan, eine Anticipation nennen, und ohne Zweifel iſt das die Bedeutung, in welcher Epicur ſeinen Aus- [167/0197] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Ausdruck προληψις brauchte. Da aber an den Erſchei- nungen etwas iſt, was niemals a priori erkant wird, und welches daher auch den eigentlichen Unterſchied des empi- riſchen von dem Erkentniß a priori ausmacht, nemlich die Empfindung, (als Materie der Wahrnehmung) ſo folgt, daß dieſe es eigentlich ſey, was gar nicht anticipirt wer- den kan. Dagegen wuͤrden wir die reine Beſtimmungen im Raume und der Zeit, ſowol in Anſehung der Geſtalt, als Groͤſſe, Anticipationen der Erſcheinungen nennen koͤn- nen, weil ſie dasienige a priori vorſtellen, was immer a poſteriori in der Erfahrung gegeben werden mag. Ge- ſezt aber, es finde ſich doch etwas, was ſich an ieder Em- pfindung, als Empfindung uͤberhaupt, (ohne, daß eine beſondere gegeben ſeyn mag,) a priori erkennen laͤßt; ſo wuͤrde dieſes im ausnehmenden Verſtande Anticipation ge- nant zu werden verdienen, weil es befremdlich ſcheint, der Erfahrung in demienigen vorzugreifen, was gerade die Materie derſelben angeht, die man nur aus ihr ſchoͤpfen kan. Und ſo verhaͤlt es ſich hier wirklich. Die Apprehenſion, blos vermittelſt der Empfindung, erfuͤllet nur einen Augenblick, (wenn ich nemlich nicht die Succeſſion vieler Empfindungen in Betracht ziehe). Als etwas in der Erſcheinung, deſſen Apprehenſion keine ſucceſſive Syntheſis iſt, die von Theilen zur ganzen Vor- ſtellung fortgeht, hat ſie alſo keine extenſive Groͤſſe: der Mangel der Empfindung in demſelben Augenblicke wuͤrde die- L 4 [168/0198] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. dieſen, als leer, vorſtellen, mithin = 0. Was nun in der empiriſchen Anſchauung der Empfindung correſpondirt, iſt Realitaͤt (realitas phaenomenon) was dem Mangel derſelben entſpricht, Negation = 0. Nun iſt aber iede Empfindung einer Verringerung faͤhig, ſo daß ſie abneh- men, und ſo allmaͤhlig verſchwinden kan. Daher iſt zwi- ſchen Realitaͤt in der Erſcheinung und Negation ein conti- nuirlicher Zuſammenhang vieler moͤglichen Zwiſchenempfin- dungen, deren Unterſchied von einander immer kleiner iſt, als der Unterſchied zwiſchen der gegebenen und dem Zero, oder der gaͤnzlichen Negation, d. i. das Reale in der Er- ſcheinung hat iederzeit eine Groͤſſe, welche aber nicht in der Apprehenſion angetroffen wird, indem dieſe vermittelſt der bloſſen Empfindung in einem Augenblicke, und nicht durch ſucceſſive Syntheſis vieler Empfindungen geſchieht, und alſo nicht von den Theilen zum Ganzen geht; es hat alſo zwar eine Groͤſſe, aber keine extenſive. Nun nenne ich dieienige Groͤſſe, die nur als Einheit apprehendirt wird, und in welcher die Vielheit nur durch Annaͤherung zur Negation = 0 vorgeſtellt werden kan, die intenſive Groͤſſe. Alſo hat iede Realitaͤt in der Er- ſcheinung intenſive Groͤſſe, d. i. einen Grad. Wenn man dieſe Realitaͤt als Urſache, (es ſey der Empfindung oder anderer Realitaͤt in der Erſcheinung, z. B. einer Veraͤnde- rung) betrachtet; ſo nent man den Grad der Realitaͤt als Urſache, ein Moment, z. B. das Moment der Schwe- re, [169/0199] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. re, und zwar darum, weil der Grad nur die Groͤſſe be- zeichnet, deren Apprehenſion nicht ſucceſſiv, ſondern au- genblicklich iſt. Dieſes beruͤhre ich aber hier nur beylaͤufig, denn mit der Cauſſalitaͤt habe ich vor iezt noch nicht zu thun. So hat demnach iede Empfindung, mithin auch iede Realitaͤt in der Erſcheinung, ſo klein ſie auch ſeyn mag, einen Grad, d. i. eine intenſive Groͤſſe, die noch immer vermindert werden kan, und zwiſchen Realitaͤt und Nega- tion iſt ein continuirlicher Zuſammenhang moͤglicher Rea- litaͤten, und moͤglicher kleinerer Wahrnehmungen. Eine iede Farbe z. E. die rothe hat einen Grad, der, ſo klein er auch ſeyn mag, niemals der kleinſte iſt, und ſo iſt es mit der Waͤrme, dem Moment der Schwere ꝛc. uͤberall bewandt. Die Eigenſchaft der Groͤſſen, nach welcher an ihnen kein Theil der kleinſtmoͤgliche (kein Theil einfach) iſt, heißt die Continuitaͤt derſelben. Raum und Zeit ſind quanta continua, weil kein Theil derſelben gegeben werden kan, ohne ihn zwiſchen Grenzen (Puncten und Augenblicken) einzuſchlieſſen, mithin nur ſo, daß dieſer Theil ſelbſt wie- derum ein Raum, oder eine Zeit iſt. Der Raum beſteht alſo nur aus Raͤumen, die Zeit aus Zeiten. Puncte und Augenblicke ſind nur Grenzen, d. i. bloſſe Stellen ihrer Einſchraͤnkung, Stellen aber ſetzen iederzeit iene Anſchau- ungen, die ſie beſchraͤnken, oder beſtimmen ſollen, vor- aus, und aus bloſſen Stellen, als aus Beſtandtheilen, die noch L 5 [170/0200] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. noch vor dem Raume oder der Zeit gegeben werden koͤnten, kan weder Raum noch Zeit zuſammen geſezt werden. Dergleichen Groͤſſen kan man auch flieſſende nennen, weil die Syntheſis (der productiven Einbildungskraft) in ihrer Er- zeugung ein Fortgang in der Zeit iſt, deren Continuitaͤt man beſonders durch den Ausdruck des Flieſſens (Verflieſ- ſens) zu bezeichnen pflegt. Alle Erſcheinungen uͤberhaupt ſind demnach continuir- liche Groͤſſen, ſowol ihrer Anſchauung nach, als extenſive, oder der bloſſen Wahrnehmung (Empfindung und mithin Realitaͤt) nach, als intenſive Groͤſſen. Wenn die Syntheſis des Mannigfaltigen der Erſcheinung unterbro- chen iſt, ſo iſt dieſes ein Aggregat von vielen Erſcheinun- gen, und nicht eigentlich Erſcheinung als ein Quantum, welches nicht durch die bloſſe Fortſetzung der productiven Syntheſis einer gewiſſen Art, ſondern durch Wiederholung einer immer aufhoͤrenden Syntheſis erzeugt wird. Wenn ich 13 Thaler ein Geldquantum nenne, ſo benenne ich es ſo fern richtig, als ich darunter den Gehalt von einer Mark fein Silber verſtehe, welche aber allerdings eine continuirliche Groͤſſe iſt, in welcher kein Theil der kleineſte iſt, ſondern ieder Theil ein Geldſtuͤck ausmachen koͤnte, wel- che immer Materie zu noch kleineren enthielte. Wenn ich aber unter iener Benennung 13 runde Thaler verſte- he, als ſo viel Muͤnzen, (ihr Silbergehalt mag ſeyn, welcher er wolle), ſo benenne ich es unſchicklich durch ein Quantum von Thalern, ſondern muß es ein Aggregat, d. i. [171/0201] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. d. i. eine Zahl Geldſtuͤcke nennen. Da nun bey aller Zahl doch Einheit zum Grunde liegen muß, ſo iſt die Erſchei- nung als Einheit, ein Quantum, und als ein ſolches ieder- zeit ein Continuum. Wenn nun alle Erſcheinungen, ſowol extenſiv, als intenſiv betrachtet, continuirliche Groͤſſen ſind; ſo wuͤrde der Satz: daß auch alle Veraͤnderung (Uebergang eines Dinges aus einem Zuſtande in den andern) continuirlich ſeyn, leicht und mit mathematiſcher Evidenz hier bewieſen werden koͤnnen, wenn nicht die Cauſſalitaͤt einer Veraͤnde- rung uͤberhaupt ganz auſſerhalb den Grenzen einer Trans- ſcendental-Philoſophie laͤge, und empiriſche Principien vor- ausſezte. Denn daß eine Urſache moͤglich ſey, welche den Zuſtand der Dinge veraͤndere, d. i. ſie zum Ge- gentheil eines gewiſſen gegebenen Zuſtandes beſtimme, da- von giebt uns der Verſtand a priori gar keine Eroͤfnung, nicht blos deswegen, weil er die Moͤglichkeit davon gar nicht einſieht, (denn dieſe Einſicht fehlt uns in mehreren Erkentniſſen a priori) ſondern, weil die Veraͤnderlich- keit nur gewiſſe Beſtimmungen der Erſcheinungen trift, welche die Erfahrung allein lehren kan, indeſſen daß ihre Urſache in dem Unveraͤnderlichen anzutreffen iſt. Da wir aber hier nichts vor uns haben, deſſen wir uns be- dienen koͤnnen, als die reinen Grundbegriffe aller moͤgli- chen Erfahrung, unter welchen durchaus nichts Empiri- ſches ſeyn muß, ſo koͤnnen wir, ohne die Einheit des Syſtems zu verletzen, der allgemeinen Naturwiſſenſchaft, wel- [172/0202] Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. welche auf gewiſſe Grunderfahrungen gebauet iſt, nicht vor- greifen. Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthuͤmern des groſſen Einfluſſes, den dieſer unſer Grundſatz hat, Wahrnehmungen zu anticipiren, und ſo gar deren Man- gel ſo fern zu ergaͤnzen, daß er allen falſchen Schluͤſſen, die daraus gezogen werden moͤchten, den Riegel vorſchiebt. Wenn alle Realitaͤt in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwiſchen dem und der Negation eine unend- liche Stufenfolge immer minderer Grade ſtatt findet, und gleichwol ein ieder Sinn einen beſtimten Grad der Re- ceptivitaͤt der Empfindungen haben muß, ſo iſt keine Wahr- nehmung, mithin auch keine Erfahrung moͤglich, die einen gaͤnzlichen Mangel alles Realen in der Erſcheinung, es ſey unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umſchweif im Schluͤſſen, als man immer wolle) bewieſe, d. i. es kan aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gaͤnz- liche Mangel des Realen in der ſinnlichen Anſchauung kan erſtlich ſelbſt nicht wahrgenommen werden, zweytens kan er aus keiner einzigen Erſcheinung und dem Unterſchiede des Grades ihrer Realitaͤt gefolgert, oder darf auch zur Erklaͤrung derſelben niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anſchauung eines beſtimten Rau- mes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil der- ſelben leer iſt; ſo muß es doch, weil iede Realitaͤt ihren Grad hat, der, bey unveraͤnderter extenſiven Groͤſſe der Er- [173/0203] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Erſcheinung bis zum Nichts (dem leeren) durch unendli- che Stufen abnehmen kan, unendlich verſchiedene Grade, mit welchen Raum oder Zeit erfuͤllet ſeyn, geben, und die intenſive Groͤſſe in verſchiedenen Erſcheinungen kleiner oder groͤſſer ſeyn koͤnnen, obſchon die extenſive Groͤſſe der Anſchauung gleich iſt. Wir wollen ein Beyſpiel davon geben. Beynahe alle Naturlehrer, da ſie einen groſſen Unterſchied der Quantitaͤt der Materie von verſchiedener Art unter gleichem Volumen (theils durch das Moment der Schweere, oder des Gewichts, theils durch das Moment des Widerſtandes gegen andere bewegter Materien) wahrnehmen, ſchließen daraus einſtimmig: dieſes Volumen (extenſive Groͤſſe der Erſcheinung) muͤſſe in allen Materien, ob zwar in ver- ſchiedenem Maaße leer ſeyn. Wer haͤtte aber von dieſen groͤßtentheils mathematiſchen und mechaniſchen Naturfor- ſchern ſich wol iemals einfallen laſſen, daß ſie dieſen ih- ren Schluß lediglich auf eine metaphyſiſche Vorausſetzung, welche ſie doch ſo ſehr zu vermeiden vorgeben, gruͤndeten, indem ſie annehmen, daß das Reale im Raume, (ich mag es hier nicht Undurchdringlichkeit oder Gewicht nen- nen, weil dieſes empiriſche Begriffe ſind,) allerwerts einerley ſey, und ſich nur der extenſiven Groͤſſe, d. i. der Menge nach unterſcheiden koͤnne. Dieſer Vorausſetzung, dazu ſie keinen Grund in der Erfahrung haben konten, und die alſo blos metaphyſiſch iſt, ſetze ich einen transſcen- den- [174/0204] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. dentalen Beweis entgegen, der zwar den Unterſchied in der Erfuͤllung der Raͤume nicht erklaͤren ſoll, aber doch die vermeinte Nothwendigkeit iener Vorausſetzung, gedach- ten Unterſchied nicht anders, wie durch anzunehmende leere Raͤume erklaͤren zu koͤnnen, voͤllig aufhebt, und das Ver- dienſt hat, den Verſtand wenigſtens in Freyheit zu verſe- tzen, ſich dieſe Verſchiedenheit auch auf andere Art zu den- ken, wenn die Naturerklaͤrung hiezu irgend eine Hypotheſe nothwendig machen ſollte. Denn da ſehen wir, daß, ob- ſchon gleiche Raͤume von verſchiedenen Materien vollkom- men erfuͤllt ſeyn moͤgen, ſo, daß in keinem von beyden ein Punct iſt, in welchem nicht ihre Gegenwart anzutref- fen waͤre, ſo habe doch iedes Reale bey derſelben Quali- taͤt ihren Grad (des Widerſtandes oder des Wiegens) wel- cher ohne Verminderung der extenſiven Groͤſſe oder Menge ins Unendliche kleiner ſeyn kan, ehe ſie in das leere uͤber- geht, und verſchwindet. So kan eine Ausſpannung, die einen Raum erfuͤllt z. B. Waͤrme, und auf gleiche Weiſe iede andere Realitaͤt (in der Erſcheinung) ohne im min- deſten den kleinſten Theil dieſes Raumes leer zu laſſen, in ihren Graden ins unendliche abnehmen, und nichts deſto weniger den Raum mit dieſen kleinern Graden eben ſowol erfuͤllen, als eine andere Erſcheinung mit groͤſſeren. Meine Abſicht iſt hier keinesweges, zu be- haupten: daß dieſes wirklich mit der Verſchiedenheit der Materien, ihrer ſpecifiſchen Schwere nach, ſo bewandt ſey, ſondern nur aus einem Grundſatze des reinen Verſtandes dar [175/0205] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. darzuthun: daß die Natur unſerer Wahrnehmungen eine ſolche Erklaͤrungsart moͤglich mache, und daß man faͤlſch- lich das Reale der Erſcheinung dem Grade nach, als gleich, und nur der Aggregation und deren extenſiven Groͤſſe nach, als verſchieden annehme, und dieſes ſo gar vorgeblicher maſſen, durch einen Grundſatz des Verſtandes a priori behaupte. Es hat gleichwol dieſe Anticipation der Wahrneh- mung etwas vor einen der transſcendentalen gewohnten und dadurch behutſam gewordenen Nachforſcher, immer etwas Auffallendes an ſich, und erregt daruͤber einiges Be- denken, daß der Verſtand einen dergleichen ſynthetiſchen Satz, als der von dem Grad alles Realen in den Erſchei- nungen iſt, und mithin der Moͤglichkeit des innern Unter- ſchiedes der Empfindung ſelbſt, wenn man von ihrer em- piriſchen Qualitaͤt abſtrahirt, und es iſt alſo noch eine der Aufloͤſung nicht unwuͤrdige Frage: wie der Verſtand hier- in ſynthetiſch uͤber Erſcheinungen a priori ausſprechen, und dieſe ſo gar in demienigen, was eigentlich, und blos empiriſch iſt, nemlich die Empfindung angeht, anticipi- ren koͤnne. Die Qualitaͤt der Empfindung iſt iederzeit bloß em- piriſch, und kan a priori gar nicht vorgeſtellet werden, (z. B. Farben, Geſchmack ꝛc.). Aber das Reale, was den Empfindungen uͤberhaupt correſpondirt, im Gegenſatz mit der Negation = 0 ſtellet nur Etwas vor, deſſen Be- griff an ſich ein Seyn enthaͤlt, und bedeutet nichts als die Syn- [176/0206] Elementl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Syntheſis in einem empiriſchen Bewuſtſeyn uͤberhaupt. In dem innern Sinn nemlich kan das empiriſche Be- wuſtſeyn von 0 bis zu iedem groͤſſern Grade erhoͤhet wer- den, ſo daß eben dieſelbe extenſive Groͤſſe der Anſchauung (z. B. erleuchtete Flaͤche) ſo groſſe Empfindung erregt, als ein Aggregat von vielem andern (minder erleuchteten) zuſammen. Man kan alſo von der extenſiven Groͤſſe der Erſcheinung gaͤnzlich abſtrahiren, und ſich doch an der bloſſen Empfindung in einem Moment eine Syntheſis der gleichfoͤrmigen Steigerung von 0 bis zu dem gegebenen empiriſchen Bewuſtſeyn vorſtellen. Alle Empfindungen werden daher, als ſolche, zwar nur a priori gegeben, aber die Eigenſchaft derſelben, daß ſie einen Grad haben, kan a priori erkant werden. Es iſt merkwuͤr- dig, daß wir an Groͤſſen uͤberhaupt a priori nur eine einzige Qualitaͤt, nemlich die Continuitaͤt, an aller Qualitaͤt aber (dem Realen der Erſcheinungen) nichts weiter a priori, als die intenſive Quantitaͤt derſelben, nemlich, daß ſie einen Grad haben, erkennen koͤnnen, alles uͤbrige bleibt der Erfahrung uͤberlaſſen. 3. Die Analogien der Erfahrung. Der allgemeine Grundſatz derſelben iſt: Alle Er- ſcheinungen ſtehen, ihrem Daſeyn nach, a priori unter Regeln [177/0207] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Regeln der Beſtimmung ihres Verhaͤltniſſes unter einander in einer Zeit. Die drey modi der Zeit ſind Beharrlichkeit, Folge und Zugleichſeyn. Daher werden drey Regeln aller Zeit- verhaͤltniſſe der Erſcheinungen, wornach ieder ihr Daſeyn in Anſehung der Einheit aller Zeit beſtimt werden kan, vor aller Erfahrung vorangehen, und dieſe allererſt moͤglich machen. Der allgemeine Grundſatz aller dreyen Analogien beruht auf der nothwendigen Einheit der Apperception, in Anſehung alles moͤglichen empiriſchen Bewuſtſeyns, (der Wahrnehmung), zu ieder Zeit, folglich, da iene a priori zum Grunde liegt, auf der ſynthetiſchen Einheit aller Er- ſcheinungen nach ihrem Verhaͤltniſſe in der Zeit. Denn die urſpruͤngliche Apperception bezieht ſich auf den innern Sinn, (den Inbegriff aller Vorſtellungen) und zwar a priori auf die Form deſſelben, d. i. das Verhaͤltniß des mannigfaltigen empiriſchen Bewuſtſeyns in der Zeit. In der urſpruͤnglichen Apperception ſoll nun alle dieſes Mannigfal- tige, ſeinen Zeitverhaͤltniſſen nach, vereinigt werden; denn dieſes ſagt die transſcendentale Einheit derſelben a priori, unter welcher alles ſteht, was zu meinem (d. i. meinem einigen) Erkentniſſe gehoͤren ſoll, mithin ein Gegenſtand vor mich werden kan. Dieſe ſynthetiſche Einheit in dem Zeitverhaͤltniſſe aller Wahrnehmungen, welche a priori beſtimt iſt, iſt alſo das Geſetz: daß alle empiriſche Zeit- beſtimmungen unter Regeln der allgemeinen Zeitbeſtim- mung M [178/0208] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. mung ſtehen muͤſſen, und die Analogien der Erfahrung, von denen wir iezt handeln wollen, muͤſſen dergleichen Regeln ſeyn. Dieſe Grundſaͤtze haben das beſondere an ſich, daß ſie nicht die Erſcheinungen, und die Syntheſis ihrer em- piriſchen Anſchauung, ſondern blos das Daſeyn, und ihr Verhaͤltniß unter einander, in Anſehung dieſes ihres Da- ſeyns erwaͤgen. Nun kan die Art, wie etwas in der Er- ſcheinung apprehendirt wird, a priori dergeſtalt beſtimt ſeyn, daß die Regel ihrer Syntheſis zugleich dieſe Anſchau- ung a priori in iedem vorliegenden empiriſchen Beyſpiele geben: d. i. ſie daraus zu Stande bringen kan. Allein das Daſeyn der Erſcheinungen kan a priori nicht erkant werden, und, ob wir gleich auf dieſem Wege dahin ge- langen koͤnten, auf irgend ein Daſeyn zu ſchlieſſen, ſo wuͤrden wir dieſes doch nicht beſtimt erkennen, d. i. das, wodurch ſeine empiriſche Anſchauung ſich von andern un- terſchiede, anticipiren koͤnnen. Die vorigen zwey Grundſaͤtze, welche ich die mathe- matiſche nante, in Betracht deſſen, daß ſie die Mathema- tik auf Erſcheinungen anzuwenden berechtigten, gingen auf Erſcheinungen ihrer bloſſen Moͤglichkeit nach, und lehrten, wie ſie ſo wol ihrer Anſchauung, als dem Realen ihrer Wahrnehmung nach, nach Regeln einer mathematiſchen Syntheſis erzeugt werden koͤnten; daher ſo wol bey der einen, als bey der andern die Zahlgroͤſſen, und, mit ih- nen, die Beſtimmung der Erſcheinung als Groͤſſe, gebraucht wer- [179/0209] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. werden koͤnnen. So werde ich z. B. den Grad der Em- pfindungen des Sonnenlichts aus etwa 200000 Erleuch- tungen durch den Mond zuſammenſetzen und a priori be- ſtimt geben, d. i. conſtruiren koͤnnen. Daher koͤnnen wir die erſtere Grundſaͤtze conſtitutive nennen. Ganz anders muß es mit denen bewandt ſeyn, die das Daſeyn der Erſcheinungen a priori unter Regeln brin- gen ſollen. Denn, da dieſes ſich nicht conſtruiren laͤßt, ſo werden ſie nur auf das Verhaͤltniß des Daſeyns gehen, und keine andre als blos regulative Principien ab- geben koͤnnen. Da iſt alſo weder an Axiomen, noch an Anticipationen zu denken, ſondern, wenn uns eine Wahr- nehmung in einem Zeitverhaͤltniſſe gegen andere (obzwar unbeſtimte) gegeben iſt; ſo wird a priori nicht geſagt werden koͤnnen: welche andere und wie groſſe Wahrneh- mung, ſondern, wie ſie dem Daſeyn nach, in dieſem modo der Zeit, mit iener nothwendig verbunden ſey. In der Philoſophie bedeuten Analogien etwas ſehr Verſchiedenes von demienigen, was ſie in der Mathematik vorſtellen. In dieſer ſind es Formeln, welche die Gleichheit zweener Groͤſſenverhaͤltniſſe ausſagen, und iederzeit conſtitutiv, ſo, daß, wenn zwey Glieder der Proportion gegeben ſind, auch das Dritte dadurch gegeben wird, d. i. conſtruirt werden kan. In der Philoſophie aber iſt die Analogie nicht die Gleichheit zweener quantitativen, ſondern qua- litativen Verhaͤltniſſe, wo ich aus drey gegebenen Gliedern nur M 2 [180/0210] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. nur das Verhaͤltniß zu einem vierten, nicht aber dieſes vierte Glied ſelbſt erkennen, und a priori geben kan, wol aber eine Regel habe, es in der Erfahrung zu ſuchen, und ein Merkmal, es in derſelben aufzufinden. Eine Analogie der Erfahrung wird alſo nur eine Regel ſeyn, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (nicht wie Wahrnehmung ſelbſt, als empiriſche Anſchau- ung uͤberhaupt) entſpringen ſoll, und als Grundſatz von den Gegenſtaͤnden (der Erſcheinungen) nicht conſtitutiv, ſondern blos regulativ gelten. Eben daſſelbe aber wird auch von den Poſtulaten des empiriſchen Denkens uͤber- haupt, welche die Syntheſis der bloſſen Anſchauung, (der Form der Erſcheinung) der Wahrnehmung, (der Materie derſelben) und der Erfahrung (des Verhaͤltniſſes dieſer Wahrnehmungen) zuſammen betreffen, gelten, nemlich, daß ſie nur regulative Grundſaͤtze ſind, und ſich von den mathematiſchen, die conſtitutiv ſind, zwar nicht in der Gewißheit, welche in beyden a priori feſtſtehet, aber doch in der Art der Evidenz, d. i. dem Intuitiven derſelben, (mithin auch der Demonſtration) unter- ſcheiden. Was aber bey allen ſynthetiſchen Grundſaͤtzen erin- nert ward, und hier vorzuͤglich angemerkt werden muß, iſt dieſes: daß dieſe Analogien nicht als Grundſaͤtze des transſcendentalen, ſondern blos des empiriſchen Verſtan- desgebrauchs, ihre alleinige Bedeutung und Guͤltigkeit ha- ben, [181/0211] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. ben, mithin auch nur als ſolche bewieſen werden koͤnnen, daß folglich die Erſcheinungen nicht unter die Categorien ſchlechthin, ſondern nur unter ihre Schemate ſubſumiret werden muͤſſen. Denn waͤren die Gegenſtaͤnde, auf welche dieſe Grundſaͤtze bezogen werden ſollen, Dinge an ſich ſelbſt; ſo waͤre es ganz unmoͤglich, etwas von ihnen a priori ſynthetiſch zu erkennen. Nun ſind es nichts als Erſcheinungen, deren vollſtaͤndige Erkentniß, auf die alle Grundſaͤtze a priori zulezt doch immer auslauffen muͤſſen, lediglich die moͤgliche Erfahrung iſt, folglich koͤnnen iene nichts, als blos die Bedingungen der Einheit des empiri- ſchen Erkentniſſes in der Syntheſis der Erſcheinungen, zum Ziele haben; dieſe aber wird nur allein in dem Schema des reinen Verſtandesbegriffs gedacht, von deren Einheit, als einer Syntheſis uͤberhaupt, die Categorie, die durch keine ſinnliche Bedingung reſtringirte Function enthaͤlt. Wir werden alſo durch dieſe Grundſaͤtze, die Erſcheinungen nur nach einer Analogie, mit der logiſchen und allgemeinen Ein- heit der Begriffe, zuſammen zu ſetzen berechtigt werden, und daher uns in dem Grundſatze ſelbſt zwar der Categorie bedienen, in der Ausfuͤhrung aber (der Anwendung auf Erſcheinungen) das Schema derſelben, als den Schluͤſſel ihres Gebrauchs an deſſen Stelle, oder iener vielmehr, als reſtringirende Bedingung, unter dem Namen einer Formel des erſteren, zur Seite ſetzen. A. Er- M 3 [182/0212] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. A. Erſte Analogie. Grundſatz der Beharrlichkeit. Alle Erſcheinungen enthalten das Beharrliche (Sub- ſtanz) als den Gegenſtand ſelbſt, und das Wandelbare, als deſſen bloſſe Beſtimmung, d. i. eine Art, wie der Ge- genſtand exiſtirt. Beweis dieſer erſten Analogie. Alle Erſcheinungen ſind in der Zeit. Dieſe kan auf zweyfache Weiſe das Verhaͤltniß im Daſeyn derſelben be- ſtimmen, entweder ſo fern ſie nach einander oder zu- gleich ſeyn. In Betracht der erſteren, wird die Zeit, als Zeitreihe, in Anſehung der zweyten als Zeitumfang be- trachtet. Unſere Apprehenſion des Mannigfaltigen der Erſchei- nung iſt iederzeit ſucceßiv, und iſt alſo immer wechſelnd. Wir koͤnnen alſo dadurch allein niemals beſtimmen, ob dieſes Mannigfaltige, als Gegenſtand der Erfahrung, zu- gleich ſey, oder nach einander folge, wo an ihr nicht et- was zum Grunde liegt, was iederzeit iſt, d. i. etwas Bleibendes und Beharrliches, von welchem aller Wechſel und Zugleichſeyn nichts, als ſo viel Arten (modi der Zeit) ſeyn, wie das Beharrliche exiſtirt. Nur in dem Beharrli- chen ſind alſo Zeitverhaͤltniſſe moͤglich, (denn Simultanei- taͤt und Succeßion ſind die einzige Verhaͤltniſſe in der Zeit), d. i. [183/0213] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. d. i. das Beharrliche iſt das Subſtratum der empiriſchen Vorſtellung der Zeit ſelbſt, an welchem alle Zeitbeſtimmung allein moͤglich iſt. Die Beharrlichkeit druͤkt uͤberhaupt die Zeit, als das beſtaͤndige Correlatum alles Daſeyns der Er- ſcheinungen, alles Wechſels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechſel trift die Zeit ſelbſt nicht, ſondern nur die Erſcheinungen in der Zeit, (ſo wie das Zugleichſeyn nicht ein modus der Zeit ſelbſt iſt, als in welcher gar keine Theile zugleich, ſondern alle nach einander ſeyn). Wollte man der Zeit ſelbſt eine Folge nach einander bey- legen, ſo muͤßte man noch eine andere Zeit denken, in welcher dieſe Folge moͤglich waͤre. Durch das Beharrli- che allein bekoͤmt das Daſeyn in verſchiedenen Theilen der Zeitreihe nach einander eine Groͤſſe, die man Dauer nent. Denn in der bloſſen Folge allein iſt das Daſeyn immer verſchwindend und anhebend, und hat niemals die mindeſte Groͤſſe. Ohne dieſes Beharrliche iſt alſo kein Zeit- verhaͤltniß. Nun kan die Zeit an ſich ſelbſt nicht wahrge- nommen werden; mithin iſt dieſes Beharrliche an den Er- ſcheinungen das Subſtratum aller Zeitbeſtimmung, folg- lich auch die Bedingung der Moͤglichkeit aller ſynthetiſchen Einheit der Wahrnehmungen, d. i. der Erfahrung, und an dieſem Beharrlichen kan alles Daſeyn, und aller Wechſel in der Zeit nur als ein modus der Exiſtenz deſſen, was bleibt, und beharrt, angeſehen werden. Alſo iſt in allen Erſcheinungen das Beharrliche der Gegenſtand ſelbſt, d. i. die Subſtanz (phænomenon), alles aber, was wech- ſelt, M 4 [184/0214] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſelt, oder wechſeln kan, gehoͤrt nur zu der Art, wie die- ſe Subſtanz oder Subſtanzen exiſtiren, mithin zu ihren Beſtimmungen. Ich finde, daß zu allen Zeiten nicht blos der Philoſoph, ſondern ſelbſt der gemeine Verſtand dieſe Beharrlichkeit, als ein Subſtratum alles Wechſels der Erſcheinungen, vor- ausgeſezt haben, und auch iederzeit als ungezweifelt an- nehmen werden, nur daß der Philoſoph ſich hieruͤber et- was beſtimter ausdruͤkt, indem er ſagt: bey allen Veraͤn- derungen in der Welt bleibt die Subſtanz, und nur die Accidenzen wechſeln. Ich treffe aber von dieſem ſo ſynthetiſchen Satze nirgends auch nur den Verſuch von ei- nem Beweiſe, ia er ſteht auch nur ſelten, wie es ihm doch gebuͤhrt, an der Spitze der reinen und voͤllig a priori be- ſtehenden Geſetze der Natur. In der That iſt der Satz: daß die Subſtanz beharrlich ſey, tavtologiſch. Denn blos dieſe Beharrlichkeit iſt der Grund, warum wir auf die Erſcheinung die Categorie der Subſtanz anwenden, und man haͤtte beweiſen muͤſſen: daß in allen Erſcheinungen etwas Beharrliches ſey, an welchem das Wandelbare nichts als Beſtimmung ſeines Daſeyns iſt. Da aber ein ſol- cher Beweis niemals dogmatiſch, d. i. aus Begriffen ge- fuͤhrt werden kan, weil er einen ſynthetiſchen Satz a priori betrift, und man niemals daran dachte, daß dergleichen Saͤtze nur in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung guͤltig ſeyn, mithin auch nur durch eine Deduction der Moͤglich- keit [185/0215] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. keit der leztern bewieſen werden koͤnnen; ſo iſt kein Wun- der, wenn er zwar bey aller Erfahrung zum Grunde gelegt (weil man deſſen Beduͤrfniß bey der empiriſchen Erkentniß fuͤhlt), niemals aber bewieſen worden iſt. Ein Philoſoph wurde gefragt: wie viel wiegt der Rauch? Er antwortete: ziehe von dem Gewichte des ver- branten Holzes das Gewicht der uͤbrigbleibenden Aſche ab, ſo haſt du das Gewicht des Rauchs. Er ſezte alſo als un- widerſprechlich voraus: daß, ſelbſt im Feuer, die Ma- terie (Subſtanz) nicht vergehe, ſondern nur die Form der- ſelben eine Abaͤnderung erleide. Eben ſo war der Satz: aus nichts wird nichts, nur ein anderer Folgeſatz aus dem Grundſatze der Beharrlichkeit, oder vielmehr des immer- waͤhrenden Daſeyns des eigentlichen Subiects an den Er- ſcheinungen. Denn, wenn dasienige an der Erſcheinung, was man Subſtanz nennen will, das eigentliche Subſtra- tum aller Zeitbeſtimmung ſeyn ſoll, ſo muß ſo wol alles Daſeyn in der vergangenen, als das der kuͤnftigen Zeit, daran einzig und allein beſtimt werden koͤnnen. Daher koͤnnen wir einer Erſcheinung nur darum den Namen Sub- ſtanz geben, weil wir ihr Daſeyn zu aller Zeit vorausſetzen, welches durch das Wort Beharrlichkeit nicht einmal wol ausgedruckt wird, indem dieſes mehr auf kuͤnftige Zeit geht. Indeſſen iſt die innre Nothwendigkeit zu beharren, doch unzertrenlich mit der Nothwendigkeit, immer gewe- ſen zu ſeyn, verbunden, und der Ausdruck mag alſo blei- ben. M 5 [186/0216] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ben. Gigni de nihilo nihil, in nihilum nil poſſe re- verti, waren zwey Saͤtze, welche die Alten unzertrent verknuͤpften, und die man aus Mißverſtand iezt bisweilen trent, weil man ſich vorſtellt, daß ſie Dinge an ſich ſelbſt angehen, und der erſtere der Abhaͤngigkeit der Welt von einer oberſten Urſache (auch ſo gar ihrer Subſtanz nach) entgegen ſeyn duͤrfte, welche Beſorgniß unnoͤthig iſt, in- dem hier nur von Erſcheinungen im Felde der Erfahrung die Rede iſt, deren Einheit niemals moͤglich ſeyn wuͤrde, wenn wir neue Dinge (der Subſtanz nach) wollten entſte- hen laſſen. Denn alsdenn fiele dasienige weg, welches die Einheit der Zeit allein vorſtellen kan, nemlich, die Iden- titaͤt des Subſtratum, als woran aller Wechſel allein durchgaͤngige Einheit hat. Dieſe Beharrlichkeit iſt indes doch weiter nichts, als die Art, uns das Daſeyn der Dinge (in der Erſcheinung) vorzuſtellen. Die Beſtimmungen einer Subſtanz, die nichts an- ders ſind, als beſondere Arten derſelben, zu exiſtiren, heiſſen Accidenzen. Sie ſind iederzeit real, weil ſie das Daſeyn der Subſtanz betreffen, (Negationen ſind nur Be- ſtimmungen, die das Nichtſeyn von etwas an der Sub- ſtanz ausdruͤcken). Wenn man nun dieſem Realen an der Subſtanz ein beſonderes Daſeyn beygelegt, (z. E. der Be- wegung, als einem Accidenz der Materie) ſo nent man dieſes Daſeyn die Inhaͤrenz, zum Unterſchiede vom Da- ſeyn der Subſtanz, die man Subſiſtenz nennt. Allein hier- [187/0217] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. hieraus entſpringen viel Mißdeutungen, und es iſt genauer und richtiger geredt, wenn man das Accidenz nur durch die Art, wie das Daſeyn einer Subſtanz poſitiv beſtimt iſt, bezeichnet. Indeſſen iſt es doch, vermoͤge der Bedingun- gen des logiſchen Gebrauchs unſeres Verſtandes, unver- meidlich, dasienige, was im Daſeyn einer Subſtanz wech- ſeln kan, indeſſen, daß die Subſtanz bleibt, gleichſam ab- zuſondern, und in Verhaͤltniß auf das eigentliche Beharr- liche und Radicale zu betrachten; daher denn auch dieſe Categorie unter dem Titel der Verhaͤltniſſe ſteht, mehr, als die Bedingung derſelben, als daß ſie ſelbſt ein Ver- haͤltniß enthielte. Auf dieſer Beharrlichkeit gruͤndet ſich nun auch die Berichtigung des Begriffs von Veraͤnderung. Entſtehen und Vergehen ſind nicht Veraͤnderungen desienigen, was entſteht oder vergeht. Veraͤnderung iſt eine Art zu exiſti- ren, welche auf eine andere Art zu exiſtiren eben deſſelben Gegenſtandes erfolget. Daher iſt alles, was ſich veraͤn- dert, bleibend, und nur ſein Zuſtand wechſelt. Da dieſer Wechſel alſo nur die Beſtimmungen trift, die auf- hoͤren oder auch anheben koͤnnen; ſo koͤnnen wir, in ei- nem etwas paradox ſcheinenden Ausdruck ſagen: nur das Beharrliche (die Subſtanz) wird veraͤndert, das Wandel- bare erleidet keine Veraͤnderung, ſondern einen Wechſel, da einige Beſtimmungen aufhoͤren, und andre anheben. Ver- [188/0218] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Veraͤnderung kan daher nur an Subſtanzen wahrge- nommen werden, und das Entſtehen oder Vergehen, ſchlechthin, ohne daß es blos eine Beſtimmung des Beharr- lichen betreffe, kan gar keine moͤgliche Wahrnehmung ſeyn, weil eben dieſes Beharrliche die Vorſtellung von dem Ueber- gange aus einem Zuſtande in den andern, und von Nicht- ſeyn, zum Seyn, moͤglich macht, die alſo nur als wechſelnde Beſtimmungen deſſen, was bleibt, empiriſch erkant wer- den koͤnnen. Nehmet an, daß etwas ſchlechthin anfange zu ſeyn; ſo muͤßt ihr einen Zeitpunct haben, indem es nicht war. Woran wollt ihr aber dieſen heften, wenn nicht an demienigen, was ſchon da iſt? Denn eine leere Zeit, die vorherginge, iſt kein Gegenſtand der Wahrneh- mung; knuͤpft ihr dieſes Entſtehen aber an Dinge, die vorher waren, und bis zu dem, was entſteht, fort- dauren, ſo war das leztere nur eine Beſtimmung des er- ſteren, als des Beharrlichen. Eben ſo iſt es auch mit dem Vergehen: denn dieſes ſezt die empiriſche Vorſtellung einer Zeit voraus, da eine Erſcheinung nicht mehr iſt. Subſtanzen (in der Erſcheinung) ſind die Subſtra- te aller Zeitbeſtimmungen. Das Entſtehen einiger, und das Vergehen anderer derſelbenwuͤrde ſelbſt die einzige Bedin- gung der empiriſchen Einheit der Zeit aufheben, und die Erſcheinungen wuͤrden ſich alsdenn auf zweyerley Zeit be- ziehen, in denen neben einander das Daſeyn verfloͤſſe, welches ungereimt iſt. Denn es iſt nur eine Zeit, in wel- [189/0219] III. Abſch. Syſtematiſche Vorſtellung aller ꝛc. welcher alle verſchiedene Zeiten nicht zugleich, ſondern nach einander geſezt werden muͤſſen. So iſt demnach die Beharrlichkeit eine nothwendige Bedingung, unter welcher allein Erſcheinungen, als Din- ge oder Gegenſtaͤnde, in einer moͤglichen Erfahrung beſtim- bar ſind. Was aber das empiriſche Criterium dieſer noth- wendigen Beharrlichkeit und mit ihr der Subſtanzialitaͤt der Erſcheinungen ſey, davon wird uns die Folge Gele- genheit geben, das Noͤthige anzumerken. B. Zweyte Analogie. Grundſatz der Erzeugung. Alles, was geſchieht (anhebt zu ſeyn) ſezt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Beweis. Die Apprehenſion des Mannigfaltigen der Erſchei- nung iſt iederzeit ſucceßiv. Die Vorſtellungen der Theile folgen auf einander. Ob ſie ſich auch im Gegenſtande folgen, iſt ein zweyter Punct der Reflexion, der in der erſteren nicht enthalten iſt. Nun kan man zwar alles, und ſo gar iede Vorſtellung, ſo fern man ſich ihrer bewuſt iſt, Obiect nennen; allein was dieſes Wort bey Erſchei- nungen zu bedeuten habe, nicht, in ſo fern ſie (als Vor- ſtellun- [190/0220] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſtellungen) Obiecte ſind, ſondern nur ein Obiect bezeichnen, iſt von tieferer Unterſuchung. So fern ſie, nur als Vorſtellun- gen zugleich Gegenſtaͤnde des Bewuſtſeyns ſind, ſo ſind ſie von der Apprehenſion, d. i. der Aufnahme in die Syntheſis der Einbildungskraft, gar nicht unterſchieden, und man muß alſo ſagen: das Mannigfaltige der Erſcheinungen wird im Gemuͤth iederzeit ſucceſſiv erzeugt. Waͤren Erſcheinun- gen Dinge an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde kein Menſch aus der Succeſſion der Vorſtellungen von ihrem Mannigfaltigen ermeſſen koͤnnen, wie dieſes in dem Obiect verbunden ſey. Denn wir haben es doch nur mit unſern Vorſtellungen zu thun, wie Dinge an ſich ſelbſt, (ohne Ruͤckſicht auf Vor- ſtellungen, dadurch ſie uns afficiren) ſeyn moͤgen, iſt gaͤnz- lich auſſer unſrer Erkentnißſphaͤre. Ob nun gleich die Erſcheinungen nicht Dinge an ſich ſelbſt, und gleichwol doch das einzige ſind, was uns zur Erkentniß gegeben werden kan, ſo ſoll ich anzeigen, was dem Mannigfalti- gen an den Erſcheinungen ſelbſt vor eine Verbindung in der Zeit zukomme, indeſſen, daß die Vorſtellung deſſelben in der Apprehenſion iederzeit ſucceſſiv iſt. So iſt z. E. die Apprehenſion des Mannigfaltigen in der Erſcheinung eines Hauſes, das vor mir ſteht, ſucceſſiv. Nun iſt die Fra- ge: ob das Mannigfaltige dieſes Hauſes ſelbſt auch in ſich ſucceſſiv ſey, welches freilich niemand zugeben wird. Nun iſt aber, ſo bald ich meine Begriffe von einem Gegenſtan- de bis zur transſcendentalen Bedeutung ſteigere, das Haus gar kein Ding an ſich ſelbſt, ſondern nur eine Erſcheinung, d. i. [191/0221] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. d. i. Vorſtellung, deſſen transſcendentaler Gegenſtand un- bekant iſt; was verſtehe ich alſo unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erſcheinung ſelbſt (die doch nichts an ſich ſelbſt iſt) verbunden ſeyn moͤge? Hier wird das, was in der ſucceſſiven Apprehenſion liegt, als Vorſtellung, die Erſcheinung aber, die mir gegeben iſt, ohnerachtet ſie nichts weiter, als ein Inbegriff dieſer Vorſtellungen iſt, als der Gegenſtand derſelben betrachtet, mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorſtellungen der Appre- henſion ziehe, zuſammen ſtimmen ſoll. Man ſiehet bald, daß, weil Uebereinſtimmung der Erkentniß mit dem Ob- iect Wahrheit iſt, hier nur nach den formalen Bedingun- gen der empiriſchen Wahrheit gefragt werden kan, und Erſcheinung, im Gegenverhaͤltniß mit den Vorſtellungen der Apprehenſion, nur dadurch als das davon unterſchie- dene Obiect derſelben koͤnne vorgeſtellt werden, wenn ſie unter einer Regel ſteht, welche ſie von ieder andern Ap- prehenſion unterſcheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen nothwendig macht. Dasienige an der Erſcheinung, was die Bedingung dieſer nothwendi- gen Regel der Apprehenſion enthaͤlt, iſt das Obiect. Nun laßt uns zu unſrer Aufgabe fortgehen. Daß etwas geſchehe, d. i. etwas, oder ein Zuſtand werde, der vorher nicht war, kan nicht empiriſch wahrgenommen wer- den, wo nicht eine Erſcheinung vorhergeht, welche dieſen Zuſtand nicht in ſich enthaͤlt; denn eine Wirklichkeit, die auf [192/0222] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. auf eine leere Zeit folge, mithin ein Entſtehen, vor dem kein Zuſtand der Dinge vorhergeht, kan eben ſo wenig, als die leere Zeit ſelbſt apprehendirt werden. Jede Ap- prehenſion einer Begebenheit iſt alſo eine Wahrnehmung, welche auf eine andere folgt. Weil dieſes aber bey aller Syntheſis der Apprehenſion ſo beſchaffen iſt, wie ich oben an der Erſcheinung eines Hauſes gezeigt habe, ſo unter- ſcheidet ſie ſich dadurch noch nicht von andern. Allein ich bemerke auch: daß, wenn ich an einer Erſcheinung, wel- che ein Geſchehen enthaͤlt, den vorhergehenden Zuſtand der Wahrnehmung A, den folgenden aber B, nenne, daß B auf A in der Apprehenſion nur folgen, die Wahrnehmung A aber auf B nicht folgen, ſonden nur vorhergehen kan. Ich ſehe z. B. ein Schiff den Strom hinab treiben. Mei- ne Wahrnehmung ſeiner Stelle unterhalb, folgt auf die Wahrnehmung der Stelle deſſelben oberhalb dem Laufe des Fluſſes, und es iſt unmoͤglich, daß in der Apprehenſion dieſer Erſcheinung das Schiff zuerſt unterhalb, nachher aber oberhalb des Stromes wahrgenommen werden ſollte. Die Ordnung in der Folge der Wahrnehmungen in der Apprehenſion iſt hier alſo beſtimt, und an dieſelbe iſt die leztere gebunden. In dem vorigen Beyſpiele von einem Hauſe konten meine Wahrnehmungen in der Apprehenſion von der Spitze deſſelben anfangen, und beym Boden endi- gen, aber auch von unten anfangen, und oben endigen, imgleichen rechts oder links das Mannigfaltige der empiri- ſchen Anſchauung apprehendiren. In der Reihe dieſer Wahr- [193/0223] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Wahrnehmungen war alſo keine beſtimte Ordnung, welche es nothwendig machte, wenn ich in der Apprehenſion an- fangen muͤßte, um das Mannigfaltige empiriſch zu verbin- den. Dieſe Regel aber iſt bey der Wahrnehmung von dem, was geſchieht, iederzeit anzutreffen, und ſie macht die Ordnung der einander folgenden Wahrnehmungen (in der Apprehenſion dieſer Erſcheinung) nothwendig. Ich werde alſo, in unſerm Fall, die ſubiective Folge der Apprehenſion von der obiectiven Folge der Erſcheinun- gen ableiten muͤſſen, weil iene ſonſt gaͤnzlich unbeſtimt iſt, und keine Erſcheinung von der andern unterſcheidet. Jene allein beweiſet nichts von der Verknuͤpfung des Mannig- faltigen am Obiect, weil ſie ganz beliebig iſt. Dieſe alſo wird in der Ordnung des Mannigfaltigen der Erſcheinung beſtehen, nach welcher die Apprehenſion des einen (was geſchieht) auf die des andern (das vorhergeht) nach ei- ner Regel folgt. Nur dadurch kan ich von der Erſchei- nung ſelbſt, und nicht blos von meiner Apprehenſion be- rechtigt ſeyn, zu ſagen: daß in iener eine Folge anzutref- fen ſey, welches ſo viel bedeutet, als daß ich die Appre- henſion nicht anders anſtellen koͤnne, als gerade in dieſer Folge. Nach einer ſolchen Regel alſo muß in dem, was uͤberhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht, die Bedin- gung zu einer Regel liegen, nach welcher iederzeit und nothwendiger Weiſe dieſe Begebenheit folgt; umgekehrt aber kan ich nicht von der Begebenheit zuruͤckgehen, und das- N [194/0224] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. dasienige beſtimmen (durch Apprehenſion), was vorher- geht. Denn von dem folgenden Zeitpunct geht keine Er- ſcheinung zu dem vorigen zuruͤck, aber beziehet ſich doch auf irgend einen vorigen; von einer gegebenen Zeit iſt dagegen der Fortgang auf die beſtimte folgende nothwen- dig. Daher, weil es doch etwas iſt, was folgt, ſo muß ich es nothwendig auf etwas anderes uͤberhaupt beziehen, was vorhergeht, und worauf es nach einer Regel, d. i. noth- wendiger Weiſe folgt, ſo daß die Begebenheit als das be- dingte, auf irgend eine Bedingung ſichere Anweiſung giebt, dieſe aber die Begebenheit beſtimt. Man ſetze, es gehe vor einer Begebenheit nichts vorher, worauf dieſelbe nach einer Regel folgen muͤßte, ſo waͤre alle Folge der Wahrnehmung nur lediglich in der Apprehenſion, d. i. blos ſubiectiv, aber dadurch gar nicht obiectiv beſtimt, welches eigentlich das Vorhergehende, und welches das Nachfolgende der Wahrnehmungen ſeyn muͤßte. Wir wuͤrden auf ſolche Weiſe nur ein Spiel der Vorſtellungen haben, das ſich auf gar kein Obiect bezoͤge, d. i. es wuͤrde durch unſre Wahrnehmung eine Erſcheinung von ieder andern, dem Zeitverhaͤltniſſe nach, gar nicht un- terſchieden werden; weil die Succeſſion im Apprehendiren allerwerts einerley, und alſo nichts in der Erſcheinung iſt, was ſie beſtimt, ſo daß dadurch eine gewiſſe Folge als ob- iectiv nothwendig gemacht wird. Ich werde alſo nicht ſagen: daß in der Erſcheinung zwey Zuſtaͤnde auf einander fol- [195/0225] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. folgen, ſondern nur: daß eine Apprehenſion auf die an- dre folgt, welches blos etwas Subiectives iſt, und kein Obiect beſtimt, mithin gar nicht vor Erkentniß irgend eines Gegenſtandes (ſelbſt nicht in der Erſcheinung) gelten kan. Wenn wir alſo erfahren, daß etwas geſchiehet, ſo ſetzen wir dabey iederzeit voraus, daß irgend etwas vor- ausgehe, worauf es nach einer Regel folgt. Denn ohne dieſes wuͤrde ich nicht von dem Obiect ſagen: daß es folge, weil die bloſſe Folge in meiner Apprehenſion, wenn ſie nicht durch eine Regel in Beziehung auf ein vorhergehen- des beſtimt iſt, keine Folge im Obiecte berechtiget. Alſo geſchieht es immer in Ruͤckſicht auf eine Regel, nach wel- cher die Erſcheinungen in ihrer Folge, d. i. ſo wie ſie geſche- hen, durch den vorigen Zuſtand beſtimt ſind, daß ich meine ſubiective Syntheſis (der Apprehenſion) obiectiv mache, und, nur lediglich unter dieſer Vorausſetzung allein, iſt ſelbſt die Erfahrung von etwas, was geſchieht, moͤglich. Zwar ſcheint es, als widerſpreche dieſes allen Be- merkungen, die man iederzeit uͤber den Gang unſeres Ver- ſtandesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur aller- erſt durch die wahrgenommenen und verglichenen uͤberein- ſtimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erſcheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemaͤß gewiſſe Begebenheiten auf gewiſſe Erſcheinun- gen iederzeit folgen, und dadurch zuerſt veranlaßt wor- den, uns den Begriff von Urſache zu machen. Auf ſol- chen N 2 [196/0226] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. chen Fuß wuͤrde dieſer Begriff blos empiriſch ſeyn, und die Regel, die er verſchaft, daß alles, was geſchieht, eine Urſache habe, wuͤrde eben ſo zufaͤllig ſeyn, als die Erfah- rung ſelbſt: ſeine Allgemeinheit und Nothwendigkeit waͤ- ren alsdenn nur angedichtet, und haͤtten keine wahre all- gemeine Guͤltigkeit, weil ſie nicht a priori, ſondern nur auf Induction gegruͤndet waͤren. Es gehet aber hiemit ſo, wie mit andern reinen Vorſtellungen a priori, (z. B. Raum und Zeit) die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen koͤnnen, weil wir ſie in die Erfahrung gelegt hatten, und dieſe daher durch iene aller- erſt zu Stande brachten. Freilich iſt die logiſche Klarheit dieſer Vorſtellung einer, die Reihe der Begebenheiten, be- ſtimmenden Regel, als eines Begriffs von Urſache, nur alsdenn moͤglich, wenn wir davon in der Erfahrung Ge- brauch gemacht haben, aber eine Ruͤckſicht auf dieſelbe, als Bedingung der ſynthetiſchen Einheit der Erſcheinungen in der Zeit, war doch der Grund der Erfahrung ſelbſt, und ging alſo a priori vor ihr vorher. Es komt alſo darauf an, im Beyſpiele zu zeigen, daß wir niemals ſelbſt in der Erfahrung die Folge (einer Be- gebenheit, da etwas geſchieht, was vorher nicht war) dem Obiect beylegen, und ſie von der ſubiectiven unſerer Ap- prehenſion unterſcheiden, als wenn eine Regel zum Grunde liegt, die uns noͤthig, dieſe Ordnung der Wahrnehmungen vielmehr, als eine andere zu beobachten, ia daß dieſe Noͤ- thi- [197/0227] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. thigung es eigentlich ſey, was die Vorſtellung einer Suc- ceſſion im Obiect allererſt moͤglich macht. Wir haben Vorſtellungen in uns, deren wir uns auch bewuſt werden koͤnnen. Dieſes Bewuſtſeyn aber mag ſo weit erſtreckt, und ſo genau oder puͤnctlich ſeyn, als man wolle, ſo bleiben es doch nur immer Vorſtellungen, d. i. innre Beſtimmungen unſeres Gemuͤths in dieſem oder ienem Zeitverhaͤltniſſe. Wie kommen wir nun dazu: daß wir dieſen Vorſtellungen ein Obiect ſetzen, oder uͤber ihre ſubiective Realitaͤt, als Modificationen, ihnen noch, ich weis nicht, was vor eine, obiective beylegen. Obiective Bedeutung kan nicht in der Beziehung auf eine andre Vor- ſtellung (von dem, was man vom Gegenſtande nennen wollte) beſtehen, denn ſonſt erneuret ſich die Frage, wie geht dieſe Vorſtellung wiederum aus ſich ſelbſt heraus, und bekomt obiective Bedeutung noch uͤber die ſubiective, welche ihr, als Beſtimmung des Gemuͤthszuſtandes, eigen iſt? Wenn wir unterſuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenſtand unſeren Vorſtellungen vor eine neue Beſchaffenheit gebe, und welches die Dignitaͤt ſey, die ſie dadurch erhalten, ſo finden wir, daß ſie nichts weiter thue, als die Verbindung der Vorſtellungen auf eine ge- wiſſe Art nothwendig zu machen, und ſie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewiſ- ſe Ordnung in dem Zeitverhaͤltniſſe unſerer Vorſtellungen nothwendig iſt, ihnen obiective Bedeutung ertheilet wird. In N 3 [198/0228] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. In der Syntheſis der Erſcheinungen folgt das Man- nigfaltige der Vorſtellungen iederzeit nach einander. Hier- durch wird nun gar kein Obiect vorgeſtellt; weil durch die- ſe Folge, die allen Apprehenſionen gemein iſt, nichts vom andern unterſchieden wird. So bald ich aber wahrnehme, oder voraus annehme, daß in dieſer Folge eine Bezie- hung auf den vorhergehenden Zuſtand ſey, aus welchem die Vorſtellung nach einer Regel folgt; ſo ſtellet ſich Et- was vor, als Begebenheit, oder was da geſchieht, d. i. ich erkenne einen Gegenſtand, den ich in der Zeit auf eine gewiſſe beſtimte Stelle ſetzen muß, die ihm, nach dem vorhergehenden Zuſtande nicht anders ertheilt werden kan. Wenn ich alſo wahrnehme, daß etwas geſchieht, ſo iſt in dieſer Vorſtellung erſtlich enthalten: daß etwas vorher- gehe, weil eben in Beziehung auf dieſes die Erſcheinung ihre Zeitverhaͤltniß bekomt, nemlich, nach einer vorher- gehenden Zeit, in der ſie nicht war, zu exiſtiren. Aber ihre beſtimte Zeitſtelle in dieſem Verhaͤltniſſe kan ſie nur dadurch bekommen, daß im vorhergehenden Zuſtande et- was vorausgeſezt wird, worauf es iederzeit, d. i. nach einer Regel folgt; woraus ſich denn ergiebt, daß ich erſtlich nicht die Reihe umkehren, und das, was geſchieht, dem- ienigen voranſetzen kan, worauf es folgt: zweitens daß, wenn der Zuſtand, der vorhergeht, geſezt wird, dieſe be- ſtimte Begebenheit unausbleiblich und nothwendig folge. Dadurch geſchieht es: daß eine Ordnung unter unſern Vorſtellungen wird, in welcher das gegenwaͤrtige (ſo fern es [199/0229] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. es geworden) auf irgend einen vorhergehenden Zuſtand Anweiſung giebt, als ein, ob zwar noch unbeſtimtes Cor- relatum dieſer Eraͤugniß, die gegeben iſt, welches ſich aber auf dieſe, als ſeine Folge, beſtimmend bezieht, und ſie nothwendig mit ſich in der Zeitreihe verknuͤpfet. Wenn es nun ein nothwendiges Geſetz unſerer Sinn- lichkeit, mithin eine formale Bedingung aller Wahrneh- mungen iſt: daß die vorige Zeit die folgende nothwendig beſtimmt; (indem ich zur folgenden nicht anders gelangen kan, als durch die vorhergehende), ſo iſt es auch ein un- entbehrliches Geſetz der empiriſchen Vorſtellung der Zeit- reihe, daß die Erſcheinungen der vergangenen Zeit iedes Daſeyn in der folgenden beſtimmen, und daß dieſe, als Begebenheiten, nicht ſtatt finden, als ſo fern iene ihnen ihr Daſeyn in der Zeit beſtimmen, d. i. nach einer Regel feſt- ſetzen. Denn nur an den Erſcheinungen koͤnnen wir dieſe Continuitaͤt im Zuſammenhange der Zeiten empi- riſch erkennen. Zu aller Erfahrung und deren Moͤglichkeit gehoͤrt Verſtand, und das erſte, was er dazu thut, iſt nicht: daß er die Vorſtellung der Gegenſtaͤnde deutlich macht, ſon- dern daß er die Vorſtellung eines Gegenſtandes uͤberhaupt moͤglich macht. Dieſes geſchiehet nun dadurch, daß er die Zeitordnung auf die Erſcheinungen und deren Daſeyn uͤbertraͤgt, indem er ieder derſelben als Folge eine, in An- ſehung der vorhergehenden Erſcheinungen, a priori be- ſtimte Stelle in der Zeit zuerkent, ohne welche ſie nicht mit N 4 [200/0230] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. mit der Zeit ſelbſt, die allen ihren Theilen a priori ihre Stelle beſtimt, uͤbereinkommen wuͤrde. Dieſe Beſtim- mung der Stelle kan nun nicht von dem Verhaͤltniß der Erſcheinungen gegen die abſolute Zeit entlehnt werden, (denn die iſt kein Gegenſtand der Wahrnehmung) ſondern umgekehrt, die Erſcheinungen muͤſſen einander ihre Stel- len in der Zeit ſelbſt beſtimmen, und dieſelbe in der Zeit- ordnung nothwendig machen, d. i. dasienige, was da folgt, oder geſchieht, muß nach einer allgemeinen Regel auf das, was im vorigen Zuſtande enthalten war, folgen, woraus eine Reihe der Erſcheinungen wird, die vermittelſt des Verſtandes eben dieſelbige Ordnung und ſtetigen Zuſam- menhang in der Reihe moͤglicher Wahrnehmungen hervor- bringt, und nothwendig macht, als ſie in der Form der innern Anſchauung, (der Zeit) darin alle Wahrnehmun- gen ihre Stelle haben muͤſten, a priori angetroffen wird. Daß alſo etwas geſchieht, iſt eine Wahrnehmung, die zu einer moͤglichen Erfahrung gehoͤret, die dadurch wirklich wird, wenn ich die Erſcheinung, ihrer Stelle nach, in der Zeit, als beſtimt, mithin als ein Obiect an- ſehe, welches nach einer Regel im Zuſammenhange der Wahrnehmungen iederzeit gefunden werden kan. Dieſe Regel aber, etwas der Zeitfolge nach zu beſtimmen, iſt: daß in dem, was vorhergeht, die Bedingung anzutreffen ſey, unter welcher die Begebenheit iederzeit (d. i. noth- wendiger Weiſe) folgt. Alſo iſt der Satz vom zureichen- den [201/0231] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. den Grunde, der Grund moͤglicher Erfahrung, nemlich der obiectiven Erkentniß der Erſcheinungen, in Anſehung des Verhaͤltniſſes derſelben, in Reihenfolge der Zeit. Der Beweisgrund dieſes Satzes aber beruht lediglich auf folgenden Momenten. Zu aller empiriſchen Erkent- niß gehoͤrt die Syntheſis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft, die iederzeit ſucceſſiv iſt, d. i. die Vor- ſtellungen folgen in ihr iederzeit auf einander. Die Folge aber iſt in der Einbildungskraft der Ordnung nach (was vorgehen und was folgen muͤſſe) gar nicht beſtimt, und die Reihe der einen der folgenden Vorſtellungen kan eben ſowol ruͤckwerts als vorwerts genommen werden. Iſt aber dieſe Syntheſis eine Syntheſis der Apprehenſion (des Mannigfaltigen einer gegebenen Erſcheinung), ſo iſt die Ordnung im Obiect beſtimt, oder, genauer zu reden, es iſt darin eine Ordnung der ſucceſſiven Syntheſis, die ein Obiect beſtimt, nach welcher etwas nothwendig vorausge- hen, und wenn dieſes geſezt iſt, das andre nothwendig fol- gen muͤſſe. Soll alſo meine Wahrnehmung die Erkentniß einer Begebenheit enthalten, da nemlich etwas wirklich ge- ſchieht, ſo muß ſie ein empiriſch Urtheil ſeyn, in welchem man ſich denkt, daß die Folge beſtimt ſey, d. i. daß ſie eine andere Erſcheinung der Zeit nach vorausſetze, wor- auf ſie nothwendig, oder nach einer Regel folgt. Widri- genfals, wenn ich das vorhergehende ſetze, und die Bege- benheit folgte nicht darauf nothwendig, ſo wuͤrde ich ſie nur fuͤr ein ſubiectives Spiel meiner Einbildungen halten muͤſ- N 5 [202/0232] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. muͤſſen, und ſtellete ich mir darunter doch etwas obiectives vor, ſie einen bloſſen Traum nennen. Alſo iſt das Ver- haͤltniß der Erſcheinungen, (als moͤglicher Wahrnehmun- gen) nach welchem das Nachfolgende (was geſchieht) durch etwas vorhergehendes ſeinem Daſeyn nach nothwendig, und nach einer Regel in der Zeit beſtimt iſt, mithin das Ver- haͤltniß der Urſache zur Wirkung die Bedingung der obiecti- ven Guͤltigkeit unſerer empiriſchen Urtheile, in Anſehung der Reihe der Wahrnehmungen, mithin der empiriſchen Wahrheit derſelben, und alſo der Erfahrung. Der Grund- ſatz des Cauſſalverhaͤltniſſes in der Folge der Erſcheinun- gen gilt daher auch vor allen Gegenſtaͤnden der Erfahrung, (unter den Bedingungen der Succeßion) weil er ſelbſt der Grund der Moͤglichkeit einer ſolchen Erfahrung iſt. Hier aͤuſſert ſich aber noch eine Bedenklichkeit, die gehoben werden muß. Der Satz der Cauſſalverknuͤpfung unter den Erſcheinungen iſt in unſrer Formel auf die Reihenfolge derſel- ben eingeſchraͤnkt, da es ſich doch bey dem Gebrauch deſſelben findet, daß er auch auf ihre Begleitung paſſe, und Urſache und Wirkung zugleich ſeyn koͤnne. Es iſt z. B. Waͤrme im Zimmer, die nicht in freyer Luft angetroffen wird. Ich ſehe mich nach der Urſache um, und finde einen ge- heizten Ofen. Nun iſt dieſer, als Urſache, mit ſeiner Wirkung, der Stubenwaͤrme, zugleich; alſo iſt hier keine Reihenfolge, der Zeit nach, zwiſchen Urſache und Wirkung, ſondern ſie ſind zugleich, und das Geſetz gilt doch. Der groͤßte [203/0233] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. groͤßte Theil der wirkenden Urſache in der Ratur iſt mit ihren Wirkungen zugleich, und die Zeitfolge der lezteren wird nur dadurch veranlaßt, daß die Urſache ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick verrichten kan. Aber in dem Augenblicke, da ſie zuerſt entſteht, iſt ſie mit der Cauſ- ſalitaͤt ihrer Urſache iederzeit zugleich, weil, wenn iene einen Augenblick vorher aufgehoͤret haͤtte, zu ſeyn, dieſe gar nicht entſtanden waͤre. Hier muß man wohl bemerken: daß es auf die Ordnung der Zeit, und nicht den Ablauf derſelben angeſehen ſey: das Verhaͤltniß bleibt, wenn gleich keine Zeit verlaufen iſt. Die Zeit zwiſchen der Cauſſalitaͤt der Urſache, und deren unmittelbaren Wirkung kan verſchwindend, (ſie alſo zugleich) ſeyn, aber das Verhaͤltniß der einen zur andern bleibt doch immer, der Zeit nach, beſtimbar. Wenn ich eine Kugel, die auf ei- nem ausgeſtopften Kuͤſſen liegt, und ein Gruͤbchen darin druͤckt, als Urſache betrachte, ſo iſt ſie mit der Wirkung zugleich. Allein ich unterſcheide doch beide durch das Zeit- verhaͤltniß der dynamiſchen Verknuͤpfung beider. Denn wenn ich die Kugel auf das Kuͤſſen lege; ſo folgt auf die vorige glatte Geſtalt deſſelben das Gruͤbchen; hat aber das Kuͤſſen (ich weiß nicht woher) ein Gruͤbchen, ſo folgt darauf nicht eine bleyerne Kugel. Demnach iſt die Zeitfolge allerdings das einzige em- piriſche Criterium der Wirkung, in Beziehung auf die Cauſſalitaͤt der Urſache, die vorhergeht. Das Glas iſt die [204/0234] Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. die Urſache von dem Steigen des Waſſers uͤber ſeine Hori- zontalflaͤche, obgleich beide Erſcheinungen zugleich ſeyn. Denn ſo bald ich dieſes aus einem groͤſſeren Gefaͤß mit dem Glaſe ſchoͤpfe, ſo erfolgt etwas, nemlich die Veraͤnderung des Horizontalſtandes, den es dort hatte, in einen conca- ven, den es im Glaſe annimt. Dieſe Cauſſalitaͤt fuͤhrt auf den Begriff der Hand- lung, dieſe auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Subſtanz. Da ich mein critiſches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der ſynthetiſchen Erkentniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die blos die Erlaͤuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, ſo uͤberlaſſe ich die umſtaͤndliche Eroͤrterung derſelben einem kuͤnftigen Syſtem der reinen Vernunft: wie wol man eine ſolche Analyſis im reichen Maaſſe, auch ſchon in den bisher bekanten Lehrbuͤchern dieſer Art, an- trift. Allein das empiriſche Criterium einer Subſtanz, ſo fern ſie ſich nicht durch die Beharrlichkeit der Erſcheinung, ſondern beſſer und leichter durch Handlung zu offenbaren ſcheint, kan ich nicht unberuͤhrt laſſen. Wo Handlung, mithin Thaͤtigkeit und Kraft iſt, da iſt auch Subſtanz, und in dieſer allein muß der Sitz iener fruchtbaren Quelle der Erſcheinungen geſucht werden. Das iſt ganz gut geſagt: aber, wenn man ſich daruͤber erklaͤ- ren ſoll, was man unter Subſtanz verſtehe, und dabey den fehlerhaften Cirkel vermeiden will, ſo iſt es nicht ſo leicht [205/0235] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. leicht verantwortet. Wie will man aus der Handlung ſo gleich auf die Beharrlichkeit des Handelnden ſchlieſſen, welches doch ein ſo weſentliches und eigenthuͤmliches Kenn- zeichen der Subſtanz (phœnomenon) iſt? Allein, nach unſerm vorigen, hat die Aufloͤſung der Frage doch keine ſolche Schwierigkeit, ob ſie gleich nach der gemeinen Art, (blos analytiſch mit ſeinen Begriffen zu verfahren), ganz unaufloͤßlich ſeyn wuͤrde. Handlung bedeutet ſchon das Verhaͤltniß des Subiects der Cauſſalitaͤt zur Wirkung. Weil nun alle Wirkung in dem beſteht, was da geſchieht, mithin im Wandelbaren, was die Zeit der Succeßion nach bezeichnet; ſo iſt das lezte Subiect deſſelben das Be- harrliche, als das Subſtratum alles Wechſelnden, d. i. die Subſtanz. Denn nach dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt ſind Handlungen immer der erſte Grund von allem Wechſel der Erſcheinungen, und koͤnnen alſo nicht in einem Subiect liegen, was ſelbſt wechſelt, weil ſonſt andere Handlungen und ein anderes Subiect, welches dieſen Wechſel beſtimmete, erforderlich waͤren. Kraft deſſen beweiſet nun Handlung, als ein hinreichendes empiriſches Criterium, die Subſtanzialitaͤt, ohne daß ich die Beharrlichkeit deſſelben durch verglichene Wahrnehmungen allererſt zu ſuchen noͤthig haͤtte, welches auch auf dieſem Wege mit der Ausfuͤhrlichkeit nicht geſchehen koͤnte, die zu der Groͤſſe und ſtrengen Allgemeinguͤltigkeit des Begriffs erforderlich iſt. Denn daß das erſte Subiect der Cauſſalitaͤt alles Entſtehens und Vergehens ſelbſt nicht (im Felde der Erſcheinungen) entſtehen und vergehen koͤnne, iſt [206/0236] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. iſt ein ſicherer Schluß, der auf empiriſche Nothwendigkeit und Beharrlichkeit im Daſeyn, mithin auf den Begriff einer Subſtanz als Erſcheinung, auslauft. Wenn etwas geſchieht, ſo iſt das bloſſe Entſtehen, ohne Ruͤckſicht auf das, was da entſteht, ſchon an ſich ſelbſt ein Gegenſtand der Unterſuchung. Der Uebergang aus dem Nichtſeyn eines Zuſtandes in dieſen Zuſtand, geſezt, daß dieſer auch keine Qualitaͤt in der Erſcheinung enthielte, iſt ſchon allein noͤthig zu unterſuchen. Dieſes Entſtehen trift, wie in der Nummer A gezeigt worden, nicht die Subſtanz (denn die entſteht nicht), ſondern ihren Zuſtand. Es iſt alſo blos Veraͤnderung, und nicht Urſprung aus Nichts. Wenn dieſer Urſprung als Wirkung von einer fremden Urſache angeſehen wird, ſo heißt er Schoͤpfung, welche als Begebenheit unter den Erſcheinungen nicht zu- gelaſſen werden kan, indem ihre Moͤglichkeit allein ſchon die Einheit der Erfahrung aufheben wuͤrde, obzwar, wenn ich alle Dinge nicht als Phoͤnomene, ſondern als Dinge an ſich betrachte, und als Gegenſtaͤnde des bloſſen Verſtandes, ſie, obſchon ſie Subſtanzen ſind, dennoch wie abhaͤngig ihrem Daſeyn nach von fremder Urſache angeſehen werden koͤnnen, welches aber alsdenn ganz andere Wortbedeutun- gen nach ſich ziehen, und auf Erſcheinungen, als moͤgli- che Gegenſtaͤnde der Erfahrung, nicht paſſen wuͤrde. Wie nun uͤberhaupt etwas veraͤndert werden koͤnne, wie es moͤglich iſt: daß auf einen Zuſtand in einem Zeit- puncte [207/0237] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. puncte ein entgegengeſezter im andern folgen koͤnne, davon haben wir a priori nicht den mindeſten Begriff. Hierzu wird die Kentniß wirklicher Kraͤfte erfordert, welche nur empiriſch gegeben werden kan, z. B. der bewegenden Kraͤfte, oder, welches einerley iſt, gewiſſer ſucceßiven Erſcheinun- gen, (als Bewegungen) welche ſolche Kraͤfte anzeigen. Aber die Form einer ieden Veraͤnderung, die Bedingung, unter welcher ſie, als ein Entſtehen eines andern Zuſtan- des, allein vorgehen kan, (der Inhalt derſelben, d. i. der Zuſtand, der veraͤndert wird, mag ſeyn, welcher er wolle) mithin die Succeßion der Zuſtaͤnde ſelbſt (das Ge- ſchehene) kan doch nach dem Geſetze der Cauſſalitaͤt und den Bedingungen der Zeit a priori erwogen werden. *) Wenn eine Subſtanz aus einem Zuſtande a in einen andern b uͤbergeht, ſo iſt der Zeitpunct des zweiten vom Zeitpuncte des erſteren Zuſtandes unterſchieden, und folgt demſelben. Eben ſo iſt auch der zweite Zuſtand als Rea- litaͤt (in der Erſcheinung) vom erſteren, darin dieſe nicht war, wie b vom Zero unterſchieden, d. i. wenn der Zu- ſtand b ſich auch von dem Zuſtande a nur der Groͤße nach unterſchiede, ſo iſt die Veraͤnderung ein Entſtehen von b—a, *) Man merke wol: daß ich nicht von der Veraͤnderung gewiſſer Relationen uͤberhaupt, ſondern von Veraͤnderung des Zuſtandes rede. Daher, wenn ein Coͤrper ſich gleich- foͤrmig bewegt, ſo veraͤndert er ſeinen Zuſtand (der Be- wegung) gar nicht, aber wol, wenn ſeine Bewegung zu- oder abnimt. [208/0238] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. b—a, welches im vorigen Zuſtande nicht war, und in Anſehung deſſen er = 0 iſt. Es fraͤgt ſich alſo: wie ein Ding aus einem Zuſtan- de = a in einen andern = b uͤbergehe. Zwiſchen zween Augenblicken iſt immer eine Zeit, und zwiſchen zwey Zu- ſtaͤnden in denſelben immer ein Unterſchied, der eine Groͤſſe hat, (denn alle Theile der Erſcheinungen ſind immer wieder- um Groͤſſen). Alſo geſchieht ieder Uebergang aus einem Zuſtande in den andern in einer Zeit, die zwiſchen zween Augenblicken enthalten iſt, deren der erſte den Zuſtand beſtimt, aus welchem das Ding herausgeht, der zweite den, in welchen es gelangt. Beide alſo ſind Grenzen der Zeit einer Veraͤnderung, mithin des Zwiſchenzuſtan- des zwiſchen beiden Zuſtanden, und gehoͤren als ſolche mit zu der ganzen Veraͤnderung. Nun hat iede Veraͤnderung eine Urſache, welche in der ganzen Zeit, in welcher iene vorgeht, ihre Cauſſalitaͤt beweiſet. Alſo bringt dieſe Ur- ſache ihre Veraͤnderung nicht ploͤzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke) hervor, ſondern in einer Zeit, ſo, daß, wie die Zeit von Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung in b waͤchſt, auch die Groͤſſe der Realitaͤt (b—a) durch alle kleinere Grade, die zwiſchen dem erſten und lezten enthalten ſind, erzeugt wird. Alle Veraͤnde- rung iſt alſo nur durch eine continuirliche Handlung der Cauſſalitaͤt moͤglich, welche, ſo fern ſie gleichfoͤrmig iſt, ein Moment heißt. Aus dieſen Momenten beſteht nicht die [209/0239] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. die Veraͤnderung, ſondern wird dadurch erzeugt als ihre Wirkung. Das iſt nun das Geſetz der Continuitaͤt aller Veraͤn- derung, deſſen Grund dieſer iſt: daß weder die- Zeit, noch auch die Erſcheinung in der Zeit, aus Theilen beſteht, die die kleineſten ſind, und daß doch der Zuſtand des Dinges bey ſeiner Veraͤnderung durch alle dieſe Theile, als Ele- mente, zu ſeinem zweiten Zuſtande uͤbergehe. Es iſt kein Unterſchied des Realen in der Erſcheinung, ſo wie kein Unterſchied in der Groͤſſe der Zeiten, der kleineſte, und ſo erwaͤchſt der neue Zuſtand der Realitaͤt von dem erſten an, darin dieſe nicht war, durch alle unendliche Grade derſelben, deren Unterſchiede von einander insge- ſamt kleiner ſeyn, als der zwiſchen o und a. Welchen Nutzen dieſer Satz in der Naturforſchung haben moͤge, das geht uns hier nichts an. Aber, wie ein ſolcher Satz, der unſre Erkentniß der Natur ſo zu erweitern ſcheint, voͤllig a priori moͤglich ſey, das erfor- dert gar ſehr unſere Pruͤfung, wenn gleich der Augenſchein beweiſet, daß er wirklich und richtig ſey, und man alſo der Frage, wie er moͤglich geweſen, uͤberhoben zu ſeyn glauben moͤchte. Denn es giebt ſo mancherley ungegruͤn- dete Anmaßungen der Erweiterung unſerer Erkentniß durch reine Vernunft: daß es zum allgemeinen Grundſatz ange- nommen werden muß, deshalb durchaus mistrauiſch zu ſeyn, und ohne Documente, die eine gruͤndliche Deduction ver- O [210/0240] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. verſchaffen koͤnnen, ſelbſt auf den klaͤreſten dogmatiſchen Beweis nichts dergleichen zu glauben und anzunehmen. Aller Zuwachs des empiriſchen Erkentniſſes, und ie- der Fortſchritt der Wahrnehmung iſt nichts, als eine Er- weiterung der Beſtimmung des innern Sinnes, d. i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenſtaͤnde moͤgen ſeyn, welche ſie wollen, Erſcheinungen, oder reine Anſchauungen. Die- ſer Fortgang in der Zeit beſtimt alles, und iſt an ſich ſelbſt durch nichts weiter beſtimt, d. i. die Theile deſſelben ſind nur in der Zeit, und durch die Syntheſis derſelben, ſie aber nicht vor ihr gegeben: Um deswillen iſt ein ieder Uebergang in der Wahrnehmung zu etwas, was in der Zeit folgt, eine Beſtimmung der Zeit durch die Erzeugung dieſer Wahrnehmung, und da iene, immer und in allen ihren Theilen, eine Groͤſſe iſt, die Erzeugung einer Wahr- nehmung als einer Groͤſſe durch alle Grade, deren keiner der kleinſte iſt, von dem Zero an, bis zu ihrem beſtimten Grad. Hieraus erhellet nun die Moͤglichkeit, ein Geſetz der Veraͤnderungen, ihrer Form nach, a priori zu erken- nen. Wir anticipiren nur unſere eigene Apprehenſion, deren formale Bedingung, da ſie uns vor aller gegebenen Erſcheinung ſelbſt beywohnt, allerdings a priori muß er- kant werden koͤnnen. So iſt demnach, eben ſo, wie die Zeit die ſinnliche Bedingung a priori von der Moͤglichkeit eines continuirli- chen Fortganges des Exiſtirenden zu dem folgenden enthaͤlt, der Verſtand, vermittelſt der Einheit der Apperception, die [211/0241] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. die Bedingung a priori der Moͤglichkeit einer continuirli- chen Beſtimmung aller Stellen vor die Erſcheinungen in dieſer Zeit, durch die Reihe von Urſachen und Wirkun- gen, deren die erſtere der leztern ihr Daſeyn unausbleiblich nach ſich ziehen, und dadurch die empiriſche Erkentniß der Zeitverhaͤltniſſe vor iede Zeit (allgemein) mithin obiectiv guͤltig machen. C. Dritte Analogie. Grundſatz der Gemeinſchaft. Alle Subſtanzen, ſofern ſie zugleich ſeyn, ſtehen in durchgaͤngiger Gemeinſchaft, (d. i. Wechſelwirkung unter einander). Beweis. Dinge ſind zugleich, ſo fern ſie in einer und derſel- ben Zeit exiſtiren. Woran erkent man aber: daß ſie in einer und derſelben Zeit ſind? Wenn die Ordnung in der Syntheſis der Apprehenſion dieſes Mannigfaltigen, gleichguͤltig iſt, d. i. von A, durch B, C, D auf E, oder auch umgekehrt von E zu A gehen kan. Denn, waͤre ſie in der Zeit nach einander (in der Ordnung, die von A anhebt, und in E endigt) ſo iſt es unmoͤglich, die Appre- henſion in der Wahrnehmung von E anzuheben, und ruͤck- werts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit ge- hoͤrt, und alſo kein Gegenſtand der Apprehenſion mehr ſeyn kan. Neh- O 2 [212/0242] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Nehmet nun an: in einer Mannigfaltigkeit von Subſtanzen als Erſcheinungen waͤre iede derſelben voͤllig iſolirt, d. i. keine wirkte in die andere, und empfaͤnge von dieſer wechſelſeitig Einfluͤſſe, ſo ſage ich: daß das Zugleichſeyn derſelben kein Gegenſtand einer moͤglichen Wahrnehmung ſeyn wuͤrde, und daß das Daſeyn der ei- nen, durch keinen Weg der empiriſchen Syntheſis, auf das Daſeyn der andern fuͤhren koͤnte. Denn, wenn ihr euch gedenkt, ſie waͤren durch einen voͤllig leeren Raum ge- trent, ſo wuͤrde die Wahrnehmung, die von der einen zur andern in der Zeit fortgeht, zwar dieſer ihr Daſeyn, vermittelſt einer folgenden Wahrnehmung beſtimmen, aber nicht unterſcheiden koͤnnen, ob die Erſcheinung obiectiv auf die erſtere folge, oder mit iener vielmehr zugleich ſey. Es muß alſo noch auſſer dem bloſſen Daſeyn et- was ſeyn, wodurch A dem B ſeine Stelle in der Zeit beſtimt, und umgekehrt auch wiederum B dem A, weil nur unter dieſer Bedingung gedachte Subſtanzen, als zu- gleich exiſtirend, empiriſch, vorgeſtellt werden koͤnnen. Nun beſtimt nur dasienige dem andern ſeine Stelle in der Zeit, was die Urſache von ihm, oder ſeinen Beſtimmun- gen iſt. Alſo muß iede Subſtanz, (da ſie nur in Anſe- hung ihrer Beſtimmungen Folge ſeyn kan) die Cauſſalitaͤt gewiſſer Beſtimmungen in der andern, und zugleich die Wirkungen von der Cauſſalitaͤt der andern in ſich enthal- ten, d. i. ſie muͤſſen in dynamiſcher Gemeinſchaft (unmit- telbar [213/0243] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. telbar oder mittelbar) ſtehen, wenn das Zugleichſeyn in irgend einer moͤglichen Erfahrung erkant werden ſoll. Nun iſt aber alles dasienige, in Anſehung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung nothwendig, ohne welches die Erfahrung von dieſen Gegenſtaͤnden ſelbſt unmoͤglich ſeyn wuͤrde. Alſo iſt es allen Subſtanzen in der Erſcheinung, ſofern ſie zu- gleich ſeyn, nothwendig in durchgaͤngiger Gemeinſchaft der Wechſelwirkung unter einander zu ſtehen. Das Wort Gemeinſchaft iſt in unſerer Sprache zwei- deutig, und kan ſo viel, als communio, aber auch als commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier deſſelben im leztern Sinn, als einer dynamiſchen Gemeinſchaft, oh- ne welche ſelbſt die locale (communio ſpatii) niemals empiriſch erkant werden koͤnte. Unſeren Erfahrungen iſt es leicht anzumerken, daß nur die continuirlichen Einfluͤſſe in allen Stellen des Raumes unſern Sinn von einem Ge- genſtande zum andern leiten koͤnnen, daß das Licht, wel- ches zwiſchen unſerm Auge, und den Weltkoͤrpern ſpielt, eine mittelbare Gemeinſchaft zwiſchen uns und dieſen be- wirken, und dadurch das Zugleichſeyn der lezteren bewei- ſen, daß wir keinen Ort empiriſch veraͤndern (dieſe Ver- aͤnderung wahrnehmen) koͤnnen, ohne daß uns allerwerts Materie die Wahrnehmung unſerer Stelle moͤglich mache, und dieſe nur vermittelſt ihres wechſelſeitigen Einfluſſes ihr Zugleichſeyn, und dadurch, bis zu den entlegenſten Gegen- ſtaͤnden, die Coexiſtenz derſelben (obzwar nur mittelbar) darthun kan. Ohne Gemeinſchaft iſt iede Wahrnehmung (der O 3 [214/0244] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. (der Erſcheinung im Raume) von der andern abgebrochen, und die Kette empiriſcher Vorſtellungen, d. i. Erfahrung, wuͤrde bey einem neuen Obiect ganz von vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringſten zuſammenhaͤngen, oder im Zeitverhaͤltniſſe ſtehen koͤnte. Den leeren Raum will ich hiedurch gar nicht widerlegen: denn der mag im- mer ſeyn, wohin Wahrnehmungen gar nicht reichen, und alſo keine empiriſche Erkentniß des Zugleichſeyns ſtatt fin- det; er iſt aber alsdann vor alle unſere moͤgliche Erfah- rung gar kein Obiect. Zur Erlaͤuterung kan folgendes dienen. In unſerm Gemuͤthe muͤſſen alle Erſcheinungen, als in einer moͤglichen Erfahrung enthalten, in Gemeinſchaft (communio) der Apperception ſtehen, und ſo fern die Gegenſtaͤnde als zu- gleichexiſtirend verknuͤpft vorgeſtellt werden ſollen, ſo muͤſ- ſen ſie ihre Stelle in einer Zeit wechſelſeitig beſtimmen, und dadurch ein Ganzes ausmachen. Soll dieſe ſubiective Gemeinſchaft auf einem obiectiven Grunde beruhen, oder auf Erſcheinungen, als Subſtanzen bezogen werden, ſo muß die Wahrnehmung der einen, als Grund, die Wahr- nehmung der andern, und ſo umgekehrt, moͤglich machen, damit die Succeßion, die iederzeit in den Wahrnehmun- gen, als Apprehenſionen iſt, nicht den Obiecten beyge- legt werde, ſondern dieſe, als zugleichexiſtirend vorgeſtellt werden koͤnnen. Dieſes iſt aber ein wechſelſeitiger Einfluß, d. i. eine reale Gemeinſchaft (commercium) der Sub- ſtanzen, ohne welche alſo das empiriſche Verhaͤltniß des Zu- [215/0245] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Zugleichſeyns nicht in der Erfahrung ſtatt finden koͤnte. Durch dieſes Commercium machen die Erſcheinungen, ſo fern ſie auſſer einander, und doch in Verknuͤpfung ſtehen, ein zuſammengeſeztes aus (compoſitum reale) und der- gleichen Compoſita werden auf mancherley Art moͤglich. Die drey dynamiſche Verhaͤltniſſe, daraus alle uͤbrige ent- ſpringen, ſind daher das der Inhaͤrenz, der Conſequenz und der Compoſition. Dies ſind denn alſo die drey Analogien der Erfah- rung. Sie ſind nichts anders, als Grundſaͤtze der Beſtim- mung des Daſeyns der Erſcheinungen in der Zeit, nach allen drey modis derſelben, dem Verhaͤltniſſe zu der Zeit ſelbſt, als einer Groͤſſe (die Groͤſſe des Daſeyns, d. i. die Dauer), dem Verhaͤltniſſe in der Zeit, als einer Reihe (nach einander), endlich auch in ihr, als einem Inbegriff alles Daſeyns, (zugleich). Dieſe Einheit der Zeitbeſtim- mung iſt durch und durch dynamiſch, d. i. die Zeit wird nicht als dasienige angeſehen, worin die Erfahrung un- mittelbar iedem Daſeyn ſeine Stelle beſtimte, welches un- moͤglich iſt, weil die abſolute Zeit kein Gegenſtand der Wahrnehmung iſt, womit Erſcheinungen koͤnten zuſam- mengehalten werden; ſondern die Regel des Verſtandes, durch welche allein das Daſeyn der Erſcheinungen ſynthe- tiſche Einheit nach Zeitverhaͤltniſſen bekommen kan, be- ſtimt ieder derſelben ihre Stelle in der Zeit, mithin a priori, und guͤltig vor alle und iede Zeit. Unter O 4 [216/0246] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Unter Natur (im empiriſchen Verſtande) verſtehen wir den Zuſammenhang der Erſcheinungen ihrem Daſeyn nach, nach nothwendigen Regeln, d. i. nach Geſetzen. Es ſind alſo gewiſſe Geſetze, und zwar a priori, welche aller- erſt eine Natur moͤglich machen; die empiriſche koͤnnen nur vermittelſt der Erfahrung, und zwar zufolge iener ur- ſpruͤnglichen Geſetze, nach welchen ſelbſt Erfahrung aller- erſt moͤglich wird, ſtatt finden, und gefunden werden. Unſere Analogien ſtellen alſo eigentlich die Natureinheit im Zuſammenhange aller Erſcheinungen unter gewiſſen Expo- nenten dar, welche nichts anders ausdruͤcken, als das Ver- haͤltniß der Zeit (ſo fern ſie alles Daſeyn in ſich begreift) zur Einheit der Apperception, die nur in der Syntheſis nach Regeln ſtatt finden kan. Zuſammen ſagen ſie alſo: alle Erſcheinungen liegen in einer Natur, und muͤſſen dar- in liegen, weil ohne dieſe Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, mithin auch keine Beſtimmung der Ge- genſtaͤnde in derſelben moͤglich waͤre. Ueber die Beweisart aber, deren wir uns bey dieſen transſcendentalen Naturgeſetzen bedient haben, und die Eigenthuͤmlichkeit derſelben, iſt eine Anmerkung zu machen, die zugleich als Vorſchrift vor ieden andern Verſuch, in- tellectuelle und zugleich ſynthetiſche Saͤtze a priori zu bewei- ſen, ſehr wichtig ſeyn muß. Haͤtten wir dieſe Analogien dogmatiſch, d. i. aus Begriffen, beweiſen wollen: daß nemlich alles, was exiſtirt, nur in dem angetroffen werde, was beharrlich iſt, daß iede Begebenheit etwas im vorigen Zu- [217/0247] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Zuſtande vorausſetze, worauf es nach einer Regel folgt, endlich, in dem Mannigfaltigen, das zugleich iſt, die Zu- ſtaͤnde in Beziehung auf einander nach einer Regel zugleich ſeyn, (in Gemeinſchaft ſtehen) ſo waͤre alle Bemuͤhung gaͤnzlich vergeblich geweſen. Denn man kan von einem Gegenſtande und deſſen Daſeyn auf das Daſeyn des an- dern, oder ſeine Art zu exiſtiren, durch bloſſe Begriffe die- ſer Dinge gar nicht kommen, man mag dieſelbe zergliedern wie man wolle. Was blieb uns nun uͤbrig? Die Moͤg- lichkeit der Erfahrung, als einer Erkentniß, darin uns alle Gegenſtaͤnde zuletzt muͤſſen gegeben werden koͤnnen, wenn ihre Vorſtellung vor uns obiective Realitaͤt haben ſoll. In dieſem Dritten nun, deſſen weſentliche Form in der ſynthetiſchen Einheit der Apperception aller Erſcheinun- gen beſteht, fanden wir Bedingungen a priori der durch- gaͤngigen und nothwendigen Zeitbeſtimmung alles Daſeyns in der Erſcheinung, ohne welche ſelbſt die empiriſche Zeit- beſtimmung unmoͤglich ſeyn wuͤrde, und fanden Regeln der ſynthetiſchen Einheit a priori, vermittelſt deren wir die Erfahrung anticipiren konten. In Ermangelung die- ſer Methode, und bey dem Wahne, ſynthetiſche Saͤtze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verſtandes, als ſeine Principien empfiehlt, dogmatiſch beweiſen zu wollen, iſt es denn geſchehen, daß von dem Satze des zureichenden Grundes ſo oft, aber immer vergeblich, ein Beweis iſt verſucht worden. An die beide uͤbrige Analogien hat niemand gedacht; ob man ſich ihrer gleich immer ſtill- ſchwei- O 5 [218/0248] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Haupſt. ſchweigend bediente *), weil der Leitfaden der Categorien fehlte, der allein iede Luͤcke des Verſtandes, ſowol in Be- griffen, als Grundſaͤtzen, entdecken, und merklich machen kan. 4. Die Poſtulate des empiriſchen Denkens uͤberhaupt. 1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfah- rung (der Anſchauung und den Begriffen nach) uͤberein- komt, iſt moͤglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Er- fahrung (der Empfindung) zuſammenhaͤngt, iſt wirklich. 3. Deſſen Zuſammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung beſtimt iſt, iſt (exiſtirt) nothwendig. Erlaͤu- *) Die Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erſchei- nungen verknuͤpft ſeyn ſollen, iſt offenbar eine bloſſe Fol- gerung des in geheim angenommenen Grundſatzes der Gemeinſchaft aller Subſtanzen, die zugleich ſeyn: denn, waͤren ſie iſolirt, ſo wuͤrden ſie nicht als Theile ein Gan- zes ausmachen, und waͤre ihre Verknuͤpfung (Wechſelwir- kung des Mannigfaltigen) nicht ſchon um des Zugleich- ſeyns willen nothwendig, ſo koͤnte man aus dieſem, als einem blos idealen Verhaͤltniß, auf iene, als ein reales, nicht ſchlieſſen. Wiewol wir an ſeinem Ort gezeigt ha- ben: daß die Gemeinſchaft eigentlich der Grund der Moͤg- lichkeit einer empiriſchen Erkentniß, der Coexiſtenz ſey, und daß man alſo eigentlich nur aus dieſer auf iene, als ihre Bedingung, zuruͤck ſchlieſſe. [219/0249] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Erlaͤuterung. Die Categorien der Modalitaͤt haben das beſondere an ſich: daß ſie den Begriff, dem ſie als Praͤdicate beyge- fuͤget werden, als Beſtimmung des Obiects nicht im min- deſten vermehren, ſondern nur das Verhaͤltniß zum Erkent- nißvermoͤgen ausdruͤcken. Wenn der Begriff eines Dinges ſchon ganz vollſtaͤndig iſt, ſo kan ich doch noch von die- ſem Gegenſtande fragen, ob er blos moͤglich, oder auch wirklich, oder, wenn er das leztere iſt, ob er gar auch nothwendig ſey? Hiedurch werden keine Beſtimmungen mehr im Obiecte ſelbſt gedacht, ſondern es fraͤgt ſich nur, wie es ſich, (ſamt allen ſeinen Beſtimmungen) zum Ver- ſtande und deſſen empiriſchen Gebrauche, zur empiriſchen Urtheilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf Erfahrung) verhalte? Eben um deswillen ſind auch die Grundſaͤtze der Mo- dalitaͤt nichts weiter, als Erklaͤrungen der Begriffe der Moͤglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit in ihrem empiriſchen Gebrauche, und hiemit zugleich Reſtrictionen aller Categorien auf den blos empiriſchen Gebrauch, oh- ne den transſcendentalen zuzulaſſen und zu erlauben. Denn, wenn dieſe nicht eine blos logiſche Bedeutung haben, und die Form des Denkens analytiſch ausdruͤcken ſollen, ſon- dern Dinge und deren Moͤglichkeit, Wirklichkeit oder Nothwendigkeit betreffen ſollen, ſo muͤſſen ſie auf die moͤg- liche Erfahrung und deren ſynthetiſche Einheit gehen, in welcher allein Gegenſtaͤnde der Erkentniß gegeben werden. Das [220/0250] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Das Poſtulat der Moͤglichkeit der Dinge fordert alſo, daß der Begriff derſelben mit den formalen Bedin- gungen einer Erfahrung uͤberhaupt zuſammenſtimme. Die- ſe, nemlich die obiective Form der Erfahrung uͤberhaupt, enthaͤlt aber alle Syntheſis, welche zur Erkentniß der Obiecte erfordert wird. Ein Begriff, der eine Synthe- ſis in ſich faßt, iſt vor leer zu halten, und bezieht ſich auf keinen Gegenſtand, wenn dieſe Syntheſis nicht zur Erfahrung gehoͤrt, entweder, als von ihr erborgt, und denn heißt er ein empiriſcher Begriff, oder als eine ſolche, auf der, als Bedingung a priori, Erfahrung uͤberhaupt, (die Form derſelben) beruht, und denn iſt es ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehoͤrt, weil ſein Obiect nur in dieſer angetroffen werden kan. Denn wo will man den Character der Moͤglichkeit eines Gegenſtan- des, der durch einen ſynthetiſchen Begriff a priori gedacht worden, hernehmen, wenn es nicht von der Syntheſis geſchieht, welche die Form der empiriſchen Erkentniß der Obiecte ausmacht. Daß in einem ſolchen Begriffe kein Widerſpruch enthalten ſeyn muͤſſe, iſt zwar eine nothwen- dige logiſche Bedingung; aber zur obiectiven Realitaͤt des Begriffs, d. i. der Moͤglichkeit eines ſolchen Gegenſtandes, als durch den Begriff gedacht wird, bey weitem nicht ge- nug. So iſt in dem Begriffe einer Figur, die in zwey geraden Linien eingeſchloſſen iſt, kein Widerſpruch, denn die Begriffe von zwey geraden Linien und deren Zuſam- menſtoſſung, enthalten keine Verneinung einer Figur; ſon- dern [221/0251] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. dern die Unmoͤglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an ſich, ſelbſt, ſondern der Conſtruction deſſelben im Raume, d. i. den Bedingungen des Raumes und der Beſtimmung deſſelben, dieſe haben aber wiederum ihre obiective Realitaͤt, d. i. ſie gehen auf moͤgliche Dinge, weil ſie die Form der Erfahrung uͤberhaupt a priori in ſich enthalten. Und nun wollen wir den ausgebreiteten Nutzen und Einfluß dieſes Poſtulats der Moͤglichkeit vor Augen legen. Wenn ich mir ein Ding vorſtelle, das beharrlich iſt, ſo, daß alles, was da wechſelt, blos zu ſeinem Zuſtande gehoͤrt, ſo kan ich niemals aus einem ſolchen Begriffe allein erken- nen: daß ein dergleichen Ding moͤglich ſey. Oder, ich ſtelle mir etwas vor, welches ſo beſchaffen ſeyn ſoll, daß, wenn es geſezt wird, iederzeit und unausbleiblich etwas Anderes darauf erfolgt, ſo mag dieſes allerdings ohne Wi- derſpruch ſo gedacht werden koͤnnen; ob aber dergleichen Eigenſchaft (als Cauſſalitaͤt) an irgend einem moͤglichen Dinge angetroffen werde, kan dadurch nicht geurtheilt werden. Endlich kan ich mir verſchiedene Dinge (Sub- ſtanzen) vorſtellen, die ſo beſchaffen ſind, daß der Zuſtand des einen eine Folge im Zuſtande des andern nach ſich zieht, und ſo wechſelsweiſe, aber, ob dergleichen Verhaͤlt- niß irgend Dingen zukommen koͤnne, kan aus dieſen Be- griffen, welche eine blos willkuͤhrliche Syntheſis enthalten, gar nicht abgenommen werden. Nur daran alſo, daß die- ſe Begriffe die Verhaͤltniſſe der Wahrnehmungen in ieder Erfahrung a priori ausdruͤcken, erkent man ihre obiective Reali- [222/0252] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Realitaͤt, d. i. ihre transſcendentale Wahrheit, und zwar freilich unabhaͤngig von der Erfahrung, aber doch nicht unabhaͤngig von aller Beziehung auf die Form einer Erfah- rung uͤberhaupt, und die ſynthetiſche Einheit, in der allein Gegenſtaͤnde empiriſch koͤnnen erkant werden. Wenn man ſich aber gar neue Begriffe von Subſtanzen, von Kraͤften, von Wechſelwirkungen, aus dem Stoffe, den uns die Wahrnehmung darbietet, machen wollte, ohne von der Erfahrung ſelbſt das Beyſpiel ihrer Verknuͤpfung zu entlehnen; ſo wuͤrde man in lauter Hirngeſpinſte gera- then, deren Moͤglichkeit ganz und gar kein Kennzeichen vor ſich hat, weil man bey ihnen nicht Erfahrung zur Lehrerin an- nimt, noch dieſe Begriffe von ihr entlehnt. Dergleichen gedich- tete Begriffe koͤnnen den Character ihrer Moͤglichkeit nicht ſo, wie die Categorien, a priori, als Bedingungen, von denen alle Erfahrung abhaͤngt, ſondern nur a poſteriori, als ſolche, die durch die Erfahrung ſelbſt gegeben werden, bekommen, und ihre Moͤglichkeit muß entweder a poſte- riori und empiriſch, oder ſie kan gar nicht erkant werden. Eine Subſtanz, welche beharrlich im Raume gegenwaͤrtig waͤre, doch ohne ihn zu erfuͤllen, (wie dasienige Mittel- ding zwiſchen Materie und denkenden Weſen, welches ei- nige haben einfuͤhren wollen) oder eine beſondere Grund- kraft unſeres Gemuͤths, das Kuͤnftige zum voraus anzu- ſchauen (nicht etwa blos zu folgern), oder endlich ein Ver- moͤgen deſſelben, mit andern Menſchen in Gemeinſchaft der Gedanken zu ſtehen (ſo entfernt ſie auch ſeyn moͤgen), das [223/0253] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. das ſind Begriffe, deren Moͤglichkeit ganz grundlos iſt, weil ſie nicht auf Erfahrung und deren bekante Geſetze ge- gruͤndet werden kan, und ohne ſie eine willkuͤhrliche Ge- dankenverbindung iſt die, ob ſie zwar keinen Widerſpruch enthaͤlt, doch keinen Anſpruch auf obiective Realitaͤt, mit- hin auf die Moͤglichkeit eines ſolchen Gegenſtandes, als man ſich hier denken will, machen kan. Was Realitaͤt betrift, ſo verbietet es ſich wol von ſelbſt, ſich eine ſolche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung zu Huͤlfe zu nehmen; weil ſie nur auf Empfindung, als Materie der Erfahrung, gehen kan, und nicht die Form des Verhaͤlt- niſſes betrift, mit der man allenfals in Erdichtungen ſpie- len koͤnte. Aber ich laſſe alles vorbey, deſſen Moͤglichkeit nur aus der Wirklichkeit in der Erfahrung kan abgenommen werden, und erwege hier nur die Moͤglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen ich fortfahre zu be- haupten: daß ſie niemals aus ſolchen Begriffen vor ſich allein, ſondern iederzeit nur als formale und obiective Be- dingungen einer Erfahrung uͤberhaupt ſtatt finden koͤnnen. Es hat zwar den Anſchein, als wenn die Moͤglich- keit eines Triangels aus ſeinem Begriffe an ſich ſelbſt koͤn- ne erkant werden (von der Erfahrung iſt er gewiß unab- haͤngig); denn in der That koͤnnen wir ihm gaͤnzlich a priori einen Gegenſtand geben, d. i. ihn conſtruiren. Weil dieſes aber nur die Form von einem Gegenſtande iſt, ſo wuͤrde er doch immer nur ein Product der Einbildung blei- [224/0254] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. bleiben, von deſſen Gegenſtand die Moͤglichkeit noch zweifel- haft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird, nem- lich daß eine ſolche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenſtaͤnde der Erfahrung beruhen, gedacht ſey. Daß nun der Raum eine formale Bedingung a prio- ri von aͤuſſeren Erfahrungen iſt, daß eben dieſelbe bilden- de Syntheſis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel conſtruiren, mit derienigen gaͤnzlich einerley ſey, welche wir in der Apprehenſion einer Erſcheinung ausuͤben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff zu machen, das iſt es allein, was mit dieſem Begriffe die Vorſtellung von der Moͤglichkeit eines ſolchen Dinges verknuͤpft. Und ſo iſt die Moͤglichkeit continuirlicher Groͤſſen, ia ſo gar der Groͤſſen uͤberhaupt, weil die Begriffe davon insgeſamt ſynthetiſch ſind, niemals aus den Begriffen ſelbſt, ſondern aus ihnen, als formalen Bedingungen, der Beſtimmung der Gegenſtaͤnde in der Erfahrung uͤberhaupt allererſt klar, und wo ſollte man auch Gegenſtaͤnde ſuchen wollen, die den Begriffen correſpondirten, waͤre es nicht in der Erfahrung, durch die uns allein Gegenſtaͤnde gegeben werden, wie wol wir, ohne eben Erfahrung ſelbſt voran zuſchicken, blos in Be- ziehung auf die formale Bedingungen, unter welchen in ihr uͤberhaupt etwas als Gegenſtand beſtimt wird, mithin voͤllig a priori, aber doch nur in Beziehung auf ſie, und innerhalb ihren Grenzen, die Moͤglichkeit der Dinge er- kennen und characteriſiren koͤnnen. Das [225/0255] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Das Poſtulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erken- nen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, de- ren man ſich bewuſt iſt, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenſtande ſelbſt, deſſen Daſeyn erkant werden ſoll, aber doch Zuſammenhang deſſelben mit irgend einer wirk- lichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknuͤpfung in einer Erfahrung uͤber- haupt darlegen. In dem bloſſen Begriffe eines Dinges kan gar kein Character ſeines Daſeyns angetroffen werden. Denn ob derſelbe gleich noch ſo vollſtaͤndig ſey, daß nicht das min- deſte ermangele, um ein Ding mit allen ſeinen innern Be- ſtimmungen zu denken, ſo hat das Daſeyn mit allem die- ſen doch gar nichts zu thun, ſondern nur mit der Frage: ob ein ſolches Ding uns gegeben ſey, ſo, daß die Wahr- nehmung deſſelben vor dem Begriffe allenfals vorhergehen koͤnne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet deſſen bloſſe Moͤglichkeit, die Wahr- nehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, iſt der einzige Character der Wirklichkeit. Man kan aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und alſo com- parative a priori das Daſeyn deſſelben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundſaͤtzen der empiriſchen Verknuͤpfung derſelben (den Analogien) zuſammenhaͤngt. Denn alsdenn haͤngt doch das Daſeyn des Dinges mit unſern Wahrnehmungen in einer moͤglichen Erfah- P [226/0256] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Erfahrung zuſammen, und wir koͤnnen nach dem Leitfaden iener Analogien, von unſerer wirklichen Wahrnehmung zu dem Dinge in der Reihe moͤglicher Wahrnehmungen gelangen. So erkennen wir das Daſeyn einer alle Coͤrper durchdringenden magnetiſchen Materie aus der Wahrneh- mung des gezogenen Eiſenfeiligs, obzwar eine unmittelba- re Wahrnehmung dieſes Stoffs uns nach der Beſchaffen- heit unſerer Organen unmoͤglich iſt. Denn uͤberhaupt wuͤrden wir, nach Geſetzen der Sinnlichkeit und dem Con- text unſerer Wahrnehmungen, in einer Erfahrung auch auf die unmittelbare empiriſche Anſchauung derſelben ſtoſſen, wenn unſere Sinnen feiner waͤren, deren Grobheit die Form moͤglicher Erfahrung uͤberhaupt nichts angeht. Wo alſo Wahrnehmung und deren Anhang nach empiriſchen Geſetzen hinreicht, dahin reicht auch unſere Erkentniß vom Daſeyn der Dinge. Fangen wir nicht von Erfahrung an, oder gehen wir nicht nach Geſetzen des empiriſchen Zuſammenhanges der Erſcheinungen fort, ſo machen wir uns vergeblich Staat, das Daſeyn irgend eines Dinges errathen oder erforſchen zu wollen. Was endlich das dritte Poſtulat betrift, ſo geht es auf die materiale Nothwendigkeit im Daſeyn, und nicht die blos formale und logiſche in Verknuͤpfung der Begriffe. Da nun keine Exiſtenz der Gegenſtaͤnde der Sinne voͤllig a priori erkant werden kan, aber doch compara- tive a priori relativiſch auf ein anderes ſchon gegebenes Da- [227/0257] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Daſeyn, gleichwol aber auch alsdenn nur auf dieienige Exiſtenz kommen kan, die irgendwo in dem Zuſammen- hange der Erfahrung, davon die gegebene Wahrnehmung ein Theil iſt, enthalten ſeyn muß: ſo kan die Nothwen- digkeit der Exiſtenz, niemals aus Begriffen, ſondern ie- derzeit nur aus der Verknuͤpfung mit demienigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Geſetzen der Er- fahrung erkant werden koͤnnen. Da iſt nun kein Daſeyn, was unter der Bedingung anderer gegebener Erſcheinungen, als nothwendig erkant werden koͤnte, als das Daſeyn der Wirkungen aus gegebenen Urſachen nach Geſetzen der Cauſ- ſalitaͤt. Alſo iſt es nicht das Daſeyn der Dinge, (Sub- ſtanzen) ſondern ihres Zuſtandes, wovon wir allein die Nothwendigkeit erkennen koͤnnen, und zwar aus anderen Zuſtaͤnden, die in der Wahrnehmung gegeben ſind, nach empiriſchen Geſetzen der Cauſſalitaͤt. Hieraus folgt: daß das Criterium der Nothwendigkeit lediglich in dem Ge- ſetze der moͤglichen Erfahrung liege: daß alles, was ge- ſchieht, durch ihre Urſache in der Erſcheinung a priori beſtimt ſey. Daher erkennen wir nur die Nothwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Urſachen uns gege- ben ſind, und das Merkmal der Nothwendigkeit im Da- ſeyn reicht nicht weiter, als das Feld moͤglicher Erfahrung, und ſelbſt in dieſem gilt es nicht von der Exiſtenz der Din- ge, als Subſtanzen, weil dieſe niemals, als empiriſche Wirkungen, oder etwas, das geſchieht, und entſteht, koͤnnen angeſehen werden. Die Nothwendigkeit betrift alſo P 2 [228/0258] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. alſo nur die Verhaͤltniſſe der Erſcheinungen nach dem dy- namiſchen Geſetze der Cauſſalitaͤt, und die darauf ſich gruͤn- dende Moͤglichkeit, aus irgend einem gegebenen Daſeyn (einer Urſache) a priori auf ein anderes Daſeyn (der Wirkung) zu ſchlieſſen. Alles, was geſchieht, iſt hypo- thetiſch nothwendig, das iſt ein Grundſatz, welcher die Veraͤnderung in der Welt einem Geſetze unterwirft, d. i. einer Regel des nothwendigen Daſeyns, ohne welche gar nicht einmal Natur ſtatt finden wuͤrde. Daher iſt der Satz: nichts geſchieht durch ein blindes Ohngefaͤhr, (in mundo non datur caſus) ein Naturgeſetz a priori, im- gleichen keine Nothwendigkeit in der Natur iſt blinde, ſon- dern bedingte, mithin verſtaͤndliche Nothwendigkeit (non datur fatum), beide ſind ſolche Geſetze, durch welche das Spiel der Veraͤnderungen einer Natur der Dinge (als Erſcheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerley iſt, der Einheit des Verſtandes, in welchem ſie allein zu einer Erfahrung, als der ſynthetiſchen Einheit der Er- ſcheinungen, gehoͤren koͤnnen. Dieſe beide Grundſaͤtze ge- hoͤren zu den dynamiſchen. Der erſtere iſt eigentlich eine Folge des Grundſatzes von der Cauſſalitaͤt (unter den Ana- logien der Erfahrung). Der zweite gehoͤrt zu den Grund- ſaͤtzen der Modalitaͤt, welche zu der Cauſſalbeſtimmung noch den Begriff der Nothwendigkeit, die aber unter einer Regel des Verſtandes ſteht, hinzu thut. Das Princip der Continuitaͤt verbot in der Reihe der Erſcheinungen (Veraͤnderungen) allen Abſprung; (in mundo non datur ſaltus [229/0259] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. ſaltus) aber auch in dem Inbegriff aller empiriſchen An- ſchauungen im Raume alle Luͤcke oder Kluft zwiſchen zwey Erſcheinungen (non datur hiatus); denn ſo kan man den Satz ausdruͤcken: daß in die Erfahrung nichts hinein kommen kan, was ein vacuum bewieſe, oder auch nur als einen Theil der empiriſchen Syntheſis zulieſſe. Denn was das leere betrift, welches man ſich auſſerhalb dem Felde moͤglicher Erfahrung (der Welt) denken mag, ſo gehoͤrt dieſes nicht vor die Gerichtsbarkeit des bloſſen Ver- ſtandes, welcher nur uͤber die Fragen entſcheidet, die die Nutzung gegebener Erſcheinungen zur empiriſchen Erkent- niß betreffen, und iſt eine Aufgabe vor die idealiſche Ver- nunft, die noch uͤber die Spaͤhre einer moͤglichen Erfah- rung hinausgeht, und von dem urtheilen will, was dieſe ſelbſt umgiebt und begraͤnzet, muß daher in der transſcen- dentalen Dialectik erwogen werden. Dieſe vier Saͤtze (in mundo non datur hiatus, non datur ſaltus, non datur caſus, non datur fatum,) koͤnten wir leicht, ſo wie alle Grundſaͤtze transſcendentalen Urſprungs, nach ihrer Ordnung, gemaͤß der Ordnung der Categorien vorſtellig machen, und iedem ſeine Stelle beweiſen, allein der ſchon geuͤbte Leſer wird dieſes von ſelbſt thun, oder den Leitfaden dazu leicht entdecken. Sie vereinigen ſich aber alle ledig- lich dahin, um in der empiriſchen Syntheſis nichts zuzu- laſſen, was dem Verſtande und dem continuirlichen Zu- ſammenhange aller Erſcheinungen, d. i. der Einheit ſeiner Begriffe, Abbruch oder Eintrag thun koͤnte. Denn er iſt es P 3 [230/0260] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. es allein, worin die Einheit der Erfahrung, in der alle Wahrnehmungen ihre Stelle haben muͤſſen, moͤglich wird. Ob das Feld der Moͤglichkeit groͤſſer ſey, als das Feld, was alles Wirkliche enthaͤlt, dieſes aber wiederum groͤſſer, als die Menge desienigen, was nothwendig iſt, das ſind artige Fragen, und zwar von ſynthetiſcher Aufloͤſung, die aber auch nur der Gerichtsbarkeit der Vernunft anheim fallen; denn ſie wollen ungefehr ſo viel ſagen, als, ob alle Dinge, als Erſcheinungen, insgeſamt in den Inbegriff und den Context einer einzigen Erfahrung gehoͤren, von der iede gegebene Wahrnehmung ein Theil iſt, der alſo mit keinen andern Erſcheinungen koͤnne ver- bunden werden, oder ob meine Wahrnehmungen zu mehr wie einer moͤglichen Erfahrung (in ihrem allgemeinen Zu- ſammenhange) gehoͤren koͤnnen. Der Verſtand giebt a priori der Erfahrung uͤberhaupt nur die Regel, nach den ſubiectiven und formalen Bedingungen, ſo wol der Sinnlichkeit als der Apperception, welche ſie allein moͤg- lich machen, Andere Formen der Anſchauung, (als Raum und Zeit), imgleichen andere Formen des Verſtandes (als die discurſive des Denkens, oder der Erkentniß durch Be- griffe,) ob ſie gleich moͤglich waͤren, koͤnnen wir uns doch auf keinerley Weiſe erdenken und faßlich machen, aber, wenn wir es auch koͤnten, ſo wuͤrden ſie doch nicht zur Erfahrung, als dem einzigen Erkentniß gehoͤren, worin uns Gegenſtaͤnde gegeben werden. Ob andere Wahrneh- mun- [231/0261] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. mungen, als uͤberhaupt, zu unſerer geſamten moͤglichen Er- fahrung gehoͤren, und alſo ein ganz anderes Feld der Ma- terie noch ſtatt finden koͤnne, kan der Verſtand nicht ent- ſcheiden, er hat es nur mit der Syntheſis deſſen zu thun, was gegeben iſt. Sonſt iſt die Armſeligkeit unſerer ge- woͤhnlichen Schluͤſſe, wodurch wir ein groſſes Reich der Moͤglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenſtand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil ſey, ſehr in die Augen fallend. Alles wirkliche iſt moͤglich; hieraus folgt natuͤrlicher Weiſe, nach den logiſchen Regeln der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Moͤg- liche iſt wirklich, welches denn ſo viel zu bedeuten ſcheint, als: es iſt vieles moͤglich, was nicht wirklich iſt. Zwar hat es den Anſchein, als koͤnne man auch gerade zu die Zahl des Moͤglichen uͤber die des Wirklichen dadurch hin- ausſetzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß, um dieſe auszumachen. Allein dieſes Hinzukommen zum Moͤglichen kenne ich nicht. Denn was uͤber daſſelbe noch zugeſezt werden ſollte, waͤre unmoͤglich. Es kan nur zu meinem Verſtande etwas uͤber die Zuſammenſtimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die Verknuͤpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen; was aber mit dieſer nach empiriſchen Geſetzen verknuͤpft iſt, iſt wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge- nommen wird. Daß aber im durchgaͤngigen Zuſammen- hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben iſt, eine andere Reihe von Erſcheinungen, mithin mehr wie P 4 [232/0262] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. wie eine einzige alles befaſſende Erfahrung moͤglich ſey, laͤßt ſich aus dem, was gegeben iſt, nicht ſchlieſſen, und, ohne daß irgend etwas gegeben iſt, noch viel weniger; weil ohne Stoff ſich uͤberall nichts denken laͤßt. Was unter Bedingungen, die ſelbſt blos moͤglich ſind, allein moͤglich iſt, iſt es nicht in aller Abſicht. In dieſer aber wird die Frage genommen, wenn man wiſſen will, ob die Moͤglichkeit der Dinge ſich weiter erſtrecke, als Erfahrung reichen kan. Ich habe dieſer Fragen nur Erwaͤhnung gethan, um keine Luͤcke in demienigen zu laſſen, was, der gemeinen Meinung nach, zu den Verſtandesbegriffen gehoͤrt. In der That iſt aber die abſolute Moͤglichkeit (die in aller Ab- ſicht guͤltig iſt) kein bloſſer Verſtandesbegriff, und kan auf keinerley Weiſe von empiriſchem Gebrauche ſeyn, ſondern er gehoͤrt allein der Vernunft zu, die uͤber allen moͤglichen empiriſchen Verſtandesgebrauch hinausgeht. Daher haben wir uns hiebey mit einer blos critiſchen Anmerkung be- gnuͤgen muͤſſen, uͤbrigens aber die Sache bis zum weiteren kuͤnftigen Verfahren in der Dunkelheit gelaſſen. Da ich eben dieſe vierte Nummer, und, mit ihr, zu- gleich das Syſtem aller Grundſaͤtze des reinen Verſtandes ſchlieſſen will, ſo muß ich noch Grund angeben, warum ich die Principien der Modalitaͤt gerade Poſtulate genant habe. Ich will dieſen Ausdruck hier nicht in der Bedeu- tung nehmen, welche ihm einige neuere philoſophiſche Ver- [233/0263] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. Verfaſſer, wider den Sinn der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehoͤrt, gegeben haben, nemlich: daß Poſtuliren ſo viel heiſſen ſolle, als einen Satz vor unmit- telbar gewiß, ohne Rechtfertigung, oder Beweis ausge- ben; denn, wenn wir das bey ſynthetiſchen Saͤtzen, ſo evident ſie auch ſeyn moͤgen, einraͤumen ſollten, daß man ſie ohne Deduction, auf das Anſehen ihres eigenen Aus- ſpruchs, dem unbedingten Beyfalle aufheften duͤrfe, ſo iſt alle Critik des Verſtandes verloren, und, da es an dreuſten Anmaſſungen nicht fehlt, deren ſich auch der ge- meine Glaube, (der aber kein Creditiv iſt) nicht weigert; ſo wird unſer Verſtand iedem Wahne offen ſtehen, ohne daß er ſeinen Beyfall denen Ausſpruͤchen verſagen kan, die, obgleich unrechtmaͤßig, doch in eben demſelben To- ne der Zuverſicht, als wirkliche Axiomen eingelaſſen zu werden verlangen. Wenn alſo zu dem Begriffe eines Dinges eine Beſtimmung a priori ſynthetiſch hinzukomt, ſo muß von einem ſolchen Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigſtens eine Deduction der Rechtmaͤßigkeit ſeiner Behauptung unnachlaßlich hinzugefuͤgt werden. Die Grundſaͤtze der Modalitaͤt ſind aber nicht ob- iectivſynthetiſch, weil die Praͤdicate der Moͤglichkeit, Wirk- lichkeit und Nothwendigkeit den Begriff, von dem ſie ge- ſagt werden, nicht im mindeſten vermehren, dadurch daß ſie der Vorſtellung des Gegenſtandes noch etwas hinzuſezten. Da ſie aber gleichwol doch immer ſynthetiſch ſeyn, ſo ſind ſie P 5 [234/0264] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſie es nur ſubiectiv, d. i. ſie fuͤgen zu dem Begriffe eines Dinges, (realen) von dem ſie ſonſt nichts ſagen, die Er- kentnißkraft hinzu, worin er entſpringt und ſeinen Sitz hat, ſo, daß, wenn er blos im Verſtande mit den for- malen Bedingungen der Erfahrung in Verknuͤpfung iſt, ſein Gegenſtand moͤglich heißt, iſt er mit der Wahrnehmung (Empfindung, als Materie der Sinne) im Zuſammenhange, und durch dieſelbe vermittelſt des Verſtandes beſtimt, ſo iſt das Obiect wirklich; iſt er durch den Zuſammenhang der Wahrnehmungen nach Begriffen beſtimt, ſo heißt der Gegenſtand nothwendig. Die Grundſaͤtze der Modalitaͤt alſo ſagen von einem Begriffe nichts anders, als die Hand- lung des Erkentnißvermoͤgens, dadurch er erzeugt wird. Nun heißt ein Poſtulat in der Mathematik der practiſche Satz, der nichts als die Syntheſis enthaͤlt, wodurch wir einen Gegenſtand uns zuerſt geben, und deſſen Begriff er- zeugen, z. B. mit einer gegebenen Linie, aus einem gege- benen Punet auf einer Ebene einen Cirkel zu beſchreiben, und ein dergleichen Satz kan darum nicht bewieſen wer- den, weil das Verfahren, was er fordert, gerade das iſt, wodurch wir den Begriff von einer ſolchen Figur zuerſt erzeugen. So koͤnnen wir demnach mit eben demſelben Rechte die Grundſaͤtze der Modalitaͤt poſtuliren, weil ſie ihren Begriff von Dingen uͤberhaupt nicht vermehren, *) ſon- *) Durch die Wirklichkeit eines Dinges, ſetze ich freilich mehr, als die Moͤglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn [235/0265] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. ſondern nur die Art anzeigen, wie er uͤberhaupt mit der Erkentnißkraft verbunden wird. Der Transſcendent. Doctrin der Urtheilskraft (Analytik der Grundſaͤtze) Drittes Hauptſtuͤck. Von dem Grunde der Unterſcheidung aller Gegenſtaͤnde uͤberhaupt in Phænomena und Noümena. Wir haben iezt das Land des reinen Verſtandes nicht allein durchreiſet, und ieden Theil davon ſorgfaͤl- tig in Augenſchein genommen, ſondern es auch durchmeſ- ſen, und iedem Dinge auf demſelben ſeine Stelle be- ſtimt. Dieſes Land aber iſt eine Inſel, und durch die Natur ſelbſt in unveraͤnderliche Graͤnzen eingeſchloſſen. Es iſt das Land der Wahrheit (ein reizender Nahme), umge- ben von einem weiten und ſtuͤrmiſchen Oceane, dem eigent- lichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegſchmelzende Eis neue Laͤnder luͤgt, und indem *) *) denn das kan niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in deſſen vollſtaͤndiger Moͤglichkeit enthalten war. Sondern da die Moͤglichkeit blos eine Poſition des Dinges in Beziehung auf den Verſtand (deſſen em- piriſchen Gebrauch) war, ſo iſt die Wirklichkeit zugleich eine Verknuͤpfung deſſelben mit der Wahrnehmung. [236/0266] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. indem es den auf Entdeckungen herumſchwaͤrmenden See- fahrer unaufhoͤrlich mit leeren Hoffnungen taͤuſcht, ihn in Abentheuer verflicht, von denen er niemals ablaſſen, und ſie doch auch niemals zu Ende bringen kan. Ehe wir uns aber auf dieſes Meer wagen, um es nach allen Breiten zu durchſuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen ſey, ſo wird es nuͤtzlich ſeyn, zuvor noch einen Blick auf die Carte des Landes zu werfen, das wir eben verlaſ- ſen wollen, und erſtlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in ſich enthaͤlt, nicht allenfalls zufrieden ſeyn koͤnten, oder auch aus Noth zufrieden ſeyn muͤſſen, wenn es ſonſt uͤberall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen koͤn- ten, zweitens, unter welchem Titel wir denn ſelbſt dieſes Land beſitzen, und uns wider alle feindſelige Anſpruͤche ge- ſichert halten koͤnnen. Obſchon wir dieſe Fragen in dem Lauf der Analytik ſchon hinreichend beantwortet haben, ſo kan doch ein ſummariſcher Ueberſchlag ihrer Aufloͤſungen die Ueberzeugung dadurch verſtaͤrken, daß er die Momente derſelben in einem Punct vereinigt. Wir haben nemlich geſehen: daß alles, was der Verſtand aus ſich ſelbſt ſchoͤpft, ohne es von der Erfah- rung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem andern Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, ſie moͤgen nun a priori conſtitutiv ſeyn, (wie die mathematiſchen) oder blos regu- lativ (wie die dynamiſchen) enthalten nichts als gleichſam nur [237/0267] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. nur das reine Schema zur moͤglichen Erfahrung; denn dieſe hat ihre Einheit nur von der ſynthetiſchen Einheit, welche der Verſtand der Syntheſis der Einbildungskraft in Be- ziehung auf die Apperception urſpruͤnglich und von ſelbſt ertheilt, und auf welche die Erſcheinungen, als data zu einem moͤglichen Erkentniſſe, ſchon a priori in Beziehung und Einſtimmung ſtehen muͤſſen. Ob nun aber gleich dieſe Verſtandesregeln nicht allein a priori wahr ſind, ſon- dern ſo gar der Quell aller Wahrheit, d. i. der Ueberein- ſtimmung unſerer Erkentniß mit Obiecten, dadurch, daß ſie den Grund der Moͤglichkeit der Erfahrung, als des In- begriffes aller Erkentniß, darin uns Obiecte gegeben wer- den moͤgen, in ſich enthalten, ſo ſcheint es uns doch nicht genug, ſich blos dasienige vortragen zu laſſen, was wahr iſt, ſondern, was man zu wiſſen begehrt. Wenn wir alſo durch dieſe critiſche Unterſuchung nichts mehreres lernen, als was wir im blos empiriſchen Gebrauche des Verſtandes, auch ohne ſo ſubtile Nachforſchung, von ſelbſt wol wuͤrden ausgeuͤbt haben, ſo ſcheint es, ſey der Vortheil, den man aus ihr zieht, den Aufwand und die Zuruͤſtung nicht werth. Nun kan man zwar hierauf antworten: daß kein Vorwitz der Erweiterung unſerer Erkentniß nachtheiliger ſey, als der, ſo den Nutzen iederzeit zum vorauswiſſen will, ehe man ſich auf Nachforſchungen einlaͤßt, und ehe man noch ſich den mindeſten Begriff von dieſem Nutzen machen koͤnte, wenn derſelbe auch vor Augen geſtellt wuͤrde. Allein es giebt doch einen Vortheil, der auch dem ſchwuͤrigſten und unlu- [238/0268] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. unluſtigſten Lehrlinge ſolcher transſcendentalen Nachfor- ſchung begreiflich, und zugleich angelegen gemacht werden kan, nemlich dieſer: daß der blos mit ſeinem empiriſchen Gebrauche beſchaͤftigte Verſtand, der uͤber die Quellen ſei- ner eigenen Erkentniß nicht nachſinnt, zwar ſehr gut fort- kommen, eines aber gar nicht leiſten koͤnne, nemlich, ſich ſelbſt die Graͤnzen ſeines Gebrauchs zu beſtimmen, und zu wiſſen, was innerhalb oder auſſerhalb ſeiner ganzen Sphaͤ- re liegen mag; denn dazu werden eben die tiefen Unterſu- chungen erfordert, die wir angeſtellt haben. Kan er aber nicht unterſcheiden, ob gewiſſe Fragen in ſeinem Horizonte liegen, oder nicht, ſo iſt er niemals ſeiner Anſpruͤche und ſeines Beſitzes ſicher, ſondern darf ſich nur auf vielfaͤltige beſchaͤmende Zurechtweiſungen Rechnung machen, wenn er die Graͤnzen ſeines Gebiets (wie es unvermeidlich iſt) unaufhoͤrlich uͤberſchreitet, und ſich in Wahn und Blend- werke verirrt. Daß alſo der Verſtand von allen ſeinen Grundſaͤtzen a priori, ia von allen ſeinen Begriffen keinen andern als empiriſchen, niemals aber einen transſcendentalen Ge- brauch machen koͤnne, iſt ein Satz, der, wenn er mit Ueberzeugung erkant werden kan, in wichtige Folgen hin- ausſieht. Der transſcendentale Gebrauch eines Begriffs in irgend einem Grundſatze iſt dieſer: daß er auf Dinge uͤberhaupt und an ſich ſelbſt, der empiriſche aber, wenn er blos auf Erſcheinungen, d. i. Gegenſtaͤnde einer moͤg- lichen [239/0269] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. lichen Erfahrung, bezogen wird. Daß aber uͤberall nur der leztere ſtatt finden koͤnne, erſiehet man daraus. Zu iedem Begriff wird erſtlich die logiſche Form eines Begriffs (des Denkens) uͤberhaupt, und denn zweitens auch die Moͤglichkeit, ihm einen Gegenſtand zu geben, darauf er ſich beziehe, erfordert. Ohne dieſen leztern hat er keinen Sinn, und iſt voͤllig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logiſche Function enthalten mag, aus etwani- gen datis einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen- ſtand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anſchauung, und, wenn eine reine Anſchauung noch vor dem Gegenſtande a priori moͤglich iſt, ſo kan doch auch dieſe ſelbſt ihren Gegenſtand, mithin die obiective Guͤltigkeit, nur durch die empiriſche Anſchauung bekom- men, wovon ſie die bloſſe Form iſt. Alſo beziehen ſich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundſaͤtze, ſo ſehr ſie auch a priori moͤglich ſeyn moͤgen, dennoch auf empiriſche Anſchauungen, d. i. auf data zur moͤglichen Erfahrung. Ohne dieſes haben ſie gar keine obiective Guͤltigkeit, ſon- dern ſind ein bloſſes Spiel, es ſey der Einbildungskraft, oder des Verſtandes, reſpective mit ihren Vorſtellungen. Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey- ſpiele, und zwar erſtlich in ihren reinen Anſchauungen. Der Raum hat drey Abmeſſungen, zwiſchen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie ſeyn ꝛc. Obgleich alle dieſe Grundſaͤtze, und die Vorſtellung des Gegenſtandes, wo- mit ſich iene Wiſſenſchaft beſchaͤftigt, voͤllig a priori im Ge- [240/0270] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Gemuͤth erzeugt werden, ſo wuͤrden ſie doch gar nichts be- deuten, koͤnten wir nicht immer an Erſcheinungen (em- piriſchen Gegenſtaͤnden) ihre Bedeutung darlegen. Da- her erfordert man auch, einen abgeſonderten Begriff ſinnlich zu machen, d. i. das ihm correſpondirende Ob- iect in der Anſchauung darzulegen, weil, ohne dieſes, der Begriff, (wie man ſagt) ohne Sinn, d. i. ohne Bedeu- tung bleiben wuͤrde. Die Mathematik erfuͤllt dieſe For- derung durch die Conſtruction der Geſtalt, welche eine den Sinnen gegenwaͤrtige (obzwar a priori zu Stande gebrach- te) Erſcheinung iſt. Der Begriff der Groͤſſe ſucht in eben der Wiſſenſchaft ſeine Haltung und Sinn in der Zahl, die- ſe aber an den Fingern, den Corallen des Rechenbrets, oder den Strichen und Puncten, die vor Augen geſtellt werden. Der Begriff bleibt immer a priori erzeugt, ſamt den ſyn- thetiſchen Grundſaͤtzen oder Formeln aus ſolchen Begriffen; aber der Gebrauch derſelben, und Beziehung auf angeb- liche Gegenſtaͤnde kan am Ende doch nirgend, als in der Erfahrung geſucht werden, deren Moͤglichkeit (der Form nach) iene a priori enthalten. Daß dieſes aber auch der Fall mit allen Categorien, und den daraus geſponnenen Grundſaͤtzen ſey, erhellet auch daraus: daß wir ſo gar keine einzige derſelben defi- niren koͤnnen, ohne uns ſo fort zu Bedingungen der Sinn- lichkeit, mithin der Form der Erſcheinungen, herabzulaſ- ſen, als auf welche, als ihre einzige Gegenſtaͤnde, ſie folg- lich [241/0271] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. lich eingeſchraͤnkt ſeyn muͤſſen, weil, wenn man dieſe Be- dingung wegnimt, alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Obiect, wegfaͤllt, und man durch kein Beyſpiel ſich ſelbſt faßlich machen kan, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich vor ein Ding gemeint ſey. Oben, bey Darſtel- lung der Tafel der Categorien, uͤberhoben wir uns der Definitionen einer ieden derſelben dadurch: daß unſere Abſicht, die lediglich auf den ſynthetiſchen Gebrauch der- ſelben geht, ſie nicht noͤthig mache, und man ſich mit un- noͤthigen Unternehmungen keiner Verantwortung ausſetzen muͤſſe, deren man uͤberhoben ſeyn kan. Das war keine Ausrede, ſondern eine nicht unerhebliche Klugheitsregel, ſich nicht ſo fort aus definiren zu wagen, und Voll- ſtaͤndigkeit oder Praͤciſion in der Beſtimmung des Begriffs zu verſuchen oder vorzugeben, wenn man mit irgend einem oder andern Merkmale deſſelben auslangen kan, ohne eben dazu eine vollſtaͤndige Herzehlung aller derſelben, die den ganzen Begriff ausmachen, zu beduͤrfen. Jezt aber zeigt ſich: daß der Grund dieſer Vorſicht noch tiefer liege, nem- lich, daß wir ſie nicht definiren konten, wenn wir auch wollten *), ſondern, wenn man alle Bedingungen der Sinn- lich- *) Ich verſtehe hier die Realdefinition, welche nicht blos dem Nahmen einer Sache andere und verſtaͤndlichere Woͤrter unterlegt, ſondern die, ſo ein klares Merkmal, daran der Gegenſtand (definitum) iederzeit ſicher erkant werden kan, und den erklaͤrten Begriff zur Anwendung brauch- bar macht, in ſich enthaͤlt. Die Realerklaͤrung wuͤrde alſo Q [242/0272] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. lichkeit wegſchaft, die ſie als Begriffe eines moͤglichen em- piriſchen Gebrauchs auszeichnen, und ſie vor Begriffe von Dingen uͤberhaupt (mithin vom transſcendentalen Gebrauch) nehmen, bey ihnen gar nichts weiter zu thun ſey, als die logiſche Function in Urtheilen, als die Bedingung der Moͤg- lichkeit der Sachen ſelbſt anzuſehen, ohne doch im minde- ſten anzeigen zu koͤnnen, wo ſie denn ihre Anwendung und ihr Obiect, mithin wie ſie im reinen Verſtande ohne Sinn- lichkeit irgend eine Bedeutung und obiective Guͤltigkeit ha- ben koͤnne. Den Begriff der Groͤſſe uͤberhaupt kan nie- mand erklaͤren, als etwa ſo: daß ſie die Beſtimmung ei- nes Dinges ſey, dadurch, wie vielmal Eines in ihm geſezt iſt, gedacht werden kan. Allein dieſes Wievielmal gruͤndet ſich auf die ſucceßive Wiederholung, mithin auf die Zeit und die Syntheſis (des gleichartigen) in derſel- ben. Realitaͤt kan man im Gegenſatze mit der Nega- tion nur alsdenn erklaͤren, wenn man ſich eine Zeit, (als den Inbegriff von allem Seyn) gedenkt, die entweder womit erfuͤllet, oder leer iſt Laſſe ich die Beharrlichkeit (welche ein Daſeyn zu aller Zeit iſt) weg, ſo bleibt mir zum Begriffe der Subſtanz nichts uͤbrig, als die logiſche Vorſtellung vom Subiect, welche ich dadurch zu realiſiren ver- meine: daß ich mir Etwas vorſtelle, welches blos als Subiect (ohne *) *) alſo dieienige ſeyn, welche nicht blos einen Begriff, ſon- dern zugleich die obiective Realitaͤt deſſelben deutlich macht. Die mathematiſche Erklaͤrungen, welche den Ge- genſtand, dem Begriffe gemaͤß, in der Anſchauung dar- ſtellen, ſind von der letzteren Art. [243/0273] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. (ohne wovon ein Praͤdicat zu ſeyn) ſtatt finden kan. Aber nicht allein, daß ich gar keine Bedingungen weis, unter welchen denn dieſer logiſche Vorzug irgend einem Dinge eigen ſeyn werde: ſo iſt auch gar nichts weiter daraus zu machen, und nicht die mindeſte Folgerung zu ziehen, weil dadurch gar kein Obiects des Gebrauchs dieſes Begriffs beſtimt wird, und man alſo gar nicht weis, ob dieſer uͤber- all irgend etwas bedeute. Vom Begriffe der Urſache wuͤr- de ich, (wenn ich die Zeit weglaſſe, in der etwas auf et- was anderem nach einer Regel folgt) in der reinen Cate- gorie nichts weiter finden, als daß es ſo etwas ſey, woraus ſich auf das Daſeyn eines andern ſchlieſſen laͤßt, und es wuͤrde dadurch nicht allein Urſache und Wirkung gar nicht von einander unterſchieden werden koͤnnen, ſondern weil dieſes Schlieſſenkoͤnnen, doch bald Bedingungen erfordert, von denen ich nichts weis, ſo wuͤrde der Begriff gar keine Beſtimmung haben, wie er auf irgend ein Obiect paſſe. Der vermeinte Grundſatz: alles Zufaͤllige hat eine Urſa- che, tritt zwar ziemlich gravitaͤtiſch auf, als habe er ſeine eigene Wuͤrde in ſich ſelbſt. Allein frage ich: was verſteht ihr unter zufaͤllig, und ihr antwortet, deſſen Nichtſeyn moͤglich iſt, ſo moͤchte ich gern wiſſen, woran ihr dieſe Moͤglichkeit des Nichtſeyn erkennen wollt, wenn ihr euch nicht in der Reihe der Erſcheinungen eine Succeſſion und in dieſer ein Daſeyn, welches auf das Nichtſeyn folgt, (oder umgekehrt), mithin einen Wechſel vorſtellt; denn, daß das Nichtſeyn eines Dinges ſich ſelbſt nicht wieder- ſpre- Q 2 [244/0274] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. ſpreche, iſt eine lahme Berufung auf eine logiſche Bedin- gung, die zwar zum Begriffe nothwendig, aber zur rea- len Moͤglichkeit bey weitem nicht hinreichend iſt; wie ich denn eine iede exiſtirende Subſtanz in Gedanken aufheben kan, ohne mir ſelbſt zu widerſprechen, daraus aber auf die obiective Zufaͤlligkeit derſelben in ihrem Daſeyn, d. i. die Moͤglichkeit ſeines Nichtſeyns an ſich ſelbſt, gar nicht ſchlieſ- ſen kan. Was dem Begriff der Gemeinſchaft betrift, ſo iſt leicht zu ermeſſen: daß, da die reine Categorien der Subſtanz ſo wol, als Cauſſalitaͤt keine, das Obiect beſtimmende, Er- klaͤrung zulaſſen, die wechſelſeitige Cauſſalitaͤt in der Be- ziehung der Subſtanzen auf einander (commercium) eben ſo wenig derſelben faͤhig ſey. Moͤglichkeit, Daſeyn und Nothwendigkeit hat noch niemand anders als durch offen- bare Tavtologie erklaͤren koͤnnen, wenn man ihre Defini- tion lediglich aus dem reinen Verſtande ſchoͤpfen wollte. Denn das Blendwerk, die logiſche Moͤglichkeit des Be- griffs (da er ſich ſelbſt nicht widerſpricht) der transſcen- dentalen Moͤglichkeit der Dinge, (da dem Begriff ein Ge- genſtand correſpondirt) zu unterſchieben, kan nur Unver- ſuchte hintergehen und zufrieden ſtellen. Es hat etwas befremdliches und ſo gar widerſinni- ſches an ſich, daß ein Begriff ſeyn ſoll, dem doch eine Bedeutung zukommen muß, der aber keiner Erklaͤrung faͤhig waͤre. Allein hier hat es mit den Categorien dieſe beſondere Bewandniß: daß ſie nur vermittelſt der allge- meinen ſinnlichen Bedingung eine beſtimte Bedeutung und [245/0275] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. und Beziehung auf irgend einen Gegenſtand haben koͤnnen, dieſe Bedingung aber aus der reinen Categorie weggelaſſen worden, da dieſe denn nichts, als die logiſche Function enthalten kan, das Mannigfaltige unter einen Begriff zu bringen. Aus dieſer Function d. i. der Form des Begriffs allein kan aber gar nichts erkant und unterſchieden werden, welches Obiect darunter gehoͤre, weil eben von der ſinnli- chen Bedingung, unter der uͤberhaupt Gegenſtaͤnde unter ſie gehoͤren koͤnnen, abſtrahirt worden. Daher beduͤrfen die Categorien, noch uͤber den reinen Verſtandesbegriff, Beſtim- mungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit uͤberhaupt (Sche- ma) und ſind ohne dieſe keine Begriffe, wodurch ein Gegen- ſtand erkant, und von andern unterſchieden wuͤrde, ſondern nur ſo viel Arten, einen Gegenſtand zu moͤglichen Anſchauun- gen zu denken, und ihm nach irgend einer Function des Verſtandes ſeine Bedeutung (unter noch erforderlichen Be- dingungen) zu geben, d. i. ihn zu definiren: ſelbſt koͤn- nen ſie alſo nicht definirt werden. Die logiſche Functio- nen der Urtheile uͤberhaupt: Einheit und Vielheit, Beia- hung und Verneinung, Subiect und Praͤdicat koͤnnen, ohne einen Cirkel zu begehen, nicht definirt werden, weil die Definition doch ſelbſt ein Urtheil ſeyn, und alſo dieſe Fun- ctionen ſchon enthalten muͤßte. Die reine Categorien ſind aber nichts anders als Vorſtellungen der Dinge uͤberhaupt, ſo fern das Mannigfaltige ihrer Anſchauung durch eine oder andere dieſer logiſchen Functionen gedacht werden muß: Groͤſſe iſt die Beſtimmung, welche nur durch ein Urtheil, das Quan- Q 3 [246/0276] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Quantitaͤt hat, (iudicium commune) Realitaͤt, dieienige, die nur durch ein beiahend Urtheil gedacht werden kan, Sub- ſtanz, was, in Beziehung auf die Anſchauung, das lezte Subiect aller anderen Beſtimmungen ſeyn muß. Was das nun aber vor Dinge ſeyn, in Anſehung deren man ſich dieſer Function vielmehr als einer andern bedienen muͤſſe, bleibt hiebey ganz unbeſtimt: mithin haben die Cate- gorien ohne die Bedingung der ſinnlichen Anſchauung, dazu ſie die Syntheſis enthalten, gar keine Beziehung auf irgend ein beſtimtes Obiect, koͤnnen alſo keines definiren, und haben folglich an ſich ſelbſt keine Guͤltigkeit obiectiver Be- griffe. Hieraus fließt nun unwiderſprechlich: daß die reine Verſtandesbegriffe niemals von transſcendentalem, ſondern iederzeit nur von empiriſchem Gebrauche ſeyn koͤnnen, und daß die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes nur in Bezie- hung auf die allgemeine Bedingungen einer moͤglichen Er- fahrung, auf Gegenſtaͤnde der Sinne, niemals aber auf Dinge uͤberhaupt, (ohne Ruͤckſicht auf die Art zu nehmen, wie wir ſie anſchauen moͤgen), bezogen werden koͤnnen. Die transſcendentale Analytik hat demnach dieſes wichtige Reſultat: daß der Verſtand a priori niemals mehr leiſten koͤnne, als die Form einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt zu anticipiren, und, da das- ienige, was nicht Erſcheinung iſt, kein Gegenſtand der Erfahrung ſeyn kan: daß er die Schranken der Sinnlichkeit, innerhalb denen uns allein Gegenſtaͤnde ge- geben [247/0277] III. Haupſt. Von dem Grunde d. Unterſch. geben werden, niemals uͤberſchreiten koͤnne. Seine Grund- ſaͤtze ſind blos Principien der Expoſition der Erſcheinun- gen, und der ſtolze Nahme einer Ontologie, welche ſich anmaßt, von Dingen uͤberhaupt ſynthetiſche Erkentniſſe a priori in einer ſyſtematiſchen Doctrin zu geben (z. E. den Grundſatz der Cauſſalitaͤt) muß dem beſcheidenen, ei- ner bloſſen Analytik des reinen Verſtandes, Platz machen. Das Denken iſt die Handlung, gegebene Anſchauung auf einen Gegenſtand zu beziehen. Iſt die Art dieſer An- ſchauung auf keinerley Weiſe gegeben, ſo iſt der Gegen- ſtand blos transſcendental, und der Verſtandesbegriff hat keinen andern, als transſcendentalen Gebrauch, nemlich die Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen uͤberhaupt. Durch eine reine Categorie nun, in welcher von aller Be- dingung der ſinnlichen Anſchauung, als der einzigen, die uns moͤglich iſt, abſtrahirt wird, wird alſo kein Obiect beſtimt, ſondern nur das Denken eines Obiects uͤberhaupt, nach verſchiedenen modis, ausgedruͤkt. Nun gehoͤrt zum Gebrauche eines Begriffs noch eine Function der Urtheils- kraft, worauf ein Gegenſtand unter ihm ſubſumirt wird, mithin die wenigſtens formale Bedingung, unter der etwas in der Anſchauung gegeben werden kan. Fehlt dieſe Be- dingung der Urtheilskraft, (Schema) ſo faͤllt alle Sub- ſumtion weg; denn es wird nichts gegeben, was unter den Begriff ſubſumirt werden koͤnne. Der blos transſcen- dentale Gebrauch alſo der Categorien iſt in der That gar kein Gebrauch, und hat keinen beſtimten, oder auch nur der Q 4 [248/0278] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. der Form nach, beſtimbaren Gegenſtand. Hieraus folgt, daß die reine Categorie auch zu keinem ſynthetiſchen Grund- ſatze a priori zulange, und daß die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes nur von empiriſchem, niemals aber von trans- ſcendentalem Gebrauche ſind, uͤber das Feld moͤglicher Er- fahrung hinaus aber, es uͤberall keine ſynthetiſche Grund- ſaͤtze a priori geben koͤnne. Es kan daher rathſam ſeyn, ſich alſo auszudruͤcken: die reine Categorien, ohne formale Bedingungen der Sinn- lichkeit, haben blos transſcendentale Bedeutung, ſind aber von keinem transſendentalen Gebrauch, weil dieſer an ſich ſelbſt unmoͤglich iſt, indem ihnen alle Bedingungen irgend eines Gebrauchs (in Urtheilen) abgehen, nemlich die formale Bedingungen der Subſumtion irgend eines angeb- lichen Gegenſtandes unter dieſe Begriffe. Da ſie alſo (als blos reine Categorien) nicht von empiriſchem Gebrauche ſeyn ſollen, und von transſcendentalen nicht ſeyn koͤnnen, ſo ſind ſie von gar keinem Gebrauche, wenn man ſie von aller Sinnlichkeit abſondert, d. i. ſie koͤnnen auf gar keinen angeblichen Gegenſtand angewandt werden; viel- mehr ſind ſie blos die reine Form des Verſtandesgebrauchs in Anſehung der Gegenſtaͤnde uͤberhaupt und des Denkens, ohne doch durch ſie allein irgend ein Obiect denken oder beſtimmen zu koͤnnen. Erſcheinungen, ſo fern ſie als Gegenſtaͤnde nach der Einheit der Categorien gedacht werden, heiſſen Phæno- mena. [249/0279] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. mena. Wenn ich aber Dinge annehme, die blos Gegen- ſtaͤnde des Verſtandes ſind, und gleichwol, als ſolche, ei- ner Anſchauung, obgleich nicht der ſinnlichen (als coram intuitu intellectuali) gegeben werden koͤnnen; ſo wuͤrden dergleichen Dinge Noümena (intelligibilia) heiſſen. Nun ſollte man denken, daß der durch die transſc. Aeſthetik eingeſchraͤnkte Begriff der Erſcheinungen ſchon von ſelbſt die obiective Realitaͤt der Noümenorum an die Hand gebe, und die Eintheilung der Gegenſtaͤnde in Phæ- nomena und Noümena, mithin auch der Welt, in eine Sinnen und eine Verſtandeswelt (mundus ſenſibilis & intelligibilis) berechtige, und zwar ſo: daß der Unter- ſchied hier nicht blos die logiſche Form der undeutlichen oder deutlichen Erkentniß eines und deſſelben Dinges, ſon- dern die Verſchiedenheit treffe, wie ſie unſerer Erkentniß urſpruͤnglich gegeben werden koͤnnen, und nach welcher ſie an ſich ſelbſt, der Gattung nach, von einander unter- ſchieden ſeyn. Denn wenn uns die Sinne etwas blos vor- ſtellen, wie es erſcheint, ſo muß dieſes Etwas doch auch an ſich ſelbſt ein Ding, und ein Gegenſtand einer nicht ſinnlichen Anſchauung, d. i. des Verſtandes ſeyn, d. i. es muß eine Erkentniß moͤglich ſeyn, darin keine Sinn- lichkeit angetroffen wird, und welche allein ſchlechthin ob- iective Realitaͤt hat, dadurch uns nemlich Gegenſtaͤnde vorgeſtellt werden, wie ſie ſind; da hingegen im empiri- ſchen Gebrauche unſeres Verſtandes Dinge nur erkant wer- Q 5 [250/0280] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. werden, wie ſie erſcheinen. Alſo wuͤrde es, auſſer dem empiriſchen Gebrauch der Categorien (welcher auf ſinnliche Bedingungen eingeſchraͤnkt iſt) noch einen reinen und doch obiectivguͤltigen geben, und wir koͤnten nicht behaupten, was wir bisher vorgegeben haben: daß unſere reine Ver- ſtandeserkentniſſe uͤberall nichts weiter waͤren, als Princi- pien der Expoſition der Erſcheinung, die auch a priori nicht weiter, als auf die formale Moͤglichkeit der Erfah- rung gingen, denn hier ſtaͤnde ein ganz anderes Feld vor uns offen, gleichſam eine Welt im Geiſte gedacht, (viel- leicht auch gar angeſchaut) die nicht minder, ia noch weit edler unſern reinen Verſtand beſchaͤftigen koͤnte. Alle unſere Vorſtellungen werden in der That durch den Verſtand auf irgend ein Obiect bezogen, und, da Er- ſcheinungen nichts als Vorſtellungen ſind, ſo bezieht ſie der Verſtand auf ein Etwas, als den Gegenſtand der ſinnlichen Anſchauung: aber dieſes Etwas iſt in ſo fern nur das transſcendentale Obiect. Dieſes bedeutet aber ein Etwas = x, wovon wir gar nichts wiſſen, noch uͤberhaupt, (nach der ietzigen Einrichtung unſeres Verſtandes) wiſſen koͤnnen, ſondern, welches nur als ein Correlatum der Einheit der Apperception zur Einheit des Mannigfaltigen in der ſinnlichen Anſchauung dienen kan, vermittelſt deren der Verſtand daſſelbe in den Begriff eines Gegenſtandes ver- einigt. Dieſes transſcendentale Obiect laͤßt ſich gar nicht von den ſinnlichen Datis abſondern, weil alsdenn nichts uͤbrig [251/0281] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. uͤbrig bleibt, wodurch es gedacht wuͤrde. Es iſt alſo kein Gegenſtand der Erkentniß an ſich ſelbſt, ſondern nur die Vorſtellung der Erſcheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenſtandes uͤberhaupt, der durch das Mannigfaltige derſelben beſtimbar iſt. Eben um deswillen ſtellen nun auch die Categorien kein beſonderes, dem Verſtande allein gegebenes Obiect vor, ſondern dienen nur dazu, das transſcendentale Obiect (den Begriff von etwas uͤberhaupt) durch das, was in der Sinnlichkeit gegeben wird, zu beſtimmen, um dadurch Erſcheinungen unter Begriffen von Gegenſtaͤnden empiriſch zu erkennen. Was aber die Urſache betrift, weswegen man, durch das Subſtratum der Sinnlichkeit noch nicht befriedigt, den Phænomenis noch Noümena zugegeben hat, die nur der reine Verſtand denken kan, ſo beruhet ſie lediglich darauf. Die Sinnlichkeit, und ihr Feld, nemlich das der Erſchei- nungen, wird ſelbſt durch den Verſtand dahin eingeſchraͤnkt: daß ſie nicht auf Dinge an ſich ſelbſt, ſondern nur auf die Art gehe, wie uns, vermoͤge unſerer ſubiectiven Beſchaf- fenheit, Dinge erſcheinen. Dies war das Reſultat der ganzen transſcendentalen Aeſthetik, und es folgt auch na- tuͤrlicher Weiſe aus dem Begriffe einer Erſcheinung uͤber- haupt: daß ihr etwas entſprechen muͤſſe, was an ſich nicht Erſcheinung iſt, weil Erſcheinung nichts vor ſich ſelbſt, und auſſer unſerer Vorſtellungsart ſeyn kan, mithin, wo nicht ein [252/0282] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. ein beſtaͤndiger Cirkel herauskommen ſoll, das Wort Er- ſcheinung ſchon eine Beziehung auf Etwas anzeigt, deſ- ſen unmittelbare Vorſtellung zwar ſinnlich iſt, was aber an ſich ſelbſt, auch ohne dieſe Beſchaffenheit unſerer Sinn- lichkeit, (worauf ſich die Form unſerer Anſchauung gruͤn- det), Etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhaͤngi- ger Gegenſtand ſeyn muß. Hieraus entſpringt nun der Begriff von einem Noümenon, der aber gar nicht poſitiv, und eine be- ſtimte Erkentniß von irgend einem Dinge, ſondern nur das Denken von Etwas uͤberhaupt bedeutet, bey wel- chem ich von aller Form der ſinnlichen Anſchauung ab- ſtrahire. Damit aber ein Noumenon einen wahren, von allen Phaͤnomenen zu unterſcheidenden Gegenſtand bedeute, ſo iſt es nicht genug: daß ich meinen Gedan- ken von allen Bedingungen ſinnlicher Anſchauung befreye, ich muß noch uͤberdem Grund dazu haben, eine andere Art der Anſchauung, als dieſe ſinnliche iſt, anzu- nehmen, unter der ein ſolcher Gegenſtand gegeben wer- den koͤnne; denn ſonſt iſt mein Gedanke doch leer, obzwar ohne Widerſpruch. Wir haben zwar oben nicht beweiſen koͤnnen: daß die ſinnliche Anſchauung die einzige moͤgliche Anſchauung uͤberhaupt, ſondern daß ſie es nur vor uns ſey, wir konten aber auch nicht beweiſen: daß noch eine andere Art der Anſchauung moͤglich ſey, und, obgleich unſer Denken von iener Sinnlichkeit abſtrahiren kan, ſo bleibt doch die Frage, ob es alsdenn nicht eine bloſſe Form eines [253/0283] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch ꝛc. eines Begriffs ſey, und ob bey dieſer Abtrennung uͤberall ein Obiect uͤbrig bleibe. Das Obiect, worauf ich die Erſcheinung uͤberhaupt beziehe, iſt der transſcendentale Gegenſtand, d. i. der gaͤnzlich unbeſtimte Gedanke von Etwas uͤberhaupt. Die- ſer kan nicht das Noumenon heiſſen; denn ich weis von ihm nicht, was er an ſich ſelbſt ſey, und habe gar keinen Begriff von ihm, als blos von dem Gegenſtande einer ſinnlichen Anſchauung uͤberhaupt, der alſo vor alle Erſchei- nungen einerley iſt. Ich kan ihn durch keine Categorien denken; denn dieſe gilt von der empiriſchen Anſchauung, um ſie unter einen Begriff vom Gegenſtande uͤberhaupt zu bringen. Ein reiner Gebrauch der Categorie iſt zwar moͤglich, d. i. ohne Widerſpruch, aber hat gar keine ob- iective Guͤltigkeit, weil ſie auf keine Anſchauung geht, die dadurch Einheit des Obiects bekommen ſollte; denn die Categorie iſt doch eine bloſſe Function des Denkens, wo- durch mir kein Gegenſtand gegeben, ſondern nur, was in der Anſchauung gegeben werden mag, gedacht wird. Wenn ich alles Denken (durch Categorien) aus ei- ner empiriſchen Erkentniß wegnehme, ſo bleibt gar keine Erkentniß irgend eines Gegenſtandes uͤbrig; denn durch bloſſe Anſchauung wird gar nichts gedacht, und, daß die- ſe Affection der Sinnlichkeit in mir iſt, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorſtellung auf irgend ein Ob- iect aus. Laſſe ich aber hingegen alle Anſchauung weg, ſo [254/0284] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. ſo bleibt doch noch die Form des Denkens, d. i. die Art, dem Mannigfaltigen einer moͤglichen Anſchauung einen Gegenſtand zu beſtimmen. Daher erſtrecken ſich die Ca- tegorien ſo fern weiter, als die ſinnliche Anſchauung, weil ſie Obiecte uͤberhaupt denken, ohne noch auf die beſondere Art (der Sinnlichkeit) zu ſehen, in der ſie gegeben wer- den moͤgen. Sie beſtimmen aber dadurch nicht eine groͤſ- ſere Sphaͤre von Gegenſtaͤnden, weil, daß ſolche gegeben werden koͤnnen, man nicht annehmen kan, ohne daß man eine andere, als ſinnliche Art der Anſchauung als moͤglich vorausſezt, wozu wir aber keinesweges berechtigt ſind. Ich nenne einen Begriff problematiſch: der keinen Widerſpruch enthaͤlt, der auch als eine Begraͤnzung gege- bener Begriffe mit andern Erkentniſſen zuſammenhaͤngt, deſſen obiective Realitaͤt aber auf keine Weiſe erkant wer- den kan. Der Begriff eines Noumenon, d. i. eines Dinges, welches gar nicht als Gegenſtand der Sinne, ſon- dern, als ein Ding an ſich ſelbſt, (lediglich durch einen reinen Verſtand) gedacht werden ſoll, iſt gar nicht wi- derſprechend; denn man kan von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß ſie die einzige moͤgliche Art der Anſchau- ung ſey. Ferner iſt dieſer Begriff nothwendig, um die ſinnliche Anſchauung nicht bis uͤber die Dinge an ſich ſelbſt auszudehnen, und alſo, um die obiective Guͤltigkeit der ſinnlichen Erkentniß einzuſchraͤnken, (denn das uͤbrige, wor- [255/0285] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. worauf iene nicht reicht, heiſſen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, iene Erkentniſſe koͤnnen ihr Gebiet nicht uͤber alles, was der Verſtand denkt, erſtre- cken.) Am Ende aber iſt doch die Moͤglichkeit ſolcher Noümenorum gar nicht einzuſehen, und der Umfang auſſer der Sphaͤre der Erſcheinungen iſt (vor uns) leer, d. i. wir haben einen Verſtand, der ſich problematiſch weiter erſtreckt, als iene, aber keine Anſchauung, ia auch nicht einmal den Begriff von einer moͤglichen An- ſchauung, wodurch uns auſſer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenſtaͤnde gegeben, und der Verſtand uͤber dieſelbe hin- aus aſſertoriſch gebraucht werden koͤnne. Der Begriff eines Noumenon iſt alſo blos ein Graͤnzbegriff, um die Anmaſſung der Sinnlichkeit einzuſchraͤnken, und alſo nur von negativem Gebrauche. Er iſt aber gleichwol nicht willkuͤhrlich erdichtet, ſondern haͤngt mit der Einſchraͤn- kung der Sinnlichkeit zuſammen, ohne doch etwas Poſi- tives auſſer dem Umfange derſelben ſetzen zu koͤnnen. Die Eintheilung der Gegenſtaͤnde in Phænomena und Noümena, und der Welt in eine Sinnen- und Ver- ſtandeswelt kan daher gar nicht zugelaſſen werden, ob- gleich Begriffe allerdings die Eintheilung in ſinnliche und intellectuelle zulaſſen; denn man kan den lezteren keinen Gegenſtand beſtimmen, und ſie alſo auch nicht vor obiectiv- guͤltig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß unſere Categorien, (wel- [256/0286] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. (welche die einzige uͤbrig bleibende Begriffe vor Noumena ſeyn wuͤrden) noch uͤberall etwas bedeuten, da zu ihrer Beziehung auf irgend einen Gegenſtand, noch etwas mehr, als blos die Einheit des Denkens, nemlich, uͤberdem eine moͤgliche Anſchauung gegeben ſeyn muß, darauf iene an- gewandt werden koͤnnen? Der Begriff eines Noümeni, blos problematiſch genommen, bleibt demungeachtet nicht allein zulaͤßig, ſondern, auch als ein die Sinnlichkeit in Schranken ſetzender Begriff, unvermeidlich. Aber alsdenn iſt das nicht ein beſonderer intelligibeler Gegenſtand vor unſern Verſtand, ſondern ein Verſtand, vor den es gehoͤ- rete, iſt ſelbſt ein Problema, nemlich, nicht discurſiv durch Categorien, ſondern intuitiv in einer nichtſinnlichen Anſchauung ſeinen Gegenſtand zu erkennen, als von wel- chem wir uns nicht die geringſte Vorſtellung ſeiner Moͤg- lichkeit machen koͤnnen. Unſer Verſtand bekomt nun auf dieſe Weiſe eine negative Erweiterung, d. i. er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeſchraͤnkt, ſondern ſchraͤnkt vielmehr dieſelbe ein, dadurch, daß er Dinge an ſich ſelbſt (nicht als Erſcheinungen betrachtet) Noümena nent. Aber er ſezt ſich auch ſo fort ſelbſt Graͤnzen, ſie durch kei- ne Categorien zu erkennen, mithin ſie nur unter dem Nah- men eines unbekanten Etwas zu denken. Ich finde indeſſen in den Schriften der Neueren einen ganz andern Gebrauch der Ausdruͤcke eines mundi ſenſibilis und intelligibilis, der von dem Sinne der Al- ten [257/0287] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. ten ganz abweicht, und wobey es freylich keine Schwierig- keit hat, aber auch nichts, als leere Wortkraͤmerey an- getroffen wird. Nach demſelben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erſcheinungen, ſo fern er angeſchaut wird, die Sinnenwelt, ſo fern aber der Zuſammenhang derſelben nach allgemeinen Verſtandesgeſetzen gedacht wird, die Verſtandeswelt zu nennen. Die theoretiſche Aſtronomie, welche die bloſſe Beobachtung des beſtirnten Himmels vor- traͤgt, wuͤrde die erſtere, die contemplative dagegen, (etwa nach dem copernicaniſchen Weltſyſtem, oder gar nach Newtons Gravitationsgeſetzen erklaͤrt) die zweite, nem- lich eine intelligibele Welt vorſtellig machen. Aber eine ſolche Wortverdrehung iſt eine bloſſe ſophiſtiſche Ausflucht, um einer beſchwerlichen Frage auszuweichen, dadurch, daß man ihren Sinn zu ſeiner Gemaͤchlichkeit herabſtimt. In Anſehung der Erſcheinungen laͤßt ſich allerdings Verſtand und Vernunft brauchen, aber es fraͤgt ſich, ob dieſe auch noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenſtand nicht Erſcheinung (Noümenon) iſt, und in dieſem Sinne nimt man ihn, wenn er an ſich als blos intelligibel, d. i. dem Verſtande allein, und gar nicht den Sinnen gegeben, ge- dacht wird. Es iſt alſo die Frage: ob auſſer ienem em- piriſchen Gebrauche des Verſtandes (ſelbſt in der Newto- niſchen Vorſtellung des Weltbaues) noch ein transſcenden- taler moͤglich ſey, der auf das Noumenon als einen Ge- genſtand gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben. Wenn R [258/0288] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Wenn wir denn alſo ſagen: die Sinne ſtellen uns die Gegenſtaͤnde vor, wie ſie erſcheinen, der Ver- ſtand aber, wie ſie ſind, ſo iſt das leztere nicht in trans- ſcendentaler, ſondern blos empiriſcher Bedeutung zu neh- men, nemlich, wie ſie als Gegenſtaͤnde der Erfahrung, im durchgaͤngigen Zuſammenhange der Erſcheinun- gen, muͤſſen vorgeſtellt werden, und nicht nach dem, was ſie, auſſer der Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, und folglich auf Sinne uͤberhaupt, mithin als Gegenſtaͤnde des reinen Verſtandes ſeyn moͤgen. Denn dieſes wird uns immer unbekant bleiben, ſo gar, daß es auch unbekant bleibt, ob eine ſolche transſcendentale (auſſerordentliche) Erkentniß uͤberall moͤglich ſey, zum wenigſten als eine ſolche, die unter unſeren gewoͤhnlichen Categorien ſteht. Ver- ſtand und Sinnlichkeit koͤnnen bey uns nur in Verbin- dung Gegenſtaͤnde beſtimmen. Wenn wir ſie trennen, ſo haben wir Anſchauungen ohne Begriffe, oder Begriffe ohne Anſchauungen, in beiden Faͤllen aber Vorſtellungen, die wir auf keinen beſtimten Gegenſtand beziehen koͤnnen. Wenn iemand noch Bedenken traͤgt, auf alle dieſe Eroͤrterungen, dem blos transſcendentalen Gebrauche der Categorien zu entſagen, ſo mache er einen Verſuch von ihnen in irgend einer ſynthetiſchen Behauptung. Denn eine analytiſche bringt den Verſtand nicht weiter, und da er nur mit dem beſchaͤftigt iſt, was in dem Begriffe ſchon gedacht wird, ſo laͤßt er es unausgemacht, ob dieſer an ſich ſelbſt auf Gegenſtaͤnde Beziehung habe, oder nur die Ein- heit [259/0289] III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc. heit des Denkens uͤberhaupt bedeute, (welche von der Art, wie ein Gegenſtand gegeben werden mag, voͤllig abſtrahirt), es iſt ihm genug zu wiſſen, was in ſeinem Begriffe liegt; worauf der Begriff ſelber gehen moͤge, iſt ihm gleichguͤltig. Er verſuche es demnach mit irgend einem ſynthetiſchen und vermeintlich transſcendentalen Grundſatze, als: alles, was da iſt, exiſtirt als Subſtanz, oder eine derſelben anhaͤngende Beſtimmung: alles Zufaͤllige exiſtirt als Wir- kung eines andern Dinges nemlich ſeiner Urſache, u ſ. w. Nun frage ich: woher will er dieſe ſynthetiſche Saͤtze nehmen, da die Begriffe nicht beziehungsweiſe auf moͤg- liche Erfahrung, ſondern von Dingen an ſich ſelbſt, (Noümena) gelten ſollen? Wo iſt hier das Dritte, wel- ches iederzeit zu einem ſynthetiſchen Satze erfordert wird, um in demſelben Begriffe, die gar keine logiſche (analyti- ſche) Verwandtſchaft haben, mit einander zu verknuͤpfen? Er wird ſeinen Satz niemals beweiſen, ia was noch mehr iſt, ſich nicht einmal wegen der Moͤglichkeit einer ſolchen reinen Behauptung rechtfertigen koͤnnen, ohne auf den empiriſchen Verſtandesgebrauch Ruͤckſicht zu nehmen, und dadurch dem reinen und ſinnenfreyen Urtheile voͤllig zu ent- ſagen. So iſt denn der Begriff reiner blos intelligibeler Gegenſtaͤnde gaͤnzlich leer von allen Grundſaͤtzen ihrer An- wendung, weil man keine Art erſinnen kan, wie ſie gege- ben werden ſollten, und der problematiſche Gedanke, der doch einen Platz vor ſie offen laͤßt, dient nur, wie ein leerer Raum, die empiriſche Grundſaͤtze einzuſchraͤnken, ohne R 2 [260/0290] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. ohne doch irgend ein anderes Obiect der Erkentniß, auſſer der Sphaͤre der lezteren, in ſich zu enthalten und aufzu- weiſen. Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechſelung des empiriſchen Verſtandesgebrauchs mit dem transſcendentalen. Die Ueberlegung (reflexio) hat es nicht mit den Ge- genſtaͤnden ſelbſt zu thun, um gerade zu von ihnen Begriffe zu bekommen, ſondern iſt der Zuſtand des Ge- muͤths, in welchem wir uns zuerſt dazu anſchicken, um die ſubiective Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen koͤnnen. Sie iſt das Bewuſtſeyn des Verhaͤltniſſes gegebener Vorſtellungen zu unſeren verſchiedenen Erkentnißquellen, durch welches al- lein ihr Verhaͤltniß unter einander richtig beſtimt werden kan. Die erſte Frage vor aller weitern Behandlung un- ſerer Vorſtellung iſt die: in welchem Erkentnißvermoͤgen gehoͤren ſie zuſammen? Iſt es der Verſtand, oder ſind es die Sinne, vor denen ſie verknuͤpft, oder verglichen wer- den? Manches Urtheil wird aus Gewohnheit angenom- men, oder durch Neigung geknuͤpft; weil aber keine Ueber- legung vorhergeht, oder wenigſtens critiſch darauf folgt, ſo [261/0291] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſo gilt es vor ein ſolches, das im Verſtande ſeinen Ur- ſprung erhalten hat. Nicht alle Urtheile beduͤrfen einer Unterſuchung, d. i. einer Aufmerkſamkeit auf die Gruͤnde der Wahrheit; denn, wenn ſie unmittelbar gewiß ſind: z. B. zwiſchen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie ſeyn, ſo laͤßt ſich von ihnen kein noch naͤheres Merkmal der Wahrheit, als das ſie ſelbſt ausdruͤcken, anzeigen. Aber alle Urtheile, ia alle Vergleichungen beduͤrfen einer Ueber- legung, d. i. einer Unterſcheidung der Erkentnißkraft, wo- zu die gegebene Begriffe gehoͤren. Die Handlung, da- durch ich die Vergleichung der Vorſtellungen uͤberhaupt mit der Erkentnißkraft zuſammenhalte, darin ſie angeſtellt wird, und wodurch ich unterſcheide, ob ſie als gehoͤrig zum rei- nen Verſtande oder zur ſinnlichen Anſchauung unter einan- der verglichen werden, nenne ich die transſc. Ueberlegung. Das Verhaͤltniß aber, in welchem die Begriffe in einem Gemuͤthszuſtande zu einander gehoͤren koͤnnen, ſind die der Einerleyheit und Verſchiedenheit, der Einſtimmung und des Widerſtreits, des Inneren und des Aeuſſeren, endlich des beſtimbaren und der Beſtimmung (Mate- rie und Form). Die richtige Beſtimmung dieſes Verhaͤlt- niſſes beruhet darauf, in welcher Erkentnißkraft ſie ſub- iectiv zu einander gehoͤren, ob in der Sinnlichkeit oder dem Verſtande. Denn der Unterſchied der letzteren macht einen groſſen Unterſchied in der Art, wie man ſich die er- ſten denken ſolle. Vor R 3 [262/0292] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Vor allen obiectiven Urtheilen vergleichen wir die Begriffe, um auf die Einerleyheit (vieler Vorſtellungen unter einem Begriffe) zum Behuf der allgemeinen Urtheile, oder der Verſchiedenheit derſelben, zu Erzeugung beſon- derer, auf die Einſtimmung, daraus beiahende, und den Widerſtreit, daraus verneinende Urtheile werden koͤnnen, u. ſ. w. Aus dieſem Grunde ſollten wir, wie es ſcheint, die angefuͤhrte Begriffe Vergleichungsbegriffe nen- nen, (conceptus comparationis). Weil aber, wenn es nicht auf die logiſche Form, ſondern auf den Inhalt der Begriffe ankoͤmt, d. i. ob die Dinge ſelbſt einerley oder verſchieden, einſtimmig oder im Widerſtreit ſind, ꝛc die Din- ge aber ein zwiefaches Verhaͤltniß zu unſerer Erkentniß- kraft, nemlich zur Sinnlichkeit und zum Verſtande haben koͤnnen, auf dieſe Stelle aber, darin ſie gehoͤren, die Art ankoͤmt, wie ſie zu einander gehoͤren ſollen: ſo wird die transſcendentale Reflexion, d. i. das Verhaͤltniß gegebener Vorſtellungen zu einer oder der anderen Erkentnißart, ihr Verhaͤltniß unter einander allein beſtimmen koͤnnen, und ob die Dinge einerley oder verſchieden, einſtimmig oder wi- derſtreitend ſeyn ꝛc., wird nicht ſo fort aus den Begriffen ſelbſt durch bloſſe Vergleichung, (comparatio) ſondern allererſt durch die Unterſcheidung der Erkentnißart, wozu ſie gehoͤren, vermittelſt einer transſcendentalen Ueberle- gung (reflexio) ausgemacht werden koͤnnen. Man koͤnte alſo zwar ſagen: daß die logiſche Reflexion eine bloſſe Comparation ſey, denn bey ihr wird von der Erkentniß- kraft [263/0293] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. kraft, wozu die gegebene Vorſtellungen gehoͤren, gaͤnzlich abſtrahirt, und ſie ſind alſo ſo fern ihrem Sitze nach, im Gemuͤthe, als gleichartig zu behandeln, die transſcen- dentale Reflexion aber (welche auf die Gegenſtaͤnde ſelbſt geht) enthaͤlt den Grund der Moͤglichkeit der obiectiven Comparation der Vorſtellungen unter einander, und iſt alſo von der lezteren gar ſehr verſchieden, weil die Erkent- nißkraft, dazu ſie gehoͤren, nicht eben dieſelbe iſt. Dieſe transſcendentale Ueberlegung iſt eine Pflicht, von der ſich niemand losſagen kan, wenn er a priori etwas uͤber Dinge urtheilen will. Wir wollen ſie iezt zur Hand nehmen, und werden daraus vor die Beſtimmung des eigentlichen Geſchaͤfts des Verſtandes nicht wenig Licht ziehen. 1. Einerleyheit und Verſchiedenheit. Wenn uns ein Gegenſtand mehrmalen, iedesmal aber mit eben denſel- ben innern Beſtimmungen, (qualitas et quantitas) dar- geſtellet wird, ſo iſt derſelbe, wenn er als Gegenſtand des reinen Verſtandes gilt, immer eben derſelbe, und nicht viel, ſondern nur ein Ding (numerica identitas); iſt er aber Erſcheinung, ſo koͤmt es auf die Vergleichung der Begriffe gar nicht an, ſondern, ſo ſehr auch in Anſehung derſelben alles einerley ſeyn mag, iſt doch die Verſchie- denheit der Oerter dieſer Erſcheinung zu gleicher Zeit ein genugſamer Grund der numeriſchen Verſchiedenheit des Gegenſtandes (der Sinne) ſelbſt. So kan man bey zwey Tropfen Waſſer von aller innern Verſchiedenheit (der Qua- R 4 [264/0294] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Qualitaͤt und Quantitaͤt) voͤllig abſtrahiren, und es iſt genug, daß ſie in verſchiedenen Oertern zugleich angeſchaut werden, um ſie vor numeriſch verſchieden zu halten. Leib- nitz nahm die Erſcheinungen als Dinge an ſich ſelbſt, mit- hin vor intelligibilia, d. i. Gegenſtaͤnde des reinen Ver- ſtandes, (ob er gleich, wegen der Verworrenheit ihrer Vor- ſtellungen, dieſelben mit dem Nahmen der Phaͤnomene be- legte) und da konte ſein Satz des Nichtzuunterſcheiden- den (principium identitatis indiſcernibilium) aller- dings nicht geſtritten werden; da ſie aber Gegenſtaͤnde der Sinnlichkeit ſind, und der Verſtand in Anſehung ih- rer nicht von reinem, ſondern blos empiriſchem Gebrauche iſt, ſo wird die Vielheit und numeriſche Verſchiedenheit ſchon durch den Raum ſelbſt, als die Bedingung der aͤuſ- ſeren Erſcheinungen angegeben. Denn ein Theil des Raums, ob er zwar einem andern voͤllig aͤhnlich und gleich ſeyn mag, iſt doch auſſer ihm, und eben dadurch ein vom erſteren verſchiedener Theil, der zu ihm hinzukomt, um einen groͤſſeren Raum auszumachen, und dieſes muß da- her von allem, was in den mancherley Stellen des Raums zugleich iſt, gelten, ſo ſehr es ſich ſonſten auch aͤhnlich und gleich ſeyn mag. 2. Einſtimmung und Widerſtreit. Wenn Reali- taͤt nur durch den reinen Verſtand vorgeſtellt wird, (reali- tas noümenon), ſo laͤßt ſich zwiſchen den Realitaͤten kein Widerſtreit denken, d. i. ein ſolches Verhaͤltniß, da ſie in einem [265/0295] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. einem Subiect verbunden einander ihre Folgen aufheben, und 3 — 3 = 0 ſey. Dagegen kan das Reale in der Erſcheinung (realitas phænomenon) unter einander allerdings im Widerſtreit ſeyn, und vereint in demſelben Subiect, eines die Folge des andern ganz oder zum Theil vernichten, wie zwey bewegende Kraͤfte in derſelben gera- den Linie, ſo fern ſie einen Punct in entgegengeſezter Rich- tung, entweder ziehen, oder druͤcken, oder auch ein Ver- gnuͤgen, was dem Schmerze die Wage haͤlt. 3. Das Innere und Aeuſſere. An einem Gegen- ſtande des reinen Verſtandes iſt nur dasienige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Daſeyn nach) auf ir- gend etwas von ihm verſchiedenes hat. Dagegen ſind die innere Beſtimmungen einer ſubſtantia phænomenon im Raume nichts als Verhaͤltniſſe, und ſie ſelbſt ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen. Die Subſtanz im Raume kennen wir nur durch Kraͤfte, die in demſelben wirkſam ſind, entweder andere dahin zu treiben (Anzie- hung), oder vom Eindringen in ihn abzuhalten (Zuruͤckſtoſ- ſung und Undurchdringlichkeit); andere Eigenſchaften kennen wir nicht, die den Begriff von der Subſtanz, die im Raum erſcheint, und die wir Materie nennen, aus- machen. Als Obiect des reinen Verſtandes muß iede Subſtanz dagegen innere Beſtimmungen und Kraͤfte ha- ben, die auf die innere Realitaͤt gehen. Allein was kan ich mir vor innere Accidenzen denken, als dieienigen, ſo mein R 5 [266/0296] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. mein innerer Sinn mir darbietet, nemlich das entweder, was ſelbſt ein Denken, oder mit dieſem analogiſch iſt. Daher machte Leibnitz aus allen Subſtanzen, weil er ſie ſich als Noümena vorſtellete, ſelbſt aus den Beſtandthei- len der Materie, nachdem er ihnen alles, was aͤuſſere Re- lation bedeuten mag, mithin auch die Zuſammenſetzung, in Gedanken, genommen hatte, einfache Subiecte mit Vorſtellungskraͤften begabt, mit einem Worte, Monaden. 4. Materie und Form. Dieſes ſind zwey Begriffe, welche aller andern Reflexion zum Grunde gelegt werden, ſo ſehr ſind ſie mit iedem Gebrauch des Verſtandes un- zertrenlich verbunden. Der erſtere bedeutet das beſtim- bare uͤberhaupt, der zweite deſſen Beſtimmung, (beides in transſcendentalem Verſtande, da man von allem Unter- ſchiede deſſen, was gegeben wird, und der Art, wie es beſtimt wird, abſtrahirt). Die Logiker nanten ehedem das Allgemeine die Materie, den ſpecifiſchen Unterſchied aber die Form. In iedem Urtheile kan man die gegebene Begriffe logiſche Materie (zum Urtheile), das Verhaͤltniß derſelben (vermittelſt der Copula) die Form des Urtheils nennen. In iedem Weſen ſind die Beſtandſtuͤcke deſſelben (eſſentialia) die Materie, die Art, wie ſie in einem Din- ge verknuͤpft ſind, die weſentliche Form. Auch wurde in Anſehung der Dinge uͤberhaupt unbegraͤnzte Realitaͤt, als die Materie aller Moͤglichkeit, Einſchraͤnkung derſelben aber (Negation) als dieienige Form angeſehen, wodurch ſich [267/0297] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſich ein Ding vom andern nach transſc. Begriffen unter- ſcheidet. Der Verſtand nemlich verlangt zuerſt, daß et- was gegeben ſey, (wenigſtens im Begriffe) um es auf ge- wiſſe Art beſtimmen zu koͤnnen. Daher geht im Begriffe des reinen Verſtandes die Materie der Form vor, und Leibnitz nahm um deswillen zuerſt Dinge an (Monaden) und innerlich eine Vorſtellungskraft derſelben, um darnach das aͤuſſere Verhaͤltniß derſelben und die Gemeinſchaft ih- rer Zuſtaͤnde, (nemlich der Vorſtellungen) darauf zu gruͤn- den. Daher waren Raum und Zeit, iener nur durch das Verhaͤltniß der Subſtanzen, dieſe durch die Verknuͤpfung der Beſtimmungen derſelben unter einander, als Gruͤnde und Folgen, moͤglich. So wuͤrde es auch in der That ſeyn muͤſſen, wenn der reine Verſtand unmittelbar auf Gegenſtaͤnde bezogen werden koͤnte und wenn Raum und Zeit Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt waͤren. Sind es aber nur ſinnliche Anſchauungen, in denen wir alle Gegenſtaͤnde lediglich als Erſcheinungen beſtimmen, ſo geht die Form der Anſchauung (als eine ſubiective Be- ſchaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller Materie, (den Em- pfindungen), mithin Raum und Zeit vor allen Erſchei- nungen und allen datis der Erfahrung vorher, und macht dieſe vielmehr allererſt moͤglich. Der Intellectualphiloſoph konte es nicht leiden: daß die Form vor den Dingen ſelbſt vorhergehen, und dieſer ihre Moͤglichkeit beſtimmen ſollte; eine ganz richtige Cenſur, wenn er annahm, daß wir die Dinge anſchauen, wie ſie ſind, (obgleich mit verworrener Vor- [268/0298] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Vorſtellung). Da aber die ſinnliche Anſchauung eine ganz beſondere ſubiective Bedingung iſt, welche aller Wahrneh- mung a priori zum Grunde liegt, und deren Form ur- ſpruͤnglich iſt; ſo iſt die Form vor ſich allein gegeben, und weit gefehlt, daß die Materie (oder die Dinge ſelbſt, wel- che erſchienen) zum Grunde liegen ſollten (wie man nach bloſſen Begriffen urtheilen muͤßte) ſo ſezt die Moͤglichkeit derſelben vielmehr eine formale Anſchauung (Zeit und Raum) als gegeben voraus. Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe. Man erlaube mir, die Stelle, welche wir einem Begriffe entweder in der Sinnlichkeit, oder im reinen Ver- ſtande ertheilen, den transſcendentalen Ort zu nennen. Auf ſolche Weiſe waͤre die Beurtheilung dieſer Stelle, die iedem Begriffe nach Verſchiedenheit ſeines Gebrauchs zu- koͤmt, und die Anweiſung nach Regeln, dieſen Ort allen Begriffen zu beſtimmen, die transſcendentale Topik; eine Lehre, die vor Erſchleichungen des reinen Verſtandes und daraus entſpringenden Blendwerken gruͤndlich bewahren wuͤrde, indem ſie iederzeit unterſchiede, welcher Erkent- nißkraft die Begriffe eigentlich angehoͤren. Man kan einen ieden Begriff, einen ieden Titel, darunter viele Er- kentniſſe gehoͤren, einen logiſchen Ort nennen. Hierauf gruͤndet ſich die logiſche Topik des Ariſtoteles, deren ſich Schullehrer und Redner bedienen konten, um unter ge- wiſ- [269/0299] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. wiſſen Titeln des Denkens nachzuſehen, was ſich am beſten vor ſeine vorliegende Materie ſchikte, und daruͤber, mit einem Schein von Gruͤndlichkeit, zu vernuͤnfteln, oder wortreich zu ſchwatzen. Die transſcendentale Topik enthaͤlt dagegen nicht mehr, als die angefuͤhrte vier Titel aller Vergleichung und Unterſcheidung, die ſich dadurch von Categorien unterſchei- den, daß durch iene nicht der Gegenſtand, nach demieni- gen, was ſeinen Begriff ausmacht, (Groͤſſe, Realitaͤt) ſondern nur die Vergleichung der Vorſtellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargeſtellt wird. Dieſe Vergleichung aber bedarf zuvoͤrderſt einer Ueberlegung, d. i. einer Be- ſtimmung desienigen Orts, wo die Vorſtellungen der Din- ge, die verglichen werden, hingehoͤren, ob ſie der reine Verſtand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erſcheinung giebt. Die Begriffe koͤnnen logiſch verglichen werden, ohne ſich darum zu bekuͤmmern, wohin ihre Obiecte gehoͤren, ob als Noumena vor den Verſtand, oder als Phaͤnomena vor die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit dieſen Begrif- fen zu den Gegenſtaͤnden gehen wollen, ſo iſt zuvoͤrderſt transſcendentale Ueberlegung noͤthig, vor welche Erkent- nißkraft ſie Gegenſtaͤnde ſeyn ſollen, ob vor den reinen Verſtand, oder die Sinnlichkeit. Ohne dieſe Ueberlegung mache ich einen ſehr unſicheren Gebrauch von dieſen Be- griffen, und es entſpringen vermeinte ſynthetiſche Grund- ſaͤtze [270/0300] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. ſaͤtze, welche die critiſche Vernunft nicht anerkennen kan, und die ſich lediglich auf einer transſcendentalen Amphibo- lie, d. i. einer Verwechſelung des reinen Verſtandesobiects mit der Erſcheinung gruͤnden. In Ermangelung einer ſolchen transſcendentalen Topik, und mithin durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der beruͤhmte Leibnitz ein intellec- tuelles Syſtem der Welt, oder glaubte vielmehr der Dinge innere Beſchaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenſtaͤnde nur mit dem Verſtande und den abgeſonder- ten formalen Begriffen ſeines Denkens verglich. Unſere Tafel der Reflexionsbegriffe ſchaft uns den unerwarteten Vortheil, das Unterſcheidende ſeines Lehrbegriffs in allen ſeinen Theilen, und zugleich den leitenden Grund dieſer eigenthuͤmlichen Denkungsart vor Augen zulegen, der auf nichts, als einem Mißverſtande beruhete. Er ver- glich alle Dinge blos durch Begriffe mit einander, und fand, wie natuͤrlich, keine andere Verſchiedenheiten, als die, durch welche der Verſtand ſeine reine Begriffe von einander unterſcheidet. Die Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung, die ihre eigene Unterſchiede bey ſich fuͤhren, ſahe er nicht vor urſpruͤnglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur eine verworrene Vorſtellungsart, und kein beſonderer Quell der Vorſtellungen: Erſcheinung war ihm die Vorſtellung des Dinges an ſich ſelbſt, obgleich von der Erkentniß durch den Verſtand, der logiſchen Form nach, [271/0301] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. nach, unterſchieden, da nemlich iene, bey ihrem gewoͤhn- lichen Mangel der Zergliederung, eine gewiſſe Vermiſchung von Nebenvorſtellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verſtand davon abzuſondern weiß. Mit einem Worte: Leibnitz intellectuirte die Erſcheinungen, ſo wie Locke die Verſtandesbegriffe, nach ſeinem Syſtem der Noogonie, (wenn es mir erlaubt iſt, mich dieſer Aus- druͤcke zu bedienen) insgeſamt ſenſificirt, d. i. vor nichts, als empiriſche, aber abgeſonderte Reflexionsbegriffe ausge- geben hatte. Anſtatt im Verſtande und der Sinnlichkeit zwey ganz verſchiedene Quellen von Vorſtellungen zu ſuchen, die aber nur in Verknuͤpfung obiectivguͤltig von Dingen ur- theilen koͤnten, hielte ſich ein ieder dieſer groſſen Maͤnner nur an eine von beiden, die ſich ihrer Meinung nach un- mittelbar auf Dinge an ſich ſelbſt bezoͤge, indeſſen, daß die andere nichts that, als die Vorſtellungen der erſteren zu verwirren oder zu ordnen. Leibnitz verglich demnach die Gegenſtaͤnde der Sinne als Dinge uͤberhaupt blos im Verſtande unter einander, Erſtlich, ſo fern ſie von dieſem als einerley oder verſchie- den geurtheilt werden ſollen. Da er alſo lediglich ihre Begriffe, und nicht ihre Stelle in der Anſchauung, darin die Gegenſtaͤnde allein gegeben werden koͤnnen, vor Augen hatte, und den transſcendentalen Ort dieſer Begriffe, (ob das Obiect unter Erſcheinungen, oder unter Dinge an ſich ſelbſt zu zehlen ſey,) gaͤnzlich aus der Acht ließ, ſo konte es [272/0302] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. es nicht anders ausfallen, als daß er ſeinen Grundſatz des Nichtzuunterſcheidenden, der blos von Begriffen der Dinge uͤberhaupt gilt, auch auf die Gegenſtaͤnde der Sinne (mundus phænomenon) ausdehnete, und der Naturer- kentniß dadurch keine geringe Erweiterung verſchaft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Waſ- ſer als ein Ding an ſich ſelbſt nach allen ſeinen innern Be- ſtimmungen kenne, ſo kan ich keinen derſelben von dem andern vor verſchieden gelten laſſen, wenn der ganze Begriff deſſelben mit ihm einerley iſt. Iſt er aber Erſcheinung im Raume, ſo hat er ſeinen Ort, nicht blos im Verſtande (unter Begriffen,) ſondern in der ſinnlichen aͤuſſeren An- ſchauung (im Raume) und da ſind die phyſiſche Oerter, in Anſehung der inneren Beſtimmungen der Dinge, ganz gleichguͤltig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches ei- nem andern in dem Orte = a, voͤllig aͤhnlich und gleich iſt, eben ſo wol aufnehmen, als wenn es von dieſem noch ſo ſehr innerlich verſchieden waͤre. Die Verſchiedenheit der Oerter macht die Vielheit und Unterſcheidung der Ge- genſtaͤnde, als Erſcheinungen, ohne weitere Bedingun- gen, ſchon vor ſich nicht allein moͤglich, ſondern auch noth- wendig. Alſo iſt ienes ſcheinbare Geſetz kein Geſetz der Natur. Es iſt lediglich eine analytiſche Regel oder Ver- gleichung der Dinge durch bloſſe Begriffe. Zweitens: der Grundſatz: daß Realitaͤten, (als bloſſe Beiahungen) einander niemals logiſch widerſtreiten, iſt [273/0303] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. iſt ein ganz wahrer Satz, von dem Verhaͤltniſſe der Be- griffe, bedeutet aber, weder in Anſehung der Natur, noch uͤberall in Anſehung irgend eines Dinges an ſich ſelbſt (von dieſem haben wir gar keinen Begriff) das mindeſte. Denn der reale Widerſtreit findet allerwerts ſtatt, wo A — B = 0 iſt, d. i. wo eine Realitaͤt mit der andern, in einem Sub- iect verbunden, eine die Wirkung der andern aufhebt, welches alle Hinderniſſe und Gegenwirkungen in der Na- tur unaufhoͤrlich vor Augen legen, die gleichwol, da ſie auf Kraͤften beruhen, realitates phænomena genant wer- den muͤſſen. Die allgemeine Mechanik kan ſo gar die em- piriſche Bedingung dieſes Widerſtreits in einer Regel a priori angeben, indem ſie auf die Entgegenſetzung der Richtungen ſieht: eine Bedingung, von welcher der transſcend. Begriff der Realitaͤt gar nichts weiß. Obzwar Herr von Leibnitz dieſen Satz nicht eben mit dem Pomp eines neuen Grundſatzes ankuͤndigte, ſo bediente er ſich doch deſſelben zu neuen Behauptungen, und ſeine Nach- folger trugen ihn ausdruͤcklich in ihre Leibnitzwolfianiſche Lehrgebaͤude ein. Nach dieſem Grundſatze ſind z. E. alle Uebel nichts als Folgen von den Schranken der Geſchoͤpfe, d. i. Negationen, weil dieſe das einzige Widerſtreitende der Realitaͤt ſeyn, (in dem bloſſen Begriffe eines Dinges uͤber- haupt, iſt es auch wirklich ſo, aber nicht in den Dingen als Erſcheinungen). Imgleichen finden die Anhaͤnger deſ- ſelben es nicht allein moͤglich, ſondern auch natuͤrlich, alle Realitaͤt, ohne irgend einen beſorglichen Widerſtreit, in einem S [274/0304] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang einem Weſen zu vereinigen, weil ſie keinen andern, als den des Widerſpruchs (durch den der Begriff eines Dinges ſelbſt aufgehoben wird), nicht aber den des wechſelſeitigen Ab- bruchs kennen, da ein Realgrund die Wirkung des andern aufhebt, und dazu wir nur in der Sinnlichkeit die Be- dingungen antreffen, uns einen ſolchen vorzuſtellen. Drittens: die Leibnitziſche Monadologie hat gar kei- nen andern Grund, als daß dieſer Philoſoph den Unter- ſchied des Inneren und Aeuſſeren blos im Verhaͤltniß auf den Verſtand vorſtellete. Die Subſtanzen uͤberhaupt muͤſ- ſen etwas Inneres haben, was alſo von allen aͤuſſeren Verhaͤltniſſen, folglich auch der Zuſammenſetzung frey iſt. Das Einfache iſt alſo die Grundlage des Inneren der Dinge an ſich ſelbſt. Das Innere aber ihres Zuſtandes kan auch nicht in Ort, Geſtalt, Beruͤhrung oder Bewe- gung, (welche Beſtimmungen alle aͤuſſere Verhaͤltniſſe ſind,) beſtehen, und wir koͤnnen daher den Subſtanzen keinen andern innern Zuſtand, als denienigen, wodurch wir unſern Sinn ſelbſt innerlich beſtimmen, nemlich, den Zuſtand der Vorſtellungen, beylegen. So wurden denn die Monaden fertig, welche den Grundſtoff des ganzen Univerſum ausmachen ſollen, deren thaͤtige Kraft aber nur in Vorſtellungen beſteht, wodurch ſie eigentlich blos in ſich ſelbſt wirkſam ſind. Eben darum mußte aber auch ſein Principium der moͤgli- chen Gemeinſchaft der Subſtanzen unter einander eine vor- her- [275/0305] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. herbeſtimte Harmonie, und konte kein phyſiſcher Einfluß ſeyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit ſeinen Vorſtel- lungen beſchaͤftigt iſt, ſo konte der Zuſtand der Vorſtellungen der einen mit dem der andern Subſtanz in ganz und gar keiner wirkſamen Verbindung ſtehen, ſondern es mußte irgend eine dritte, und in alle insgeſamt einflieſſende Urſache, ihre Zuſtaͤnde einander correſpondirend machen, zwar nicht eben durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle beſon- ders angebrachten Beyſtand, (Syſtema aſſiſtentiæ) ſon- dern durch die Einheit der Idee einer vor alle guͤltigen Ur- ſache, in welcher ſie insgeſamt ihr Daſeyn und Beharr- lichkeit, mithin auch wechſelſeitige Correſpondenz unter ein- ander nach allgemeinen Geſetzen bekommen muͤſſen. Viertens: der beruͤhmte Lehrbegriff deſſelben von Zeit und Raum, darin er dieſe Formen der Sinnlichkeit intellectuirte, war lediglich aus eben derſelben Taͤuſchung der transſcendentalen Reflexion entſprungen. Wenn ich mir durch den bloſſen Verſtand aͤuſſere Verhaͤltniſſe der Dinge vorſtellen will, ſo kan dieſes nur vermittelſt eines Begriffs ihrer wechſelſeitigen Wirkung geſchehen, und ſoll ich einen Zuſtand eben deſſelben Dinges mit einem andern Zuſtande verknuͤpfen, ſo kan dieſes nur in der Ordnung der Gruͤnde und Folgen geſchehen. So dachte ſich alſo Leibnitz den Raum als eine gewiſſe Ordnung in der Ge- meinſchaft der Subſtanzen, und die Zeit als die dynamiſche Folge ihrer Zuſtaͤnde. Das Eigenthuͤmliche aber, und von Din- S 2 [276/0306] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch Anhang. Dingen Unabhaͤngige, was beide an ſich zu haben ſcheinen, ſchrieb er der Verworrenheit dieſer Begriffe zu, welche machte, daß dasienige, was eine bloſſe Form dynami- ſcher Verhaͤltniſſe iſt, vor eine eigene vor ſich beſte- hende, und vor den Dingen ſelbſt vorhergehende Anſchau- ung gehalten wird. Alſo waren Raum und Zeit die in- telligibele Form der Verknuͤpfung der Dinge (Subſtanzen und ihrer Zuſtaͤnde) an ſich ſelbſt. Die Dinge aber wa- ren intelligibele Subſtanzen (ſubſtantiæ Noümena.) Gleichwol wollte er dieſe Begriffe vor Erſcheinungen geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An- ſchauung zugeſtand, ſondern alle, ſelbſt die empiriſche Vorſtellung der Gegenſtaͤnde, im Verſtande ſuchte, und den Sinnen nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤfte ließ, die Vorſtellungen des erſteren zu verwirren und zu verun- ſtalten. Wenn wir aber auch von Dingen an ſich ſelbſt etwas durch den reinen Verſtand ſynthetiſch ſagen koͤnten, (welches gleichwol unmoͤglich iſt) ſo wuͤrde dieſes doch gar nicht auf Erſcheinungen, welche nicht Dinge an ſich ſelbſt vorſtellen, gezogen werden koͤnnen. Ich werde alſo in dieſem lezteren Falle in der transſcendentalen Ueberlegung meine Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich- keit vergleichen muͤſſen, und ſo werden Raum und Zeit nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich, ſondern der Er- ſcheinungen ſeyn: was die Dinge an ſich ſeyn moͤgen, weiß ich [277/0307] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ich nicht, und brauche es auch nicht zu wiſſen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erſcheinung vor- kommen kan. So verfahre ich auch mit den uͤbrigen Reflexionsbe- griffen. Die Materie iſt ſubſtantia phænomenon. Was ihr innerlich zukomme, ſuche ich in allen Theilen des Rau- mes, den ſie einnimt, und in allen Wirkungen, die ſie ausuͤbt, und die freilich nur immer Erſcheinungen aͤuſſerer Sinne ſeyn koͤnnen. Ich habe alſo zwar nichts Schlecht- hin - ſondern lauter Comparativinnerliches, das ſelber wiederum aus aͤuſſeren Verhaͤltniſſen beſteht. Allein, das ſchlechthin, dem reinen Verſtande nach, Innerliche der Materie iſt auch eine bloſſe Grille; denn dieſe iſt uͤberall kein Gegenſtand vor den reinen Verſtand, das transſcen- dentale Obiect aber, welches der Grund dieſer Erſcheinung ſeyn mag, die wir Materie nennen, iſt ein bloſſes Etwas, wovon wir nicht einmal verſtehen wuͤrden, was es ſey, wenn es uns auch iemand ſagen koͤnte. Denn wir koͤn- nen nichts verſtehen, als was ein unſern Worten Corre- ſpondirendes in der Anſchauung mit ſich fuͤhret. Wenn die Klagen: Wir ſehen das Innere der Dinge gar nicht ein, ſo viel bedeuten ſollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verſtand, was die Dinge, die uns er- ſcheinen, an ſich ſeyn moͤgen, ſo ſind ſie ganz unbillig und unvernuͤnftig; denn ſie wollen, daß man ohne Sinnen doch Dinge erkennen, mithin anſchauen koͤnne, folglich, daß wir ein von dem menſchlichen nicht blos dem Grade, ſon- S 3 [278/0308] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. ſondern ſo gar der Anſchauung und Art nach, gaͤnzlich unterſchiedenes Erkentnißvermoͤgen haben, alſo nicht Men- ſchen, ſondern Weſen ſeyn ſollen, von denen wir ſelbſt nicht angeben koͤnnen, ob ſie einmal moͤglich, vielweniger wie ſie beſchaffen ſeyn. Ins Innre der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erſcheinungen, und man kan nicht wiſſen, wie weit dieſes mit der Zeit gehen werde. Jene transſcendentale Fragen aber, die uͤber die Natur hinausgehen, wuͤrden wir bey allem dem doch nie- mals beantworten koͤnnen, wenn uns auch die ganze Na- tur aufgedekt waͤre, und es uns nicht einmal gegeben iſt, unſer eigenes Gemuͤth mit einer andern Anſchauung, als die unſeres inneren Sinnes zu beobachten. Denn in dem- ſelben liegt das Geheimniß des Urſprungs unſerer Sinn- lichkeit. Ihre Beziehung auf ein Obiect und was der transſcendentale Grund dieſer Einheit ſey, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir ſo gar uns ſelbſt nur durch innern Sinn, mithin als Erſcheinung kennen, ein ſo unſchickliches Werkzeug unſerer Nachfor- ſchung dazu brauchen koͤnten, etwas anderes, als immer wiederum Erſcheinungen, aufzufinden, deren nichtſinnliche Urſache wir doch gern erforſchen wollten. Was dieſe Critik der Schluͤſſe, aus den bloſſen Hand- lungen der Reflexion, uͤberaus nuͤtzlich macht, iſt: daß ſie die Nichtigkeit aller Schluͤſſe uͤber Gegenſtaͤnde, die man lediglich im Verſtande mit einander vergleicht, deut- lich darthut, und dasienige zugleich beſtaͤtigt, was wir haupt- [279/0309] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. hauptſaͤchlich eingeſchaͤrft haben: daß, obgleich Erſcheinun- gen nicht als Dinge an ſich ſelbſt unter den Obiecten des reinen Verſtandes mit begriffen ſeyn, ſie doch die einzige ſind, an denen unſere Erkentniß obiective Realitaͤt haben kan, nemlich, wo den Begriffen Anſchauung entſpricht. Wenn wir blos logiſch reflectiren, ſo vergleichen wir lediglich unſere Begriffe unter einander im Verſtande, ob beide eben daſſelbe enthalten, ob ſie ſich widerſprechen oder nicht, ob etwas in dem Begriffe innerlich enthalten ſey, oder zu ihm hinzukomme, und welcher von beiden gegeben, welcher aber nur als eine Art, den gegebenen zu denken, gelten ſoll. Wende ich aber dieſe Begriffe auf einen Ge- genſtand uͤberhaupt (im transſc. Verſtande) an, ohne dieſen weiter zu beſtimmen, ob er ein Gegenſtand der ſinnlichen oder intellectuellen Anſchauung ſey, ſo zeigen ſich ſo fort Einſchraͤnkungen (nicht aus dieſem Begriffe hinauszuge- hen), welche allen empiriſchen Gebrauch derſelben verkeh- ren, und eben dadurch beweiſen: daß die Vorſtellung eines Gegenſtandes, als Dinges uͤberhaupt, nicht etwa blos un- zureichend, ſondern ohne ſinnliche Beſtimmung derſelben, und, unabhaͤngig von empiriſcher Bedingung, in ſich ſelbſt widerſtreitend ſey, daß man alſo entweder von allem Gegenſtande abſtrahiren (in der Logik) oder, wenn man einen annimt, ihn unter Bedingungen der ſinnlichen An- ſchauung denken muͤſſe, mithin das intelligibele eine ganz ſondere Anſchauung, die wir nicht haben, erfordern wuͤr- de, und in Ermangelung derſelben vor uns nichts ſey, da- gegen S 4 [280/0310] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. gegen aber auch die Erſcheinungen nicht Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſeyn koͤnnen. Denn, wenn ich mir blos Dinge uͤberhaupt denke, ſo kan freilich die Verſchiedenheit der aͤuſſeren Verhaͤltniſſe nicht eine Verſchiedenheit der Sachen ſelbſt ausmachen, ſondern ſezt dieſe vielmehr voraus, und, wenn der Begriff von dem einen, innerlich von dem des andern gar nicht unterſchieden iſt, ſo ſetze ich nur ein und daſſelbe Ding in verſchiedene Verhaͤltniſſe. Ferner, durch Hinzukunft einer bloſſen Beiahung (Rea- litaͤt) zur andern, wird ia das Poſitive vermehrt, und ihm nichts entzogen, oder aufgehoben, daher kan das Reale in Dingen uͤberhaupt einander nicht widerſtreiten, u. ſ. w. Die Begriffe der Reflexion haben, wie wir gezeigt haben, durch eine gewiſſe Mißdeutung einen ſolchen Ein- fluß auf den Verſtandesgebrauch, daß ſie ſogar einen der ſcharfſichtigſten unter allen Philoſophen zu einem vermein- ten Syſtem intellectueller Erkentniß, welches ſeine Gegen- ſtaͤnde ohne Dazukunft der Sinne zu beſtimmen unter- nimt, zu verleiten im Stande geweſen. Eben um des- willen iſt die Entwickelung der taͤuſchenden Urſache der Am- phibolie dieſer Begriffe, in Veranlaſſung falſcher Grund- ſaͤtze von groſſem Nutzen, die Graͤnzen des Verſtandes zuverlaͤßig zu beſtimmen und zu ſichern. Man muß zwar ſagen: was einem Begriff allge- mein zukomt, oder widerſpricht, das komt auch zu, oder wider- [281/0311] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. widerſpricht allem beſondern was unter ienem Begriff enthalten iſt; (dictum de Omni et Nullo) es waͤre aber ungereimt, dieſen logiſchen Grundſatz dahin zu veraͤndern, daß er ſo lautete: was in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten iſt, daß iſt auch in den beſonderen nicht enthal- ten, die unter demſelben ſtehen; denn dieſe ſind eben darum beſondere Begriffe, weil ſie mehr in ſich enthalten, als im allgemeinen gedacht wird. Nun iſt doch wirklich auf dieſen lezteren Grundſatz, das ganze intellectuelle Syſtem Leibni- tzens erbauet: es faͤllt alſo zugleich mit demſelben, ſamt al- ler aus ihm entſpringenden Zweideutigkeit im Verſtandes- gebrauche. Der Satz des Nichtzuunterſcheidenden gruͤndete ſich eigentlich auf der Vorausſetzung: daß, wenn in dem Be- griffe von einem Dinge uͤberhaupt eine gewiſſe Unterſchei- dung nicht angetroffen wird, ſo ſey ſie auch nicht in den Dingen ſelbſt anzutreffen, folglich ſeyn alle Dinge voͤllig einerley (numero eadem) die ſich nicht ſchon in ihrem Begriffe (der Qualitaͤt oder Quantitaͤt nach) von einan- der unterſcheiden. Weil aber bey dem bloſſen Begriffe von irgend einem Dinge von manchen nothwendigen Be- dingungen einer Anſchauung abſtrahirt worden, ſo wird, durch eine ſonderbare Uebereilung, das, wovon abſtrahirt wird, davor genommen, daß es uͤberall nicht anzutreffen ſey, und dem Dinge nichts eingeraͤumt, als was in ſei- nem Begriffe enthalten iſt. Der S 5 [282/0312] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Der Begriff von einem Cubicfuſſe Raum, ich mag mir dieſen denken, wo und wie oft ich wolle, iſt an ſich voͤllig einerley. Allein zwey Cubicfuͤſſe ſind im Raume dennoch blos durch ihre Oerter unterſchieden, (numero diuerſa) dieſe ſind Bedingungen der Anſchauung, worin das Ob- iect dieſes Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit gehoͤren. Gleicherge- ſtalt iſt in dem Begriffe von einem Dinge kar kein Wider- ſtreit, wenn nichts verneinendes mit einem beiahenden verbunden worden, und blos beiahende Begriffe koͤnnen, in Verbindung, gar keine Aufhebung bewirken. Allein in der ſinnlichen Anſchauung, darin Realitaͤt (z. B. Be- wegung) gegeben wird, finden ſich Bedingungen (entge- gengeſezte Richtungen), von denen im Begriffe der Bewe- gung uͤberhaupt abſtrahirt war, die einen Widerſtreit, der freilich nicht logiſch iſt, nemlich aus lauter Poſitivem ein Zero = o moͤglich machen, und man konte nicht ſagen: daß darum alle Realitaͤt unter einander Einſtimmung ſey, weil unter ihren Begriffen kein Widerſtreit angetroffen wird *). Nach bloſſen Begriffen iſt das Innere das Sub- ſtra- *) Wollte man ſich hier der gewoͤhnlichen Ausflucht bedie- nen: daß wenigſtens realitates Noümena einander nicht entgegen wirken koͤnnen, ſo muͤßte man doch ein Bey- ſpiel von dergleichen reiner und ſinnenfreier Realitaͤt an- fuͤhren, damit man verſtaͤnde, ob eine ſolche uͤberhaupt etwas oder gar nichts vorſtelle. Aber es kan kein Bey- ſpiel woher anders, als aus der Erfahrung genommen wer- [283/0313] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſtratum aller Verhaͤltniß oder aͤuſſeren Beſtimmungen. Wenn ich alſo von allen Bedingungen der Anſchauung ab- ſtrahire, und mich lediglich an den Begriff von einem Dinge uͤberhaupt halte, ſo kan ich von allem aͤuſſeren Verhaͤltniß abſtrahiren, und es muß dennoch ein Begriff von dem uͤbrig bleiben, das gar kein Verhaͤltniß, ſondern blos innere Beſtimmungen bedeutet. Da ſcheint es nun, es folge daraus: in iedem Dinge (Subſtanz) ſey etwas, was ſchlechthin innerlich iſt, und allen aͤuſſeren Beſtim- mungen vorgeht, indem es ſie allererſt moͤglich macht, mit- hin ſey dieſes Subſtratum ſo etwas, das keine aͤuſſere Verhaͤltniſſe mehr in ſich enthaͤlt, folglich einfach: (denn die koͤrperliche Dinge ſind doch immer nur Verhaͤltniſſe, wenigſtens der Theile auſſer einander) und weil wir keine ſchlechthin innere Beſtimmungen kennen, als die durch un- ſern innern Sinn, ſo ſey dieſes Subſtratum nicht allein Einfach, ſondern auch (nach der Analogie mit unſerem innern Sinn) durch Vorſtellungen beſtimt, d. i. alle Din- ge waͤren eigentlich Monaden, oder mit Vorſtellungen begabte einfache Weſen. Dieſes wuͤrde auch alles ſeine Richtigkeit haben, gehoͤrete nicht etwas mehr, als der Be- griff von einem Dinge uͤberhaupt, zu den Bedingungen, unter *) *) werden, die niemals mehr, als Phaenomena darbietet, und ſo bedeutet dieſer Satz nichts weiter, als daß der Begriff, der lauter Beiahungen enthaͤlt, nichts vernei- nendes enthalte, ein Satz, an dem wir niemals gezwei- felt haben. [284/0314] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. unter denen allein uns Gegenſtaͤnde der aͤuſſeren Anſchau- ung gegeben werden koͤnnen, und von denen der reine Be- griff abſtrahirt. Denn da zeigt ſich: daß eine beharrliche Erſcheinung im Raume (undurchdringliche Ausdehnung) lauter Verhaͤltniſſe, und gar nichts ſchlechthin Innerliches enthalten, und dennoch das erſte Subſtratum aller aͤuſſeren Wahrnehmung ſeyn koͤnne. Durch bloſſe Begriffe kan ich freilich ohne etwas Innerem nichts Aeuſſeres denken, eben darum, weil Verhaͤltnißbegriffe doch ſchlechthin gegebene Dinge vorausſetzen, und ohne dieſe nicht moͤglich ſeyn. Aber, da in der Anſchauung etwas enthalten iſt, was im bloſſen Begriffe von einem Dinge uͤberhaupt gar nicht liegt, und die- ſes das Subſtratum, welches durch bloſſe Begriffe gar nicht erkant werden wuͤrde, an die Hand giebt, nemlich, ein Raum, der, mit allem, was er enthaͤlt, aus lauter formalen, oder auch realen Verhaͤltniſſen beſteht, ſo kan ich nicht ſagen: weil, ohne ein Schlechthininneres, kein Ding durch bloſſe Begriffe vorgeſtellet werden kan, ſo ſey auch in den Dingen ſelbſt, die unter dieſen Begriffen enthalten ſeyn, und ihrer Anſchauung nichts Aeuſſeres, dem nicht etwas Schlechthin innerliches zum Grunde laͤge. Denn, wenn wir von allen Bedingungen der Anſchauung abſtrahirt haben, ſo bleibt uns freilich im bloſſen Begriffe nichts uͤbrig, als das Innre uͤberhaupt, und das Verhaͤlt- niß deſſelben unter einander, wodurch allein das Aeuſſere moͤglich iſt. Dieſe Nothwendigkeit aber, die ſich allein auf Abſtraction gruͤndet, findet nicht bey den Dingen ſtatt, ſo fern [285/0315] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſo fern ſie in der Anſchauung mit ſolchen Beſtimmungen gegeben werden, die bloſſe Verhaͤltniſſe ausdruͤcken, ohne etwas Inneres zum Grunde zu haben, darum, weil ſie nicht Dinge an ſich ſelbſt, ſondern lediglich Erſcheinungen ſind. Was wir auch nur an der Materie kennen, ſind lauter Verhaͤltniſſe, (das, was wir innre Beſtimmungen derſelben nennen, iſt nur comparativ innerlich), aber es ſind darunter ſelbſtſtaͤndige und beharrliche, dadurch uns ein beſtimter Gegenſtand gegeben wird. Daß ich, wenn ich von dieſen Verhaͤltniſſen abſtrahire, gar nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff von einem Dinge, als Erſcheinung nicht auf, auch nicht den Begriff von einem Gegenſtande in abſtracto, wol aber alle Moͤglichkeit eines ſolchen, der nach bloſſen Begriffen beſtimbar iſt, d. i. eines Noumenon. Freilich macht es ſtutzig, zu hoͤren, daß ein Ding ganz und gar aus Verhaͤltniſſen beſtehen ſolle, aber ein ſolches Ding, iſt auch bloſſe Erſcheinung, und kan gar nicht durch reine Categorien gedacht werden; es beſteht ſelbſt in dem bloſſen Verhaͤltniſſe von Etwas uͤberhaupt zu den Sinnen. Eben ſo kan man die Verhaͤltniſſe der Dinge in abſtracto, wenn man es mit bloſſen Begriffen anfaͤngt, wol nicht anders denken, als daß eines die Urſache von Beſtimmungen in dem andern ſey; denn das iſt unſer Verſtandesbegriff von Verhaͤltniſſen ſelbſt. Allein, da wir alsdenn von aller Anſchauung abſtrahiren, ſo faͤllt eine ganze Art, wie das Mannigfaltige einander ſeinen Ort beſtimmen kan, nemlich, die Form der Sinnlichkeit (der Raum) [286/0316] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Raum) weg, der doch vor aller empiriſchen Cauſſalitaͤt vorhergeht. Wenn wir unter blos intelligibelen Gegenſtaͤnden die- ienigen Dinge verſtehen, die durch reine Categorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, ſo ſind dergleichen unmoͤglich. Denn die Bedingung des obiecti- ven Gebrauchs aller unſerer Verſtandesbegriffe iſt blos die Art unſerer ſinnlichen Anſchauung, wodurch uns Gegen- ſtaͤnde gegeben werden, und, wenn wir von der lezteren abſtrahiren, ſo haben die erſtere gar keine Beziehung auf irgend ein Obiect. Ja wenn man auch eine andere Art der Anſchauung, als dieſe unſere ſinnliche iſt, annehmen wollte, ſo wuͤrden doch unſere Functionen zu denken in Anſehung derſelben von gar keiner Bedeutung ſeyn. Ver- ſtehen wir darunter nur Gegenſtaͤnde einer nichtſinnlichen Anſchauung, von denen unſere Categorien zwar freilich nicht gelten, und von denen wir alſo gar keine Erkentniß (weder Anſchauung, noch Begriff) iemals haben koͤnnen, ſo muͤſſen Noümena in dieſer blos negativen Bedeutung allerdings zugelaſſen werden: da ſie denn nichts anders ſagen, als: daß unſere Art der Anſchauung nicht auf alle Dinge, ſondern blos auf Gegenſtaͤnde unſerer Sinne geht, folglich ihre obiective Guͤltigkeit begraͤnzt iſt, und mithin vor irgend eine andere Art Anſchauung, und alſo auch vor Dinge als Obiecte derſelben, Platz uͤbrig bleibt. Aber alsdenn iſt der Begriff eines Noümenon problematiſch, d. i. die Vorſtellung eines Dinges, von dem wir weder ſagen [287/0317] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſagen koͤnnen, daß es moͤglich, noch daß es unmoͤglich ſey, indem wir gar keine Art der Anſchauung, als unſere ſinn- liche kennen, und keine Art der Begriffe, als die Cate- gorien, keine von beiden aber einem auſſerſinnlichen Gegen- ſtande angemeſſen iſt. Wir koͤnnen daher das Feld der Gegenſtaͤnde unſeres Denkens uͤber die Bedingungen unſe- rer Sinnlichkeit darum noch nicht poſitiv erweitern, und auſſer den Erſcheinungen noch Gegenſtaͤnde des reinen Den- kens, d. i. Noümena annehmen, weil iene keine anzuge- bende poſitive Bedeutung haben. Denn man muß von den Categorien eingeſtehen: daß ſie allein noch nicht zur Erkentniß der Dinge an ſich ſelbſt zureichen, und ohne die data der Sinnlichkeit blos ſubiective Formen der Verſtan- deseinheit, aber ohne Gegenſtand, ſeyn wuͤrden. Das Denken iſt zwar an ſich kein Product der Sinne, und ſo fern durch ſie auch nicht eingeſchraͤnkt, aber darum nicht ſo fort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne Beytritt der Sinnlichkeit, weil es alsdenn ohne Obiect iſt. Man kan auch das Noumenon nicht ein ſolches Obiect nennen; denn dieſes bedeutet eben den problematiſchen Begriff von einem Gegenſtande vor eine ganz andere Anſchauung und einen ganz anderen Verſtand, als der unſrige, der mithin ſelbſt ein Problem iſt. Der Begriff des Noumenon iſt alſo nicht der Begriff von einem Obiect, ſondern die unver- meidlich mit der Einſchraͤnkung unſerer Sinnlichkeit zu- ſammenhaͤngende Aufgabe, ob es nicht von iener ihrer Anſchauung ganz entbundene Gegenſtaͤnde geben moͤge, welche [288/0318] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. welche Frage nur unbeſtimt beantwortet werden kan, nem- lich: daß, weil die ſinnliche Anſchauung nicht auf alle Din- ge ohne Unterſchied geht, vor mehr und andere Gegen- ſtaͤnde Platz uͤbrig bleibe, ſie alſo nicht ſchlechthin abgelaͤug- net, in Ermangelung eines beſtimten Begriffs aber, (da keine Categorie dazu tauglich iſt) auch nicht als Gegenſtaͤn- de vor unſern Verſtand behauptet werden koͤnnen. Der Verſtand begraͤnzt demnach die Sinnlichkeit, oh- ne darum ſein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er iene warnet, daß ſie ſich nicht anmaſſe, auf Dinge an ſich ſelbſt zu gehen, ſondern lediglich auf Erſcheinungen, ſo denkt er ſich einen Gegenſtand an ſich ſelbſt, aber nur als transſcendentales Obiect, das die Urſache der Erſcheinung (mithin ſelbſt nicht Erſcheinung) iſt, und weder als Groͤſſe, noch als Realitaͤt, noch als Subſtanz ꝛc. gedacht werden kan, (weil dieſe Begriffe immer ſinnliche Formen, erfor- dern, in denen ſie einen Gegenſtand beſtimmen) wovon alſo voͤllig unbekant iſt, ob es in uns, oder auch auſſer uns anzutreffen ſey, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir iene wegnehmen, noch uͤbrig bleiben wuͤrde. Wollen wir dieſes Obiect Nou- menon nennen, darum, weil die Vorſtellung von ihm nicht ſinnlich iſt, ſo ſteht dieſes uns frey. Da wir aber keine von unſeren Verſtandesbegriffen darauf anwenden koͤnnen, ſo bleibt dieſe Vorſtellung doch vor uns leer, und dient zu nichts, als die Graͤnzen unſerer ſinnlichen Erkentniß zu bezeich- [289/0319] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. bezeichnen, und einen Raum uͤbrig zu laſſen, den wir weder durch moͤgliche Erfahrung, noch durch den reinen Verſtand ausfuͤllen koͤnnen. Die Critik dieſes reinen Verſtandes erlaubt es alſo nicht, ſich ein neues Feld von Gegenſtaͤnden, auſſer de- nen, die ihm als Erſcheinungen vorkommen koͤnnen, zu ſchaffen, und in intelligibele Welten, ſo gar nicht einmal in ihren Begriff auszuſchweifen. Der Fehler, welcher hiezu auf die allerſcheinbarſte Art verleitet, und allerdings entſchuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt werden kan, liegt darin: daß der Gebrauch des Verſtandes, wider ſeine Beſtimmung, transſcendental gemacht, und die Gegenſtaͤn- de, d. i. moͤgliche Anſchauungen, ſich nach Begriffen, nicht aber Begriffe ſich nach moͤglichen Anſchauungen (als auf denen allein ihre obiective Guͤltigkeit beruht) richten muͤſ- ſen. Die Urſache hievon aber iſt wiederum: daß die Ap- perception, und, mit ihr, das Denken vor aller moͤgli- chen beſtimten Anordnung der Vorſtellungen vorhergeht. Wir denken alſo Etwas uͤberhaupt, und beſtimmen es ei- nerſeits ſinnlich, allein unterſcheiden doch den allgemeinen und in abſtracto vorgeſtellten Gegenſtand von dieſer Art ihn anzuſchauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn blos durch Denken zu beſtimmen, uͤbrig, welche zwar eine bloſ- ſe logiſche Form ohne Inhalt iſt, uns aber dennoch eine Art zu ſeyn ſcheint, wie das Obiect an ſich exiſtire (Noü- menon), ohne auf die Anſchauung zu ſehen, welche auf unſere Sinne eingeſchraͤnkt iſt. Ehe T [290/0320] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Ehe wir die transſcendentale Analytik verlaſſen, muͤſſen wir noch etwas hinzufuͤgen, was, obgleich an ſich von nicht ſonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollſtaͤn- digkeit des Syſtems erforderlich ſcheinen duͤrfte. Der hoͤchſte Begriff, von dem man eine Transſcendentalphiloſo- phie anzufangen pflegt, iſt gemeiniglich die Eintheilung in das Moͤgliche und Unmoͤgliche. Da aber alle Einthei- lung einen eingetheilten Begriff vorausſezt, ſo muß noch ein hoͤherer angegeben werden, und dieſer iſt der Be- griff von einem Gegenſtande uͤberhaupt (problematiſch ge- nommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts ſey.) Weil die Categorien die einzige Begriffe ſind, die ſich auf Gegenſtaͤnde uͤberhaupt beziehen, ſo wird die Un- terſcheidung eines Gegenſtandes, ob er Etwas, oder Nichts ſey, nach der Ordnung und Anweiſung der Categorien fortgehen. 1) Den Begriffen von Allem, Vielen und Einem iſt der, ſo alles aufhebt; d. i. Keines entgegen geſezt, und ſo iſt der Gegenſtand eines Begriffs, dem gar keine anzugebende Anſchauung correſpondirt, = Nichts, d. i. ein Begriff ohne Gegenſtand, wie die Noümena, die nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden koͤnnen, obgleich auch darum nicht vor un- moͤglich ausgegeben werden muͤſſen, (ens rationis) oder wie etwa gewiſſe neue Grundkraͤfte, die man ſich [291/0321] Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe. ſich denkt, zwar ohne Widerſpruch, aber auch ohne Beyſpiel aus der Erfahrung gedacht worden, und alſo nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden muͤſſen. 2) Realitaͤt iſt Etwas, Negation iſt Nichts, nemlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenſtandes, wie der Schatten, die Kaͤlte (nihil privativum). 3) Die bloſſe Form der Anſchauung, ohne Subſtanz, iſt an ſich kein Gegenſtand, ſondern die blos formale Bedingung deſſelben, (als Erſcheinung) wie der rei- ne Raum, und die reine Zeit (ens imaginarium) die zwar Etwas ſind, als Formen anzuſchauen, aber ſelbſt keine Gegenſtaͤnde ſind, die angeſchauet werden. 4) Der Gegenſtand eines Begriffs, der ſich ſelbſt wi- derſpricht, iſt Nichts, weil der Begriff nichts iſt, das Unmoͤgliche, wie etwa die geradlinigte Figur von zwey Seiten (nihil negativum). Die Tafel dieſer Eintheilung des Begriffs von Nichts (denn die dieſer gleichlaufende Eintheilung des Etwas folgt von ſelber) wuͤrde daher ſo angelegt werden muͤſſen: Nichts T 2 [292/0322] Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch. Anhang. Nichts als 1 Leerer Begriff ohne Gegenſtand ens rationis 2. Leerer Gegenſtand eines Begriffs nihil privativum 3. Leere Anſchauung ohne Gegenſtand ens imaginarium 4. Leerer Gegenſtand ohne Begriff nihil negativum. Man ſiehet: daß das Gedankending (n. 1.) von dem Undinge (n. 4.) dadurch unterſchieden werde, daß ienes nicht unter die Moͤglichkeiten gezehlt werden darf, weil es blos Erdichtung (obzwar nicht widerſprechende) iſt, dieſes aber der Moͤglichkeit entgegen geſezt iſt, indem der Begriff ſo. gar ſich ſelbſt aufhebt. Beide ſind aber leere Begriffe. Dagegen ſind das nihil privativum (n. 2.) und ens imaginarium (n. 3.) leere Data zu Begriffen. Wenn das Licht nicht den Sinnen gegeben worden, ſo kan man ſich auch keine Finſterniß, und, wenn nicht ausge- dehnte Weſen wahrgenommen worden, keinen Raum vor- ſtellen. Die Negation ſo wol, als die bloſſe Form der Anſchauung, ſind, ohne ein Reales, keine Obiecte. Der [293/0323] Einleitung. Der Transſcendentalen Logik Zweite Abtheilung. Die Transſcendentale Dyalectik. Einleitung. I. Vom transſcendentalen Schein. Wir haben oben die Dialectik uͤberhaupt eine Logik des Scheins genant. Das bedeutet nicht, ſie ſey eine Lehre der Wahrſcheinlichkeit; denn dieſe iſt Wahr- heit, aber durch unzureichende Gruͤnde erkant, deren Er- kentniß alſo zwar mangelhaft, aber darum doch nicht truͤglich iſt, und mithin von dem analytiſchen Theile der Logik nicht getrent werden muß. Noch weniger duͤrfen Erſcheinung und Schein vor einerley gehalten werden. Denn Wahrheit oder Schein ſind nicht im Gegenſtande, ſo fern er angeſchaut wird, ſondern im Urtheile uͤber den- ſelben, ſo fern er gedacht wird. Man kan alſo zwar richtig ſagen: daß die Sinne nicht irren, aber nicht darum, weil ſie iederzeit richtig urtheilen, ſondern weil ſie gar nicht ur- theilen. Daher ſind Wahrheit ſo wol als Irrthum, mit- hin auch der Schein, als die Verleitung zum lezteren, nur im Urtheile, d. i. nur in dem Verhaͤltniſſe des Gegenſtan- des zu unſerm Verſtande anzutreffen. In einem Erkent- niß, das mit den Verſtandesgeſetzen durchgaͤngig zuſam- men- T 3 [294/0324] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dyal. menſtimt, iſt kein Irrthum. In einer Vorſtellung der Sinne iſt (weil ſie gar kein Urtheil enthaͤlt) auch kein Irr- thum. Keine Kraft der Natur kan aber von ſelbſt von ihren eigenen Geſetzen abweichen. Daher wuͤrden weder der Verſtand, vor ſich allein (ohne Einfluß einer andern Urſache) noch die Sinne, vor ſich, irren; der erſtere darum nicht, weil, wenn er blos nach ſeinen Geſetzen han- delt, die Wirkung (das Urtheil) mit dieſen Geſetzen noth- wendig uͤbereinſtimmen muß. In der Uebereinſtimmung mit den Geſetzen des Verſtandes beſteht aber das formale aller Wahrheit. In den Sinnen iſt gar kein Urtheil, we- der ein wahres noch falſches. Weil wir nun auſſer dieſen beiden Erkentnißquellen keine andere haben, ſo folgt: daß der Irrthum nur durch den unbemerkten Ein- fluß der Sinnlichkeit auf den Verſtand, bewirkt werde, wodurch es geſchieht: daß ſubiective Gruͤnde des Urtheils mit den obiectiven zuſammenflieſſen, und dieſe von ihrer Beſtimmung abweichend machen, *) ſo wie ein bewegter Coͤrper zwar vor ſich iederzeit die gerade Linie in derſelben Richtung halten wuͤrde, die aber, wenn eine andere Kraft nach einer anderen Richtung zugleich auf ihn einfließt, in krumlinigte Bewegung ausſchlaͤgt. Um die eigenthuͤm- liche *) Die Sinnlichkeit, dem Verſtande untergelegt, als das Obiect, worauf dieſer ſeine Function anwendet, iſt der Quell realer Erkentniſſe. Eben dieſelbe aber, ſo fern ſie auf die Verſtandeshandlung ſelbſt einfließt, und ihn zum Urtheilen beſtimt, iſt der Grund des Irrthums. [295/0325] Einleitung. liche Handlung des Verſtandes von der Kraft, die ſich mit einmengt, zu unterſcheiden, wird es daher noͤthig ſeyn, das irrige Urtheil als die Diagonale zwiſchen zwey Kraͤften anzuſehen, die das Urtheil nach zwey verſchiedenen Rich- tungen beſtimmen, die gleichſam einen Winkel einſchlieſſen, und iene zuſammengeſezte Wirkung in die einfache des Ver- ſtandes und der Sinnlichkeit aufzuloͤſen, welches in reinen Urtheilen a priori durch transſcendentale Ueberlegung ge- ſchehen muß, wodurch (wie ſchon angezeigt worden) ieder Vorſtellung ihre Stelle in der ihr angemeſſenen Erkentniß- kraft angewieſen, mithin auch der Einfluß der lezteren auf iene unterſchieden wird. Unſer Geſchaͤfte iſt hier nicht vom empiriſchen Scheine (z. B. dem optiſchen) zu handeln, der ſich bey dem empi- riſchen Gebrauche ſonſt richtiger Verſtandesregeln vorfindet und durch welchen die Urtheilskraft, durch den Einfluß der Einbildung verleitet wird, ſondern wir haben es mit dem transſcendentalen Scheine allein zu thun, der auf Grund- ſaͤtze einfließt, deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt iſt, als in welchem Falle wir doch wenigſtens ei- nen Probierſtein ihrer Richtigkeit haben wuͤrden, ſondern der uns ſelbſt, wider alle Warnungen der Critik, gaͤnzlich uͤber den empiriſchen Gebrauch der Categorien wegfuͤhrt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des rei- nen Verſtandes hinhaͤlt. Wir wollen die Grundſaͤtze, deren Anwendung ſich ganz und gar in den Schranken moͤg- T 4 [296/0326] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dyal. moͤglicher Erfahrung haͤlt, immanente, dieienige aber, welche dieſe Graͤnzen uͤberfliegen ſollen, transſcendente Grundſaͤtze nennen. Ich verſtehe aber unter dieſen nicht den transſcendentalen Gebrauch oder Mißbrauch der Ca- tegorien, welcher ein bloſſer Fehler, der nicht gehoͤrig durch Critik gezuͤgelten Urtheilskraft iſt, die auf die Graͤn- ze des Bodens, worauf allein dem reinen Verſtande ſein Spiel erlaubt iſt, nicht genug Acht hat; ſondern wirkliche Grundſaͤtze, die uns zumuthen, alle iene Graͤnzpfaͤhle nie- derzureiſſen und ſich einen ganz neuen Boden, der uͤberall keine Demarcation erkent, anzumaſſen. Daher ſind transſcendental und transſcendent nicht einerley. Die Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, die wir oben vortrugen, ſollen blos von empiriſchem und nicht von transſcendenta- lem, d. i. uͤber die Erfahrungsgraͤnze hinausreichendem Gebrauche ſeyn. Ein Grundſatz aber, der dieſe Schran- ken wegnimt, ia gar gebietet, ſie zu uͤberſchreiten, heißt transſcendent. Kan unſere Critik dahin gelangen, den Schein dieſer angemaßten Grundſaͤtze aufzudecken, ſo wer- den iene Grundſaͤtze des blos empiriſchen Gebrauchs, im Gegenſatz mit den leztern, immanente Grundſaͤtze des reinen Verſtandes genant werden koͤnnen. Der logiſche Schein, der in der bloſſen Nachahmung der Vernunftform beſteht, (der Schein der Trugſchluͤſſe) entſpringt lediglich aus einem Mangel der Achtſamkeit auf die logiſche Regel. So bald daher dieſe auf den vorlie- gen- [297/0327] Einleitung. genden Fall geſchaͤrft wird, ſo verſchwindet er gaͤnzlich. Der transſcendentale Schein dagegen hoͤrt gleichwol nicht auf, ob man ihn ſchon aufgedekt und ſeine Nichtigkeit durch die transſcendentale Critik deutlich eingeſehen hat. (z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der Zeit nach einen Anfang haben). Die Urſache hievon iſt dieſe: daß in unſerer Vernunft (ſubiectiv als ein menſchliches Erkentnißvermoͤgen betrachtet) Grundregeln und Maxi- men ihres Gebrauchs liegen, welche gaͤnzlich das Anſehen obiectiver Grundſaͤtze haben und wodurch es geſchieht, daß die ſubiective Nothwendigkeit einer gewiſſen Verknuͤpfung unſerer Begriffe, zu Gunſten des Verſtandes, vor eine obiective Nothwendigkeit, der Beſtimmung der Dinge an ſich ſelbſt, gehalten wird. Eine Illuſion, die gar nicht zu vermeiden iſt, ſo wenig als wir es vermeiden koͤnnen, daß uns das Meer in der Mitte nicht hoͤher ſcheine, wie an dem Ufer, weil wir iene durch hoͤhere Lichtſtrahlen als die- ſe ſehen, oder, noch mehr, ſo wenig ſelbſt der Aſtronom verhindern kan, daß ihm der Mond im Aufgange nicht groͤſſer ſcheine, ob er gleich durch dieſen Schein nicht be- trogen wird. Die transſcendentale Dialectik wird alſo ſich damit begnuͤgen, den Schein transſcendenter Urtheile aufzudecken, und zugleich zu verhuͤten, daß er nicht betriege; daß er aber auch (wie der logiſche Schein) ſo gar verſchwinde und ein Schein zu ſeyn aufhoͤre, das kan ſie niemals be- werk- T 5 [298/0328] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dial. werkſtelligen. Denn wir haben es mit einer natuͤrlichen und unvermeidlichen Illuſion zu thun, die ſelbſt auf ſub- iectiven Grundſaͤtzen beruht, und ſie als obiective unter- ſchiebt, anſtatt, daß die logiſche Dialectik in Aufloͤſung der Trugſchluͤſſe es nur mit einem Fehler, in Befolgung der Grundſaͤtze, oder mit einem gekuͤnſtelten Scheine, in Nachahmung derſelben, zu thun hat. Es giebt alſo eine natuͤrliche und unvermeidliche Dialectik der reinen Ver- nunft, nicht eine, in die ſich etwa ein Stuͤmper, durch Mangel an Kentniſſen, ſelbſt verwickelt, oder die irgend ein Sophiſt, um vernuͤnftige Leute zu verwirren, kuͤnſtlich erſonnen hat, ſondern die der menſchlichen Vernunft un- hintertreiblich anhaͤngt, und ſelbſt, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedekt haben, dennoch nicht aufhoͤren wird, ihr vorzugaukeln und ſie unablaͤſſig in augenblickliche Ver- irrungen zu ſtoſſen, die iederzeit gehoben zu werden be- duͤrfen. II. Von der reinen Vernunft als dem Sitze des transſcendentalen Scheins. A. Von der Vernunft uͤberhaupt. Alle unſere Erkentniß hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verſtande und endigt bey der Vernunft, uͤber welche nichts hoͤheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anſchauung zu bearbeiten und unter die hoͤchſte Ein- heit [299/0329] Einleitung. heit des Denkens zu bringen. Da ich ietzt von dieſer ober- ſten Erkentnißkraft eine Erklaͤrung geben ſoll, ſo finde ich mich in einiger Verlegenheit. Es giebt von ihr, wie von dem Verſtande, einen blos formalen, d. i. logiſchen Gebrauch, da die Vernunft von allem Inhalte der Erkentniß abſtra- hirt, aber auch einen realen, da ſie ſelbſt den Urſprung gewiſſer Begriffe und Grundſaͤtze enthaͤlt, die ſie weder von den Sinnen, noch vom Verſtande entlehnt. Das erſtere Vermoͤgen iſt nun freilich vorlaͤngſt von den Logikern durch das Vermoͤgen mittelbar zu ſchlieſſen (zum Unter- ſchiede von den unmittelbaren Schluͤſſen, conſequentiis immediatis) erklaͤrt worden, das zweite aber, welches ſelbſt Begriffe erzeugt, wird dadurch noch nicht eingeſehen. Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein logiſches und transſcendentales Vermoͤgen vorkomt, ſo muß ein hoͤherer Begriff von dieſer Erkentnißquelle geſucht werden, welcher beide Begriffe unter ſich befaßt, indeſſen wir nach der Analogie mit den Verſtandesbegriffen erwarten koͤnnen: daß der logiſche Begriff zugleich den Schluͤſſel zum trans- ſcendentalen, und die Tafel der Functionen der erſteren zugleich die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde. Wir erklaͤreten, im erſtern Theile unſerer transſcen- dentalen Logik, den Verſtand durch das Vermoͤgen der Regeln, hier unterſcheiden wir die Vernunft von demſel- ben dadurch, daß wir ſie das Vermoͤgen der Principien nennen wollen. Der [300/0330] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die tranſc. Dial. Der Ausdruck eines Princips iſt zweydeutig und be- deutet gemeiniglich nur ein Erkentniß, das als Princip gebraucht werden kan, ob es zwar an ſich ſelbſt und ſei- nem eigenen Urſprunge nach kein Principium iſt. Ein ieder allgemeiner Satz, er mag auch ſo gar aus Erfahrung (durch Induction) hergenommen ſeyn, kan zum Ober- ſatz in einem Vernunftſchluſſe dienen; er iſt darum aber nicht ſelbſt ein Principium. Die mathematiſche Axiomen (z. B. zwiſchen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie ſeyn) ſind ſogar allgemeine Erkentniſſe a priori, und werden daher mit Recht, relativiſch auf die Faͤlle, die unter ihnen ſubſumirt werden koͤnnen, Principien genant. Aber ich kan darum doch nicht ſagen: daß ich dieſe Eigen- ſchaft der geraden Linien, uͤberhaupt und an ſich, aus Principien erkenne, ſondern nur in der reinen Anſchauung. Ich wuͤrde daher Erkentniß aus Principien dieienige nennen, da ich das beſondre im allgemeinen durch Begriffe erkenne. So iſt denn ein ieder Vernunftſchluß eine Form der Ableitung einer Erkentniß aus einem Princip. Denn der Oberſatz giebt iederzeit einen Begriff, der da macht, daß alles, was unter der Bedingung deſſelben ſubſumirt wird, aus ihm nach einem Princip erkant wird. Da nun iede allgemeine Erkentniß zum Oberſatze in einem Vernunftſchluſſe dienen kan, und der Verſtand dergleichen allgemeine Saͤtze a priori darbietet, ſo koͤnnen dieſe denn auch, in Anſehung ihres moͤglichen Gebrauchs, Principien genant werden. Be- [301/0331] Einleitung. Betrachten wir aber dieſe Grundſaͤtze des reinen Ver- ſtandes an ſich ſelbſt ihrem Urſprunge nach, ſo ſind ſie nichts weniger als Erkentniſſe aus Begriffen. Denn ſie wuͤrden auch nicht einmal a priori moͤglich ſeyn, wenn wir nicht die reine Anſchauung, (in der Mathematik) oder Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt her- bey zoͤgen. Daß alles, was geſchieht, eine Urſache habe, kan gar nicht aus dem Begriffe deſſen, was uͤberhaupt geſchieht, geſchloſſen werden; vielmehr zeigt der Grundſatz, wie man allererſt von dem was geſchieht, einen beſtimten Erfahrungsbegriff bekommen koͤnne. Synthetiſche Erkentniſſe aus Begriffen kan der Ver- ſtand alſo gar nicht verſchaffen, und dieſe ſind es eigent- lich, welche ich ſchlechthin Principien nenne: indeſſen, daß alle allgemeine Saͤtze uͤberhaupt comparative Principien heiſſen koͤnnen. Es iſt ein alter Wunſch, der, wer weis wie ſpaͤt, vielleicht einmal in Erfuͤllung gehen wird: daß man doch einmal, ſtatt der endloſen Mannigfaltigkeit buͤrgerlicher Ge- ſetze, ihre Principien aufſuchen moͤge; denn darin kan al- lein das Geheimniß beſtehen, die Geſetzgebung, wie man ſagt, zu ſimplificiren. Aber die Geſetze ſind hier auch nur Einſchraͤnkungen unſrer Freyheit auf Bedingungen, unter denen ſie durchgaͤngig mit ſich ſelbſt zuſammenſtimt, mit- hin gehen ſie auf etwas, was gaͤnzlich unſer eigen Werk iſt, und wovon wir durch iene Begriffe ſelbſt die Urſache ſeyn koͤnnen. Wie aber Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt, wie die [302/0332] Elmentarl. II. Th. I. Abth. Die transſc. Dial. die Natur der Dinge unter Principien ſtehe und nach bloſ- ſen Begriffen beſtimt werden ſolle, iſt, wo nicht etwas un- moͤgliches, wenigſtens doch ſehr widerſinniſches in ſeiner Forderung. Es mag aber hiemit bewandt ſeyn, wie es wolle, (denn daruͤber haben wir die Unterſuchung noch vor uns) ſo erhellet wenigſtens daraus: daß Erkentniß aus Principien (an ſich ſelbſt) ganz etwas anders ſey, als bloſſe Verſtandeserkentniß, die zwar auch andern Er- kentniſſen in der Form eines Princips, vorgehen kan, an ſich ſelbſt aber (ſo fern ſie ſynthetiſch iſt) nicht auf bloſſem Denken beruht, noch ein Allgemeines nach Begriffen in ſich enthaͤlt. Der Verſtand mag ein Vermoͤgen der Einheit der Erſcheinungen vermittelſt der Regeln ſeyn, ſo iſt die Ver- nunft das Vermoͤgen der Einheit der Verſtandesregeln un- ter Principien. Sie geht alſo niemals zunaͤchſt auf Er- fahrung, oder auf irgend einen Gegenſtand, ſondern auf den Verſtand, um den mannigfaltigen Erkentniſſen deſſel- ben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heiſſen mag, und von ganz anderer Art iſt, als ſie von dem Verſtande geleiſtet werden kan. Das iſt der allgemeine Begriff von dem Vernunft- vermoͤgen, ſo weit er, bey gaͤnzlichem Mangel an Beyſpielen (als die erſt in der Folge gegeben werden ſollen), hat be- greiflich gemacht werden koͤnnen. B. Vom [303/0333] Einleitung. B. Vom logiſchen Gebrauche der Vernunft. Man macht einen Unterſchied zwiſchen dem, was un- mittelbar erkant, und dem, was nur geſchloſſen wird. Daß in einer Figur, die durch drey gerade Linien begraͤnzt iſt, drey Winkel ſind, wird unmittelbar erkant, daß die: ſe Winkel aber zuſammen zween rechten gleich ſind, iſt nur geſchloſſen. Weil wir des Schlieſſens beſtaͤndig beduͤr- fen und es dadurch endlich ganz gewohnt werden, ſo be- merken wir zuletzt dieſen Unterſchied nicht mehr, und hal- ten oft, wie bey dem ſogenannten Betruge der Sinne, et- was vor unmittelbar wahrgenommen, was wir doch nur ge- ſchloſſen haben. Bey iedem Schluſſe iſt ein Satz, der zum Grunde liegt, ein andrer, nemlich die Folgerung die aus ienem gezogen wird, endlich die Schlußfolge (Conſequenz), nach welcher die Wahrheit des lezteren unausbleiblich mit der Wahrheit des erſteren verknuͤpft iſt. Liegt das ge- ſchloſſene Urtheil ſchon ſo in dem erſten, daß es ohne Ver- mittelung einer dritten Vorſtellung daraus abgeleitet wer- den kan, ſo heißt der Schluß unmittelbar (conſequentia immediata); ich moͤchte ihn lieber den Verſtandesſchluß nennen. Iſt aber, auſſer der zum Grunde gelegten Er- kentniß, noch ein anderes Urtheil noͤthig, um die Folge zu bewirken, ſo heißt der Schluß ein Vernunftſchluß. In dem Satze: alle Menſchen ſind ſterblich, liegen ſchon die Saͤtze: einige Menſchen ſind ſterblich, oder: einige Sterb- liche ſind Menſchen, oder: nichts, was unſterblich iſt, iſt ein [304/0334] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dial. ein Menſch, und dieſe ſind alſo unmittelbare Folgerungen aus dem Erſteren. Dagegen liegt der Satz: alle Gelehrte ſind ſterblich, nicht in dem untergelegten Urtheile (denn der Begriff der Gelehrten komt in ihm gar nicht vor) und er kan nur vermittelſt eines Zwiſchenurtheils aus dieſem gefolgert werden. In iedem Vernunftſchluſſe denke ich zuerſt eine Re- gel (maior) durch den Verſtand. Zweitens ſubſumire ich ein Erkentniß unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelſt der Urtheilskraft. Endlich beſtimme ich mein Erkentniß durch das Praͤdicat der Regel (concluſio) mit- hin a priori durch die Vernunft. Das Verhaͤltniß alſo, welches der Oberſatz, als die Regel, zwiſchen einer Er- kentniß und ihrer Bedingung vorſtellt, macht die verſchie- dene Arten der Vernunftſchluͤſſe aus. Sie ſind alſo gera- de dreyfach, ſo wie alle Urtheile uͤberhaupt, ſo fern ſie ſich in der Art unterſcheiden, wie ſie das Verhaͤltniß des Erkentniſſes im Verſtande ausdruͤcken, nemlich: catego- riſche oder hypothetiſche oder disiunktive Vernunft- ſchluͤſſe. Wenn, wie mehrentheils geſchieht, die Concluſion als ein Urtheil aufgegeben worden, um zu ſehen, ob es nicht aus ſchon gegebenen Urtheilen, durch die nemlich ein ganz anderer Gegendſtand gedacht wird, fließe: ſo ſuche ich im Verſtande die Aſſertion dieſes Schlußſatzes auf, ob ſie ſich nicht in demſelben unter gewiſſen Bedingungen nach einer allgemeinen Regel vorfinde. Finde ich nun eine ſolche [305/0335] Einleitung. ſolche Bedingung und laͤßt ſich das Obiect des Schlußſatzes unter der gegebenen Bedingung ſubſumiren, ſo iſt dieſer aus der Regel, die auch vor andere Gegenſtaͤnde der Erkentniß gilt, gefolgert. Man ſieht daraus: daß die Vernunft im Schließen die groſſe Mannigfaltigkeit der Er- kentniß des Verſtandes auf die kleinſte Zahl der Principien (allgemeiner Bedingungen) zu bringen und dadurch die hoͤchſte Einheit derſelben zu bewirken ſuche. C. Von dem reinen Gebrauche der Vernunft. Kan man die Vernunft iſoliren und iſt ſie alsdenn noch ein eigener Quell von Begriffen und Urtheilen, die lediglich aus ihr entſpringen, und dadurch ſie ſich auf Ge- genſtaͤnde bezieht, oder iſt ſie ein blos ſubalternes Ver- moͤgen, gegebenen Erkentniſſen eine gewiſſe Form zu ge- ben, welche logiſch heißt, und wodurch die Verſtandeser- kentniſſe nur einander und niedrige Regeln andern hoͤhern (deren Bedingung die Bedingung der erſteren in ihrer Sphaͤre befaßt) untergeordnet werden, ſo viel ſich durch die Vergleichung derſelben will bewerkſtelligen laſſen? Dies iſt die Frage, mit der wir uns iezt nur vorlaͤufig be- ſchaͤftigen. In der That iſt Mannigfaltigkeit der Regeln und Einheit der Principien eine Forderung der Vernunft, um den Verſtand mit ſich ſelbſt in durchgaͤngigen Zuſammen- hang zu bringen, ſo wie der Verſtand das Mannigfaltige der Anſchauung unter Begriffe und dadurch iene in Ver- knuͤp- U [306/0336] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dial. knuͤpfung bringt. Aber ein ſolcher Grundſatz ſchreibt den Obiecten kein Geſetz vor, und enthaͤlt nicht den Grund der Moͤglichkeit, ſie als ſolche uͤberhaupt zu erkennen und zu beſtimmen, ſondern iſt blos ein ſubiectives Geſetz der Haushaltung mit dem Vorrathe unſeres Verſtandes, durch Vergleichung ſeiner Begriffe, den allgemeinen Gebrauch derſelben auf die kleinſtmoͤgliche Zahl derſelben zu brin- gen, ohne daß man deswegen von den Gegenſtaͤnden ſelbſt eine ſolche Einhelligkeit, die der Gemaͤchlichkeit und Aus- breitung unſeres Verſtandes Vorſchub thue, zu fordern, und iener Maxime zugleich obiective Guͤltigkeit zu geben, berechtiget waͤre. Mit einem Worte, die Frage iſt: ob Vernunft an ſich, d. i. die reine Vernunft a priori ſyn- thetiſche Grundſaͤtze und Regeln enthalte, und worin dieſe Principien beſtehen moͤgen? Das formale und logiſche Verfahren derſelben in Vernunftſchluͤſſen giebt uns hieruͤber ſchon hinreichende Anleitung, auf welchem Grunde das transſcendentale Prin- cipium derſelben in der ſynthetiſchen Erkentniß durch reine Vernunft beruhen werde. Erſtlich geht der Vernunftſchluß nicht auf Anſchau- ungen, um dieſelbe unter Regeln zu bringen (wie der Verſtand mit ſeinen Categorien), ſondern auf Begriffe und Urtheile. Wenn alſo reine Vernunft auch auf Gegenſtaͤn- de geht, ſo hat ſie doch darauf und deren Anſchauung keine unmittelbare Beziehung, ſondern nur auf den Ver- ſtand und deſſen Urtheile, welche ſich zunaͤchſt an die Sinne und [307/0337] Einleitung. und deren Anſchauung wenden, um dieſen ihren Gegenſtand zu beſtimmen. Vernunfteinheit iſt alſo nicht Einheit einer moͤglichen Erfahrung, ſondern von dieſer als der Verſtan- deseinheit, weſentlich unterſchieden. Daß alles, was ge- ſchieht, eine Urſache habe, iſt gar kein durch Vernunft erkanter und vorgeſchriebener Grundſatz. Er macht die Einheit der Erfahrung moͤglich und entlehnt nichts von der Vernunft, welche, ohne dieſe Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, aus bloſſen Begriffen, keine ſolche ſyn- thetiſche Einheit haͤtte gebieten koͤnnen. Zweitens ſucht die Vernunft in ihrem logiſchen Ge- brauche die allgemeine Bedingung ihres Urtheils (des Schlußſatzes) und der Vernunftſchluß iſt ſelbſt nichts an- ders als ein Urtheil, vermittelſt der Subſumtion ſeiner Bedingung unter eine allgemeine Regel (Oberſatz). Da nun dieſe Regel wiederum eben demſelben Verſuche der Vernunft ausgeſetzt iſt, und dadurch die Bedingung der Bedingung (vermittelſt eines Proſyllogismus) geſucht wer- den muß, ſo lange es angeht, ſo ſiehet man wol, der eigenthuͤmliche Grundſatz der Vernunft uͤberhaupt (im lo- giſchen Gebrauche) ſey: zu dem bedingten Erkentniſſe des Verſtandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit deſſelben vollendet wird. Dieſe logiſche Maxime kan aber nicht anders ein Principium der reinen Vernunft werden, als dadurch, daß man annimt: wenn das Bedingte gegeben iſt, ſo ſey auch die ganze Reihe einander untergeordneten Bedingun- gen U 2 [308/0338] Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transſc. Dial. gen, die mithin ſelbſt unbedingt iſt, gegeben, (d. i. in dem Gegenſtande und ſeiner Verknuͤpfung enthalten). Ein ſolcher Grundſatz der reinen Vernunft iſt aber offenbar ſynthetiſch; denn das Bedingte Bezieht ſich ana- lytiſch zwar auf irgend eine Bedingung, aber nicht aufs Unbedingte. Es muͤſſen aus demſelben auch verſchiedene ſynthetiſche Saͤtze entſpringen, wovon der reine Verſtand nichts weiß, als der nur mit Gegenſtaͤnden einer moͤgli- chen Erfahrung zu thun hat, deren Erkentniß und Syn- theſis iederzeit bedingt iſt. Das Unbedingte aber, wenn es wirklich ſtatt hat, kan beſonders erwogen werden, nach allen den Beſtimmungen, die es von iedem Bedingten un- terſcheiden, und muß dadurch Stoff zu manchen ſyntheti- ſchen Saͤtzen a priori geben. Die aus dieſem oberſten Princip der reinen Vernunft entſpringende Grundſaͤtze werden aber in Anſehung aller Erſcheinungen transſcendent ſeyn, d. i. es wird kein ihm adaͤquater empiriſcher Gebrauch von demſelben iemals ge- macht werden koͤnnen. Er wird ſich alſo von allen Grund- ſaͤtzen des Verſtandes, (deren Gebrauch voͤllig immanent iſt, indem ſie nur die Moͤglichkeit der Erfahrung zu ihrem Thema haben), gaͤnzlich unterſcheiden. Ob nun iener Grundſatz: daß ſich die Reihe der Bedingungen (in der Syntheſis der Erſcheinungen, oder auch des Denkens der Dinge uͤberhaupt), bis zum Unbedingten erſtrecke, ſeine obiective Richtigkeit habe, oder nicht, welche Folge- rungen daraus auf den empiriſchen Verſtandesgebrauch fließen [309/0339] Einleitung. fließen, oder ob es vielmehr uͤberall keinen dergleichen ob- iectivguͤltigen Vernunftſatz gebe, ſondern eine blos logiſche Vorſchrift, ſich im Aufſteigen zu immer hoͤheren Bedin- gungen, der Vollſtaͤndigkeit derſelben zu naͤheren und da- durch die hoͤchſte uns moͤgliche Vernunfteinheit in unſere Erkentniß zu bringen, ob, ſage ich, dieſes Beduͤrfniß der Vernunft durch einen Mißverſtand vor einen transſcenden- talen Grundſatz der reinen Vernunft gehalten worden, der eine ſolche unbeſchraͤnkte Vollſtaͤndigkeit uͤbereilter Weiſe von der Reihe der Bedingungen in den Gegenſtaͤnden ſelbſt poſtulirt, was aber auch in dieſem Falle vor Mißdeutun- gen und Verblendungen in die Vernunftſchluͤſſe, deren Oberſatz aus reiner Vernunft genommen worden, (und der vielleicht mehr Petition als Poſtulat iſt) und die von der Erfahrung aufwaͤrts zu ihren Bedingungen ſteigen, einſchleichen moͤgen: das wird unſer Geſchaͤfte in der transſcendentalen Dialectik ſeyn, welche wir iezt aus ihren Quellen, die tief in der menſchlichen Vernunft verborgen ſind, entwickeln wollen. Wir werden ſie in zwey Haupt- ſtuͤcke theilen, deren erſtere von den transſcendenten Be- griffen der reinen Vernunft, der zweite von transſcenden- ten und dialectiſchen Vernunftſchluͤſſen derſelben han- deln ſoll. Der U 3 [310/0340] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Der Transſcendentalen Dialectik Erſtes Buch. Von den Begriffen der reinen Vernunft. Was es auch mit der Moͤglichkeit der Begriffe aus rei- ner Vernunft vor eine Bewandniß haben mag: ſo ſind ſie doch nicht blos reflectirte, ſondern geſchloſſene Be- griffe. Verſtandesbegriffe werden auch a priori vor der Erfahrung und zum Behuf derſelben gedacht, aber ſie enthalten nichts weiter, als die Einheit der Reflexion uͤber die Erſcheinungen, in ſo fern ſie nothwendig zu einem moͤglichen empiriſchen Bewußtſeyn gehoͤren ſollen. Durch ſie allein wird Erkentniß und Beſtimmung eines Gegen- ſtandes moͤglich. Sie geben alſo zuerſt Stoff zum Schlieſ- ſen und vor ihnen gehen keine Begriffe a priori von Ge- genſtaͤnden vorher, aus denen ſie koͤnten geſchloſſen wer- den. Dagegen gruͤndet ſich ihre obiective Realitaͤt doch lediglich darauf: daß, weil ſie die intellectuelle Form aller Erfahrung ausmachen, ihre Anwendung iederzeit in der Erfahrung muß gezeigt werden koͤnnen. Die Benennung eines Vernunftbegriffs aber zeigt ſchon vorlaͤufig: daß er ſich nicht innerhalb der Erfahrung wolle beſchraͤnken laſſen, weil er eine Erkentniß betrift, von der iede empiriſche nur ein Theil iſt, (vielleicht das Ganze der [311/0341] Von den Begriffen der reinen Vernunft. der moͤglichen Erfahrung oder ihrer empiriſchen Synthe- ſis) bis dahin zwar keine wirkliche Erfahrung iemals voͤl- lig zureicht, aber doch iederzeit dazu gehoͤrig iſt. Ver- nunftbegriffe dienen zum Begreiffen, wie Verſtandesbe- griffe zum Verſtehen (der Wahrnehmungen). Wenn ſie das Unbedingte enthalten, ſo betreffen ſie etwas, worunter alle Erfahrung gehoͤrt, welches ſelbſt aber niemals ein Ge- genſtand der Erfahrung iſt: Etwas, worauf die Vernunft in ihren Schluͤſſen aus der Erfahrung fuͤhrt und wornach ſie den Grad ihres empiriſchen Gebrauchs ſchaͤtzet und ab- miſſet, niemals aber ein Glied der empiriſchen Syntheſis ausmacht. Haben dergleichen Begriffe, deſſen ungeachtet, obiective Guͤltigkeit, ſo koͤnnen ſie conceptus ratiocinati (nichtig geſchloſſene Begriffe) heiſſen; wo nicht, ſo ſind ſie wenigſtens durch einen Schein des Schlieſſens erſchlichen und moͤgen conceptus ratiocinantes (vernuͤnftelnde Be- griffe) genant werden. Da dieſes aber allererſt in dem Hauptſtuͤcke von den dialectiſchen Schluͤſſen der reinen Ver- nunft ausgemacht werden kan, ſo koͤnnen wir darauf noch nicht Ruͤckſicht nehmen, ſondern werden vorlaͤufig, ſo wie wir die reine Verſtandesbegriffe Categorien nanten, die Begriffe der reinen Vernunft mit einem neuen Na- men belegen und ſie transſcendentale Ideen nennen, dieſe Benennung aber iezt erlaͤutern und rechtfertigen. Des U 4 [312/0342] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Des Erſten Buchs der transſcendentalen Dialectik Erſter Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. Bey dem groſſen Reichthum unſerer Sprachen findet ſich doch oft der denkende Kopf wegen des Aus- drucks verlegen, der ſeinem Begriffe genau anpaßt, und in deſſen Ermangelung, er weder andern, noch ſo gar ſich ſelbſt recht verſtaͤndlich werden kan. Neue Woͤrter zu ſchmieden, iſt eine Anmaſſung zum Geſetzgeben in Spra- chen, die ſelten gelingt, und, ehe man zu dieſem verzwei- felten Mittel ſchreitet, iſt es rathſam, ſich in einer todten und gelehrten Sprache umzuſehen, ob ſich daſelbſt nicht dieſer Begriff ſamt ſeinem angemeſſenen Ausdrucke vorfin- de, und wenn der alte Gebrauch deſſelben durch Unbehut- ſamkeit ihrer Urheber auch etwas ſchwankend geworden waͤre, ſo iſt es doch beſſer, die Bedeutung, die ihm vor- zuͤglich eigen war, zu beveſtigen, (ſollte es auch zweifel- haft bleiben, ob man damals genau eben dieſelbe im Sinne gehabt habe) als ſein Geſchaͤfte nur dadurch zu verderben, daß man ſich unverſtaͤndlich machte. Um deswillen, wenn ſich etwa zu einem gewiſſen Be- griffe, nur ein einziges Wort vorfaͤnde, das in ſchon einge- fuͤhrter Bedeutung dieſem Begriffe genau anpaßt, deſſen Unter- [313/0343] I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. Unterſcheidung von andern verwandten Begriffen von groſ- ſer Wichtigkeit iſt, ſo iſt es rathſam, damit nicht ver- ſchwenderiſch umzugehen, oder es blos zur Abwechſelung, ſynonimiſch ſtatt anderer zu gebrauchen, ſondern ihm ſeine eigenthuͤmliche Bedeutung ſorgfaͤltig aufzubehalten; weil es ſonſt leichtlich geſchieht: daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerkſamkeit nicht beſonders beſchaͤftigt, ſondern ſich unter dem Haufen anderer von ſehr abweichender Be- deutung verliert, auch der Gedanke verlohren gehe, den er allein haͤtte aufbehalten koͤnnen. Plato bediente ſich des Ausdrucks Idee ſo: daß man wol ſieht, er habe darunter etwas verſtanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, ſondern welches ſo gar die Begriffe des Verſtandes, mit denen ſich Ariſtoteles beſchaͤftigte, weit uͤberſteigt, indem in der Er- fahrung niemals etwas damit Congruirendes angetroffen wird. Die Ideen ſind bey ihm Urbilder der Dinge ſelbſt, und nicht blos Schluͤſſel zu moͤglichen Erfahrungen, wie die Categorien. Nach ſeiner Meinung floſſen ſie aus der hoͤch- ſten Vernunft aus, von da ſie der menſchlichen zu Theil geworden, die ſich aber iezt nicht mehr in ihrem urſpruͤng- lichen Zuſtande befindet, ſondern mit Muͤhe die alte, iezt ſehr verdunkelte Ideen, durch Erinnerung (die Philoſo- phie heißt) zuruͤkruffen muß. Ich will mich hier in keine litterariſche Unterſuchung einlaſſen, um den Sinn auszu- machen, den der erhabene Philoſoph mit ſeinem Ausdrucke ver- U 5 [314/0344] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. verband. Ich merke nur an: daß es gar nichts ungewoͤhn- liches ſey, ſo wol im gemeinen Geſpraͤche, als in Schrif- ten, durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfaſſer uͤber ſeinen Gegenſtand aͤuſſert, ihn ſo gar beſſer zu verſtehen, als er ſich ſelbſt verſtand, indem er ſeinen Begriff nicht genugſam beſtimte, und dadurch bisweilen ſeiner eigenen Abſicht entgegen redete, oder auch dachte. Plato bemerkte ſehr wol, daß unſere Erkentnißkraft ein weit hoͤheres Beduͤrfniß fuͤhle, als blos Erſcheinungen nach ſynthetiſcher Einheit buchſtabiren, um ſie als Erfah- rung leſen zu koͤnnen, und daß unſere Vernunft natuͤrli- cher Weiſe ſich zu Erkentniſſen aufſchwinge, die viel wei- ter gehen, als daß irgend ein Gegenſtand, den Erfahrung geben kan, iemals mit ihnen congruiren koͤnne, die aber nichtsdeſtoweniger ihre Realitaͤt haben und keinesweges bloſſe Hirngeſpinſte ſeyn. Plato fand ſeine Ideen vorzuͤglich in allem was prac- tiſch iſt, *) d. i. auf Freiheit beruht, welche ihrer Seits unter *) Er dehnte ſeinen Begriff freilich auch auf ſpeculative Erkentniſſe aus, wenn ſie nur rein und voͤllig a priori gegeben waren, ſo gar uͤber die Mathematik, ob dieſe gleich ihren Gegenſtand nirgend anders, als in der moͤgli- chen Erfahrung hat. Hierin kan ich ihm nun nicht fol- gen, ſo wenig als in der myſtiſchen Deduction dieſer Ideen, oder den Uebertreibungen, dadurch er ſie gleichſam hypo- ſtaſirte; wiewol die hohe Sprache, deren er ſich in die- ſem Felde bediente, einer milderen und der Natur der Dinge angemeſſenen Auslegung ganz wol faͤhig iſt. [315/0345] I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. unter Erkentniſſen ſteht, die ein eigenthuͤmliches Product der Vernunft ſind. Wer die Begriffe der Tugend aus Erfahrung ſchoͤpfen wollte, wer das, was nur allenfalls als Beyſpiel zur unvollkommenen Erlaͤuterung dienen kan, als Muſter zum Erkentnißquell machen wollte (wie es wirklich viele gethan haben,) der wuͤrde aus der Tu- gend ein nach Zeit und Umſtaͤnden wandelbares, zu keiner Regel brauchbares zweideutiges Unding machen. Dage- gen wird ein ieder inne: daß, wenn ihm iemand als Mu- ſter der Tugend vorgeſtellt wird, er doch immer das wah- re Original blos in ſeinem eigenen Kopfe habe, womit er dieſes angebliche Muſter vergleicht, und es blos darnach ſchaͤzt. Dieſes iſt aber die Idee der Tugend, in Anſehung deren alle moͤgliche Gegenſtaͤnde der Erfahrung zwar als Beyſpiele (Beweiſe der Thunlichkeit desienigen im gewiſſen Grade, was der Begriff der Vernunft heiſcht), aber nicht als Urbilder Dienſte thun. Daß niemals ein Menſch dem- ienigen adaͤquat handeln werde, was die reine Idee der Tugend enthaͤlt, beweiſet gar nicht etwas Chimaͤriſches in dieſem Gedanken. Denn es iſt gleichwol alles Urtheil, uͤber den moraliſchen Werth oder Unwerth, nur vermit- telſt dieſer Idee moͤglich; mithin liegt ſie ieder Annaͤhe- rung zur moraliſchen Vollkommenheit nothwendig zum Grunde, ſo weit auch die, ihrem Grade nach nicht zu be- ſtimmende Hinderniſſe in der menſchlichen Natur uns da- von entfernt halten moͤgen. Die [316/0346] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Die platoniſche Republik iſt, als ein vermeintlich auffallendes Beyſpiel von ertraͤumter Vollkommenheit, die nur im Gehirn des muͤßigen Denkers ihren Sitz haben kan, zum Sprichwort geworden, und Brucker findet es laͤcherlich: daß der Philoſoph behauptete, niemals wuͤrde ein Fuͤrſt wol regieren, wenn er nicht der Ideen theilhaf- tig waͤre. Allein man wuͤrde beſſer thun, dieſem Gedan- ken mehr nachzugehen und ihn, (wo der vortrefliche Mann uns ohne Huͤlfe laͤßt) durch neue Bemuͤhungen in Licht zu ſtellen, als ihn, unter dem ſehr elenden und ſchaͤdli- chen Vorwande der Unthunlichkeit, als unnuͤtz bey Seite zu ſtellen. Eine Verfaſſung von der groͤßten menſchlichen Freiheit nach Geſetzen, welche machen: daß iedes Frei- heit mit der andern ihrer zuſammen beſtehen kan, (nicht von der groͤſſeſten Gluͤckſeligkeit, denn dieſe wird ſchon von ſelbſt folgen) iſt doch wenigſtens eine nothwen- dige Idee, die man nicht blos im erſten Entwurfe einer Staatsverfaſſung, ſondern auch bey allen Geſetzen zum Grunde legen muß, und wobey man anfaͤnglich von den gegenwaͤrtigen Hinderniſſen abſtrahiren muß, die vielleicht nicht ſowol aus der menſchlichen Natur unvermeidlich ent- ſpringen moͤgen, als vielmehr aus der Vernachlaͤſſigung der aͤchten Ideen bey der Geſetzgebung. Denn nichts kan ſchaͤdlicheres und eines Philoſophen unwuͤrdigeres ge- funden werden, als die poͤbelhafte Berufung auf vorgeb- lich widerſtreitende Erfahrung, die doch gar nicht exiſtiren wuͤrde, wenn iene Anſtalten zu rechter Zeit nach den Ideen getrof- [317/0347] I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. getroffen wuͤrden, und an deren ſtatt nicht rohe Begriffe, eben darum, weil ſie aus Erfahrung geſchoͤpft worden, alle gute Abſicht vereitelt haͤtten. Je uͤbereinſtimmender die Geſetzgebung und Regierung mit dieſer Idee eingerichtet waren, deſto ſeltener wuͤrden allerdings die Strafen werden, und da iſt es denn ganz vernuͤnftig, (wie Plato behauptet) daß bey einer vollkommenen Anordnung derſelben, gar kei- ne dergleichen noͤthig ſeyn wuͤrden. Ob nun gleich das lez- tere niemals zu Stande kommen mag, ſo iſt die Idee doch ganz richtig, welche dieſer Maximum zum Urbilde aufſtellt, um nach demſelben die geſetzliche Verfaſſung der Menſchen der moͤglich groͤßten Vollkommenheit immer naͤher zu brin- gen. Denn welches der hoͤchſte Grad ſeyn mag, bey wel- chem die Menſchheit ſtehen bleiben muͤſſe, und wie groß al- ſo die Kluft, die zwiſchen der Idee und ihrer Ausfuͤhrung nothwendig uͤbrig bleibt, ſeyn moͤge, das kan und ſoll niemand beſtimmen, eben darum, weil es Freiheit iſt, welche iede angegebene Graͤnze uͤberſteigen kan. Aber nicht blos in demienigen, wobey die menſchli- che Vernunft wahrhafte Cauſſalitaͤt zeigt und wo Ideen wirkende Urſachen (der Handlungen und ihrer Gegenſtaͤn- de) werden, nemlich in Sittlichen, ſondern auch in An- ſehung der Natur ſelbſt, ſieht Plato mit Recht deutliche Beweiſe ihres Urſprungs aus Ideen. Ein Gewaͤchs, ein Thier, die regelmaͤßige Anordnung des Weltbaues (ver- muthlich alſo auch die ganze Naturordnung) zeigen deutlich, daß [318/0348] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. daß ſie nur nach Ideen moͤglich ſeyn, daß zwar kein ein- zelnes Geſchoͤpf, unter den einzelnen Bedingungen ſeines Daſeyns, mit der Idee des Vollkommenſten ſeiner Art congruire, (ſo wenig wie der Menſch mit der Idee der Menſchheit, die er ſo gar ſelbſt als das Urbild ſeiner Handlungen in ſeiner Seele traͤgt,) daß gleichwol iene Ideen im hoͤchſten Verſtande einzeln, unveraͤnderlich, durchgaͤngig beſtimt und die urſpruͤngliche Urſachen der Dinge ſind, und nur das Ganze ihrer Verbindung im Weltall einzig und allein iener Idee voͤllig adaͤquat ſey. Wenn man das Uebertriebene des Ausdrucks abſondert, ſo iſt der Geiſtesſchwung des Philoſophen, von der copeylichen Betrachtung des Phyſiſchen der Weltordnung zu der archi- tectoniſchen Verknuͤpfung derſelben nach Zwecken, d. i. nach Ideen, hinaufzuſteigen, eine Bemuͤhung, die Achtung und Nachfolge verdient, in Anſehung desienigen aber, was die Principien der Sittlichkeit, der Geſetzgebung und der Religion betrift, wo die Ideen die Erfahrung ſelbſt (des Guten) allererſt moͤglich machen, obzwar niemals darin voͤllig ausgedruͤckt werden koͤnnen, ein ganz eigenthuͤmli- ches Verdienſt, welches man nur darum nicht erkent, weil man es durch eben die empiriſche Regeln beurtheilt, deren Guͤltigkeit, als Principien, eben durch ſie hat aufgehoben werden ſollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns Erfahrung die Regel an die Hand und iſt der Quell der Wahrheit; in Anſehung der ſittlichen Geſetze aber iſt Er- fahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es iſt hoͤchſt [319/0349] I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. hoͤchſt verwerflich, die Geſetze uͤber das, was ich thun ſoll, von demienigen herzunehmen, oder dadurch einſchraͤnken zu wollen, was gethan wird. Statt aller dieſer Betrachtungen, deren gehoͤrige Ausfuͤhrung in der That die eigenthuͤmliche Wuͤrde der Philoſophie ausmacht, beſchaͤftigen wir uns iezt mit einer nicht ſo glaͤnzenden, aber doch auch nicht verdienſtloſen Ar- beit, nemlich: den Boden zu ienen maieſtaͤtiſchen ſittlichen Gebaͤuden eben und baufeſt zu machen, in welchem ſich allerley Maulwurfsgaͤnge einer vergeblich, aber mit guter Zuverſicht auf Schaͤtze grabenden Vernunft, vorfinden und die ienes Bauwerk unſicher machen. Der transſcendentale Gebrauch der reinen Vernunft, ihre Principien und Ideen ſind es alſo, welche genau zu kennen uns iezt obliegt, um den Einfluß der reinen Vernunft und den Werth derſelben gehoͤrig beſtimmen und ſchaͤtzen zu koͤnnen. Doch ehe ich dieſe vorlaͤufige Einleitung bey Seite lege, erſuche ich die- ienige, denen Philoſophie am Hertzen liegt, (welches mehr geſagt iſt als man gemeiniglich antrift) wenn ſie ſich durch dieſes und das Nachfolgende, uͤberzeugt finden ſollten, den Ausdruck Idee ſeiner urſpruͤnglichen Bedeutung nach in Schutz zu nehmen, damit er nicht fernerhin unter die uͤbrige Ausdruͤcke, womit gewoͤhnlich allerley Vorſtellungs- arten in ſorgloſer Unordnung bezeichnet werden, gerathe und die Wiſſenſchaft dabey einbuͤſſe. Fehlt es uns doch nicht an Benennungen, die ieder Vorſtellungsart gehoͤrig angemeſſen ſind, ohne daß wir noͤthig haben, in das Eigen- thum [320/0350] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. thum einer anderen einzugreiffen. Hier iſt eine Stufen- leiter derſelben. Die Gattung iſt Vorſtellung uͤber- haupt, (repræſentatio). Unter ihr ſteht die Vorſtellung mit Bewuſtſeyn (perceptio). Eine Perception, die ſich lediglich auf das Subiect, als die Modification ſei- nes Zuſtandes bezieht, iſt Empfindung, (ſenſatio) ei- ne obiective Perception iſt Erkentniß (cognitio). Die- ſe iſt entweder Anſchauung oder Begriff (intuitus vel conceptus). Jene bezieht ſich unmittelbar auf den Ge- genſtand und iſt einzeln, dieſer mittelbar, vermittelſt ei- nes Merkmals, was mehrerern Dingen gemein ſeyn kan. Der Begriff iſt entweder ein empiriſcher oder reiner Be- griff, und der reine Begriff, ſo fern er lediglich im Ver- ſtande ſeinen Urſprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Moͤglichkeit der Erfahrung uͤberſteigt, iſt die Idee, oder der Vernunftbegriff. Dem, der ſich einmal an dieſe Unterſcheidung gewoͤhnt hat, muß es unertraͤglich fallen, die Vorſtellung der rothen Farbe Idee nennen zu hoͤren. Sie iſt nicht einmal Notion (Verſtandes- begriff) zu nennen. [Abbildung] Des [321/0351] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. Des Erſten Buchs der transſcendentalen Dialectik Zweiter Abſchnitt. Von den transſcendentalen Ideen. Die transſcendentale Analytik gab uns ein Beyſpiel, wie die bloſſe logiſche Form unſerer Erkentniß den Urſprung von reinen Begriffen a priori enthalten koͤnne, welche vor aller Erfahrung Gegenſtaͤnde vorſtellen, oder vielmehr die ſynthetiſche Einheit anzeigen, welche allein eine empiriſche Erkentniß von Gegenſtaͤnden moͤglich macht. Die Form der Urtheile (in einen Begriff von der Syn- theſis der Anſchauungen verwandelt) brachte Categorien hervor, welche allen Verſtandesgebrauch in der Erfahrung leiten. Eben ſo koͤnnen wir erwarten: daß die Form der Vernunftſchluͤſſe, wenn man ſie auf die ſynthetiſche Ein- heit der Anſchauungen, nach Maaßgebung der Categorien anwendet, den Urſprung beſonderer Begriffe a priori ent- halten werde, welche wir reine Vernunftbegriffe, oder transſcendentale Ideen nennen koͤnnen, und die den Verſtandesgebrauch im Ganzen der geſamten Erfahrung nach Principien beſtimmen werden. Die Function der Vernunft bey ihren Schluͤſſen be- ſtand in der Allgemeinheit der Erkentniß nach Begriffen, und der Vernunftſchluß ſelbſt iſt ein Urtheil, welches a prio- X [322/0352] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. priori in dem ganzen Umfange ſeiner Bedingung beſtimt wird. Den Satz: Caius iſt ſterblich, koͤnte ich auch blos durch den Verſtand, aus der Erfahrung ſchoͤpfen. Allein ich ſuche einen Begriff, der die Bedingung enthaͤlt, un- ter welcher das Praͤdicat (Aſſertion uͤberhaupt) dieſes Ur- theils gegeben wird, (d. i. hier den Begriff des Menſchen) und nachdem ich unter dieſe Bedingung, in ihrem ganzen Umfange genommen, (alle Menſchen ſind ſterblich) ſub- ſumirt habe: ſo beſtimme ich darnach. die Erkentniß mei- nes Gegenſtandes (Caius iſt ſterblich). Demnach reſtringiren wir in der Concluſion eines Vernunftſchluſſes ein Praͤdicat auf einen gewiſſen Gegen- ſtand, nachdem wir es vorher in dem Oberſatz in ſeinem ganzen Umfange unter einer gewiſſen Bedingung gedacht haben, dieſe vollendete Groͤſſe des Umfanges, in Beziehung auf eine ſolche Bedingung, heißt die Allgemeinheit (Vni- verſalitas). Dieſer entſpricht in der Syntheſis der An- ſchauungen die Allheit (Vniverſitas) oder Totalitaͤt der Bedingungen. Alſo iſt der transſcendentale Vernunftbe- griff kein anderer, als der von der Totalitaͤt der Bedin- gungen zu einem gegebenen bedingten. Da nun das Un- bedingte allein die Totalitaͤt der Bedingungen moͤglich macht und umgekehrt die Totalitaͤt der Bedingungen ieder- zeit ſelbſt unbedingt iſt: ſo kan ein reiner Vernunftbegriff uͤberhaupt durch den Begriff des Unbedingten, ſo fern er einen Grund der Syntheſis des Bedingten enthaͤlt, er- klaͤrt werden. So [323/0353] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. So viel Arten des Verhaͤltniſſes es nun giebt, die der Verſtand vermittelſt der Categorien ſich vorſtellt, ſo vielerley reine Vernunftbegriffe wird es auch geben, und es wird alſo erſtlich ein Unbedingtes der categoriſchen Syn- theſis in einem Subiect, zweitens der hypothetiſchen Syntheſis der Glieder einer Reihe, drittens der disiun- ctiven Syntheſis der Theile in einem Syſtem zu ſuchen ſeyn. Es giebt nemlich eben ſo viel Arten von Vernunft- ſchluͤſſen, deren iede durch Proſyllogiſmen zum Unbedingten fortſchreitet, die eine zum Subiect, welches ſelbſt nicht mehr Praͤdicat iſt, die andre zur Vorausſetzung, die nichts weiter vorausſezt, und die dritte zu einem Aggregat der Glieder der Eintheilung, zu welchen nichts weiter erfor- derlich iſt, um die Eintheilung eines Begriffs zu vollenden. Daher ſind die reine Vernunftbegriffe von der Totalitaͤt in der Syntheſis der Bedingungen wenigſtens als Aufga- ben, um die Einheit des Verſtandes, wo moͤglich, bis zum Unbedingten fortzuſetzen, nothwendig und in der Na- tur der menſchlichen Vernunft gegruͤndet, es mag auch uͤbrigens dieſen transſcendentalen Begriffen an einem ih- nen angemeſſenen Gebrauch in concreto fehlen und ſie mithin keinen andern Nutzen haben, als den Verſtand in die Richtung zu bringen, darin ſein Gebrauch, indem er aufs aͤuſſerſte erweitert, zugleich mit ſich ſelbſt durchge- hend einſtimmig gemacht wird. In- X 2 [324/0354] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Indem wir aber hier von der Totalitaͤt der Bedin- gungen und dem Unbedingten, als dem gemeinſchaftlichen Titel aller Vernunftbegriffe reden, ſo ſtoßen wir wiederum auf einen Ausdruck, den wir nicht entbehren und gleich- wol, nach einer ihm durch langen Mißbrauch anhaͤngen- den Zweideutigkeit, nicht ſicher brauchen koͤnnen. Das Wort abſolut iſt eines von den wenigen Woͤrtern, die in ihrer uranfaͤnglichen Bedeutung einem Begriffe angemeſſen worden, welchem nach der Hand gar kein anderes Wort eben derſelben Sprache genau anpaßt, und deſſen Ver- luſt, oder welches eben ſo viel iſt, ſein ſchwankender Ge- brauch daher auch den Verluſt des Begriffs ſelbſt nach ſich ziehen muß, und zwar eines Begriffs, der, weil er die Vernunft gar ſehr beſchaͤftigt, ohne großen Nachtheil aller transſcendentalen Beurtheilungen nicht entbehrt wer- den kan. Das Wort abſolut wird iezt oͤfters gebraucht, um blos anzuzeigen: daß etwas von einer Sache an ſich ſelbſt betrachtet und alſo innerlich gelte. In dieſer Be- deutung wuͤrde abſolutmoͤglich das bedeuten, was an ſich ſelbſt (interne) moͤglich iſt, welches in der That das we- nigſte iſt, was man von einem Gegenſtande ſagen kan. Dagegen wird es auch bisweilen gebraucht, um anzuzeigen, daß etwas in aller Beziehung (uneingeſchraͤnkt) guͤltig iſt, (z. B. die abſolute Herrſchaft) und abſolutmoͤglich wuͤrde in dieſer Bedeutung dasienige bedeuten, was in aller Ab- ſicht in aller Beziehung moͤglich iſt, welches wiederum das meiſte iſt, was ich uͤber die Moͤglichkeit eines Din- ges [325/0355] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. ges ſagen kan. Nun treffen zwar dieſe Bedeutungen mannigmahl zuſammen. So iſt z. E. was innerlich un- moͤglich iſt, auch in aller Beziehung, mithin abſolut unmoͤg- lich. Aber in den meiſten Faͤllen ſind ſie unendlich weit auseinander, und ich kan auf keine Weiſe ſchlieſſen: daß, weil etwas an ſich ſelbſt moͤglich iſt, es darum auch in aller Beziehung, mithin abſolut moͤglich ſey. Ja von der abſoluten Nothwendigkeit werde ich in der Folge zei- gen, daß ſie keinesweges in allen Faͤllen von der innern abhaͤnge, und alſo mit dieſer nicht als gleichbedeutend an- geſehen werden muͤſſe. Deſſen Gegentheil innerlich un- moͤglich iſt, deſſen Gegentheil iſt freilich auch in aller Ab- ſicht unmoͤglich, mithin iſt es ſelbſt abſolut nothwendig, aber ich kan nicht umgekehrt ſchlieſſen, was abſolut noth- wendig iſt, deſſen Gegentheil iſt innerlich unmoͤglich, d. i. die abſolute Rothwendigkeit der Dinge iſt eine innere Noth- wendigkeit; denn dieſe innere Nothwendigkeit iſt in gewiſ- ſen Faͤllen ein ganz leerer Ausdruck, mit welchem wir nicht den mindeſten Begriff verbinden koͤnnen; dagegen der, von der Nothwendigkeit eines Dinges in aller Beziehung, (auf alles Moͤgliche) ganz beſondere Beſtimmungen bey ſich fuͤhrt. Weil nun der Verluſt eines Begriffs von groſ- ſer Anwendung in der ſpeculativen Weltweisheit dem Phi- loſophen niemals gleichguͤltig ſeyn kan, ſo hoffe ich, es werde ihm die Beſtimmung und ſorgfaͤltige Aufbewahrung des Ausdrucks, an dem der Begriff haͤngt, auch nicht gleichguͤltig ſeyn. In X 3 [326/0356] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. In dieſer erweiterten Bedeutung werde ich mich denn des Worts: abſolut, bedienen und es dem blos com- parativ- oder in beſonderer Ruͤckſicht guͤltigen entgegenſe- tzen; denn dieſes leztere iſt auf Bedingungen reſtringirt, ienes aber gilt ohne Reſtriction. Nun geht der transſcendentale Vernunftbegriff ieder- zeit nur auf die abſolute Totalitaͤt in der Syntheſis der Bedingungen und endigt niemals, als bey dem ſchlecht- hin - d. i. in ieder Beziehung Unbedingten. Denn die reine Vernunft uͤberlaͤßt alles dem Verſtande, der ſich zu- naͤchſt auf die Gegenſtaͤnde der Anſchauung oder vielmehr deren Syntheſis in der Einbildungskraft bezieht. Jene behaͤlt ſich allein die abſolute Totalitaͤt im Gebrauche der Verſtandesbegriffe vor, und ſucht die ſynthetiſche Einheit, welche in der Categorie gedacht wird, bis zum Schlecht- hinunbedingten hinauszufuͤhren. Man kan daher dieſe die Vernunfteinheit der Erſcheinungen, ſo wie iene, wel- che die Categorie ausdruͤckt, Verſtandeseinheit nennen. So bezieht ſich demnach die Vernunft nur auf den Ver- ſtandesgebrauch und zwar nicht, ſo fern dieſer den Grund moͤglicher Erfahrung enthaͤlt, (denn die abſolute Totali- taͤt der Bedingungen iſt kein in einer Erfahrung brauch- barer Begriff, weil keine Erfahrung unbedingt iſt) ſon- dern um ihm die Richtung auf eine gewiſſe Einheit vorzu- ſchreiben, von der der Verſtand keinen Begriff hat und die darauf hinaus geht, alle Verſtandeshandlungen, in Anſe- [327/0357] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. Anſehung eines ieden Gegenſtandes, in ein abſolutes Ganze zuſammen zu faſſen. Daher iſt der obiective Ge- brauch der reinen Vernunftbegriffe iederzeit transſcendent, indeſſen daß der, von den reinen Verſtandesbegriffen, ſei- ner Natur nach iederzeit immanent ſeyn muß, indem er ſich blos auf moͤgliche Erfahrung einſchraͤnkt. Ich verſtehe unter der Idee einen nothwendigen Vernunftbegriff, dem kein congruirender Gegenſtand in den Sinnen gegeben werden kan. Alſo ſind unſere iezt erwogene reine Vernunftbegriffe transſcendentale Ideen. Sie ſind Begriffe der reinen Vernunft; denn ſie betrach- ten alles Erfahrungserkentniß als beſtimt durch eine abſo- lute Totalitaͤt der Bedingungen. Sie ſind nicht willkuͤr- lich erdichtet, ſondern durch die Natur der Vernunft ſelbſt aufgegeben, und beziehen ſich daher nothwendiger Weiſe auf den ganzen Verſtandesgebrauch. Sie ſind endlich transſcendent und uͤberſteigen die Graͤnze aller Erfah- rung, in welcher alſo niemals ein Gegenſtand vorkommen kan, der der transſcendentalen Idee adaͤquat waͤre. Wenn man eine Idee nent; ſo ſagt man, dem Obiect nach, (als von einem Gegenſtande des reinen Verſtandes) ſehr viel, dem Subiecte nach aber (d. i. in Anſehung ſeiner Wirk- lichkeit unter empiriſcher Bedingung) eben darum ſehr wenig, weil ſie, als der Begriff eines Maximum, in concreto niemals congruent kan gegeben werden. Weil nun das leztere im blos ſpeculativen Gebrauch der Ver- nunft X 4 [328/0358] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. nunft eigentlich die ganze Abſicht iſt, und die Annaͤherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausuͤbung doch nie- mals erreicht wird, eben ſo viel iſt, als ob der Begriff ganz und gar verfehler wuͤrde, ſo heißt es von einem der- gleichen Begriffe: er iſt nur eine Idee. So wuͤrde man ſagen koͤnnen: das abſolute Ganze aller Erſcheinungen iſt nur eine Idee, denn, da wir dergleichen niemals im Bilde entwerfen koͤnnen, ſo bleibt es ein Problem ohne alle Aufloͤſung. Dagegen, weil es im practiſchen Ge- brauch des Verſtandes ganz allein um die Ausuͤbung nach Regeln zu thun iſt, ſo kan die Idee der practiſchen Ver- nunft iederzeit wirklich, ob zwar nur zum Theil, in con- creto gegeben werden, ia ſie iſt die unentbehrliche Bedin- gung iedes practiſchen Gebrauchs der Vernunft. Ihre Ausuͤbung iſt iederzeit begraͤnzt und mangelhaft, aber un- ter nicht beſtimbaren Graͤnzen, alſo iederzeit unter dem Einfluſſe des Begriffs einer abſoluten Vollſtaͤndigkeit. Dem- nach iſt die practiſche Idee iederzeit hoͤchſt fruchtbar und in Anſehung der wirklichen Handlungen unumgaͤnglich noth- wendig. In ihr hat die reine Vernunft ſogar Cauſſalitaͤt, das wirklich hervorzubringen, was ihr Begriff enthaͤlt, da- her kan man von der Weisheit nicht gleichſam geringſchaͤ- tzig ſagen: ſie iſt nur eine Idee, ſondern eben darum, weil ſie die Idee von der nothwendigen Einheit aller moͤg- lichen Zwecke iſt, ſo muß ſie allem Practiſchen als ur- ſprungliche, zum wenigſten einſchraͤnkende, Bedingung zur Regel dienen. Ob [329/0359] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. Ob wir nun gleich von den transſcendentalen Ver- nunftbegriffen ſagen muͤſſen: ſie ſind nur Ideen, ſo werden wir ſie doch keinesweges vor uͤberfluͤßig und nichtig anzuſe- hen haben. Denn wenn ſchon dadurch kein Obiect be- ſtimt werden kan, ſo koͤnnen ſie doch im Grunde und un- bemerkt dem Verſtande zum Canon ſeines ausgebreiteten und einhelligen Gebrauchs dienen, dadurch er zwar keinen Gegenſtand mehr erkent, als er nach ſeinen Begriffen er- kennen wuͤrde, aber doch in dieſer Erkentniß beſſer und weiter geleitet wird. Zu geſchweigen: daß ſie vielleicht von den Naturbegriffen zu den practiſchen einen Uebergang moͤglich machen, und den moraliſchen Ideen ſelbſt auf ſolche Art Haltung und Zuſammenhang mit den ſpeculati- ven Erkentniſſen der Vernunft verſchaffen koͤnnen. Ueber alles dieſes muß man den Aufſchluß in dem Verfolg er- warten. Unſerer Abſicht gemaͤß ſetzen wir aber hier die practi- ſche Ideen bey Seite und betrachten daher die Vernunft nur im ſpeculativen, und in dieſem noch enger, nemlich nur im transſcendentalen Gebrauch. Hier muͤſſen wir nun denſelben Weg einſchlagen, den wir oben bey der De- duction der Categorien nahmen, nemlich die logiſche Form der Vernunfterkentniß erwaͤgen, und ſehen, ob nicht etwa die Vernunft dadurch auch ein Quell von Begriffen werde, Obiecte an ſich ſelbſt, als ſynthetiſch a priori beſtimt, in Anſehung einer oder der andern Function der Vernunft, anzuſehen. Ver- X 5 [330/0360] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Vernunft, als Vermoͤgen einer gewiſſen logiſchen Form der Erkentniß betrachtet, iſt das Vermoͤgen zu ſchlieſ- ſen, d. i. mittelbar (durch die Subſumtion der Bedingung eines moͤglichen Urtheils unter die Bedingung eines gegebe- nen) zu urtheilen. Das gegebene Urtheil iſt die allge- meine Regel (Oberſatz, Maior). Die Subſumtion der Bedingung eines andern moͤglichen Urtheils unter die Be- dingung der Regel iſt der Unterſatz (Minor), das wirkliche Urtheil, welches die Aſſertion der Regel in dem ſubſu- mirten Falle ausſagt, iſt der Schlußſatz (Concluſio). Die Regel nemlich ſagt etwas allgemein unter einer gewiſ- ſen Bedingung. Nun findet in einem vorkommenden Falle die Bedingung der Regel ſtatt. Alſo wird das, was unter iener Bedingung allgemein galt, auch in dem vor- kommenden Falle (der dieſe Bedingung bey ſich fuͤhrt) als guͤltig angeſehen. Man ſiehet leicht, daß die Ver- nunft durch Verſtandeshandlungen, welche eine Reihe von Bedingungen ausmachen, zu einem Erkentniſſe gelange. Wenn ich zu dem Satze: alle Coͤrper ſind veraͤnderlich, nur dadurch gelange, daß ich von dem entfernetern Erkentniß, (worin der Begriff des Coͤrpers noch nicht vorkomt, der aber doch davon die Bedingung enthaͤlt) anfange: alles zuſammengeſezte iſt veraͤnderlich, von dieſem zu einem naͤheren gehe, der unter der Bedingung des erſteren ſteht: die Coͤrper ſind zuſammengeſezt, und von dieſem allererſt zu einem dritten, der nunmehr das entfernte Erkentniß (veraͤnderlich) mit der vorliegenden verknuͤpft: folglich ſind [331/0361] II. Abſch. Von den transſcendent. Ideen. ſind die Coͤrper veraͤnderlich, ſo bin ich durch eine Reihe von Bedingungen (Praͤmiſſen) zu einer Erkentniß (Con- cluſion) gelanget. Nun laͤßt ſich eine iede Reihe, deren Exponent (des categoriſchen oder hypothetiſchen Urtheils) gegeben iſt, fortſetzen, mithin fuͤhrt eben dieſelbe Vernunft- handlung zur ratiocinatio polyſyllogiſtica, welches eine Reihe von Schluͤſſen iſt, die entweder auf die Seite der Bedingungen (per proſyllogismos), oder des Beding- ten (per epiſyllogismos), in unbeſtimmte Weiten fort- geſetzet werden kan. Man wird aber bald inne: daß die Kette, oder Reihe der Proſyllogismen, d. i. der gefolgerten Erkentniſſe auf der Seite der Gruͤnde, oder der Bedingungen zu einem gegebenen Erkentniß, mit andern Worten: die aufſteigen- de Reihe der Vernunftſchluͤſſe ſich gegen das Vernunft- vermoͤgen doch anders verhalten muͤſſe, als die abſteigen- de Reihe, d. i. der Fortgang der Vernunft auf der Seite des Bedingten durch Epiſyllogismen. Denn, da im erſte- ren Falle das Erkentniß (concluſio) nur als bedingt ge- geben iſt: ſo kan man zu demſelben vermittelſt der Ver- nunft nicht anders gelangen, als wenigſtens unter der Vorausſetzung: daß alle Glieder der Reihe auf der Seite der Bedingungen gegeben ſind, (Totalitaͤt in der Reihe der Praͤmiſſen) weil nur unter deren Vorausſetzung das vor- liegende Urtheil a priori moͤglich iſt; dagegen auf der Seite des Bedingten, oder der Folgerungen, nur eine werden- de [332/0362] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. de und nicht ſchon ganz vorausgeſezte oder gegebene Reihe, mithin nur ein potentialer Fortgang gedacht wird. Da- her wenn eine Erkentniß als bedingt angeſehen wird, ſo iſt die Vernunft genoͤthigt, die Reihe der Bedingungen in aufſteigender Linie als vollendet und ihrer Totalitaͤt nach gegeben anzuſehen. Wenn aber eben dieſelbe Erkentniß zugleich als Bedingung anderer Erkentniſſe angeſehen wird, die unter einander eine Reihe von Folgerungen in abſteigender Linie ausmachen, ſo kan die Vernunft ganz gleichguͤltig ſeyn, wie weit dieſer Fortgang ſich a parte poſteriori erſtrecke, und ob gar uͤberall Totalitaͤt dieſer Reihe moͤglich ſey; weil ſie einer dergleichen Reihe zu der vor ihr liegenden Concluſion nicht bedarf, indem dieſe durch ihre Gruͤnde a parte priori ſchon hinreichend beſtimt und geſichert iſt. Es mag nun ſeyn: daß auf der Seite der Bedingungen die Reihe der Praͤmiſſen ein Erſtes habe, als oberſte Bedingung oder nicht, und alſo a parte priori ohne Graͤnzen, ſo muß ſie doch Totalitaͤt der Bedingung enthalten, geſetzt, daß wir niemals dahin gelangen koͤn- ten, ſie zu faſſen, und die ganze Reihe muß unbedingt wahr ſeyn, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entſpringende Folgerung angeſehen wird, als wahr gelten ſoll. Dieſes iſt eine Foderung der Vernunft, die ihr Er- kentniß als a priori beſtimt und als nothwendig ankuͤndigt, entweder an ſich ſelbſt, und denn bedarf es keiner Gruͤnde, oder, wenn es abgeleitet iſt, als ein Glied einer Reihe von Gruͤnden, die ſelbſt unbedingter Weiſe wahr iſt. Des [333/0363] III. Abſch. Syſtem der transſcendent. Ideen. Des Erſten Buchs der transſcendentalen Dialectik Dritter Abſchnitt. Syſtem der transſcendentalen Ideen. Wir haben es hier nicht mit einer logiſchen Dialectik zu thun, welche von allem Inhalte der Erkent- niß abſtrahirt und lediglich den falſchen Schein in der Form der Vernunftſchluͤſſe aufdekt, ſondern mit einer transſcendentalen, welche, voͤllig a priori, den Urſprung gewiſſer Erkentniſſe aus reiner Vernunft und geſchloſſener Begriffe, deren Gegenſtand empiriſch gar nicht gegeben werden kan, die alſo gaͤnzlich auſſer dem Vermoͤgen des reinen Verſtandes liegen, enthalten ſoll. Wir haben aus der natuͤrlichen Beziehung, die der transſcendentale Ge- brauch unſerer Erkentniß, ſowol in Schluͤſſen, als Urthei- len, auf den logiſchen haben muß, abgenommen: daß es nur drey Arten von Dialectiſchen Schluͤſſen geben werde, die ſich auf die dreyerley Schlußarten beziehen, durch wel- che Vernunft aus Principien zu Erkentniſſen gelangen kan, und daß in allem ihr Geſchaͤfte ſey, von der bedingten Syntheſis, an die der Verſtand iederzeit gebunden bleibt, zur unbedingten aufzuſteigen, die er niemals erreichen kan. Nun iſt das allgemeine aller Beziehung, die unſere Vorſtellungen haben koͤnnen, 1) die Beziehung aufs Sub- iect, 2) die Beziehung auf Obiecte und zwar, entweder erſt- [334/0364] Elmentarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. erſtlich als Erſcheinungen, oder als Gegenſtaͤnde des Den- kens uͤberhaupt. Wenn man dieſe Untereintheilung mit der oberen verbindet, ſo iſt alles Verhaͤltniß der Vorſtellun- gen, davon wir uns entweder einen Begriff, oder Idee machen koͤnnen, dreyfach: 1. das Verhaͤltniß zum Subiect, 2. zum Mannigfaltigen des Obiects in der Erſcheinung, 3. zu allen Dingen uͤberhaupt. Nun haben es alle reine Begriffe uͤberhaupt mit der ſynthetiſchen Einheit der Vorſtellungen, Begriffe der rei- nen Vernunft (transſcendentale Ideen) aber mit der un- bedingten ſynthetiſchen Einheit aller Bedingungen uͤberhaupt zu thun. Folglich werden alle transſcendentale Ideen ſich unter drey Claſſen bringen laſſen, davon die erſte die ab- ſolute (unbedingte) Einheit des denkenden Subiects, die zweite die abſolute Einheit der Reihe der Bedin- gungen der Erſcheinung, die dritte die abſolute Einheit der Bedingung aller Gegenſtaͤnde des Denkens uͤber- haupt enthaͤlt. Das denkende Subiect iſt der Gegenſtand der Pſy- chologie, der Inbegriff aller Erſcheinungen (die Welt) der Gegenſtand der Cosmologie und das Ding, welches die oberſte Bedingung der Moͤglichkeit von allem, was gedacht werden kan, enthaͤlt, (das Weſen aller Weſen) der Ge- genſtand der Theologie. Alſo giebt die reine Vernunft die Idee zu einer transſcendentalen Seelenlehre (pſycho- logia rationalis), zu einer transſcendentalen Weltwiſſen- ſchaft (cosmologia rationalis), endlich auch zu einer trans- ſcen- [335/0365] III. Abſch. Syſtem der transſcendent. Ideen. ſcendentalen Gotteserkentniß (Theologia transſcenden- talis) an die Hand. Der bloſſe Entwurf ſo gar zu einer ſowol als der andern dieſer Wiſſenſchaften, ſchreibt ſich gar nicht von dem Verſtande her, ſelbſt, wenn er gleich mit dem hoͤchſten logiſchen Gebrauche der Vernunft, d. i. allen erdenklichen Schluͤſſen verbunden waͤre, um von ei- nem Gegenſtande deſſelben (Erſcheinung) zu allen anderen bis in die entlegenſte Glieder der empiriſchen Syntheſis fortzuſchreiten, ſondern iſt lediglich ein reines und aͤchtes Product, oder Problem, der reinen Vernunft. Was unter dieſen drey Titeln aller transſcendentalen Ideen vor modi der reinen Vernunftbegriffe ſtehen, wird in dem folgenden Hauptſtuͤcke vollſtaͤndig dargelegt wer- den. Sie laufen am Faden der Categorien fort. Denn die reine Vernunft bezieht ſich niemals gerade zu auf Ge- genſtaͤnde, ſondern auf die Verſtandesbegriffe von denſelben. Eben ſo wird ſich auch nur in der voͤlligen Ausfuͤhrung deutlich machen laſſen, wie die Vernunft lediglich durch den ſynthetiſchen Gebrauch eben derſelben Function, deren ſie ſich zum categoriſchen Vernunftſchluſſe bedient, nothwendi- ger Weiſe auf den Begriff der abſoluten Einheit des den- kenden Subiects kommen muͤſſe, wie das logiſche Ver- fahren in hypothetiſchen die Idee vom Schlechthinunbeding- ten in einer Reihe gegebener Bedingungen, endlich die bloſſe Form des disiunctiven Vernunftſchluſſes den hoͤchſten Ver- nunftbegriff von einem Weſen aller Weſen nothwendiger Weiſe [336/0366] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Weiſe nach ſich ziehen muͤſſe, ein Gedanke der, beym er- ſten Anblick, aͤuſſerſt paradox zu ſeyn ſcheint. Von dieſen transſcendentalen Ideen iſt eigentlich kei- ne obiective Deduction moͤglich, ſo wie wir ſie von den Categorien liefern konten. Denn in der That haben ſie keine Beziehung auf irgend ein Obiect, was ihnen congru- ent gegeben werden koͤnte, eben darum, weil ſie nur Ideen ſind. Aber eine ſubiective Ableitung derſelben aus der Natur unſerer Vernunft konten wir unternehmen und die iſt im gegenwaͤrtigen Hauptſtuͤcke auch geleiſtet worden. Man ſieht leicht: daß die reine Vernunft nichts an- ders zur Abſicht habe, als die abſolute Totalitaͤt der Syn- theſis auf der Seite der Bedingungen (es ſey der In- haͤrenz, oder der Dependenz, oder der Concurrenz) und daß ſie mit der abſoluten Vollſtaͤndigkeit von Seiten des Bedingten nichts zu ſchaffen habe. Denn nur allein ie- ner bedarf ſie, um die ganze Reihe der Bedingungen vor- auszuſetzen, und ſie dadurch dem Verſtande a priori zu geben. Iſt aber eine vollſtaͤndig (und unbedingt) gege- bene Bedingung einmal da, ſo bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs in Anſehung der Fortſetzung der Reihe; denn der Verſtand thut ieden Schritt abwerts, von der Bedingung zum Bedingten, von ſelber. Auf ſolche Wei- ſe dienen die transſcendentale Ideen nur zum Aufſteigen in der Reihe der Bedingungen, bis zum Unbedingten, d. i. zu den Principien. In Anſehung des Hinabgehens zum Be- [337/0367] III. Abſch. Syſtem der transſcendent. Ideen. Bedingten aber, giebt es zwar einen weit erſtrekten logiſchen Gebrauch, den unſere Vernunft von den Verſtandesgeſe- tzen macht, aber gar keinen transſcendentalen, und, wenn wir uns von der abſoluten Totalitaͤt einer ſolchen Synthe- ſis (des progreſſus) eine Idee machen, z. B. von der ganzen Reihe aller kuͤnftigen Weltveraͤnderungen, ſo iſt dieſes ein Gedankending (ens rationis), welches nur will- kuͤhrlich gedacht, und nicht durch die Vernunft nothwen- dig vorausgeſezt wird. Denn zur Moͤglichkeit des Be- dingten wird zwar die Totalitaͤt ſeiner Bedingungen, aber nicht ſeiner Folgen vorausgeſezt. Folglich iſt ein ſolcher Begriff keine transſcendentale Idee, mit der wir es doch hier lediglich zu thun haben. Zulezt wird man auch gewahr: daß unter den trans- ſcendentalen Ideen ſelbſt ein gewiſſer Zuſammenhang und Einheit hervorleuchte, und daß die reine Vernunft, vermit- telſt ihrer, alle ihre Erkentniſſe in ein Syſtem bringe. Von der Erkentniß ſeiner ſelbſt (der Seele) zur Welterkentniß, und, vermittelſt dieſer, zum Urweſen fortzugehen iſt ein ſo natuͤrlicher Fortſchritt, daß er dem logiſchen Fortgange der Vernunft, von den Praͤmiſſen zum Schlußſatze aͤhn- lich ſcheint. Ob nun hier wirklich eine Verwandſchaft von der Art, als zwiſchen dem logiſchen und transſcenden- talen Verfahren, in geheim zum Grunde liege, iſt auch eine von den Fragen, deren Beantwortung man in dem Verfolg dieſer Unterſuchungen allererſt erwarten muß. Wir Y [338/0368] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wir haben vorlaͤufig unſern Zweck ſchon erreicht: da wir die transſcendentale Begriffe der Vernunft, die ſich ſonſt gewoͤhnlich in der Theorie der Philoſophen unter andere miſchen, ohne daß dieſe ſie einmal von Verſtandesbegriffen gehoͤrig unterſcheiden, aus dieſer zweideutigen Lage haben herausziehen, ihren Urſprung, und dadurch zugleich ihre beſtimte Zahl, uͤber die es gar keine mehr geben kan, an- geben und ſie in einem ſyſtematiſchen Zuſammenhange ha- ben vorſtellen koͤnnen, wodurch ein beſonderes Feld vor die reine Vernunft abgeſtekt und eingeſchraͤnkt wird. Der Transſcendentalen Dialectik Zweites Buch. Von den dialectiſchen Schluͤſſen der reinen Vernunft. Man kan ſagen: der Gegenſtand einer bloſſen trans- ſcendentalen Idee ſey etwas, wovon man keinen Begriff hat, obgleich dieſe Idee ganz nothwendig in der Vernunft nach ihren urſpruͤnglichen Geſetzen erzeugt wor- den. Denn in der That iſt auch von einem Gegenſtande, der der Foderung der Vernunft adaͤquat ſeyn ſoll, kein Verſtandesbegriff moͤglich, d. i. ein ſolcher, welcher in einer moͤglichen Erfahrung gezeigt und anſchaulich gemacht wer- [339/0369] Von den dialect. Schluͤſſen d. r. Vernunft. werden kan. Beſſer wuͤrde man ſich doch, und mit we- niger Gefahr des Mißverſtaͤndniſſes ausdruͤcken, wenn man ſagte: daß wir vom Obiect, welches einer Idee correſpon- dirt, keine Kentniß, obzwar einen problematiſchen Begriff haben koͤnnen. Nun beruhet wenigſtens die transſcendentale (ſub- iective) Realitaͤt der reinen Vernunftbegriffe darauf: daß wir durch einen nothwendigen Vernunftſchluß auf ſolche Ideen gebracht werden. Alſo wird es Vernunftſchluͤſſe geben, die keine empiriſche Praͤmiſſen enthalten und ver- mittelſt deren wir von etwas, das wir kennen, auf et- was anderes ſchlieſſen, wovon wir doch keinen Begriff ha- ben und dem wir gleichwol, durch einen unvermeidlichen Schein, obiective Realitaͤt geben. Dergleichen Schluͤſſe ſind in Anſehung ihres Reſultats alſo eher vernuͤnftelnde, als Vernunftſchluͤſſe zu nennen; wiewol ſie, ihrer Ver- anlaſſung wegen, wol den lezteren Namen fuͤhren koͤnnen, weil ſie doch nicht erdichtet, oder zufaͤllig entſtanden, ſon- dern aus der Natur der Vernunft entſprungen ſind. Es ſind Sophiſticationen, nicht der Menſchen, ſondern der reinen Vernunft ſelbſt, von denen ſelbſt der Weiſeſte unter allen Menſchen ſich nicht losmachen, und vielleicht zwar nach vieler Bemuͤhung den Irrthum verhuͤten, den Schein aber, der ihn unaufhoͤrlich zwakt und aͤfft, niemals voͤl- lig los werden kan. Dieſer dialectiſchen Vernunftſchluͤſſe giebt es alſo nur dreierley Arten, ſo vielfach, als die Ideen ſind, auf die Y 2 [340/0370] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. die ihre Schlußſaͤtze auslaufen. In dem Vernunftſchluſſe der erſten Claſſe ſchlieſſe ich von dem transſcendentalen Begriffe des Subiects, der nichts Mannigfaltiges enthaͤlt, auf die abſolute Einheit dieſes Subiects ſelber, von wel- chem ich auf dieſe Weiſe gar keinen Begriff habe. Die- ſen dialectiſchen Schluß werde ich den transſcendentalen Paralogismus nennen. Die zweite Claſſe der vernuͤnf- telnden Schluͤſſe iſt auf den transſcendentalen Begriff der abſoluten Totalitaͤt, der Reihe der Bedingungen zu einer gegebenen Erſcheinung uͤberhaupt, angelegt und ich ſchlieſſe daraus, daß ich von der unbedingten ſynthetiſchen Ein- heit der Reihe auf einer Seite, iederzeit einen ſich ſelbſt wider- ſprechenden Begriff habe, auf die Richtigkeit der entgegen- ſtehenden Einheit, wovon ich gleichwol auch keinen Begriff hade. Den Zuſtand der Vernunft bey dieſen dialectiſchen Schluͤſſen, werde ich die Antinomie der reinen Vernunft nennen. Endlich ſchlieſſe ich, nach der dritten Art ver- nuͤnftelnder Schluͤſſe, von der Totalitaͤt der Bedingungen, Gegenſtaͤnde uͤberhaupt, ſo fern ſie mir gegeben werden koͤnnen, zu denken, auf die abſolute ſynthetiſche Einheit aller Bedingungen der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt, d. i. von Dingen, die ich nach ihrem bloſſen transſcenden- talen Begriff nicht kenne, auf ein Weſen aller Weſen, wel- ches ich durch einen transſcendenten Begriff noch weniger kenne und von deſſen unbedingter Nothwendigkeit ich mir kei- nen Begriff machen kann. Dieſen dialectiſchen Vernunft- ſchluß werde ich das Ideal der reinen Vernunft nennen. Der [341/0371] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Des Zweiten Buchs der transſcendentalen Dialectik Erſtes Hauptſtuͤck. Von den Paralogismen der reinen Vernunft. Der logiſche Paralogismus beſteht in der Falſchheit ei- nes Vernunftſchluſſes der Form nach, ſein Inhalt mag uͤbrigens ſeyn, welcher er wolle. Ein transſcenden- taler Paralogismus aber hat einen transſcendentalen Grund: der Form nach falſch zu ſchlieſſen. Auf ſolche Weiſe wird ein dergleichen Fehlſchluß in der Natur der Menſchenvernunft ſeinen Grund haben und eine unvermeid- liche, obzwar nicht unaufloͤsliche Illuſion bey ſich fuͤhren. Jezt kommen wir auf einen Begriff, der oben, in der allgemeinen Liſte der transſcendentalen Begriffe, nicht verzeichnet worden, und dennoch dazu gezehlt werden muß, ohne doch darum iene Tafel im mindeſten zu veraͤndern und vor mangelhaft zu erklaͤren. Dieſes iſt der Begriff, oder, wenn man lieber will, das Urtheil: Ich denke. Man ſieht aber leicht: daß er das Vehikel aller Begriffe uͤberhaupt und mithin auch der transſcendentalen ſey und alſo unter dieſen iederzeit mit begriffen werde, und daher eben ſowol transſcendental ſey, aber keinen beſondern Ti- tel haben koͤnne, weil er nur dazu dient, alles Denken, als zum Bewuſtſeyn gehoͤrig, aufzufuͤhren. Indeſſen, ſo rein Y 3 [342/0372] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. rein er auch vom Empiriſchen (dem Eindrucke der Sinne) iſt, ſo dient er doch dazu, zweierley Gegenſtaͤnde aus der Natur unſerer Vorſtellungskraft zu unterſcheiden. Ich, als denkend, bin ein Gegenſtand des innern Sinnes und heiſſe Seele. Dasienige, was ein Gegenſtand aͤuſſerer Sinne iſt, heißt Coͤrper. Demnach bedeutet der Ausdruck: Ich, als ein denkend Weſen, ſchon den Gegenſtand der Pſychologie, welche die rationale Seelenlehre heiſſen kan, wenn ich von der Seele nichts weiter zu wiſſen verlange, als was unab- haͤngig von aller Erfahrung (welche mich naͤher und in concreto beſtimt) aus dieſem Begriffe Ich, ſo fern er bey allem Denken vorkomt, geſchloſſen werden kan. Die rationale Seelenlehre iſt nun wirklich ein Un- terfangen von dieſer Art, denn wenn das mindeſte Empi- riſche meines Denkens, irgend eine beſondere Wahrneh- mung meines inneren Zuſtandes, noch unter die Erkent- nißgruͤnde dieſer Wiſſenſchaft gemiſcht wuͤrde, ſo waͤre ſie nicht mehr rationale, ſondern empiriſche Seelenlehre. Wir haben alſo ſchon eine angebliche Wiſſenſchaft vor uns, welche auf dem einzigen Satze: Ich denke, erbaut worden und deren Grund oder Ungrund wir hier ganz ſchicklich, und der Natur einer Transſcendentalphiloſophie gemaͤß, unterſuchen koͤnnen. Man darf ſich daran nicht ſtoſſen daß ich doch an dieſem Satze, der die Wahrnehmung ſei- ner Selbſt ausdruͤkt, eine innere Erfahrung habe, und mithin die rationale Seelenlehre, welche darauf erbauet wird, [343/0373] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. wird, niemals rein, ſondern zum Theil auf ein empiri- ſches Principium gegruͤndet ſey. Denn dieſe innere Wahr- nehmung iſt nichts weiter, als die bloſſe Apperception: Ich denke, welche ſogar alle transſcendentale Begriffe moͤglich macht, in welchen es heißt: Ich denke die Sub- ſtanz, die Urſache ꝛc. Denn innere Erfahrung uͤberhaupt und deren Moͤglichkeit, oder Wahrnehmung uͤberhaupt und deren Verhaͤltniß zu anderer Wahrnehmung, ohne das irgend ein beſonderer Unterſchied derſelben und Be- ſtimmung empiriſch gegeben iſt, kan nicht als empiriſche Erkentniß, ſondern muß als Erkentniß des Empiriſchen uͤberhaupt angeſehen werden, und gehoͤrt zur Unterſuchung der Moͤglichkeit einer ieden Erfahrung, welche allerdings transſcendental iſt. Das mindeſte Obiect der Wahrneh- mung (z. B. nur Luſt oder Unluſt), welche zu der allge- meinen Vorſtellung des Selbſtbewuſtſeyns hinzu kaͤme, wuͤrde die rationale Pſychologie ſogleich in eine empiriſche verwandeln. Ich denke, iſt alſo der alleinige Text der rationalen Pſychologie, aus welchem ſie ihre ganze Weisheit auswi- ckeln ſoll. Man ſieht leicht: daß dieſer Gedanke, wenn er auf einen Gegenſtand (mich ſelbſt) bezogen werden ſoll, nichts anders, als transſcendentale Praͤdicate deſſelben enthalten koͤnne; weil das mindeſte empiriſche Praͤdicat die rationale Reinigkeit und Unabhaͤngigkeit der Wiſſenſchaft von aller Erfahrung, verderben wuͤrde. Wir Y 4 [344/0374] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wir werden aber hier blos dem Leitfaden der Cate- gorien zu folgen haben, nur, da hier zuerſt ein Ding, Ich, als denkend Weſen, gegeben worden, ſo werden wir zwar die obige Ordnung der Categorien unter einander, wie ſie in ihrer Tafel vorgeſtellet iſt, nicht veraͤndern, aber doch, hier von der Categorie der Subſtanz anfangen, dadurch ein Ding an ſich ſelbſt vorgeſtellet wird, und ſo ihrer Reihe ruͤckwerts nachgehen. Die Topik der rationalen Seelen- lehre, woraus alles uͤbrige, was ſie nur enthalten mag, abgeleitet werden muß, iſt demnach folgende: 1. Die Seele iſt Subſtanz 2. Ihrer Qualitaͤt nach Einfach 3. Den verſchiedenen Zeiten nach, in welchen ſie da iſt, numeriſch-identiſch, d. i. Einheit (nicht Vielheit.) 4. Im Verhaͤltniſſe zu moͤglichen Gegenſtaͤnden im Raume *). Aus *) Der Leſer, der aus dieſen Ausdruͤcken, in ihrer trans- ſcendentalen Abgezogenheit, nicht ſo leicht den pſychologi- ſchen Sinn derſelben und warum das leztere Attribut der Seele zur Categorie der Exiſtenz gehoͤre, errathen wird, wird ſie in dem folgenden hinreichend erklaͤrt und gerecht- fer- [345/0375] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Aus dieſen Elementen entſpringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre, lediglich durch die Zuſammenſetzung, ohne im mindeſten ein anderes Principium zu erkennen. Dieſe Subſtanz, blos als Gegenſtand des inneren Sinnes, giebt den Begriff der Immaterialitaͤt, als einfache Sub- ſtanz, der Incorruptibilitaͤt, die Identitaͤt derſelben, als intellectueller Subſtanz, giebt die Perſonalitaͤt, alle dieſe drey Stuͤcke zuſammen die Spiritualitaͤt, das Verhaͤlt- niß zu den Gegenſtaͤnden im Raume giebt das Commer- cium mit Coͤrpern, mithin ſtellet ſie die denkende Sub- ſtanz, als das Principium des Lebens in der Materie, d. i. ſie als Seele (anima) und als den Grund der Anima- litaͤt vor, dieſe durch die Spiritualitaͤt eingeſchraͤnkt, Im- mortalitaͤt. Hierauf beziehen ſich nun vier Paralogismen einer transſcendentalen Seelenlehre, welche faͤlſchlich vor eine Wiſſenſchaft der reinen Vernunft, von der Natur unſe- res denkenden Weſens, gehalten wird. Zum Grunde der- ſelben koͤnnen wird aber nichts anderes legen, als die ein- fache und vor ſich ſelbſt an Inhalt gaͤnzlich leere Vorſtel- lung *) *) fertigt finden. Uebrigens habe ich wegen der lateiniſchen Ausdruͤcke, die ſtatt der gleichbedeutenden deutſchen, wi- der den Geſchmack der guten Schreibart, eingefloſſen ſind, ſowol bey dieſem Abſchnitte, als auch in Anſehung des ganzen Werks, zur Entſchuldigung anzufuͤhren: daß ich lieber etwas der Zierlichkeit der Sprache habe entzie- hen, als den Schulgebrauch durch die mindeſte Unver- ſtaͤndlichkeit erſchweren wollen. Y 5 [346/0376] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. lung: Ich, von der man nicht einmal ſagen kan: daß ſie ein Begriff ſey, ſondern ein bloſſes Bewuſtſeyn, das alle Begriffe begleitet. Durch dieſes Ich, oder Er, oder Es (das Ding) welches denket, wird nun nichts weiter, als ein transſcendentales Subiect der Gedanken vorgeſtellt = X, welches nur durch die Gedanken, die ſeine Praͤdi- cate ſind, erkant wird und wovon wir, abgeſondert, nie- mals den mindeſten Begriff haben koͤnnen, um welches wir uns daher in einem beſtaͤndigen Cirkel herumdrehen, indem wir uns ſeiner Vorſtellung iederzeit ſchon bedienen muͤſſen, um irgend etwas von ihm zu urtheilen; eine Un- bequemlichkeit, die davon nicht zu trennen iſt, weil das Bewuſtſeyn an ſich nicht ſowol eine Vorſtellung iſt, die ein beſonderes Obiect unterſcheidet, ſondern eine Form derſel- ben uͤberhaupt, ſo fern ſie Erkentniß genant werden ſoll; denn von der allein kan ich ſagen, daß ich dadurch irgend etwas denke. Es muß aber gleich anfangs befremdlich ſcheinen: daß die Bedingung, unter der ich uͤberhaupt denke und die mithin blos eine Beſchaffenheit meines Subiects iſt, zugleich vor alles, was denkt, guͤltig ſeyn ſolle, und daß wir auf einen empiriſch ſcheinenden Satz ein apodictiſches und allgemeines Urtheil zu gruͤnden uns anmaſſen koͤnnen, nemlich: daß alles, was denkt, ſo beſchaffen ſey, als der Ausſpruch des Selbſtbewuſtſeyns es an mir ausſagt. Die Urſache aber hievon liegt darin: daß wir den Dingen a priori alle die Eigenſchaften nothwendig beilegen muͤſſen, die [347/0377] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. die die Bedingungen ausmachen, unter welchen wir ſie al- lein denken. Nun kan ich von einem denkenden Weſen durch keine aͤuſſere Erfahrung, ſondern blos durch das Selbſtbewuſtſeyn die mindeſte Vorſtellung haben. Alſo ſind dergleichen Gegenſtaͤnde nichts weiter, als die Ueber- tragung dieſes meines Bewuſtſeyns auf andere Dinge, wel- che nur dadurch als denkende Weſen vorgeſtellet werden. Der Satz: Ich denke, wird aber hiebey nur problema- tiſch genommen; nicht ſo fern er eine Wahrnehmung von einem Daſeyn enthalten mag (das carteſianiſche cogito; ergo ſum), ſondern ſeiner bloßen Moͤglichkeit nach, um zu ſehen, welche Eigenſchaften aus dieſem ſo einfachen Satze auf das Subiect deſſelben (es mag dergleichen nun exiſtiren oder nicht) flieſſen moͤgen. Laͤge unſerer reinen Vernunfterkentniß von denken- den Weſen uͤberhaupt mehr, als das cogito zum Grunde, wuͤrden wir die Beobachtungen, uͤber das Spiel unſerer Gedanken und die daraus zu ſchoͤpfende Naturgeſetze des denkenden Selbſt, auch zu Huͤlfe nehmen: ſo wuͤrde eine empiriſche Pſychologie entſpringen, welche eine Art der Phyſiologie des inneren Sinnes ſeyn wuͤrde und vielleicht die Erſcheinungen deſſelben zu erklaͤren, niemals aber dazu dienen koͤnte, ſolche Eigenſchaften, die gar nicht zur moͤg- lichen Erfahrung gehoͤren (als die des Einfachen) zu er- oͤfnen, noch von denkenden Weſen uͤberhaupt etwas, das ihre Natur betrift, apodictiſch zu lehren; ſie waͤre alſo keine rationale Pſychologie. Da [348/0378] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Da nun der Satz: Ich denke (problematiſch ge- nommen), die Form eines ieden Verſtandesurtheils uͤber- haupt enthaͤlt und alle Categorien als ihr Vehikel, beglei- tet, ſo iſt klar: daß die Schluͤſſe aus demſelben einen blos transſcendentalen Gebrauch des Verſtandes enthalten koͤnnen, welcher alle Beimiſchung der Erfahrung ausſchlaͤgt, und an deſſen Fortgang wir, nach dem, was wir oben gezeigt haben, uns ſchon zum voraus keinen vortheilhaften Be- griff machen koͤnnen. Wir wollen ihn alſo durch alle Praͤ- dicamente der reinen Seelenlehre mit einem critiſchen Auge verfolgen. Erſter Paralogism der Subſtantialitaͤt. Dasienige, deſſen Vorſtellung das abſolute Subiect unſerer Urtheile iſt und daher nicht als Beſtimmung eines andern Dinges gebraucht werden kan, iſt Subſtanz. Ich, als ein denkend Weſen, bin das abſolute Sub- iect aller meiner moͤglichen Urtheile, und dieſe Vorſtellung von Mir ſelbſt kan nicht zum Praͤdicat irgend eines andern Dinges gebraucht werden. Alſo bin ich, als denkend Weſen (Seele), Subſtanz. Critik des erſten Paralogism der reinen Pſychologie. Wir haben in dem analytiſchen Theile der transſcen- dentalen Logik gezeigt: daß reine Categorien (und unter dieſen auch die der Subſtanz) an ſich ſelbſt gar keine ob- iective Bedeutung haben, wo ihnen nicht eine Anſchauung unter- [349/0379] I. Haupt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. untergelegt iſt, auf deren Mannigfaltiges ſie, als Functio- nen der ſynthetiſchen Einheit, angewandt werden koͤnnen. Ohne das ſind ſie lediglich Functionen eines Urtheils ohne Inhalt. Von iedem Dinge uͤberhaupt kan ich ſagen, es ſey Subſtanz, ſo fern ich es von bloſſen Praͤdicaten und Beſtimmungen der Dinge unterſcheide. Nun iſt in allem unſerem Denken das Ich das Subiect, dem Gedanken nur als Beſtimmungen inhaͤriren, und dieſes Ich kan nicht als die Beſtimmung eines anderen Dinges gebraucht wer- den. Alſo muß iedermann Sich ſelbſt nothwendiger Weiſe als die Subſtanz, das Denken aber nur als Accidenzen ſei- nes Daſeyns und Beſtimmungen ſeines Zuſtandes anſehen. Was ſoll ich aber nun von dieſem Begriffe einer Subſtanz vor einen Gebrauch machen. Daß ich, als ein denkend Weſen, vor mich ſelbſt fortdaure, natuͤrlicher Weiſe weder entſtehe noch vergehe, das kan ich daraus keinesweges ſchlieſſen und dazu allein kan mir doch der Be- griff der Subſtantialitaͤt meines denkenden Subiects nutzen, ohne welches ich ihn gar wol entbehren koͤnte. Es fehlt ſo viel, daß man dieſe Eigenſchaften aus der bloſſen reinen Categorie einer Subſtanz ſchließen koͤnte, daß wir vielmehr die Beharrlichkeit eines gegebenen Gegen- ſtandes aus der Erfahrung zum Grunde legen muͤſſen, wenn wir auf ihn den empiriſchbrauchbaren Begriff von einer Subſtanz anwenden wollen. Nun haben wir aber bey unſerem Satze keine Erfahrung zum Grunde gelegt, ſondern lediglich aus dem Begriffe der Beziehung, den alles [350/0380] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. alles Denken, auf das Ich, als das gemeinſchaftliche Subiect, hat, dem es inhaͤrirt, geſchloſſen. Wir wuͤrden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch keine ſichere Beobachtung eine ſolche Beharrlichkeit darthun koͤnnen. Denn das Ich iſt zwar in allen Gedanken; es iſt aber mit dieſer Vor- ſtellung nicht die mindeſte Anſchauung verbunden, die es von anderen Gegenſtaͤnden der Anſchauung unterſchiede. Man kan alſo zwar wahrnehmen, daß dieſe Vorſtellung bey allem Denken immer wiederum vorkoͤmt, nicht aber, daß es eine ſtehende und bleibende Anſchauung ſey, worin die Gedanken (als wandelbar) wechſelten. Hieraus folgt: daß der erſte Vernunftſchluß der transſcendentalen Pſychologie uns nur eine vermeintliche neue Einſicht aufhefte, indem er das beſtaͤndige logiſche Subiect des Denkens, vor die Erkentniß des realen Sub- iects der Inhaͤrenz ausgiebt, von welchem wir nicht die mindeſte Kentniß haben, noch haben koͤnnen, weil das Bewuſtſeyn das einzige iſt, was alle Vorſtellungen zu Ge- danken macht, und worin mithin alle unſere Wahrneh- mungen, als dem transſcendentalen Subiecte, muͤſſen an- getroffen werden, und wir, auſſer dieſer logiſchen Bedeu- tung des Ich, keine Kentniß von dem Subiecte an ſich ſelbſt haben, was dieſem, ſo wie allen Gedanken, als Subſtra- tum zum Grunde liegt. Indeſſen kan man den Satz: die Seele iſt Subſtanz, gar wol gelten laſſen, wenn man ſich nur beſcheidet: daß unſer dieſer Begriff nicht im min- deſten weiter fuͤhre, oder irgend eine von den gewoͤhnli- chen [351/0381] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. chen Folgerungen der vernuͤnftelnden Seelenlehre, als z. B. die immerwaͤhrende Dauer derſelben bey allen Ver- aͤnderungen und ſelbſt dem Tode des Menſchen lehren koͤn- ne, daß er alſo nur eine Subſtanz in der Idee, aber nicht in der Realitaͤt bezeichne. Zweiter Paralogism der Simplicitaͤt. Dasienige Ding, deſſen Handlung niemals als die Concurrenz vieler handelnden Dinge angeſehen werden kan, iſt einfach. Nun iſt die Seele, oder das denkende Ich, ein ſolches: Alſo ꝛc. Critik des zweiten Paralogisms der transſcendentalen Pſychologie. Dies iſt der Achilles aller dialectiſchen Schluͤſſe der reinen Seelenlehre, nicht etwa blos ein ſophiſtiſches Spiel, welches ein Dogmatiker erkuͤnſtelt, um ſeinen Behauptun- gen einen fluͤchtigen Schein zu geben, ſondern ein Schluß, der ſogar die ſchaͤrfſte Pruͤfung und die groͤßte Bedenklich- keit des Nachforſchens auszuhalten ſcheint. Hier iſt er. Eine iede zuſammengeſezte Subſtanz iſt ein Aggregat vieler, und die Handlung eines Zuſammengeſezten, oder das, was ihm, als einem ſolchen, inhaͤrirt, iſt ein Ag- gregat vieler Handlungen oder Accidenzen, welche unter der Menge der Subſtanzen vertheilt ſind. Nun iſt zwar eine Wirkung, die aus der Concurrenz vieler handelnden Sub- [352/0382] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Subſtanzen entſpringt, moͤglich, wenn dieſe Wirkung blos aͤuſſerlich iſt (wie z. B. die Bewegung eines Coͤrpers die vereinigte Bewegung aller ſeiner Theile iſt). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Weſen gehoͤ- rigen Accidenzen, iſt es anders beſchaffen. Denn, ſetzet, das Zuſammengeſezte daͤchte: ſo wuͤrde ein ieder Theil deſſelben einen Theil des Gedanken, alle aber zuſammen- genommen allererſt den ganzen Gedanken enthalten. Nun iſt dieſes aber widerſprechend. Denn, weil die Vorſtel- lungen, die unter verſchiedenen Weſen vertheilt ſind, (z. B. die einzelne Woͤrter eines Verſes) niemals einen gan- zen Gedanken (einen Vers) ausmachen: ſo kan der Gedan- ke nicht einem Zuſammengeſezten, als einem ſolchen, inhaͤ- riren. Er iſt alſo nur in einer Subſtanz moͤglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin ſchlechterdings ein- fach iſt *). Der ſo genante neruus probandi dieſes Arguments liegt in dem Satze: daß viele Vorſtellungen in der abſo- luten Einheit des denkenden Subiects enthalten ſeyn muͤſ- ſen, um einen Gedanken auszumachen. Dieſen Satz aber kan niemand aus Begriffen beweiſen. Denn, wie wollte er es wol anfangen, um dieſes zu leiſten? Der Satz: *) Es iſt ſehr leicht, dieſem Beweiſe die gewoͤhnliche ſchulge- rechte Abgemeſſenheit der Einkleidung zu geben. Allein es iſt zu meinem Zwecke ſchon hinreichend, den bloſſen Beweißgrund, allenfalls auf populaͤre Art, vor Augen zu legen. [353/0383] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Satz: Ein Gedanke kan nur die Wirkung der abſoluten Einheit des denkenden Weſens ſeyn, kan nicht als analy- tiſch behandelt werden. Denn die Einheit des Gedanken, der aus vielen Vorſtellungen beſteht, iſt collectiv und kan ſich, den bloſſen Begriffen nach, eben ſowol auf die col- lective Einheit der daran mitwirkenden Subſtanzen bezie- hen, (wie die Bewegung eines Coͤrpers die zuſammenge- ſezte Bewegung aller Theile deſſelben iſt) als auf die abſo- lute Einheit des Subiects. Nach der Regel der Identitaͤt kan alſo die Nothwendigkeit der Vorausſetzung einer ein- fachen Subſtanz, bey einem zuſammengeſezten Gedanken, nicht eingeſehen werden. Daß aber eben derſelbe Satz ſynthetiſch und voͤllig a priori aus lauter Begriffen erkant werden ſolle, das wird ſich niemand zu verantworten ge- trauen, der den Grund der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Saͤtze a priori, ſo wie wir ihn oben dargelegt haben, einſieht. Nun iſt es aber auch unmoͤglich, dieſe nothwendige Einheit des Subiects, als die Bedingung der Moͤglichkeit eines ieden Gedankens, aus der Erfahrung abzuleiten. Denn dieſe giebt keine Nothwendigkeit zu erkennen, ge- ſchweige, daß der Begriff der abſoluten Einheit weit uͤber ihre Sphaͤre iſt. Woher nehmen wir denn dieſen Satz, worauf ſich der ganze pſychologiſche Vernunftſchluß ſtuͤtzet? Es iſt offenbar: daß, wenn man ſich ein denkend Weſen vorſtellen will, man ſich ſelbſt an ſeine Stelle ſetzen, und alſo dem Obiecte, welches man erwaͤgen wollte, ſein eigenes Subiect unterſchieben muͤſſe, (welches in keiner ande- Z [354/0384] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. anderen Art der Nachforſchung der Fall iſt) und daß wir nur darum abſolute Einheit des Subiects zu einem Ge- danken erfodern, weil ſonſt nicht geſagt werden koͤnte: Ich denke (das Mannigfaltige in einer Vorſtellung). Denn obgleich das Ganze des Gedanken getheilt und unter viele Subiecte vertheilt werden koͤnte, ſo kan doch das ſubiective Ich nicht getheilt und vertheilt werden, und dieſes ſetzen wir doch bey allem Denken voraus. Alſo bleibt eben ſo hier, wie in dem vorigen Para- logism, der formale Satz der Apperception: Ich denke, der ganze Grund, auf welchen die rationale Pſychologie die Erweiterung ihrer Erkentniſſe wagt, welcher Satz zwar freilich keine Erfahrung iſt, ſondern die Form der Apperception, die ieder Erfahrung anhaͤngt und ihr vor- geht, gleichwol aber nur immer in Anſehung einer moͤg- lichen Erkentniß uͤberhaupt, als blos ſubiective Bedin- gung derſelben, angeſehen werden muß, die wir mit Un- recht zur Bedingung der Moͤglichkeit einer Erkentniß der Gegenſtaͤnde, nemlich zu einem Begriffe vom denkenden Weſen uͤberhaupt machen, weil wir dieſes uns nicht vor- ſtellen koͤnnen, ohne uns ſelbſt mit der Formel unſeres Bewuſtſeyns an die Stelle iedes andern intelligenten We- ſens zu ſetzen. Aber die Einfachheit meiner ſelbſt (als Seele) wird auch wirklich nicht aus dem Satze: Ich denke, geſchloſ- ſen, ſondern der erſtere liegt ſchon in iedem Gedanken ſelbſt. Der Satz: Ich bin einfach, muß als ein unmit- tel [355/0385] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. telbarer Ausdruck der Apperception angeſehen werden, ſo wie der vermeintliche carteſianiſche Schluß, cogito, ergo ſum, in der That tavtologiſch iſt, indem das cogito (ſum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar ausſagt. Ich bin einfach, bedeutet aber nichts mehr, als daß dieſe Vorſtellung: Ich, nicht die mindeſte Mannigfaltigkeit in ſich faſſe, und daß ſie abſolute (obzwar blos logiſche) Ein- heit ſey. Alſo iſt der ſo beruͤhmte pſychologiſche Beweis ledi- glich auf der untheilbaren Einheit einer Vorſtellung, die nur das Verbum in Anſehung einer Perſon dirigirt, ge- gruͤndet. Es iſt aber offenbar: daß das Subiect der Inhaͤrenz durch das dem Gedanken angehaͤngte Ich nur transſcendental bezeichnet werde, ohne die mindeſte Eigen- ſchaft deſſelben zu bemerken, oder uͤberhaupt etwas von ihm zu kennen, oder zu wiſſen. Es bedeutet ein Etwas uͤber- haupt (transſcendentales Subiect), deſſen Vorſtellung al- lerdings einfach ſeyn muß, eben darum, weil man gar nichts an ihm beſtimt, wie denn gewiß nichts einfacher vorgeſtellt werden kan, als durch den Begriff von einem bloſſen Etwas. Die Einfachheit aber der Vorſtellung von einem Subiect iſt darum nicht eine Erkentniß von der Einfachheit des Subiects ſelbſt, denn von deſſen Eigen- ſchaften wird gaͤnzlich abſtrahirt, wenn es lediglich durch den an Inhalt gaͤnzlich leeren Ausdruck Ich, (welchen ich auf iedes denkende Subiect anwenden kan), bezeichnet wird. So Z 2 [356/0386] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. So viel iſt gewiß: daß ich mir durch das Ich ieder- zeit eine abſolute, aber logiſche Einheit des Subiects (Ein- fachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirk- liche Einfachheit meines Subiects erkenne. So wie der Satz: ich bin Subſtanz, nichts als die reine Categorie be- deutete, von der ich in concreto keinen Gebrauch (empi- riſchen) machen kan: ſo iſt es mir auch erlaubt zu ſagen: Ich bin eine einfache Subſtanz, d. i. deren Vorſtellung niemals eine Syntheſis des Mannigfaltigen enthaͤlt; aber dieſer Begriff, oder auch dieſer Satz, lehret uns nicht das mindeſte in Anſehung meiner ſelbſt als eines Gegenſtandes der Erfahrung, weil der Begriff der Subſtanz ſelbſt nur als Function der Syntheſis, ohne unterlegte Anſchauung, mithin ohne Obiect gebraucht wird, und nur von der Be- dingung unſerer Erkentniß, aber nicht von irgend einem anzugebenden Gegenſtande gilt. Wir wollen uͤber die ver- meintliche Brauchbarkeit dieſes Satzes einen Verſuch an- ſtellen. Jederman muß geſtehen: daß die Behauptung von der einfachen Natur der Seele nur ſo fern von einigem Werthe ſey, als ich dadurch dieſes Subiect von aller Ma- terie zu unterſcheiden und ſie folglich von der Hinfaͤlligkeit ausnehmen kan, der dieſe iederzeit unterworfen iſt. Auf dieſen Gebrauch iſt obiger Satz auch ganz eigentlich ange- legt, daher er auch mehrentheils ſo ausgedruͤckt wird: die Seele iſt nicht koͤrperlich. Wenn ich nun zeigen kan: daß, ob [357/0387] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ob man gleich dieſem Cardinalſatze der rationalen Seelen- lehre, in der reinen Bedeutung eines bloſſen Vernunftur- theils, (aus reinen Categorien), alle obiective Guͤltigkeit einraͤumt, (alles, was denkt, iſt einfache Subſtanz), den- noch nicht der mindeſte Gebrauch von dieſem Satze, in Anſehung der Ungleichartigkeit, oder Verwandſchaft der- ſelben mit der Materie, gemacht werden koͤnne: ſo wird dieſes eben ſo viel ſeyn, als ob ich dieſe vermeintliche pſy- chologiſche Einſicht in das Feld bloſſer Ideen verwieſen haͤt- te, denen es an Realitaͤt des obiectiven Gebrauchs man- gelt. Wir haben in der transſcendentalen Aeſthetik unlaͤug- bar bewieſen: daß Coͤrper bloſſe Erſcheinungen unſeres aͤuſſeren Sinnes, und nicht Dinge an ſich ſelbſt ſind. Die- ſem gemaͤß koͤnnen wir mit Recht ſagen: daß unſer den- kendes Subiect nicht koͤrperlich ſey, das heißt: daß, da es als Gegenſtand des inneren Sinnes von uns vorgeſtellet wird, es, in ſo fern als es denkt, kein Gegenſtand aͤuſ- ſerer Sinne, d. i. keine Erſcheinung im Raume ſeyn koͤn- ne. Dieſes will nun ſo viel ſagen: es koͤnnen uns nie- mals unter aͤuſſeren Erſcheinungen denkende Weſen, als ſolche, vorkommen, oder, wir koͤnnen ihre Gedanken, ihr Bewuſtſeyn, ihre Begierden ꝛc nicht aͤuſſerlich an- ſchauen; denn dieſes gehoͤrt alles vor den innern Sinn. In der That ſcheint dieſes Argument auch das natuͤrliche und populaͤre, worauf ſelbſt der gemeinſte Verſtand von ie- Z 3 [358/0388] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ieher gefallen zu ſeyn ſcheint, und dadurch ſchon ſehr fruͤh Seelen, als von den Coͤrpern ganz unterſchiedene Weſen, zu betrachten angefangen hat. Ob nun aber gleich die Ausdehnung, die Undurch- dringlichkeit, Zuſammenhang und Bewegung, kurz alles, was uns aͤuſſere Sinne nur liefern koͤnnen, nicht Gedan- ken, Gefuͤhl, Neigung oder Entſchlieſſung ſeyn, oder ſol- che enthalten werden, als die uͤberall keine Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Anſchauung ſind, ſo koͤnte doch wol dasienige Et- was, welches den aͤuſſeren Erſcheinungen zum Grunde liegt, was unſeren Sinn ſo afficirt, daß er die Vorſtellun- gen von Raum, Materie, Geſtalt ꝛc bekomt, dieſes Et- was, als Noumenon (oder beſſer, als transſcendentaler Gegenſtand) betrachtet, koͤnte doch auch zugleich das Sub- iect der Gedanken ſeyn, wiewol wir durch die Art, wie unſer aͤuſſere Sinn dadurch afficirt wird, keine Anſchau- ung von Vorſtellungen, Willen ꝛc, ſondern blos vom Raum und deſſen Beſtimmungen bekommen. Dieſes Et- was aber iſt nicht ausgedehnt, nicht undurchdringlich, nicht zuſammengeſezt, weil alle dieſe Praͤdicate nur die Sinnlichkeit und deren Anſchauung angehen, ſo fern wir von dergleichen (uns uͤbrigens unbekanten) Obiecten affi- cirt werden. Dieſe Ausdruͤcke aber geben gar nicht zu erkennen, was vor ein Gegenſtand es ſey, ſondern nur: daß ihm, als einem ſolchen, der ohne Beziehung auf aͤuſ- ſere Sinne an ſich ſelbſt betrachtet wird, dieſe Praͤdicate aͤuſſe- [359/0389] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aͤuſſerer Erſcheinungen nicht beygelegt werden koͤnnen. Allein die Praͤdicate des innern Sinnes, Vorſtellungen und Denken, widerſprechen ihm nicht. Demnach iſt ſelbſt durch die eingeraͤumte Einfachheit der Natur die menſchliche Seele von der Materie, wenn man ſie (wie man ſoll) blos als Erſcheinung betrachtet, in Anſehung des Subſtrati derſelben gar nicht hinreichend unterſchieden. Waͤre Materie ein Ding an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde ſie als ein zuſammengeſeztes Weſen von der Seele, als einem einfachen, ſich ganz und gar unterſcheiden. Nun iſt ſie aber blos aͤuſſere Erſcheinung, deren Subſtratum durch gar keine anzugebende Praͤdicate erkant wird; mithin kan ich von dieſem wol annehmen, daß es an ſich einfach ſey, ob es zwar in der Art, wie es unſere Sinne afficirt, in uns die Anſchauung des Ausgedehnten und mithin Zuſam- mengeſezten hervorbringt, und daß alſo der Subſtanz, der in Anſehung unſeres aͤuſſeren Sinnes Ausdehnung zukomt, an ſich ſelbſt Gedanken beywohnen, die durch ihren eige- nen inneren Sinn mit Bewuſtſeyn vorgeſtellt werden koͤn- nen. Auf ſolche Weiſe wuͤrde eben daſſelbe, was in einer Beziehung koͤrperlich heißt, in einer andern zugleich ein den- kend Weſen ſeyn, deſſen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die Zeichen derſelben in der Erſcheinung, anſchauen koͤnnen. Dadurch wuͤrde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als beſondere Arten von Subſtanzen) denken; es wuͤrde vielmehr wie gewoͤhnlich heiſſen, daß Menſchen den- Z 4 [360/0390] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. denken, d. i. eben daſſelbe was, als aͤuſſere Erſcheinung, ausgedehnt iſt, innerlich (an ſich ſelbſt) ein Subiect ſey, was nicht zuſammengeſezt, ſondern einfach iſt und denkt. Aber, ohne dergleichen Hypotheſen zu erlauben, kan man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein denkend Weſen an ſich ſelbſt verſtehe, die Frage an ſich ſchon unſchicklich ſey: ob ſie nemlich mit der Materie (die gar kein Ding an ſich ſelbſt, ſondern nur eine Art Vorſtel- lungen in uns iſt) von gleicher Art ſey, oder nicht; denn das verſteht ſich ſchon von ſelbſt, daß ein Ding an ſich ſelbſt von anderer Natur ſey, als die Beſtimmungen, die blos ſeinen Zuſtand ausmachen. Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, ſondern mit dem Intelligibelen, welches der aͤuſſeren Erſcheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: ſo koͤnnen wir, weil wir vom lezteren gar nichts wiſſen, auch nicht ſagen: daß die Seele ſich von dieſem irgend worin innerlich unterſcheide. So iſt demnach das einfache Bewuſtſeyn keine Kent- niß der einfachen Natur unſeres Subiects, in ſo fern, als dieſes dadurch von der Materie, als einem zuſammenge- ſezten Weſen, unterſchieden werden ſoll. Wenn dieſer Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle, da er brauchbar iſt, nemlich in der Vergleichung meiner Selbſt mit Gegenſtaͤnden aͤuſſerer Erfahrung, das Eigenthuͤmliche und Unterſcheidende ſeiner Natur zu beſtimmen, ſo mag man immer zu wiſſen vorge- ben: [361/0391] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ben: das denkende Ich, die Seele, (ein Nahme vor den transſcendentalen Gegenſtand des inneren Sinnes) ſey ein- fach; dieſer Ausdruck hat deshalb doch gar keinen auf wirkliche Gegenſtaͤnde ſich erſtreckenden Gebrauch und kan daher unſere Erkentniß nicht im mindeſten erweitern. So faͤllt demnach die ganze rationale Pſychologie mit ihrer Hauptſtuͤtze, und wir koͤnnen ſo wenig hier, wie ſonſt iemals, hoffen, durch bloſſe Begriffe, (noch weniger aber durch die bloſſe ſubiective Form aller unſerer Begriffe, das Bewuſtſeyn,) ohne Beziehung auf moͤgliche Erfahrung, Einſichten auszubreiten, zumalen, da ſelbſt der Fundamentalbegriff einer einfachen Natur von der Art iſt, daß er uͤberall in keiner Erfahrung angetroffen werden kan, und es mithin gar keinen Weg giebt, zu dem- ſelben, als einem obiectivguͤltigen Begriffe, zu gelangen. Dritter Paralogism der Perſonalitaͤt. Was ſich der numeriſchen Identitaͤt ſeiner Selbſt in verſchiedenen Zeiten bewuſt iſt, iſt ſo fern eine Perſon: Nun iſt die Seele ꝛc. Alſo iſt ſie eine Perſon. Critik des dritten Paralogisms der transſcendentalen Pſychologie. Wenn ich die numeriſche Identitaͤt eines aͤuſſeren Gegenſtandes durch Erfahrung erkennen will, ſo werde ich auf Z 5 [362/0392] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. auf das Beharrliche derienigen Erſcheinung, worauf, als Subiect, ſich alles Uebrige als Beſtimmung bezieht, Acht ha- ben und die Identitaͤt von ienem in der Zeit, da dieſes wechſelt, bemerken. Nun aber bin ich ein Gegenſtand des innern Sinnes und alle Zeit iſt blos die Form des innern Sinnes. Folglich beziehe ich alle und iede meiner ſucceßi- ven Beſtimmungen auf das numeriſchidentiſche Selbſt, in aller Zeit, d. i. in der Form der inneren Anſchauung meiner ſelbſt. Auf dieſen Fuß muͤßte die Perſoͤnlichkeit der Seele nicht einmal als geſchloſſen, ſondern als ein voͤllig iden- tiſcher Satz des Selbſtbewuſtſeyns in der Zeit angeſehen werden, und das iſt auch die Urſache, weswegen er a priori gilt. Denn er ſagt wirklich nichts mehr, als in der gan- zen Zeit, darin ich mir meiner bewuſt bin, bin ich mir dieſer Zeit, als zur Einheit meines Selbſt gehoͤrig, bewuſt, und es iſt einerley, ob ich ſage: dieſe ganze Zeit iſt in Mir, als individueller Einheit, oder ich bin, mit numeriſcher Identitaͤt, in aller dieſer Zeit befindlich. Die Identitaͤt der Perſon iſt alſo in meinem eigenen Bewuſtſeyn unausbleiblich anzutreffen. Wenn ich mich aber aus dem Geſichtspunkte eines andern (als Gegen- ſtand ſeiner aͤuſſeren Anſchauung) betrachte, ſo erwaͤgt dieſer aͤuſſere Beobachter mich allererſt in der Zeit, denn in der Apperception iſt die Zeit eigentlich nur in mir vor- geſtellt. Er wird alſo aus dem Ich, welches alle Vorſtel- lungen zu aller Zeit in meinem Bewuſtſeyn, und zwar mit [363/0393] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. mit voͤlliger Identitaͤt, begleitet, ob er es gleich einraͤumt, doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner Selbſt ſchlieſſen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich ſetzet, nicht dieienige iſt, die in mei- ner eigenen, ſondern die in ſeiner Sinnlichkeit angetroffen wird, ſo iſt die Identitaͤt, die mit meinem Bewuſtſeyn nothwendig verbunden iſt, nicht darum mit dem ſeinigen, d. i. mit der aͤuſſeren Anſchauung meines Subiects ver- bunden. Es iſt alſo die Identitaͤt des Bewuſtſeyns Meiner ſelbſt in verſchiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zuſammenhanges, beweiſet aber gar nicht die numeriſche Identitaͤt, meines Subiects in welchem, ohnerachtet der logiſchen Identitaͤt des Ich, doch ein ſolcher Wechſel vorgegangen ſeyn kan, der es nicht er- laubt, die Identitaͤt deſſelben beyzubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in iedem andern Zuſtande, ſelbſt der Umwandelung des Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subiects aufbehalten und ſo auch dem folgenden uͤberlie- fern koͤnte. *) Wenn *) Eine elaſtiſche Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung ſtoͤßt, theilt dieſer ihre ganze Bewegung, mit- hin ihren ganzen Zuſtand (wenn man blos auf die Stel- len im Raume ſieht) mit. Nehmet nun, nach der Ana- logie mit dergleichen Coͤrpern, Subſtanzen an, deren die eine der andern Vorſtellungen, ſamt deren Bewuſtſeyn ein- [364/0394] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles flieſſend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend ſey, nicht ſtatt finden kan, ſobald man Subſtanzen an- nimt, ſo iſt er doch nicht durch die Einheit des Selbſtbe- wuſtſeyns widerlegt. Denn wir ſelbſt koͤnnen aus unſerem Bewuſtſeyn daruͤber nicht urtheilen, ob wir als Seele be- harrlich ſind, oder nicht, weil wir zu unſerem identiſchen Selbſt nur dasienige zehlen, deſſen wir uns bewuſt ſeyn, und ſo allerdings nothwendig urtheilen muͤſſen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewuſt ſeyn, eben die- ſelbe ſind. In dem Standpuncte eines Fremden aber koͤnnen wir dieſes darum noch nicht vor guͤltig erklaͤren, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erſcheinung antreffen, als nur die Vorſtellung Ich, welche ſie alle begleitet und verknuͤpft, ſo koͤnnen wir niemals ausma- chen, ob dieſes Ich (ein bloſſer Gedanke) nicht eben ſowol flieſſe, als die uͤbrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden. Es *) *) einfloͤſſete, ſo wird ſich eine ganze Reihe derſelben denken laſſen, deren die erſte ihren Zuſtand, ſamt deſſen Bewuſt- ſeyn, der zweiten, dieſe ihren eigenen Zuſtand, ſamt dem der vorigen Subſtanz, der dritten und dieſe eben ſo die Zuſtaͤnde aller vorigen, ſamt ihrem eigenen und deren Bewuſtſeyn, mittheilete. Die lezte Subſtanz wuͤrde alſo aller Zuſtaͤnde der vor ihr veraͤnderten Subſtanzen ſich als ihrer eigenen bewuſt ſeyn, weil iene zuſamt dem Bewuſtſeyn in ſie uͤbertragen worden, und dem unerach- tet, wuͤrde ſie doch nicht eben dieſelbe Perſon in allen dieſen Zuſtaͤnden geweſen ſeyn. [365/0395] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Es iſt aber merkwuͤrdig, daß die Perſoͤnlichkeit und deren Vorausſetzung, die Beharrlichkeit, mithin die Sub- ſtanzialitaͤt der Seele iezt allererſt bewieſen werden muß. Denn koͤnten wir dieſe vorausſetzen, ſo wuͤrde zwar dar- aus noch nicht die Fortdauer des Bewuſtſeyns, aber doch die Moͤglichkeit eines fortwaͤhrenden Bewuſtſeyns in einem bleibenden Subiect folgen, welches zu der Perſoͤnlichkeit ſchon hinreichend iſt, die dadurch, daß ihre Wirkung et- wa eine Zeit hindurch unterbrochen wird, ſelbſt nicht ſo fort aufhoͤrt. Aber dieſe Beharrlichkeit iſt uns vor der numeriſchen Identitaͤt unſerer Selbſt, die wir aus der identiſchen Apperception folgeren, durch nichts gegeben, ſondern wird daraus allererſt gefolgert, (und auf dieſe muͤßte, wenn es recht zugienge, allererſt der Begriff der Subſtanz folgen, der allein empiriſch brauchbar iſt). Da nun dieſe Identitaͤt der Perſon aus der Identitaͤt des Ich, in dem Bewuſtſeyn aller Zeit, darin ich mich erkenne, keinesweges folgt: ſo hat auch oben die Subſtanzialitaͤt der Seele darauf nicht gegruͤndet werden koͤnnen. Indeſſen kan, ſo wie der Begriff der Subſtanz und des Einfachen, eben ſo auch der Begriff der Perſoͤnlichkeit (ſo fern er blos transſcendental iſt, d. i. Einheit des Sub- iects, das uns uͤbrigens unbekant iſt, in deſſen Beſtimmun- gen aber eine durchgaͤngige Verknuͤpfung durch Appercep- tion iſt) bleiben, und ſo fern iſt dieſer Begriff auch zum pra- ctiſchen Gebrauche noͤthig und hinreichend, aber auf ihn, als [366/0396] Elmentarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. als Erweiterung unſerer Selbſterkentniß durch reine Ver- nunft, welche uns eine ununterbrochene Fortdauer des Sub- iects aus dem bloſſen Begriffe des identiſchen Selbſt vorſpiegelt, koͤnnen wir nimmermehr Staat machen, da dieſer Begriff ſich immer um ſich ſelbſt herumdreht, und uns in Anſehung keiner einzigen Frage, welche auf ſyn- thetiſche Erkentniß angelegt iſt, weiter bringt. Was Ma- terie vor ein Ding an ſich ſelbſt (transſcendentales Obiect) ſey, iſt uns zwar gaͤnzlich unbekant; gleichwol kan doch die Beharrlichkeit derſelben als Erſcheinung, dieweil ſie als etwas aͤuſſerliches vorgeſtellet wird, beobachtet werden. Da ich aber, wenn ich das bloſſe Ich bey dem Wechſel aller Vorſtellungen beobachten will, kein ander Correlatum mei- ner Vergleichungen habe, als wiederum Mich ſelbſt, mit den allgemeinen Bedingungen meines Bewuſtſeyns, ſo kan ich keine andere als tavtologiſche Beantwortungen auf alle Fragen geben, indem ich nemlich meinen Begriff und deſ- ſen Einheit den Eigenſchaften, die mir ſelbſt als Obiect zukommen, unterſchiebe, und das vorausſetze, was man zu wiſſen verlangte. Der vierte Paralogism der Idealitaͤt. (des aͤuſſeren Verhaͤltniſſes). Dasienige, auf deſſen Daſeyn, nur als einer Urſache zu gegebenen Wahrnehmungen, geſchloſſen werden kan, hat eine nur zweifelhafte Exiſtenz: Nun [367/0397] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Nun ſind alle aͤuſſere Erſcheinungen von der Art: daß ihr Daſeyn nicht unmittelbar wahrgenommen, ſondern auf ſie, als die Urſache gegebener Wahrnehmungen, allein geſchloſſen werden kan: Alſo iſt das Daſeyn aller Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sin- ne zweifelhaft. Dieſe Ungewißheit nenne ich die Idea- litaͤt aͤuſſerer Erſcheinungen und die Lehre dieſer Idealitaͤt heißt der Idealism, in Vergleichung mit welchem die Behauptung einer moͤglichen Gewißheit von Gegenſtaͤnden aͤuſſerer Sinne, der Dualism genent wird. Critik des vierten Paralogisms der transſcendentalen Pſychologie. Zuerſt wollen wir die Praͤmiſſen der Pruͤfung unter- werfen. Wir koͤnnen mit Recht behaupten, daß nur dasienige, was in uns ſelbſt iſt, unmittelbar wahrgenom- men werden koͤnne, und daß meine eigene Exiſtenz allein der Gegenſtand einer bloſſen Wahrnehmung ſeyn koͤnne. Alſo iſt das Daſeyn eines wirklichen Gegenſtandes auſſer mir (wenn dieſes Wort in intellectueller Bedeutung ge- nommen wird) niemals gerade zu in der Wahrnehmung gegeben, ſondern kan nur zu dieſer, welche eine Modifica- tion des inneren Sinnes iſt, als aͤuſſere Urſache derſelben hinzu gedacht und mithin geſchloſſen werden. Daher auch Carteſius mit Recht alle Wahrnehmung in der eng- ſten Bedeutung auf den Satz einſchraͤnkte: Ich (als ein den- [368/0398] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. denkend Weſen) bin. Es iſt nemlich klar: daß, da das aͤuſſere nicht in mir iſt, ich es nicht in meiner Apperception, mithin auch in keiner Wahrnehmung, welche eigentlich nur die Beſtimmung der Apperception iſt, antreffen koͤnne. Ich kan alſo aͤuſſere Dinge eigentlich nicht wahrneh- men, ſondern nur aus meiner inneren Wahrnehmung auf ihr Daſeyn ſchließen, indem ich dieſe als die Wirkung an- ſehe, wozu Etwas aͤuſſeres die naͤchſte Urſache iſt. Nun iſt aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine beſtimte Urſache iederzeit unſicher; weil die Wirkung aus mehr als einer Urſache entſprungen ſeyn kan. Demnach bleibt es in der Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ur- ſache iederzeit zweifelhaft: ob dieſe innerlich, oder aͤuſ- ſerlich ſey, ob alſo alle ſogenante aͤuſſere Wahrnehmungen nicht ein bloſſes Spiel unſeres innern Sinnes ſeyn, oder ob ſie ſich auf aͤuſſere wirkliche Gegenſtaͤnde, als ihre Ur- ſache beziehen. Wenigſtens iſt das Daſeyn der lezteren nur geſchloſſen, und laͤuft die Gefahr aller Schluͤſſe, da hingegen der Gegenſtand des inneren Sinnes (Ich ſelbſt mit allen meinen Vorſtellungen) unmittelbar wahrgenom- men wird, und die Exiſtenz deſſelben gar keinen Zweifel leidet. Unter einem Idealiſten muß man alſo nicht denie- nigen verſtehen, der das Daſeyn aͤuſſerer Gegenſtaͤnde der Sinne laͤugnet, ſondern der nur nicht einraͤumt: daß es durch unmittelbare Wahrnehmung erkant werde, daraus aber [369/0399] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aber ſchließt, daß wir ihrer Wirklichkeit durch alle moͤg- liche Erfahrung niemals voͤllig gewiß werden koͤnnen. Ehe ich nun unſeren Paralogismus ſeinem truͤglichen Scheine nach darſtelle, muß ich zuvor bemerken, daß man nothwendig einen zweifachen Idealism unterſcheiden muͤſſe, den transſcendentalen und den empiriſchen. Ich verſtehe aber unter dem transſcendentalen Idealism aller Erſchei- nungen den Lehrbegriff, nach welchem wir ſie insgeſamt als bloſſe Vorſtellungen, und nicht als Dinge an ſich ſelbſt, anſehen, und dem gemaͤß Zeit und Raum nur ſinnliche Formen unſerer Anſchauung, nicht aber vor ſich gegebene Beſtimmungen, oder Bedingungen der Obiecte, als Dinge an ſich ſelbſt ſind. Dieſem Idealism iſt ein transſcenden- taler Realism entgegengeſezt, der Zeit und Raum als etwas an ſich (unabhaͤngig von unſerer Sinnlichkeit) ge- gebenes anſieht. Der transſcendentale Realiſt ſtellet ſich alſo aͤuſſere Erſcheinungen (wenn man ihre Wirklichkeit einraͤumt) als Dinge an ſich ſelbſt vor, die unabhaͤngig von uns und unſerer Sinnlichkeit exiſtiren, alſo auch nach reinen Verſtandesbegriffen auſſer uns waͤren. Dieſer transſcendentale Realiſt iſt es eigentlich, welcher nachher den empiriſchen Idealiſten ſpielt, und nachdem er faͤlſch- lich von Gegenſtaͤnden der Sinne vorausgeſezt hat, daß, wenn ſie aͤuſſere ſeyn ſollen, ſie an ſich ſelbſt auch ohne Sinne ihre Exiſtenz haben muͤßten, in dieſem Geſichts- puncte alle unſere Vorſtellungen der Sinne unzureichend findet, die Wirklichkeit derſelben gewiß zu machen. Der A a [370/0400] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Der transſcendentale Idealiſt kan hingegen ein em- piriſcher Realiſt, mithin, wie man ihn nent, ein Dua- liſt ſeyn, d. i. die Exiſtenz der Materie einraͤumen, ohne aus dem bloſſen Selbſtbewuſtſeyn hinauszugehen, und et- was mehr, als die Gewißheit der Vorſtellungen in mir, mithin das cogito, ergo ſum, anzunehmen. Denn weil er dieſe Materie und ſogar deren innere Moͤglichkeit blos vor Erſcheinung gelten laͤßt, die, von unſerer Sinnlichkeit abgetrent, nichts iſt: ſo iſt ſie bey ihm nur eine Art Vor- ſtellungen (Anſchauung), welche aͤuſſerlich heiſſen, nicht, als ob ſie ſich auf an ſich ſelbſt aͤuſſere Gegenſtaͤnde bezoͤ- gen, ſondern weil ſie Wahrnehmungen auf den Raum be- ziehen, in welchem alles auſſer einander, er ſelbſt der Raum aber in uns iſt. Vor dieſen transſcendentalen Idealism haben wir uns nun ſchon im Anfange erklaͤrt. Alſo faͤllt bey unſerem Lehrbegriff alle Bedenklichkeit weg, das Daſeyn der Ma- terie eben ſo auf das Zeugniß unſeres bloſſen Selbſtbe- wuſtſeyns anzunehmen und dadurch vor bewieſen zu er- klaͤren, wie das Daſeyn meiner ſelbſt als eines denkenden Weſens. Denn ich bin mir doch meiner Vorſtellungen bewuſt; alſo exiſtiren dieſe und ich ſelbſt, der ich dieſe Vor- ſtellungen habe. Nun ſind aber aͤuſſere Gegenſtaͤnde (die Coͤrper) blos Erſcheinungen, mithin auch nichts anders, als eine Art meiner Vorſtellungen, deren Gegenſtaͤnde nur durch dieſe Vorſtellungen etwas ſind, von ihnen ab- geſondert aber nichts ſeyn. Alſo exiſtiren eben ſowol aͤuſ- ſere [371/0401] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ſere Dinge, als ich Selbſt exiſtire, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbſtbewußtſeyns, nur mit dem Unterſchiede: daß die Vorſtellung meiner Selbſt, als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor- ſtellungen aber, welche ausgedehnte Weſen bezeichnen, auch auf den aͤuſſern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab- ſicht auf die Wirklichkeit aͤuſſerer Gegenſtaͤnde eben ſo we- nig noͤthig zu ſchlieſſen, als in Anſehung der Wirklichkeit des Gegenſtandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan- ken), denn ſie ſind beiderſeitig nichts als Vorſtellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewuſtſeyn) zugleich ein genugſamer Beweis ihrer Wirklichkeit iſt. Alſo iſt der transſcendentale Idealiſt ein empiriſcher Realiſt und geſtehet der Materie, als Erſcheinung, eine Wirklichkeit zu, die nicht geſchloſſen werden darf, ſondern unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der transſcendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit, und ſieht ſich genoͤthigt, dem empiriſchen Idealismus Platz einzuraͤumen, weil er die Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sinne vor Etwas von den Sinnen ſelbſt unterſchiedenes, und bloſſe Erſcheinungen vor ſelbſtſtaͤndige Weſen anſieht, die ſich auſſer uns befinden; da denn freilich, bey unſerem be- ſten Bewuſtſeyn unſerer Vorſtellung von dieſen Dingen, noch lange nicht gewiß iſt, daß, wenn die Vorſtellung exiſtirt, auch der ihr correſpondirende Gegenſtand exiſtire; dahin- gegen in unſerem Syſtem dieſe aͤuſſere Dinge, die Materie nemlich, in allen ihren Geſtalten und Veraͤnderungen, nichts A a 2 [372/0402] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. nichts als bloſſe Erſcheinungen, d. i. Vorſtellungen in uns ſind, deren Wirklichkeit wir uns unmittelbar bewuſt werden. Da nun, ſo viel ich weis, alle dem empiriſchen Idealismus anhaͤngende Pſychologen transſcendentale Rea- liſten ſeyn, ſo haben ſie freilich ganz conſequent verfah- ren, dem empiriſchen Idealism groſſe Wichtigkeit zuzuge- ſtehen, als einem von den Problemen, daraus die menſch- liche Vernunft ſich ſchwerlich zu helfen wiſſe. Denn in der That, wenn man aͤuſſere Erſcheinungen als Vorſtellun- gen anſieht, die von ihren Gegenſtaͤnden, als an ſich auſ- ſer uns befindlichen Dingen, in uns gewirkt werden, ſo iſt nicht abzuſehen, wie man dieſer ihr Daſeyn anders, als durch den Schluß von der Wirkung auf die Urſache, erkennen koͤnne, bey welchem es immer zweifelhaft blei- ben muß, ob die leztere in uns, oder auſſer uns ſey. Nun kan man zwar einraͤumen: daß von unſeren aͤuſſeren An- ſchauungen etwas, was im transſcendentalen Verſtande auſſer uns ſeyn mag, die Urſache ſey, aber dieſes iſt nicht der Gegenſtand, den wir unter den Vorſtellungen der Materie und koͤrperlicher Dinge verſtehen; denn dieſe ſind lediglich Erſcheinungen, d. i. bloſſe Vorſtellungsarten, die ſich iederzeit nur in uns befinden, und deren Wirklich- keit auf dem unmittelbaren Bewuſtſeyn eben ſo, wie das Bewuſtſeyn meiner eigenen Gedanken beruht. Der trans- ſcendentale Gegenſtand iſt, ſowol in Anſehung der inne- ren als aͤuſſeren Anſchauung, gleich unbekant. Von ihm aber [373/0403] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. aber iſt auch nicht die Rede, ſondern von dem empiriſchen, welcher alsdenn ein aͤuſſerer heißt, wenn er im Raume, und ein innerer Gegenſtand, wenn er lediglich im Zeit- verhaͤltniſſe vorgeſtellet wird; Raum aber und Zeit ſind beide nur in uns anzutreffen. Weil indeſſen der Ausdruck: auſſer uns, eine nicht zu vermeidende Zweideutigkeit bey ſich fuͤhrt, indem er bald etwas bedeutet, was als Ding an ſich ſelbſt von uns unterſchieden exiſtirt, bald was blos zur aͤuſſeren Erſchei- nung gehoͤrt, ſo wollen wir, um dieſen Begriff in der lezteren Bedeutung, als in welcher eigentlich die pſycholo- giſche Frage, wegen der Realitaͤt unſerer aͤuſſeren An- ſchauung, genommen wird, auſſer Unſicherheit zu ſetzen, empiriſch aͤuſſerliche Gegenſtaͤnde dadurch von denen, die ſo im transſcendentalen Sinne heiſſen moͤchten, unterſchei- den, daß wir ſie gerade zu Dinge nennen, die im Rau- me anzutreffen ſind. Raum und Zeit ſind zwar Vorſtellungen a priori, welche uns als Formen unſerer ſinnlichen Anſchauung bey- wohnen, ehe noch ein wirklicher Gegenſtand unſeren Sinn durch Empfindung beſtimt hat, um ihn unter ienen ſinn- lichen Verhaͤltniſſen vorzuſtellen. Allein dieſes Materielle oder Reale, dieſes Etwas, was im Raume angeſchaut wer- den ſoll, ſezt nothwendig Wahrnehmung voraus, und kan unabhaͤngig von dieſer, welche die Wirklichkeit von Etwas im Raume anzeigt, durch keine Einbildungskraft gedich- tet und hervorgebracht werden. Empfindung iſt alſo das- ienige A a 3 [374/0404] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be- zeichnet, nachdem ſie auf die eine, oder die andere Art der ſinnlichen Anſchauung bezogen wird. Iſt Empfindung einmal gegeben, (welche, wenn ſie auf einen Gegenſtand uͤberhaupt, ohne dieſen zu beſtimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heißt,) ſo kan durch die Mannigfaltigkeit derſelben mancher Gegenſtand in der Einbildung gedichtet werden, der auſſer der Einbildung im Raume oder der Zeit keine empiriſche Stelle hat. Dieſes iſt ungezweifelt gewiß, man mag nun die Empfindungen, Luſt und Schmerz, oder auch der aͤuſſeren, als Farben, Waͤrme ꝛc. nehmen, ſo iſt Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung zu denken, zuerſt gegeben werden muß. Dieſe Wahrnehmung ſtellet alſo, (damit wir diesmal nur bey aͤuſſeren Anſchauungen bleiben) etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erſtlich iſt Wahrnehmung die Vorſtellung einer Wirklichkeit, ſo wie Raum die Vorſtellung einer bloſſen Moͤglichkeit des Beyſammenſeyns. Zweitens wird dieſe Wirklichkeit vor dem aͤuſſeren Sinn, d. i. im Raume vorgeſtellt. Drit- tens iſt der Raum ſelbſt nichts anders, als bloſſe Vorſtel- lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was in ihm vorgeſtellet *) wird, und umgekehrt, was in ihm gege- *) Man muß dieſen paradoxen, aber richtigen Satz wol merken: daß im Raume nichts ſey, als was in ihm vor- geſtellet wird. Denn der Raum iſt ſelbſt nichts anders, als Vorſtellung, folglich was in ihm iſt, muß in der Vor- [375/0405] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. gegeben, d. i. durch Wahrnehmung vorgeſtellet wird, iſt in ihm auch wirklich; denn waͤre es in ihm nicht wirklich, d. i. unmittelbar durch empiriſche Anſchauung gegeben, ſo koͤnte es auch nicht erdichtet werden, weil man das Reale der Anſchauungen gar nicht a priori erdenken kan. Alle aͤuſſere Wahrnehmung alſo beweiſet unmittel- bar etwas wirkliches im Raume, oder iſt vielmehr das Wirkliche ſelbſt und in ſo fern iſt alſo der empiriſche Rea- lismus auſſer Zweifel, d. i. es correſpondirt unſeren aͤuſſe- ren Anſchauungen etwas Wirkliches im Raume. Freilich iſt der Raum ſelbſt, mit allen ſeinen Erſcheinungen, als Vorſtellungen, nur in mir, aber in dieſem Raume iſt doch gleichwol das Reale, oder der Stoff aller Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Anſchauung, wirklich und unabhaͤngig von aller Erdichtung gegeben, und es iſt auch unmoͤglich: daß in dieſem Raume irgend etwas auſſer uns (im transſcen- dentalen Sinne) gegeben werden ſollte, weil der Raum ſelbſt auſſer unſerer Sinnlichkeit nichts iſt. Alſo kan der ſtrengſte Idealiſt nicht verlangen, man ſolle beweiſen: daß unſerer Wahrnehmung der Gegenſtand auſſer uns (in *) *) Vorſtellung enthalten ſeyn, und im Raume iſt gar nichts, auſſer, ſo fern es in ihm wirklich vorgeſtellet wird. Ein Satz, der allerdings befremdlich klingen muß: daß eine Sache nur in der Vorſtellung von ihr exiſtiren koͤnne, der aber hier das anſtoͤßige verliert, weil die Sachen, mit denen wir es zu thun haben, nicht Dinge an ſich, ſondern nur Erſcheinungen, d. i. Vorſtellungen ſind. A a 4 [376/0406] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. (in ſtricter Bedeutung) entſpreche. Denn wenn es der- gleichen gaͤbe, ſo wuͤrde es doch nicht als auſſer uns vor- geſtellet und angeſchauet werden koͤnnen, weil dieſes den Raum vorausſezt, und die Wirklichkeit im Raume, als einer bloſſen Vorſtellung, nichts anders als die Wahr- nehmung ſelbſt iſt. Das Reale aͤuſſerer Erſcheinungen iſt alſo wirklich nur in der Wahrnehmung und kan auf keine andere Weiſe wirklich ſeyn. Aus Wahrnehmungen kan nun, entweder durch ein bloſſes Spiel der Einbildung, oder auch vermittelſt der Erfahrung, Erkentniß der Gegenſtaͤnde erzeugt werden. Und da koͤnnen allerdings truͤgliche Vorſtellungen entſprin- gen, denen die Gegenſtaͤnde nicht entſprechen und wobey die Taͤuſchung bald einem Blendwerke der Einbildung, (im Traume) bald einem Fehltritte der Urtheilskraft (beym ſogenanten Betruge der Sinne) beyzumeſſen iſt. Um nun hierin dem falſchen Scheine zu entgehen, verfaͤhrt man nach der Regel: Was mit einer Wahrnehmung nach empiriſchen Geſetzen zuſammenhaͤngt, iſt wirklich. Allein dieſe Taͤuſchung ſowol, als die Verwahrung wi- der dieſelbe, trift eben ſowol den Idealism als den Dua- lism, indem es dabey nur um die Form der Erfahrung zu thun iſt. Den empiriſchen Idealismus, als eine fal- ſche Bedenklichkeit wegen der obiectiven Realitaͤt unſerer aͤuſſeren Wahrnehmungen, zu widerlegen, iſt ſchon hin- reichend: daß aͤuſſere Wahrnehmung eine Wirklichkeit im Rau- [377/0407] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Raume unmittelbar beweiſe, welcher Raum, ob er zwar an ſich nur bloſſe Form der Vorſtellungen iſt, den- noch in Anſehung aller aͤuſſeren Erſcheinungen (die auch nichts anders als bloſſe Vorſtellungen ſind) obiective Rea- litaͤt hat; imgleichen: daß ohne Wahrnehmung ſelbſt die Erdichtung und der Traum nicht moͤglich ſeyn, unſere aͤuſſere Sinne alſo, den datis nach, woraus Erfahrung entſpringen kan, ihre wirkliche correſpondirende Gegen- ſtaͤnde im Raume haben. Der dogmatiſche Idealiſt wuͤrde derienige ſeyn, der das Daſeyn der Materie laͤugnet, der ſceptiſche, der ſie bezweifelt, weil er ſie vor unerweislich haͤlt. Der erſtere kan es nur darum ſeyn, weil er in der Moͤglich- keit einer Materie uͤberhaupt Widerſpruͤche zu finden glaubt und mit dieſem haben wir es iezt noch nicht zu thun. Der folgende Abſchnitt von dialectiſchen Schluͤſſen, der die Ver- nunft in ihrem inneren Streite in Anſehung der Begriffe, die ſich von der Moͤglichkeit deſſen, was in den Zuſam- menhang der Erfahrung gehoͤrt, vorſtellt, wird auch die- ſer Schwierigkeit abhelfen. Der ſceptiſche Idealiſt aber, der blos den Grund unſerer Behauptung anſicht und un- ſere Ueberredung von dem Daſeyn der Materie, die wir auf unmittelbare Wahrnehmung zu gruͤnden glauben, vor unzureichend erklaͤrt, iſt ſo fern ein Wohlthaͤter der menſch- lichen Vernunft, als er uns noͤthigt, ſelbſt bey dem klein- ſten Schritte der gemeinen Erfahrung, die Augen wol auf- A a 5 [378/0408] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. aufzuthun, und, was wir vielleicht nur erſchleichen, nicht ſogleich als wolerworben in unſeren Beſitz aufzunehmen. Der Nutzen, den dieſe idealiſtiſche Einwuͤrfe hier ſchaffen, faͤllt iezt klar in die Augen. Sie treiben uns mit Gewalt dahin, wenn wir uns nicht in unſeren gemeinſten Behaup- tungen verwickeln wollen, alle Wahrnehmungen, ſie moͤ- gen nun innere, oder aͤuſſere heiſſen, blos als ein Bewuſt- ſeyn deſſen, was unſerer Sinnlichkeit anhaͤngt und die aͤuſſere Gegenſtaͤnde derſelben nicht vor Dinge an ſich ſelbſt, ſondern nur vor Vorſtellungen anzuſehen, deren wir uns, wie ieder anderen Vorſtellung, unmittelbar bewuſt werden koͤnnen, die aber darum aͤuſſere heiſſen, weil ſie demieni- gen Sinne anhaͤngen, den wir den aͤuſſeren Sinn nennen, deſſen Anſchauung der Raum iſt, der aber doch ſelbſt nichts anders, als eine innere Vorſtellungsart iſt, in wel- cher ſich gewiſſe Wahrnehmungen mit einander verknuͤpfen. Wenn wir aͤuſſere Gegenſtaͤnde vor Dinge an ſich gelten laſ- ſen, ſo iſt ſchlechthin, unmoͤglich zu begreifen, wie wir zur Er- kentniß ihrer Wirklichkeit auſſer uns kommen ſollten, in- dem wir uns blos auf die Vorſtellung ſtuͤtzen, die in uns iſt. Denn man kan doch auſſer ſich nicht empfinden, ſon- dern nur in ſich ſelbſt, und das ganze Selbſtbewuſtſeyn liefert daher nichts, als lediglich unſere eigene Beſtim- mungen. Alſo noͤthigt uns der ſceptiſche Idealism, die ein- zige Zuflucht, die uns uͤbrig bleibt, nemlich zu der Ideali- taͤt aller Erſcheinungen zu ergreifen, welche wir in der transſcendentalen Aeſthetik unabhaͤngig von dieſen Folgen, die [379/0409] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. die wir damals nicht vorausſehen konten, dargethan ha- ben. Fraͤgt man nun: ob denn dieſem zu Folge der Dualism allein in der Seelenlehre ſtatt finde, ſo iſt die Antwort: Allerdings! aber nur im empiriſchen Verſtan- de, d. i. in dem Zuſammenhange der Erfahrung iſt wirk- lich Materie, als Subſtanz in der Erſcheinung, dem aͤuſ- ſeren Sinne, ſo wie das denkende Ich, gleichfals als Sub- ſtanz in der Erſcheinung, vor dem inneren Sinne gege- ben und nach den Regeln, welche dieſe Categorie in den Zuſammenhang unſerer aͤuſſerer ſowol als innerer Wahr- nehmungen zu einer Erfahrung hineinbringt, muͤſſen auch beiderſeits Erſcheinungen unter ſich verknuͤpft werden. Wollte man aber den Begriff des Dualismus, wie es gewoͤhnlich geſchieht, erweitern und ihn im transſcenden- talen Verſtande nehmen, ſo haͤtten weder er, noch der ihm entgegengeſezte Pnevmatismus einer Seits, oder der Materialismus anderer Seits, nicht den mindeſten Grund, indem man alsdenn die Beſtimmung ſeiner Be- griffe verfehlete, und die Verſchiedenheit der Vorſtellungs- art von Gegenſtaͤnden, die uns nach dem, was ſie an ſich ſind, unbekant bleiben, vor eine Verſchiedenheit dieſer Dinge ſelbſt haͤlt. Ich, durch den innern Sinn in der Zeit vorgeſtellt, und Gegenſtaͤnde im Raume, auſſer mir, ſind zwar ſceptiſch ganz unterſchiedene Erſcheinungen, aber da- durch werden ſie nicht als verſchiedene Dinge gedacht. Das transſcendentale Obiect, welches den aͤuſſeren Erſchei- nungen, imgleichen das, was der innern Anſchauung zum [380/0410] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. zum Grunde liegt, iſt weder Materie, noch ein denkend Weſen an ſich ſelbſt, ſondern ein uns unbekanter Grund der Erſcheinungen, die den empiriſchen Begriff von der erſten ſowol als zweiten Art an die Hand geben. Wenn wir alſo, wie uns denn die gegenwaͤrti- ge Critik augenſcheinlich dazu noͤthigt, der oben feſtgeſez- ten Regel treu bleiben, unſere Fragen nicht weiter zu trei- ben, als nur ſo weit moͤgliche Erfahrung uns das Obiect derſelben an die Hand geben kan: ſo werden wir es uns nicht einmal einfallen laſſen, uͤber die Gegenſtaͤnde unſerer Sinne nach demienigen, was ſie an ſich ſelbſt, d. i. ohne alle Beziehung auf die Sinne ſeyn moͤgen, Erkundigung anzuſtellen. Wenn aber der Pſycholog Erſcheinungen vor Dinge an ſich ſelbſt nimt, ſo mag er als Materialiſt einzig und allein Materie, oder als Spiritualiſt blos denkende Weſen (nemlich nach der Form unſers innern Sinnes) oder als Dualiſt beide, als vor ſich exiſtirende Dinge, in ſeinen Lehrbegriff aufnehmen, ſo iſt er doch immer durch Mißverſtand hingehalten uͤber die Art zu vernuͤnfteln, wie dasienige an ſich ſelbſt exiſtiren moͤge, was doch kein Ding an ſich, ſondern nur die Erſcheinung eines Dinges uͤber- haupt iſt. Be- [381/0411] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Betrachtung uͤber die Summe der reinen Seelenlehre, zu Folge dieſen Paralogismen. Wenn wir die Seelenlehre, als die Phyſiologie der in- neren Sinnes, mit der Coͤrperlehre, als einer Phyſiolo- gie der Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sinne vergleichen: ſo finden wir, auſſer dem, daß in beiden vieles empiriſch erkant werden kan, doch dieſen merkwuͤrdigen Unterſchied, daß in der lezteren Wiſſenſchaft doch vieles a priori, aus dem bloſſen Begriffe eines ausgedehnten undurchdringlichen Weſens, in der erſteren aber, aus dem Begriffe eines denkenden Weſens, gar nichts a priori ſynthetiſch erkant werden kan. Die Urſache iſt dieſe. Obgleich beides Er- ſcheinungen ſind, ſo hat doch die Erſcheinung vor dem aͤuſſeren Sinne etwas Stehendes, oder Bleibendes, wel- ches ein, den wandelbaren Beſtimmungen zum Grunde liegendes Subſtratum und mithin einen ſynthetiſchen Be- griff, nemlich den vom Raume und einer Erſcheinung in demſelben, an die Hand giebt, anſtatt daß die Zeit, wel- che die einzige Form unſerer innern Anſchauung iſt, nichts Bleibendes hat, mithin nur den Wechſel der Beſtimmun- gen, nicht aber den beſtimbaren Gegenſtand zu erkennen giebt. Denn, in dem was wir Seele nennen, iſt alles im continuirlichen Fluſſe und nichts Bleibendes, auſſer etwa (wenn man es durchaus will) das darum ſo einfache Ich, weil dieſe Vorſtellung keinen Inhalt, mithin kein Man- nigfaltiges hat, weswegen ſie auch ſcheint ein einfaches Obiect [382/0412] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Obiect vorzuſtellen, oder beſſer geſagt, zu bezeichnen. Die- ſes Ich muͤßte eine Anſchauung ſeyn, welche, da ſie beim Denken uͤberhaupt (vor aller Erfahrung) vorausgeſezt wuͤrde, als Anſchauung a priori ſynthetiſche Saͤtze lieferte, wenn es moͤglich ſeyn ſollte, eine reine Vernunfterkentniß von der Natur eines denkenden Weſens uͤberhaupt zu Stan- de zu bringen. Allein dieſes Ich iſt ſo wenig Anſchauung, als Begriff von irgend einem Gegenſtande, ſondern die bloſſe Form des Bewuſtſeyns, welches beiderley Vorſtel- lungen begleiten, und ſie dadurch zu Erkentniſſen erheben kan, ſo fern nemlich dazu noch irgend etwas anders in der Anſchauung gegeben wird, welches zu einer Vorſtel- lung von einem Gegenſtande Stoff darreichet. Alſo faͤllt die ganze rationale Pſychologie, als eine, alle Kraͤfte der menſchlichen Vernunft uͤberſteigende Wiſſenſchaft, und es bleibt uns nichts uͤbrig, als unſere Seele an dem Leitfa- den der Erfahrung zu ſtudiren und uns in den Schranken der Fragen zu halten, die nicht weiter gehen, als moͤgli- che innere Erfahrung ihren Inhalt darlegen kan. Ob ſie nun aber gleich als erweiternde Erkentniß keinen Nutzen hat, ſondern als ſolche aus lauter Paralo- gismen zuſammengeſezt iſt, ſo kan man ihr doch, wenn ſie vor nichts mehr, als eine critiſche Behandlung unſerer dialectiſcher Schluͤſſe und zwar der gemeinen und natuͤrli- chen Vernunft, gelten ſoll, einen wichtigen negativen Nutzen nicht abſprechen. Wozu [383/0413] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Wozu haben wir wol eine blos auf reine Vernunftprin- cipien gegruͤndete Seelenlehre noͤthig? Ohne Zweifel vorzuͤglich in der Abſicht, um unſer denkendes Selbſt wi- der die Gefahr des Materialismus zu ſichern. Dieſes leiſtet aber der Vernunftbegriff von unſerem denkenden Selbſt, den wir gegeben haben. Denn weit gefehlt, daß nach demſelben einige Furcht uͤbrig bliebe, daß, wenn man die Materie wegnaͤhme, dadurch alles Denken und ſelbſt die Exiſtenz denkender Weſen aufgehoben werden wuͤrde, ſo wird vielmehr klar gezeigt: daß, wenn ich das denken- de Subiect wegnehme, die ganze Coͤrperwelt wegfallen muß, als die nichts iſt, als die Erſcheinung in der Sinn- lichkeit unſeres Subiects und eine Art Vorſtellungen deſſelben. Dadurch erkenne ich zwar freilich dieſes denkende Selbſt ſeinen Eigenſchaften nach nicht beſſer, noch kan ich ſeine Beharrlichkeit, ia ſelbſt nicht einmal die Unabhaͤngig- keit ſeiner Exiſtenz, von dem etwanigen transſcendentalen Subſtratum aͤuſſerer Erſcheinungen einſehen, denn dieſes iſt mir, eben ſowol als ienes, unbekant. Weil es aber gleichwol moͤglich iſt, daß ich anders woher, als aus blos ſpeculativen Gruͤnden Urſache hernaͤhme, eine ſelbſtſtaͤndige und bey allem moͤglichen Wechſel meines Zuſtandes beharr- liche Exiſtenz meiner denkenden Natur zu hoffen, ſo iſt da- durch ſchon viel gewonnen, bey dem freien Geſtaͤndniß meiner eigenen Unwiſſenheit, dennoch die dogmatiſche An- griffe eines ſpeculativen Gegners abtreiben zu koͤnnen, und ihm [384/0414] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. ihm zu zeigen: daß er niemals mehr von der Natur mei- nes Subiects wiſſen koͤnne, um meinen Erwartungen die Moͤglichkeit abzuſprechen, als ich, um mich an ihnen zu halten. Auf dieſen transſcendentalen Schein unſerer pſycho- logiſchen Begriffe gruͤnden ſich denn noch drey dialectiſche Fragen, welche das eigentliche Ziel der rationalen Pſycholo- gie ausmachen, und nirgend anders, als durch obige Unterſuchungen entſchieden werden koͤnnen: nemlich 1) von der Moͤglichkeit der Gemeinſchaft der Seele mit einem or- ganiſchen Coͤrper, d. i. der Animalitaͤt und dem Zuſtande der Seele im Leben des Menſchen, 2) vom Anfange die- ſer Gemeinſchaft, d. i. der Seele in und vor der Geburth des Menſchen, 3) dem Ende dieſer Gemeinſchaft, d. i. der Seele im und nach dem Tode des Menſchen (Frage wegen der Unſterblichkeit). Ich behaupte nun: daß alle Schwierigkeiten, die man bey dieſen Fragen vorzufinden glaubet, und mit de- nen, als dogmatiſchen Einwuͤrfen, man ſich das Anſehen einer tieferen Einſicht in die Natur der Dinge, als der gemeine Verſtand wol haben kan, zu geben ſucht, auf einem bloſſen Blendwerke beruhe, nach welchem man das, was blos in Gedanken exiſtirt, hypoſtaſirt, und in eben derſelben Qualitaͤt, als einen wirklichen Gegenſtand auſ- ſerhalb dem denkenden Subiecte annimt, nemlich Aus- dehnung, die nichts als Erſcheinung iſt, vor eine, auch ohne unſere Sinnlichkeit, ſubſiſtirende Eigenſchaft aͤuſſe- rer [385/0415] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. rer Dinge, und Bewegung vor deren Wirkung, welche auch auſſer unſeren Sinnen an ſich wirklich vorgeht, zu hal- ten. Denn die Materie, deren Gemeinſchaft mit der Seele ſo groſſes Bedenken erregt, iſt nichts anders als eine bloſſe Form, oder eine gewiſſe Vorſtellungsart eines unbekanten Gegenſtandes, durch dieienige Anſchauung, welche man den aͤuſſeren Sinn nent. Es mag alſo wol etwas auſſer uns ſeyn, dem dieſe Erſcheinung, welche wir Materie nennen, correſpondirt; aber, in derſelben Qualitaͤt als Erſcheinung iſt es nicht auſſer uns, ſondern lediglich als ein Gedanke in uns, wie wol dieſer Gedanke durch genanten Sinn, es als auſſer uns befindlich vor- ſtellt. Materie bedeutet alſo nicht eine von dem Gegen- ſtande des inneren Sinnes (Seele) ſo ganz unterſchiedene und heterogene Art von Subſtanzen, ſondern nur die Un- gleichartigkeit der Erſcheinungen von Gegenſtaͤnden (die uns an ſich ſelbſt unbekant ſind) deren Vorſtellungen wir aͤuſſere nennen, in Vergleichung mit denen, die wir zum inneren Sinne zaͤhlen, ob ſie gleich eben ſowol blos zum denkenden Subiecte, als alle uͤbrige Gedanken, gehoͤren, nur daß ſie dieſes Taͤuſchende an ſich haben: daß, da ſie Gegenſtaͤnde im Raume vorſtellen, ſich gleichſam von der Seele abloͤſen und auſſer ihr zu ſchweben ſcheinen, da doch ſelbſt der Raum, darin ſie angeſchauet werden, nichts als eine Vorſtellung iſt, deren Gegenbild in derſelben Qua- litaͤt aͤuſſer der Seele gar nicht angetroffen werden kan. Nun iſt die Frage nicht mehr: von der Gemeinſchaft der Seele B b [386/0416] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Seele mit anderen bekanten und fremdartigen Subſtanzen auſſer uns, ſondern blos von der Verknuͤpfung der Vor- ſtellungen des inneren Sinnes mit den Modificationen un- ſerer aͤuſſeren Sinnlichkeit, und wie dieſe unter einander nach beſtaͤndigen Geſetzen verknuͤpft ſeyn moͤgen, ſo daß ſie in einer Erfahrung zuſammenhaͤngen. So lange wir innere und aͤuſſere Erſcheinungen, als bloſſe Vorſtellungen in der Erfahrung, mit einander zu- ſammen halten, ſo finden wir nichts widerſinniſches und welches die Gemeinſchaft beider Art Sinne befremdlich machte. Sobald wir aber die aͤuſſere Erſcheinungen hypo- ſtaſiren, ſie nicht mehr als Vorſtellungen, ſondern in der- ſelben Qualitaͤt, wie ſie in uns ſind, auch als auſſer uns vor ſich beſtehende Dinge, ihre Handlungen aber, die ſie als Erſcheinungen gegen einander im Verhaͤltniß zeigen, auf unſer denkendes Subiects beziehen, ſo haben wir einen Character der wirkenden Urſachen auſſer uns, der ſich mit ihren Wirkungen in uns nicht zuſammen reimen will, weil iener ſich blos auf aͤuſſere Sinne, dieſe aber auf den innern Sinn beziehen, welche, ob ſie zwar in einem Subiecte vereinigt, dennoch hoͤchſt ungleichartig ſind. Da haben wir denn keine andere aͤuſſere Wirkun- gen, als Veraͤnderungen des Orts, und keine Kraͤfte, als blos Beſtrebungen, welche auf Verhaͤltniſſe im Raume, als ihre Wirkungen, auslaufen. In uns aber ſind die Wirkungen Gedanken, unter denen kein Verhaͤltniß des Orts [387/0417] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Orts, Bewegung, Geſtalt, oder Raumesbeſtimmung uͤber- haupt ſtatt findet, und wir verliehren den Leitfaden der Urſachen gaͤnzlich an den Wirkungen, die ſich davon in dem inneren Sinne zeigen ſollten. Aber wir ſollten be- denken: daß nicht die Coͤrper Gegenſtaͤnde an ſich ſind, die uns gegenwaͤrtig ſeyn, ſondern eine bloße Erſcheinung, wer weis, welches unbekanten Gegenſtandes, daß die Be- wegung nicht die Wirkung dieſer unbekanten Urſache, ſon- dern blos die Erſcheinung ihres Einfluſſes auf unſere Sinne ſey, daß folglich beide nicht Etwas auſſer uns, ſondern blos Vorſtellungen in uns ſeyn, mithin daß nicht die Be- wegung der Materie in uns Vorſtellungen wirke, ſondern daß ſie ſelbſt (mithin auch die Materie, die ſich dadurch kennbar macht) bloſſe Vorſtellung ſey, und endlich die ganze ſelbſtgemachte Schwierigkeit darauf hinauslaufe: wie und durch welche Urſache die Vorſtellungen unſerer Sinnlich- keit ſo untereinander in Verbindung ſtehen, daß dieienige, welche wir aͤuſſere Anſchauungen nennen, nach empiri- ſchen Geſetzen, als Gegenſtaͤnde auſſer uns, vorgeſtellet wer- den koͤnnen, welche Frage nun ganz und gar nicht die ver- meinte Schwierigkeit enthaͤlt, den Urſprung der Vorſtel- lungen von auſſer uns befindlichen ganz fremdartigen wir- kenden Urſachen zu erklaͤren, indem wir die Erſcheinungen einer unbekanten Urſache vor die Urſache auſſer uns neh- men, welches nichts als Verwirrung veranlaſſen kan. In Urtheilen, in denen eine durch lange Gewohnheit einge- wurzelte Mißdeutung vorkomt, iſt es unmoͤglich, die Be- richti- B b 2 [388/0418] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. richtigung ſo fort zu derienigen Faßlichkeit zu bringen, wel- che in anderen Faͤllen gefoͤrdert werden kan, wo keine der- gleichen unvermeidliche Illuſion den Begriff verwirrt. Da- her wird dieſe unſere Befreiung der Vernunft von ſophi- ſtiſchen Theorien ſchwerlich ſchon die Deutlichkeit haben, die ihr zur voͤlligen Befriedigung noͤthig iſt. Ich glaube dieſe auf folgende Weiſe befoͤrdern zu koͤnnen. Alle Einwuͤrfe koͤnnen in dogmatiſche, critiſche und ſceptiſche eingetheilt werden. Der dogmatiſche Ein- wurf iſt, der wider einen Satz, der critiſche, der wider den Beweis eines Satzes gerichtet iſt. Der erſtere be- darf einer Einſicht in die Beſchaffenheit der Natur des Gegenſtandes, um das Gegentheil von demienigen behaup- ten zu koͤnnen, was der Satz von dieſem Gegenſtande vor- giebt, er iſt daher ſelbſt dogmatiſch und giebt vor, die Beſchaffenheit, von der die Rede iſt, beſſer zu kennen, als der Gegentheil. Der critiſche Einwurf, weil er den Satz in ſeinem Werthe oder Unwerthe unangetaſtet laͤßt, und nur den Beweis anficht, bedarf gar nicht den Gegen- ſtand beſſer zu kennen, oder ſich einer beſſeren Kentniß deſſelben anzumaſſen; er zeigt nur, daß die Behauptung grundlos, nicht, daß ſie unrichtig ſey. Der ſceptiſche ſtellet Satz und Gegenſatz wechſelſeitig gegen einander, als Einwuͤrfe von gleicher Erheblichkeit, einen ieden derſelben wechſelsweiſe als Dogma und den andern als deſſen Ein- wurf, iſt alſo auf zwey entgegengeſezten Seiten dem Schei- [389/0419] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Scheine nach dogmatiſch, um alles Urtheil uͤber den Ge- genſtand gaͤnzlich zu vernichten. Der dogmatiſche alſo ſo wol, als ſceptiſche Einwurf, muͤſſen beide ſo viel Einſicht ihres Gegenſtandes vorgeben, als noͤthig iſt, etwas von ihm beiahend oder verneinend zu behaupten. Der criti- ſche iſt allein von der Art, daß, indem er blos zeigt, man nehme zum Behuf ſeiner Behauptung etwas an, was nich- tig und blos eingebildet iſt, die Theorie ſtuͤrzt, dadurch, daß ſie ihr die angemaßte Grundlage entzieht, ohne ſonſt et- was uͤber die Beſchaffenheit des Gegenſtandes ausmachen zu wollen. Nun ſind wir nach den gemeinen Begriffen unſerer Vernunft in Anſehung der Gemeinſchaft, darin unſer denkendes Subiect mit den Dingen auſſer uns ſteht, dog- matiſch und ſehen dieſe als wahrhafte unabhaͤngig von uns beſtehende Gegenſtaͤnde an, nach einem gewiſſen trans- ſcendentalen Dualism, der iene aͤuſſere Erſcheinungen nicht als Vorſtellungen zum Subiecte zehlt, ſondern ſie, ſo wie ſinnliche Anſchauung ſie uns liefert, auſſer uns als Ob- iecte verſezt und ſie von dem denkenden Subiecte gaͤnzlich abtrent. Dieſe Subreption iſt nun die Grundlage aller Theorien uͤber die Gemeinſchaft zwiſchen Seele und Coͤrper, und es wird niemals gefragt: ob denn dieſe obiective Rea- litaͤt der Erſcheinungen ſo ganz richtig ſey, ſondern dieſe wird als zugeſtanden vorausgeſezt und nur uͤber die Art vernuͤnftelt, wie ſie erklaͤrt und begriffen werden muͤſſe. Die B b 3 [390/0420] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Die gewoͤhnliche drey hieruͤber erdachte und wirklich einzig moͤgliche Syſteme ſind die, des phyſiſchen Einfluſſes, der vorher beſtimten Harmonie und der uͤbernatuͤrlichen Aſſiſtenz. Die zwey leztere Erklaͤrungsarten der Gemeinſchaft der Seele mit der Materie ſind auf Einwuͤrfe gegen die erſtere, welche die Vorſtellung des gemeinen Verſtandes iſt, gegruͤndet, daß nemlich dasienige, was als Materie erſcheint, durch ſeinen unmittelbaren Einfluß nicht die Ur- ſache von Vorſtellungen, als einer ganz heterogenen Art von Wirkungen, ſeyn koͤnne. Sie koͤnnen aber alsdenn mit dem, was ſie unter dem Gegenſtande aͤuſſerer Sinne ver- ſtehen, nicht den Begriff einer Materie verbinden, welche nichts als Erſcheinung, mithin ſchon an ſich ſelbſt bloſſe Vorſtellung, die durch irgend welche aͤuſſere Gegenſtaͤnde gewirkt worden, denn ſonſt wuͤrden ſie ſagen: daß die Vorſtellungen aͤuſſerer Gegenſtaͤnde (die Erſcheinungen) nicht aͤuſſere Urſachen der Vorſtellungen in unſerem Gemuͤ- the ſeyn koͤnnen, welches ein ganz ſinnleerer Einwurf ſeyn wuͤrde, weil es niemanden einfallen wird, das, was er einmal als bloſſe Vorſtellung anerkant hat, vor eine aͤuſ- ſere Urſache zu halten. Sie muͤſſen alſo nach unſeren Grundſaͤtzen ihre Theorie darauf richten: daß dasienige, was der wahre (transſcendentale) Gegenſtand unſerer aͤuſſeren Sinne iſt, nicht die Urſache derienigen Vorſtel- lungen (Erſcheinungen) ſeyn koͤnne, die wir unter dem Nahmen [391/0421] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. Nahmen Materie verſtehen. Da nun niemand mit Grunde vorgeben kan, etwas von der transſcendentalen Urſache unſerer Vorſtellungen aͤuſſerer Sinne zu kennen, ſo iſt ihre Behauptung ganz grundlos. Wollten aber die vermeinte Ver- beſſerer der Lehre vom phyſiſchen Einfluſſe, nach der gemeinen Vorſtellungsart eines transſcendentalen Dualism, die Ma- terie, als ſolche, vor ein Ding an ſich ſelbſt (und nicht als bloſſe Erſcheinung eines unbekanten Dinges) anſehen und ihren Einwurf dahin richten, zu zeigen: daß ein ſol- cher aͤuſſerer Gegenſtand, welcher keine andere Cauſſalitaͤt als die der Bewegungen an ſich zeigt, nimmermehr die wirkende Urſache von Vorſtellungen ſeyn koͤnne, ſondern daß ſich ein drittes Weſen deshalb ins Mittel ſchlagen muͤſ- ſe, um, wo nicht Wechſelwirkung, doch wenigſtens Cor- reſpondenz und Harmonie zwiſchen beiden zu ſtiften: ſo wuͤrden ſie ihre Widerlegung davon anfangen, das πρῶ- τον ψεῦδος des phyſiſchen Einfluſſes in ihrem Dualismus anzunehmen, und alſo durch ihren Einwurf nicht ſowol den natuͤrlichen Einfluß, ſondern ihre eigene dualiſtiſche Vorausſetzung widerlegen. Denn alle Schwierigkeiten, welche die Verbindung der denkenden Natur mit der Ma- terie treffen, entſpringen ohne Ausnahme lediglich aus iener erſchlichenen dualiſtiſchen Vorſtellung: daß Materie, als ſolche, nicht Erſcheinung, d. i. bloſſe Vorſtellung des Gemuͤths, der ein unbekanter Gegenſtand entſpricht, ſon- dern der Gegenſtand an ſich ſelbſt ſey, ſo wie er auſſer uns und unabhaͤngig von aller Sinnlichkeit exiſtirt. Es B b 4 [392/0422] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Es kan alſo wider den gemein angenommenen phy- ſiſchen Einfluß kein dogmatiſcher Einwurf gemacht werden. Denn nimt der Gegner an: daß Materie und ihre Bewe- gung bloſſe Erſcheinungen und alſo ſelbſt nur Vorſtellun- gen ſeyn, ſo kan er nur darin die Schwierigkeit ſetzen: daß der unbekante Gegenſtand unſerer Sinnlichkeit nicht die Urſache der Vorſtellungen in uns ſeyn koͤnne, welches aber vorzugeben ihn nicht das mindeſte berechtigt, weil niemand von einem unbekanten Gegenſtande ausmachen kan, was er thun oder nicht thun koͤnne. Er muß aber, nach unſeren obigen Beweiſen, dieſen transſcendentalen Idea- lism nothwendig einraͤumen, wofern er nicht offenbar Vorſtellungen hypoſtaſiren und ſie, als wahre Dinge, auſ- ſer ſich verſetzen will. Gleichwol kan wider die gemeine Lehrmeinung des phyſiſchen Einfluſſes ein gegruͤndeter critiſcher Einwurf gemacht werden. Eine ſolche vorgegebene Gemeinſchaft zwiſchen zween Arten von Subſtanzen, der denkenden und der ausgedehnten, legt einen groben Dualism zum Grun- de und macht die leztere, die doch nichts als bloſſe Vor- ſtellungen des denkenden Subiects ſind, zu Dingen, die vor ſich beſtehen. Alſo kan der mißverſtandene phyſiſche Ein- fluß dadurch voͤllig vereitelt werden, daß man den Beweis- grund deſſelben als nichtig und erſchlichen aufdekt. Die beruͤchtigte Frage, wegen der Gemeinſchaft des Denkenden und Ausgedehnten, wuͤrde alſo, wenn man al- les [393/0423] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. les Eingebildete abſondert, lediglich darauf hinauslaufen: wie in einem denkenden Subiect uͤberhaupt, aͤuſſere An- ſchauung, nemlich die des Raumes (einer Erfuͤllung deſſelben Geſtalt und Bewegung) moͤglich ſey. Auf dieſe Frage aber iſt es keinem Menſchen moͤglich eine Antwort zu finden, und man kan dieſe Luͤcke unſeres Wiſſens niemals ausfuͤllen, ſondern nur dadurch bezeichnen, daß man die aͤuſſere Er- ſcheinungen einem transſcendentalen Gegenſtande zuſchreibt, welcher die Urſache dieſer Art Vorſtellungen iſt, den wir aber gar nicht kennen, noch iemals einigen Begriff von ihm bekommen werden. In allen Aufgaben, die im Fel- de der Erfahrung vorkommen moͤgen, behandeln wir iene Erſcheinungen als Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt, ohne uns um den erſten Grund ihrer Moͤglichkeit (als Erſcheinungen) zu bekuͤmmern. Gehen wir aber uͤber deren Graͤnze hinaus, ſo wird der Begriff eines transſcendentalen Gegenſtandes nothwendig. Von dieſen Erinnerungen, uͤber die Gemeinſchaft zwi- ſchen dem denkenden und den ausgedehnten Weſen, iſt die Entſcheidung aller Streitigkeiten oder Einwuͤrfe, welche den Zuſtand der denkenden Natur vor dieſer Gemeinſchaft (dem Leben), oder nach aufgehobener ſolchen Gemeinſchaft (im Tode) betreffen, eine unmittelbare Folge. Die Mei- nung, daß das denkende Subiect vor aller Gemeinſchaft mit Coͤrpern habe denken koͤnnen, wuͤrde ſich ſo ausdruͤcken: daß vor dem Anfange dieſer Art der Sinnlichkeit, wodurch uns etwas B b 5 [394/0424] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. etwas im Raume erſcheint, dieſelbe transſcendentale Ge- genſtaͤnde, welche im gegenwaͤrtigen Zuſtande als Coͤrper erſcheinen, auf ganz andere Art haben angeſchaut werden koͤnnen. Die Meinung aber, daß die Seele, nach Auf- hebung aller Gemeinſchaft mit der koͤrperlichen Welt, noch fortfahren koͤnne zu denken, wuͤrde ſich in dieſer Form ankuͤn- digen: daß, wenn die Art der Sinnlichkeit, wodurch uns transſcendentale und vor iezt ganz unbekante Gegenſtaͤnde als materielle Welt erſcheinen, aufhoͤren ſollte: ſo ſey dar- um noch nicht alle Anſchauung derſelben aufgehoben und es ſey ganz wol moͤglich, daß eben dieſelbe unbekante Ge- genſtaͤnde fortfuͤhren, obzwar freilich nicht mehr in der Qualitaͤt der Coͤrper, von dem denkenden Subiect erkant zu werden. Nun kan zwar niemand den mindeſten Grund zu einer ſolchen Behauptung aus ſpeculativen Principien anfuͤhren, ia nicht einmal die Moͤglichkeit davon darthun, ſondern nur vorausſetzen; aber eben ſo wenig kan auch iemand irgend einen guͤltigen dogmatiſchen Einwurf dage- gen machen. Denn, wer er auch ſey, ſo weiß er eben ſo wenig von der abſoluten und inneren Urſache aͤuſſerer und koͤrper- licher Erſcheinungen, wie ich, oder iemand anders. Er kan alſo auch nicht mit Grunde vorgeben, zu wiſſen, wor- auf die Wirklichkeit der aͤuſſeren Erſcheinungen im ietzigen Zuſtande (im Leben) beruhe, mithin auch nicht: daß die Bedingung aller aͤuſſeren Anſchauung, oder auch das den- kende [395/0425] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. kende Subiect ſelbſt, nach demſelben (im Tode) aufhoͤren werde. So iſt denn alſo aller Streit uͤber die Natur unſe- res denkenden Weſens und der Verknuͤpfung deſſelben mit der Coͤrperwelt lediglich eine Folge davon, daß man in Anſehung deſſen, wovon man nichts weiß, die Luͤcke durch Paralogismen der Vernunft ausfuͤllt, da man ſeine Ge- danken zu Sachen macht und ſie hypoſtaſirt, woraus ein- gebildete Wiſſenſchaft, ſowol in Anſehung deſſen, der beia- hend, als deſſen, der verneinend behauptet, entſpringt, indem ein ieder entweder von Gegenſtaͤnden etwas zu wiſ- ſen vermeint, davon kein Menſch einigen Begriff hat, oder ſeine eigene Vorſtellungen zu Gegenſtaͤnden macht, und ſich ſo in einem ewigen Zirkel von Zweideutigkeiten und Widerſpruͤchen herum drehet. Nichts, als die Nuͤchtern- heit einer ſtrengen, aber gerechten Critik, kan von dieſem dogmatiſchen Blendwerke, der ſo viele durch eingebildete Gluͤckſeligkeit, unter Theorien und Syſtemen, hinhaͤlt, befreien, und alle unſere ſpeculative Anſpruͤche blos auf das Feld moͤglicher Erfahrung einſchraͤnken, nicht etwa durch ſchaalen Spott uͤber ſo oft fehlgeſchlagene Verſuche, oder fromme Seufzer uͤber die Schranken unſerer Vernunft, ſondern vermittelſt einer nach ſicheren Grundſaͤtzen vollzo- genen Graͤnzbeſtimmung derſelben, welche ihr nihil ulte- rius mit groͤſſeſter Zuverlaͤßigkeit an die herculiſche Saͤu- len heftet, die die Natur ſelbſt aufgeſtellet hat, um die Fahrt unſerer Vernunft nur ſo weit, als die ſtetig fort- laufen- [396/0426] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. laufende Kuͤſten der Erfahrung reichen, fortzuſetzen, die wir nicht verlaſſen koͤnnen, ohne uns auf einen uferloſen Ocean zu wagen, der uns unter immer truͤglichen Aus- ſichten, am Ende noͤthigt, alle beſchwerliche und langwie- rige Bemuͤhung, als hoffnungslos aufzugeben. Wir ſind noch eine deutliche und allgemeine Eroͤrte- rung des transſcendentalen und doch natuͤrlichen Scheins in den Paralogismen der reinen Vernunft, imgleichen die Rechtfertigung der ſyſtematiſchen und der Tafel der Cate- gorien parallel laufenden Anordnungen derſelben, bisher ſchuldig geblieben. Wir haͤtten ſie im Anfange dieſes Ab- ſchnitts nicht uͤbernehmen koͤnnen, ohne in Gefahr der Dunkelheit zu gerathen, oder uns unſchicklicher Weiſe ſelbſt vorzugreifen. Jezt wollen wir dieſe Obliegenheit zu er- fuͤllen ſuchen. Man kan allen Schein darin ſetzen: daß die ſub- iective Bedingung des Denkens vor die Erkentniß des Ob- iects gehalten wird. Ferner haben wir in der Einleitung in die transſcendentale Dialectik gezeigt: daß reine Ver- nunft ſich lediglich mit der Totalitaͤt der Syntheſis der Be- dingungen, zu einem gegebenen Bedingten, beſchaͤftige. Da nun der dialectiſche Schein der reinen Vernunft kein empiriſcher Schein ſeyn kan, der ſich beym beſtimten em- piriſchen Erkentniſſe vorfindet: ſo wird er das Allgemeine der Bedingungen des Denkens betreffen, und es wird nur drey [397/0427] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. drey Faͤlle des dialectiſchen Gebrauchs der reinen Vernunft geben, 1. Die Syntheſis der Bedingungen eines Gedankens uͤberhaupt, 2. Die Syntheſis der Bedingungen des empiriſchen Denkens. 3. Die Syntheſis der Bedingungen des reinen Denkens. In allen dieſen dreien Faͤllen beſchaͤftigt ſich die rei- ne Vernunft blos mit der abſoluten Totalitaͤt dieſer Syn- theſis, d. i. mit derienigen Bedingung, die ſelbſt unbedingt iſt. Auf dieſe Eintheilung gruͤndet ſich auch der dreifache transſcendentale Schein, der zu drey Abſchnitten der Dia- lectik Anlaß giebt, und zu eben ſo viel ſcheinbaren Wiſſen- ſchaften aus reiner Vernunft, der transſcendentalen Pſy- chologie, Cosmologie und Theologie, die Idee an die Hand giebt. Wir haben es hier nur mit der erſteren zu thun. Weil wir beym Denken uͤberhaupt von aller Bezie- hung des Gedanken auf irgend ein Obiect (es ſey der Sinne oder des reinen Verſtandes) abſtrahiren: ſo iſt die Syntheſis der Bedingungen eines Gedanken uͤberhaupt (no. 1) gar nicht obiectiv, ſondern blos eine Syntheſis des Gedanken mit dem Subiect, die aber faͤlſchlich vor eine ſynthetiſche Vorſtellung eines Obiects gehalten wird. Es folgt aber auch hieraus: daß der dialectiſche Schluß auf die Bedingung alles Denkens uͤberhaupt, die ſelbſt unbedingt iſt, nicht einen Fehler im Inhalte begehe, (denn er abſtrahirt von allem Inhalte oder Obiecte) ſon- dern [398/0428] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. dern, daß er allein in der Form fehle und Paralogism genant werden muͤſſe. Weil ferner die einzige Bedingung, die alles Den- ken begleitet, das Ich, in dem allgemeinen Satze Ich denke, iſt, ſo hat die Vernunft es mit dieſer Bedingung, ſo fern ſie ſelbſt unbedingt iſt, zu thun. Sie iſt aber nur die formale Bedingung, nemlich die logiſche Einheit eines ieden Gedanken, bey dem ich von allem Gegenſtan- de abſtrahire, und wird gleichwol als ein Gegenſtand, den ich denke, nemlich: Ich ſelbſt und die unbedingte Einheit deſſelben vorgeſtellet. Wenn mir iemand uͤberhaupt die Frage aufwuͤrfe: von welcher Beſchaffenheit iſt ein Ding, welches denkt? ſo weis ich darauf a priori nicht das mindeſte zu antwor- ten, weil die Antwort ſynthetiſch ſeyn ſoll (denn eine ana- lytiſche erklaͤrt vielleicht wol das Denken, aber giebt keine erweiterte Erkentniß von demienigen, worauf dieſes Den- ken ſeiner Moͤglichkeit nach beruht. Zu ieder ſyntheti- ſchen Aufloͤſung aber wird Anſchauung erfordert, die in der ſo allgemeinen Aufgabe gaͤnzlich weg- gelaſſen worden. Eben ſo kan niemand die Fra- ge in ihrer Allgemeinheit beantworten: was wol das vor ein Ding ſeyn muͤſſe, welches beweglich iſt? Denn die undurchdringliche Ausdehnung (Materie) iſt alsdenn nicht gegeben. Ob ich nun zwar allgemein auf iene Frage keine Antwort weis: ſo ſcheint es mir doch, daß ich ſie im ein- zelnen Falle, in dem Satze, der das Selbſtbewuſtſeyn aus- druͤckt: [399/0429] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. druͤckt: Ich denke, geben koͤnne. Denn dieſes Ich iſt das erſte Subiect, d. i. Subſtanz, es iſt einfach ꝛc. Dieſes muͤßten aber alsdenn lauter Erfahrungsſaͤtze ſeyn, die gleich- wol ohne eine allgemeine Regel, welche die Bedingungen der Moͤglichkeit zu denken uͤberhaupt und a priori aus- ſagte, keine dergleichen Praͤdicate (welche nicht empiriſch ſeyn) enthalten koͤnte. Auf ſolche Weiſe wird mir meine anfaͤnglich ſo ſcheinbare Einſicht, uͤber der Natur eines denkenden Weſens, und zwar aus lauter Begriffen zu ur- theilen, verdaͤchtig, ob ich gleich den Fehler derſelben noch nicht entdekt habe. Allein, das weitere Nachforſchen hinter den Urſprung dieſer Attribute, die ich Mir, als einem denkenden Weſen uͤberhaupt, beylege, kann dieſen Fehler aufdecken. Sie ſind nichts mehr als reine Categorien, wodurch ich nie- mals einen beſtimten Gegenſtand, ſondern nur die Einheit der Vorſtellungen, um einen Gegenſtand derſelben zu be- ſtimmen, denke. Ohne eine zum Grunde liegende An- ſchauung kan die Categorie allein mir keinen Begriff von einem Gegenſtande verſchaffen; denn nur durch Anſchau- ung wird der Gegenſtand gegeben, der hernach der Cate- gorie gemaͤß gedacht wird. Wenn ich ein Ding vor eine Subſtanz in der Erſcheinung erklaͤre, ſo muͤſſen mir vor- her Praͤdicate ſeiner Anſchauung gegeben ſeyn, an denen ich das Beharrliche vom Wandelbaren und das Subſtra- tum (Ding ſelbſt) von demienigen, was ihm blos anhaͤngt, unter- [400/0430] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. unterſcheide. Wenn ich ein Ding einfach in der Erſchei- nung nenne, ſo verſtehe ich darunter, daß die Anſchau- ung deſſelben zwar ein Theil der Erſcheinung ſey, ſelbſt aber nicht getheilt werden koͤnne u. ſ. w. Iſt aber etwas nur vor einfach im Begriffe und nicht in der Erſcheinung erkant, ſo habe ich dadurch wirklich gar keine Erkentniß von dem Gegenſtande, ſondern nur von meinem Begriffe, den ich mir von Etwas uͤberhaupt mache, das keiner ei- gentlichen Anſchauung faͤhig iſt. Ich ſage nur, daß ich etwas ganz einfach denke, weil ich wirklich nichts weiter, als blos, daß es Etwas ſey, zu ſagen weiß. Nun iſt die bloſſe Apperception (Ich) Subſtanz im Begriffe, einfach im Begriffe ꝛc. und ſo haben alle iene pſychologiſche Lehrſaͤtze ihre unſtreitige Richtigkeit. Gleich- wol wird dadurch doch dasienige keinesweges von der Seele erkant, was man eigentlich wiſſen will, denn alle dieſe Praͤ- dicate gelten gar nicht von der Anſchauung, und koͤnnen daher auch keine Folgen haben, die auf Gegenſtaͤnde der Erfahrung angewandt wuͤrden, mithin ſind ſie voͤllig leer. Denn iener Begriff der Subſtanz lehret mich nicht: daß die Seele vor ſich ſelbſt fortdaure, nicht, daß ſie von den aͤuſ- ſeren Anſchauungen ein Theil ſey, der ſelbſt nicht mehr getheilt werden koͤnne, und der alſo durch keine Veraͤnde- rungen der Natur entſtehen, oder vergehen koͤnne; lau- ter Eigenſchaften, die mir die Seele im Zuſammenhange der Erfahrung kenbar machen, und, in Anſehung ihres Urſprungs und kuͤnftigen Zuſtandes, Eroͤfnung geben koͤn- ten [401/0431] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ten. Wenn ich nun aber durch bloſſe Categorie ſage: die Seele iſt eine einfache Subſtanz, ſo iſt klar, daß da der nakte Verſtandesbegriff von Subſtanz nichts weiter ent- haͤlt, als daß ein Ding, als Subiect an ſich, ohne wie- derum Praͤdicat von einem andern zu ſeyn, vorgeſtellt werden ſolle, daraus nichts von Beharrlichkeit folge, und das Attribut des Einfachen dieſe Beharrlichkeit gewiß nicht hinzuſetzen koͤnne, mithin man dadurch uͤber das, was die Seele bey den Weltveraͤnderungen treffen koͤnne, nicht im mindeſten unterrichtet werde. Wuͤrde man uns ſagen koͤnnen, ſie iſt ein einfacher Theil der Materie, ſo wuͤr- den wir von dieſer, aus dem, was Erfahrung von ihr lehrt, die Beharrlichkeit und, mit der einfachen Natur zu- ſammen, die Unzerſtoͤhrlichkeit derſelben ableiten koͤnnen. Davon ſagt uns aber der Begriff des Ich, in dem pſycho- logiſchen Grundſatze (Ich denke), nicht ein Wort. Daß aber das Weſen, welches in uns denkt, durch reine Categorien und zwar dieienige, welche die abſolute Einheit unter iedem Titel derſelben ausdruͤcken, ſich ſelbſt zu erkennen vermeine, ruͤhrt daher. Die Apperception iſt ſelbſt der Grund der Moͤglichkeit der Categorien, welche ihrer Seits nichts anders vorſtellen, als die Syntheſis des Mannigfaltigen der Anſchauung, ſo fern daſſelbe in der Apperception Einheit hat. Daher iſt das Selbſtbewuſt- ſeyn uͤberhaupt die Vorſtellung desienigen, was die Be- dingung aller Einheit, und doch ſelbſt unbedingt iſt. Man kan daher von dem denkenden Ich, (Seele) das ſich als Sub- C c [402/0432] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. Subſtanz, einfach, numeriſch identiſch in aller Zeit, und das Correlatum alles Daſeyns, aus welchem alles andere Daſeyn geſchloſſen werden muß, ſagen: daß es nicht ſo- wol ſich ſelbſt durch die Categorien, ſondern die Cate- gorien, und durch ſie alle Gegenſtaͤnde, in der abſoluten Einheit der Apperception, mithin durch ſich ſelbſt erkent. Nun iſt zwar ſehr einleuchtend: daß ich dasienige, was ich vorausſetzen muß, um uͤberhaupt ein Obiect zu erken- nen, nicht ſelbſt als Obiect erkennen koͤnne, und daß das be- ſtimmende Selbſt, (das Denken) von dem beſtimbaren Selbſt (dem denkenden Subiect), wie Erkentniß vom Gegenſtan- de unterſchieden ſey. Gleichwol iſt nichts natuͤrlicher und verfuͤhreriſcher, als der Schein, die Einheit in der Syn- theſis der Gedanken vor eine wahrgenommene Einheit im Subiecte dieſer Gedanken zu halten. Man koͤnte ihn die Subreption des hypoſtaſirten Bewuſtſeyns (apperceptio- nes ſubſtantiatae) nennen. Wenn man den Paralogism in den dialectiſchen Ver- nunftſchluͤſſen der rationalen Seelenlehre, ſo fern ſie gleich- wol richtige Praͤmiſſen haben, logiſch betiteln will: ſo kan er vor ein ſophisma figurae dictionis gelten, in welchem der Oberſatz von der Categorie, in Anſehung ihrer Bedin- gung, einen blos transſcendentalen Gebrauch, der Unter- ſatz aber und der Schlußſatz in Anſehung der Seele, die unter dieſe Bedingung ſubſumirt worden, von eben der Categorie einen empiriſchen Gebrauch macht. So iſt z. B. der [403/0433] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. der Begriff der Subſtanz in dem Paralogismus der Sim- plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin- gungen der ſinnlichen Anſchauung blos von transſcenden- talen, d. i. von gar keinem Gebrauch iſt. Im Unterſatze aber iſt eben derſelbe Begriff auf den Gegenſtand aller in- neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung ſeiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich- keit deſſelben, voraus feſtzuſetzen und zum Grunde zu le- gen, und daher ein empiriſcher, obzwar hier unzulaͤſſiger Gebrauch davon gemacht worden. Um endlich den ſyſtematiſchen Zuſammenhang aller dieſer dialectiſchen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln- den Seelenlehre, in einem Zuſammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollſtaͤndigkeit derſelben zu zeigen, ſo merke man: daß die Apperception durch alle Claſſen der Categorien, aber nur auf dieienige Verſtandesbegriffe durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derſelben den uͤbrigen zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subſiſtenz, Realitaͤt, Einheit (nicht Vielheit) und Exiſtenz, nur daß die Vernunft ſie hier alle als Bedingungen der Moͤglichkeit eines denkenden We- ſens, die ſelbſt unbedingt ſind, vorſtellt. Alſo erkent die Seele an ſich ſelbſt Die C c 2 [404/0434] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. 1. Die unbedingte Einheit des Verhaͤltniſſes d. i. ſich ſelbſt, nicht als inhaͤrirend, ſondern ſubſiſtirend 2. Die unbedingte Einheit der Qualitaͤt d. i. nicht als reales Ganze, ſondern einfach *) 3. Die unbedingte Einheit bey der Vielheit in der Zeit, d. i. nicht in verſchiedenen Zeiten numeriſch verſchieden, ſondern als Eines und eben daſſelbe Subiect 4. Die unbedingte Einheit des Daſeyns im Raume, d. i. nicht als das Bewuſtſeyn mehrerer Dinge auſſer ihr, ſondern nur des Daſeyns ihrer ſelbſt, anderer Dinge aber, blos als ihrer Vorſtellungen. Ver- *) Wie das Einfache hier wiederum der Categorie der Rea- litaͤt entſpreche, kan ich iezt noch nicht zeigen, ſondern wird im folgenden Hauptſtuͤcke, bey Gelegenheit eines andern Vernunftgebrauchs eben deſſelben Begriffs, ge- wieſen werden. [405/0435] II. Hauptſt. Die Antinomie d. r. Vernunft. Vernunft iſt das Vermoͤgen der Principien. Die Behauptungen der reinen Pſychologie enthalten nicht em- piriſche Praͤdicate von der Seele, ſondern ſolche, die, wenn ſie ſtatt finden, den Gegenſtand an ſich ſelbſt unab- haͤngig von der Erfahrung, mithin durch bloſſe Vernunft beſtimmen ſollen. Sie muͤßten alſo billig auf Principien und allgemeine Begriffe von denkenden Naturen uͤberhaupt gegruͤndet ſeyn. An deſſen Statt findet ſich: daß die einzelne Vorſtellung, Ich bin, ſie insgeſamt regirt, welche eben darum, weil ſie die reine Formel aller meiner Er- fahrung (unbeſtimt) ausdruͤckt, ſich wie ein allgemeiner Satz, der vor alle denkende Weſen gelte, ankuͤndigt, und, da er gleichwol in aller Abſicht einzeln iſt, den Schein einer abſoluten Einheit der Bedingungen des Denkens uͤberhaupt bey ſich fuͤhrt, und dadurch ſich weiter aus- breitet, als moͤgliche Erfahrung reichen koͤnte. Der Transſcendentalen Dialectik Zweites Buch. Zweites Hauptſtuͤck. Die Antinomie der reinen Vernunft. Wir haben in der Einleitung zu dieſem Theile unſeres Werks gezeigt: daß aller transſcendentale Schein der reinen Vernunft auf dialectiſchen Schluͤſſen beruhe, de- ren Schema die Logik in den drey formalen Arten der Ver- nunft- C c 3 [406/0436] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. nunftſchluͤſſe uͤberhaupt an die Hand giebt, ſo wie etwa die Categorien ihr logiſches Schema in den vier Functio- nen aller Urtheile antreffen. Die erſte Art dieſer ver- nuͤnftelnden Schluͤſſe gieng auf die unbedingte Einheit der ſubiectiven Bedingungen aller Vorſtellungen uͤberhaupt (des Subiects oder der Seele), in Correſpondenz mit den categoriſchen Vernunftſchluͤſſen, deren Oberſatz, als Prin- cip, die Beziehung eines Praͤdicats auf ein Subiect aus- ſagt. Die zweite Art des dialectiſchen Arguments wird alſo, nach der Analogie mit hypothetiſchen Vernunft- ſchluͤſſen, die unbedingte Einheit der obiectiven Bedingun- gen in der Erſcheinung zu ihrem Inhalte machen, ſo wie die dritte Art, die im folgenden Hauptſtuͤcke vorkommen wird, die unbedingte Einheit der obiectiven Bedingungen der Moͤglichkeit der Gegenſtaͤnde uͤberhaupt zum Thema hat. Es iſt aber merkwuͤrdig: daß der transſcendentale Paralogism einen blos einſeitigen Schein, in Anſehung der Idee von dem Subiecte unſeres Denkens, bewirkte, und zur Behauptung des Gegentheils ſich nicht der min- deſte Schein aus Vernunftbegriffen vorfinden will. Der Vortheil iſt gaͤnzlich auf der Seite des Pnevmatismus, ob- gleich dieſer den Erbfehler nicht verlaͤugnen kan, bey allem ihm guͤnſtigen Schein in der Feuerprobe der Critik ſich in lauter Dunſt aufzuloͤſen. Ganz anders faͤllt es aus, wenn wir die Vernunft auf die obiective Syntheſis der Erſcheinungen anwenden, wo [407/0437] II. Hauptſt. Die Antinomie d. r. Vernunft. wo ſie ihr Principium der unbedingten Einheit zwar mit vielem Scheine geltend zu machen denkt, ſich aber bald in ſolche Widerſpruͤche verwickelt, daß ſie genoͤthigt wird, in cosmologiſcher Abſicht, von ihrer Foderung abzuſtehen. Hier zeigt ſich nemlich ein neues Phaͤnomen der menſchlichen Vernunft, nemlich: eine ganz natuͤrliche An- tithetik, auf die keiner zu gruͤbeln und kuͤnſtlich Schlingen zu legen braucht, ſondern in welche die Vernunft von ſelbſt und zwar unvermeidlich geraͤth, und dadurch zwar vor den Schlummer einer eingebildeten Ueberzeugung, den ein blos einſeitiger Schein hervorbringt, verwahrt, aber zugleich in Verſuchung gebracht wird, ſich entweder einer ſceptiſchen Hoffnungsloſigkeit zu uͤberlaſſen, oder einen dog- matiſchen Trotz anzunehmen und den Kopf ſteif auf gewiſſe Behauptungen zu ſetzen, ohne den Gruͤnden des Gegen- theils Gehoͤr und Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen. Beides iſt der Tod einer geſunden Philoſophie, wiewol iener allenfals noch die Euthanaſie der reinen Vernunft genant werden koͤnte. Ehe wir die Auftritte des Zwieſpalts und der Zer- ruͤttungen ſehen laſſen, welche dieſer Widerſtreit der Ge- ſetze (Antinomie) der reinen Vernunft veranlaßt, wollen wir gewiſſe Eroͤrterungen geben, welche die Methode er- laͤutern und rechtfertigen koͤnnen, deren wir uns in Be- handlung unſeres Gegenſtandes bedienen. Ich nenne alle transſcendentale Ideen, ſo fern ſie die abſolute Totalitaͤt in der Syntheſis der Erſcheinungen betreffen, Weltbegriffe, theils C c 4 [408/0438] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. theils wegen eben dieſer unbedingten Totalitaͤt, worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der ſelbſt nur eine Idee iſt, theils weil ſie lediglich auf die Syntheſis der Erſcheinungen, mithin die empiriſche gehen, dahin- gegen die abſolute Totalitaͤt, in der Syntheſis der Bedin- gungen aller moͤglichen Dinge uͤberhaupt, ein Ideal der reinen Vernunft veranlaſſen wird, welches von dem Welt- begriffe gaͤnzlich unterſchieden iſt, ob es gleich darauf in Beziehung ſteht. Daher, ſo wie die Paralogismen der reinen Vernunft den Grund zu einer dialectiſchen Pſycho- logie legten, ſo wird die Antinomie der reinen Vernunft die transſcendentale Grundſaͤtze einer vermeinten reinen (rationalen) Cosmologie vor Augen ſtellen, nicht, um ſie guͤltig zu finden und ſich zuzueignen, ſondern, wie es auch ſchon die Benennung von einem Widerſtreit der Vernunft anzeigt, um ſie als eine Idee, die ſich mit Erſcheinungen nicht vereinbaren laͤßt, in ihrem blendenden aber falſchen Scheine darzuſtellen. Der Antinomie der reinen Vernunft Erſter Abſchnitt. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. Um nun dieſe Ideen nach einem Princip mit ſyſtemati- ſcher Praͤciſion aufzehlen zu koͤnnen, muͤſſen wir Erſtlich bemerken: daß nur der Verſtand es ſeyn, aus welchem reine und transſcendentale Begriffe entſpringen koͤn- [409/0439] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. koͤnnen, daß die Vernunft eigentlich gar keinen Begriff er- zeuge, ſondern allenfals nur den Verſtandesbegriff, von den unvermeidlichen Einſchraͤnkungen einer moͤglichen Er- fahrung, frey mache, und ihn alſo uͤber die Graͤnzen des Empiriſchen, doch aber in Verknuͤpfung mit demſelben, zu erweitern ſuche. Dieſes geſchieht dadurch: daß ſie zu einem gegebenen Bedingten auf der Seite der Bedingun- gen (unter denen der Verſtand alle Erſcheinungen der ſyn- thetiſchen Einheit unterwirft) abſolute Totalitaͤt fodert, und dadurch die Categorie zur transſcendentalen Idee macht, um der empiriſchen Syntheſis, durch die Fortſetzung der- ſelben bis zum Unbedingten, (welches niemals in der Er- fahrung, ſondern nur in der Idee angetroffen wird) abſo- lute Vollſtaͤndigkeit zu geben. Die Vernunft fodert die- ſes nach dem Grundſatze: wenn das Bedingte gegeben iſt, ſo iſt auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das ſchlechthin Unbedingte gegeben, wodurch ienes allein moͤglich war. Alſo werden erſtlich die trans- ſcendentale Ideen eigentlich nichts, als bis zum Unbedingten erweiterte Categorien ſeyn, und iene werden ſich in eine Tafel bringen laſſen, die nach den Titeln der lezteren ange- ordnet iſt. Zweitens aber werden doch auch nicht alle Categorien dazu taugen, ſondern nur dieienige, in welchen die Syntheſis eine Reihe ausmacht, und zwar der einan- der untergeordneten (nicht beygeordneten) Bedingungen zu einem Bedingten. Die abſolute Totalitaͤt wird von der Vernunft nur ſo fern gefodert, als ſie die aufſteigende Reihe C c 5 [410/0440] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- geht, mithin nicht, wenn von der abſteigenden Linie der Folgen, noch auch von dem Aggregat coordinirter Bedin- gungen zu dieſen Folgen, die Rede iſt. Denn Bedingun- gen ſind in Anſehung des gegebenen Bedingten ſchon vor- ausgesſezt und mit dieſem auch als gegeben anzuſehen, an- ſtatt daß, da die Folgen ihre Bedingungen nicht moͤglich machen, ſondern vielmehr vorausſetzen, man im Fortgan- ge zu den Folgen (oder im Abſteigen von der gegebenen Bedingung zu dem Bedingten) unbekuͤmmert ſeyn kan, ob die Reihe aufhoͤre oder nicht, und uͤberhaupt die Frage, wegen ihrer Totalitaͤt, gar keine Vorausſetzung der Ver- nunft iſt. So denkt man ſich nothwendig eine bis auf den ge- gebenen Augenblick voͤllig abgelaufene Zeit, auch als gege- ben, (wenn gleich nicht durch uns beſtimbar). Was aber die kuͤnftige betrift, da ſie die Bedingung nicht iſt, zu der Gegenwart zu gelangen, ſo iſt es, um dieſe zu begreiffen, ganz gleichguͤltig, wie wir es mit der kuͤnftigen Zeit halten wollen, ob man ſie irgendwo aufhoͤren, oder ins Unend- liche laufen laſſen will. Es ſey die Reihe m, n, o, wor- in n als bedingt in Anſehung m, aber zugleich als Be- dingung von o gegeben iſt, die Reihe gehe aufwerts von dem bedingten n zu m (l, k, i ꝛc.) imgleichen abwerts von der Bedingung n zum bedingten o (p, q, r ꝛc.) ſo muß ich die erſtere Reihe vorausſetzen, um n als gegeben anzuſehen, und n iſt nach der Vernunft (der Totalitaͤt der Bedingungen) nur [411/0441] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. nur vermittelſt iener Reihe moͤglich, ſeine Moͤglichkeit be- ruht aber nicht auf der folgenden Reihe o, p, q, r, die da- her auch nicht als gegeben, ſondern nur als dabilis ange- ſehen werden koͤnne. Ich will die Syntheſis einer Reihe auf der Seite der Bedingungen, alſo von derienigen an, welche die naͤch- ſte zur gegebenen Erſcheinung iſt, und ſo zu den entfernte- ren Bedingungen, die regreſſive, dieienige aber, die auf der Seite des Bedingten, von der naͤchſten Folge zu den entfernetern, fortgeht, die progreſſive Syntheſis nennen. Die erſtere geht in antecedentia, die zweite in conſequen- tia. Die cosmologiſche Ideen alſo beſchaͤftigen ſich mit der Totalitaͤt der regreſſiven Syntheſis und gehen in ante- cedentia, nicht in conſequentia. Wenn dieſes leztere ge- ſchieht, ſo iſt es ein willkuͤhrliches und nicht nothwendiges Problem der reinen Vernunft, weil wir zur vollſtaͤndigen Begreiflichkeit deſſen, was in der Erſcheinung gegeben iſt, wol der Gruͤnde, nicht aber der Folgen beduͤrfen. Um nun nach der Tafel der Categorien die Tafel der Ideen einzurichten, ſo nehmen wir zuerſt die zwey ur- ſpruͤngliche quanta aller unſerer Anſchauung, Zeit und Raum. Die Zeit iſt an ſich ſelbſt eine Reihe (und die formale Bedingung aller Reihen) und daher ſind in ihr, in Anſehung einer gegebenen Gegenwart, die anteceden- tia als Bedingungen (das Vergangene) von den conſequen- tibus (dem Kuͤnftigen) a priori zu unterſcheiden. Folg- lich [412/0442] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. lich geht die transſcendentale Idee, der abſoluten Totali- taͤt der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Be- dingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze verlaufene Zeit als Be- dingung des gegebenen Augenblicks nothwendig als gege- ben gedacht. Was aber den Raum betrift, ſo iſt in ihm an ſich ſelbſt kein Unterſchied des Progreſſus vom Regreſ- ſus, weil er ein Aggregat, aber keine Reihe ausmacht, indem ſeine Theile insgeſamt zugleich ſeyn. Den gegen- waͤrtigen Zeitpunct konte ich in Anſehung der vergangenen Zeit nur als bedingt, niemals aber als Bedingung derſel- ben, anſehen, weil dieſer Augenblick nur durch die ver- floſſene Zeit (oder vielmehr durch das Verflieſſen der vor- hergehenden Zeit) allererſt entſpringt. Aber da die Theile des Raumes einander nicht untergeordnet, ſondern bey- geordnet ſind, ſo iſt ein Theil nicht die Bedingung der Moͤglichkeit des andern, und er macht nicht, ſo wie die Zeit, an ſich ſelbſt eine Reihe aus. Allein die Syn- theſis der mannigfaltigen Theile des Raumes, wodurch wir ihn apprehendiren, iſt doch ſucceſſiv, geſchieht alſo in der Zeit und enthaͤlt eine Reihe. Und da in dieſer Reihe der aggregirten Raͤume (z. B. der Fuͤſſe in einer Ruthe) von einem gegebenen an, die weiter hinzugedach- te immer die Bedingung von der Graͤnze der vorigen ſeyn, ſo iſt das Meſſen eines Raumes auch als eine Syn- theſis einer Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzuſehen, nur daß die Seite der Bedingun- gen, [413/0443] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. gen, von der Seite nach welcher das Bedingte hinliegt an ſich ſelbſt nicht unterſchieden iſt, folglich regreſſus und progreſſus im Raume einerley zu ſeyn ſcheint. Weil in- deſſen ein Theil des Raums nicht durch den andern gege- ben, ſondern nur begraͤnzt wird, ſo muͤſſen wir ieden be- graͤnzten Raum in ſo fern auch als bedingt anſehen, der einen andern Raum als die Bedingung ſeiner Graͤnze voraus- ſezt, und ſo fortan. In Anſehung der Begraͤnzung iſt alſo der Fortgang im Raume auch ein Regreſſus, und die transſcendentale Idee der abſoluten Totalitaͤt der Synthe- ſis in der Reihe der Bedingungen, trift auch den Raum, und ich kan eben ſowol nach der abſoluten Totalitaͤt der Erſcheinung im Raume, als der, in der verfloſſenen Zeit fragen. Ob aber uͤberall darauf auch eine Antwort moͤg- lich ſey, wird ſich kuͤnftig beſtimmen laſſen. Zweitens, ſo iſt die Realitaͤt im Raume, d. i. die Materie, ein Bedingtes, deſſen innere Bedingungen ſeine Theile, und die Theile der Theile die entfernte Bedingun- gen ſind, ſo daß hier eine regreſſive Syntheſis ſtatt findet, deren abſolute Totalitaͤt die Vernunft fodert, welche nicht anders als durch eine vollendete Theilung, dadurch die Realitaͤt der Materie entweder in Nichts oder doch in das, was nicht mehr Materie iſt, nemlich das Einfache, ver- ſchwindet, ſtatt finden kan. Folglich iſt hier auch eine Reihe von Bedingungen und ein Fortſchritt zum Unbedingten. Drittens, was die Categorien des realen Verhaͤlt- niſſes unter den Erſcheinungen anlangt, ſo ſchickt ſich die Cate- [414/0444] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Categorie der Subſtanz mit ihren Accidenzen nicht zu einer transſcendentalen Idee, d. i. die Vernunft hat keinen Grund, in Anſehung ihrer, regreſſiv auf Bedingungen zu gehen. Denn Accidenzen ſind (ſo fern ſie einer einigen Subſtanz inhaͤriren) einander coordinirt, und machen keine Reihe aus. In Anſehung der Subſtanz aber ſind ſie derſelben eigentlich nicht ſubordinirt, ſondern die Art zu exiſtiren der Subſtanz ſelber. Was hiebey noch ſchei- nen koͤnte eine Idee der transſcendentalen Vernunft zu ſeyn, waͤre der Begriff von Subſtantiale. Allein, da dieſes nichts Anderes bedeutet, als den Begriff vom Ge- genſtande uͤberhaupt, welcher ſubſiſtirt, ſo fern man an ihm blos das transſcendentale Subiect ohne alle Praͤdicate denkt, hier aber nur die Rede vom Unbedingten in der Reihe der Erſcheinungen iſt, ſo iſt klar: daß das Subſtan- tiale kein Glied in derſelben ausmachen koͤnne. Eben daſ- ſelbe gilt auch von Subſtanzen in Gemeinſchaft, welche bloſſe Aggregate ſind, und keinen Exponenten einer Reihe haben, indem ſie nicht einander als Bedingungen ihrer Moͤglichkeit ſubordinirt ſind, welches man wol von den Raͤumen ſagen konte, deren Graͤnze niemals an ſich, ſon- dern immer durch einen andern Raum beſtimt war. Es bleibt alſo nur die Categorie der Cauſſalitaͤt uͤbrig, welche eine Reihe der Urſachen zu einer gegebenen Wirkung dar- bietet, in welcher man von der lezteren als dem Bedingten, zu ienen, als Bedingungen, aufſteigen und der Vernunft- frage antworten kan. Vier- [415/0445] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. Viertens, die Begriffe des Moͤglichen, Wirklichen und Nothwendigen fuͤhren auf keine Reihe, auſſer nur, ſo fern das Zufaͤllige im Daſeyn iederzeit als bedingt ange- ſehen werden muß, und nach der Regel des Verſtandes auf eine Bedingung weiſet, darunter es nothwendig iſt, dieſe auf eine hoͤhere Bedingung zu weiſen, bis die Ver- nunft nur in der Totalitaͤt dieſer Reihe die unbedingte Nothwendigkeit antrift. Es ſind demnach nicht mehr, als vier cosmologiſche Ideen, nach den vier Titeln der Categorien, wenn man dieienige aushebt, welche eine Reihe in der Syntheſis des Mannigfaltigen nothwendig bey ſich fuͤhren. 1. Die abſolute Vollſtaͤndigkeit der Zuſammenſetzung des gegebenen Ganzen aller Erſcheinungen 2. Die abſolute Vollſtaͤndigkeit der Theilung eines gegebenen Ganzen in der Erſcheinung 3. Die abſolute Vollſtaͤndigkeit der Entſtehung einer Erſcheinung uͤberhaupt 4. Die abſolute Vollſtaͤndigkeit der Abhaͤngigkeit des Daſeyns des Veraͤnderlichen in der Erſcheinung. Zuerſt [416/0446] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Zuerſt iſt hiebey anzumerken: daß die Idee der ab- ſoluten Totalitaͤt nichts anders, als die Expoſition der Er- ſcheinungen betreffe, mithin nicht den reinen Verſtandes- begriff von einem Ganzen der Dinge uͤberhaupt. Es wer- den hier alſo Erſcheinungen als gegeben betrachtet, und die Vernunft fodert die abſolute Vollſtaͤndigkeit der Bedin- gungen ihrer Moͤglichkeit, ſo fern dieſe eine Reihe aus- machen, mithin eine ſchlechthin (d. i. in aller Abſicht) vollſtaͤndige Syntheſis, wodurch die Erſcheinung nach Verſtandesgeſetzen exponirt werden koͤnne. Zweitens iſt es eigentlich nur das Unbedingte, was die Vernunft, in dieſer, reihenweiſe, und zwar regreſſiv fortgeſezten Syntheſis der Bedingungen, ſucht, gleichſam die Vollſtaͤndigkeit in der Reihe der Praͤmiſſen, die zuſam- men weiter keine andere vorausſetzen. Dieſes Unbedingte iſt nun iederzeit in der abſoluten Totalitaͤt der Reihe, wenn man ſie ſich in der Einbildung vorſtellt, enthalten. Allein dieſe ſchlechthin vollendete Syntheſis iſt wiederum nur eine Idee; denn man kan, wenigſtens zum voraus, nicht wiſſen, ob eine ſolche bey Erſcheinungen auch moͤglich ſey. Wenn man ſich alles durch bloſſe reine Verſtandes- begriffe, ohne Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung, vorſtellt, ſo kan man geradezu ſagen: daß zu einem gege- benen Bedingten auch die ganze Reihe einander ſubordi- nirter Bedingungen gegeben ſey; denn ienes iſt allein durch dieſe gegeben. Allein bey Erſcheinungen iſt eine beſondere Einſchraͤnkung der Art, wie Bedingungen gegeben werden, anzu- [417/0447] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. anzutreffen, nemlich durch die ſucceſſive Syntheſis des Mannigfaltigen der Anſchauung, die im Regreſſus voll- ſtaͤndig ſeyn ſoll. Ob dieſe Vollſtaͤndigkeit nun ſinnlich moͤglich ſey, iſt noch ein Problem. Allein die Idee die- ſer Vollſtaͤndigkeit liegt doch in der Vernunft, unangeſe- hen der Moͤglichkeit, oder Unmoͤglichkeit, ihr adaͤquat empiriſche Begriffe zu verknuͤpfen. Alſo, da in der abſo- luten Totalitaͤt der regreſſiven Syntheſis des Mannigfal- tigen in der Erſcheinung (nach Anleitung der Categorien, die ſie, als eine Reihe von Bedingungen zu einem gegebe- nen Bedingten, vorſtellen) das Unbedingte nothwendig enthalten iſt, man mag auch unausgemacht laſſen, ob und wie dieſe Totalitaͤt zu Stande zu bringen ſey: ſo nimt die Vernunft hier den Weg, von der Idee der Totalitaͤt auszugehen, ob ſie gleich eigentlich das Unbedingte, es ſey der ganzen Reihe, oder eines Theils derſelben, zur Endabſicht hat. Dieſes Unbedingte kan man ſich nun gedenken, ent- weder als blos in der ganzen Reihe beſtehend, in der alſo alle Glieder ohne Ausnahme bedingt und nur das Ganze derſelben ſchlechthin unbedingt waͤre, und denn heißt der Regreſſus unendlich: oder das abſolut Unbedingte iſt nur ein Theil der Reihe, dem die uͤbrige Glieder derſelben un- tergeordnet ſind, er ſelbſt aber unter keiner anderen Be- dingung ſteht *). In dem erſteren Falle iſt die Reihe a parte *) Das abſolute Ganze der Reihe von Bedingungen zu einem D d [418/0448] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. a parte priori ohne Graͤnzen (ohne Anfang), d. i. unend- lich, und gleichwol ganz gegeben, der Regreſſus in ihr aber iſt niemals vollendet, und kan nur potentialiter un- endlich genant werden. Im zweiten Falle giebt es ein Erſtes der Reihe, welches in Anſehung der verfloſſenen Zeit der Weltanfang, in Anſehung des Raums die Welt- graͤnze, in Anſehung der Theile, eines in ſeinen Graͤnzen gegebenen Ganzen, das Einfache, in Anſehung der Urſa- chen die abſolute Selbſtthaͤtigkeit (Freiheit), in Anſe- hung des Daſeyns veraͤnderlicher Dinge die abſolute Na- turnothwendigkeit heißt. Wir haben zwey Ausdruͤcke: Welt und Natur, welche bisweilen in einander laufen. Das erſte bedeutet das mathematiſche Ganze aller Erſcheinungen und die To- talitaͤt ihrer Syntheſis, im Groſſen, ſowol als im kleinen, d. i. ſowol in dem Fortſchritt derſelben durch Zuſammen- ſetzung, als durch Theilung. Eben dieſelbe Welt wird aber Natur *) genant, ſo fern ſie als ein dynamiſches Ganze *) *) Natur, adiectiue (formaliter) genommen, bedeutet den Zuſammenhang der Beſtimmungen eines Dinges, nach einem *) einem gegebenen Bedingten iſt iederzeit unbedingt; weil auſſer ihr keine Bedingungen mehr ſind, in Anſehung deren es bedingt ſeyn koͤnte. Allein dieſes abſolute Gan- ze einer ſolchen Reihe iſt nur eine Idee, oder vielmehr ein problematiſcher Begriff, deſſen Moͤglichkeit unterſucht werde muß, und zwar in Beziehung auf die Art, wie das Unbedingte, als die eigentliche transſcendentale Idee, worauf es ankomt, darin enthalten ſeyn mag. [419/0449] I. Abſch. Syſtem der cosmologiſchen Ideen. Ganze betrachtet wird, und man nicht auf die Aggrega- tion im Raume oder der Zeit, um ſie als eine Groͤſſe zu Stande zu bringen, ſondern auf die Einheit im Daſeyn der Erſcheinungen ſiehet. Da heißt nun die Bedingung von dem, was geſchieht, die Urſache, und die unbedingte Cauſſalitaͤt der Urſache in der Erſcheinung, die Freiheit, die bedingte dagegen heißt im engeren Verſtande, Natur- urſache. Das Bedingte im Daſeyn uͤberhaupt, heißt zu- faͤllig, und das Unbedingte nothwendig. Die unbedingte Nothwendigkeit der Erſcheinungen kan Naturnothwen- digkeit heiſſen. Die Ideen, mit denen wir uns iezt beſchaͤftigen, ha- be ich oben cosmologiſche Ideen genant, theils darum, weil unter Welt der Inbegriff aller Erſcheinungen verſtan- den wird, und unſere Ideen auch nur auf das Unbedingte unter den Erſcheinungen gerichtet ſind, theils auch, weil das Wort Welt, im transſcendentalen Verſtande, die ab- ſolute Totalitaͤt des Inbegriffs exiſtirender Dinge bedeutet, und wir auf die Vollſtaͤndigkeit der Syntheſis (wiewol nur *) *) einem innern Princip der Cauſſalitaͤt. Dagegen verſteht man unter Natur, ſubſtantiue (materialiter), den In- begriff der Erſcheinungen, ſo fern dieſe, vermoͤge eines innern Princips der Cauſſalitaͤt, durchgaͤngig zuſammen- haͤngen. Im erſteren Verſtande ſpricht man von der Natur der fluͤſſigen Materie, des Feuers ꝛc. und bedient ſich dieſes Worts nur adiectiue; dagegen wenn man von den Dingen der Natur redet, ſo hat man ein beſtehendes Ganze in Gedanken. D d 2 [420/0450] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. nur eigentlich im Regreſſus zu den Bedingungen) allein unſer Augenmerk richten. In Betracht deſſen, daß uͤber- dem dieſe Ideen insgeſamt transſcendent ſind, und, ob ſie zwar das Obiect, nemlich Erſcheinungen, der Art nach nicht uͤberſchreiten, ſondern es lediglich mit der Sinnen- welt (nicht mit Noümenis) zu thun haben, dennoch die Syntheſis bis auf einen Grad, der alle moͤgliche Erfah- rung uͤberſteigt, treiben, ſo kan man ſie insgeſamt meiner Meinung nach ganz ſchicklich Weltbegriffe nennen. In Anſehung des Unterſchiedes des Mathematiſch- und des Dynamiſchunbedingten, worauf der Regreſſus abzielt, wuͤrde ich doch die zwey Erſtere in engerer Bedeutung, Weltbegriffe (der Welt im Groſſen und Kleinen), die zwey uͤbrigen aber transſcendente Naturbegriffe nennen. Dieſe Unterſcheidung iſt voriezt noch nicht von ſonderlicher Erheblichkeit, ſie kan aber im Fortgange wichtiger werden. Der Antinomie der reinen Vernunft Zweiter Abſchnitt. Antithetik der reinen Vernunft. Wenn Thetik ein ieder Inbegriff dogmatiſcher Lehren iſt, ſo verſtehe ich unter Antithetik nicht dogma- tiſche Behauptungen des Gegentheils, ſondern den Wider- ſtreit der dem Scheine nach dogmatiſchen Erkentniſſe, (theſin cum antitheſi) ohne daß man einer vor der andern einen vorzuͤglichen Anſpruch auf Beifall beilegt. Die [421/0451] II. Abſch. Die Antithetik der reinen Vernunft. Die Antithetik beſchaͤftigt ſich alſo gar nicht mit einſeiti- gen Behauptungen, ſondern betrachtet allgemeine Erkent- niſſe der Vernunft nur nach dem Widerſtreite derſelben unter einander und den Urſachen deſſelben. Die trans- ſcendentale Antithetik iſt eine Unterſuchung uͤber die Anti- nomie der reinen Vernunft, die Urſachen und das Reſultat derſelben. Wenn wir unſere Vernunft nicht blos, zum Gebrauch der Verſtandesgrundſaͤtze, auf Gegenſtaͤnde der Erfahrung verwenden, ſondern iene uͤber die Graͤnze der lezteren hinaus, auszudehnen wagen, ſo entſpringen ver- nuͤnftelnde Lehrſaͤtze, die in der Erfahrung weder Beſtaͤ- tigung hoffen, noch Widerlegung fuͤrchten duͤrfen, und deren ieder nicht allein an ſich ſelbſt ohne Widerſpruch iſt, ſondern ſo gar in der Natur der Vernunft Bedingungen ſeiner Nothwendigkeit antrift, nur daß ungluͤcklicher Weiſe der Gegenſatz eben ſo guͤltige und nothwendige Gruͤnde der Behauptung auf ſeiner Seite hat. Die Fragen, welche bey einer ſolchen Dialectik der reinen Vernunft ſich natuͤrlich darbieten, ſind alſo 1. Bey welchen Saͤtzen denn eigentlich die reine Vernunft einer Antinomie unausbleiblich unterworfen ſey. 2. Auf wel- chen Urſachen dieſe Antinomie beruhe. 3. Ob und auf welche Art dennoch der Vernunft unter dieſem Wider- ſpruch ein Weg zur Gewißheit offen bleibe. Ein dialectiſcher Lehrſatz der reinen Vernunft muß demnach dieſes, ihn von allen ſophiſtiſchen Saͤtzen unter- ſchei- D d 3 [422/0452] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſcheidendes an ſich haben, daß er nicht eine willkuͤhrliche Frage betrift, die man nur in gewiſſer beliebiger Abſicht aufwirft, ſondern eine ſolche, auf die iede menſchliche Vernunft in ihrem Fortgange nothwendig ſtoſſen muß, und zweitens: daß er, mit ſeinem Gegenſatze, nicht blos einen gekuͤnſtelten Schein, der, wenn man ihn einſieht, ſogleich verſchwindet, ſondern einen natuͤrlichen und unver- meidlichen Schein bey ſich fuͤhre, der ſelbſt, wenn man nicht mehr durch ihn hintergangen wird, noch immer taͤuſcht, obſchon nicht betruͤgt, und alſo zwar unſchaͤdlich gemacht, aber niemals vertilgt werden kann. Eine ſolche dialectiſche Lehre wird ſich nicht auf die Verſtandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, ſondern auf die Vernunfteinheit in bloſſen Ideen beziehen, deren Bedin- gungen, da ſie erſtlich, als Syntheſis nach Regeln, dem Verſtande und doch zugleich, als abſolute Einheit derſel- ben, der Vernunft congruiren ſoll, wenn ſie der Vernunft- einheit adaͤquat iſt, vor den Verſtand zu groß, und, wenn ſie dem Verſtande angemeſſen, vor die Vernunft zu klein ſeyn wird; woraus denn ein Widerſtreit entſpringen muß, der nicht vermieden werden kan, man mag es anfangen, wie man will. Dieſe vernuͤnftelnde Behauptungen eroͤfnen alſo einen dialectiſchen Kampfplatz, wo ieder Theil die Oberhand be- haͤlt, der die Erlaubniß hat, den Angriff zu thun, und der- ieni- [423/0453] II. Abſch. Die Antithetik der reinen Vernunft. ienige gewiß unterliegt, der ſich blos vertheidigungsweiſe zu fuͤhren genoͤthigt iſt. Daher auch ruͤſtige Ritter, ſie moͤgen ſich vor die gute oder ſchlimme Sache verbuͤrgen, ſicher ſind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn ſie nur davor ſorgen: daß ſie den lezten Angriff zu thun das Vorrecht haben, und nicht verbunden ſind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan ſich leicht vor- ſtellen: daß dieſer Tummelplatz von ieher oft genug be- treten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten, vor den lezten aber, der die Sache entſchied, iederzeit ſo geſorgt worden ſey, daß der Verfechter der guten Sache den Platz allein behielte, dadurch, daß ſeinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen in die Haͤnde zu neh- men. Als unpartheyiſche Kampfrichter muͤſſen wir es ganz bey Seite ſetzen, ob es die gute oder die ſchlimme Sache ſey, um welche die Streitende fechten, und ſie ihre Sache erſt unter ſich ausmachen laſſen. Vielleicht daß, nachdem ſie einander mehr ermuͤdet als geſchadet haben, ſie die Nichtigkeit ihres Streithandels von ſelbſt einſehen und als gute Freunde auseinander gehen. Dieſe Methode, einem Streite der Behauptungen zuzuſehen, oder vielmehr ihn ſelbſt zu veranlaſſen, nicht, um endlich zum Vortheile des einen oder des andern Theils zu entſcheiden, ſondern, um zu unterſuchen, ob der Ge- genſtand deſſelben nicht vielleicht ein bloſſes Blendwerk ſey, wornach ieder vergeblich haſchet und bey welchem er nichts D d 4 [424/0454] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. nichts gewinnen kan, wenn ihm gleich gar nicht wider- ſtanden wuͤrde, dieſes Verfahren, ſage ich, kan man die ſceptiſche Methode nennen. Sie iſt vom Scepticismus gaͤnzlich unterſchieden, einem Grundſatze einer kunſtmaͤſſi- gen und ſcientifiſchen Unwiſſenheit, welcher die Grundla- gen aller Erkentniß untergraͤbt, um, wo moͤglich, uͤber- all keine Zuverlaͤſſigkeit und Sicherheit derſelben uͤbrig zu laſſen. Denn die ſceptiſche Methode geht auf Gewißheit, dadurch, daß ſie in einem ſolchen, auf beiden Seiten red- lichgemeinten und mit Verſtande gefuͤhrten Streite, den Punct des Mißverſtaͤndniſſes zu entdecken ſucht, um, wie weiſe Geſetzgeber thun, aus der Verlegenheit der Richter bey Rechtshaͤndeln vor ſich ſelbſt Belehrung, von dem Mangelhaften und nicht genau Beſtimten in ihren Geſetzen, zu ziehen. Die Antinomie, die ſich in der Anwendung der Geſetze offenbaret, iſt bey unſerer eingeſchraͤnkten Weis- heit der beſte Pruͤfungsverſuch der Nomothetik, um der Vernunft, die in abſtracter Speculation ihre Fehltritte nicht leicht gewahr wird, dadurch auf die Momente in Beſtimmung ihrer Grundſaͤtze aufmerkſam zu machen. Dieſe ſceptiſche Methode iſt aber nur der Transſcen- dentalphiloſophie allein weſentlich eigen, und kan allenfals in iedem anderen Felde der Unterſuchungen, nur in dieſem nicht, entbehrt werden. In der Mathematik wuͤrde ihr Gebrauch ungereimt ſeyn; weil ſich in ihr keine falſche Behauptungen verbergen und unſichtbar machen koͤnnen, indem [425/0455] II. Abſch. Die Antithetik der reinen Vernunft. indem die Beweiſe iederzeit an dem Faden der reinen An- ſchauung, und zwar durch iederzeit evidente Syntheſis fortgehen muͤſſen. In der Experimentalphiloſophie kan wol ein Zweifel des Aufſchubs nuͤtzlich ſeyn, allein es iſt doch wenigſtens kein Mißverſtand moͤglich, der nicht leicht gehoben werden koͤnte, und in der Erfahrung muͤſſen doch endlich die lezte Mittel der Entſcheidung des Zwiſtes liegen, ſie moͤgen nun fruͤh oder ſpaͤt aufgefunden werden. Die Moral kan ihre Grundſaͤtze insgeſamt auch in concreto zuſamt den practiſchen Folgen, wenigſtens in moͤglichen Erfahrungen geben, und dadurch den Mißverſtand der Abſtraction vermeiden. Dagegen ſind die transſcenden- tale Behauptungen, welche ſelbſt uͤber das Feld aller moͤg- lichen Erfahrungen hinaus ſich erweiternde Einſichten an- maſſen, weder in dem Falle, daß ihre abſtracte Synthe- ſis in irgend einer Anſchauung a priori koͤnte gegeben, noch ſo beſchaffen, daß der Mißverſtand vermittelſt irgend einer Erfahrung entdekt werden koͤnte. Die transſcendentale Vernunft alſo verſtattet keinen anderen Probierſtein, als den Verſuch der Vereinigung ihrer Behauptungen unter ſich ſelbſt, und mithin zuvor des freien und ungehin- derten Wettſtreits derſelben unter einander und dieſen wol- len wir aniezt anſtellen *). Die *) Die Antinomien folgen einander nach der Ordnung der oben angefuͤhrten transſcendentalen Ideen. D d 5 [[426]/0456] Die Antinomie Erſter Widerſtreit Theſis. Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und iſt dem Raum nach auch in Graͤnzen eingeſchloſſen. Beweis. Denn man nehme an, die Welt habe der Zeit nach keinen Anfang: ſo iſt bis zu iedem gegebenen Zeitpuncte eine Ewigkeit abgelaufen, und mithin eine unendliche Rei- he auf einander folgenden Zuſtaͤnde der Dinge in der Welt verfloſſen. Nun beſteht aber eben darin die Unendlichkeit einer Reihe: daß ſie durch ſucceſſive Syntheſis niemals vollendet ſeyn kan. Alſo iſt eine unendliche verfloſſene Weltreihe unmoͤglich, mithin ein Anfang der Welt, eine nothwendige Bedingung ihres Daſeyns, welches zuerſt zu beweiſen war. In Anſehung des zweiten nehme man wiederum das Gegentheil an: ſo wird die Welt ein unendliches gegebenes Ganze von zugleich exiſtirenden Dingen ſeyn. Nun koͤn- nen wir die Groͤſſe eines Quanti, welches nicht innerhalb gewiſſen Graͤnzen ieder Anſchauung gegeben wird, *) auf keine *) Wir koͤnnen ein unbeſtimtes Quantum als ein Ganzes anſchauen, wenn es in Graͤnzen eingeſchloſſen iſt, ohne die Totalitaͤt deſſelben durch Meſſung, d. i. die ſucceſſive Syn- [[427]/0457] der reinen Vernunft. der transſcendentalen Ideen. Antitheſis. Die Welt hat keinen Anfang und keine Graͤnzen im Raume, ſondern iſt, ſowol in Anſehung der Zeit als des Raums, unendlich. Beweis. Denn man ſetze: ſie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Daſeyn iſt, wovor eine Zeit vorhergeht, darin das Ding nicht iſt, ſo muß eine Zeit vorhergegangen ſeyn, darin die Welt nicht war, d. i. eine leere Zeit. Nun iſt aber in einer leeren Zeit kein Entſtehen irgend eines Din- ges moͤglich; weil kein Theil einer ſolchen Zeit vor einem anderen irgend eine unterſcheidende Bedingung des Da- ſeyns, vor die des Nichtſeyns an ſich hat (man mag an- nehmen, daß ſie von ſich ſelbſt, oder durch eine andere Ur- ſache entſtehe). Alſo kan zwar in der Welt manche Reihe der Dinge anfangen, die Welt ſelber aber kan keinen An- fang haben, und iſt alſo in Anſehung der vergangenen Zeit, unendlich. Was das zweite betrift, ſo nehme man zuvoͤrderſt das Gegentheil an: daß nemlich die Welt dem Raume nach endlich und begraͤnzt iſt, ſo befindet ſie ſich in einem leeren Raum, der nicht begraͤnzt iſt. Es wuͤrde alſo nicht allein ein Verhaͤltniß der Dinge im Raum, ſondern auch der Dinge zum Raume angetroffen werden. Da nun die Welt ein abſolutes Ganze iſt, auſſer welchem kein Gegen- [[428]/0458] keine andere Art, als nur durch die Syntheſis der Theile, und die Totalitaͤt eines ſolchen Quanti nur durch die voll- endete Syntheſis, oder durch wiederholte Hinzuſetzung der Einheit zu ſich ſelbſt, gedenken **). Demnach um ſich die Welt, die alle Raͤume erfuͤllt, als ein Ganzes zu denken, muͤßte die ſucceſſive Syntheſis der Theile einer unendlichen Welt als vollendet angeſehen, d. i. eine unendliche Zeit muͤßte, in der Durchzehlung aller coexiſtirenden Dinge, als abgelaufen angeſehen werden, welches unmoͤglich iſt. Demnach kan ein unendliches Aggregat wirklicher Dinge, nicht als ein gegebenes Ganze, mithin auch nicht als zu- gleich gegeben, angeſehen werden. Eine Welt iſt folglich, der Ausdehnung im Raume nach nicht unendlich, ſon- dern in ihren Graͤnzen eingeſchloſſen; welches das zweite war. An- *) **) Der Begriff der Totalitaͤt iſt in dieſem Falle nichts an- deres, als die Vorſtellung der vollendeten Syntheſis ſei- ner Theile, weil, da wir nicht von der Anſchauung des Ganzen (als welche in dieſem Falle unmoͤglich iſt) den Be- griff abziehen koͤnnen, wir dieſen nur durch die Syn- theſis der Theile, bis zur Vollendung des Unendlichen, wenigſtens in der Idee faſſen koͤnnen. *) Syntheſis ſeiner Theile, conſtruiren zu duͤrfen. Denn die Graͤnzen beſtimmen ſchon die Vollſtaͤndigkeit, indem ſie alles Mehrere abſchneiden. [[429]/0459] Gegenſtand der Anſchauung, und mithin kein Correlatum der Welt, angetroffen wird, womit dieſelbe im Verhaͤlt- niß ſtehe, ſo wuͤrde das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raum ein Verhaͤltniß derſelben zu keinem Gegenſtande ſeyn. Ein dergleichen Verhaͤltniß aber, mithin auch die Begraͤnzung der Welt durch den leeren Raum, iſt nichts; alſo iſt die Welt, dem Raume nach, gar nicht begraͤnzt, d. i. ſie iſt in Anſehung der Ausdehnung unendlich *). II. An- *) Der Raum iſt blos die Form der aͤuſſeren Anſchauung (formale Anſchauung), aber kein wirklicher Gegenſtand, der aͤuſſerlich angeſchauet werden kan. Der Raum, vor al- len Dingen, die ihn beſtimmen (erfuͤllen oder begraͤnzen), oder die vielmehr eine, ſeiner Form gemaͤſſe empiriſche Anſchauung geben, iſt, unter dem Nahmen des abſo- luten Naumes, nichts Anderes, als die bloſſe Moͤglich- keit aͤuſſerer Erſcheinungen, ſo fern ſie entweder an ſich exiſtiren, oder zu gegebenen Erſcheinungen noch hinzu kommen koͤnnen. Die empiriſche Anſchauung iſt alſo nicht zuſammengeſezt aus Erſcheinungen und dem Raume (der Wahrnehmung und der leeren Anſchauung). Eines iſt nicht des andern Correlatum der Syntheſis, ſondern nur in einer und derſelben empiriſchen Anſchauung ver- bunden, als Materie und Form derſelben. Will man eine dieſer zween Stuͤcke auſſer der anderen ſetzen (Raum auſſerhalb allen Erſcheinungen) ſo entſtehen daraus aller- ley leere Beſtimmungen der aͤuſſeren Anſchauung, die doch nicht moͤgliche Wahrnehmungen ſind. z. B. Bewegung, oder Ruhe der Welt im unendlichen leeren Raum, eine Beſtimmung des Verhaͤltniſſes beider untereinander, wel- che niemals wahrgenommen werden kan, und alſo auch das Praͤdicat eines bloſſen Gedankendinges iſt. [[430]/0460] Anmerkung zur erſten Antinomie. I. zur Theſis Ich habe bey dieſen einander widerſtreitenden Argu- menten nicht Blendwercke geſucht, um etwa (wie man ſagt) einen Advocatenbeweis zu fuͤhren, welcher ſich der Unbehutſamkeit des Gegners zu ſeinem Vortheile bedient, und ſeine Berufung auf ein mißverſtanden Geſetz gerne gelten laͤßt, um ſeine eigene unrechtmaͤſſige Anſpruͤche auf die Widerlegung deſſelben zu bauen. Jeder dieſer Bewei- ſe iſt aus der Sache Natur gezogen und der Vortheil bey Seite geſezt worden, den uns die Fehlſchluͤſſe der Dog- matiker von beiden Theilen geben koͤnten. Ich haͤtte die Theſis auch dadurch dem Scheine nach beweiſen koͤnnen: daß ich von der Unendlichkeit einer gege- benen Groͤſſe, nach der Gewohnheit der Dogmatiker, ei- nen fehlerhaften Begriff voran geſchikt haͤtte. Unend- lich iſt eine Groͤſſe, uͤber die keine groͤſſere (d. i. uͤber die darin enthaltene Menge einer gegebenen Einheit) moͤglich iſt. Nun iſt keine Menge die groͤſſeſte, weil noch immer eine, oder mehrere Einheiten hinzugethan werden koͤnnen. Alſo iſt eine unendliche gegebene Groͤſſe, mithin auch eine, (der verfloſſenen Reihe ſowol, als der Ausdehnung nach) unendliche Welt unmoͤglich: ſie iſt alſo beiderſeitig begraͤnzt. So haͤtte ich meinen Beweis fuͤhren koͤnnen: allein dieſer Begriff ſtimt nicht mit dem, was man unter einem unend- lichen Ganzen verſteht. Es wird dadurch nicht vorgeſtellt, wie groß es ſey, mithin iſt ſein Begriff auch nicht der Begriff eines Maximum, ſondern es wird dadurch nur ſein [[431]/0461] II. Anmerkung zur Antitheſis. Der Beweis vor die Unendlichkeit der gegebenen Weltreihe und des Weltinbegriffs beruht darauf: daß im entgegengeſetzten Falle, eine leere Zeit, imgleichen ein leerer Raum, die Weltgraͤnze ausmachen muͤßte. Nun iſt mir nicht unbekant, daß wider dieſe Conſequenz Aus- fluͤchte geſucht werden, indem man vorgiebt: es ſey eine Graͤnze der Welt, der Zeit und dem Raume nach, ganz wol moͤglich, ohne daß man eben eine abſolute Zeit vor der Welt Anfang, oder einen abſoluten, auſſer der wirk- lichen Welt ausgebreiteten Raum annehmen duͤrfe, wel- ches unmoͤglich iſt. Ich bin mit dem lezteren Theile die- ſer Meinung der Philoſophen aus der Leibnitziſchen Schule ganz wol zufrieden. Der Raum iſt blos die Form der aͤuſſeren Anſchauung, aber kein wirklicher Gegenſtand, der aͤuſſerlich angeſchauet werden kan, und kein Correlatum der Erſcheinungen, ſondern die Form der Erſcheinungen ſelbſt. Der Raum alſo kan abſolut (vor ſich allein) nicht als etwas Beſtimmendes in dem Daſeyn der Dinge vorkom- men, weil er gar kein Gegenſtand iſt, ſondern nur die Form moͤglicher Gegenſtaͤnde. Dinge alſo, als Erſchei- nungen, beſtimmen wol den Raum, d. i. unter allen moͤg- lichen Praͤdicaten deſſelben, (Groͤſſe und Verhaͤltniß) ma- chen ſie es, daß dieſe oder iene zur Wirklichkeit gehoͤren; aber umgekehrt kan der Raum, als etwas, welches vor ſich beſteht, die Wirklichkeit der Dinge in Anſehung der Groͤſſe oder Geſtalt nicht beſtimmen, weil er an ſich ſelbſt nichts wirkliches iſt. Es kan alſo wol ein Raum (er ſey voll oder leer *) durch Erſcheinungen begraͤnzt, Erſchei- nun- *) Man bemerkt leicht, daß hiedurch geſagt werden wolle: der leere Raum, ſo fern er durch Erſcheinungen begraͤnzt wird, [[432]/0462] ſein Verhaͤltniß zu einer beliebig anzunehmenden Einheit, in Anſehung deren daſſelbe groͤſſer iſt als alle Zahl, ge- dacht. Nachdem die Einheit nun groͤſſer oder kleiner an- genommen wird, wuͤrde das Unendliche groͤſſer oder klei- ner ſeyn, allein die Unendlichkeit, da ſie blos in dem Ver- haͤltniſſe zu dieſer gegebenen Einheit beſteht, wuͤrde immer dieſelbe bleiben, obgleich freilich die abſolute Groͤſſe des Ganzen dadurch gar nicht erkant wuͤrde, davon auch hier nicht die Rede iſt. Der wahre (transſcendentale) Begriff der Unendlich- keit iſt: daß die ſucceſſive Syntheſis der Einheit in Durchmeſ- ſung eines Quantum niemals vollendet ſeyn kan *). Hier- aus folgt ganz ſicher: daß eine Ewigkeit wirklicher auf ein- ander folgenden Zuſtaͤnde bis zu einem gegebenen (dem ge- genwaͤrtigen) Zeitpuncte nicht verfloſſen ſeyn kan, die Welt alſo einen Anfang haben muͤſſe. In Anſehung des zweiten Theils der Theſis faͤllt die Schwie- rigkeit, von einer unendlichen und doch abgelaufenen Reihe, zwar weg; denn das Mannigfaltige einer der Ausdehnung nach, unendlichen Welt iſt zugleich gegeben. Allein, um die Totalitaͤt einer ſolchen Menge zu denken, da wir uns nicht auf Graͤnzen berufen koͤnnen, welche dieſe Totalitaͤt von ſelbſt in der Anſchauung ausmachen, muͤſſen wir von unſerem Begriffe Rechenſchaft geben, der in ſolchem Falle nicht vom Ganzen zu der beſtimten Menge der Theile gehen kan, ſondern die Moͤglichkeit eines Ganzen durch die ſuc- ceſſive Syntheſis der Theile darthun muß. Da dieſe Syntheſis nun eine nie zu vollendende Reihe ausmachen muͤßte: ſo kan man ſich nicht vor ihr, und mithin auch nicht durch ſie, eine Totalitaͤt denken. Denn der Begriff der Totalitaͤt ſelbſt iſt in dieſem Falle die Vorſtellung einer vollendeten Syntheſis der Theile, und dieſe Vollendung, mithin auch der Begriff derſelben iſt unmoͤglich. Der *) Dieſes enthaͤlt dadurch eine Menge (von gegebener Ein- heit) die groͤſſer iſt als alle Zahl, welches der mathema- tiſche Begriff des Unendlichen iſt. [[433]/0463] nungen aber koͤnnen nicht durch einen leeren Raum auſſer denſelben begraͤnzt werden. Eben dieſes gilt auch von der Zeit. Alles dieſes nun zugegeben, ſo iſt gleichwol un- ſtreitig: daß man dieſe zwey Undinge, den leeren Raum auſſer und die leere Zeit vor der Welt, durchaus anneh- men muͤſſe, wenn man eine Weltgraͤnze, es ſey dem Rau- me oder der Zeit nach, annimt. Denn was den Ausweg betrift, durch den man der Conſequenz auszuweichen ſucht, nach welcher wir ſagen: daß, wenn die Welt (der Zeit und dem Raum nach) Graͤnzen hat, das unendliche Leere das Daſeyn wirklicher Dinge ihrer Groͤſſe nach beſtimmen muͤſſe, ſo beſteht er in geheim nur darin: daß man ſtatt einer Sinnenwelt ſich, wer weiß welche, intelligibele Welt gedenkt, und, ſtatt des erſten Anfanges, (ein Daſeyn, vor welchem eine Zeit des Nichtſeyns vorhergeht) ſich uͤberhaupt ein Daſeyn denkt, welches keine andere Bedingung in der Welt vor- ausſezt, ſtatt der Graͤnze der Ausdehnung, Schranken des Weltganzen denkt, und dadurch der Zeit und dem Raume aus dem Wege geht. Es iſt hier aber nur von dem mundus phænomenon die Rede und von deſſen Groͤſſe, bey dem man von gedachten Bedingungen der Sinnlichkeit keinesweges abſtrahiren kan, ohne das Weſen deſſelben aufzuheben. Die Sinnenwelt, wenn ſie begraͤnzt iſt, liegt nothwendig in dem unendlichen Leeren. Will man dieſes, und mithin den Raum uͤberhaupt als Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen a priori weglaſſen, ſo faͤllt die ganze Sinnenwelt weg. In unſerer Aufgabe iſt uns dieſe allein gegeben. Der mundus intelligibilis iſt nichts als der allgemeine Begriff einer Welt uͤberhaupt, in welchem man von allen Bedingungen der Anſchauung der- ſelben abſtrahirt, und in Anſehung deſſen folglich gar kein ſynthetiſcher Satz, weder beiahend noch verneinend moͤg- lich iſt. Der *) *) wird, mithin derienige innerhalb der Welt, wider- ſpreche, wenigſtens nicht den transſcendentalen Principien, und koͤnnen alſo in Anſehung dieſer eingeraͤumt (obgleich darum ſeine Moͤglichkeit nicht ſo fort behauptet) werden. E e [[434]/0464] Der Antinomie zweiter Widerſtreit Theſis. Eine iede zuſammengeſezte Subſtanz in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und es exiſtiret uͤberall nichts als das Einfache, oder das, was aus dieſem zuſammenge- ſezt iſt. Beweis. Denn nehmet an: die zuſammengeſezte Subſtanzen beſtaͤnden nicht aus einfachen Theilen, ſo wuͤrde, wenn alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufgehoben wuͤrde, kein zuſammengeſezter Theil, und (da es keine einfache Theile giebt) auch kein einfacher, mithin gar nichts uͤbrig blei- ben, folglich keine Subſtanz ſeyn gegeben worden. Ent- weder alſo laͤßt ſich unmoͤglich alle Zuſammenſetzung in Gedanken aufheben, oder es muß nach deren Aufhebung Etwas, ohne alle Zuſammenſetzung beſtehendes, d. i. das Einfache, uͤbrig bleiben. Im erſteren Falle aber wuͤrde das Zuſammengeſezte wiederum nicht aus Subſtanzen be- ſtehen (weil bey dieſen die Zuſammenſetzung nur eine zu- faͤllige Relation der Subſtanzen iſt, ohne welche dieſe, als vor ſich beharrliche Weſen, beſtehen muͤſſen). Da nun die [[435]/0465] der reinen Vernunft der transſcendentalen Ideen. Antitheſis. Kein zuſammengeſezte Ding in der Welt beſteht aus einfachen Theilen und es exiſtirt uͤberall nichts Einfa- ches in derſelben. Beweis. Setzet: ein zuſammengeſeztes Ding (als Subſtanz) beſtehe aus einfachen Theilen. Weil alles aͤuſſere Ver- haͤltniß, mithin auch alle Zuſammenſetzung aus Subſtan- zen nur im Raume moͤglich iſt: ſo muß, aus ſo viel Thei- len das Zuſammengeſezte beſteht, aus eben ſo viel Theilen auch der Raum beſtehen, den es einnimt. Nun beſteht der Raum nicht aus einfachen Theilen, ſondern aus Raͤu- men. Alſo muß ieder Theil des Zuſammengeſezten einen Raum einnehmen. Die ſchlechthin erſten Theile aber alles Zuſammengeſezten ſind einfach. Alſo nimt das Einfache einen Raum ein. Da nun alles Reale, was einen Raum einnimt, ein auſſerhalb einander befindliches Mannigfal- tige in ſich faſſet, mithin zuſammengeſezt iſt, und zwar als ein reales Zuſammengeſezte, nicht aus Accidenzen, (denn die koͤnnen nicht ohne Subſtanz auſſer einander ſeyn), mit- hin aus Subſtanzen, ſo wuͤrde das Einfache ein ſubſtan- zielles Zuſammengeſezte ſeyn, welches ſich widerſpricht. Der zweite Satz der Antitheſis, daß in der Welt gar nichts Einfaches exiſtire, ſoll hier nur ſo viel bedeu- ten E e 2 [[436]/0466] dieſer Fall der Vorausſetzung widerſpricht, ſo bleibt nur der zweite uͤbrig: daß nemlich das ſubſtanzielle Zuſam- mengeſezte in der Welt aus einfachen Theilen beſtehe. Hieraus folgt unmittelbar: daß die Dinge der Welt insgeſamt einfache Weſen ſind, daß die Zuſammenſetzung nur ein aͤuſſerer Zuſtand derſelben ſey, und daß, wenn wir die Elementarſubſtanzen gleich niemals voͤllig aus die- ſem Zuſtande der Verbindung ſetzen und iſoliren koͤnnen, doch die Vernunft ſie als die erſte Subiecte aller Compoſi- tion und mithin, vor derſelben, als einfache Weſen den- ken muͤſſe. An [[437]/0467] ten als: Es koͤnne das Daſeyn des ſchlechthin Einfachen aus keiner Erfahrung oder Wahrnehmung, weder aͤuſſe- ren noch inneren, dargethan werden, und das ſchlechthin Einfache ſey alſo eine bloſſe Idee, deren obiective Realitaͤt niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan darge- than werden, mithin in der Expoſition der Erſcheinungen ohne alle Anwendung und Gegenſtand. Denn wir wollen annehmen, es ließe ſich vor dieſe transſcendentale Idee ein Gegenſtand der Erfahrung finden: ſo muͤßte die em- piriſche Anſchauung irgend eines Gegenſtandes als eine ſol- che erkant werden, welche ſchlechthin kein Mannigfal- tiges auſſerhalb einander, und zur Einheit verbunden, enthaͤlt. Da nun von dem Nichtbewuſtſeyn eines Man- nigfaltigen auf die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit ein ſolches in irgend einer Anſchauung deſſelben Obiects, kein Schluß gilt, dieſes leztere aber zur abſoluten Simplicitaͤt durch- aus noͤthig iſt, ſo folgt: daß dieſe aus keiner Wahrneh- mung, welche ſie auch ſey, koͤnne geſchloſſen werden. Da alſo etwas als ein ſchlechthin einfaches Obiect niemals in irgend einer moͤglichen Erfahrung kan gegeben werden, die Sinnenwelt aber, als der Inbegriff aller moͤglichen Erfahrungen angeſehen werden muß: ſo iſt uͤberall in ihr nichts Einfaches gegeben. Dieſer zweite Satz der Antitheſis geht viel weiter als der erſte, der das Einfache nur von der Anſchauung des Zuſammengeſezten verbant, dahingegen dieſer es aus der ganzen Natur wegſchaft, daher er auch nicht aus dem Begriffe eines gegebenen Gegenſtandes der aͤuſſeren Anſchau- ung (des Zuſammengeſezten), ſondern aus dem Verhaͤlt- niß deſſelben zu einer moͤglichen Erfahrung uͤberhaupt hat bewieſen werden koͤnnen. II. An- E e 3 [[438]/0468] Anmerkung zur zweiten Antinomie. I. zur Theſis. Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth- wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar- unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig- faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken) gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird, und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei- gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein Compoſitum ideale, aber nicht reale heiſſen koͤnnen. Doch dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen- geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci- denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes, (mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und Zeit [[439]/0469] II. Anmerkung zur Antitheſis. Wider dieſen Satz einer unendlichen Theilung der Materie, deſſen Beweisgrund blos mathematiſch iſt, wer- den von den Monadiſten Einwuͤrfe vorgebracht, welche ſich dadurch ſchon verdaͤchtig machen: daß ſie die klaͤreſte mathematiſche Beweiſe nicht vor Einſichten in die Beſchaf- fenheit des Raumes, ſo fern er in der That die formale Bedingung der Moͤglichkeit aller Materie iſt, wollen gelten laſſen, ſondern ſie nur als Schluͤſſe aus abſtracten aber willkuͤhrlichen Begriffen anſehen, die auf wirkliche Dinge nicht bezogen werden koͤnten. Gleich als wenn es auch nur moͤglich waͤre, eine andere Art der Anſchauung zu erdenken, als die in der urſpruͤnglichen Anſchauung des Raumes gegeben wird, und die Beſtimmungen deſſelben a priori nicht zugleich alles dasienige betraͤfen, was da- durch allein moͤglich iſt, daß es dieſen Raum erfuͤllet. Wenn man ihnen Gehoͤr giebt: ſo muͤßte man, auſſer dem mathematiſchen Puncte, der einfach, aber kein Theil, ſon- dern blos die Graͤnze eines Raums iſt, ſich noch phyſiſche Puncte denken, die zwar auch einfach ſind, aber den Vor- zug haben, als Theile des Raums, durch ihre bloſſe Ag- gregation denſelben zu erfuͤllen. Ohne nun hier die gemei- ne und klare Widerlegungen dieſer Ungereimtheit, die man in Menge antrift, zu wiederhohlen, wie es denn gaͤnzlich umſonſt iſt, durch blos discurſive Begriffe die Evidenz der Mathematik weg vernuͤnfteln zu wollen, ſo bemerke ich nur: daß, wenn die Philoſophie hier mit der Mathematik chica- E e 4 [[440]/0470] Zeit beſtehen alſo nicht aus einfachen Theilen. Was nur zum Zuſtande einer Subſtanz gehoͤret, ob es gleich eine Groͤſſe hat, (z. B. die Veraͤnderung), beſteht auch nicht aus dem Einfachen, d. i. ein gewiſſer Grad der Veraͤnde- rung entſteht nicht durch einen Anwachs vieler einfachen Veraͤnderungen. Unſer Schluß vom Zuſammengeſezten auf das Einfache gilt nur von vor ſich ſelbſt beſtehenden Dingen. Accidenzen aber des Zuſtandes beſtehen nicht vor ſich ſelbſt. Man kan alſo den Beweis vor die Noth- wendigkeit des Einfachen, als dem Beſtandtheile alles Sub- ſtanziellen-Zuſammengeſezten, und dadurch uͤberhaupt ſei- ne Sache leichtlich dadurch verderben, wenn man ihn zu weit ausdehnt und ihn vor alles Zuſammengeſezte ohne Unterſchied geltend machen will, wie es wirklich mehrmah- len ſchon geſchehen iſt. Ich rede uͤbrigens hier nur von dem Einfachen, ſo fern es nothwendig im Zuſammengeſezten gegeben iſt, in- dem dieſes darin, als in ſeine Beſtandtheile aufgeloͤſet werden kan. Die eigentliche Bedeutung des Wortes Mo- nas [[441]/0471] chicanirt, es darum geſchehe, weil ſie vergißt: daß es in dieſer Frage nur um Erſcheinungen und deren Bedingung zu thun ſey. Hier iſt es aber nicht genug, zum reinen Verſtandesbegriffe des Zuſammengeſezten den Begriff des Einfachen, ſondern zur Anſchauung des Zuſammengeſez- ten (der Materie) die Anſchauung des Einfachen zu fin- den, und dieſes iſt nach Geſetzen der Sinnlichkeit, mithin auch bey Gegenſtaͤnden der Sinne gaͤnzlich unmoͤglich. Es mag alſo von einem Ganzen aus Subſtanzen, welches blos durch den reinen Verſtand gedacht wird, immer gel- ten: daß wir vor aller Zuſammenſetzung deſſelben, das Einfache haben muͤſſen, ſo gilt dieſes doch nicht vom to- tum ſubſtantiale phaenomenon, welches, als empiri- ſche Anſchauung im Raume, die nothwendige Eigentſchaft bey ſich fuͤhrt: daß kein Theil deſſelben einfach iſt, dar- um, weil kein Theil des Raumes einfach iſt. Indeſſen ſind die Monadiſten fein genug geweſen, dieſer Schwierig- keit dadurch ausweichen zu wollen: daß ſie nicht den Raum als eine Bedingung der Moͤglichkeit der Gegenſtaͤnde aͤuſſe- rer Anſchauung (Coͤrper), ſondern dieſe, und das dyna- miſche Verhaͤltniß der Subſtanzen uͤberhaupt, als die Be- dingung der Moͤglichkeit des Raumes vorausſetzen. Nun haben wir von Coͤrpern nur als Erſcheinungen einen Be- griff, als ſolche aber ſetzen ſie den Raum als die Bedin- gung der Moͤglichkeit aller aͤuſſeren Erſcheinung nothwen- dig voraus, und die Ausflucht iſt alſo vergeblich, wie ſie denn auch oben in der transſcendentalen Aeſthetik hinrei- chend iſt abgeſchnitten worden. Waͤren ſie Dinge an ſich ſelbſt, ſo wuͤrde der Beweis der Monadiſten allerdings gelten. Die E e 5 [[442]/0472] nas (nach Leibnitzens Gebrauch) ſolte wol nur auf das Einfache gehen, welches unmittelbar als einfache Sub- ſtanz gegeben iſt (z. B. im Selbſtbewuſtſeyn) und nicht als Element des Zuſammengeſezten, welches man beſſer den Atomus nennen koͤnte. Und da ich nur in Anſehung des Zuſammengeſezten die einfache Subſtanzen, als deren Ele- mente, beweiſen will, ſo koͤnte ich die Antitheſe der zwei- ten Antinomie, die transſcendentale Atomiſtik nennen. Weil aber dieſes Wort ſchon vorlaͤngſt zur Bezeichnung einer beſondern Erklaͤrungsart coͤrperlicher Erſcheinungen (molecularum) gebraucht worden, und alſo empiriſche Begriffe vorausſezt, ſo mag er der dialectiſche Grundſatz der Monadologie heiſſen. Der [[443]/0473] Die zweite dialectiſche Behauptung hat das beſon- dere an ſich: daß ſie eine dogmatiſche Behauptung wider ſich hat, die unter allen vernuͤnftelnden die einzige iſt, wel- che ſich unternimt, an einem Gegenſtande der Erfahrung die Wirklichkeit deſſen, was wir oben blos zu transſcen- dentalen Ideen rechneten, nemlich die abſolute Simplicitaͤt der Subſtanz, augenſcheinlich zu beweiſen: nemlich daß der Gegenſtand des inneren Sinnes, das Ich, was da denkt, eine ſchlechthin einfache Subſtanz ſey. Ohne mich hier- auf iezt einzulaſſen, (da es oben ausfuͤhrlicher erwogen iſt) ſo bemerke ich nur: daß wenn etwas blos als Gegen- ſtand gedacht wird, ohne irgend eine ſynthetiſche Beſtim- mung ſeiner Anſchauung hinzu zu ſetzen, (wie denn dieſes durch die ganz nackte Vorſtellung: Ich, geſchieht) ſo koͤnne freilich nichts Mannigfaltiges und keine Zuſammen- ſetzung in einer ſolchen Vorſtellung wahrgenommen wer- den. Da uͤberdem die Praͤdicate, wodurch ich dieſen Gegenſtand denke, blos Anſchauungen des inneren Sinnes ſeyn, ſo kan darin auch nichts vorkommen, welches ein Mannigfaltiges auſſerhalb einander, mithin reale Zuſam- menſetzung bewieſe. Es bringt alſo nur das Selbſtbe- wuſtſeyn es ſo mit ſich, daß, weil das Subiect, welches denkt, zugleich ſein eigen Obiect iſt, es ſich ſelber nicht theilen kan (obgleich die ihm inhaͤrirende Beſtimmungen); denn in Anſehung ſeiner Selbſt iſt ieder Gegenſtand abſo- lute Einheit. Nichts deſtoweniger, wenn dieſes Subiect aͤuſſerlich, als ein Gegenſtand der Anſchauung, betrachtet wird, ſo wuͤrde es doch wol Zuſammenſetzung in der Er- ſcheinung an ſich zeigen. So muß es aber iederzeit be- trachtet werden, wenn man wiſſen will, ob in ihm ein Mannigfaltiges auſſerhalb einander ſey oder nicht. Der [[444]/0474] Der Antinomie Dritter Widerſtreit Theſis. Die Cauſſalitaͤt nach Geſetzen der Natur iſt nicht die einzige, aus welcher die Erſcheinungen der Welt ins- geſamt abgeleitet werden koͤnnen. Es iſt noch eine Cauſ- ſalitaͤt durch Freiheit zu Erklaͤrung derſelben anzunehmen nothwendig. Beweis. Man nehme an: es gebe keine andere Cauſſalitaͤt, als nach Geſetzen der Natur, ſo ſezt alles, was geſchieht, einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zuſtand ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen iſt (in der Zeit gewor- den, da es vorher nicht war), weil, wenn es iederzeit geweſen waͤre, ſeine Folge auch nicht allererſt entſtanden, ſondern immer geweſen ſeyn wuͤrde. Alſo iſt die Cauſſa- litaͤt der Urſache, durch welche etwas geſchieht, ſelbſt et- was Geſchehenes, welches nach dem Geſetze der Natur wiederum einen vorigen Zuſtand und deſſen Cauſſalitaͤt, dieſer aber eben ſo einen noch aͤlteren vorausſezt u. ſ. w. Wenn alſo alles nach bloſſen Geſetzen der Natur geſchieht, ſo giebt es iederzeit nur einen ſubalternen, niemals aber einen [[445]/0475] der reinen Vernunft der transſcendentalen Ideen. Antitheſis. Es iſt keine Freiheit, ſondern alles in der Welt ge- ſchieht lediglich nach Geſetzen der Natur: Beweis. Setzet: es gebe eine Freiheit im transſcendentalen Verſtande, als eine beſondere Art von Cauſſalitaͤt, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen koͤnten, nem- lich ein Vermoͤgen einen Zuſtand, mithin, auch eine Reihe von Folgen deſſelben ſchlechthin anzufangen, ſo wird nicht allein eine Reihe durch dieſe Spontaneitaͤt, ſondern die Beſtimmung dieſer Spontaneitaͤt ſelbſt zur Hervorbrin- nung der Reihe, d. i. die Cauſſalitaͤt wird ſchlechthin an- fangen, ſo daß nichts vorhergeht, wodurch dieſe geſche- hende Handlung nach beſtaͤndigen Geſetzen beſtimt ſey. Es ſezt aber ein ieder Anfang zu handeln einen Zuſtand der noch nicht handelnden Urſache voraus, und ein dynamiſch erſter Anfang der Handlung, einen Zuſtand, der mit dem vorhergehenden eben derſelben Urſache gar keinen Zuſam- menhang der Cauſſalitaͤt hat, d. i. auf keine Weiſe dar- aus erfolgt. Alſo iſt die transſcendentale Freiheit dem Cauſſalgeſetze entgegen und eine ſolche Verbindung der ſuc- ceſſiven [[446]/0476] einen erſten Anfang und alſo uͤberhaupt keine Vollſtaͤndigkeit der Reihe auf der Seite der von einander abſtammenden Urſachen. Nun beſteht aber eben darin das Geſetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori beſtimte Urſache nichts ge- ſchehe. Alſo widerſpricht der Satz, als wenn alle Cauſ- ſalitaͤt nur nach Naturgeſetzen moͤglich ſey, ſich ſelbſt in ſeiner unbeſchraͤnkten Allgemeinheit, und dieſe kan alſo nicht als die einzige angenommen werden. Dieſemnach muß eine Cauſſalitaͤt angenommen wer- den, durch welche etwas geſchieht, ohne daß die Urſache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ur- ſache, nach nothwendigen Geſetzen beſtimt ſey, d. i. eine abſolute Spontaneitaͤt der Urſachen, eine Reihe von Er- ſcheinungen, die nach Naturgeſetzen laͤuft, von ſelbſt an- zufangen, mithin transſcendentale Freiheit, ohne welche ſelbſt im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erſcheinun- gen auf der Seite der Urſachen niemals vollſtaͤndig iſt. An- [[447]/0477] ceſſiven Zuſtaͤnde wirkender Urſachen, nach welcher keine Einheit der Erfahrung moͤglich iſt, die alſo auch in keiner Erfahrung angetroffen wird, mithin ein leeres Gedan- kending. Wir haben alſo nichts als Natur, in welcher wir den Zuſammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten ſuchen muͤſſen. Die Freiheit (Unabhaͤngigkeit) von den Geſetzen der Natur, iſt zwar eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kan nicht ſagen: daß, an ſtatt der Geſetze der Natur, Geſetze der Frei- heit in die Cauſſalitat des Weltlaufs eintreten, weil, wenn dieſe nach Geſetzen beſtimt waͤre, ſo waͤre ſie nicht Freiheit, ſondern ſelbſt nichts anders als Natur. Natur alſo und transſcendentale Freiheit unterſcheiden ſich wie Geſetzmaͤſ- ſigkeit und Geſetzloſigkeit, davon iene zwar den Verſtand mit der Schwierigkeit belaͤſtigt, die Abſtammung der Be- gebenheiten in der Reihe der Urſachen immer hoͤher hinauf zu ſuchen, weil die Cauſſalitaͤt an ihnen iederzeit bedingt iſt, aber zur Schadloshaltung durchgaͤngige und geſetzmaͤſ- ſige Einheit der Erfahrung verſpricht, dahingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem forſchenden Verſtande in der Kette der Urſachen Ruhe verheißt, indem ſie ihn zu einer unbedingten Cauſſalitaͤt fuͤhret, die von ſelbſt zu handeln anhebt, die aber, da ſie ſelbſt blind iſt, den Leit- faden der Regeln abreißt, an welchem allein eine durch- gaͤngig zuſammenhaͤngende Erfahrung moͤglich iſt. II. An- [[448]/0478] Anmerkung zur dritten Antinomie I. zur Theſis. Die transſcendentale Idee der Freiheit macht zwar bey weitem nicht den ganzen Inhalt des pſychologiſchen Begriffs dieſes Nahmens aus, welcher groſſen Theils em- piriſch iſt, ſondern nur den der abſoluten Spontaneitaͤt der Handlung, als den eigentlichen Grund der Imputabi- litaͤt derſelben, iſt aber dennoch der eigentliche Stein des Anſtoſſes vor die Philoſophie, welche unuͤberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Cauſſalitaͤt einzuraͤumen. Dasienige alſo in der Frage uͤber die Freiheit des Willens, was die ſpeculative Ver- nunft von ieher in ſo groſſe Verlegenheit geſezt hat, iſt ei- gentlich nur transſcendental und gehet lediglich darauf: ob ein Vermoͤgen angenommen werden muͤſſe, eine Reihe von ſucceſſiven Dingen oder Zuſtaͤnden von ſelbſt anzu- fangen. Wie ein ſolches moͤglich ſey, iſt nicht eben ſo nothwendig beantworten zu koͤnnen, da wir uns eben ſo wol bey der Cauſſalitaͤt nach Naturgeſetzen damit begnuͤ- gen muͤſſen, a priori zu erkennen, daß eine ſolche vorausge- ſezt werden muͤſſe, ob wir gleich die Moͤglichkeit, wie durch ein gewiſſes Daſeyn das Daſeyn eines andern geſezt werde, auf keine Weiſe begreifen, und uns desfalls le- diglich an die Erfahrung halten muͤſſen. Nun haben wir dieſe Nothwendigkeit eines erſten Anfangs einer Reihe von Erſcheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich in ſo fern dargethan, als zur Begreiflichkeit eines Urſprungs der Welt erfoderlich iſt, indeſſen daß man alle nachfol- gende Zuſtaͤnde vor eine Abfolge nach bloſſen Naturgeſetzen nehmen [[449]/0479] II. Anmerkung zur Antitheſis. Der Vertheidiger der Allvermoͤgenheit der Natur (transſcendentale Phyſiocratie), im Widerſpiel mit der Lehre von der Freiheit, wuͤrde ſeinen Satz, gegen die vernuͤnftelnde Schluͤſſe der lezteren, auf folgende Art be- haupten. Wenn ihr kein mathematiſch Erſtes der Zeit nach in der Welt annehmt, ſo habt ihr auch nicht noͤthig, ein dynamiſch Erſtes der Cauſſalitaͤt nach zu ſuchen. Wer hat euch geheiſſen, einen ſchlechthin erſten Zuſtand der Welt, und mithin einen abſoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erſcheinungen zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ru- hepunct verſchaffen moͤget, der unumſchraͤnkten Natur Graͤnzen zu ſetzen. Da die Subſtanzen in der Welt ie- derzeit geweſen ſind, wenigſtens die Einheit der Erfahrung eine ſolche Vorausſetzung nothwendig macht, ſo hat es keine Schwierigkeit auch anzunehmen: daß der Wechſel ihrer Zuſtaͤnde, d. i. eine Reihe ihrer Veraͤnderungen ie- derzeit geweſen ſey, und mithin kein erſter Anfang, we- der mathematiſch, noch dynamiſch, geſucht werden duͤrfe. Die Moͤglichkeit einer ſolchen unendlichen Abſtammung, ohne ein erſtes Glied, in Anſehung deſſen alles uͤbrige blos nachfolgend iſt, laͤßt ſich, ſeiner Moͤglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr dieſe Naturraͤth- ſel darum wegwerfen wollt, ſo werdet ihr euch genoͤthigt ſehen, viel ſynthetiſche Grundbeſchaffenheiten zu verwer- fen, (Grundkraͤfte) die ihr eben ſo wenig begreifen koͤnt, und F f [[450]/0480] nehmen kan. Weil aber dadurch doch einmal das Ver- moͤgen, eine Reihe in der Zeit ganz von ſelbſt anzufangen, bewieſen (obzwar nicht eingeſehen) iſt, ſo iſt es uns nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen, der Cauſſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und den Subſtanzen derſelben ein Vermoͤgen beizulegen, aus Frei- heit zu handeln. Man laſſe ſich aber hiebey nicht durch einen Mißverſtand aufhalten: daß, da nemlich eine ſuc- ceſſive Reihe in der Welt nur einen comparativ erſten An- fang haben kan, indem doch immer ein Zuſtand der Din- ge in der Welt vorhergeht, etwa kein abſolut erſter An- fang der Reihen waͤhrend dem Weltlaufe moͤglich ſey. Denn wir reden hier nicht vom abſoluterſten Anfange der Zeit nach, ſondern der Cauſſalitaͤt nach. Wenn ich iezt (zum Beiſpiel) voͤllig frey, und ohne den nothwendig be- ſtimmenden Einfluß der Natururſachen von meinem Stuhle aufſtehe, ſo faͤngt in dieſer Begebenheit, ſamt deren na- tuͤrlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe ſchlecht- hin an, obgleich der Zeit nach dieſe Begebenheit nur die Fortſetzung einer vorhergehenden Reihe iſt. Denn dieſe Entſchlieſſung und That liegt gar nicht in der Abfolge bloſ- ſer Naturwirkungen, und iſt nicht eine bloſſe Fortſetzung derſelben, ſondern die beſtimmende Natururſachen hoͤren oberhalb derſelben, in Anſehung dieſer Eraͤugniß, ganz auf, die zwar auf iene folgt, aber daraus nicht erfolgt und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Anſehung der Cauſſalitaͤt, ein ſchlechthin erſter Anfang einer Reihe von Erſcheinungen genant werden muß. Die Beſtaͤtigung von der Beduͤrfniß der Vernunft, in der Reihe der Natururſachen ſich auf einen erſten An- fang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran ſehr klar in die Augen: daß (die epicuriſche Schule ausgenommen) alle Philoſophen des Alterthums ſich gedrungen ſahen, zur Erklaͤrung der Weltbewegungen einen erſten Beweger anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Urſache, welche die- ſe Reihe von Zuſtaͤnden zuerſt und von ſelbſt anfieng. Denn aus bloſſer Natur unterfingen ſie ſich nicht, einen erſten Anfang begreiflich zu machen. Die [[451]/0481] und ſelbſt die Moͤglichkeit einer Veraͤnderung uͤberhaupt muß euch anſtoͤſſig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung faͤndet, daß ſie wirklich iſt, ſo wuͤrdet ihr nie- mals a priori erſinnen koͤnnen, wie eine ſolche unaufhoͤr- liche Folge von Seyn und Nichtſeyn moͤglich ſey. Wenn auch indeſſen allenfalls ein transſcendentales Vermoͤgen der Freiheit nachgegeben wird, um die Welt- veraͤnderungen anzufangen, ſo wuͤrde dieſes Vermoͤgen doch wenigſtens nur auſſerhalb der Welt ſeyn muͤſſen, (wie- wol es immer eine kuͤhne Anmaſſung bleibt, auſſerhalb dem Inbegriffe aller moͤglichen Anſchauungen, noch einen Ge- genſtand anzunehmen, der in keiner moͤglichen Wahrneh- mung gegeben werden kan). Allein, in der Welt ſelbſt, den Subſtanzen ein ſolches Vermoͤgen beyzumeſſen, kan nimmer- mehr erlaubt ſeyn, weil alsdenn der Zuſammenhang nach all- gemeinen Geſetzen ſich einander nothwendig beſtimmender Erſcheinungen, den man Natur nent, und mit ihm das Merk- mal empiriſcher Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterſcheidet, groͤßtentheils verſchwinden wuͤrde. Denn es laͤßt ſich neben einem ſolchen geſetzloſen Vermoͤgen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Geſetze der lezteren durch die Einfluͤſſe der erſteren, unaufhoͤrlich abgeaͤndert, und das Spiel der Erſcheinungen, welches nach der bloſſen Natur regelmaͤſſig und gleichfoͤrmig ſeyn wuͤrde, dadurch verwirret und unzuſammenhaͤngend ge- macht wird. F f 2 [[452]/0482] Der Antinomie vierter Widerſtreit Theſis. Zu der Welt gehoͤrt etwas, das, entweder als ihr Theil, oder ihre Urſache, ein ſchlechthin nothwendig Weſen iſt. Beweis. Die Sinnenwelt, als das Ganze aller Erſcheinun- gen, enthaͤlt zugleich eine Reihe von Veraͤnderungen. Denn, ohne dieſe, wuͤrde ſelbſt die Vorſtellung der Zeitreihe, als einer Bedingung der Moͤglichkeit der Sin- nenwelt, uns nicht gegeben ſeyn *). Eine iede Veraͤnde- rung aber ſteht unter ihrer Bedingung, die der Zeit nach vorher geht und unter welcher ſie nothwendig iſt. Nun ſezt ein iedes Bedingte, das gegeben iſt, in Anſehung ſeiner Exiſtenz, eine vollſtaͤndige Reihe von Bedingungen bis zum Schlechthinunbedingten voraus, welches allein abſo- lutnothwendig iſt. Alſo muß etwas Abſolutnothwendiges exiſtiren, wenn eine Veraͤnderung als ſeine Folge exiſtirt. Dieſes Nothwendige aber gehoͤret ſelber zur Sinnenwelt. Denn ſetzet, es ſey auſſer derſelben: ſo wuͤrde von ihm die Reihe der Weltveraͤnderungen ihren Anfang ableiten, ohne daß *) Die Zeit geht zwar als formale Bedingung der Moͤg- lichkeit der Veraͤnderungen vor dieſer obiectiv vorher, allein ſubiectiv, und in der Wirklichkeit des Bewuſtſeyns, iſt dieſe Vorſtellung doch nur, ſo wie iede andere, durch Veranlaſſung der Wahrnehmungen gegeben. [[453]/0483] der reinen Vernunft der transſcendentalen Ideen. Antitheſis. Es exiſtirt uͤberall kein ſchlechthinnothwendiges Weſen, weder in der Welt, noch auſſer der Welt, als ihre Urſache. Beweis. Setzet: die Welt ſelber, oder in ihr, ſey ein noth- wendiges Weſen, ſo wuͤrde in der Reihe ihrer Veraͤnde- rungen, entweder ein Anfang ſeyn, der unbedingtnoth- wendig, mithin ohne Urſache waͤre, welches dem dynami- ſchen Geſetze der Beſtimmung aller Erſcheinungen in der Zeit widerſtreitet, oder die Reihe ſelbſt waͤre ohne allen Anfang, und, obgleich in allen ihren Theilen zufaͤllig und bedingt, im Ganzen dennoch ſchlechthinnothwendig und unbedingt, welches ſich ſelbſt widerſpricht; weil das Daſeyn einer Menge nicht nothwendig ſeyn kan, wenn kein einziger Theil derſelben ein an ſich nothwendiges Daſeyn beſizt. Setzet dagegen: es gebe eine ſchlechthin nothwendige Welturſache auſſer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe als das oberſte F f 3 [[454]/0484] daß doch dieſe nothwendige Urſache ſelbſt zur Sinnenwelt gehoͤrete. Nun iſt dieſes unmoͤglich. Denn, da der An- fang einer Zeitreihe nur durch dasienige, was der Zeit nach vorhergeht, beſtimt werden kan: ſo muß die oberſte Bedingung des Anfangs einer Reihe von Veraͤnderungen in der Zeit exiſtiren, da dieſe noch nicht war, (denn der Anfang iſt ein Daſeyn, vor welchem eine Zeit vorhergeht, darin das Ding, welches anfaͤngt, noch nicht war). Alſo gehoͤret die Cauſſalitaͤt der nothwendigen Urſache der Veraͤn- derungen, mithin auch die Urſache ſelbſt, zu der Zeit, mithin zur Erſcheinung (an welcher die Zeit allein als deren Form moͤglich iſt), folglich kan ſie von der Sinnenwelt, als dem Inbegriff aller Erſcheinungen, nicht abgeſondert gedacht werden. Alſo iſt in der Welt ſelbſt etwas Schlechthinnoth- wendiges enthalten (es mag nun dieſes die ganze Welt- reihe ſelbſt, oder ein Theil derſelben ſeyn). An- [[455]/0485] oberſte Glied in der Reihe der Urſachen der Weltveraͤnde- rungen, das Daſeyn der lezteren und ihre Reihe zuerſt anfangen *). Nun muͤßte ſie aber alsdenn auch anfan- gen zu handeln und ihre Cauſſalitaͤt wuͤrde in die Zeit, eben darum aber in den Inbegriff der Erſcheinungen, d. i. in die Welt gehoͤren, folglich ſie ſelbſt, die Urſache, nicht auſſer der Welt ſeyn, welches der Vorausſetzung wider- ſpricht. Alſo iſt weder in der Welt, noch auſſer derſelben (aber mit ihr in Cauſſalverbindung) irgend ein ſchlechthin nothwendiges Weſen. II. An- *) Das Wort: Anfangen, wird in zwiefacher Bedeutung genommen. Die erſte iſt activ, da die Urſache eine Reihe von Zuſtaͤnden als ihre Wirkung anfaͤngt (infit). Die zweite paſſiv, da die Cauſſalitaͤt in der Urſache ſelbſt anhebt (fit). Ich ſchlieſſe hier aus der erſteren auf die lezte. F f 4 [[456]/0486] Anmerkung zur vierten Antinomie I. zur Theſis. Um das Daſeyn eines nothwendigen Weſens zu bewei- ſen, liegt mir hier ob, kein anderes als cosmologiſches Ar- gument zu brauchen, welches nemlich von dem Bedingten in der Erſcheinung zum Unbedingten im Begriffe aufſteigt, indem man dieſes als die nothwendige Bedingung der ab- ſoluten Totalitaͤt der Reihe anſieht. Den Beweis, aus der bloſſen Idee eines oberſten aller Weſen uͤberhaupt, zu ver- ſuchen, gehoͤrt zu einem andern Princip der Vernunft, und ein ſolcher wird daher beſonders vorkommen muͤſſen. Der reine cosmologiſche Beweis kan nun das Da- ſeyn eines nothwendigen Weſens nicht anders darthun, als daß er es zugleich unausgemacht laſſe, ob daſſelbe die Welt ſelbſt, oder ein von ihr unterſchiedenes Ding ſey. Denn, um das leztere auszumitteln, dazu werden Grund- ſaͤtze erfordert, die nicht mehr cosmologiſch ſind, und nicht in der Reihe der Erſcheinungen fortgehen, ſondern Begriffe von zufaͤlligen Weſen uͤberhaupt, (ſo fern ſie blos als Ge- genſtaͤnde des Verſtandes erwogen werden) und ein Prin- cip, ſolche mit einem nothwendigen Weſen, durch bloſſe Begriffe, zu verknuͤpfen, welches alles vor eine transſcen- dente Philoſophie gehoͤrt, vor welche hier noch nicht der Platz iſt. Wenn man aber einmal den Beweis cosmologiſch an- faͤngt, indem man die Reihe von Erſcheinungen, und den Regreſſus in derſelben nach empiriſchen Geſetzen der Cauſ- ſalitaͤt, zum Grunde legt: ſo kan man nachher davon nicht abſpringen und auf etwas uͤbergehen, was gar nicht in die Reihe als ein Glied gehoͤrt. Denn in eben derſel- ben [[457]/0487] II. Anmerkung zur Antitheſis. Wenn man, beim Aufſteigen in der Reihe der Er- ſcheinungen, wider das Daſeyn einer ſchlechthin noth- wendigen oberſten Urſache, Schwierigkeiten anzutreffen vermeint, ſo muͤſſen ſich dieſe auch nicht auf bloſſe Begriffe vom nothwendigen Daſeyn eines Dinges uͤberhaupt gruͤn- den und mithin nicht ontologiſch ſeyn, ſondern ſich aus der Cauſſalverbindung mit einer Reihe von Erſcheinungen, um zu derſelben eine Bedingung anzunehmen, die ſelbſt unbedingt iſt, hervor finden, folglich cosmologiſch und nach empiriſchen Geſetzen gefolgert ſeyn. Es muß ſich nemlich zeigen, daß das Aufſteigen in der Reihe der Urſa- chen (in der Sinnenwelt) niemals bey einer empiriſchun- bedingten Bedingung endigen koͤnne, und daß das cosmo- logiſche Argument aus der Zufaͤlligkeit der Weltzuſtaͤnde, laut ihren Veraͤnderungen, wider die Annehmung einer erſten, und die Reihe ſchlechthin zuerſt anhebenden Urſa- che ausfalle. Es F f 5 [[458]/0488] ben Bedeutung muß etwas als Bedingung angeſehen wer- den, in welcher die Relation des Bedingten zu ſeiner Be- dingung in der Reihe genommen wurde, die auf dieſe hoͤchſte Bedingung in continuirlichem Fortſchritte fuͤhren ſollte. Iſt nun dieſes Verhaͤltniß ſinnlich und gehoͤrt zum moͤglichen empiriſchen Verſtandesgebrauch, ſo kan die oberſte Bedingung oder Urſache nur nach Geſetzen der Sinn- lichkeit, mithin nur als zur Zeitreihe gehoͤrig den Regreſ- ſus beſchlieſſen, und das nothwendige Weſen muß als das oberſte Glied der Weltreihe angeſehen werden. Gleichwol hat man ſich die Freiheit genommen, ei- nen ſolchen Abſprung (μεταβασις ἐις ἀλλο γενος) zu thun. Man ſchloß nemlich aus den Veraͤnderungen in der Welt auf die empiriſche Zufaͤlligkeit, d. i. die Abhaͤngig- keit derſelben von empiriſchbeſtimmenden Urſachen und be- kam eine aufſteigende Reihe empiriſcher Bedingungen, wel- ches auch ganz Recht war. Da man aber hierin keinen erſten Anfang und kein oberſtes Glied finden konte, ſo gieng man ploͤtzlich vom empiriſchen Begriff der Zufaͤllig- keit ab und nahm die reine Categorie, welche alsdenn eine blos intelligibele Reihe veranlaßte, deren Vollſtaͤndigkeit auf dem Daſeyn einer ſchlechthinnothwendigen Urſache be- ruhete, die nunmehr, da ſie an keine ſinnliche Bedingun- gen gebunden war, auch von der Zeitbedingung, ihre Cauſſalitaͤt ſelbſt anzufangen, befreiet wurde. Dieſes Verfah- ren iſt aber ganz widerrechtlich, wie man aus folgenden ſchlieſſen kan. Zufaͤllig, im reinen Sinne der Categorie, iſt das, deſſen contradictoriſches Gegentheil moͤglich iſt. Nun kan man aus der empiriſchen Zufaͤlligkeit auf iene intelligibele gar nicht ſchlieſſen. Was veraͤndert wird, deſſen Gegen- theil [[459]/0489] Es zeiget ſich aber in dieſer Antinomie ein ſeltſamer Contraſt: daß nemlich aus eben demſelben Beweisgrunde, woraus in der Theſis das Daſeyn eines Urweſens geſchloſ- ſen wurde, in der Antitheſis das Nichtſeyn deſſelben, und zwar mit derſelben Schaͤrfe, geſchloſſen wird. Erſt hieß es: es iſt ein nothwendiges Weſen, weil die ganze ver- gangene Zeit die Reihe aller Bedingungen und hiemit alſo auch das Unbedingte (Nothwendige) in ſich faßt; Nun heißt es: es iſt kein nothwendiges Weſen, eben darum, weil die ganze verfloſſene Zeit die Reihe aller Bedingungen (die mithin insgeſamt wiederum bedingt ſeyn) in ſich faßt. Die Urſache hievon iſt dieſe. Das erſte Argument ſiehet nur auf die abſolute Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, deren eine die andere in der Zeit beſtimt, und bekomt dadurch ein Unbedingtes und Nothwendiges. Das zweite zieht dagegen die Zufaͤlligkeit alles deſſen, was in der Zeitreihe beſtimt iſt, in Betrachtung, (weil vor iedem eine Zeit vorhergeht, darin die Bedingung ſelbſt wiederum als be- dingt beſtimt ſeyn muß) wodurch denn alles Unbedingte, und [[460]/0490] theil (ſeines Zuſtandes) iſt zu einer andern Zeit wirklich, mithin auch moͤglich, mithin iſt dieſes nicht das contradi- ctoriſche Gegentheil des vorigen Zuſtandes, wozu erfodert wird, daß in derſelben Zeit, da der vorige Zuſtand war, an die Stelle deſſelben ſein Gegentheil haͤtte ſeyn koͤnnen, welches aus der Veraͤnderung gar nicht geſchloſſen werden kan. Ein Coͤrper, der in Bewegung war = A, koͤmt in Ruhe = non A. Daraus nun, daß ein entgegenge- ſezter Zuſtand vom Zuſtande A auf dieſen folgt, kan gar nicht geſchloſſen werden, daß das contradictoriſche Gegen- theil von A moͤglich, mithin A zufaͤllig ſey; denn dazu wuͤrde erfordert werden, daß in derſelben Zeit, da die Bewegung war, anſtatt derſelben die Ruhe habe ſeyn koͤnnen. Nun wiſſen wir nichts weiter, als daß die Ruhe in der folgenden Zeit wirklich, mithin auch moͤglich war. Bewegung aber zu einer Zeit, und Ruhe zu einer anderen Zeit ſind einan- der nicht contradictoriſch entgegengeſezt. Alſo beweiſet die Succeſſion entgegengeſezter Beſtimmungen, d. i. die Ver- aͤnderung, keinesweges die Zufaͤlligkeit nach Begriffen des reinen Verſtandes, und kan alſo auch nicht auf das Da- ſeyn eines nothwendigen Weſens nach reinen Verſtandes- begriffen, fuͤhren. Die Veraͤnderung beweiſet nur die empiriſche Zufaͤlligkeit, d. i. daß der neue Zuſtand vor ſich ſelbſt, ohne eine Urſache, die zur vorigen Zeit gehoͤrt, gar nicht haͤtte ſtatt finden koͤnnen, zu Folge dem Geſetze der Cauſſalitaͤt. Dieſe Urſache, und wenn ſie auch als ſchlechthin nothwendig angenommen wird, muß auf dieſe Art doch in der Zeit angetroffen werden, und zur Reihe der Erſcheinungen gehoͤren. Der [[461]/0491] und alle abſolute Nothwendigkeit, gaͤnzlich wegfaͤllt. In- deſſen iſt die Schlußart in beiden, ſelbſt der gemeinen Menſchenvernunft ganz angemeſſen, welche mehrmalen in den Fall geraͤth, ſich mit ſich ſelbſt zu entzweien, nach- dem ſie ihren Gegenſtand aus zwey verſchiedenen Stand- puncten erwaͤgt. Herr von Mairan hielt den Streit zweier beruͤhmter Aſtronomen, der aus einer aͤhnlichen Schwierigkeit uͤber die Wahl des Standpuncts entſprang, vor ein gnugſam merkwuͤrdiges Phaͤnomen, um daruͤber eine beſondere Abhandlung abzufaſſen. Der eine ſchloß nemlich ſo: der Mond drehet ſich um ſeine Achſe, dar- um, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zukehrt, der andere: der Mond drehet ſich nicht um ſeine Achſe, eben darum, weil er der Erde beſtaͤndig dieſelbe Seite zu- kehrt. Beide Schluͤſſe waren richtig, nachdem man den Standpunct nahm, aus dem man die Mondsbewegung beobachten wollte. Dei [462/0492] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Der Antinomie der reinen Vernunft Dritter Abſchnitt. Von dem Intereſſe der Vernunft bey dieſem ihrem Widerſtreite. Da haben wir nun das ganze dialectiſche Spiel der cos- mologiſchen Ideen, die es gar nicht verſtatten, daß ihnen ein congruirender Gegenſtand in irgend einer moͤg- lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die Vernunft ſie einſtimmig mit allgemeinen Erfahrungsgeſe- tzen denke, die gleichwol doch nicht willkuͤhrlich erdacht ſind, ſondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort- gange der empiriſchen Syntheſis nothwendig gefuͤhrt wird, wenn ſie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit nur bedingt beſtimt werden kan, von aller Bedingung be- freien und in ſeiner unbedingten Totalitaͤt faſſen will. Dieſe vernuͤnftelnde Behauptungen ſind ſo viel Verſuche, vier natuͤrliche und unvermeidliche Problemen der Ver- nunft aufzuloͤſen, deren es alſo nur gerade ſo viel, nicht mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr Reihen ſynthetiſcher Vorausſetzungen giebt, welche die empiriſche Syntheſis a priori begraͤnzen. Wir haben die glaͤnzende Anmaſſungen, der ihr Ge- biete uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung erweiternden Ver- nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund ihrer [463/0493] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft. ꝛc. ihrer rechtlichen Anſpruͤche enthalten, vorgeſtellt und, wie es einer Transſcendental-Philoſophie geziemt, dieſe von allem Empiriſchen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mit demſelben hervorleuchten kan. In dieſer Anwendung aber, und der fortſchreitenden Erweiterung des Vernunftgebrauchs, indem ſie von dem Felde der Erfahrungen anhebt, und ſich bis zu dieſen erhabenen Ideen almaͤhlig hinaufſchwingt, zeigt die Philoſophie eine Wuͤrde, welche, wenn ſie ihre Anmaſſungen nur behaupten koͤnte, den Werth aller ande- ren menſchlichen Wiſſenſchaft weit unter ſich laſſen wuͤrde, indem ſie die Grundlage zu unſeren groͤſſeſten Erwartungen und Ausſichten auf die lezten Zwecke, in welchen alle Ver- nunftbemuͤhungen ſich endlich vereinigen muͤſſen, verheißt. Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgend eine Graͤnze ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgend- wo und vielleicht in meinem denkenden Selbſt eine untheil- bare und unzerſtoͤrliche Einheit, oder nichts als das Theil- bare und Vergaͤngliche gebe, ob ich in meinen Handlungen frey, oder, wie andere Weſen, an dem Faden der Natur und des Schickſals geleitet ſey, ob es endlich eine oberſte Welturſache gebe, oder die Naturdinge und deren Ord- nung den lezten Gegenſtand ausmachen, bey dem wir in allen unſeren Betrachtungen ſtehen bleiben muͤſſen: das ſind Fragen, um deren Aufloͤſung der Mathematiker gerne ſeine ganze Wiſſenſchaft dahin gaͤbe; denn dieſe kan ihm doch in Anſehung der hoͤchſten und angelegenſten Zwecke der Menſch- [464/0494] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Menſchheit keine Befriedigung verſchaffen. Selbſt die eigentliche Wuͤrde der Mathematik (dieſes Stolzes der menſchlichen Vernunft) beruhet darauf: daß, da ſie der Vernunft die Leitung giebt, die Natur im Groſſen ſowol als im Kleinen in ihrer Ordnung und Regelmaͤßigkeit, im- gleichen in der bewundernswuͤrdigen Einheit der ſie bewe- genden Kraͤfte, weit uͤber alle Erwartung der auf gemeine Erfahrung bauenden Philoſophie einzuſehen, ſie dadurch ſelbſt zu dem uͤber alle Erfahrung erweiterten Gebrauch der Vernunft, Anlaß und Aufmunterung giebt, imgleichen die damit beſchaͤftigte Weltweisheit mit den vortreflichſten Materialien verſorgt, ihre Nachforſchung, ſo viel deren Beſchaffenheit es erlaubt, durch angemeſſene Anſchauungen zu unterſtuͤtzen. Ungluͤcklicher Weiſe vor die Speculation (vielleicht aber zum Gluͤck vor die practiſche Beſtimmung des Men- ſchen) ſiehet ſich die Vernunft, mitten unter ihren groͤſ- ſeſten Erwartungen, in einem Gedraͤnge von Gruͤnden und Gegengruͤnden ſo befangen, daß, da es ſowol ihrer Ehre, als auch ſogar ihrer Sicherheit wegen nicht thun- lich iſt, ſich zuruͤck zu ziehen, und dieſem Zwiſt als einem bloſſen Spielgefechte gleichguͤltig zuzuſehen, noch weniger ſchlechthin Friede zu gebieten, weil der Gegenſtand des Streits ſehr intereſſirt, ihr nichts weiter uͤbrig bleibt, als uͤber den Urſprung dieſer Veruneinigung der Vernunft mit ſich ſelbſt nachzuſinnen, ob nicht etwa ein bloſſer Miß- verſtand daran Schuld ſey, nach deſſen Eroͤrterung zwar bei- [465/0495] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft. ꝛc. beider Seits ſtolze Anſpruͤche vielleicht wegfallen, aber davor ein dauerhaft ruhiges Regiment der Vernunft uͤber Verſtand und Sinne ſeinen Anfang nehmen wuͤrde. Wir wollen voriezt dieſe gruͤndliche Eroͤrterung noch etwas ausſetzen, und zuvor in Erwegung ziehen: auf wel- che Seite wir uns wol am liebſten ſchlagen moͤchten, wenn wir etwa genoͤthigt wuͤrden, Parthey zu nehmen. Da wir in dieſem Falle, nicht den logiſchen Probierſtein der Wahr- heit, ſondern blos unſer Intereſſe befragen, ſo wird eine ſolche Unterſuchung, ob ſie gleich in Anſehung des ſtritti- gen Rechts beider Theile nichts ausmacht, dennoch den Nutzen haben, es begreiflich zu machen: warum die Theil- nehmer an dieſem Streite ſich lieber auf die eine Seite, als auf die andere geſchlagen haben, ohne daß eben eine vorzuͤgliche Einſicht des Gegenſtandes daran Urſache ge- weſen, imgleichen noch andere Nebendinge zu erklaͤren, z. B. die zelotiſche Hitze des einen und die kalte Behaup- tung des andern Theils, warum ſie gerne der einen Par- they freudigen Beifall zuiauchzen, und wider die andere zum voraus, unverſoͤhnlich eingenommen ſind. Es iſt aber etwas, das bey dieſer vorlaͤufigen Be- urtheilung den Geſichtspunct beſtimt, aus dem ſie allein mit gehoͤriger Gruͤndlichkeit angeſtellet werden kan, und dieſes iſt die Vergleichung der Principien, von denen beide Theile ausgehen. Man bemerkt unter den Behauptun- gen der Antitheſis, eine vollkommene Gleichfoͤrmigkeit der Denkungsart und voͤllige Einheit der Maxime, nemlich ein G g [466/0496] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ein Principium des reinen Empirismus, nicht allein in Erklaͤrung der Erſcheinungen in der Welt, ſondern auch in Aufloͤſung der transſcendentalen Ideen, vom Weltall ſelbſt. Dagegen legen die Behauptungen der Theſis, auſ- ſer der empiriſchen Erklaͤrungsart innerhalb der Reihe der Erſcheinungen, noch intellectuelle Anfaͤnge zum Grunde, und die Maxime iſt ſo fern nicht einfach. Ich will ſie aber, von ihrem weſentlichen Unterſcheidungsmerkmal, den Dogmatism der reinen Vernunft nennen. Auf der Seite alſo des Dogmatismus, in Beſtim- mung der cosmologiſchen Vernunftideen, oder der Theſis, zeiget ſich zuerſt ein gewiſſes practiſches Intereſſe, woran ieder wolgeſinte, wenn er ſich auf ſeinen wahren Vortheil ver- ſteht, herzlich Theil nimt. Daß die Welt einen Anfang habe, daß mein denkendes Selbſt einfacher und daher un- verweslicher Natur, daß dieſes zugleich in ſeinen willkuͤr- lichen Handlungen frey und uͤber den Naturzwang erho- ben ſey, und daß endlich die ganze Ordnung der Dinge, welche die Welt ausmachen, von einem Urweſen abſtam- me, von welchem alles ſeine Einheit und zweckmaͤſſige Verknuͤpfung entlehnt, das ſind ſo viel Grundſteine der Moral und Religion. Die Antitheſis raubt uns alle dieſe Stuͤtzen, oder ſcheint wenigſtens ſie uns zu rauben. Zweitens aͤuſſert ſich auch ein ſpeculatives Inter- eſſe der Vernunft auf dieſer Seite. Denn, wenn man die transſcendentale Ideen auf ſolche Art annimt und ge- braucht, [467/0497] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc. braucht, ſo kan man voͤllig a priori die ganze Kette der Bedingungen faſſen, und die Ableitung des Bedingten be- greifen, indem man vom Unbedingten anfaͤngt, welches die Antitheſis nicht leiſtet, die dadurch ſich ſehr uͤbel em- pfielt, daß ſie auf die Frage, wegen der Bedingungen ih- rer Syntheſis, keine Antwort geben kan, die nicht ohne Ende immer weiter zu fragen uͤbrig lieſſe. Nach ihr muß man von einem gegebenen Anfaͤnge zu einem noch hoͤheren aufſteigen, ieder Theil fuͤhrt auf einen noch kleineren Theil, iede Begebenheit hat immer noch eine andere Begebenheit als Urſache uͤber ſich, und die Bedingungen des Daſeyns uͤberhaupt ſtuͤtzen ſich immer wiederum auf andere, ohne iemals in einem ſelbſtſtaͤndigen Dinge als Urweſen unbe- dingte Haltung und Stuͤtze zu bekommen. Drittens hat dieſe Seite auch den Vorzug der Popularitaͤt, der gewiß nicht den kleineſten Theil ſeiner Empfehlung ausmacht. Der gemeine Verſtand findet in den Ideen des unbedingten Anfangs aller Syntheſis nicht die mindeſte Schwierigkeit, da er ohnedem mehr gewohnt iſt, zu den Folgen abwerts zu gehen, als zu den Gruͤnden hinaufzuſteigen, und hat in den Begriffen des abſolut Er- ſten (uͤber deſſen Moͤglichkeit er nicht gruͤbelt) eine Ge- maͤchlichkeit und zugleich einen feſten Punct, um die Leit- ſchnur ſeiner Schritte daran zu knuͤpfen, da er hingegen an dem raſtloſen Aufſteigen vom Bedingten zur Bedingung, iederzeit mit einem Fuße in der Luft, gar keinen Wolge- fallen finden kan. Auf G g 2 [468/0498] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Auf der Seite des Empirismus in Beſtimmung der cosmologiſchen Ideen, oder der Antitheſis findet ſich erſtlich, kein ſolches practiſches Intereſſe aus reinen Principien der Vernunft, als Moral und Re- ligion bey ſich fuͤhren. Vielmehr ſcheinet der bloſſe Em- pirism beiden alle Kraft und Einfluß zu benehmen. Wenn es kein von der Welt unterſchiedenes Urweſen giebt, wenn die Welt ohne Anfang und alſo auch ohne Urheber, unſer Wille nicht frey und die Seele von gleicher Theilbarkeit und Verweslichkeit mit der Materie iſt, ſo verliehren auch die moraliſche Ideen und Grundſaͤtze alle Guͤltigkeit, und fallen mit den transſcendentalen Ideen, welche ihre theo- retiſche Stuͤtze ausmachten. Dagegen bietet aber der Empirism dem ſpecula- tiven Intereſſe der Vernunft Vortheile an, die ſehr an- lockend ſeyn und dieienige weit uͤbertreffen, die der dog- matiſche Lehrer der Vernunftideen verſprechen mag. Nach ienem iſt der Verſtand iederzeit auf ſeinem eigenthuͤmlichen Boden, nemlich dem Felde von lauter moͤglichen Erfah- rungen, deren Geſetze er nachſpuͤhren und vermittelſt der- ſelben er ſeine ſichere und faßliche Erkentniß ohne Ende erweitern kan. Hier kan und ſoll er den Gegenſtand, ſo wol an ſich ſelbſt, als in ſeinen Verhaͤltniſſen, der An- ſchauung darſtellen, oder doch in Begriffen, deren Bild in gegebenen aͤhnlichen Anſchauungen klar und deutlich vorgelegt werden kan. Nicht allein, daß er nicht noͤthig hat, dieſe Kette der Naturordnung zu verlaſſen, um ſich an [469/0499] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc. an Ideen zu haͤngen, deren Gegenſtaͤnde er nicht kent, weil ſie als Gedankendinge niemals gegeben werden koͤnnen, ſondern es iſt ihm nicht einmal erlaubt, ſein Geſchaͤfte zu verlaſſen und unter dem Vorwande, es ſey nunmehr zu Ende gebracht, in das Gebiete der idealiſirenden Vernunft und zu transſcendenten Begriffen uͤber zu gehen, wo er nicht weiter noͤthig hat zu beobachten und den Naturgeſe- tzen gemaͤß zu forſchen, ſondern nur zu denken und zu dichten, ſicher, daß er nicht durch Thatſachen der Natur widerlegt werden koͤnne, weil er an ihr Zeugniß eben nicht gebunden iſt, ſondern ſie vorbeigehen, oder ſie ſo gar ſelbſt einem hoͤheren Anſehen, nemlich dem der reinen Vernunft, unterordnen darf. Der Empiriſt wird es daher niemals erlauben, ir- gend eine Epoche der Natur vor die ſchlechthinerſte an- zunehmen, oder irgend eine Graͤnze ſeiner Ausſicht in den Umfang derſelben als die aͤuſſerſte anzuſehen, noch von den Gegenſtaͤnden der Natur, die er durch Beobachtung und Mathematik aufloͤſen und in der Anſchauung ſynthe- tiſch beſtimmen kan, (dem Ausgedehnten) zu denen uͤber- zugehen, die weder Sinn, noch Einbildungskraft iemals in concreto darſtellen kan (dem Einfachen), noch einraͤu- men: daß man ſelbſt in der Natur ein Vermoͤgen, un- abhaͤngig von Geſetzen der Natur zu wirken, (Freiheit), zum Grunde lege und dadurch dem Verſtande ſein Ge- ſchaͤfte ſchmaͤlere, an dem Leitfaden nothwendiger Regeln dem Entſtehen der Erſcheinungen nachzuſpuͤhren, noch end- G g 3 [470/0500] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. endlich zugeben: daß man irgend wozu die Urſache auſſer- halb der Natur ſuche, (Urweſen) weil wir nichts weiter, als dieſe kennen, indem ſie es allein iſt, welche uns Ge- genſtaͤnde darbietet, und von ihren Geſetzen unterrichten kan. Zwar, wenn der empiriſche Philoſoph mit ſeiner Antitheſe keine andere Abſicht hat: als den Vorwitz und die Vermeſſenheit, der ihre wahre Beſtimmung verken- nenden Vernunft, niederzuſchlagen, welche mit Einſicht und Wiſſen groß thut, da wo eigentlich Einſicht und Wiſſen aufhoͤren, und das, was man in Anſehung des practiſchen Intereſſe gelten laͤßt, vor eine Befoͤrderung des ſpeculativen Intereſſe ausgeben will, um, wo es ihrer Gemaͤchlichkeit zutraͤglich iſt, den Faden phyſiſcher Unter- ſuchungen abzureiſſen, und mit einem Vorgeben von Er- weiterung der Erkentniß, ihn an transſcendentale Ideen zu knuͤpfen, durch die man eigentlich nur erkent, daß man nichts wiſſe, wenn, ſage ich, der Empiriſt ſich hie- mit begnuͤgete, ſo wuͤrde ſein Grundſatz eine Maxime der Maͤſſigung in Anſpruͤchen, der Beſcheidenheit in Behaup- tungen und zugleich der groͤſſeſt moͤglichen Erweiterung un- ſeres Verſtandes, durch den eigentlich uns vorgeſezten Leh- rer, nemlich die Erfahrung, ſeyn. Denn, in ſolchem Falle, wuͤrden uns intellectuelle Vorausſetzungen und Glaube, zum Behuf unſerer practiſchen Angelegenheit nicht genommen werden, nur koͤnte man ſie nicht unter dem Titel und dem Pompe von Wiſſenſchaft und Vernunft- ein- [471/0501] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc. einſicht auftreten laſſen; weil das eigentliche ſpeculative Wiſſen uͤberall keinen anderen Gegenſtand, als den der Erfahrung treffen kan und, wenn man ihre Graͤnze uͤber- ſchreitet, die Syntheſis, welche neue und von iener unab- haͤngige Erkentniſſe verſucht, kein Subſtratum der An- ſchauung hat, an welchem ſie ausgeuͤbt werden koͤnte. So aber, wenn der Empirismus in Anſehung der Ideen (wie es mehrentheils geſchieht) ſelbſt dogmatiſch wird und dasienige dreuſt verneinet, was uͤber der Sphaͤ- re ſeiner anſchauenden Erkentniſſe iſt, ſo faͤllt er ſelbſt in den Fehler der Unbeſcheidenheit, der hier um deſto tadel- hafter iſt, weil dadurch dem practiſchen Intereſſe der Ver- nunft ein unerſetzlicher Nachtheil verurſachet wird. Dies iſt der Gegenſatz des Epicureisms *) gegen den Platonism. Ein *) Es iſt indeſſen noch die Frage, ob Epicur dieſe Grund- ſaͤtze als obiective Behauptungen iemals vorgetragen ha- be? Wenn ſie etwa weiter nichts, als Maximen des ſpeculativen Gebrauchs der Vernunft waren, ſo zeigte er daran einen aͤchteren philoſophiſchen Geiſt, als irgend einer der Weltweiſen des Alterthums: daß man in Er- klaͤrung der Erſcheinungen ſo zu Werke gehen muͤſſe, als ob das Feld der Unterſuchung durch keine Graͤnze oder Anfang der Welt abgeſchnitten ſey, den Stoff der Welt ſo annehmen, wie er ſeyn muß, wenn wir von ihm durch Erfahrung belehrt werden wollen, daß keine andere Er- zeugung der Begebenheiten, als wie ſie durch unveraͤn- derliche Naturgeſetze beſtimt werden, und endlich keine von der Weit unterſchiedene Urſache muͤſſe gebraucht wer- den, G g 4 [472/0502] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Ein ieder von beiden ſagt mehr als er weiß, doch ſo: daß der erſtere das Wiſſen, obzwar zum Nachtheile des Practiſchen aufmuntert und befoͤrdert, der zweite zwar zum Practiſchen vortrefliche Principien an die Hand giebt, aber eben dadurch in Anſehung alles deſſen, worin uns allein ein ſpeculatives Wiſſen vergoͤnnet iſt, der Ver- nunft erlaubt, idealiſchen Erklaͤrungen der Naturerſchei- nungen nachzuhaͤngen und daruͤber die phyſiſche Nachfor- ſchung zu verabſaͤumen. Was endlich das dritte Moment, worauf bey der vorlaͤufigen Wahl zwiſchen beiden ſtrittigen Theilen geſe- hen werden kan, anlangt: ſo iſt es uͤberaus befremdlich, daß der Empirismus aller Popularitaͤt gaͤnzlich zuwider iſt, ob man gleich glauben ſollte, der gemeine Verſtand werde einen Entwurf begierig aufnehmen, der ihn durch nichts als Erfahrungserkentniſſe und deren vernunftmaͤßigen Zu- ſammenhang zu befriedigen verſpricht, an ſtatt daß die transſcendentale Dogmatik ihn noͤthigt, zu Begriffen hin- aufzuſteigen, welche die Einſicht und das Vernunftvermoͤ- gen der im Denken geuͤbteſten Koͤpfe weit uͤberſteigen. Aber *) *) den, ſind noch iezt ſehr richtige aber wenig beobachtete Grundſaͤtze, die ſpeculative Philoſophie zu erweitern, ſo wie auch die Principien der Moral, unabhaͤngig von fremden Huͤlfsquellen auszufinden, ohne daß darum der- ienige, welcher verlangt, iene dogmatiſche Saͤtze, ſo lange als wir mit der bloſſen Speculation beſchaͤftigt ſind, zu ignoriren, darum beſchuldigt werden darf, er wolle ſie laͤugnen. [473/0503] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc. Aber eben dieſes iſt ſein Bewegungsgrund. Denn er be- findet ſich alsdenn in einem Zuſtande, in welchem ſich auch der Gelehrteſte uͤber ihn nichts herausnehmen kan. Wenn er wenig oder nichts davon verſteht, ſo kan ſich doch auch niemand ruͤhmen, viel Mehr davon zu verſtehen und, ob er gleich hieruͤber nicht ſo ſchulgerecht, als andere ſprechen kan, ſo kan er doch daruͤber unendlich mehr vernuͤnfteln, weil er unter lauter Ideen herumwandelt, uͤber die man eben darum am beredtſten iſt, weil man davon nichts weiß; anſtatt, daß er uͤber der Nachforſchung der Natur ganz verſtummen und ſeine Unwiſſenheit geſtehen muͤßte. Gemaͤchlichkeit und Eitelkeit alſo ſind ſchon eine ſtarke Em- pfehlung dieſer Grundſaͤtze. Ueberdem, ob es gleich einem Philoſophen ſehr ſchwer wird, etwas als Grundſatz anzu- nehmen, ohne deshalb ſich ſelbſt Rechenſchaft geben zu koͤn- nen, noch weniger Begriffe, deren obiective Realitaͤt nicht eingeſehen werden kan, einzufuͤhren: ſo iſt doch dem ge- meinen Verſtande nichts gewoͤhnlicher. Er will etwas haben, womit er zuverſichtlich anfangen koͤnne. Die Schwierigkeit, eine ſolche Vorausſetzung ſelbſt zu begrei- fen, beunruhigt ihn nicht, weil ſie ihm, (der nicht weiß, was Begreiffen heißt,) niemals in den Sinn komt, und er haͤlt das vor bekant, was ihm durch oͤfteren Gebrauch gelaͤufig iſt. Zulezt aber verſchwindet alles ſpeculative In- tereſſe bey ihm vor dem practiſchen, und er bildet ſich ein, das einzuſehen und zu wiſſen, was anzunehmen oder zu glauben, ihn ſeine Beſorgniſſe oder Hoffnungen antreiben. So G g 5 [474/0504] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. So iſt der Empirismus der transſcendental-idealiſirenden Vernunft aller Popularitaͤt gaͤnzlich beraubt und, ſo viel Nachtheiliges wider die oberſte practiſche Grundſaͤtze ſie auch enthalten mag, ſo iſt doch gar nicht zu beſorgen: daß ſie die Graͤnzen der Schule iemals uͤberſchreiten und im gemeinen Weſen ein, nur einiger maſſen betraͤchtliches, An- ſehen und einige Gunſt bey der groſſen Menge erwerben werde. Die menſchliche Vernunft iſt ihrer Natur nach archi- tectoniſch, d. i. ſie betrachtet alle Erkentniſſe, als gehoͤrig zu einem moͤglichen Syſtem, und verſtattet daher auch nur ſolche Principien, die eine vorhabende Erkentniß we- nigſtens nicht unfaͤhig machen, in irgend einem Syſtem mit anderen zuſammen zu ſtehen. Die Saͤtze der Anti- theſis ſind aber von der Art: daß ſie die Vollendung eines Gebaͤudes von Erkentniſſen gaͤnzlich unmoͤglich machen. Nach ihnen giebt es uͤber einen Zuſtand der Welt immer einen noch aͤlteren, in iedem Theile immer noch andere wiederum theilbare, vor ieder Begebenheit eine andere, die wiederum eben ſo wol anderweitig erzeugt war, und im Daſeyn uͤberhaupt alles immer nur bedingt, ohne ir- gend ein unbedingtes und erſtes Daſeyn anzuerkennen. Da alſo die Antitheſis nirgend ein Erſtes einraͤumt und keinen Anfang, der ſchlechthin zum Grunde des Baues dienen koͤnte, ſo iſt ein vollſtaͤndiges Gebaͤude der Erkent- niß, bey dergleichen Vorausſetzungen, gaͤnzlich unmoͤglich. Daher [475/0505] III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft ꝛc. Daher fuͤhrt das architectoniſche Intereſſe der Vernunft (welches nicht empiriſche, ſondern reine Vernunfteinheit a priori fodert) eine natuͤrliche Empfehlung vor die Be- hauptungen der Theſis bey ſich. Koͤnte ſich aber ein Menſch von allem Intereſſe los- ſagen, und die Behauptungen der Vernunft, gleichguͤltig gegen alle Folgen, blos nach dem Gehalte ihrer Gruͤnde in Betrachtung ziehen: ſo wuͤrde ein ſolcher, geſezt daß er keinen Ausweg wuͤßte, anders aus dem Gedraͤnge zu kommen, als daß er ſich zu einer, oder andern der ſtritti- gen Lehren bekennete, in einem unaufhoͤrlich ſchwankenden Zuſtande ſeyn. Heute wuͤrde es ihm uͤberzeugend vorkom- men: der menſchliche Wille ſey frey; Morgen, wenn er die unaufloͤsliche Naturkette in Betrachtung zoͤge, wuͤr- de er davor halten: die Freiheit ſey nichts als Selbſttaͤu- ſchung und alles ſey blos Natur. Wenn es nun aber zum Thun und Handeln kaͤme, ſo wuͤrde dieſes Spiel der blos ſpeculativen Vernunft, wie Schattenbilder eines Traums, verſchwinden und er wuͤrde ſeine Principien blos nach dem practiſchen Intereſſe waͤhlen. Weil es aber doch einem nachdenkenden und forſchenden Weſen anſtaͤndig iſt, gewiſſe Zeiten lediglich der Pruͤfung ſeiner eigenen Ver- nunft zu widmen, hiebey aber alle Partheylichkeit gaͤnzlich auszuziehen, und ſo ſeine Bemerkungen anderen zur Be- urtheilung oͤffentlich mitzutheilen: ſo kan es niemanden verargt, noch weniger verwehrt werden, die Saͤtze und Gegen- [476/0506] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Gegenſaͤtze, ſo wie ſie ſich, durch keine Drohung geſchreckt, vor Geſchworenen von ſeinem eigenen Stande (nemlich dem Stande ſchwacher Menſchen) vertheidigen koͤnnen, auftreten zu laſſen. Der Antinomie der reinen Vernunft Vierter Abſchnitt. Von den Transſcendentalen Aufgaben der reinen Vernunft, in ſo fern ſie ſchlechterdings muͤſſen aufgeloͤſet werden koͤnnen. Alle Aufgaben aufloͤſen und alle Fragen beantworten zu wollen, wuͤrde eine unverſchaͤmte Großſprecherey und ein ſo ausſchweifender Eigenduͤnkel ſeyn, daß man dadurch ſich ſofort um alles Zutrauen bringen muͤßte. Gleichwol giebt es Wiſſenſchaften, deren Natur es ſo mit ſich bringt, daß eine iede darin vorkommende Frage, aus dem was man weiß, ſchlechthin beantwortlich ſeyn muß, weil die Antwort aus denſelben Quellen entſpringen muß, daraus die Frage entſpringt, und wo es keinesweges er- laubt iſt, unvermeidliche Unwiſſenheit vorzuſchuͤtzen, ſon- dern die Aufloͤſung gefodert werden kan. Was in allen moͤglichen Faͤllen Recht oder Unrecht ſey, muß man der Regel nach wiſſen koͤnnen, weil es unſere Verbindlichkeit betrift und wir zu dem, was wir nicht wiſſen koͤnnen, auch keine Verbindlichkeit haben. In der Erklaͤrung der Er- [477/0507] IV. Abſch. Von der Aufloͤſung aller Aufgaben ꝛc. Erſcheinungen der Natur muß uns indeſſen vieles unge- wiß und manche Frage unaufloͤslich bleiben, weil das, was wir von der Natur wiſſen, zu dem, was wir erklaͤren ſollen, bey weitem nicht in allen Faͤllen zureichend iſt. Es fraͤgt ſich nun: ob in der Transſcendentalphiloſophie irgend eine Frage, die ein der Vernunft vorgelegtes Ob- iect betrift, durch eben dieſe reine Vernunft unbeantwort- lich ſey und ob man ſich ihrer entſcheidenden Beantwortung dadurch mit Recht entziehen koͤnne, daß man’es, als ſchlecht- hin ungewiß (aus allen dem, was wir erkennen koͤnnen) demienigen beyzaͤhlt, wovon wir zwar ſo viel Begriff haben, um eine Frage aufzuwerfen, es uns aber gaͤnzlich an Mitteln oder am Vermoͤgen fehlt, ſie iemals zu beant- worten. Ich behaupte nun, daß die Transſcendentalphiloſo- phie unter allem ſpeculativen Erkentniß dieſes Eigenthuͤm- liche habe: daß gar keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenſtand betrift, vor eben dieſelbe menſchliche Vernunft unaufloͤslich ſey und daß kein Vor- ſchuͤtzen einer unvermeidlichen Unwiſſenheit und unergruͤnd- licher Tiefe der Aufgabe von der Verbindlichkeit frey ſpre- chen koͤnne, ſie gruͤndlich und vollſtaͤndig zu beantworten; weil eben derſelbe Begriff, der uns in den Stand ſezt zu fragen, durchaus uns auch tuͤchtig machen muß, auf dieſe Frage zu antworten, indem der Gegenſtand auſſer dem Begriffe gar nicht angetroffen wird (wie bey Recht und Unrecht). Es [478/0508] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Es ſind aber in der Transſcendentalphiloſophie keine andere, als nur die cosmologiſche Fragen, in Anſehung deren man mit Recht eine genugthuende Antwort, die die Beſchaffenheit des Gegenſtandes betrift, fodern kan, ohne daß dem Philoſophen erlaubt iſt, ſich derſelben da- durch zu entziehen, daß er undurchdringliche Dunkelheit vorſchuͤtzt, und dieſe Fragen koͤnnen nur cosmologiſche Ideen betreffen. Denn der Gegenſtand muß empiriſch gegeben ſeyn und die Frage geht nur auf die Angemeſſen- heit deſſelben mit einer Idee. Iſt der Gegenſtand trans- ſcendental und alſo ſelbſt unbekant, z. B. ob das Etwas, deſſen Erſcheinung (in uns ſelbſt) das Denken iſt (Seele) ein an ſich einfaches Weſen ſey, ob es eine Urſache aller Dinge insgeſamt gebe. die ſchlechthin nothwendig iſt u. ſ. w., ſo ſollen wir zu unſerer Idee einen Gegenſtand ſuchen, von welchem wir geſtehen koͤnnen, daß er uns unbekant, aber deswegen doch nicht unmoͤglich ſey *). Die cosmo- logi- *) Man kan zwar auf die Frage, was ein transſcenden- taler Gegenſtand vor eine Beſchaffenheit habe, keine Ant- wort geben, nemlich was er ſey, aber wol daß die Fra- ge ſelbſt nichts ſey, darum, weil kein Gegenſtand derſel- ben gegeben worden. Daher ſind alle Fragen der trans- ſcendentalen Seelenlehre auch beantwortlich und wirklich beantwortet; denn ſie betreffen das transſc. Subiect aller in- neren Erſcheinungen, welches ſelbſt nicht Erſcheinung iſt und alſo nicht als Gegenſtand gegeben iſt, und worauf keine der Categorien (auf welche doch eigentlich die Frage ge- ſtellt [479/0509] IV. Abſch. Von der Aufloͤſung aller Aufgaben ꝛc. logiſche Ideen haben allein das Eigenthuͤmliche an ſich, daß ſie ihren Gegenſtand und die zu deſſen Begriff erfoderliche empiriſche Syntheſis, als gegeben vorausſetzen koͤnnen und die Frage, die aus ihnen entſpringt, betrift nur den Fortgang dieſer Syntheſis, ſo fern er abſolute Totalitaͤt enthalten ſoll, welche leztere nichts Empiriſches mehr iſt, indem ſie in keiner Erfahrung gegeben werden kan. Da nun hier lediglich von einem Dinge als Gegenſtande einer moͤglichen Erfahrung und nicht als einer Sache an ſich ſelbſt die Rede iſt, ſo kan die Beantwortung der trans- ſcendenten cosmologiſchen Frage, auſſer der Idee ſonſt nir- gend liegen, denn ſie betrift keinen Gegenſtand an ſich ſelbſt, und in Anſehung der moͤglichen Erfahrung ſo wird nicht nach demienigen gefragt, was in concreto in irgend einer Erfahrung gegeben werden kan, ſondern was in der Idee liegt, der ſich die empiriſche Syntheſis blos naͤhern ſoll: alſo muß ſie aus der Idee allein aufgeloͤſet werden koͤnnen; denn dieſe iſt ein bloſſes Geſchoͤpf der Vernunft, welche alſo die Verantwortung nicht von ſich abweiſen und auf den unbekanten Gegenſtand ſchieben kan. Es *) *) ſtellt iſt) Bedingungen ihrer Anwendung antreffen. Alſo iſt hier der Fall, da der gemeine Ausdruck gilt: daß keine Antwort auch eine Antwort ſey, nemlich daß eine Frage nach der Beſchaffenheit desienigen Etwas, was durch kein beſtimtes Praͤdicat gedacht werden kan, weil es gaͤnzlich auſſer der Sphaͤre der Gegenſtaͤnde geſezt wird, die uns gegeben werden koͤnnen, gaͤnzlich nichtig und leer ſey. [480/0510] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Es iſt nicht ſo auſſerordentlich, als es anfangs ſcheint: daß eine Wiſſenſchaft in Anſehung aller in ihren Inbegriff gehoͤrigen Fragen (quæſtiones domeſticæ) lauter gewiſſe Aufloͤſungen fodern und erwarten koͤnne, ob ſie gleich zur Zeit noch vielleicht nicht gefunden ſind. Auſſer der Trans- ſcendentalphiloſophie giebt es noch zwey reine Vernunftwiſ- ſenſchaften, eine, blos ſpeculativen, die andere practiſchen Inhalts: reine Mathematik und reine Moral. Hat man wol iemals gehoͤrt: daß, gleichſam wegen einer nothwendigen Unwiſſenheit der Bedingungen, es vor un- gewiß ſey ausgegeben worden, welches Verhaͤltniß der Durchmeſſer zum Kreiſe ganz genau in Rational- oder Ir- rationalzahlen habe. Da es durch erſtere gar nicht con- gruent gegeben werden kan, durch die zweite aber noch nicht gefunden iſt, ſo urtheilte man: daß wenigſtens die Unmoͤglichkeit ſolcher Aufloͤſung mit Gewißheit erkant wer- den koͤnne und Lambert gab einen Beweis davon. In den allgemeinen Principien der Sitten kan nichts Ungewiſſes ſeyn, weil die Saͤtze entweder ganz und gar nichtig und ſinnleer ſind, oder blos aus unſeren Vernunftbegriffen flieſſen muͤſſen. Dagegen giebt es in der Naturkunde eine Unendlichkeit von Vermuthungen, in Anſehung deren niemals Gewißheit erwartet werden kan, weil die Natur- erſcheinungen Gegenſtaͤnde ſind, die uns unabhaͤngig von un- ſeren Begriffen gegeben werden, zu denen alſo der Schluͤſſel nicht in uns und unſerem reinen Denken, ſondern auſſer uns liegt und eben darum in vielen Faͤllen nicht aufgefunden, mit- [481/0511] IV. Abſch. Von der Aufloͤſung der Aufgaben ꝛc. mithin kein ſicherer Aufſchluß erwartet werden kan. Ich rechne die Fragen der transſcendentalen Analytik, welche die Deduction unſerer reinen Erkentniß betreffen, nicht hieher, weil wir iezt nur von der Gewißheit der Urtheile in Anſehung der Gegenſtaͤnde und nicht in Anſehung des Urſprungs unſerer Begriffe ſelbſt handeln. Wir werden alſo der Verbindlichkeit einer wenigſtens critiſchen Aufloͤſung der vorgelegten Vernunftfragen dadurch nicht ausweichen koͤnnen: daß wir uͤber die enge Schran- ken unſerer Vernunft Klagen erheben, und mit dem Schei- ne einer demuthsvollen Selbſterkentniß, bekennen: es ſey uͤber unſere Vernunft, auszumachen, ob die Welt von Ewigkeit her ſey, oder einen Anfang habe; ob der Welt- raum ins Unendliche mit Weſen erfuͤllet, oder innerhalb gewiſſen Graͤnzen eingeſchloſſen ſey; ob irgend in der Welt etwas einfach ſey, oder ob alles ins Unendliche getheilt werden muͤſſe; ob es eine Erzeugung und Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Natur- ordnung haͤnge; endlich ob es irgend ein gaͤnzlich unbedingt und an ſich nothwendiges Weſen gebe, oder ob alles ſeinem Daſeyn nach bedingt und mithin aͤuſſerlich abhaͤngend und an ſich zufaͤllig ſey. Denn alle dieſe Fragen betreffen ei- nen Gegenſtand, der nirgend anders, als in unſeren Ge- danken gegeben werden kan, nemlich die ſchlechthin unbe- dingte Totalitaͤt der Syntheſis der Erſcheinungen. Wenn wir daruͤber aus unſeren eigenen Begriffen nichts gewiſſes ſagen H h [482/0512] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſagen und ausmachen koͤnnen, ſo duͤrfen wir nicht die Schuld auf die Sache ſchieben, die ſich uns verbirgt; denn es kan uns dergleichen Sache (weil ſie auſſer unſerer Idee nirgends angetroffen wird) gar nicht gegeben werden, ſondern wir muͤſſen die Urſache in unſerer Idee ſelbſt ſu- chen, welche ein Problem iſt, das keine Aufloͤſung verſtat- tet und wovon wir doch hartnaͤckigt annehmen, als entſpreche ihr ein wirklicher Gegenſtand. Eine deutlich Darlegung der Dialectik, die in unſerem Begriffe ſelbſt liegt, wuͤrde uns bald zur voͤlligen Gewißheit bringen, von dem, was wir in Anſehung einer ſolchen Frage zu urtheilen haben. Man kan eurem Vorwande der Ungewißheit in Anſe- hung dieſer Probleme zuerſt dieſe Frage entgegenſetzen, die ihr wenigſtens deutlich beantworten muͤſſet: Woher kommen euch die Ideen, deren Aufloͤſung euch hier in ſolche Schwierigkeit verwickelt? Sind es etwa Erſcheinungen, deren Erklaͤrung ihr beduͤrft und wovon ihr, zufolge dieſer Ideen, nur die Principien, oder die Regel ihrer Expoſition zu ſuchen habt? Nehmet an, die Natur ſey ganz vor euch aufge- dekt; euren Sinnen, und dem Bewuſtſeyn alles deſſen, was eurer Anſchauung vorgelegt iſt, ſey nichts verborgen: ſo werdet ihr doch durch keine einzige Erfahrung den Ge- genſtand eurer Ideen in concreto erkennen koͤnnen (denn es wird, auſſer dieſer vollſtaͤndigen Anſchauung, noch eine vollendete Syntheſis und das Bewuſtſeyn ihrer abſoluten Tota- [483/0513] IV. Abſch. Von der Aufloͤſung der Aufgaben ꝛc. Totalitaͤt erfodert, welches durch gar kein empiriſches Er- kentniß moͤglich iſt), mithin kan eure Frage keinesweges zur Erklaͤrung von irgend einer vorkommenden Erſcheinung nothwendig und alſo gleichſam durch den Gegenſtand ſelbſt aufgegeben ſeyn. Denn der Gegenſtand kan euch niemals vorkommen, weil er durch keine moͤgliche Erfahrung gege- ben werden kan. Ihr bleibt mit allen moͤglichen Wahr- nehmungen immer unter Bedingungen, es ſey im Rau- me, oder in der Zeit, befangen und komt an nichts Unbe- dingtes, um auszumachen, ob dieſes Unbedingte in einem abſoluten Anfange der Syntheſis, oder einer abſoluten To- talitaͤt der Reihe, ohne allen Anfang, zu ſetzen ſey. Das All aber in empiriſcher Bedeutung iſt iederzeit nur comparativ. Das abſolute All der Groͤſſe (das Weltall), der Theilung, der Abſtammung, der Bedingung des Daſeyns uͤberhaupt, mit allen Fragen: ob es durch endliche, oder ins unend- liche fortzuſetzende Syntheſis zu Stande zu bringen ſey, gehet keine moͤgliche Erfahrung etwas an. Ihr wuͤrdet z. B. die Erſcheinungen eines Coͤrpers nicht im mindeſten beſſer, oder auch nur anders erklaͤren koͤnnen, ob ihr an- nehmet, er beſtehe aus einfachen, oder durchgehends im- mer aus zuſammengeſezten Theilen; denn es kan euch kei- ne einfache Erſcheinung und eben ſo wenig auch eine un- endliche Zuſammenſetzung, iemals vorkommen. Die Er- ſcheinungen verlangen nur erklaͤrt zu werden, ſo weit ihre Erklaͤrungsbedingungen in der Wahrnehmung gegeben ſind, alles aber, was iemals an ihnen gegeben werden mag, in einem H h 2 [484/0514] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. einem abſoluten Ganzen zuſammengenommen, iſt ſelbſt eine Wahrnehmung. Dieſes All aber iſt es eigentlich, deſſen Erklaͤrung in den transſcendentalen Vernunftaufgaben ge- fodert wird. Da alſo ſelbſt die Aufloͤſung dieſer Aufgaben niemals in der Erfahrung vorkommen kan, ſo koͤnnet ihr nicht ſagen: daß es ungewiß ſey, was hieruͤber dem Gegen- ſtande beyzulegen ſey. Denn euer Gegenſtand iſt blos in eu- rem Gehirne und kan auſſer demſelben gar nicht gegeben werden, daher ihr nur davor zu ſorgen habt, mit euch ſelbſt einig zu werden und die Amphibolie zu verhuͤten, die eure Idee zu einer vermeintlichen Vorſtellung eines empiriſch Gegebenen und alſo auch nach Erfahrungsgeſe- tzen zu erkennenden Obiects macht. Die dogmatiſche Aufloͤſung iſt alſo nicht etwa ungewiß, ſondern unmoͤg- lich. Die critiſche aber, welche voͤllig gewiß ſeyn kan, betrachtet die Frage gar nicht obiectiv, ſondern nach dem Fundamente der Erkentniß, worauf ſie gegruͤndet iſt. Der [485/0515] V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc. Der Antinomie der reinen Vernunft Fuͤnfter Abſchnitt. Sceptiſche Vorſtellung der cosmologiſchen Fragen durch alle vier transſcendentale Ideen. Wir wuͤrden von der Foderung gern abſtehen, unſere Fragen dogmatiſch beantwortet zu ſehen, wenn wir ſchon zum voraus begriffen: die Antwort moͤchte ausfallen, wie ſie wolte, ſo wuͤrde ſie unſere Unwiſſenheit nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch groͤſſere und vielleicht gar in Widerſpruͤche ſtuͤrzen. Wenn unſere Frage blos auf Beiahung oder Berneinung geſtellt iſt, ſo iſt es kluͤglich gehandelt, die vermuthliche Gruͤnde der Beantwortung vor der Hand dahin geſtellt ſeyn zu laſſen und zuvoͤrderſt in Erwaͤgung zu ziehen, was man denn gewinnen wuͤrde, wenn die Antwort auf die eine und was, wenn ſie auf der Gegenſeite ausfiele. Trift es ſich nun: daß in beiden Faͤllen lauter Sinnleeres (Nonſens) her- auskoͤmt, ſo haben wir eine gegruͤndete Auffoderung unſere Frage ſelbſt critiſch zu unterſuchen, und zu ſehen: ob ſie nicht ſelbſt auf einer grundloſen Vorausſetzung beruhe und mir einer Idee ſpiele, die ihre Falſchheit, beſſer in der Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abgeſon- derten Vorſtellung verraͤth. Das iſt der groſſe Nutzen, den H h 3 [486/0516] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. den die ſceptiſche Art hat, die Fragen zu behandeln, welche reine Vernunft an reine Vernunft thut, und wodurch man eines groſſen dogmatiſchen Wuſtes mit wenig Aufwand uͤberhoben ſeyn kan, um an deſſen Statt eine nuͤchterne Cri- tik zu ſetzen, die, als ein wahres Catarcticon, den Wahn zuſamt ſeinem Gefolge, der Vielwiſſerey, gluͤcklich abfuͤh- ren wird. Wenn ich demnach von einer cosmologiſchen Idee zum voraus einſehen koͤnte, daß, auf welche Seite des Unbedingten der regreſſiven Syntheſis der Erſcheinungen ſie ſich auch ſchluͤge, ſo wuͤrde ſie doch vor einen ieden Verſtandesbegriff entweder zu groß oder zu klein ſeyn, ſo wuͤrde ich begreifen: daß, da iene doch es nur mit einem Gegenſtande der Erfahrung zu thun hat, welche einem moͤglichen Verſtandesbegriffe angemeſſen ſeyn ſoll, ſie ganz leer und ohne Bedeutung ſeyn muͤſſe, weil ihr der Gegen- ſtand nicht anpaßt, ich mag ihn derſelben bequemen, wie ich will. Und dieſes iſt wirklich der Fall mit allen Welt- begriffen, welche auch, eben um deswillen, die Vernunft, ſo lange ſie ihnen anhaͤngt, in eine unvermeidliche Anti- nomie verwickeln. Denn nehmt Erſtlich an: die Welt habe keinen Anfang, ſo iſt ſie vor euren Begriff zu groß; denn dieſer, welcher in einem ſucceſſiven Regreſſus beſteht, kan die ganze ver- floſſene Ewigkeit niemals erreichen. Setzet: ſie habe einen Anfang, ſo iſt ſie wiederum vor euren Verſtandes- begriff, in dem nothwendigen empiriſchen Regreſſus zu klein. [487/0517] V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc. klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die vorhergeht, vorausſezt, ſo iſt er noch nicht unbedingt, und das Geſetz des empiriſchen Gebrauchs des Verſtandes legt es euch auf, noch nach einer hoͤheren Zeitbedingung zu fragen, und die Welt iſt alſo offenbar vor dieſes Geſetz zu klein. Eben ſo iſt es mit der doppelten Beantwortung der Frage, wegen der Weltgroͤſſe, dem Raum nach, bewandt. Denn iſt ſie unendlich und unbegraͤnzt, ſo iſt ſie vor al- len moͤglichen empiriſchen Begriff zu groß. Iſt ſie end- lich und begraͤnzt, ſo fragt ihr mit Recht noch, was be- ſtimt dieſe Graͤnze? Der leere Raum iſt nicht ein vor ſich beſtehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin- gung ſeyn, bey der ihr ſtehen bleiben koͤnnet, noch viel weniger eine empiriſche Bedingung, die einen Theil einer moͤglichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er- fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur abſoluten Totalitaͤt aber der empiriſchen Syntheſis wird iederzeit er- fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff ſey. Al- ſo iſt eine begraͤnzte Welt vor euren Begriff zu klein. Zweitens, beſteht iede Erſcheinung im Raume (Ma- terie) aus unendlich viel Theilen, ſo iſt der Regreſſus der Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und ſoll die Theilung des Raumes irgend bey einem Gliede derſelben (dem Einfachen) aufhoͤren, ſo iſt er vor die Idee des Un- bedingten zu klein. Denn dieſes Glied laͤßt noch immer einen H h 4 [488/0518] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. einen Regreſſus zu mehreren in ihm enthaltenen Theilen uͤbrig. Drittens, nehmet ihr an: in allem, was in der Welt geſchieht, ſey nichts, als Erfolg nach Geſetzen der Natur, ſo iſt die Cauſſalitaͤt der Urſache immer wiederum etwas, das geſchieht, und euren Regreſſus zu noch hoͤhe- rer Urſache, mithin die Verlaͤngerung der Reihe von Be- dingungen a parte priori ohne Aufhoͤren nothwendig macht. Die bloſſe wirkende Natur iſt alſo vor allen euren Begriff, in der Syntheſis der Weltbegebenheiten, zu groß. Waͤhlt ihr, hin und wieder, von ſelbſt gewirkte Begebenheiten, mithin Erzeugung aus Freiheit: ſo ver- folgt euch das Warum nach einem unvermeidlichen Natur- geſetze, und noͤthigt euch, uͤber dieſen Punct nach dem Cauſ- ſalgeſetze der Erfahrung hinaus zu gehen, und ihr findet, daß dergleichen Totalitaͤt der Verknuͤpfung vor euren noth- wendigen empiriſchen Begriff zu klein iſt. Viertens. Wenn ihr ein ſchlechthin nothwendi- ges Weſen (es ſey die Welt ſelbſt oder Etwas in der Welt oder die Welturſache) annehmt: ſo ſezt ihr es in eine, von iedem gegebenen Zeitpunct unendlich entfernte Zeit; weil es ſonſt von einem anderen und aͤlteren Daſeyn ab- haͤngend ſeyn wuͤrde. Alsdenn iſt aber dieſe Exiſtenz vor euren empiriſchen Begriff unzugaͤnglich und zu groß, als daß ihr iemals durch irgend einen fortgeſetzten Regreſſus dazu gelangen koͤntet. Iſt [489/0519] V. Abſch. Seeptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc. Iſt aber, eurer Meinung nach, alles, was zur Welt (es ſey als Bedingt oder als Bedingung) gehoͤret, zu- faͤllig: ſo iſt iede euch gegebene Exiſtenz vor euren Begriff zu klein. Denn ſie noͤthigt euch, euch noch immer nach ei- ner andern Exiſtenz umzuſehen, von der ſie abhaͤngig iſt. Wir haben in allen dieſen Faͤllen geſagt: daß die Weltidee vor den empiriſchen Regreſſus, mithin ieden moͤglichen Verſtandesbegriff entweder zu groß, oder auch vor denſelben zu klein ſey. Warum haben wir uns nicht umgekehrt ausgedruͤckt und geſagt: daß, im erſteren Falle, der empiriſche Begriff vor die Idee iederzeit zu klein, im zweiten aber zu groß ſey und mithin gleichſam die Schuld auf dem empiriſchen Regreſſus hafte, an ſtatt, daß wir die cosmologiſche Idee anklageten, daß ſie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, nemlich der moͤglichen Erfah- rung abwich? Der Grund war dieſer. Moͤgliche Erfah- rung iſt das, was unſeren Begriffen allein Realitaͤt geben kan; ohne das iſt aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenſtand. Daher war der moͤgliche empiriſche Begriff das Richtmaas, wornach die Idee beurtheilt werden mußte, ob ſie bloſſe Idee und Ge- dankending ſey, oder in der Welt ihren Gegenſtand antref- fe. Denn man ſagt nur von demienigen, daß es verhaͤlt- nißweiſe auf etwas anderes zu groß oder zu klein ſey, was nur um dieſes lezteren willen angenommen wird, und dar- nach eingerichtet ſeyn muß. Zu dem Spielwerke der al- ten H h 5 [490/0520] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ten dialectiſchen Schulen gehoͤrete auch dieſe Frage: wenn eine Kugel nicht durch ein Loch geht, was ſoll man ſagen: Iſt die Kugel zu groß, oder das Loch zu klein? In die- ſem Falle iſt es gleichguͤltig, wie ihr euch ausdruͤcken wollt; denn ihr wißt nicht, welches von beiden um des anderen willen da iſt. Dagegen werdet ihr nicht ſagen: der Mann iſt vor ſein Kleid zu lang, ſondern das Kleid iſt vor den Mann zu kurz. Wir ſind alſo wenigſtens auf den gegruͤndeten Ver- dacht gebracht: daß die cosmologiſche Ideen, und, mit ihnen alle unter einander in Streit geſezte vernuͤnftelnde Behauptungen, vielleicht einen leeren und blos eingebilde- ten Begriff, von der Art, wie uns der Gegenſtand dieſer Ideen gegeben wird, zum Grunde liegen haben, und dieſer Verdacht kan uns ſchon auf die rechte Spur fuͤhren, das Blendwerk zu entdecken, was uns ſo lange irre gefuͤhrt hat. Der Antinomie der reinen Vernunft Sechſter Abſchnitt. Der transſcendentale Idealism, als der Schluͤſſel zu Aufloͤſung der cosmologiſchen Dialectik. Wir haben in der transſcendentalen Aeſthetik hinrei- chend bewieſen: daß alles, was im Raume oder der Zeit angeſchauet wird, mithin alle Gegenſtaͤnde einer uns moͤglichen Erfahrung, nichts als Erſcheinungen, d. i. bloſſe [491/0521] VI. Abſch. Schluͤſſel der Aufloͤſung der cosmol. ꝛc. bloſſe Vorſtellungen ſind, die, ſo wie ſie vorgeſtellt werden, als ausgedehnte Weſen, oder Reihen von Veraͤnderungen, auſſer unſeren Gedanken keine an ſich gegruͤndete Exiſtenz haben. Dieſen Lehrbegriff nenne ich den transſcenden- talen Idealism. Der Realiſt in transſcendentaler Be- deutung macht aus dieſen Modificationen unſerer Sinnlich- keit an ſich ſubſiſtirende Dinge, und daher bloſſe Vor- ſtellungen zu Sachen an ſich ſelbſt. Man wuͤrde uns Unrecht thun, wenn man uns den ſchon laͤngſt ſo verſchrieenen empiriſchen Idealismus zumu- then wolte, der, indem er die eigene Wirklichkeit des Rau- mes annimt, das Daſeyn der ausgedehnten Weſen in den- ſelben laͤugnet, wenigſtens zweifelhaft findet, und zwiſchen Traum und Wahrheit in dieſem Stuͤcke keinen genugſam erweislichen Unterſchied einraͤumet. Was die Erſchei- nungen des innern Sinnes in der Zeit betrift, an denen, als wirklichen Dingen, findet er keine Schwierigkeit, ia er behauptet ſo gar: daß dieſe innere Erfahrung das wirk- liche Daſeyn ihres Obiects (an ſich ſelbſt), (mit aller die- ſer Zeitbeſtimmung), einzig und allein hinreichend be- weiſe. Unſer transſcendentale Idealism erlaubt es dagegen: daß die Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Anſchauung, eben ſo wie ſie im Raume angeſchauet werden, auch wirklich ſeyn, und in der Zeit alle Veraͤnderungen, ſo wie ſie der innere Sinn vorſtellt. Denn, da der Raum ſchon eine Form derienigen Anſchauung iſt, die wir die aͤuſſere nennen, und [492/0522] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. und, ohne Gegenſtaͤnde in demſelben, es gar keine empi- riſche Vorſtellung geben wuͤrde: ſo koͤnnen und muͤſſen wir darin ausgedehnte Weſen als wirklich annehmen, und eben ſo iſt es auch mit der Zeit. Jener Raum ſelber aber, ſamt dieſer Zeit und, zugleich mit beiden, alle Erſchei- nungen, ſind doch an ſich ſelbſt keine Dinge, ſondern nichts als Vorſtellungen und koͤnnen gar nicht auſſer unſe- rem Gemuͤth exiſtiren, und ſelbſt iſt die innere und finn- liche Anſchauung unſeres Gemuͤths, (als Gegenſtandes des Bewuſtſeyns), deſſen Beſtimmung durch die Succeſſion verſchiedener Zuſtaͤnde in der Zeit vorgeſtellt wird, auch nicht das eigentliche Selbſt, ſo wie es an ſich exiſtirt, oder das transſcendentale Subiect, ſondern nur eine Erſchei- nung, die der Sinnlichkeit dieſes uns unbekanten Weſens gegeben worden. Das Daſeyn dieſer inneren Erſcheinung, als eines ſo an ſich exiſtirenden Dinges, kan nicht einge- raͤumet werden, weil ihre Bedingung die Zeit iſt, welche keine Beſtimmung irgend eines Dinges an ſich ſelbſt ſeyn kan. In dem Raume aber und der Zeit iſt die empiriſche Wahrheit der Erſcheinungen genugſam geſichert, und von der Verwandſchaft mit dem Traume hinreichend unterſchie- den, wenn beide nach empiriſchen Geſetzen in einer Erfah- rung richtig und durchgaͤngig zuſammen haͤngen. Es ſind demnach die Gegenſtaͤnde der Erfahrung niemals an ſich ſelbſt, ſondern nur in der Erfahrung ge- geben und exiſtiren auſſer derſelben gar nicht. Daß es Ein- [493/0523] VI. Abſch. Schluͤſſel der Aufloͤſung der cosmol. ꝛc. Einwohner im Monde geben koͤnne, ob ſie gleich kein Menſch iemals wahrgenommen hat, muß allerdings eingeraͤumet werden, aber es bedeutet nur ſo viel: daß wir in dem moͤglichen Fortſchritt der Erfahrung auf ſie treffen koͤnten; denn alles iſt wirklich, was mit einer Wahrnehmung nach Geſetzen des empiriſchen Fortgangs in einem Context ſtehet. Sie ſind alſo alsdenn wirklich, wenn ſie mit meinem wirk- lichen Bewuſtſeyn in einem empiriſchen Zuſammenhange ſtehen, ob ſie gleich darum nicht an ſich, d. i. auſſer die- ſem Fortſchritt der Erfahrung wirklich ſind. Uns iſt wirklich nichts gegeben, als die Wahrneh- mung und der empiriſche Fortſchritt von dieſer, zu andern moͤglichen Wahrnehmungen. Denn an ſich ſelbſt ſind die Erſcheinungen, als bloſſe Vorſtellungen, nur in der Wahr- nehmung wirklich, die in der That nichts anders iſt, als die Wirklichkeit einer empiriſchen Vorſtellung, d. i. Erſchei- nung. Vor der Wahrnehmung eine Erſcheinung ein wirk- liches Ding nennen, bedeutet entweder, daß wir im Fort- gange der Erfahrung auf eine ſolche Wahrnehmung treffen muͤſſen, oder es hat gar keine Bedeutung. Denn, daß ſie an ſich ſelbſt, ohne Beziehung auf unſere Sinne und moͤgliche Erfahrung, exiſtire, koͤnte allerdings geſagt werden, wenn von einem Dinge an ſich ſelbſt die Rede waͤre. Es iſt aber blos von einer Erſcheinung im Raume und der Zeit, die beides keine Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt, ſondern nur unſerer Sinnlichkeit ſind, die Rede; daher das, was in ihnen iſt, (Erſcheinungen) nicht [494/0524] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. nicht an ſich Etwas, ſondern bloſſe Vorſtellungen ſind, die, wenn ſie nicht in uns, (in der Wahrnehmung) gege- ben ſind, uͤberall nirgend angetroffen werden. Das ſinnliche Anſchauungsvermoͤgen iſt eigentlich nur eine Receptivitaͤt, auf gewiſſe Weiſe mit Vorſtellun- gen afficirt zu werden, deren Verhaͤltniß zu einander eine reine Anſchauung des Raumes und der Zeit iſt, (lauter Formen unſerer Sinnlichkeit) und welche, ſo fern ſie in dieſem Verhaͤltniſſe (dem Raume und der Zeit) nach Ge- ſetzen der Einheit der Erfahrung verknuͤpft und beſtimbar ſind, Gegenſtaͤnde heiſſen. Die nichtſinnliche Urſache dieſer Vorſtellungen iſt uns gaͤnzlich unbekant, und dieſe koͤnnen wir daher nicht als Obiect anſchauen; denn der- gleichen Gegenſtand wuͤrde weder im Raume, noch der Zeit (als bloſſen Bedingungen der ſinnlichen Vorſtellung) vorgeſtellt werden muͤſſen, ohne welche Bedingungen wir uns gar keine Anſchauung denken koͤnnen. Indeſſen koͤn- nen wir die blos intelligibele Urſache der Erſcheinungen uͤberhaupt, das transſcendentale Obiect nennen, blos, da- mit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Re- ceptivitaͤt correſpondirt. Dieſem transſcendentalen Obiect koͤnnen wir allen Umfang und Zuſammenhang unſerer moͤglichen Wahrnehmungen zuſchreiben und ſagen: daß es vor aller Erfahrung an ſich ſelbſt gegeben ſey. Die Erſcheinungen aber ſind, ihm gemaͤß, nicht an ſich, ſon- dern nur in dieſer Erfahrung gegeben, weil ſie bloſſe Vor- ſtellungen ſind, die nur als Wahrnehmungen einen wirk- lichen [495/0525] VI. Abſch. Schluͤſſel der Aufloͤſung der cosmol. ꝛc. lichen Gegenſtand bedeuten, wenn nemlich dieſe Wahrneh- mung mit allen andern nach den Regeln der Erfahrungs- einheit zuſammen haͤngt. So kan man ſagen: die wirk- liche Dinge der vergangenen Zeit ſind in dem transſcen- dentalen Gegenſtande der Erfahrung gegeben; ſie ſind aber vor mich nur Gegenſtaͤnde und in der vergangenen Zeit wirklich, ſo fern als ich mir vorſtelle: daß eine regreſſi- ve Reihe moͤglicher Wahrnehmungen, (es ſey am Leitfa- den der Geſchichte, oder an den Fußſtapfen der Urſachen und Wirkungen), nach empiriſchen Geſetzen, mit einem Worte, der Weltlauf auf eine verfloſſene Zeitreihe, als Bedingung der gegenwaͤrtigen Zeit fuͤhret, welche alsdenn doch nur in dem Zuſammenhange einer moͤglichen Erfahrung und nicht an ſich ſelbſt als wirklich vorgeſtellt wird, ſo, daß alle von undenklicher Zeit her vor meinem Daſeyn ver- floſſene Begebenheiten doch nichts anders bedeuten, als die Moͤglichkeit der Verlaͤngerung der Kette der Erfahrung, von der gegenwaͤrtigen Wahrnehmung an, aufwerts zu den Bedingungen, welche dieſe der Zeit nach beſtimmen. Wenn ich mir demnach alle exiſtirende Gegenſtaͤnde der Sinne in aller Zeit und allen Raͤumen insgeſamt vor- ſtelle: ſo ſetze ich ſolche nicht vor der Erfahrung in beide hinein, ſondern dieſe Vorſtellung iſt nichts anders, als der Gedanke von einer moͤglichen Erfahrung, in ihrer ab- ſoluten Vollſtaͤndigkeit. In ihr allein ſind iene Gegenſtaͤn- de (welche nichts als bloſſe Vorſtellungen ſind) gegeben. Daß [496/0526] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Daß man aber ſagt: ſie exiſtiren vor aller meiner Erfah- rung, bedeutet nur: daß ſie in dem Theile der Erfahrung. zu welchem ich, von der Wahrnehmung anhebend, al- lererſt fortſchreiten muß, anzutreffen ſind. Die Urſache der empiriſchen Bedingungen dieſes Fortſchritts, mithin auf welche Glieder, oder auch, wie weit ich auf derglei- chen im Regreſſus treffen koͤnne, iſt transſcendental und mir daher nothwendig unbekant. Aber um dieſe iſt es auch nicht zu thun, ſondern nur um die Regel des Fort- ſchritts der Erfahrung, in der mir die Gegenſtaͤnde, nem- lich Erſcheinungen gegeben werden. Es iſt auch im Aus- gange ganz einerley, ob ich ſage: ich koͤnne im empiri- ſchen Fortgange im Raume auf Sterne treffen, die hun- dertmal weiter entfernt ſind, als die aͤuſſerſten, die ich ſehe: oder ob ich ſage, es ſind vielleicht deren im Weltraume anzutreffen, wenn ſie gleich niemals ein Menſch wahrge- nommen hat, oder wahrnehmen wird; denn, wenn ſie gleich als Dinge an ſich ſelbſt, ohne Beziehung auf moͤg- liche Erfahrung, uͤberhaupt gegeben waͤren: ſo ſind ſie doch vor mich nichts, mithin keine Gegenſtaͤnde, als ſo fern ſie in der Reihe des empiriſchen Regreſſus enthalten ſeyn. Nur in anderweitiger Beziehung, wenn eben dieſe Erſcheinungen zur cosmologiſchen Idee von einem abſolu- ten Ganzen gebraucht werden ſollen und, wenn es alſo um eine Frage zu thun iſt, die uͤber die Graͤnzen moͤgli- cher Erfahrung hinausgeht, iſt die Unterſcheidung der Art, wie man die Wirklichkeit gedachter Gegenſtaͤnde der Sinne nimt, [497/0527] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc. nimt, von Erheblichkeit, um einem truͤglichen Wahne vorzubeugen, welcher aus der Mißdeutung unſerer eigenen Erfahrungsbegriffe unvermeidlich entſpringen muß. Der Antinomie der reinen Vernunft Siebenter Abſchnitt. Critiſche Entſcheidung des cosmologiſchen Streits der Vernunft mit ſich ſelbſt. Die ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf dem dialectiſchen Argumente: Wenn das Bedingte gegeben iſt, ſo iſt auch die ganze Reihe aller Bedingungen deſſelben gegeben: Nun ſind uns Gegenſtaͤnde der Sinne als bedingt gegeben, folglich ꝛc. Durch dieſen Vernunft- ſchluß, deſſen Oberſatz ſo natuͤrlich und einleuchtend ſcheint, werden nun, nach Verſchiedenheit der Bedingungen (in der Syntheſis der Erſcheinungen), ſo fern ſie eine Reihe ausmachen, eben ſo viel cosmologiſche Ideen eingefuͤhrt, welche die abſolute Totalitaͤt dieſer Reihen poſtuliren und eben dadurch die Vernunft unvermeidlich in Widerſtreit mit ſich ſelbſt verſetzen Ehe wir aber das Truͤgliche dieſes vernuͤnftelnden Arguments aufdecken, muͤſſen wir uns durch Berichtigung und Beſtimmung gewiſſer darin vorkom- menden Begriffe dazu in Stand ſetzen. Zuerſt iſt folgender Satz klar und ungezweifelt ge- wiß: daß, wenn das Bedingte gegeben iſt, uns eben da- durch I i [498/0528] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. durch ein Regreſſus in der Reihe aller Bedingungen zu demſelben aufgegeben ſey; denn dieſes bringt ſchon der Begriff des Bedingten ſo mit ſich: daß dadurch etwas auf eine Bedingung und, wenn dieſe wiederum bedingt iſt, auf eine entferntere Bedingung und ſo durch alle Glieder der Reihe bezogen wird. Dieſer Satz iſt alſo analytiſch und erhebt ſich uͤber alle Furcht vor eine transſcendentale Critik. Er iſt ein logiſches Poſtulat der Vernunft: dieie- nige Verknuͤpfung eines Begriffs mit ſeinen Bedingungen durch den Verſtand zu verfolgen und ſo weit als moͤglich fortzuſetzen, die ſchon dem Begriffe ſelbſt anhaͤngt. Ferner: wenn das Bedingte ſo wol, als ſeine Be- dingung, Dinge an ſich ſelbſt ſind, ſo iſt, wenn das Erſtere gegeben worden, nicht blos der Regreſſus zu dem Zweiten aufgegeben, ſondern dieſes iſt dadurch wirklich ſchon mit gegeben und, weil dieſes von allen Gliedern der Reihe gilt: ſo iſt die vollſtaͤndige Reihe der Bedingungen, mit- hin auch das Unbedingte dadurch zugleich gegeben, oder vielmehr vorausgeſezt, daß das Bedingte, welches nur durch iene Reihe moͤglich war, gegeben iſt. Hier iſt die Syntheſis des Bedingten mit ſeiner Bedingung eine Syn- theſis des bloſſen Verſtandes, welcher die Dinge vorſtellt, wie ſie ſind, ohne darauf zu achten, ob, und wie wir zur Kentniß derſelben gelangen koͤnnen. Dagegen wenn ich es mit Erſcheinungen zu thun habe, die, als bloſſe Vorſtellungen, gar nicht gegeben ſind, wenn ich nicht zu ihre [499/0529] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc. ihrer Kentniß (d. i. zu ihnen ſelbſt, denn ſie ſind nichts, als empiriſche Kentniſſe) gelange, ſo kan ich nicht in eben der Bedeutung ſagen: wenn das Bedingte gegeben iſt, ſo ſind auch alle Bedingungen (als Erſcheinungen) zu demſelben gegeben, und kan mithin auf die abſolute Totalitaͤt der Reihe derſelben keinesweges ſchlieſſen. Denn die Erſcheinungen ſind, in der Apprehenſion, ſelber nichts anders, als eine empiriſche Syntheſis (im Raume und der Zeit) und ſind alſo nur in dieſer gegeben. Nun folgt es gar nicht: daß, wenn das Bedingte (in der Er- ſcheinung) gegeben iſt, auch die Syntheſis, die ſeine em- piriſche Bedingung ausmacht, dadurch mit gegeben und vorausgeſezt ſey, ſondern dieſe findet allererſt im Regreſ- ſus, und niemals ohne denſelben, ſtatt. Aber das kan man wol in einem ſolchen Falle ſagen: daß ein Regreſſus zu den Bedingungen, d. i. eine fortgeſezte empiriſche Syn- theſis auf dieſer Seite geboten oder aufgegeben ſey, und daß es nicht an Bedingungen fehlen koͤnne, die durch die- ſen Regreſſus gegeben werden. Hieraus erhellet: daß der Oberſatz des cosmologi- ſchen Vernunftſchluſſes das Bedingte in transſcendentaler Bedeutung einer reinen Categorie, der Unterſatz aber in empiriſcher Bedeutung eines auf bloſſe Erſcheinungen an- gewandten Verſtandesbegriffs nehmen, folglich derienige dialectiſche Betrug darin angetroffen werde, den man So- phisma figurae dictionis nent. Dieſes Betrug iſt aber nicht I i 2 [500/0530] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. nicht erkuͤnſtelt, ſondern eine ganz natuͤrliche Taͤuſchung der gemeinen Vernunft. Denn durch dieſelbe ſetzen wir (im Oberſatze) die Bedingungen und ihre Reihe, gleich- ſam unbeſehen, voraus, wenn etwas als Bedingt gegeben iſt, weil dieſes nichts anders, als die logiſche Foderung iſt, vollſtaͤndige Praͤmiſſen zu einem gegebenen Schlußſatze an- zunehmen, und da iſt in der Verknuͤpfung des Bedingten mit ſeiner Bedingung keine Zeitordnung anzutreffen; ſie werden an ſich, als zugleich gegeben, vorausgeſezt. Fer- ner iſt es eben ſo natuͤrlich (im Unterſatze) Erſcheinungen als Dinge an ſich und eben ſowol dem bloſſen Verſtande gegebene Gegenſtaͤnde anzuſehen, wie es im Oberſatze ge- ſchah, da ich von allen Bedingungen der Anſchauung, unter denen allein Gegenſtaͤnde gegeben werden koͤnnen, ab- ſtrahirte. Nun hatten wir aber hiebey einen merkwuͤrdi- gen Unterſchied zwiſchen den Begriffen uͤberſehen. Die Syntheſis des Bedingten mit ſeiner Bedingung und die ganze Reihe der lezteren (im Oberſatze) fuͤhrte gar nichts von Einſchraͤnkung durch die Zeit und keinen Begriff der Succeßion bey ſich. Dagegen iſt die empiriſche Syntheſis und die Reihe der Bedingungen in der Erſcheinung, (die im Unterſatze ſubſumirt wird), nothwendig ſucceſſiv und nur in der Zeit nach einander gegeben; folglich konte ich die abſolute Totalitaͤt der Syntheſis und der dadurch vor- geſtellten Reihe hier nicht eben ſo wol, als dort voraus- ſetzen, weil dort alle Glieder der Reihe an ſich (ohne Zeit- bedingung) gegeben ſind, hier aber nur durch den ſucceſ- ſiven [501/0531] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc ſiven Regreſſus moͤglich ſind, der nur dadurch gegeben iſt, daß man ihn wirklich vollfuͤhrt. Nach der Ueberweiſung eines ſolchen Fehltritts, des gemeinſchaftlich zum Grunde (der cosmologiſchen Behaup- tungen) gelegten Arguments, koͤnnen beide ſtreitende Theile mit Recht, als ſolche, die ihre Foderung auf keinen gruͤnd- lichen Titel gruͤnden, abgewieſen werden. Dadurch aber iſt ihr Zwiſt noch nicht in ſo fern geendigt, daß ſie uͤber- fuͤhrt worden waͤren, ſie, oder einer von beiden, haͤtte in der Sache ſelbſt, die er behauptet, (im Schlußſatze) Unrecht, wenn er ſie gleich nicht auf tuͤchtige Beweisgruͤn- de zu bauen wußte. Es ſcheinet doch nichts klaͤrer, als daß von zween, deren der eine behauptet: die Welt hat einen Anfang, der andere: die Welt hat keinen An- fang, ſondern ſie iſt von Ewigkeit her, doch einer Recht haben muͤſſe. Iſt aber dieſes: ſo iſt es, weil die Klar- heit auf beiden Seiten gleich iſt, doch unmoͤglich, iemals auszumitteln, auf welcher Seite das Recht ſey und der Streit dauert nach wie vor, wenn die Partheyen gleich bey dem Gerichtshofe der Vernunft zur Ruhe verwieſen worden. Es bleibt alſo kein Mittel uͤbrig, den Streit gruͤndlich und zur Zufriedenheit beider Theile zu endigen, als daß, da ſie einander doch ſo ſchoͤn widerlegen koͤnnen, endlich uͤberfuͤhrt werden, daß ſie um Nichts ſtreiten, und ein gewiſſer transſcendentaler Schein ihnen da eine Wirk- lichkeit vorgemahlt habe, wo keine anzutreffen iſt. Die- ſen I i 3 [502/0532] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits wollen wir iezt einſchlagen. Der eleatiſche Zeno, ein ſubtiler Dialectiker iſt ſchon vom Plato als ein muthwilliger Sophiſt daruͤber ſehr getadelt worden, daß er, um ſeine Kunſt zu zeigen, einer- ley Satz durch ſcheinbare Argumente zu beweiſen und bald darauf durch andere eben ſo ſtarke wieder umzuſtuͤrzen ſuchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey ihm nichts als die Welt) ſey weder endlich, noch unend- lich, er ſey weder in Bewegung, noch in Ruhe, ſey keinem an- dern Dinge weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich. Es ſchien denen, die ihn hieruͤber beurtheilten, er habe zwey einander wider- ſprechende Saͤtze gaͤnzlich ablaͤugnen wollen, welches un- gereimt iſt. Allein ich finde nicht: daß ihm dieſes mit Recht zur Laſt gelegt werden koͤnne. Den erſteren dieſer Saͤtze werde ich bald naͤher beleuchten. Was die uͤbrige betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer- ſum verſtand, ſo mußte er allerdings ſagen: daß dieſes we- der in ſeinem Orte beharrlich gegenwaͤrtig (in Ruhe) ſey, noch denſelben veraͤndere (ſich bewege), weil alle Oerter nur im Univers, dieſes ſelbſt alſo in keinem Orte iſt. Wenn das Weltall alles, was exiſtirt, in ſich faßt, ſo iſt es auch ſo fern keinem andern Dinge, weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich, weil es auſſer ihm kein anderes Ding giebt, mit dem es koͤnte verglichen werden. Wenn zwey ein- [503/0533] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc. einander entgegengeſezte Urtheile eine unſtatthafte Bedin- gung vorausſetzen, ſo fallen ſie, unerachtet ihres Wider- ſtreits (der gleichwol kein eigentlicher Widerſpruch iſt), alle beide weg, weil die Bedingung wegfaͤllt, unter der allein ieder dieſer Saͤtze gelten ſolte. Wenn iemand ſagte: ein ieder Coͤrper riecht entwe- der gut, oder er riecht nicht gut, ſo findet ein Drittes ſtatt, nemlich: daß er gar nicht rieche, (ausdufte) und ſo koͤn- nen beide widerſtreitende Saͤtze falſch ſeyn. Sage ich, er iſt entweder wolriechend, oder er iſt nicht wolriechend: (vel ſuaueolens vel non ſuaueolens) ſo ſind beide Ur- theile einander contradictoriſch entgegengeſezt und nur der erſte iſt falſch, ſein contradictoriſches Gegentheil aber, nemlich einige Coͤrper ſind nicht wolriechend, befaßt auch die Coͤrper in ſich, die gar nicht riechen. In der vori- gen Entgegenſtellung (per diſparata) blieb die zufaͤllige Bedingung des Begriffs der Coͤrper (der Geruch) noch bey dem widerſtreitenden Urtheile, und wurde durch dieſes alſo nicht mit aufgehoben, daher war das leztere nicht das contradictoriſche Gegentheil des erſteren. Sage ich demnach: die Welt iſt dem Raume nach entweder unendlich, oder ſie iſt nicht unendlich (non eſt infinitus), ſo muß, wenn der erſtere Satz falſch iſt, ſein contradictoriſches Gegentheil: die Welt iſt nicht unendlich, wahr ſeyn. Dadurch wuͤrde ich nur eine unendliche Welt aufheben ohne eine andere, nemlich die endliche, zu ſetzen. Hieſſe I i 4 [504/0534] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Hieſſe es aber: die Welt iſt entweder unendlich, oder end- lich (nichtunendlich) ſo koͤnten beide falſch ſeyn. Denn ich ſehe alsdenn die Welt, als an ſich ſelbſt, ihrer Groͤſſe nach beſtimt an, indem ich in dem Gegenſatz nicht blos die Unendlichkeit aufhebe und, mit ihr, vielleicht ihre ganze abgeſonderte Exiſtenz, ſondern eine Beſtimmung zur Welt, als einem an ſich ſelbſt wirklichen Dinge, hinzuſetze, welches eben ſo wol faſch ſeyn kan, wenn nemlich die Welt gar nicht als ein Ding an ſich, mithin auch nicht ihrer Groͤſſe nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben ſeyn ſolte. Man erlaube mir: daß ich derglei- chen Entgegenſetzung die dialectiſche, die des Widerſpruchs aber, die analytiſche Oppoſition nennen darf. Alſo koͤnnen von zwey dialectiſch einander entgegengeſezten Ur- theilen alle beide falſch ſeyn, darum, weil eines dem an- dern nicht blos widerſpricht, ſondern etwas mehr ſagt, als zum Widerſpruche erfoderlich iſt. Wenn man die zwey Saͤtze: die Welt iſt der Groͤſſe nach unendlich, die Welt iſt ihrer Groͤſſe nach endlich, als einander contradictoriſch entgegengeſetzte anſieht, ſo nimt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erſcheinun- gen) ein Ding an ſich ſelbſt ſey. Denn ſie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regreſſus in der Reihe ihrer Erſcheinungen aufheben. Nehme ich aber dieſe Vor- ausſetzung, oder dieſen transſcendentalen Schein weg, und laͤugne, daß ſie ein Ding an ſich ſelbſt ſey, ſo verwandelt ſich [505/0535] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc. ſich der contradictoriſche Widerſtreit beider Behauptungen in einen blos dialectiſchen und die Welt, weil ſie gar nicht an ſich (unabhaͤngig von der regreſſiven Reihe meiner Vor- ſtellungen) exiſtirt: ſo exiſtirt ſie, weder als ein an ſich unendliches, noch als ein an ſich endliches Ganze. Sie iſt nur im empiriſchen Regreſſus der Reihe der Erſcheinun- gen und vor ſich ſelbſt gar nicht anzutreffen. Daher, wenn dieſe iederzeit bedingt iſt, ſo iſt ſie niemals ganz ge- geben, und die Welt iſt alſo kein unbedingtes Ganze, exi- ſtirt alſo auch nicht als ein ſolches, weder mit unendlicher, noch endlicher Groͤſſe. Was hier von der erſten cosmologiſchen Idee, nem- lich der abſoluten Totalitaͤt der Groͤſſe in der Erſcheinung geſagt worden, gilt auch von allen uͤbrigen. Die Reihe der Bedingungen iſt nur in der regreſſiven Syntheſis ſelbſt, nicht aber an ſich in der Erſcheinung, als einem eigenen, vor allem Regreſſus gegebenen Dinge, anzutreffen. Da- her werde ich auch ſagen muͤſſen: die Menge der Theile in einer gegebenen Erſcheinung iſt an ſich weder endlich, noch unendlich, weil Erſcheinung nichts an ſich ſelbſt exiſti- rendes iſt, und die Theile allererſt durch den Regreſſus der decomponirenden Syntheſis, und in demſelben, gegeben werden, welcher Regreſſus niemals ſchlechthin ganz, we- der als endlich, noch als unendlich gegeben iſt. Eben das gilt von der Reihe der uͤber einander geordneten Urſachen, oder der bedingten bis zur unbedingt nothwendigen Exi- ſtenz, I i 5 [506/0536] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſtenz, welche niemals weder an ſich ihrer Totalitaͤt nach als endlich, noch als unendlich angeſehen werden kan, weil ſie als Reihe ſubordinirter Vorſtellungen, nur im dynami- ſchen Regreſſus beſteht, vor demſelben aber und, als vor ſich beſtehende Reihe von Dingen, an ſich ſelbſt gar nicht exiſtiren kan. So wird demnach die Antinomie der reinen Ver- nunft bey ihren cosmologiſchen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird: ſie ſey blos dialectiſch und ein Wider- ſtreit eines Scheins, der daher entſpringt, daß man die Idee der abſoluten Totalitaͤt, welche nur als eine Bedin- gung der Dinge an ſich ſelbſt gilt, auf Erſcheinungen ange- wandt hat, die nur in der Vorſtellung und, wenn ſie eine Reihe ausmachen, im ſucceſſiven Regreſſus, ſonſt aber gar nicht exiſtiren. Man kan aber auch umgekehrt aus dieſer Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatiſchen, aber doch critiſchen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich die transſcendentale Idealitaͤt der Erſcheinungen dadurch indirect zu beweiſen, wenn iemand etwa an dem directen Beweiſe in der transſcendentalen Aeſthetik nicht genug haͤtte. Der Beweis wuͤrde in dieſem Dilemma beſtehen. Wenn die Welt ein an ſich exiſtirendes Ganze iſt: ſo iſt ſie entweder endlich, oder unendlich; Nun iſt das erſtere ſowol als das zweite falſch (laut den oben angefuͤhrten Beweiſen der Antitheſis, einer und der Theſis anderer Seits). Alſo iſt es auch falſch, daß die Welt (der In- begriff aller Erſcheinungen) ein an ſich exiſtirendes Ganze ſey. [507/0537] VII. Abſch. Critiſche Entſcheidung des cosmol. ꝛc. ſey. Woraus denn folgt: daß Erſcheinungen uͤberhaupt auſſer unſeren Vorſtellungen nichts ſind, welches wir eben durch die transſcendentale Idealitaͤt derſelben ſagen wolten. Dieſe Anmerkung iſt von Wichtigkeit. Man ſiehet daraus: daß die obige Beweiſe der vierfachen Antinomie nicht Blendwerke, ſondern gruͤndlich waren, unter der Vor- ausſetzung nemlich: daß Erſcheinungen oder eine Sinnen- welt, die ſie insgeſamt in ſich begreift, Dinge an ſich ſelbſt waͤren. Der Widerſtreit der daraus gezogenen Saͤtze ent- dekt aber: daß in der Vorausſetzung eine Falſchheit liege, und bringt uns dadurch zu einer Entdeckung der wahren Beſchaffenheit der Dinge, als Gegenſtaͤnde der Sinne. Die transſcendentale Dialectik thut alſo keinesweges dem Scep- ticism einigen Vorſchub, wol aber der ſceptiſchen Metho- de, welche an ihr ein Beiſpiel ihres groſſen Nutzens auf- weiſen kan, wenn man die Argumente der Vernunft in ihrer groͤßten Freiheit gegen einander auftreten laͤßt, die, ob ſie gleich zuletzt nicht dasienige, was man ſuchte, den- noch iederzeit etwas Nuͤzliches und zur Berichtigung un- ſerer Urtheile dienliches, liefern werden. Der [508/0538] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Der Antinomie der reinen Vernunft Achter Abſchnitt. Regulatives Princip der reinen Vernunft in Anſehung der cosmologiſchen Ideen. Da durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird, ſondern blos im Regreſſus derſelben aufgegeben werden kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft, in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll- ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei- he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i. im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn- nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding- te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun- gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin- den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be- ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe- ner [509/0539] VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc. ner Erſcheinungen einen Regreſſus gebietet, dem es nie- mals erlaubt iſt, bey einem Schlechthinunbedingten ſtehen zu bleiben. Er iſt alſo kein Principium der Moͤglichkeit der Erfahrung und der empiriſchen Erkentniß der Gegen- ſtaͤnde der Sinne, mithin kein Grundſatz des Verſtandes; denn iede Erfahrung iſt in ihren Graͤnzen (der gegebenen Anſchauung gemaͤß) eingeſchloſſen, auch kein conſtitutives Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, ſondern ein Grund- ſatz der groͤßtmoͤglichen Fortſetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empiriſche Graͤnze vor ab- ſolute Graͤnze gelten muß, alſo ein Principium der Ver- nunft, welches, als Regel, poſtulirt, was von uns im Regreſſus geſchehen ſoll, und nicht anticipirt, was im Obiecte vor allem Regreſſus an ſich gegeben iſt. Daher nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin- gegen der Grundſatz der abſoluten Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, als im Obiecte (den Erſcheinungen) an ſich ſelbſt gegeben, ein conſtitutives cosmologiſches Prin- cip ſeyn wuͤrde, deſſen Nichtigkeit ich eben durch dieſe Unterſcheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol- len: daß man nicht, wie ſonſt unvermeidlich geſchieht, (durch transſcendentale Subreption) einer Idee, welche blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymeſſe. Um nun den Sinn dieſer Regel der reinen Vernunft gehoͤrig zu beſtimmen, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken: daß ſie [510/0540] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt ſie nicht ſagen koͤnne, was das Obiect ſey, ſondern wie der empiriſche Regreſſus anzuſtellen ſey, um zu dem vollſtaͤndigen Begriffe des Obiects zu gelangen. Denn faͤnde das erſtere ſtatt, ſo wuͤrde ſie ein conſtitutives Prin- cipium ſeyn, dergleichen aus reiner Vernunft niemals moͤg- lich iſt. Man kan alſo damit keinesweges die Abſicht ha- ben, zu ſagen: die Reihe der Bedingungen zu einem gege- benen Bedingten ſey an ſich endlich, oder unendlich; denn dadurch wuͤrde eine bloſſe Idee der abſoluten Totali- taͤt, die lediglich in ihr ſelbſt geſchaffen iſt, einen Gegen- ſtand denken, der in keiner Erfahrung gegeben werden kan, indem einer Reihe von Erſcheinungen eine, von der empi- riſchen Syntheſis unabhaͤngige, obiective Realitaͤt ertheilet wuͤrde. Die Vernunftidee wird alſo nur der regreſſiven Syntheſis in der Reihe der Bedingungen eine Regel vor- ſchreiben, nach welcher ſie vom Bedingten, vermittelſt al- ler einander untergeordneten Bedingungen, zum Unbeding- ten fortgeht, obgleich dieſes niemals erreicht wird. Denn das Schlechthinunbedingte wird in der Erfahrung gar nicht angetroffen. Zu dieſem Ende iſt nun erſtlich die Syntheſis einer Reihe, ſo fern ſie niemals vollſtaͤndig iſt, genau zu beſtim- men. Man bedient ſich in dieſer Abſicht gewoͤhnlich zweer Ausdruͤcke, die darin etwas unterſcheiden ſollen, ohne daß man doch den Grund dieſer Unterſcheidung recht anzuge- ben weiß. Die Mathematiker ſprechen lediglich von ei- nem Progreſſus in infinitum. Die Forſcher der Begriffe (Philo- [511/0541] VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc. (Philoſophen) wollen an deſſen ſtatt nur den Ausdruck von einem progreſſus in indefinitum geltenlaſſen. Ohne mich bey der Pruͤfung der Bedenklichkeit, die dieſen eine ſolche Unterſcheidung angerathen hat, und dem guten oder fruchtloſen Gebrauch derſelben aufzuhalten, will ich dieſe Begriffe in Beziehung auf meine Abſicht genau zu be- ſtimmen ſuchen. Von einer geraden Linie kan man mit Recht ſagen, ſie koͤnne ins Unendliche verlaͤngert werden, und hier wuͤrde die Unterſcheidung des Unendlichen und des unbeſtimbar weiten Fortgangs (progreſſus in indefinitum) eine leere Subtilitaͤt ſeyn. Denn, ob gleich, wenn es heißt: ziehet eine Linie fort, es freilich richtiger lautet, wenn man hin- zu ſezt, in indefinitum, als wenn es heißt, in infinitum; weil das erſtere nicht mehr bedeutet als: verlaͤngert ſie, ſo weit ihr wollet, das zweite aber: ihr ſollt niemals aufhoͤren ſie zu verlaͤngern (welches hiebey eben nicht die Abſicht iſt), ſo iſt doch, wenn nur vom koͤnnen die Rede iſt, der erſtere Ausdruck ganz richtig; denn ihr koͤnt ſie ins Unendliche immer groͤſſer machen. Und ſo verhaͤlt es ſich auch in allen Faͤllen, wo man nur vom Progreſſus, d. i. dem Fortgange von der Bedingung zum Bedingten, ſpricht; dieſer moͤgliche Fortgang geht in der Reihe der Erſcheinungen ins Unendliche. Von einem Elternpaar koͤnt ihr in abſteigender Linie der Zeugung ohne Ende fort- gehen und euch auch ganz wol denken, daß ſie wirklich in [512/0542] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. in der Welt ſo fortgehe. Denn hier bedarf die Vernunft niemals abſolute Totalitaͤt der Reihe, weil ſie ſolche nicht als Bedingung und wie gegeben (datum) vorausgeſezt, ſondern nur als was Bedingtes, das nur angeblich (dabile) iſt, und ohne Ende hinzugeſezt wird. Ganz anders iſt es mit der Aufgabe bewandt: wie weit ſich der Regreſſus, der von dem gegebenen Beding- ten zu den Bedingungen in einer Reihe aufſteigt, erſtrecke, ob ich ſagen koͤnne: er ſey ein Ruͤckgang ins Unendliche, oder nur ein unbeſtimmbar weit (in indefinitum) ſich erſtreckender Ruͤckgang und ob ich alſo von den ieztleben- den Menſchen, in der Reihe ihrer Voreltern, ins Unend- liche aufwerts ſteigen koͤnne, oder ob nur geſagt werden koͤnne: daß, ſo weit ich auch zuruͤckgegangen bin, niemals ein empiriſcher Grund angetroffen werde, die Reihe ir- gendwo vor begraͤnzt zu halten, ſo daß ich berechtigt und zugleich verbunden bin, zu iedem der Urvaͤter noch fernerhin ſeinen Vorfahren aufzuſuchen, ob gleich eben nicht voraus- zuſetzen. Ich ſage demnach: wenn das Ganze in der empiri- ſchen Anſchauung gegeben worden, ſo geht der Regreſſus in der Reihe ſeiner inneren Bedingungen ins Unendliche; iſt aber nur ein Glied der Reihe gegeben, von welchem der Regreſſus zur abſoluten Totalitaͤt allererſt fortgehen ſoll: ſo findet nur ein Ruͤckgang in unbeſtimte Weite (in inde- [513/0543] VIII. Abſch. Regulatives Princip. d. r. Vernunft ꝛc. indefinitum) ſtatt. So muß von der Theilung einer zwiſchen ihren Graͤnzen gegebenen Materie (eines Coͤrpers) geſagt werden: ſie gehe ins Unendliche. Denn dieſe Ma- terie iſt ganz, folglich mit allen ihren moͤglichen Theilen, in der empiriſchen Anſchauung gegeben. Da nun die Be- dingung dieſes Ganzen ſein Theil und die Bedingung die- ſes Theils der Theil vom Theile u. ſ. w. iſt, und in die- ſem Regreſſus der Decompoſition niemals ein Unbedingtes (untheilbares) Glied dieſer Reihe von Bedingungen ange- troffen wird, ſo iſt nicht allein nirgend ein empiriſcher Grund, in der Theilung aufzuhoͤren, ſondern die fernere Glieder der fortzuſetzenden Theilung ſind ſelbſt vor dieſer weitergehenden Theilung empiriſch gegeben, d. i. die Theilung geht ins Unendliche. Dagegen iſt die Reihe der Voreltern zu einem gegebenen Menſchen in keiner moͤgli- chen Erfahrung, in ihrer abſoluten Totalitaͤt, gegeben, der Regreſſus aber geht doch von iedem Gliede dieſer Zeu- gung zu einem hoͤhern, ſo, daß keine empiriſche Graͤnze anzutreffen iſt, die ein Glied, als ſchlechthin unbedingt, darſtellete. Da aber gleichwol auch die Glieder, die hie- zu die Bedingung abgeben koͤnten, nicht in der empiriſchen Anſchauung des Ganzen ſchon vor dem Regreſſus liegen : ſo geht dieſer nicht ins Unendliche (der Theilung des gege- benen), ſondern in unbeſtimbare Weite, der Aufſuchung mehrerer Glieder zu den gegebenen, die wiederum iederzeit nur bedingt gegeben ſind. In K k [514/0544] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. In keinem von beiden Faͤllen, ſowol dem regreſſus in infinitum, als dem in indefinitum, wird die Reihe der Bedingungen als unendlich im Obiect gegeben angeſe- hen. Es ſind nicht Dinge, die an ſich ſelbſt, ſondern nur Erſcheinungen, die, als Bedingungen von einander, nur im Regreſſus ſelbſt gegeben werden. Alſo iſt die Frage nicht mehr: wie groß dieſe Reihe der Bedingungen an ſich ſelbſt ſey, ob endlich oder unendlich, denn ſie iſt nichts an ſich ſelbſt, ſondern: wie wir den empiriſchen Regreſ- ſus anſtellen und wie weit wir ihn fortſetzen ſollen. Und da iſt denn ein nahmhafter Unterſchied in Anſehung der Regel dieſes Fortſchritts. Wenn das Ganze empiriſch ge- geben worden, ſo iſt es moͤglich, ins Unendliche in der Reihe ſeiner inneren Bedingungen zuruͤck zu gehen. Iſt ienes aber nicht gegeben, ſondern ſoll durch empiriſchen Regreſſus allererſt gegeben werden, ſo kan ich nur ſagen: es iſt ins Unendliche moͤglich zu noch hoͤheren Bedingun- gen der Reihe fortzugehen. Im erſteren Falle konte ich ſagen: es ſind immer mehr Glieder da und empiriſch ge- geben, als ich durch den Regreſſus (der Decompoſition) erreiche; im zweiten aber: ich kan im Regreſſus noch im- mer weiter gehen, weil kein Glied als ſchlechthin unbedingt empiriſch gegeben iſt, und alſo noch immer ein hoͤheres Glied als moͤglich und mithin die Nachfrage nach demſel- ben als nothwendig zulaͤßt. Dort war es nothwendig, mehr Glieder der Reihe anzutreffen, hier aber iſt es im- mer nothwendig, nach mehreren zu fragen, weil keine Erfah [515/0545] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Erfahrung abſolute begraͤnzt. Denn ihr habt entweder keine Wahrnehmung, die euren empiriſchen Regreſſus ſchlechthin begraͤnzt, und denn muͤßt ihr euren Regreſſus nicht vor vollendet halten, oder habt eine ſolche eure Rei- he begraͤnzende Wahrnehmung, ſo kan dieſe nicht ein Theil eurer zuruͤckgelegten Reihe ſeyn (weil das, was begraͤnzt, von dem, was dadurch begraͤnzt wird, unterſchieden ſeyn muß) und ihr muͤßt alſo euren Regreſſus auch zu dieſer Be- dingung weiter fortſetzen, und ſo fortan. Der folgende Abſchnitt wird dieſe Bemerkungen durch ihre Anwendung, in ihr gehoͤriges Licht ſetzen. Der Antinomie der reinen Vernunft Neunter Abſchnitt. Von dem Empiriſchen Gebrauche des regulativen Princip’s der Vernunft, in Anſehung aller cosmologiſchen Ideen. Da es, wie wir mehrmalen gezeigt haben, keinen transſcendentalen Gebrauch, ſo wenig von reinen Verſtandes- als Vernunftbegriffen giebt, da die abſolute Totalitaͤt der Reihen der Bedingungen in der Sinnenwelt ſich lediglich auf einen transſcendentalen Gebrauch der Vernunft fuſſet, welche dieſe unbedingte Vollſtaͤndigkeit von demienigen fodert, was ſie als Ding an ſich ſelbſt vor K k 2 [516/0546] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. vorausſezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht ent- haͤlt: ſo kan die Rede niemals mehr von der abſoluten Groͤſſe der Reihen in derſelben ſeyn, ob ſie begraͤnzt, oder an ſich unbegraͤnzt ſeyn moͤgen, ſondern nur, wie weit wir im empiriſchen Regreſſus, bey Zuruͤckfuͤhrung der Er- fahrung auf ihre Bedingungen, zuruͤckgehen ſollen, um nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem Gegenſtande angemeſſenen Beantwortung der Fragen der- ſelben ſtehen zu bleiben. Es iſt alſo nur die Guͤltigkeit des Vernunftprin- cip’s, als einer Regel der Fortſetzung und Groͤſſe einer moͤglichen Erfahrung, die uns allein uͤbrig bleibt, nachdem ſei- ne Unguͤltigkeit, als eines conſtitutiven Grundſatzes der Er- ſcheinungen an ſich ſelbſt, hinlaͤnglich dargethan worden. Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen koͤnnen, der Streit der Vernunft mit ſich ſelbſt voͤllig geendigt, indem nicht allein durch critiſche Aufloͤſung der Schein, der ſie mit ſich entzweiete, aufgehoben worden, ſondern an deſſen Statt der Sinn, in welchem ſie mit ſich ſelbſt zuſammenſtimt und deſſen Mißdeutung allein den Streit veranlaßte, aufgeſchloſſen und ein ſonſt dialectiſcher Grundſatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In der That, wenn dieſer, ſeiner ſubiectiven Bedeutung nach, den groͤßtmoͤglichen Verſtandesgebrauch in der Erfahrung den Gegenſtaͤnden derſelben angemeſſen zu beſtimmen, be- waͤhret werden kan: ſo iſt es gerade eben ſo viel, als ob er [517/0547] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. er wie ein Axiom (welches aus reiner Vernunft unmoͤg- lich iſt) die Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt a priori beſtimme- te; denn auch dieſes koͤnte in Anſehung der Obiecte der Erfahrung keinen groͤſſeren Einfluß auf die Erweiterung und Berichtigung unſerer Erkentniß haben, als daß es ſich in dem ausgebreitetſten Erfahrungsgebrauche unſeres Verſtandes thaͤtig bewieſe. I. Aufloͤſung der cosmologiſchen Idee, von der Totalitaͤt der Zuſammenſetzung der Erſcheinungen von einem Weltganzen. So wol hier, als bey den uͤbrigen cosmologiſchen Fragen iſt der Grund des regulativen Princip’s der Ver- nunft der Satz: daß im empiriſchen Regreſſus keine Er- fahrung von einer abſoluten Graͤnze, mithin von keiner Bedingung, als einer ſolchen, die empiriſch ſchlechthin un- bedingt ſey, angetroffen werden koͤnne. Der Grund da- von aber iſt: daß eine dergleichen Erfahrung eine Begraͤn- zung der Erſcheinungen durch Nichts, oder das Leere, dar- auf der fortgefuͤhrte Regreſſus vermittelſt einer Wahrneh- mung ſtoßen koͤnte, in ſich enthalten muͤßte, welches un- moͤglich iſt. Dieſer Satz nun, der eben ſo viel ſagt, als: daß ich im empiriſchen Regreſſus iederzeit nur zu einer Beding un gelan- K k 3 [518/0548] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. gelange, die ſelbſt wiederum als empiriſch bedingt angeſe- hen werden muß, enthaͤlt die Regel in terminis: daß ſo weit ich auch damit in der aufſteigenden Reihe gekommen ſeyn moͤge, ich iederzeit nach einem hoͤheren Gliede der Reihe fragen muͤſſe, es mag mir dieſes nun durch Erfah- rung bekant werden, oder nicht. Nun iſt zur Aufloͤſung der erſten cosmologiſchen Auf- gabe nichts weiter noͤthig, als noch auszumachen: ob in dem Regreſſus zu der unbedingten Groͤſſe des Weltganzen (der Zeit und dem Raume nach) dieſes niemals begraͤnzte Aufſteigen ein Ruͤckgang ins Unendliche heiſſen koͤnne, oder nur ein unbeſtimbar fortgeſezter Regreſſus (in in- definitum). Die bloſſe allgemeine Vorſtellung der Reihe aller vergangenen Weltzuſtaͤnde, imgleichen der Dinge, welche im Weltraume zugleich ſind, iſt ſelbſt nichts anders, als ein moͤglicher empiriſcher Regreſſus, den ich mir, obzwar noch unbeſtimt, denke, und wodurch der Begriff einer ſol- chen Reihe von Bedingungen zu der gegebenen Wahrneh- mung allein entſtehen kan *). Nun habe ich das Welt- ganze *) Dieſe Weltreihe kan alſo auch weder groͤſſer, noch klei- ner ſeyn, als der moͤgliche empiriſche Regreſſus, auf dem allein ihr Begriff beruht. Und da dieſer kein be- ſtimtes Unendliche, eben ſo wenig aber auch ein beſtimt- endliches (ſchlechthinbegraͤnztes) geben kan: ſo iſt dar- aus klar, daß wir die Weltgroͤſſe weder als endlich, noch unendlich annehmen koͤnnen, weil der Regreſſus (dadurch iene vorgeſtellt wird) keines von beiden zulaͤßt. [519/0549] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. ganze iederzeit nur im Begriffe, keinesweges aber (als Ganzes) in der Anſchauung. Alſo kan ich nicht von fei- ner Groͤſſe auf die Groͤſſe des Regreſſus ſchlieſſen, und die- ſe iener gemaͤß beſtimmen, ſondern ich muß mir allererſt einen Begriff von der Weltgroͤſſe durch die Groͤſſe des em- piriſchen Regreſſus machen. Von dieſem aber weis ich niemals etwas mehr, als daß ich von iedem gegebenen Gliede der Reihe von Bedingungen immer noch zu einem hoͤheren (entfernteren) Gliede empiriſch fortgehen muͤſſe. Alſo iſt dadurch die Groͤſſe des Ganzen der Erſcheinungen gar nicht ſchlechthin beſtimt, mithin kan man auch nicht ſagen: daß dieſer Regreſſus ins Unendliche gehe, weil dieſes die Glieder, dahin der Regreſſus noch nicht gelan- get iſt, anticipiren und ihre Menge ſo groß vorſtellen wuͤr- de, daß keine empiriſche Syntheſis dazu gelangen kan, folglich die Weltgroͤſſe vor dem Regreſſus (wenn gleich nur negativ) beſtimmen wuͤrde, welches unmoͤglich iſt. Denn dieſe iſt mir durch keine Anſchauung, (ihrer Totali- taͤt nach) mithin auch ihre Groͤſſe vor dem Regreſſus gar nicht gegeben. Demnach koͤnnen wir von der Weltgroͤſſe an ſich gar nichts ſagen, auch nicht einmal, daß in ihr ein regreſſus in infinitum ſtatt finde, ſondern muͤſſen nur nach der Regel, die den empiriſchen Regreſſus in ihr be- ſtimt, den Begriff von ihrer Groͤſſe ſuchen. Dieſe Regel aber ſagt nichts mehr, als daß, ſo weit wir auch in der Reihe der empiriſchen Bedingungen gekommen ſeyn moͤ- gen, wir nirgend eine abſolute Graͤnze annehmen ſollen, ſon- K k 4 [520/0550] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſondern iede Erſcheinung als bedingt, einer andern, als ihrer Bedingung unterordnen, zu dieſer alſo ferner fort- ſchreiten muͤſſen, welches der regreſſus in indefinitum iſt, der, weil er keine Groͤſſe im Obiect beſtimt, von dem in infinitum deutlich genug zu unterſcheiden iſt. Ich kan demnach nicht ſagen: die Welt iſt der ver- gangenen Zeit, oder dem Raume nach unendlich. Denn dergleichen Begriff von Groͤſſe, als einer gegebenen Unend- lichkeit, iſt empiriſch, mithin auch in Anſehung der Welt, als eines Gegenſtandes der Sinne, ſchlechterdings un- moͤglich. Ich werde auch nicht ſagen: der Regreſſus von einer gegebenen Wahrnehmung an, zu allen dem, was dieſe im Raume ſo wol, als der vergangenen Zeit in einer Reihe begraͤnzt, geht ins Unendliche; denn die- ſes ſezt die unendliche Weltgroͤſſe voraus; auch nicht: ſie iſt endlich; denn die abſolute Graͤnze iſt gleichfals em- piriſch unmoͤglich. Demnach werde ich nichts von dem ganzen Gegenſtande der Erfahrung (der Sinnenwelt), ſon- dern nur von der Regel, nach welcher Erfahrung ihrem Gegenſtande angemeſſen, angeſtellt und fortgeſezt werden ſoll, ſagen koͤnnen. Auf die cosmologiſche Frage alſo, wegen der Welt- groͤſſe, iſt die erſte und negative Antwort: die Welt hat keinen erſten Anfang der Zeit und keine aͤuſſerſte Graͤnze dem Raume nach. Denn im entgegengeſezten Falle wuͤrde ſie durch die leere Zeit einer, und durch den leeren Raum, anderer Seits, [521/0551] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Seits, begraͤnzt ſeyn. Da ſie nun, als Erſcheinung, kei- nes von beiden an ſich ſelbſt ſeyn kan, denn Erſcheinung iſt kein Ding an ſich ſelbſt, ſo muͤßte eine Wahrnehmung der Begraͤnzung durch ſchlechthin leere Zeit, oder leeren Raum, moͤglich ſeyn, durch welche dieſe Weltenden in einer moͤglichen Erfahrung gegeben waͤren. Eine ſolche Erfah- rung aber, als voͤllig leer an Inhalt, iſt unmoͤglich. Alſo iſt eine abſolute Weltgraͤnze empiriſch, mithin auch ſchlech- terdings unmoͤglich *). Hieraus folgt denn zugleich die beiahende Antwort: der Regreſſus in der Reihe der Welterſcheinungen, als eine Beſtimmung der Weltgroͤſſe, geht in indefinitum, welches eben ſo viel ſagt, als: die Sinnenwelt hat keine abſolute Groͤſſe, ſondern der empiriſche Regreſſus (wo- durch ſie auf der Seite ihrer Bedingungen allein gegeben werden kan) hat ſeine Regel, nemlich von einem ieden Gliede der Reihe, als einem Bedingten, iederzeit zu einem noch entfernetern (es fey durch eigene Erfahrung, oder den *) Man wird bemerken: daß der Beweis hier auf ganz andere Art gefuͤhrt worden, als der dogmatiſche, oben in der Antitheſis der erſten Antinomie. Daſelbſt hatten wir die Sinnenwelt, nach der gemeinen und dogmati- ſchen Vorſtellungsart, vor ein Ding, was an ſich ſelbſt, vor allem Regreſſus, ſeiner Totalitaͤt nach gegeben war, gelten laſſen, und hatten ihr, wenn ſie nicht alle Zeit und alle Raͤume einnaͤhme, uͤberhaupt irgend eine be- ſtimte Stelle in beiden abgeſprochen. Daher war die Folgerung auch anders, als hier, nemlich es wurde auf die wirkliche Unendlichkeit derſelben geſchloſſen. K k 5 [522/0552] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. den Leitfaden der Geſchichte, oder die Kette der Wirkun- gen und ihrer Urſachen) fortzuſchreiten, und ſich der Er- weiterung des moͤglichen empiriſchen Gebrauchs ſeines Verſtandes nirgend zu uͤberheben, welches denn auch das eigentliche und einzige Geſchaͤfte der Vernunft bey ihren Principien iſt. Ein beſtimter empiriſcher Regreſſus, der in einer ge- wiſſen Art von Erſcheinungen ohne Aufhoͤren fortginge, wird hiedurch nicht vorgeſchrieben, z. B. daß man von einem lebenden Menſchen immer in einer Reihe von Vor- eltern aufwerts ſteigen muͤſſe, ohne ein erſtes Paar zu er- warten, oder in der Reihe der Weltcoͤrper ohne eine aͤuſ- ſerſte Sonne zuzulaſſen, ſondern es wird nur der Fort- ſchritt von Erſcheinungen zu Erſcheinungen geboten, ſol- ten dieſe auch keine wirkliche Wahrnehmung (wenn ſie dem Grade nach vor unſer Bewuſtſeyn zu ſchwach iſt, um Erfahrung zu werden) abgeben, weil ſie dem ungeachtet doch zur moͤglichen Erfahrung gehoͤren. Aller Anfang iſt in der Zeit und alle Graͤnze des Ausgedehnten im Raume. Raum und Zeit aber ſind nur in der Sinnenwelt. Mithin ſind nur Erſcheinungen in der Welt bedingterweiſe, die Welt aber ſelbſt weder bedingt, noch auf unbedingte Art begraͤnzt. Eben um deswillen, und da die Welt niemals ganz, und ſelbſt die Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten nicht, als Weltreihe, ganz gegeben werden kan, iſt der Begriff von der Weltgroͤſſe nur durch den Re- greſſus [523/0553] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. greſſus und nicht vor demſelben in einer collectiven An- ſchauung, gegeben. Jener beſteht aber immer nur im Beſtimmen der Groͤſſe, und giebt alſo keinen beſtimten Begriff, alſo auch keinen Begriff von einer Groͤſſe, die in Anſehung eines gewiſſen Maaſſes unendlich waͤre, geht alſo nicht ins Unendliche (gleichſam gegebene), ſondern in unbeſtimte Weite, um eine Groͤſſe (der Erfahrung) zu geben, die allererſt durch dieſen Regreſſus wirklich wird. II. Aufloͤſung der cosmologiſchen Idee, von der Totalitaͤt der Theilung eines gegebenen Ganzen in der Anſchauung. Wenn ich ein Ganzes, das in der Anſchauung ge- geben iſt, theile, ſo gehe ich von einem Bedingten zu den Bedingungen ſeiner Moͤglichkeit. Die Theilung der Theile (ſubdiuiſio oder decompoſitio) iſt ein Regreſſus in der Reihe dieſer Bedingungen. Die abſolute Totalitaͤt dieſer Reihe wuͤrde nur alsdenn gegeben ſeyn, wenn der Regreſ- ſus bis zu einfachen Theilen gelangen koͤnte. Sind aber alle Theile in einer continuirlichfortgehenden Decompoſi- tion immer wiederum theilbar, ſo geht die Theilung, d. i. der Regreſſus, von dem Bedingten zu ſeinen Bedingun- gen in infinitum; weil die Bedingungen (die Theile) in dem Bedingten ſelbſt enthalten ſind und, da dieſes in einer zwi- [524/0554] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. zwiſchen ſeinen Graͤnzen eingeſchloſſenen Anſchauung ganz gegeben iſt, insgeſamt auch mit gegeben ſind. Der Re- greſſus darf alſo nicht blos ein Ruͤckgang in indefinitum genant werden, wie es die vorige cosmologiſche Idee allein erlaubete, da ich vom Bedingten zu ſeinen Bedingungen, die, auſſer demſelben, mithin nicht dadurch zugleich mit gegeben waren, ſondern die im empiriſchen Regreſſus al- lererſt hinzu kamen, fortgehen ſolte. Dieſem ungeach- tet iſt es doch keinesweges erlaubt, von einem ſolchen Ganzen, das ins Unendliche theilbar iſt, zu ſagen: es be- ſtehe aus unendlich viel Theilen. Denn obgleich alle Theile in der Anſchauung des Ganzen enthalten ſind, ſo iſt doch darin nicht die ganze Theilung enthalten, welche nur in der fortgehenden Decompoſition, oder dem Regreſ- ſus ſelbſt beſteht, der die Reihe allererſt wirklich macht. Da dieſer Regreſſus nun unendlich iſt, ſo ſind zwar alle Glieder (Theile), zu denen er gelangt, in dem gegebenen Ganzen als Aggregate enthalten, aber nicht die ganze Reihe der Theilung, welche ſucceſſivunendlich und nie- mals ganz iſt, folglich keine unendliche Menge, und keine Zuſammennehmung derſelben in einem Ganzen darſtellen kan. Dieſe allgemeine Erinnerung laͤßt ſich zuerſt ſehr leicht auf den Raum anwenden. Ein ieder in ſeinen Graͤnzen angeſchauter Raum iſt ein ſolches Ganze, deſſen Theile bey aller Decompoſition immer wiederum Raͤume ſind, und iſt daher ins Unendliche theilbar. Hier [525/0555] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Hieraus folgt auch ganz natuͤrlich die zweite An- wendung, auf eine in ihren Graͤnzen eingeſchloſſene aͤuſſere Erſcheinung (Coͤrper). Die Theilbarkeit deſſelben gruͤndet ſich auf die Theilbarkeit des Raumes, der die Moͤglich- keit des Coͤrpers, als eines ausgedehnten Ganzen, aus- macht. Dieſer iſt alſo ins Unendliche theilbar, ohne doch darum aus unendlich viel Theilen zu beſtehen. Es ſcheinet zwar: daß, da ein Coͤrper als Subſtanz im Raume vorgeſtellet werden muß, er, was das Geſetz der Theilbarkeit des Raumes betrift, hierin von dieſem unterſchieden ſeyn werde: denn man kan es allenfalls wol zugeben: daß die Decompoſition im lezteren niemals alle Zuſammenſetzung wegſchaffen koͤnne, indem alsdenn ſo gar aller Raum, der ſonſt nichts Selbſtſtaͤndiges hat, aufhoͤ- ren wuͤrde (welches unmoͤglich iſt); allein daß, wenn alle Zuſammenſetzung der Materie in Gedanken aufgehoben wuͤr- de, gar nichts uͤbrig bleiben ſolle, ſcheint ſich nicht mit dem Begriffe einer Subſtanz vereinigen zu laſſen, die ei- gentlich das Subiect aller Zuſammenſetzung ſeyn ſolte, und in ihren Elementen uͤbrig bleiben muͤßte, wenn gleich die Verknuͤpfung derſelben im Raume, dadurch ſie einen Coͤr- per ausmachen, aufgehoben waͤre. Allein mit dem, was in der Erſcheinung Subſtanz heißt, iſt es nicht ſo be- wandt, als man es wol von einem Dinge an ſich ſelbſt durch reinen Verſtandesbegriff denken wuͤrde. Jenes iſt nicht abſolutes Subiect, ſondern beharrliches Bild der Sinn- [526/0556] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Sinnlichkeit und nichts als Anſchauung, in der uͤberall nichts Unbedingtes angetroffen wird. Ob nun aber gleich dieſe Regel des Fortſchritts ins Unendliche bey der Subdiviſion einer Erſcheinung, als ei- ner bloſſen Erfuͤllung des Raumes, ohne allen Zweifel ſtatt findet: ſo kan ſie doch nicht gelten, wenn wir ſie auch auf die Menge der auf gewiſſe Weiſe in dem gegebenen Ganzen ſchon abgeſonderten Theile, dadurch dieſe ein quantum diſcretum ausmachen, erſtrecken wollen. An- nehmen: daß in iedem gegliederten (organiſirten) Ganzen ein ieder Theil wiederum gegliedert ſey, und daß man auf ſolche Art, bey Zerlegung der Theile ins Unendliche, immer neue Kunſttheile antreffe, mit einem Worte, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert ſey, will ſich gar nicht denken laſſen, obzwar wol, daß die Theile der Materie, bey ihrer Decompoſition ins Unendliche, gegliedert werden koͤnten. Denn die Unendlichkeit der Theilung einer gegebe- nen Erſcheinung im Raume gruͤndet ſich allein darauf: daß durch dieſe blos die Theilbarkeit, d. i. eine an ſich ſchlechthin unbeſtimte Menge von Theilen gegeben iſt, die Theile ſelbſt aber nur durch die Subdiviſion gegeben und beſtimmet werden, kurz daß das Ganze nicht an ſich ſelbſt ſchon eingetheilt iſt. Daher die Theilung eine Menge in demſelben beſtimmen kan, die ſo weit geht, als man im Regreſſus der Theilung fortſchreiten will. Dagegen wird bey einem ins Unendliche gegliederten organiſchen Coͤrper das [527/0557] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. das Ganze eben durch dieſen Begriff ſchon als eingetheilt vorgeſtellt, und eine an ſich ſelbſt beſtimte, aber unendliche Menge der Theile, vor allem Regreſſus der Theilung, in ihm angetroffen, wodurch man ſich ſelbſt widerſpricht; indem dieſe unendliche Einwickelung als eine niemals zu vollendende Reihe (unendlich) und gleichwol doch in einer Zuſammennehmung als vollendet, angeſehen wird. Die unendliche Theilung bezeichnet nur die Erſcheinung als quantum continuum und iſt von der Erfuͤllung des Rau- mes unzertrenlich; weil eben in derſelben der Grund der unendlichen Theilbarkeit liegt. So bald aber etwas als quantum diſcretum angenommen wird: ſo iſt die Menge der Einheiten darin beſtimt; daher auch iederzeit einer Zahl gleich. Wie weit alſo die Organiſirung in einem ge- gliederten Coͤrper gehen moͤge, kan nur die Erfahrung aus- machen, und wenn ſie gleich mit Gewißheit zu keinem un- organiſchen Theile gelangte, ſo muͤſſen ſolche doch wenig- ſtens in der moͤglichen Erfahrung liegen. Aber wie weit ſich die transſcendentale Theilung einer Erſcheinung uͤber- haupt erſtrecke, iſt gar keine Sache der Erfahrung, ſon- dern ein Principium der Vernunft, den empiriſchen Re- greſſus, in der Decompoſition des Ausgedehnten, der Natur dieſer Erſcheinung gemaͤß, niemals vor ſchlechthin vollendet zu halten. Schluß- [528/0558] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Schlußanmerkung zur Aufloͤſung der Mathematiſchtransſcendentalen, und Vorerinnerung zur Aufloͤſung der dynamiſch-transſcendentalen Ideen. Als wir die Antinomie der reinen Vernunft durch alle transſcendentale Ideen in einer Tafel vorſtelleten, da wir den Grund dieſes Widerſtreits und das einzige Mittel, ihn zu heben, anzeigten, welches darin beſtand, daß beide entgegengeſezte Behauptungen vor falſch erklaͤrt wurden: ſo haben wir allenthalben die Bedingungen, als zu ihrem Bedingten nach Verhaͤltniſſen des Raumes und der Zeit gehoͤrig, vorgeſtellt, welches die gewoͤhnliche Vorausſetzung des gemeinen Menſchenverſtandes iſt, worauf denn auch iener Widerſtreit gaͤnzlich beruhete. In dieſer Ruͤckſicht waren auch alle dialectiſche Vorſtellungen der Totalitaͤt, in der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Beding- ten, durch und durch von gleicher Art. Es war immer eine Reihe, in welcher die Bedingung mit dem Bedingten, als Glieder derſelben, verknuͤpft und dadurch gleichartig waren, da denn der Regreſſus niemals vollendet gedacht, oder, wenn dieſes geſchehen ſolte, ein an ſich bedingtes Glied faͤlſchlich als ein erſtes, mithin als unbedingt ange- nommen werden muͤßte. Es wuͤrde alſo zwar nicht aller- werts das Obiect, d. i. das Bedingte, aber doch die Rei- he [529/0559] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. he der Bedingungen zu demſelben, blos ihrer Groͤſſe nach er- wogen, und da beſtand die Schwierigkeit, die durch kei- nen Vergleich, ſondern durch gaͤnzliche Abſchneidung des Knotens allein gehoben werden konte, darin, daß die Ver- nunft es dem Verſtande entweder zu lang oder zu kurz, machte, ſo, daß dieſer ihrer Idee niemals gleich kom- men konte. Wir haben aber hiebey einen weſentlichen Unter- ſchied uͤberſehen, der unter den Obiecten, d. i. den Ver- ſtandesbegriffen herrſcht, welche die Vernunft zu Ideen zu erheben trachtet, da nemlich, nach unſerer obigen Ta- fel der Categorien, zwey derſelben mathematiſche, die zwey uͤbrige aber eine dynamiſche Syntheſis der Erſchei- nungen bedeuten. Bis hieher konte dieſes auch gar wol geſchehen, indem, ſo wie wir in der allgemeinen Vorſtel- lung aller transſcendentalen Ideen immer nur unter Be- dingungen in der Erſcheinung blieben, eben ſo auch in den zween mathematiſch transſcendentalen keinen andern Gegenſtand, als den in der Erſcheinung hatten. Jezt aber, da wir zu dynamiſchen Begriffen des Verſtandes, ſo fern ſie der Vernunftidee anpaſſen ſollen, fortgehen, wird iene Unterſcheidung wichtig und eroͤfnet uns eine ganz neue Ausſicht in Anſehung des Streithandels, dar- in die Vernunft verflochten iſt und welcher, da er vorher, als auf beiderſeitige falſche Vorausſetzungen gebauet, abge- wieſen worden, iezt da vielleicht in der dynamiſchen An- tino- L l [530/0560] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. tinomie eine ſolche Vorausſetzung ſtatt findet, die mit der Praͤtenſion der Vernunft zuſammen beſtehen kan, aus dieſem Geſichtspuncte und, da der Richter den Mangel der Rechtsgruͤnde, die man beiderſeits verkant hatte, er- gaͤnzt, zu beider Theile Genugthuung verglichen werden kan, welches ſich bey dem Streite in der mathematiſchen Antinomie nicht thun lies. Die Reihen der Bedingungen ſind freilich in ſo fern alle gleichartig, als man lediglich auf die Erſtreckung der- ſelben ſieht: ob ſie der Idee angemeſſen ſind, oder ob dieſe vor iene zu groß, oder zu klein ſeyn. Allein der Verſtandesbegriff, der dieſen Ideen zum Grunde liegt, enthaͤlt entweder lediglich eine Syntheſis des Gleicharti- gen, (welches bey ieder Groͤſſe, in der Zuſammenſetzung, ſowol als Theilung derſelben, vorausgeſezt wird), oder auch des Ungleichartigen, welches in der dynamiſchen Syntheſis, der Cauſſalverbindung ſo wol, als der des Noth- wendigen mit dem Zufaͤlligen, wenigſtens zugelaſſen wer- den kan. Daher komt es: daß in der mathematiſchen Ver- knuͤpfung der Reihen der Erſcheinungen keine andere, als ſinnliche Bedingung hinein kommen kan, d. i. eine ſolche, die ſelbſt ein Theil der Reihe iſt, da hingegen die dynami- ſche Reihe ſinnlicher Bedingungen doch noch eine ungleich- artige Bedingung zulaͤßt, die nicht ein Theil der Reihe, ſondern, als blos intelligibel, auſſer der Reihe liegt, wo- durch [531/0561] IX. Abſch. Vomempir. Gebrauche des regul. ꝛc. durch denn der Vernunft ein Gnuͤge gethan und das Un- bedingte den Erſcheinungen vorgeſezt wird, ohne die Reihe der lezteren, als iederzeit bedingt, dadurch zu verwirren und, den Verſtandesgrundſaͤtzen zuwider, abzubrechen. Dadurch nun, daß die dynamiſche Ideen eine Be- dingung der Erſcheinungen auſſer der Reihe derſelben, d. i. eine ſolche, die ſelbſt nicht Erſcheinung iſt, zulaſſen, geſchieht etwas, was von dem Erfolg der Antinomie gaͤnz- lich unterſchieden iſt. Dieſe nemlich verurſachte: daß beide dialectiſchen Gegenbehauptungen vor falſch erklaͤrt werden mußten. Dagegen das Durchgaͤngigbedingte der dynamiſchen Reihen, welches von ihnen als Erſchei- nungen unzertrenlich iſt, mit der zwar empiriſchunbeding- ten, aber auch nichtſinnlichen Bedingung verknuͤpft, dem Verſtande einer Seits und der Vernunft anderer Seits *) Gnuͤge leiſten und, indem die dialectiſche Argu- mente, welche unbedingte Totalitaͤt in bloſſen Erſcheinun- gen auf eine oder andere Art ſuchten, wegfallen, dagegen die Ver- *) Denn der Verſtand erlaubt unter Erſcheinungen keine Bedingung, die ſelbſt empiriſch unbedingt waͤre. Lieſſe ſich aber eine intelligibele Bedingung, die alſo nicht in die Reihe der Erſcheinungen, als ein Glied, mit gehoͤre- te, zu einem Bedingten (in der Erſcheinung) gedenken, ohne doch dadurch die Reihe empiriſcher Bedingungen im mindeſten zu unterbrechen: ſo koͤnte eine ſolche als em- piriſchunbedingt zugelaſſen werden, ſo daß dadurch dem empiriſchen continuirlichen Regreſſus nirgend Abbruch geſchaͤhe. L l 2 [532/0562] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Vernunftſaͤtze in der, auf ſolche Weiſe berichtigten Be- deutung, alle beide wahr ſeyn koͤnnen; welches bey den cosmologiſchen Ideen, die blos mathematiſchunbedingte Einheit betreffen, niemals ſtatt finden kan, weil bey ih- nen keine Bedingung der Reihe der Erſcheinungen ange- troffen wird, als die auch ſelbſt Erſcheinung iſt und als ſolche mit ein Glied der Reihe ausmacht. III. Aufloͤſung der cosmologiſchen Ideen, von der Totalitaͤt der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Urſachen. Man kan ſich nur zweierley Cauſſalitaͤt in Anſehung deſſen, was geſchieht, denken, entweder nach der Natur, oder aus Freiheit. Die erſte iſt die Verknuͤpfung eines Zuſtandes mit einem vorigen in der Sinnenwelt, worauf iener nach einer Regel folgt. Da nun die Cauſſalitaͤt der Erſcheinungen auf Zeitbedingungen beruht, und der vorige Zuſtand, wenn er iederzeit geweſen waͤre, auch keine Wirkung, die allererſt in der Zeit entſpringt, her- vorgebracht haͤtte: ſo iſt die Cauſſalitaͤt der Urſache deſſen, was geſchieht, oder entſteht, auch entſtanden und bedarf nach dem Verſtandesgrundſatze ſelbſt wiederum eine Urſache. Dage- [533/0563] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Dagegen verſtehe ich unter Freiheit, im cosmolo- giſchen Verſtande, das Vermoͤgen, einen Zuſtand von ſelbſt anzufangen, deren Cauſſalitaͤt alſo nicht nach dem Naturgeſetze wiederum unter einer anderen Urſache ſteht, welche ſie der Zeit nach beſtimte. Die Freiheit iſt in die- ſer Bedeutung eine reine transſcendentale Idee, die erſtlich nichts von der Erfahrung entlehntes enthaͤlt, zweitens deren Gegenſtand auch in keiner Erfahrung beſtimt gege- ben werden kan, weil es ein allgemeines Geſetz, ſelbſt der Moͤglichkeit aller Erfahrung iſt: daß alles, was geſchieht, eine Urſache, mithin auch die Cauſſalitaͤt der Urſache, die ſelbſt geſchehen, oder entſtanden, wiederum eine Urſache haben muͤſſe; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, ſo weit es ſich erſtrecken mag, in einen Inbegriff bloſſer Natur verwandelt wird. Da aber auf ſolche Weiſe keine abſolute Totalitaͤt der Bedingungen im Cauſſalverhaͤltniſſe heraus zu bekommen iſt, ſo ſchaft ſich die Vernunft die Idee von einer Spontaneitaͤt, die von ſelbſt anheben koͤn- ne zu handeln, ohne daß eine andere Urſache vorange- ſchickt werden duͤrfe, ſie wiederum nach dem Geſetze der Cauſſalverknuͤpfung zur Handlung zu beſtimmen. Es iſt uͤberaus merkwuͤrdig: daß auf dieſe trans- ſcendentale Idee der Freiheit ſich der practiſche Begriff derſelben gruͤnde, und iene in dieſer das eigentliche Mo- ment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage uͤber ihre Moͤglichkeit von ieher umgeben haben. Die Frei- L l 3 [534/0564] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Freiheit im practiſchen Verſtande iſt die Unabhaͤngigkeit der Willkuͤhr von der Noͤthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkuͤhr iſt ſinnlich, ſo fern ſie pathologiſch, (durch Bewegurſachen der Sinnlichkeit) afficirt iſt; ſie heißt thieriſch (arbitrium brutum), wenn ſie pathologiſch neceſſitirt werden kan. Die menſchliche Willkuͤhr iſt zwar ein arbitrium ſenſitiuum, aber nicht brutum, ſondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Hand- lung nicht nothwendig macht, ſondern dem Menſchen ein Vermoͤgen beiwohnt, ſich unabhaͤngig von der Noͤthigung durch ſinnliche Antriebe von ſelbſt zu beſtimmen. Man ſiehet leicht: daß, wenn alle Cauſſalitaͤt in der Sinnenwelt blos Natur waͤre, ſo wuͤrde iede Bege- benheit durch eine andere in der Zeit nach nothwendigen Geſetzen beſtimt ſeyn und mithin, da die Erſcheinungen, ſo fern ſie die Willkuͤhr beſtimmen, iede Handlung als ihren natuͤrlichen Erfolg nothwendig machen muͤßten: ſo wuͤrde die Aufhebung der transſcendentalen Freiheit zu- gleich alle practiſche Freiheit vertilgen. Denn dieſe ſezt voraus: daß, obgleich etwas nicht geſchehen iſt, es doch habe geſchehen ſollen und ſeine Urſache in der Erſcheinung alſo nicht ſo beſtimmend war, daß nicht in unſerer Willkuͤhr eine Cauſſalitaͤt liege, unabhaͤngig von ienen Natururſa- chen und ſelbſt wider ihre Gewalt und Einfluß etwas her- vorzubringen, was in der Zeitordnung nach empiriſchen Geſetzen beſtimt iſt, mithin eine Reihe von Begebenhei- ten ganz von ſelbſt anzufangen. Es [535/0565] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche desregul. ꝛc. Es geſchieht alſo hier, was uͤberhaupt in dem Wi- derſtreit einer ſich uͤber die Graͤnzen moͤglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Auf- gebe eigentlich nicht phyſiologiſch, ſondern transſcendental iſt. Daher die Frage von der Moͤglichkeit der Freiheit die Pſychologie zwar anficht, aber, da ſie auf dialectiſchen Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, ſamt ihrer Aufloͤſung lediglich die Transſcendentalphiloſophie beſchaͤf- tigen muß. Um nun dieſe, welche eine befriedigende Ant- wort hieruͤber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu ſe- tzen, muß ich zuvoͤrderſt ihr Verfahren bey dieſer Aufgabe durch eine Bemerkung naͤher zu beſtimmen ſuchen. Wenn Erſcheinungen Dinge an ſich ſelbſt waͤren, mithin Raum und Zeit Formen des Daſeyns der Dinge an ſich ſelbſt: ſo wuͤrden die Bedingungen mit dem Be- dingten iederzeit als Glieder zu einer und derſelben Reihe gehoͤren und daraus auch in gegenwaͤrtigem Falle die An- tinomie entſpringen, die allen transſcendentalen Ideen ge- mein iſt: daß dieſe Reihe unvermeidlich vor den Verſtand zu groß, oder zu klein ausfallen muͤßte. Die dynamiſche Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieſer und der folgenden Nummer beſchaͤftigen, haben dieſes beſon- dere: daß, da ſie es nicht mit einem Gegenſtande, als Groͤſſe betrachtet, ſondern nur mit ſeinem Daſeyn zu thun ha- ben, man auch von der Groͤſſe der Reihe der Bedingun- gen abſtrahiren kan, und es bey ihnen blos auf das dy- nami- L l 4 [536/0566] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. namiſche Verhaͤltniß der Bedingung zum Bedingten ankomt, ſo, daß wir in der Frage uͤber Natur und Freiheit ſchon die Schwierigkeit antreffen, ob Freiheit uͤberall nur moͤglich ſey und ob, wenn ſie es iſt, ſie mit der Allgemeinheit des Naturgeſetzes der Cauſſalitaͤt zuſammen beſtehen koͤnne, mithin ob es ein richtigdisiunctiver Satz ſey: daß eine iede Wirkung in der Welt entweder aus Natur, oder aus Freiheit entſpringen muͤſſe, oder ob nicht vielmehr beides in verſchiedener Beziehung bey einer und derſelben Bege- benheit zugleich ſtatt finden koͤnne. Die Richtigkeit ienes Grundſatzes, von dem durchgaͤngigen Zuſammenhange aller Begebenheiten der Sinnenwelt, nach unwandelba- ren Naturgeſetzen, ſteht ſchon als ein Grundſatz der trans- ſcendentalen Analytik feſt und leidet keinen Abbruch. Es iſt alſo nur die Frage: ob dem ungeachtet in Anſehung eben derſelben Wirkung, die nach der Natur beſtimt iſt, auch Freiheit ſtatt finden koͤnne, oder dieſe durch iene un- verletzliche Regel voͤllig ausgeſchloſſen ſey. Und hier zeigt die zwar gemeine, aber betruͤgliche Vorausſetzung der ab- ſoluten Realitaͤt der Erſcheinungen, ſo gleich ihren nach- theiligen Einfluß, die Vernunft zu verwirren. Denn ſind Erſcheinungen Dinge an ſich ſelbſt: ſo iſt Freiheit nicht zu retten. Alsdenn iſt Natur die vollſtaͤndige und an ſich hinreichend beſtimmende Urſache ieder Begebenheit und die Bedingung derſelben iſt iederzeit nur in der Reihe der Erſcheinungen enthalten, die ſamt ihrer Wirkung, un- ter dem Naturgeſetze nothwendig ſind. Wenn dagegen Er- [537/0567] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Erſcheinungen vor nichts mehr gelten, als ſie in der That ſind, nemlich nicht vor Dinge an ſich, ſondern bloſſe Vor- ſtellungen, die nach empiriſchen Geſetzen zuſammenhaͤngen, ſo muͤſſen ſie ſelbſt noch Gruͤnde haben, die nicht Erſchei- nungen ſind. Eine ſolche intelligibele Urſache aber wird in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt nicht durch Erſcheinungen beſtimt, obzwar ihre Wirkungen erſcheinen, und ſo durch andere Erſcheinungen beſtimt werden koͤnnen. Sie iſt al- ſo ſamt ihrer Cauſſalitaͤt auſſer der Reihe; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empiriſchen Bedingungen an- getroffen werden. Die Wirkung kan alſo in Anſehung ih- rer intelligibelen Urſache als frey und doch zugleich in An- ſehung der Erſcheinungen, als Erfolg aus denſelben nach der Nothwendigkeit der Natur angeſehen werden; eine Unterſcheidung, die, wenn ſie im Allgemeinen und ganz abſtract vorgetragen wird, aͤuſſerſt ſubtil und dunkel ſchei- nen muß, die ſich aber in der Anwendung aufklaͤren wird. Hier habe ich nur die Anmerkung machen wollen: daß, da der durchgaͤngige Zuſammenhang aller Erſcheinungen, in einem Context der Natur, ein unnachlaßliches Geſetz iſt, dieſes alle Freiheit nothwendig umſtuͤrzen muͤßte, wenn man der Realitaͤt der Erſcheinungen hartnaͤckigt an- haͤngen wolte. Daher auch dieienige, welche hierin der gemeinen Meinung folgen, niemals dahin haben gelangen koͤnnen, Natur und Freiheit mit einander zu vereinigen. Moͤg- L l 5 [538/0568] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Moͤglichkeit der Cauſſalitaͤt durch Freiheit, in Vereinigung mit dem allgemeinen Geſetze der Naturnothwendigkeit. Ich nenne dasienige an einem Gegenſtande der Sin- ne, was ſelbſt nicht Erſcheinung iſt, intelligibel. Wenn demnach dasienige, was in der Sinnenwelt als Erſchei- nung angeſehen werden muß, an ſich ſelbſt auch ein Ver- moͤgen hat, welches kein Gegenſtand der ſinnlichen An- ſchauung iſt, wodurch es aber doch die Urſache von Er- ſcheinungen ſeyn kan: ſo kan man die Cauſſalitaͤt dieſes Weſens auf zwey Seiten betrachten, als intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an ſich ſelbſt, und als ſenſibel, nach den Wirkungen derſelben, als einer Er- ſcheinung in der Sinnenwelt. Wir wuͤrden uns demnach von dem Vermoͤgen eines ſolchen Subiects einen empiri- ſchen, imgleichen auch einen intellectuellen Begriff ſeiner Cauſſalitaͤt machen, welche bey einer und derſelben Wir- kung zuſammen ſtatt finden. Eine ſolche doppelte Seite, das Vermoͤgen eines Gegenſtandes der Sinne ſich zu den- ken, widerſpricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erſcheinungen und von einer moͤglichen Erfahrung zu machen haben. Denn, da dieſen, weil ſie an ſich keine Dinge ſind, ein transſcendentaler Gegenſtand zum Grunde liegen muß, der ſie als bloſſe Vorſtellungen beſtimt, ſo hindert nichts, daß wir dieſem transſcendentalen Gegen- ſtande, [539/0569] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. ſtande, auſſer der Eigenſchaft, dadurch er erſcheint, nicht auch eine Cauſſalitaͤt beilegen ſolten, die nicht Erſchei- nung iſt, obgleich ihre Wirkung dennoch in der Erſchei- nung angetroffen wird. Es muß aber eine iede wirkende Ur- ſache einen Character haben, d. i. ein Geſetz ihrer Cauſ- ſalitaͤt, ohne welches ſie gar nicht Urſache ſeyn wuͤrde. Und da wuͤrden wir an einem Subiecte der Sinnenwelt erſtlich einen empiriſchen Character haben, wodurch ſeine Handlungen, als Erſcheinungen, durch und durch mit anderen Erſcheinungen nach beſtaͤndigen Naturgeſetzen im Zuſammenhange ſtaͤnden und von ihnen, als ihren Bedin- gungen, abgeleitet werden koͤnten und alſo, mit dieſen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturord- nung ausmachten. Zweitens wuͤrde man ihm noch einen intelligibelen Character einraͤumen muͤſſen, dadurch es zwar die Urſache iener Handlungen als Erſcheinungen iſt, der aber ſelbſt unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit ſteht und ſelbſt nicht Erſcheinung iſt. Man koͤnte auch den erſteren den Character eines ſolchen Dinges in der Er- ſcheinung, den zweiten den Character des Dinges an ſich ſelbſt nennen. Dieſes handelnde Subiect wuͤrde nun, nach ſeinem intelligibelen Character, unter keinen Zeitbedingungen ſte- hen, denn die Zeit iſt nur die Bedingung der Erſcheinun- gen, nicht aber der Dinge an ſich ſelbſt. In ihm wuͤrde keine Handlung entſtehen, oder vergehen, mithin wuͤrde es [540/0570] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. es auch nicht dem Geſetze aller Zeitbeſtimmung, alles Ver- aͤnderlichen, unterworfen ſeyn: daß alles, was geſchieht, in den Erſcheinungen (des vorigen Zuſtandes) ſeine Ur- ſache antreffe. Mit einem Worte, die Cauſſalitaͤt deſſel- ben, ſo fern ſie intellectuel iſt, ſtaͤnde gar nicht in der Rei- he empiriſcher Bedingungen, welche die Begebenheit in der Sinnenwelt nothwendig machen. Dieſer intelligibele Cha- racter koͤnte zwar niemals unmittelbar gekant werden, weil wir nichts wahrnehmen koͤnnen, als ſo fern es er- ſcheint, aber er wuͤrde doch dem empiriſchen Character ge- maͤß gedacht werden muͤſſen, ſo wie wir uͤberhaupt einen transſcendentalen Gegenſtand den Erſcheinungen in Ge- danken zum Grunde legen muͤſſen, ob wir zwar von ihm, was er an ſich ſelbſt ſey, nichts wiſſen. Nach ſeinem empiriſchen Character wuͤrde alſo die- ſes Subiect, als Erſcheinung, allen Geſetzen der Beſtim- mung nach, der Cauſſalverbindung unterworfen ſeyn und es waͤre ſo fern nichts, als ein Theil der Sinnenwelt, deſ- ſen Wirkungen, ſo wie iede andere Erſcheinung, aus der Natur unausbleiblich abfloͤſſen. So wie aͤuſſere Erſchei- nungen in daſſelbe einfloͤſſen, wie ſein empiriſcher Chara- cter, d. i. das Geſetz ſeiner Cauſſalitaͤt, durch Erfahrung erkant waͤre, muͤßten ſich alle ſeine Handlungen nach Na- turgeſetzen erklaͤren laſſen und alle Requiſite zu einer voll- kommenen und nothwendigen Beſtimmung derſelben muͤßten in einer moͤglichen Erfahrung angetroffen werden. Nach [541/0571] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Nach dem intelligibelen Character deſſelben aber (ob wir zwar davon nichts als blos den allgemeinen Begriff deſſelben haben koͤnnen) wuͤrde daſſelbe Subiect dennoch von allem Einfluſſe der Sinnlichkeit und Beſtimmung durch Erſcheinungen frey geſprochen werden muͤſſen, und, da in ihm, ſo fern es Noumenon iſt, nichts geſchieht, kei- ne Veraͤnderung, welche dynamiſche Zeitbeſtimmung er- heiſcht, mithin keine Verknuͤpfung mit Erſcheinungen als Urſachen angetroffen wird, ſo wuͤrde dieſes thaͤtige We- ſen, ſo fern in ſeinen Handlungen von aller Naturnothwen- digkeit, als die lediglich in der Sinnenwelt angetroffen wird, unabhaͤngig und frey ſeyn. Man wuͤrde von ihm ganz richtig ſagen: daß es ſeine Wirkungen in der Sin- nenwelt von ſelbſt anfange, ohne daß die Handlung in ihm ſelbſt anfaͤngt und dieſes wuͤrde guͤltig ſeyn, ohne daß die Wirkungen in der Sinnenwelt darum von ſelbſt anfangen duͤrfen, weil ſie in derſelben iederzeit durch empiriſche Be- dingungen in der vorigen Zeit, aber doch nur vermittelſt des empiriſchen Characters (der blos die Erſcheinung des intelligibelen iſt) vorher beſtimt ſeyn, und nur als eine Fortſetzung der Reihe der Natururſachen moͤglich ſind. So wuͤrde denn Freiheit und Natur, iedes in ſeiner voll- ſtaͤndigen Bedeutung, bey eben denſelben Handlungen, nachdem man ſie mit ihrer intelligibelen, oder ſenſibelen Urſache vergleicht, zugleich und ohne allen Widerſtreit an- getroffen werden. Erlaͤu- [542/0572] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Erlaͤuterung der cosmologiſchen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnothwendigkeit. Ich habe gut gefunden, zuerſt den Schattenriß der Aufloͤſung unſeres transſcendentalen Problems zu entwer- fen, damit man den Gang der Vernunft in Aufloͤſung deſ- ſelben dadurch beſſer uͤberſehen moͤge. Jezt wollen wir die Momente ihrer Entſcheidung, auf die es eigentlich an- koͤmt, aus einander ſetzen und iedes beſonders in Erwaͤ- gung ziehen. Das Naturgeſetz: daß alles, was geſchieht, eine Urſache habe, daß die Cauſſalitaͤt dieſer Urſache, d. i. die Handlung, da ſie in der Zeit vorhergeht und in Be- tracht einer Wirkung, die da entſtanden, ſelbſt nicht immer geweſen ſeyn kan, ſondern geſchehen ſeyn muß, auch ihre Urſache unter den Erſcheinungen habe, dadurch ſie beſtimt wird und daß folglich alle Begebenheiten in einer Natur- ordnung empiriſch beſtimt ſind, dieſes Geſetz, durch wel- ches Erſcheinungen allererſt eine Natur ausmachen und Gegenſtaͤnde einer Erfahrung abgeben koͤnnen, iſt ein Ver- ſtandesgeſetz, von welchem es unter keinem Vorwande er- laubt iſt abzugehen, oder irgend eine Erſcheinung davon aus- zunehmen; weil man ſie ſonſt auſſerhalb aller moͤglichen Er- fahrung ſetzen, dadurch aber von allen Gegenſtaͤnden moͤg- licher [543/0573] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. licher Erfahrung unterſcheiden und ſie zum bloſſen Gedan- kendinge und einem Hirngeſpinſt machen wuͤrde. Ob es aber gleich hiebey lediglich nach einer Kette von Urſachen ausſieht, die im Regreſſus zu ihren Bedin- gungen gar keine abſolute Totalitaͤt verſtattet, ſo haͤlt uns dieſe Bedenklichkeit doch gar nicht auf; denn ſie iſt ſchon in der allgemeinen Beurtheilung der Antino- mie der Vernunft, wenn ſie in der Reihe der Erſcheinun- gen aufs Unbedingte ausgeht, gehoben worden. Wenn wir der Taͤuſchung des transſcendentalen Realismus nach- geben wollen: ſo bleibt weder Natur, noch Freiheit uͤbrig. Hier iſt nur die Frage: ob, wenn man in der ganzen Rei- he aller Begebenheiten lauter Naturnothwendigkeit aner- kent, es doch moͤglich ſey, eben dieſelbe, die einer Seits bloſſe Naturwirkung iſt, doch anderer Seits als Wirkung aus Freiheit anzuſehen, oder ob zwiſchen dieſen zween Ar- ten von Cauſſalitaͤt ein gerader Widerſpruch angetroffen werde. Unter den Urſachen in der Erſcheinung kan ſicherlich nichts ſeyn, welches eine Reihe ſchlechthin und von ſelbſt anfangen koͤnte. Jede Handlung, als Erſcheinung, ſo fern ſie eine Begebenheit hervorbringt, iſt ſelbſt Begeben- heit, oder Eraͤugniß, welche einen andern Zuſtand voraus- ſezt, darin die Urſache angetroffen werde und ſo iſt alles, was geſchieht, nur eine Fortſetzung der Reihe und kein Anfang, der ſich von ſelbſt zutruͤge, in derſelben moͤglich. Alſo [544/0574] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Alſo ſind alle Handlungen der Natururſachen in der Zeit- folge ſelbſt wiederum Wirkungen, die ihre Urſachen eben ſo wol in der Zeitreihe vorausſetzen. Eine urſpruͤngliche Handlung, wodurch etwas geſchieht, was vorher nicht war, iſt von der Cauſſalverknuͤpfung der Erſcheinungen nicht zu erwarten. Iſt es denn aber auch nothwendig: daß, wenn die Wirkungen Erſcheinungen ſind, die Cauſſalitaͤt ihrer Urſache, die (nemlich Urſache) ſelbſt auch Erſcheinung iſt, lediglich empiriſch ſeyn muͤſſe und iſt es nicht vielmehr moͤglich: daß, obgleich zu ieder Wirkung in der Erſcheinung eine Ver- knuͤpfung mit ihrer Urſache, nach Geſetzen der empiriſchen Cauſſalitaͤt, allerdings erfodert wird, dennoch dieſe empiri- ſche Cauſſalitaͤt ſelbſt, ohne ihren Zuſammenhang mit den Natururſachen im mindeſten zu unterbrechen, doch einer Wir- kung einer nichtempiriſchen, ſondern intelligibelen Cauſſali- taͤt ſeyn koͤnne, d. i. einer, in Anſehung der Erſcheinungen, urſpruͤnglichen Handlung einer Urſache, die alſo in ſo fern nicht Erſcheinung, ſondern dieſem Vermoͤgen nach intelli- gibel iſt, ob ſie gleich uͤbrigens gaͤnzlich, als ein Glied der Naturkette, mit zu der Sinnenwelt gezaͤhlt werden muß. Wir beduͤrfen des Satzes der Cauſſalitaͤt der Erſchei- nungen unter einander, um von Naturbegebenheiten Natur- bedingungen, d. i. Urſachen in der Erſcheinung, zu ſuchen und angeben zu koͤnnen. Wenn dieſes eingeraͤumt und durch keine Ausnahme geſchwaͤcht wird, ſo hat der Ver- ſtand, der bey ſeinem empiriſchen Gebrauche in allen Er- aͤugniſſen [545/0575] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. aͤugniſſen nichts als Natur ſieht und dazu auch berechtigt iſt, alles, was er fodern kan, und die phyſiſche Erklaͤrun- gen gehen ihren ungehinderten Gang fort. Nun thut ihm das nicht den mindeſten Abbruch, geſezt daß es uͤbrigens auch blos erdichtet ſeyn ſolte, wenn man annimt: daß un- ter den Natururſachen es auch welche gebe, die ein Ver- moͤgen haben, welches nur intelligibel iſt, indem die Be- ſtimmung deſſelben zur Handlung niemals auf empiriſchen Bedingungen, ſondern auf bloſſen Gruͤnden des Verſtan- des beruht, ſo doch, daß die Handlung in der Erſchei- nung von dieſer Urſache allen Geſetzen der empiriſchen Cauſſalitaͤt gemaͤß ſey. Denn auf dieſe Art wuͤrde das handelnde Subiect, als cauſſa phaenomenon, mit der Natur in unzertrenter Abhaͤngigkeit aller ihrer Handlun- gen verkettet ſeyn und nur das phaenomenon dieſes Sub- iects (mit aller Cauſſalitaͤt deſſelben in der Erſcheinung) wuͤrde gewiſſe Bedingungen enthalten, die, wenn man von dem empiriſchen Gegenſtande zu dem transſcenden- talen aufſteigen will, als blos intelligibel muͤßten angeſe- hen werden. Denn wenn wir nur in dem, was unter den Erſcheinungen die Urſache ſeyn mag, der Naturregel folgen: ſo koͤnnen wir daruͤber unbekuͤmmert ſeyn, was in dem transſcendentalen Subiect, welches uns empiriſch unbekant iſt, vor ein Grund von dieſen Erſcheinungen und deren Zuſammenhange gedacht werde. Dieſer intelligibe- le Grund ficht gar nicht die empiriſche Fragen an, ſon- dern betrift etwa blos das Denken im reinen Verſtande und, M m [546/0576] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. und, obgleich die Wirkungen dieſes Denkens und Handeins des reinen Verſtandes in den Erſcheinungen angetroffen werden, ſo muͤſſen dieſe doch nichts deſto minder aus ih- rer Urſache in der Erſcheinung nach Naturgeſetzen vollkom- men erklaͤrt werden koͤnnen, indem man den blos empiri- ſchen Character derſelben, als den oberſten Erklaͤrungs- grund, befolgt, und den intelligibelen Character, der die transſcendentale Urſache von ienem iſt, gaͤnzlich als unbe- kant vorbey geht, auſſer ſo fern er nur durch den empiri- ſchen, als das ſinnliche Zeichen deſſelben angegeben wird. Laßt uns dieſes auf Erfahrung anwenden. Der Menſch iſt eine von den Erſcheinungen der Sinnenwelt, und in ſo fern auch eine der Natururſachen, deren Cauſſalitaͤt un- ter empiriſchen Geſetzen ſtehen muß. Als eine ſolche muß er demnach auch einen empiriſchen Character haben, ſo wie alle andere Naturdinge. Wir bemerken denſelben durch Kraͤfte und Vermoͤgen, die er in ſeinen Wirkungen aͤuſſert. Bey der lebloſen, oder blos thieriſchbelebten Natur, finden wir keinen Grund, irgend ein Vermoͤgen uns anders, als blos ſinnlich bedingt zu denken. Allein der Menſch, der die ganze Natur ſonſt lediglich nur durch Sinne kent, erkent ſich ſelbſt auch durch bloſſe Appercep- tion und zwar in Handlungen und inneren Beſtimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zaͤhlen kan, und iſt ſich ſelbſt freilich eines Theils Phaͤnomen, anderen Theils aber, nemlich in Anſehung gewiſſer Vermoͤgen, ein blos intelligibeler Gegenſtand, weil die Handlung deſſelben gar [547/0577] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. gar nicht zur Receptivitaͤt der Sinnlichkeit gezaͤhlt werden kan. Wir nennen dieſe Vermoͤgen Verſtand und Ver- nunft, vornemlich wird die leztere ganz eigentlich und vor- zuͤglicher Weiſe von allen empiriſchbedingten Kraͤften unter- ſchieden, da ſie ihre Gegenſtaͤnde blos nach Ideen erwaͤgt und den Verſtand darnach beſtimt, der denn von ſeinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empiriſchen Gebrauch macht. Daß dieſe Vernunft nun Cauſſalitaͤt habe, wenig- ſtens wir uns eine dergleichen an ihr vorſtellen, iſt aus den Imperativen klar, welche wir in allem Practiſchen den ausuͤbenden Kraͤften als Regeln aufgeben. Das Sollen druͤckt eine Art von Nothwendigkeit und Verknuͤp- fung mit Gruͤnden aus, die in der ganzen Natur ſonſt nicht vorkomt. Der Verſtand kan von dieſer nur erken- nen, was da iſt, oder geweſen iſt, oder ſeyn wird. Es iſt unmoͤglich, daß etwas darin anders ſeyn ſoll, als es in allen dieſen Zeitverhaͤltniſſen in der That iſt, ia das Sollen, wenn man blos den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir koͤnnen gar nicht fragen: was in der Natur geſchehen ſoll, eben ſo wenig, als: was vor Eigenſchaften ein Cirkel haben ſoll, ſondern was darin geſchieht, oder welche Eigenſchaf- ten der leztere hat. Dieſes Sollen nun druͤkt eine moͤgliche Handlung aus, davon der Grund nichts anders, als ein bloſſer Be- griff, iſt; dahingegen von einer bloſſen Naturhandlung der Grund M m 2 [548/0578] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Grund iederzeit eine Erſcheinung ſeyn muß. Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen moͤglich ſeyn, wenn auf ſie das Sollen gerichtet iſt; aber dieſe Naturbedingungen betreffen nicht die Beſtimmung der Willkuͤhr ſelbſt, ſondern nur die Wirkung und den Erfolg derſelben in der Erſcheinung. Es moͤgen noch ſo viel Na- turgruͤnde ſeyn, die mich zum Wollen antreiben, noch ſo viel ſinnliche Anreitze, ſo koͤnnen ſie nicht das Sollen her- vorbringen; ſondern nur ein noch lange nicht nothwen- diges, ſondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausſpricht, Maas und Ziel, ia Verbot und Anſehen entgegen ſezt. Es mag ein Gegenſtand der bloſſen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) ſeyn: ſo giebt die Vernunft nicht demienigen Grunde, der empiriſch gegeben iſt, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, ſo wie ſie ſich in der Erſcheinung darſtellen, ſondern macht ſich mit voͤlliger Spontaneitaͤt eine eigene Ordnung nach Ideen, in die ſie die empiriſche Bedingungen hinein paßt, und nach denen ſie ſo gar Handlungen vor nothwendig er- klaͤrt, die doch nicht geſchehen ſind und vielleicht nicht geſchehen werden, von allen aber gleichwol vorausſezt, daß die Vernunft in Beziehung auf ſie Cauſſalitaͤt haben koͤnne; denn, ohne das, wuͤrde ſie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten. Nun laßt uns hiebey ſtehen bleiben und es wenig- ſtens als Moͤglich annehmen: die Vernunft habe wirklich Cauſ- [549/0579] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Cauſſalitaͤt in Anſehung der Erſcheinungen: ſo muß ſie, ſo ſehr ſie auch Vernunft iſt, dennoch einen empiriſchen Cha- racter von ſich zeigen, weil iede Urſach eine Regel voraus- ſezt, darnach gewiſſe Erſcheinungen als Wirkungen folgen, und iede Regel eine Gleichfoͤrmigkeit der Wirkungen erfo- dert, die den Begriff der Urſache (als eines Vermoͤgens) gruͤndet, welchen wir, ſo fern er aus bloſſen Erſcheinun- gen erhellen muß, ſeinen empiriſchen Character heiſſen koͤnnen, der beſtaͤndig iſt, indeſſen die Wirkungen, nach Verſchiedenheit der begleitenden und zum Theil einſchraͤn- kenden Bedingungen, in veraͤnderlichen Geſtalten er- ſcheinen. So hat denn ieder Menſch einen empiriſchen Cha- racter ſeiner Willkuͤhr, welcher nichts anders iſt, als eine gewiſſe Cauſſalitaͤt ſeiner Vernunft, ſo fern dieſe an ihren Wirkungen in der Erſcheinung eine Regel zeigt, darnach man die Vernunftgruͤnde und die Handlungen derſelben nach ihrer Art und ihren Graden abnehmen, und die ſubiective Principien ſeiner Willkuͤhr beurtheilen kan. Weil dieſer empiriſche Character ſelbſt aus den Erſcheinun- gen als Wirkung und aus der Regel derſelben, welche Erfahrung an die Hand giebt, gezogen werden muß: ſo ſind alle Handlungen des Menſchen in der Erſcheinung aus ſeinem empiriſchen Character und den mitwirkenden anderen Urſachen nach der Ordnung der Natur beſtimt und, wenn wir alle Erſcheinungen ſeiner Willkuͤhr bis auf den M m 3 [550/0580] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. den Grund erforſchen koͤnten, ſo wuͤrde es keine einzige menſchliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewisheit vorherſagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen koͤnten. In Anſehung dieſes em- piriſchen Characters giebt es alſo keine Freiheit und nach dieſem koͤnnen wir doch allein den Menſchen betrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthro- pologie geſchieht, von ſeinen Handlungen die bewegende Urſachen phyſiologiſch erforſchen wollen. Wenn wir aber eben dieſelbe Handlungen in Be- ziehung auf die Vernunft erwaͤgen und zwar nicht die ſpeculative, um iene ihrem Urſprunge nach zu erklaͤren, ſondern ganz allein, ſo fern Vernunft die Urſache iſt, ſie ſelbſt zu erzeugen, mit einem Worte, vergleichen wir ſie mit dieſer in practiſcher Abſicht: ſo finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung iſt. Denn da ſolte vielleicht alles das nicht geſchehen ſeyn, was doch nach dem Naturlaufe geſchehen iſt und nach ſei- nen empiriſchen Gruͤnden unausbleiblich geſchehen mußte. Bisweilen aber finden wir, oder glauben wenigſtens zu fin- den: daß die Ideen der Vernunft wirklich Cauſſalitaͤt in Anſehung der Handlungen des Menſchen, als Erſcheinun- gen, bewieſen haben, und daß ſie darum geſchehen ſind, nicht weil ſie durch empiriſche Urſachen, nein, ſondern weil ſie durch Gruͤnde der Vernunft beſtimt waren. Geſezt [551/0581] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Geſezt nun, man koͤnte ſagen: die Vernunft habe Cauſſalitaͤt in Anſehung der Erſcheinung; koͤnte da wohl die Handlung derſelben frey heiſſen, da ſie im empiriſchen Character derſelben (der Sinnesart) ganz genau beſtimt und nothwendig iſt. Dieſer iſt wiederum im intelligibelen Character (der Denkungsart) beſtimt. Die leztere kennen wir aber nicht, ſondern bezeichnen ſie durch Erſcheinungen, welche eigentlich nur die Sinnesart (empiriſchen Character) un- mittelbar zu erkennen geben *). Die Handlung nun, ſo fern ſie der Denkungsart, als ihrer Urſache, beizumeſſen iſt, er- folgt dennoch daraus gar nicht nach empiriſchen Geſetzen, d. i. ſo, daß die Bedingungen der reinen Vernunft, ſon- dern nur ſo, daß deren Wirkungen in der Erſcheinung des inneren Sinnes vorhergehen. Die reine Vernunft, als ein blos intelligibeles Vermoͤgen, iſt der Zeitform, und mithin auch den Bedingungen der Zeitfolge, nicht unter- worfen. Die Cauſſalitaͤt der Vernunft im intelligibelen Character entſteht nicht, oder hebt nicht etwa zu einer gewiſſen Zeit an, um eine Wirkung hervorzubringen. Denn ſonſt *) Die eigentliche Moralitaͤt der Handlungen (Verdienſt und Schuld) bleibt uns daher, ſelbſt die, unſeres eigenen Verhaltens, gaͤnzlich verborgen. Unſere Zurechnungen koͤnnen nur auf den empiriſchen Character bezogen wer- den. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloſſen Natur und dem unverſchuldeten Feh- ler des Temperaments, oder deſſen gluͤcklicher Beſchaffen- heit (merito fortunae) zuzuſchreiben ſey, kan niemand ergruͤnden, und daher auch nicht nach voͤlliger Gerechtig- keit richten. M m 4 [552/0582] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ſonſt wuͤrde ſie ſelbſt dem Naturgeſetz der Erſcheinungen, ſo fern es Cauſſalreihen der Zeit nach beſtimt, unterwor- fen ſeyn, und die Cauſſalitaͤt waͤre alsdenn Natur, und nicht Freiheit. Alſo werden wir ſagen koͤnnen: wenn Vernunft Cauſſalitaͤt in Anſehung der Erſcheinungen ha- ben kan: ſo iſt ſie ein Vermoͤgen, durch welches die ſinn- liche Bedingung einer empiriſchen Reihe von Wirkungen zuerſt anfaͤngt. Denn die Bedingung, die in der Ver- nunft liegt, iſt nicht ſinnlich und faͤngt alſo ſelbſt nicht an. Demnach findet alsdenn dasienige ſtatt, was wir in allen empiriſchen Reihen vermißten: daß die Bedin- gung einer ſucceſſiven Reihe von Begebenheiten ſelbſt em- piriſchunbedingt ſeyn konte. Denn hier iſt die Bedingung auſſer der Reihe der Erſcheinungen (im Intelligibelen) und mithin keiner ſinnlichen Bedingung und keiner Zeitbeſtim- mung durch vorhergehende Urſache unterworfen. Gleichwol gehoͤrt doch eben dieſelbe Urſache in einer andern Beziehung auch zur Reihe der Erſcheinungen. Der Menſch iſt ſelbſt Erſcheinung. Seine Willkuͤhr hat einen empiriſchen Character, der die (empiriſche) Urſache aller ſeiner Handlungen iſt. Es iſt keine der Bedingungen, die den Menſchen dieſem Character gemaͤß beſtimmen, welche nicht in der Reihe der Naturwirkungen enthalten waͤ- re und dem Geſetze derſelben gehorchte, nach welchem gar keine empiriſchunbedingte Cauſſalitaͤt von dem, was in der Zeit geſchieht, angetroffen wird. Daher kan keine gege- bene Handlung (weil ſie nur als Erſcheinung wahrgenom- men [553/0583] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. men werden kan) ſchlechthin von ſelbſt anfangen. Aber von der Vernunft kan man nicht ſagen: daß vor demieni- gen Zuſtande, darin ſie die Willkuͤhr beſtimt, ein anderer vorhergehe, darin dieſer Zuſtand ſelbſt beſtimt wird. Denn da Vernunft ſelbſt keine Erſcheinung und gar keinen Bedin- gungen der Sinnlichkeit unterworfen iſt, ſo findet in ihr, ſelbſt in Betreff ihrer Cauſſalitaͤt, keine Zeitfolge ſtatt und auf ſie kan alſo das dynamiſche Geſetz der Natur, was die Zeitfolge nach Regeln beſtimt, nicht angewandt werden. Die Vernunft iſt alſo die beharrliche Bedingung al- ler willkuͤhrlichen Handlungen, unter denen der Menſch erſcheint. Jede derſelben iſt im empiriſchen Character des Menſchen vorher beſtimt, ehe noch als ſie geſchieht. In Anſehung des intelligibelen Characters, wovon iener nur das ſinnliche Schema iſt, gilt kein Vorher, oder Nachher und iede Handlung, unangeſehen des Zeitverhaͤltniſſes, darin ſie mit anderen Erſcheinungen ſteht, iſt die unmit- telbare Wirkung des intelligibelen Characters der reinen Vernunft, welche mithin frey handelt, ohne in der Kette der Natururſachen, durch aͤuſſere oder innere, aber der Zeit nach vorhergehende Gruͤnde, dynamiſch beſtimt zu ſeyn, und dieſe ihre Freiheit kan man nicht allein nega- tiv, als Unabhaͤngigkeit von empiriſchen Bedingungen an- ſehen, (denn dadurch wuͤrde das Vernunftvermoͤgen auf- hoͤren, eine Urſache der Erſcheinungen zu ſeyn), ſondern auch M m 5 [554/0584] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. auch poſitiv, durch ein Vermoͤgen bezeichnen, eine Reihe von Begebenheiten von ſelbſt anzufangen, ſo, daß in ihr ſelbſt nichts anfaͤngt, ſondern ſie, als unbedingte Bedin- gung ieder willkuͤhrlichen Handlung, uͤber ſich keine der Zeit nach vorhergehende Bedingungen verſtattet, indeſſen daß doch ihre Wirkung in der Reihe der Erſcheinungen anfaͤngt, aber darin niemals einen ſchlechthin erſten An- fang ausmachen kan. Um das regulative Princip der Vernunft durch ein Beiſpiel aus dem empiriſchen Gebrauch deſſelben zu erlaͤu- tern, nicht um es zu beſtaͤtigen, (denn dergleichen Be- weiſe ſind zu transſcendentalen Behauptungen untauglich), ſo nehme man eine willkuͤhrliche Handlung, z. E. eine bos- hafte Luͤge, durch die ein Menſch eine gewiſſe Verwirrung in die Geſellſchaft gebracht hat, und die man zuerſt ihren Bewegurſachen nach, woraus ſie entſtanden, unterſucht und darauf beurtheilt, wie ſie ſamt ihren Folgen ihm zu- gerechnet werden koͤnnen. In der erſten Abſicht geht man ſeinen empiriſchen Character bis zu den Quellen deſſelben durch, die man in der ſchlechten Erziehung, uͤbler Geſell- ſchaft, zum Theil auch in der Boͤsartigkeit, eines vor Beſchaͤmung unempfindlichen Naturels, aufſucht, zum Theil auf den Leichtſinn und Unbeſonnenheit ſchiebt; wo- bey man denn die veranlaſſende Gelegenheitsurſachen nicht aus der Acht laͤßt. In allem dieſem verfaͤhrt man, wie uͤberhaupt in Unterſuchung der Reihe beſtimmender Urſachen zu einer gegebenen Naturwirkung. Ob man nun gleich die [555/0585] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. die Handlung dadurch beſtimt zu ſeyn glaubt: ſo tadelt man nichts deſtoweniger den Thaͤter und zwar nicht we- gen ſeines ungluͤcklichen Naturels, nicht wegen der auf ihn einflieſſenden Umſtaͤnde, ia ſo gar nicht wegen ſeines vorhergefuͤhrten Lebenswandels, denn man ſezt voraus, man koͤnne es gaͤnzlich bey Seite ſetzen, wie dieſer beſchaf- fen geweſen, und die verfloſſene Reihe von Bedingungen als ungeſchehen, dieſe That aber als gaͤnzlich unbedingt in Anſehung des vorigen Zuſtandes anſehen, als ob der Thaͤter damit eine Reihe von Folgen ganz von ſelbſt an- hebe. Dieſer Tadel gruͤndet ſich auf ein Geſetz der Ver- nunft, wobey man dieſe als eine Urſache anſieht, welche das Verhalten des Menſchen, unangeſehen aller genanten empiriſchen Bedingungen, anders habe beſtimmen koͤnnen und ſollen. Und zwar ſiehet man die Cauſſalitaͤt der Vernunft nicht etwa blos wie Concurrenz, ſondern an ſich ſelbſt als vollſtaͤndig an, wenn gleich die ſinnliche Trieb- federn gar nicht davor, ſondern wol gar dawider waͤren; die Handlung wird ſeinem intelligibelen Character beyge- meſſen, er hat iezt, in dem Augenblicke, da er luͤgt, gaͤnz- lich Schuld; mithin war die Vernunft, unerachtet aller empiriſchen Bedingungen der That, voͤllig frey und ihrer Unterlaſſung iſt dieſe gaͤnzlich beizumeſſen. Man ſiehet dieſem zurechnenden Urtheile es leicht an: daß man dabey in Gedanken habe, die Vernunft werde durch alle iene Sinnlichkeit gar nicht afficirt, ſie veraͤndere ſich nicht (wenn gleich ihre Erſcheinungen, nem- lich [556/0586] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. lich die Art, wie ſie ſich in ihren Wirkungen zeigt, ver- aͤndern), in ihr gehe kein Zuſtand vorher, der den fol- genden beſtimme, mithin ſie gehoͤre gar nicht in die Reihe der ſinnlichen Bedingungen, welche die Erſcheinungen nach Naturgeſetzen nothwendig machen. Sie, die Vernunft, iſt allen Handlungen des Menſchen in allen Zeitumſtaͤnden gegenwaͤrtig und einerley, ſelbſt aber iſt ſie nicht in der Zeit und geraͤth etwa in einen neuen Zuſtand, darin ſie vorher nicht war; ſie iſt beſtimmend, aber nicht beſtim- bar in Anſehung deſſelben. Daher kan man nicht fragen: warum hat ſich nicht die Vernunft anders beſtimt, ſon- dern nur: warum hat ſie die Erſcheinungen durch ihre Cauſſalitaͤt nicht anders beſtimt. Darauf aber iſt keine Antwort moͤglich. Denn ein anderer intelligibeler Character wuͤrde einen andern empiriſchen gegeben ha- ben und, wenn wir ſagen: daß unerachtet ſeines ganzen, bis dahin gefuͤhrten, Lebenswandels, der Thaͤter die Luͤge doch haͤtte unterlaſſen koͤnnen, ſo bedeutet dieſes nur: daß ſie unmittelbar unter der Macht der Vernunft ſtehe, und die Vernunft in ihrer Cauſſalitaͤt keinen Bedingungen der Erſcheinung und des Zeitlaufs unterworfen iſt, der Unterſchied der Zeit auch, zwar einen Hauptunterſchied der Erſcheinungen reſpective gegen einander, da dieſe aber keine Sachen, mithin auch nicht Urſachen an ſich ſelbſt ſind, keinen Unterſchied der Handlung in Beziehung auf die Vernunft machen koͤnne. Wir [557/0587] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. Wir koͤnnen alſo mit der Beurtheilung freier Hand- lungen, in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, nur bis an die intelligibele Urſache, aber nicht uͤber dieſelbe hinaus kom- men, wir koͤnnen erkennen, daß ſie frey, d. i. von der Sinnlichkeit unabhaͤngig beſtimt und, auf ſolche Art, die ſinnlichunbedingte Bedingung der Erſcheinungen ſeyn koͤn- ne. Warum aber der intelligibele Character gerade dieſe Erſcheinungen und dieſen empiriſchen Character unter vor- liegenden Umſtaͤnden gebe, das uͤberſchreitet ſo weit alles Vermoͤgen unſerer Vernunft es zu beantworten, ia alle Befugniß derſelben nur zu fragen, als ob man fruͤge: woher der transſcendentale Gegenſtand unſerer aͤuſſeren ſinnlichen Anſchauung gerade nur Anſchauung im Raume und nicht irgend eine andere giebt. Allein die Aufgabe, die wir aufzuloͤſen hatten, verbindet uns hiezu gar nicht, denn ſie war nur dieſe: ob Freiheit der Naturnothwendig- keit in einer und derſelben Handlung widerſtreite und die- ſes haben wir hinreichend beantwortet, da wir zeigten: daß, da bey iener eine Beziehung auf eine ganz andere Art von Bedingungen moͤglich iſt, als bey dieſer, das Geſetz der lezteren die erſtere nicht afficire, mithin beide von einander unabhaͤngig und durch einander ungeſtoͤrt ſtatt finden koͤnnen. Man muß wol bemerken: daß wir hiedurch nicht die Wirklichkeit der Freiheit als einer der Vermoͤgen, welche [558/0588] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. welche die Urſache von den Erſcheinungen unſerer Sinnen- welt enthalten, haben darthun wollen. Denn auſſer, daß dieſes gar keine transſcendentale Betrachtung, die blos mit Begriffen zu thun hat, geweſen ſeyn wuͤrde: ſo koͤnte es auch nicht gelingen, indem wir aus der Erfahrung niemals auf etwas, was gar nicht nach Erfahrungsgeſetzen gedacht werden muß, ſchlieſſen koͤnnen. Ferner haben wir auch gar nicht einmal die Moͤglichkeit der Freiheit beweiſen wollen; denn dieſes waͤre auch nicht gelungen, weil wir uͤberhaupt von keinem Realgrunde und keiner Cauſſalitaͤt, aus bloſſen Begriffen a priori, die Moͤglich- keit erkennen koͤnnen. Die Freiheit wird hier nur als transſcendentale Idee behandelt, wodurch die Vernunft die Reihe der Bedingungen in der Erſcheinung durch das Sinnlichunbedingte ſchlechthin anzuheben denkt, dabey ſich aber in eine Antinomie mit ihren eigenen Geſetzen, welche ſie dem empiriſchen Gebrauche des Verſtandes vorſchreibt, verwikelt. Daß nun dieſe Antinomie auf einem bloſſen Scheine beruhe und, daß Natur der Cauſſalitaͤt aus Frei- heit wenigſtens nicht widerſtreite, das war das einzige, was wir leiſten konten und woran es uns auch einzig und allein gelegen war. IV. Auf- [559/0589] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. IV. Aufloͤſung der cosmologiſchen Idee, von der Totalitaͤt der Abhaͤngigkeit der Erſcheinungen, ihrem Daſeyn nach uͤberhaupt. In der vorigen Nummer betrachteten wir die Ver- aͤnderungen der Sinnenwelt in ihrer dynamiſchen Reihe, da eine iede unter einer andern, als ihrer Urſache, ſteht. Jezt dient uns dieſe Reihe der Zuſtaͤnde nur zur Leitung, um zu einem Daſeyn zu gelangen, das die hoͤchſte Bedin- gung alles Veraͤnderlichen ſeyn koͤnne, nemlich dem noth- wendigen Weſen. Es iſt hier nicht um die unbedingte Cauſſalitaͤt, ſondern die unbedingte Exiſtenz der Subſtanz ſelbſt zu thun. Alſo iſt die Reihe, welche wir vor uns haben, eigentlich nur die, von Begriffen und nicht von Anſchauungen, in ſo fern die eine die Bedingung der an- dern iſt. Man ſiehet aber leicht: daß, da alles in dem In- begriffe der Erſcheinungen veraͤnderlich, mithin im Daſeyn bedingt iſt, es uͤberall in der Reihe des abhaͤngigen Da- ſeyns kein unbedingtes Glied geben koͤnne, deſſen Exiſtenz ſchlechthin nothwendig waͤre, und daß alſo, wenn Er- ſcheinungen Dinge an ſich ſelbſt waͤren, eben darum aber ihre Bedingung mit dem Bedingten iederzeit zu einer und derſelben Reihe der Anſchauungen gehoͤrete, ein nothwendi- ges [560/0590] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ges Weſen, als Bedingung des Daſeyns der Erſcheinun- gen der Sinnenwelt, niemals ſtatt finden koͤnte. Es hat aber der dynamiſche Regreſſus dieſes Eigen- thuͤmliche und Unterſcheidende von dem mathematiſchen an ſich: daß, da dieſer es eigentlich nur mit der Zuſammen- ſetzung der Theile zu einem Ganzen, oder der Zerfaͤllung eines Ganzen in ſeine Theile, zu thun hat, die Bedingun- gen dieſer Reihe immer als Theile derſelben, mithin als gleichartig, folglich als Erſcheinungen angeſehen werden muͤſſen, an ſtatt daß in ienem Regreſſus, da es nicht um die Moͤglichkeit eines unbedingten Ganzen aus gegebenen Theilen, oder eines unbedingten Theils zu einem gegebe- nen Ganzen, ſondern um die Ableitung eines Zuſtandes von ſeiner Urſache, oder des zufaͤlligen Daſeyns der Sub- ſtanz ſelbſt von der nothwendigen zu thun iſt, die Bedin- gung nicht eben nothwendig mit dem Bedingten eine em- piriſche Reihe ausmachen duͤrfe. Alſo bleibt uns, bey der vor uns liegenden ſcheinba- ren Antinomie, noch ein Ausweg offen: da nemlich alle beide einander widerſtreitende Saͤtze in verſchiedener Be- ziehung zugleich wahr ſeyn koͤnnen, ſo, daß alle Dinge der Sinnenwelt durchaus zufaͤllig ſind, mithin auch immer nur empiriſchbedingte Exiſtenz haben, gleichwol von der ganzen Reihe, auch eine nichtempiriſche Bedingung, d. i. ein unbedingtnothwendiges Weſen ſtatt finde. Denn die- ſes wuͤrde, als intelligibele Bedingung, gar nicht zur Reihe als ein Glied derſelben (nicht einmal als das oberſte Glied) gehoͤ- [561/0591] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. gehoͤren, und auch kein Glied der Reihe empiriſchunbedingt machen, ſondern die ganze Sinnenwelt, in ihrem durch alle Glieder gehenden empiriſchbedingten Daſeyn, laſſen. Darin wuͤrde ſich alſo dieſe Art, ein unbedingtes Daſeyn den Erſcheinungen zum Grunde zu legen, von der empi- riſchunbedingten Cauſſalitaͤt (der Freiheit), im vorigen Artikel, unterſcheiden: daß, bey der Freiheit, das Ding ſelbſt, als Urſache (Subſtantia phænomenon), dennoch in der Reihe der Bedingungen gehoͤrete und nur ſeine Cauſſalitaͤt als intelligibel gedacht wurde, hier aber das nothwendige Weſen ganz auſſer der Reihe der Sinnen- welt (als ens extramundanum) und blos intelligibel ge- dacht werden muͤßte, wodurch allein es verhuͤtet werden kann: daß es nicht ſelbſt dem Geſetze der Zufaͤlligkeit und Abhaͤngigkeit aller Erſcheinungen unterworfen werde. Das regulative Princip der Vernunft iſt alſo in Anſehung dieſer unſerer Aufgabe: daß alles in der Sin- nenwelt empiriſchbedingte Exiſtenz habe, und daß es uͤber- all in ihr, in Anſehung keiner Eigenſchaft eine unbedingte Nothwendigkeit gebe: daß kein Glied der Reihe von Be- dingungen ſey, davon man nicht immer die empiriſche Be- dingung in einer moͤglichen Erfahrung erwarten und, ſo weit man kan, ſuchen muͤſſe und nichts uns berechtige, irgend ein Daſeyn von einer Bedingung auſſerhalb der empiriſchen Reihe abzuleiten, oder auch es als in der Reihe ſelbſt vor ſchlechterdings unabhaͤngig und ſelbſtſtaͤndig zu halten, gleichwol aber dadurch gar nicht in Abrede zu ziehen, daß N n [562/0592] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. daß nicht die ganze Reihe in irgend einem intelligi- belen Weſen, (welches darum von aller empiriſchen Be- dingung frey iſt und vielmehr den Grund der Moͤglichkeit aller dieſer Erſcheinungen enthaͤlt), gegruͤndet ſeyn koͤnne. Es iſt aber hiebey gar nicht die Meinung, das un- bedingtnothwendige Daſeyn eines Weſens zu beweiſen, oder auch nur die Moͤglichkeit einer blos intelligibelen Bedingung der Exiſtenz der Erſcheinungen der Sinnen- welt hierauf zu gruͤnden, ſondern nur eben ſo, wie wir die Vernunft einſchraͤnken, daß ſie nicht den Faden der empiriſchen Bedingungen verlaſſe, und ſich in transſcen- dente und keiner Darſtellung in concreto faͤhige Erklaͤ- rungsgruͤnde verlaufe, alſo auch, anderer Seits, das Ge- ſetz des blos empiriſchen Verſtandesgebrauchs dahin einzu- ſchraͤnken: daß es nicht uͤber die Moͤglichkeit der Din- ge uͤberhaupt entſcheide und das Intelligibele, ob es gleich von uns zur Erklaͤrung der Erſcheinungen nicht zu ge- brauchen iſt, darum nicht vor unmoͤglich erklaͤre. Es wird alſo dadurch nur gezeigt: daß die durchgaͤngige Zu- faͤlligkeit aller Naturdinge und aller ihrer (empiriſchen) Bedingungen, ganz wol mit der willkuͤhrlichen Voraus- ſetzung einer nothwendigen, ob zwar blos intelligibelen Bedingung zuſammen beſtehen koͤnne, alſo kein wahrer Widerſpruch zwiſchen dieſen Behauptungen anzutreffen ſey, mithin ſie beiderſeits wahr ſeyn koͤnnen. Es mag immer ein ſolches ſchlechthinnothwendiges Verſtandeswe- ſen an ſich unmoͤglich ſeyn, ſo kan dieſes doch aus der allge- [563/0593] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. allgemeinen Zufaͤlligkeit und Abhaͤngigkeit alles deſſen, was zur Sinnenwelt gehoͤrt, imgleichen aus dem Princip: bey keinem einzigen Gliede derſelben, ſo fern es zufaͤllig iſt, aufzuhoͤren und ſich auf eine Urſache auſſer der Welt zu be- rufen, keinesweges geſchloſſen werden. Die Vernunft geht ihren Gang im empiriſchen und ihren beſondern Gang im transſcendentalen Gebrauche. Die Sinnenwelt enthaͤlt nichts als Erſcheinungen, dieſe aber ſind bloſſe Vorſtellungen, die immer wiederum ſinnlich bedingt ſind und, da wir hier niemals Dinge an ſich ſelbſt zu unſeren Gegenſtaͤnden haben, ſo iſt nicht zu verwundern: daß wir niemals berechtigt ſeyn, von einem Gliede der empiriſchen Reihen, welches es auch ſey, einen Sprung auſſer dem Zuſammenhange der Sinnlich- keit zu thun, gleich als wenn es Dinge an ſich ſelbſt waͤ- ren, die auſſer ihrem transſcendentalen Grunde exiſtireten und die man verlaſſen koͤnte, um die Urſache ihres Da- ſeyns auſſer ihnen zu ſuchen; welches bey zufaͤlligen Din- gen allerdings endlich geſchehen muͤßte, aber nicht bey bloſſen Vorſtellungen von Dingen, deren Zufaͤlligkeit ſelbſt nur Phaͤnomen iſt und auf keinen andern Regreſſus, als denienigen, der die Phaͤnomena beſtimt, d. i. der empi- riſch iſt, fuͤhren kan. Sich aber einen intelligibelen Grund der Erſcheinungen, d. i. der Sinnenwelt, und denſelben befreit von der Zufaͤlligkeit der lezteren, denken, iſt we- der dem uneingeſchraͤnkten empiriſchen Regreſſus in der Reihe der Erſcheinungen, noch der durchgaͤngigen Zufaͤl- lig- N n 2 [564/0594] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. ligkeit derſelben entgegen. Das iſt aber auch das Einzige, was wir zu Hebung der ſcheinbaren Antinomie, zu leiſten hatten, und was ſich nur auf dieſe Weiſe thun ließ. Denn iſt die iedesmalige Bedingung zu iedem Bedingten (dem Daſeyn nach) ſinnlich und eben darum zur Reihe gehoͤ- rig, ſo iſt ſie ſelbſt wiederum bedingt (wie die Antitheſis der vierten Antinomie es ausweiſet). Es mußte alſo ent- weder ein Widerſtreit mit der Vernunft, die das Unbe- dingte fodert, bleiben, oder dieſes auſſer der Reihe in dem Intelligibelen geſezt werden, deſſen Nothwendigkeit keine empiriſche Bedingung erfodert, noch verſtattet, und alſo, reſpective auf Erſcheinungen, unbedingt nothwendig iſt. Der empiriſche Gebrauch der Vernunft (in Anſe- hung der Bedingungen des Daſeyns in der Sinnenwelt) wird durch die Einraͤumung eines blos intelligibelen We- ſens nicht afficirt, ſondern geht nach dem Princip der durchgaͤngigen Zufaͤlligkeit, von empiriſchen Bedingungen zu hoͤheren, die immer eben ſowol empiriſch ſeyn. Eben ſo wenig ſchließt aber auch dieſer regulative Grundſatz die Annehmung einer intelligibelen Urſache, die nicht in der Reihe iſt, aus, wenn es um den reinen Gebrauch der Vernunft (in Anſehung der Zwecke) zu thun iſt. Denn da bedeutet iene nur den, vor uns blos transſcendentalen und unbekanten Grund der Moͤglichkeit der ſinnlichen Rei- he uͤberhaupt, deſſen, von allen Bedingungen der lezteren unabhaͤngiges und, in Anſehung dieſer, unbedingtnothwen- diges [565/0595] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. diges Daſeyn der unbegraͤnzten Zufaͤlligkeit der erſteren, und darum auch, dem nirgend geendigten Regreſſus in der Reihe empiriſcher Bedingungen gar nicht entgegen iſt. Schlußanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft. So lange wir mit unſeren Vernunftbegriffen blos die Totalitaͤt der Bedingungen in der Sinnenwelt und, was in Anſehung ihrer der Vernunft zu Dienſten geſchehen kan, zum Gegenſtande haben: ſo ſind unſere Ideen zwar trans- ſcendental, aber doch cosmologiſch. So bald wir aber das Unbedingte (um das es doch eigentlich zu thun iſt) in demienigen ſetzen, was ganz auſſerhalb der Sinnenwelt, mithin auſſer aller moͤglichen Erfahrung iſt, ſo werden die Ideen transſcendent; ſie dienen nicht blos zur Vollendung des empiriſchen Vernunftgebrauchs (der immer eine nie auszufuͤhrende, aber dennoch zu befolgende Idee bleibt), ſondern ſie trennen ſich davon gaͤnzlich und machen ſich ſelbſt Gegenſtaͤnde, deren Stoff nicht aus Erfahrung ge- nommen, deren obiective Realitaͤt auch nicht auf der Voll- endung der empiriſchen Reihe, ſondern auf reinen Be- griffen a priori beruht. Dergleichen transſcendente Ideen haben einen blos intelligibelen Gegenſtand, welchen als ein transſcendentales Obiect, von dem man uͤbrigens nichts weis, zuzulaſſen, es allerdings erlaubt iſt, wozu aber, um es, als ein, durch ſeine unterſcheidende und in- nere Praͤdicate beſtimbares Ding zu denken, wir weder Gruͤn- N n 3 [566/0596] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Gruͤnde der Moͤglichkeit (als unabhaͤngig von allen Er- fahrungsbegriffen), noch die mindeſte Rechtfertigung, ei- nen ſolchen Gegenſtand anzunehmen, auf unſerer Seite haben und welches daher ein bloſſes Gedankending iſt. Gleichwol dringt uns, unter allen cosmologiſchen Ideen, dieienige, ſo die vierte Antinomie veranlaßte, dieſen Schritt zu wagen. Denn das in ſich ſelbſt ganz und gar nicht ge- gruͤndete, ſondern ſtets bedingte Daſeyn der Erſcheinun- gen, fodert uns auf: uns nach etwas, von allen Erſchei- nungen Unterſchiedenem, mithin einem intelligibelen Ge- genſtande umzuſehen, bey welchem dieſe Zufaͤlligkeit auf- hoͤre. Weil aber, wenn wir uns einmal die Erlaubniß genommen haben, auſſer dem Felde der geſamten Sinnlich- keit eine vor ſich beſtehende Wirklichkeit anzunehmen, Erſcheinungen nur als zufaͤllige Vorſtellungsarten intelligi- beler Gegenſtaͤnde, von ſolchen Weſen, die ſelbſt Intelli- genzen ſind, anzuſehen: ſo bleibt uns nichts anders uͤbrig, als die Analogie, nach der wir die Erfahrungsbegriffe nu- tzen, um uns von intelligibelen Dingen, von denen wir an ſich nicht die mindeſte Kentniß haben, doch irgend eini- gen Begriff zu machen. Weil wir das Zufaͤllige nicht an- ders als durch Erfahrung kennen lernen, hier aber von Dingen, die gar nicht Gegenſtaͤnde der Erfahrung ſeyn ſollen, die Rede iſt, ſo werden wir ihre Kentniß aus dem, was an ſich nothwendig iſt, aus reinen Begriffen von Dingen uͤberhaupt, ableiten muͤſſen. Daher noͤthigt uns der erſte Schritt, den wir auſſer der Sinnenwelt thun, unſere [567/0597] IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche des regul. ꝛc. unſere neue Kentniſſe von der Unterſuchung des ſchlechthin- nothwendigen Weſens anzufangen, und von den Begriffen deſſelben die Begriffe von allen Dingen, ſo fern ſie blos in- telligibel ſind, abzuleiten, und dieſen Verſuch wollen wir in dem folgenden Hauptſtuͤcke anſtellen. Des Zweiten Buchs der transſcendentalen Dialectik Drittes Hauptſtuͤck. Das Ideal der reinen Vernunft. Erſter Abſchnitt. Von dem Ideal uͤberhaupt. Wir haben oben geſehen: daß durch reine Verſtan- desbegriffe, ohne alle Bedingungen der Sinnlich- keit, gar keine Gegenſtaͤnde koͤnnen vorgeſtellet werden, weil die Bedingungen der obiectiven Realitaͤt derſelben fehlen und nichts, als die bloſſe Form des Denkens, in ihnen angetroffen wird. Gleichwol koͤnnen ſie in concreto dargeſtellet werden, wenn man ſie auf Erſcheinungen an- wendet; denn an ihnen haben ſie eigentlich den Stoff zum Erfahrungsbegriffe, der nichts als ein Verſtandesbegriff in concreto iſt. Ideen aber ſind noch weiter von der obiectiven Realitaͤt entfernt, als Categorien; denn es kan keine Erſcheinung gefunden werden, an der ſie ſich in concreto vorſtellen ließen. Sie enthalten eine gewiſſe Voll- N n 4 [568/0598] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Vollſtaͤndigkeit, zu welcher keine moͤgliche empiriſche Er- kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine ſyſtematiſche Einheit im Sinne, welcher ſie die empiriſch- moͤgliche Einheit zu naͤhern ſucht, ohne ſie iemals voͤllig zu erreichen. Aber noch weiter, als die Idee, ſcheint dasienige von der obiectiven Realitaͤt entfernt zu ſeyn, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos in concreto, ſondern in indiuiduo, d. i. als ein einzel- nes, durch die Idee allein beſtimbares, oder gar beſtim- tes Ding, verſtehe. Die Menſchheit in ihrer ganzen Vollkommenheit, enthaͤlt nicht allein die Erweiterung aller zu dieſer Natur gehoͤrigen weſentlichen Eigenſchaften, welche unſeren Be- griff von derſelben ausmachen, bis zur vollſtaͤndigen Con- gruenz mit ihren Zwecken, welches unſere Idee der voll- kommenen Menſchheit ſeyn wuͤrde, ſondern auch alles, was auſſer dieſem Begriffe zu der durchgaͤngigen Beſtim- mung der Idee gehoͤret; denn von allen entgegengeſezten Praͤdicaten kan ſich doch nur ein einziges zu der Idee des vollkommenſten Menſchen ſchicken. Was uns ein Ideal iſt, war dem Plato eine Idee des goͤttlichen Ver- ſtandes, ein einzelner Gegenſtand in der reinen Anſchau- ung deſſelben, das Vollkommenſte einer ieden Art moͤgli- cher Weſen und der Urgrund aller Nachbilder in der Er- ſcheinung. Ohne [569/0599] I. Abſch. Von dem Ideal uͤberhaupt. Ohne uns aber ſo weit zu verſteigen, muͤſſen wir geſtehen: daß die menſchliche Vernunft nicht allein Ideen, ſondern auch Ideale enthalte, die zwar nicht, wie die pla- toniſche, ſchoͤpferiſche, aber doch practiſche Kraft (als regulative Principien) haben, und der Moͤglichkeit der Vollkommenheit gewiſſer Handlungen zum Grunde liegen. Moraliſche Begriffe ſind nicht gaͤnzlich reine Vernunftbe- griffe, weil ihnen etwas Empiriſches (Luſt oder Unluſt) zum Grunde liegt. Gleichwol koͤnnen ſie in Anſehung des Princips, wodurch die Vernunft der an ſich geſetzloſen Freiheit Schranken ſezt, (alſo wenn man blos auf ihre Form Acht hat) gar wol zum Beiſpiele reiner Vernunft- begriffe dienen. Tugend und, mit ihr, menſchliche Weis- heit in ihrer ganzen Reinigkeit, ſind Ideen. Aber der Weiſe (des Stoikers) iſt ein Ideal, d. i. ein Menſch der blos in Gedanken exiſtirt, der aber mit der Idee der Weisheit voͤllig congruiret. So wie die Idee die Regel giebt, ſo dient das Ideal in ſolchem Falle zum Urbilde der durchgaͤngigen Beſtimmung des Nachbildes und wir haben kein anderes Richtmaaß unſerer Handlungen, als das Ver- halten dieſes goͤttlichen Menſchen in uns, womit wir uns vergleichen, beurtheilen und dadurch uns beſſern, ob- gleich es niemals erreichen koͤnnen. Dieſe Ideale, ob man ihnen gleich nicht obiective Realitaͤt (Exiſtenz) zuge- ſtehen moͤchte, ſind doch um deswillen nicht vor Hirnge- ſpinſte anzuſehen, ſondern geben ein unentbehrliches Richt- maaß der Vernunft ab, die des Begriffs von dem, was in N n 5 [570/0600] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. in ſeiner Art ganz vollſtaͤndig iſt, bedarf, um darnach den Grad und die Maͤngel des Unvollſtaͤndigen zu ſchaͤtzen und abzumeſſen. Das Ideal aber in einem Beiſpiele, d. i. in der Erſcheinung, realiſiren wollen, wie etwa den Weiſen in einem Roman, iſt unthunlich und hat uͤberdem etwas widerſinniſches und wenig erbauliches an ſich, indem die natuͤrliche Schranken, welche der Vollſtaͤndigkeit in der Idee continuirlich Abbruch thun, alle Illuſion in ſol- chem Verſuche unmoͤglich und dadurch das Gute, das in der Idee liegt, ſelbſt verdaͤchtig und einer bloſſen Erdich- tung aͤhnlich machen. So iſt es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches iederzeit auf beſtimten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es ſey der Befolgung, oder Beurthei- lung, dienen muß. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit de- nen Geſchoͤpfen der Einbildungskraft, daruͤber ſich nie- mand erklaͤren und einen verſtaͤndlichen Begriff geben kan, gleichſam Monogrammen, die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel beſtimte Zuͤge ſind, welche mehr eine im Mittel verſchiedener Erfahrungen gleichſam ſchwe- bende Zeichnung, als ein beſtimtes Bild ausmachen, der- gleichen Mahler und Phyſiognomen in ihrem Kopfe zu ha- ben vorgeben und die ein nicht mitzutheilendes Schatten- bild ihrer Producte oder auch Beurtheilungen ſeyn ſollen. Sie koͤnnen, obzwar nur uneigentlich, Ideale der Sinn- lichkeit genant werden, weil ſie das nicht erreichbare Muſter moͤglicher empiriſcher Anſchauungen ſeyn ſollen und gleich- wol [571/0601] II. Abſch. Vom transſcend. Ideale. wol keine der Erklaͤrung und Pruͤfung faͤhige Regel ab- geben. Die Abſicht der Vernunft mit ihrem Ideale iſt da- gegen die durchgaͤngige Beſtimmung nach Regeln a priori; daher ſie ſich einen Gegenſtand denkt, der nach Principien durchgaͤngig beſtimbar ſeyn ſoll, obgleich dazu die hinrei- chende Bedingungen in der Erfahrung mangeln und der Begriff ſelbſt alſo transſcendent iſt. Des dritten Hauptſtuͤcks Zweiter Abſchnitt. Von dem Transſcendentalen Ideal (Prototypon transſcendentale). Ein ieder Begriff iſt in Anſehung deſſen, was in ihm ſelbſt nicht enthalten iſt, unbeſtimt und ſteht unter dem Grundſatze der Beſtimbarkeit: daß nur eines, von ieden zween einander contradictoriſch-entgegengeſezten Praͤdicaten, ihm zukommen koͤnne, welcher auf dem Satze des Widerſpruchs beruht und daher ein blos logiſch Prin- cip iſt, das von allem Inhalte der Erkentniß abſtrahirt und nichts, als die logiſche Form derſelben vor Augen hat. Ein iedes Ding aber, ſeiner Moͤglichkeit nach, ſteht noch unter dem Grundſatze der durchgaͤngigen Beſtimmung, nach welchem ihm von allen moͤglichen Praͤdicaten der Dinge, [572/0602] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III.Hauptſt. Dinge, ſo fern ſie mit ihren Gegentheilen verglichen wer- den, eines zukommen muß. Dieſes beruht nicht blos auf dem Satze des Widerſpruchs; denn es betrachtet auſſer dem Verhaͤltniß zweier einander widerſtreitenden Praͤdicate, iedes Ding noch im Verhaͤltniß auf die geſamte Moͤglich- keit, als den Inbegriff aller Praͤdicate der Dinge uͤber- haupt und, indem es ſolche als Bedingung a priori vor- ausſezt, ſo ſtellt es ein iedes Ding ſo vor, wie es von dem Antheil, den es an iener geſamten Moͤglichkeit hat, ſeine ei- gene Moͤglichkeit ableite *). Das Principium der durch- gaͤngigen Beſtimmung betrift alſo den Inhalt und nicht blos die logiſche Form. Es iſt der Grundſatz der Synthe- ſis aller Praͤdicate, die den vollſtaͤndigen Begriff von ei- nem Dinge machen ſollen und nicht blos der analytiſchen Vorſtellung, durch eines zweier entgegengeſezten Praͤdicate, und enthaͤlt eine transſcendentale Vorausſetzung, nemlich die *) Es wird alſo durch dieſen Grundſatz iedes Ding auf ein gemeinſchaftliches Correlatum, nemlich, die geſamte Moͤglichkeit, bezogen, welche, wenn ſie (d. i. der Stoff zu allen moͤglichen Praͤdicaten) in der Idee eines einzi- gen Dinges angetroffen wuͤrde, eine Affinitaͤt alles Moͤg- lichen durch die Identitaͤt des Grundes der durchgaͤngigen Beſtimmung deſſelben beweiſen wuͤrde. Die Beſtimbar- keit eines ieden Begriffs iſt der Allgemeinheit (Vniuerſalitas) des Grundſatzes der Ausſchlieſſung ei- nes Mittleren zwiſchen zween entgegengeſezten Praͤdica- ten, die Beſtimmung aber eines Dinges der Allheit (Vniverſitas) oder dem Inbegriffe aller moͤglichen Praͤ- dicate untergeordnet. [573/0603] II. Abſch. Vom transſcend. Ideale. die der Materie zu aller Moͤglichkeit, welche a priori die Data zur beſonderen Moͤglichkeit iedes Dinges enthal- ten ſoll. Der Satz: alles Exiſtirende iſt durchgaͤngig be- ſtimt, bedeutet nicht allein, daß von iedem Paare einander entgegengeſezten gegebenen, ſondern auch von allen moͤg- lichen Praͤdicaten ihm immer eines zukomme; es werden durch dieſen Satz nicht blos Praͤdicate unter einander lo- giſch, ſondern das Ding ſelbſt, mit dem Inbegriffe aller moͤglichen Praͤdicate, transſcendental verglichen. Er will ſo viel ſagen, als: um ein Ding vollſtaͤndig zu erkennen, muß man alles Moͤgliche erkennen, und es dadurch, es ſey beiahend oder verneinend, beſtimmen. Die durch- gaͤngige Beſtimmung iſt folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto ſeiner Totalitaͤt nach darſtellen koͤnnen und gruͤndet ſich alſo auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verſtande die Re- gel ſeines vollſtaͤndigen Gebrauchs vorſchreibt. Ob nun zwar dieſe Idee von dem Inbegriffe aller Moͤglichkeit, ſo fern er als Bedingung der durchgaͤn- gigen Beſtimmung eines ieden Dinges zum Grunde liegt, in Anſehung der Praͤdicate, die denſelben ausmachen moͤ- gen, ſelbſt noch unbeſtimt iſt, und wir dadurch nichts wei- ter, als einen Inbegriff aller moͤglichen Praͤdicate uͤberhaupt denken, ſo finden wir doch bey naͤherer Unterſuchung, daß dieſe Idee, als Urbegriff, eine Menge von Praͤdicaten ausſtoſſe, die als abgeleitet durch andere ſchon gegeben ſeyn [574/0604] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſeyn, oder neben einander nicht ſtehen koͤnnen, und daß ſie ſich bis zu einem durchgaͤngig a priori beſtimten Be- griffe laͤutere und dadurch der Begriff von einem einzel- nen Gegenſtande werde, der durch die bloſſe Idee durch- gaͤngig beſtimt iſt, mithin ein Ideal der reinen Vernunft genant werden muß. Wenn wir alle moͤgliche Praͤdicate nicht blos logiſch, ſondern transſcendental, d. i. nach ihrem Inhalte, der an ihnen a priori gedacht werden kan, erwegen, ſo fin- den wir: daß durch einige derſelben ein Seyn, durch an- dere ein bloſſes Nichtſeyn vorgeſtellet wird. Die logiſche Verneinung, die lediglich durch das Woͤrtchen: Nicht, angezeigt wird, haͤngt eigentlich niemals einem Begriffe, ſondern nur dem Verhaͤltniſſe deſſelben zu einem andern im Urtheile an, und kan alſo dazu bey weitem nicht hin- reichend ſeyn, einen Begriff in Anſehung ſeines Inhalts zu bezeichnen. Der Ausdruck: Nichtſterblich, kan gar nicht zu erkennen geben, daß dadurch ein bloſſes Nichtſeyn am Gegenſtande vorgeſtellet werde, ſondern laͤßt allen Inhalt unberuͤhrt. Eine transſcendentale Verneinung bedeutet dagegen das Nichtſeyn an ſich ſelbſt, dem die transſcen- dentale Beiahung entgegen geſezt wird, welche ein Etwas iſt, deſſen Begriff an ſich ſelbſt ſchon ein Seyn ausdruͤkt, und daher Realitaͤt (Sachheit) genant wird, weil durch ſie allein und ſo weit ſie reichet, Gegenſtaͤnde Etwas (Dinge) ſind, die entgegenſtehende Negation hingegen einen [575/0605] II. Abſch. Vom transſcend. Ideal. einen bloſſen Mangel bedeutet und, wo dieſe allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges vorgeſtellt wird. Nun kan ſich niemand eine Verneinung beſtimt den- ken, ohne daß er die entgegengeſezte Beiahung zum Grun- de liegen habe. Der Blindgebohrne kan ſich nicht die mindeſte Vorſtellung von Finſterniß machen, weil er kei- ne vom Lichte hat; der Wilde nicht von der Armuth, weil er den Wolſtand nicht kent *). Der Unwiſſende hat kei- nen Begriff von ſeiner Unwiſſenheit, weil er keinen von der Wiſſenſchaft hat, u. ſ. w. Es ſind alſo auch alle Be- griffe der Negationen abgeleitet, und die Realitaͤten ent- halten die Data und ſo zu ſagen die Materie, oder den transſcendentalen Inhalt, zu der Moͤglichkeit und durch- gaͤngigen Beſtimmung aller Dinge. Wenn alſo der durchgaͤngigen Beſtimmung in un- ſerer Vernunft ein transſcendentales Subſtratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichſam den ganzen Vor- rath des Stoffes, daher alle moͤgliche Praͤdicate der Dinge genommen werden koͤnnen, enthaͤlt, ſo iſt dieſes Subſtratum nichts anders, als die Idee von einem All der Rea- *) Die Beobachtungen und Berechnungen der Sternkun- diger haben uns viel bewundernswuͤrdiges gelehrt, aber das Wichtigſte iſt wol, daß ſie uns den Abgrund der Un- wiſſenheit aufgedekt haben, den die menſchliche Ver- nunft, ohne dieſe Kentniſſe, ſich niemals ſo groß haͤtte vorſtellen koͤnnen, und woruͤber das Nachdenken eine groſſe Veraͤnderung in der Beſtimmung der Endabſichten unſeres Vernunftgebrauchs hervorbringen muß. [576/0606] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Realitaͤt (omnitudo realitatis). Alle wahre Verneinun- gen ſind alsdenn nichts als Schranken, welches ſie nicht genant werden koͤnten, wenn nicht das Unbeſchraͤnkte (das All) zum Grunde laͤge. Es iſt aber auch durch dieſen Allbeſitz der Realitaͤt der Begriff eines Dinges an ſich ſelbſt, als durchgaͤngig beſtimt, vorgeſtellt und der Begriff eines entis realiſſimi iſt der Begriff eines einzelnen Weſens, weil von allen moͤglichen entgegengeſezten Praͤdicaten eines, nemlich das, was zum Seyn ſchlechthin gehoͤrt, in ſeiner Beſtimmung angetroffen wird. Alſo iſt es ein transſcendentales Ideal, welches der durchgaͤngigen Beſtimmung, die nothwendig bey allem, was exiſtirt, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberſte und vollſtaͤndige materiale Bedin- gung ſeiner Moͤglichkeit ausmacht, auf welcher alles Den- ken der Gegenſtaͤnde uͤberhaupt ihrem Inhalte nach zu- ruͤckgefuͤhrt werden muß. Es iſt aber auch das einzige eigentliche Ideal, deſſen die menſchliche Vernunft faͤhig iſt; weil nur in dieſem einzigen Falle ein an ſich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch ſich ſelbſt durchgaͤngig be- ſtimt, und als die Vorſtellung von einem Individuum er- kant wird. Die logiſche Beſtimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf einem disiunctiven Vernunftſchluſſe, in welchem der Oberſatz eine logiſche Eintheilung (die Theilung der Sphaͤre eines allgemeinen Begriffs) enthaͤlt, der Unterſatz dieſe Sphaͤre bis auf einen Theil einſchraͤnkt und [577/0607] II. Abſch. Vom transſcend. Ideale. und der Schlußſatz den Begriff durch dieſen beſtimt. Der allgemeine Begriff einer Realitaͤt uͤberhaupt kan a priori nicht eingetheilt werden, weil man ohne Erfahrung keine beſtimte Arten von Realitaͤt kent, die unter iener Gattung enthalten waͤren. Alſo iſt der transſcendentale Oberſatz der durchgaͤngigen Beſtimmung aller Dinge nichts anders, als die Vorſtellung des Inbegriffs aller Realitaͤt, nicht blos ein Begriff, der alle Praͤdicate ihrem transſcendentalen Inhalte nach unter ſich, ſondern der ſie in ſich begreift und die durchgaͤngige Beſtimmung eines ieden Dinges beruht auf der Einſchraͤnkung dieſes All der Realitaͤt, indem Eini- ges derſelben dem Dinge beigelegt, das uͤbrige aber aus- geſchloſſen wird, welches mit dem Entweder- oder des dis- iunctiven Oberſatzes und der Beſtimmung des Gegenſtan- des, durch eins der Glieder dieſer Theilung im Unterſatze, uͤbereinkomt. Demnach iſt der Gebrauch der Vernunft, durch den ſie das transſcendentale Ideal zum Grunde ihrer Beſtimmung aller moͤglichen Dinge legt, demienigen ana- logiſch, nach welchem ſie in disiunctiven Vernunftſchluͤſſen verfaͤhrt, welches der Satz war, den ich oben zum Grun- de der ſyſtematiſchen Eintheilung aller transſcendentalen Ideen legte, nach welchem ſie den drey Arten von Ver- nunftſchluͤſſen parallel und correſpondirend erzeugt werden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Vernunft zu die- ſer ihrer Abſicht, nemlich ſich lediglich die nothwendige durchgaͤngige Beſtimmung der Dinge vorzuſtellen, nicht die O o [578/0608] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. die Exiſtenz eines ſolchen Weſens, das dem Ideale gemaͤß iſt, ſondern nur die Idee deſſelben vorausſetze, um von einer unbedingten Totalitaͤt der durchgaͤngigen Beſtimmung die bedingte, d. i. die des Eingeſchraͤnkten abzuleiten. Das Ideal iſt ihr alſo das Urbild (Prototypon) aller Dinge, welche insgeſamt, als mangelhafte Copeyen (ectypa), den Stoff zu ihrer Moͤglichkeit daher nehmen und, indem ſie demſelben mehr oder weniger nahe kommen, dennoch iederzeit unendlich weit daran fehlen, es zu erreichen. So wird denn alle Moͤglichkeit der Dinge (der Syn- theſis des Mannigfaltigen ihrem Inhalte nach) als abge- leitet und nur allein die, desienigen, was alle Realitaͤt in ſich ſchließt, als urſpruͤnglich angeſehen. Denn alle Verneinungen, (welche doch die einzige Praͤdicate ſind, wodurch ſich alles andere vom realeſten Weſen unterſchei- den laͤßt) ſind bloſſe Einſchraͤnkungen einer groͤſſeren und endlich der hoͤchſten Realitaͤt, mithin ſetzen ſie dieſe vor- aus und ſind dem Inhalte nach von ihr blos abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit der Dinge iſt nur eine eben ſo viel- faͤltige Art, den Begriff der hoͤchſten Realitaͤt, der ihr gemeinſchaftlich Subſtratum iſt, einzuſchraͤnken, ſo wie alle Figuren nur als verſchiedene Arten, den unendlichen Raum einzuſchraͤnken, moͤglich ſeyn. Daher wird der blos in der Vernunft befindliche Gegenſtand ihres Ideals auch das Urweſen (ens originarium), ſo fern es keines uͤber ſich hat, das hoͤchſte Weſen (ens ſummum) und, ſo fern alles, als bedingt, unter ihm ſteht, das Weſen al- ler [579/0609] II. Abſchn. Vom transſcend. Ideale. ler Weſen (ens entium) genant. Alles dieſes aber bedeutet nicht das obiective Verhaͤltniß eines wirklichen Gegenſtandes zu andern Dingen, ſondern der Idee zu Begriffen und laͤßt uns wegen der Exiſtenz eines Weſens von ſo ausnehmendem Vorzuge in voͤlliger Unwiſſenheit. Weil man auch nicht ſagen kan: daß ein Urweſen aus viel abgeleiteten Weſen beſtehe, indem ein iedes der- ſelben ienes vorausſezt, mithin es nicht ausmachen kan, ſo wird das Ideal des Urweſens auch als einfach gedacht werden muͤſſen. Die Ableitung aller anderen Moͤglichkeit von dieſem Urweſen wird daher, genau zu reden, auch nicht als eine Einſchraͤnkung ſeiner hoͤchſten Realitaͤt und gleichſam als eine Theilung derſelben angeſehen werden koͤnnen; denn alsdenn wuͤrde das Urweſen als ein bloſſes Aggregat von abgeleiteten Weſen angeſehen werden, welches nach dem vorigen unmoͤglich iſt, ob wir es gleich anfaͤnglich im erſten rohen Schattenriſſe ſo vorſtelleten. Vielmehr wuͤr- de der Moͤglichkeit aller Dinge die hoͤchſte Realitaͤt als ein Grund und nichts als Inbegriff zum Grunde liegen und die Mannigfaltigkeit der erſteren nicht auf der Einſchraͤn- kung des Urweſens ſelbſt, ſondern ſeiner vollſtaͤndigen Folge beruhen, zu welcher denn auch unſere ganze Sinn- lichkeit, ſamt aller Realitaͤt in der Erſcheinung, gehoͤren wuͤrde, die zu der Idee des hoͤchſten Weſens, als ein Ingredienz, nicht gehoͤren kan. Wenn O o 2 [580/0610] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Wenn wir nun dieſer unſerer Idee, indem wir ſie hypoſtaſiren, ſo ferner nachgehen, ſo werden wir das Ur- weſen durch den bloſſen Begriff der hoͤchſten Realitaͤt als ein einiges, einfaches, allgenugſames, ewiges ꝛc. mit einem Worte, es in ſeiner unbedingten Vollſtaͤndigkeit durch alle Praͤdicamente beſtimmen koͤnnen. Der Begriff eines ſolchen Weſens iſt der von Gott in transſcendentalem Verſtande gedacht, und ſo iſt das Ideal der reinen Ver- nunft der Gegenſtand einer transſcendentalen Theologie, ſo wie ich es auch oben angefuͤhrt habe. Indeſſen wuͤrde dieſer Gebrauch der transſcendenta- len Idee doch ſchon die Graͤnzen ihrer Beſtimmung und Zulaͤſſigkeit uͤberſchreiten. Denn die Vernunft legte ſie nur, als den Begriff von aller Realitaͤt, der durchgaͤn- gigen Beſtimmung der Dinge uͤberhaupt zum Grunde, ohne zu verlangen, daß alle dieſe Realitaͤt obiectiv gege- ben ſey und ſelbſt ein Ding ausmache. Dieſes leztere iſt eine bloſſe Erdichtung, durch welche wir das Mannigfal- tige unſerer Idee in einem Ideale, als einem beſonderen Weſen, zuſammenfaſſen und realiſiren, wozu wir keine Befugniß haben, ſo gar nicht einmal die Moͤglichkeit einer ſolchen Hypotheſe geradezu anzunehmen, wie denn auch alle Folgerungen, die aus einem ſolchen Ideale abflieſſen, die durchgaͤngige Beſtimmung der Dinge uͤberhaupt, als zu deren Behuf die Idee allein noͤthig war, nichts ange- hen, und darauf nicht den mindeſten Einfluß haben. Es [581/0611] II. Abſchn. Vom transſcend. Ideale. Es iſt nicht genug, das Verfahren unſerer Vernunft und ihre Dialectik zu beſchreiben, man muß auch die Quellen derſelben zu entdecken ſuchen, um dieſen Schein ſelbſt, wie ein Phaͤnomen des Verſtandes, erklaͤren zu koͤnnen; denn das Ideal, wovon wir reden, iſt auf einer natuͤrlichen und nicht blos willkuͤhrlichen Idee gegruͤndet. Daher frage ich: wie komt die Vernunft dazu, alle Moͤg- lichkeit der Dinge als abgeleitet von einer einzigen, die zum Grunde liegt, nemlich der der hoͤchſten Realitaͤt, an- zuſehen, und dieſe ſodann, als in einem beſondern Ur- weſen enthalten, vorauszuſetzen? Die Antwort bietet ſich aus den Verhandlungen der transſcendentalen Analytik von ſelbſt dar. Die Moͤg- lichkeit der Gegenſtaͤnde der Sinne iſt ein Verhaͤltniß der- ſelben zu unſerm Denken, worin etwas (nemlich die empiriſche Form) a priori gedacht werden kan, dasienige aber, was die Materie ausmacht, die Realitaͤt in der Erſcheinung, (was der Empfindung entſpricht) gegeben ſeyn muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht und mithin ſeine Moͤglichkeit nicht vorgeſtellet werden koͤnte. Nun kan ein Gegenſtand der Sinne nur durchgaͤngig be- ſtimt werden, wenn er mit allen Praͤdicaten der Erſchei- nung verglichen und durch dieſelbe beiahend, oder ver- neinend vorgeſtellet wird. Weil aber darin dasienige, was das Ding ſelbſt (in der Erſcheinung) ausmacht, nem- lich das Reale gegeben ſeyn muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht werden koͤnte, dasienige aber, worin das O o 3 [582/0612] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. das Reale aller Erſcheinungen gegeben iſt, die einige allbefaſ- ſende Erfahrung iſt, ſo muß die Materie zur Moͤglichkeit aller Gegenſtaͤnde der Sinne, als in einem Inbegriffe ge- geben, vorausgeſezt werden, auf deſſen Einſchraͤnkung allein alle Moͤglichkeit empiriſcher Gegenſtaͤnde, ihr Unterſchied von einander und ihre durchgaͤngige Beſtimmung, beru- hen kan. Nun koͤnnen uns in der That keine andere Gegenſtaͤnde, als die der Sinne und nirgend, als in dem Context einer moͤglichen Erfahrung gegeben werden, folg- lich iſt nichts vor uns ein Gegenſtand, wenn es nicht den Inbegriff aller empiriſchen Realitaͤt als Bedingung ſeiner Moͤglichkeit vorausſezt. Nach einer natuͤrlichen Illuſion ſehen wir nun das vor einen Grundſatz an, der von allen Dingen uͤberhaupt gelten muͤſſe, welcher eigent- lich nur von denen gilt, die als Gegenſtaͤnde unſerer Sin- nen gegeben werden. Folglich werden wir das empiriſche Princip unſerer Begriffe der Moͤglichkeit der Dinge, als Erſcheinungen, durch Weglaſſung dieſer Einſchraͤnkung, vor ein transſcendentales Princip der Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt halten. Daß wir aber hernach dieſe Idee vom Inbegriffe aller Realitaͤt hypoſtaſiren, komt daher: weil wir die diſtri- butive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verſtandes in die collective Einheit eines Erfahrungsganzen, dia- lectiſch verwandeln, und an dieſem Ganzen der Erſchei- nung uns ein einzelnes Ding denken, was alle empiriſche Realitaͤt in ſich enthaͤlt, welches denn, vermittelſt der ſchon [583/0613] II. Abſchn. Vom transſcend. Ideale. ſchon gedachten transſcendentalen Subreption, mit dem Begriffe eines Dinges verwechſelt wird, was an der Spitze der Moͤglichkeit aller Dinge ſteht, zu deren durch- gaͤngiger Beſtimmung es die reale Bedingungen hergiebt *). Des dritten Hauptſtuͤcks Dritter Abſchnitt. Von den Beweisgruͤnden der ſpeculativen Vernunft, auf das Daſeyn eines hoͤchſten Weſens zu ſchlieſſen. Ungeachtet dieſer dringenden Beduͤrfniß der Vernunft, etwas vorauszuſetzen, was dem Verſtande zu der durchgaͤngigen Beſtimmung ſeiner Begriffe vollſtaͤndig zum Grunde liegen koͤnne, ſo bemerkt ſie doch das Idealiſche und blos Gedichtete einer ſolchen Vorausſetzung viel zu leicht, als daß ſie dadurch allein uͤberredet werden ſolte, ein bloſſes *) Dieſes Ideal des allerrealeſten Weſens wird alſo, ob es zwar eine bloſſe Vorſtellung iſt, zuerſt realiſirt, d. i. zum Obiect gemacht, darauf hypoſtaſirt, endlich, durch einen natuͤrlichen Fortſchritt der Vernunft zur Vollen- dung der Einheit, ſo gar perſonificirt, wie wir bald an- fuͤhren werden; weil die regulative Einheit der Erfah- rung nicht auf den Erſcheinungen ſelbſt (der Sinnlich- keit allein), ſondern auf der Verknuͤpfung ihres Man- nigfaltigen durch den Verſtand (in einer Apperception) beruht, mithin die Einheit der hoͤchſten Realitaͤt und die durchgaͤngige Beſtimbarkeit (Moͤglichkeit) aller Dinge in einem hoͤchſten Verſtande, mithin in einer Intelligenz zu liegen ſcheint. O o 4 [584/0614] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. bloſſes Selbſtgeſchoͤpf ihres Denkens ſo fort vor ein wirk- liches Weſen anzunehmen, wenn ſie nicht wodurch anders gedrungen wuͤrde, irgendwo ihren Ruheſtand, in dem Regreſſus vom Bedingten, das gegeben iſt, zum Unbeding- ten zu ſuchen, das zwar an ſich und ſeinem bloſſen Begriff noch nicht als wirklich gegeben iſt, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gruͤnden hinausgefuͤhrten Bedingun- gen vollenden kan. Dieſes iſt nun der natuͤrliche Gang, den iede menſchliche Vernunft, ſelbſt die gemeineſte nimt, obgleich nicht eine iede in demſelben aushaͤlt. Sie faͤngt nicht von Begriffen, ſondern von der gemeinen Erfahrung an, und legt alſo etwas Exiſtirendes zum Grunde. Die- ſer Boden aber ſinkt, wenn er nicht auf dem unbewegli- chen Felſen des Abſolutnothwendigen ruhet. Dieſer ſel- ber aber ſchwebt ohne Stuͤtze, wenn noch auſſer und unter ihm leerer Raum iſt, und er nicht ſelbſt alles er- fuͤllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr uͤbrig laͤßt, d. i. der Realitaͤt nach unendlich iſt. Wenn etwas, was es auch ſey, exiſtirt, ſo muß auch eingeraͤumt werden, daß irgend etwas nothwendi- gerweiſe exiſtire. Denn das Zufaͤllige exiſtirt nur unter der Bedingung eines anderen, als ſeiner Urſache und von dieſer gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Urſache, die nicht zufaͤllig und eben darum ohne Bedingung nothwen- digerweiſe da iſt. Das iſt das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortſchritt zum Urweſen gruͤndet. Nun [585/0615] III. Abſch. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc. Nun ſieht ſich die Vernunft nach dem Begriffe ei- nes Weſens um, das ſich zu einem ſolchen Vorzuge der Exiſtenz, als die unbedingte Nothwendigkeit, ſchicke, nicht ſo wol, um alsdenn von dem Begriffe deſſelben a priori auf ſein Daſeyn zu ſchlieſſen (denn getrauete ſie ſich dieſes, ſo duͤrfte ſie uͤberhaupt nur unter bloſſen Begriffen forſchen und haͤtte nicht noͤthig, ein gegebenes Daſeyn zum Grunde zu legen), ſondern nur um unter allen Begriffen moͤglicher Dinge denienigen zu finden, der nichts der abſoluten Nothwen- digkeit widerſtreitendes in ſich hat. Denn, daß doch irgend etwas ſchlechthin nothwendig exiſtiren muͤſſe, haͤlt ſie nach dem erſteren Schluſſe ſchon vor ausgemacht. Wenn ſie nun alles wegſchaffen kan, was ſich mit dieſer Nothwen- digkeit nicht vertraͤgt, auſſer einem, ſo iſt dieſes das ſchlechthinnothwendige Weſen, man mag nun die Noth- wendigkeit deſſelben begreiffen, d. i. aus ſeinem Begriffe allein ableiten koͤnnen, oder nicht. Nun ſcheint dasienige, deſſen Begriff zu allem War- um das Darum in ſich enthaͤlt, das in keinem Stuͤcke und in keiner Abſicht defect iſt, welches allerwerts als Bedin- gung hinreicht, eben darum das zur abſoluten Nothwen- digkeit ſchickliche Weſen zu ſeyn, weil es, bey dem Selbſt- beſitz aller Bedingungen zu allem Moͤglichen, ſelbſt kei- ner Bedingung bedarf, ia derſelben nicht einmal faͤ- hig iſt, folglich, wenigſtens in einem Stuͤcke, dem Begriffe der unbedingten Nothwendigkeit ein Guͤnge thut, darin es kein anderer Begriff ihm gleich thun O o 5 [586/0616] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergaͤn- zung beduͤrftig iſt, kein ſolches Merkmal der Unabhaͤngig- keit von allen ferneren Bedingungen an ſich zeigt. Es iſt wahr, daß hieraus noch nicht ſicher gefolgert werden koͤn- ne: daß, was nicht die hoͤchſte und in aller Abſicht voll- ſtaͤndige Bedingung in ſich enthaͤlt, darum ſelbſt ſeiner Exiſtenz nach bedingt ſeyn muͤſſe; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daſeyns nicht an ſich, deſſen die Vernunft maͤchtig iſt, um durch einen Begriff a priori irgend ein Weſen als unbedingt zu er- kennen. Der Begriff eines Weſens von der hoͤchſten Realitaͤt wuͤrde ſich alſo unter allen Begriffen moͤglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Weſens am be- ſten ſchicken und, wenn er dieſem auch nicht voͤllig gnug thut, ſo haben wir doch keine Wahl, ſondern ſehen uns genoͤthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Exiſtenz eines nothwendigen Weſens nicht in den Wind ſchlagen duͤrfen; geben wir ſie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Moͤglichkeit nichts finden koͤnnen, was auf einen ſolchen Vorzug im Daſeyn einen gegruͤndetern Anſpruch machen koͤnte. So iſt alſo der natuͤrliche Gang der menſchlichen Vernunft beſchaffen. Zuerſt uͤberzeugt ſie ſich vom Da- ſeyn irgend eines nothwendigen Weſens. In dieſem er- kennet ſie eine unbedingte Exiſtenz. Nun ſucht ſie den Begriff des Unabhaͤngigen von aller Bedingung und findet ihn [587/0617] III. Abſchn. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc. ihn in dem, was ſelbſt die zureichende Bedingung zu al- lem anderen iſt, d. i. in demienigen, was alle Realitaͤt enthaͤlt. Das All aber ohne Schranken iſt abſolute Ein- heit und fuͤhrt den Begriff eines einigen, nemlich des hoͤch- ſten Weſens bey ſich und ſo ſchließt ſie, daß das hoͤchſte Weſen, als Urgrund aller Dinge, ſchlechthin nothwendi- ger Weiſe da ſey. Dieſem Begriffe kan eine gewiſſe Gruͤndlichkeit nicht geſtritten werden, wenn von Entſchlieſſungen die Rede iſt, nemlich, wenn einmal das Daſeyn irgend eines noth- wendigen Weſens zugegeben wird und man darin uͤberein- komt, daß man ſeine Parthey ergreiffen muͤſſe, worin man daſſelbe ſetzen wolle; denn alsdenn kan man nicht ſchicklicher waͤhlen, oder man hat vielmehr keine Wahl, ſondern iſt genoͤthigt, der abſoluten Einheit der vollſtaͤndi- gen Realitaͤt, als dem Urquelle der Moͤglichkeit, ſeine Stimme zu geben. Wenn uns aber nichts treibt, uns zu entſchlieſſen und wir lieber dieſe ganze Sache dahin geſtellet ſeyn lieſſen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweis- gruͤnde zum Beifalle gezwungen wuͤrden, d. i. wenn es blos um Beurtheilung zu thun iſt, wie viel wir von die- ſer Aufgabe wiſſen und was wir uns nur zu wiſſen ſchmei- cheln: dann erſcheint obiger Schluß bey weitem nicht in ſo vortheilhafter Geſtalt und bedarf Gunſt, um den Mangel ſeiner Rechtsanſpruͤche zu erſetzen. Denn, wenn wir alles ſo gut ſeyn laſſen, wie es hier vor uns liegt, daß nemlich erſtlich von irgend einer gege- [588/0618] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. gegebenen Exiſtenz (allenfals auch blos meiner eigenen) ein richtiger Schluß auf die Exiſtenz eines unbedingtnothwen- digen Weſens ſtatt finde, zweitens: daß ich ein Weſen, welches alle Realitaͤt, mithin auch alle Bedingung enthaͤlt, als ſchlechthin unbedingt anſehen muͤſſe, folglich der Be- griff des Dinges, welches ſich zur abſoluten Nothwendig- keit ſchickt, hiedurch gefunden ſey: ſo kan daraus doch gar nicht geſchloſſen werden, daß der Begriff eines einge- ſchraͤnkten Weſens, das nicht die hoͤchſte Realitaͤt hat, darum der abſoluten Nothwendigkeit widerſpreche. Denn, ob ich gleich in ſeinem Begriffe nicht das Unbedingte an- treffe, was das All der Bedingungen ſchon bey ſich fuͤhrt, ſo kan daraus doch gar nicht gefolgert werden, daß ſein Da- ſeyn eben darum bedingt ſeyn muͤſſe; ſo wie ich in einem hypothetiſchen Vernunftſchluſſe nicht ſagen kan: wo eine gewiſſe Bedingung (nemlich hier der Vollſtaͤndigkeit nach Begriffen) nicht iſt, da iſt auch das Bedingte nicht. Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle uͤbrige ein- geſchraͤnkte Weſen eben ſo wol vor unbedingt nothwendig gelten zu laſſen, ob wir gleich ihre Nothwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht ſchlieſſen koͤnnen. Auf dieſe Weiſe aber haͤtte dieſes Argu- ment uns nicht den mindeſten Begriff von Eigenſchaften eines nothwendigen Weſens verſchaft und uͤberall gar nichts geleiſtet. Gleichwol bleibt dieſem Argumente eine gewiſſe Wich- tigkeit und ein Anſehen, das ihm, wegen dieſer obiectiven Unzu- [589/0619] III. Abſch. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc. Unzulaͤnglichkeit, noch nicht ſo fort genommen werden kan. Denn ſetzet: es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realitaͤt der Anwendung auf uns ſelbſt, d. i. ohne Triebfedern ſeyn wuͤrden, wo nicht ein hoͤchſtes Weſen vorausgeſezt wuͤrde, das den practiſchen Geſetzen Wirkung und Nachdruck ge- ben koͤnte: ſo wuͤrden wir auch eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen, die, wenn ſie gleich nicht obiectiv zulaͤnglich ſeyn moͤchten, doch nach dem Maaſſe unſerer Vernunft uͤberwiegend ſind und in Vergleichung mit denen wir doch nichts Beſſeres und Ueberfuͤhrenderes erkennen. Die Pflicht zu waͤhlen wuͤrde hier die Unſchließigkeit der Speculation durch einen practiſchen Zuſatz aus dem Gleich- gewichte bringen, ia die Vernunft wuͤrde bey ihr ſelbſt, als dem nachſehendeſten Richter, keine Rechtfertigung fin- den, wenn ſie unter dringenden Bewegurſachen, obzwar nur mangelhafter Einſicht, dieſen Gruͤnden ihres Urtheils, uͤber die wir doch wenigſtens keine beſſere kennen, nicht gefolgt waͤre. Dieſes Argument, ob es gleich in der That transſcenden- tal iſt, indem es auf der inneren Unzulaͤnglichkeit des Zufaͤlli- gen beruht, iſt doch ſo einfaͤltig und natuͤrlich, daß es dem gemeineſten Menſchenſinne angemeſſen iſt, ſo bald dieſer nur einmal darauf gefuͤhrt wird. Man ſieht Dinge ſich ver- aͤndern, entſtehen und vergehen; ſie muͤſſen alſo, oder wenigſtens ihr Zuſtand, eine Urſache haben. Von ieder Urſache aber, die iemals in der Erfahrung gegeben wer- den [590/0620] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. den mag, laͤßt ſie eben dieſes wiederum fragen. Wohin ſollen wir nun die oberſte Cauſſalitaͤt billiger verlegen, als dahin, wo auch die hoͤchſte Cauſſalitaͤt iſt, d. i. in dasie- nige Weſen, was zu der moͤglichen Wirkung die Zulaͤng- lichkeit in ſich ſelbſt urſpruͤnglich enthaͤlt, deſſen Be- griff auch durch den einzigen Zug einer allbefaſſenden Voll- kommenheit ſehr leicht zu Stande komt. Dieſe hoͤchſte Urſache halten wir denn vor ſchlechthin nothwendig, weil wir es ſchlechterdings nothwendig finden, bis zu ihr hin- aufzuſteigen und keinen Grund, uͤber ſie noch weiter hin- aus zu gehen. Daher ſehen wir bey allen Voͤlkern durch ihre blindeſte Vielgoͤtterey doch einige Funken des Mono- theismus durchſchimmern, wozu nicht Nachdenken und tiefe Speculation, ſondern nur ein nach und nach verſtaͤndlich gewordener natuͤrlicher Gang des gemeinen Verſtandes ge- fuͤhrt hat. Es ſind nur drey Beweisarten vom Daſeyn Gottes aus ſpeculativer Vernunft moͤglich. Alle Wege, die man in dieſer Abſicht einſchlagen mag, fangen entweder von der beſtimten Erfahrung und der dadurch erkanten beſonderen Beſchaffenheit unſe- rer Sinnenwelt an, und ſteigen von ihr nach Geſetzen der Cauſſalitaͤt bis zur hoͤchſten Urſache auſſer der Welt hinauf- oder ſie legen nur unbeſtimte Erfahrung, d. i. irgend ein Daſeyn empiriſch zum Grunde, oder ſie abſtrahiren end- lich von aller Erfahrung und ſchlieſſen gaͤnzlich a priori aus bloſſen Begriffen auf das Daſeyn einer hoͤchſten Ur- ſache. [591/0621] III. Abſch. Von den Beweiſen des Daſeyns ꝛc. ſache. Der erſte Beweis iſt der phyſicotheologiſche, der zweite der cosmologiſche, der dritte der ontologiſche Be- weis. Mehr giebt es ihrer nicht und mehr kann es auch nicht geben. Ich werde darthun: daß die Vernunft, auf dem einen Wege (dem empiriſchen) ſo wenig als auf dem an- deren, (dem transſcendentalen) etwas ausrichte und daß ſie vergeblich ihre Fluͤgel ausſpanne, um uͤber die Sinnen- welt durch die bloſſe Macht der Speculation hinaus zu kommen. Was aber die Ordnung betrift, in welcher die- ſe Beweisarten der Pruͤfung vorgelegt werden muͤſſen, ſo wird ſie gerade die umgekehrte von derienigen ſeyn, welche die ſich nach und nach erweiternde Vernunft nimt und in der wir ſie auch zuerſt geſtellt haben. Denn es wird ſich zeigen: daß, obgleich Erfahrung den erſten Anlaß dazu giebt, dennoch blos der transſcendentale Begriff die Vernunft in dieſer ihrer Beſtrebung leite und in allen ſolchen Verſuchen das Ziel ausſtecke, das ſie ſich vorgeſezt hat. Ich werde alſo von der Pruͤfung des transſcenden- talen Beweiſes anfangen und nachher ſehen, was der Zu- ſatz des Empiriſchen zur Vergroͤſſerung ſeiner Beweiskraft thun koͤnne. Des [592/0622] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Des dritten Hauptſtuͤcks Vierter Abſchnitt. Von der Unmoͤglichkeit eines ontologiſchen Beweiſes vom Daſeyn Gottes. Man ſiehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines abſolutnothwendigen Weſens ein reiner Ver- nunftbegriff, d. i. eine bloſſe Idee ſey, deren obiective Realitaͤt dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewieſen iſt, welche auch nur auf eine gewiſſe, obzwar unerreichbare Vollſtaͤndigkeit Anweiſung giebt und eigentlich mehr dazu dient, den Verſtand zu begraͤnzen, als ihn auf neue Gegenſtaͤnde zu erweitern. Es findet ſich hier nun das Befremdliche und Widerſinniſche, daß der Schluß, von einem gegebenen Daſeyn uͤberhaupt auf ir- gend ein ſchlechthinnothwendiges Daſeyn, dringend und richtig zu ſeyn ſcheint und wir gleichwol alle Bedingungen des Verſtandes, ſich einen Begriff von einer ſolchen Noth- wendigkeit zu machen, gaͤnzlich wider uns haben. Man hat zu aller Zeit von dem abſolutnothwendi- gen Weſen geredet und ſich nicht ſo wol Muͤhe gegeben, zu verſtehen: ob und wie man ſich ein Ding von dieſer Art auch nur denken koͤnne, als vielmehr deſſen Daſeyn zu be- weiſen. Nun iſt zwar eine Nahmenerklaͤrung von dieſem Begriffe ganz leicht, daß es nemlich ſo etwas ſey, deſſen Nichtſeyn unmoͤglich iſt, aber man wird hiedurch um nichts kluͤger, [593/0623] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. kluͤger, in Anſehung der Bedingungen, die es unmoͤglich machen, das Nichtſeyn eines Dinges als ſchlechterdings undenklich anzuſehen und die eigentlich dasienige ſind, was man wiſſen will, nemlich, ob wir uns durch dieſen Be- griff uͤberall etwas denken, oder nicht. Denn alle Be- dingungen, die der Verſtand iederzeit bedarf, um etwas als nothwendig anzuſehen, vermittelſt des Worts: Unbe- dingt, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verſtaͤnd- lich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingt- nothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke. Noch mehr: dieſen auf das bloſſe Gerathewol ge- wagten und endlich ganz gelaͤufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beiſpiele zu erklaͤren ge- glaubt, ſo, daß alle weitere Nachfrage wegen ſeiner Ver- ſtaͤndlichkeit ganz unnoͤthig geſchienen. Ein ieder Satz der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe, iſt ſchlechthin nothwendig und ſo redete man von einem Gegenſtande, der ganz auſſerhalb der Sphaͤre unſeres Ver- ſtandes liegt, als ob man ganz wol verſtaͤnde, was man mit dem Begriffe von ihm ſagen wolle. Alle vorgegebene Beiſpiele ſind ohne Ausnahme nur von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Da- ſeyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der Urtheile aber iſt nicht eine abſolute Nothwendigkeit der Sachen. Denn die abſolute Nothwendigkeit des Urtheils iſt nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des Praͤdi- P p [594/0624] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Praͤdicats im Urtheile. Der vorige Satz ſagte nicht: daß drey Winkel ſchlechterdings nothwendig ſeyn, ſondern, un- ter der Bedingung, daß ein Triangel da iſt, (gegeben iſt) ſind auch drey Winkel (in ihm) nothwendiger Weiſe da. Gleichwol hat dieſe logiſche Nothwendigkeit eine ſo groſſe Macht ihrer Illuſion bewieſen: daß, indem man ſich einen Be- griff a priori von einem Dinge gemacht hatte, der ſo geſtellet war, daß man ſeiner Meinung nach das Daſeyn mit in ſeinen Umfang begriff, man daraus glaubete ſicher ſchlieſſen zu koͤnnen, daß, weil dem Obiect dieſes Begriffs das Daſeyn nothwendig zukomt, d. i. unter der Bedingung, daß ich dieſes Ding als gegeben (exiſtirend) ſetze, auch ſein Daſeyn nothwendig (nach der Regel der Identitaͤt) geſezt werde und dieſes Weſen daher ſelbſt ſchlechterdings- nothwendig ſey, weil ſein Daſeyn in einem nach Belieben angenommenen Begriffe und unter der Bedingung, daß ich den Gegenſtand deſſelben ſetze, mit gedacht wird. Wenn ich das Praͤdicat in einem identiſchen Urtheile aufhebe und behalte das Subiect, ſo entſpringt ein Wi- derſpruch und daher ſage ich: ienes komt dieſem nothwen- diger Weiſe zu. Hebe ich aber das Subiect zuſamt dem Praͤdicate auf, ſo entſpringt kein Widerſpruch; denn es iſt nichts mehr, welchem widerſprochen werden koͤnte. Einen Triangel ſetzen und doch die drey Winkel deſſelben aufheben, iſt widerſprechend, aber den Triangel ſamt ſei- nen drey Winkeln aufheben, iſt kein Widerſpruch. Gerade eben ſo iſt es mit dem Begriffe eines abſolutnothwendigen Weſens [595/0625] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. Weſens bewandt. Wenn ihr das Daſeyn deſſelben auf- hebt, ſo hebt ihr das Ding ſelbſt mit allen ſeinen Praͤdi- caten auf, wo ſoll alsdenn der Widerſpruch herkommen? Aeuſſerlich iſt nichts dem widerſprochen wuͤrde; denn das Ding ſoll nicht aͤuſſerlich nothwendig ſeyn, innerlich auch nichts, denn ihr habt, durch Aufhebung des Dinges ſelbſt, alles Innere zugleich aufgehoben. Gott iſt allmaͤchtig; das iſt ein nothwendiges Urtheil. Die Allmacht kan nicht aufgehoben werden, wenn ihr eine Gottheit, d. i. ein unendlich Weſen, ſezt, mit deſſen Begriff iener identiſch iſt. Wenn ihr aber ſagt: Gott iſt nicht, ſo iſt weder die Allmacht, noch irgend ein anderes ſeiner Praͤdicate ge- geben, denn ſie ſind alle zuſamt dem Subiecte aufgehoben und es zeigt ſich in dieſem Gedanken nicht der mindeſte Widerſpruch. Ihr habt alſo geſehen: daß, wenn ich das Praͤdi- cat eines Urtheils zuſamt dem Subiecte aufhebe, niemals ein innerer Widerſpruch entſpringen koͤnne, das Praͤdicat mag auch ſeyn, welches es wolle. Nun bleibt euch keine Ausflucht uͤbrig, als ihr muͤßt ſagen: es giebt Subiecte, die gar nicht aufgehoben werden koͤnnen, die alſo bleiben muͤſſen. Das wuͤrde aber eben ſo viel ſagen, als: es giebt ſchlechterdingsnothwendige Subiecte, eine Voraus- ſetzung, an deren Richtigkeit ich eben gezweifelt habe und deren Moͤglichkeit ihr mir zeigen woltet. Denn ich kan mir nicht den geringſten Begriff von einem Dinge machen, welches, wenn es mit allen ſeinen Praͤdicaten aufgehoben wuͤrde, P p 2 [596/0626] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. wuͤrde, einen Widerſpruch zuruͤck lieſſe und ohne den Wi- derſpruch habe ich, durch bloſſe reine Begriffe a priori, kein Merkmal der Unmoͤglichkeit. Wider alle dieſe allgemeine Schluͤſſe, (deren ſich kein Menſch weigern kan) fodert ihr mich durch einen Fall auf, den ihr, als einen Beweis durch die That, aufſtellet: daß es doch einen und zwar nur dieſen einen Begriff gebe, da das Nichtſeyn oder das Aufheben ſeines Gegenſtandes in ſich ſelbſt widerſprechend ſey, und dieſes iſt der Begriff des allerrealeſten Weſens. Es hat, ſagt ihr, alle Reali- taͤt und ihr ſeyd berechtigt, ein ſolches Weſen als moͤglich anzunehmen, (welches ich voriezt einwillige, obgleich der ſich nicht widerſprechende Begriff noch lange nicht die Moͤglichkeit des Gegenſtandes beweiſet *). Nun iſt unter aller Realitaͤt auch das Daſeyn mit begriffen: Alſo liegt das Daſeyn in dem Begriffe von einem Moͤglichen. Wird die- *) Der Begriff iſt allemal moͤglich, wenn er ſich nicht wi- derſpricht. Das iſt das logiſche Merkmal der Moͤglichkeit und dadurch wird ſein Gegenſtand vom nihil negatiuum unterſchieden. Allein er kan nichts deſtoweniger ein leerer Begriff ſeyn, wenn die obiective Realitaͤt der Syntheſis, dadurch der Begriff erzeugt wird, nicht beſonders dar- gethan wird, welches aber iederzeit, wie oben gezeigt worden, auf Principien moͤglicher Erfahrung und nicht auf dem Grundſatze der Analyſis (dem Satze des Wi- derſpruchs) beruht. Das iſt eine Warnung, von der Moͤglichkeit der Begriffe (logiſche) nicht ſo fort auf die Moͤglichkeit der Dinge (reale) zu ſchlieſſen. __ [597/0627] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. dieſes Ding nun aufgehoben, ſo wird die innere Moͤg- lichkeit des Dinges aufgehoben, welches widerſprechend iſt. Ich antworte: Ihr habt ſchon einen Widerſpruch begangen, wenn ihr in den Begriff eines Dinges, wel- ches ihr lediglich ſeiner Moͤglichkeit nach denken woltet, es ſey unter welchem verſteckten Namen, ſchon den Begriff ſeiner Exiſtenz hinein brachtet. Raͤumet man euch dieſes ein, ſo habt ihr dem Scheine nach gewonnen Spiel, in der That aber nichts geſagt; denn ihr habt eine bloſſe Tavtologie begangen. Ich frage euch, iſt der Satz: dieſes oder ienes Ding (welches ich euch als moͤglich ein- raͤume, es mag ſeyn, welches es wolle) exiſtirt, iſt, ſage ich, dieſer Satz ein analytiſcher oder ſynthetiſcher Satz? Wenn er das erſtere iſt, ſo thut ihr durch das Daſeyn des Dinges zu eurem Gedanken von dem Dinge nichts hinzu, aber alsdenn muͤßte entweder der Gedanke, der in euch iſt, das Ding ſelber ſeyn, oder ihr habt ein Daſeyn, als zur Moͤglichkeit gehoͤrig, vorausgeſezt und alsdenn das Da- ſeyn dem Vorgeben nach aus der inneren Moͤglichkeit ge- ſchloſſen, welches nichts, als eine elende Tavtologie iſt. Das Wort: Realitaͤt, welches im Begriffe des Dinges an- ders klingt, als Exiſtenz im Begriffe des Praͤdicats, macht es nicht aus. Denn, wenn ihr auch alles Setzen (unbeſtimt was ihr ſezt) Realitaͤt nent, ſo habt ihr das Ding ſchon mit allen ſeinen Praͤdicaten im Begriffe des Subiects ge- ſezt und als wirklich angenommen und im Praͤdicate wie- derholt P p 3 [598/0628] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. derholt ihr es nur. Geſteht ihr dagegen, wie es billiger maaſſen ieder Vernuͤnftige geſtehen muß, daß ein ieder Exiſtenzialſatz ſynthetiſch ſey, wie wollet ihr denn behaup- ten, daß das Praͤdicat der Exiſtenz ſich ohne Widerſpruch nicht aufheben laſſe, da dieſer Vorzug nur den analytiſchen, als deren Character eben darauf beruht, eigenthuͤmlich zu- komt. Ich wuͤrde zwar hoffen, dieſe gruͤbleriſche Arguta- tion, ohne allen Umſchweif, durch eine genaue Beſtim- mung des Begriffs der Exiſtenz, zu nichte zu machen, wenn ich nicht gefunden haͤtte: daß die Illuſion, in Verwechſe- lung eines logiſchen Praͤdicats mit einem realen, (d. i. der Beſtimmung eines Dinges) beinahe alle Belehrung aus- ſchlage. Zum logiſchen Praͤdicate kan alles dienen, was man will, ſo gar das Subiect kan von ſich ſelbſt praͤdicirt werden; denn die Logik abſtrahirt von allem Inhalte. Aber die Beſtimmung iſt ein Praͤdicat, welches uͤber den Be- griff des Subiects hinzukomt und ihn vergroͤſſert. Sie muß alſo nicht in ihm ſchon enthalten ſeyn. Seyn iſt offenbar kein reales Praͤdicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen koͤnne. Es iſt blos die Poſition eines Dinges, oder gewiſſer Beſtimmungen an ſich ſelbſt. Im logiſchen Gebrauche iſt es lediglich die Copula eines Urtheils. Der Satz: Gott iſt allmaͤchtig, enthaͤlt zwey Begriffe, die ihre Obiecte haben: Gott und Allmacht; das Woͤrtchen: iſt, iſt nicht noch ein Praͤdicat oben ein, ſon- dern [599/0629] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. dern nur das, was das Praͤdicat beziehungsweiſe aufs Subiect ſezt. Nehme ich nun das Subiect (Gott) mit allen ſeinen Praͤdicaten (worunter auch die Allmacht gehoͤ- ret) zuſammen, und ſage: Gott iſt, oder es iſt ein Gott, ſo ſetze ich kein neues Praͤdicat zum Begriffe von Gott, ſon- dern nur das Subiect an ſich ſelbſt mit allen ſeinen Praͤdi- caten und zwar den Gegenſtand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide muͤſſen genau einerley enthalten und es kan daher zu dem Begriffe, der blos die Moͤglichkeit aus- druͤckt, darum, daß ich deſſen Gegenſtand als ſchlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er iſt) denke, nichts weiter hinzukommen. Und ſo enthaͤlt das Wirkliche nichts mehr als das blos Moͤgliche. Hundert wirkliche Thaler enthal- ten nicht das Mindeſte mehr, als hundert moͤgliche. Denn, da dieſe den Begriff, iene aber den Gegenſtand und deſſen Poſition an ſich ſelbſt bedeuten, ſo wuͤrde, im Fall dieſer mehr enthielte als iener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenſtand ausdruͤcken und alſo auch nicht der angemeſſe- ne Begriff von ihm ſeyn. Aber in meinem Vermoͤgens- zuſtande iſt mehr bey hundert wirklichen Thalern, als bey dem bloſſen Begriffe derſelben, (d. i. ihrer Moͤglichkeit). Denn der Gegenſtand iſt bey der Wirklichkeit nicht blos in meinem Begriffe analytiſch enthalten, ſondern komt zu meinem Begriffe (der eine Beſtimmung meines Zuſtandes iſt) ſynthetiſch hinzu, ohne daß durch dieſes Seyn auſſer- halb meinem Begriffe, dieſe gedachte hundert Thaler ſelbſt im mindeſten vermehrt werden. Wenn P p 4 [600/0630] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt Wenn ich alſo ein Ding, durch welche und wie viel Praͤdicate ich will, (ſelbſt in der durchgaͤngigen Beſtim- mung) denke, ſo komt dadurch, daß ich noch hinzuſetze, dieſes Ding iſt, nicht das mindeſte zu dem Dinge hinzu. Denn ſonſt wuͤrde nicht eben daſſelbe, ſondern mehr exiſtiren, als ich im Begriffe gedacht hatte und ich koͤnte nicht ſagen: daß gerade der Gegenſtand meines Begriffs exiſtire. Denke ich mir auch ſo gar in einem Dinge alle Realitaͤt auſſer einer; ſo komt dadurch, daß ich ſage, ein ſolches mangel- hafte Ding exiſtirt, die fehlende Realitaͤt nicht hinzu, ſon- dern es exiſtirt gerade mit demſelben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, ſonſt wuͤrde etwas Anderes, als ich dachte, exiſtiren. Denke ich mir nun ein Weſen als die hoͤchſte Realitaͤt (ohne Mangel), ſo bleibt noch immer die Frage: ob es exiſtire, oder nicht. Denn, obgleich an meinem Begriffe, von dem moͤglichen realen Inhalte eines Dinges uͤberhaupt, nichts fehlt, ſo fehlt doch noch etwas an dem Verhaͤltniſſe zu meinem ganzen Zuſtande des Denkens, nem- lich: daß die Erkentniß ienes Obiects auch a poſteriori moͤglich ſey. Und hier zeiget ſich auch die Urſache der hie- bey obwaltenden Schwierigkeit. Waͤre von einem Gegen- ſtande der Sinne die Rede, ſo wuͤrde ich die Exiſtenz des Dinges mit dem bloſſen Begriffe des Dinges nicht verwech- ſeln koͤnnen. Denn durch den Begriff wird der Gegen- ſtand nur mit den allgemeinen Bedingungen einer moͤgli- chen empiriſchen Erkentniß uͤberhaupt als einſtimmig, durch die Exiſtenz aber als in dem Context der geſamten Erfah- rung [601/0631] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. rung enthalten gedacht; da denn durch die Verknuͤpfung mit dem Inhalte der geſamten Erfahrung der Begriff vom Gegenſtande nicht im mindeſten vermehrt wird, unſer Denken aber durch denſelben eine moͤgliche Wahrnehmung mehr bekomt. Wollen wir dagegen die Exiſtenz durch die reine Categorie allein denken, ſo iſt kein Wunder, daß wir kein Merkmal angeben koͤnnen, ſie von der bloſſen Moͤglichkeit zu unterſcheiden. Unſer Begriff von einem Gegenſtande mag alſo ent- halten, was und wie viel er wolle, ſo muͤſſen wir doch aus ihm herausgehen, um dieſem die Exiſtenz zu ertheilen. Bey Gegenſtaͤnden der Sinne geſchieht dieſes durch den Zuſam- menhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empiriſchen Geſetzen; aber vor Obiecte des reinen Denkens in ganz und gar kein Mittel, ihr Daſeyn zu erkennen, weil es gaͤnzlich a priori erkant werden muͤßte, unſer Bewuſt- ſeyn aller Exiſtenz aber, (es ſey durch Wahrnehmung un- mittelbar, oder durch Schluͤſſe, die etwas mit der Wahr- nehmung verknuͤpfen,) gehoͤret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung und eine Exiſtenz auſſer dieſem Felde kan zwar nicht ſchlechterdings vor unmoͤglich erklaͤrt werden, ſie iſt aber eine Vorausſetzung, die wir durch nichts recht- fertigen koͤnnen. Der Begriff eines hoͤchſten Weſens iſt eine in man- cher Abſicht ſehr nuͤtzliche Idee, ſie iſt aber eben darum, weil ſie blos Idee iſt, ganz unfaͤhig, um vermittelſt ihrer allein unſere Erkentniß in Anſehung deſſen, was exiſtirt, zu P p 5 [602/0632] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. zu erweitern. Sie vermag nicht einmal ſo viel, daß ſie uns in Anſehung der Moͤglichkeit eines Mehreren belehrete. Das analytiſche Merkmal der Moͤglichkeit, das darin beſteht, daß bloſſe Poſitionen (Realitaͤten) keinen Widerſpruch er- zeugen, kan ihm zwar nicht geſtritten werden; weil aber die Verknuͤpfung aller realen Eigenſchaften in einem Din- ge eine Syntheſis iſt, uͤber deren Moͤglichkeit wir a priori nicht urtheilen koͤnnen, weil uns die Realitaͤten ſpecifiſch nicht gegeben ſind und, wenn dieſes auch geſchaͤhe, uͤber- all gar kein Urtheil darin ſtatt findet, weil das Merkmal der Moͤglichkeit ſynthetiſcher Erkentniſſe immer nur in der Erfahrung geſucht werden muß, zu welcher aber der Ge- genſtand einer Idee nicht gehoͤren kan, ſo hat der beruͤhm- te Leibnitz bey weitem das nicht geleiſtet, weſſen er ſich ſchmeichelte, nemlich eines ſo erhabenen idealiſchen Weſens Moͤglichkeit a priori einſehen zu wollen. Es iſt alſo an dem ſo beruͤhmten ontologiſchen (car- teſianiſchen) Beweiſe, vom Daſeyn eines hoͤchſten Weſens aus Begriffen, alle Muͤhe und Arbeit verloren und ein Menſch moͤchte wol eben ſo wenig aus bloſſen Ideen an Einſichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermoͤ- gen, wenn er, um ſeinen Zuſtand zu verbeſſern, ſeinem Caſſenbeſtande einige Nullen anhaͤngen wolte. Des [603/0633] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. Des dritten Hauptſtuͤcks Fuͤnfter Abſchnitt. Von der Unmoͤglichkeit eines cosmologiſchen Beweiſes vom Daſeyn Gottes. Es war etwas ganz Unnatuͤrliches und eine bloſſe Neue- rung des Schulwitzes, aus einer ganz willkuͤhrlich entworfenen Idee das Daſeyn des ihr entſprechenden Ge- genſtandes ſelbſt ausklauben zu wollen. In der That wuͤrde man es nie auf dieſem Wege verſucht haben, waͤre nicht die Beduͤrfniß unſerer Vernunft, zur Exiſtenz uͤberhaupt irgend etwas Nothwendiges (bey dem man im Aufſteigen ſtehen bleiben koͤnne) anzunehmen, vorhergegangen und, waͤre nicht die Vernunft, da dieſe Nothwendigkeit unbe- dingt und a priori gewiß ſeyn muß, gezwungen worden, einen Begriff zu ſuchen, der, wo moͤglich, einer ſolchen Foderung ein Gnuͤge thaͤte, und ein Daſeyn voͤllig a priori zu erkennen gaͤbe. Dieſen glaubte man nun in der Idee eines allerrealeſten Weſens zu finden, und ſo wurde dieſe nur zur beſtimteren Kentniß desienigen, wovon man ſchon anderweitig uͤberzeugt oder uͤberredet war, es muͤſſe exiſti- ren, nemlich des nothwendigen Weſens gebraucht. In- des verheelete man dieſen natuͤrlichen Gang der Vernunft, und, anſtatt bey dieſem Begriffe zu endigen, verſuchte man von ihm anzufangen, um die Nothwendigkeit des Daſeyns aus ihm abzuleiten, die er doch nur zu ergaͤnzen beſtim [604/0634] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. beſtimt war. Hieraus entſprang nun der verungluͤckte on- tologiſche Beweis, der weder vor den natuͤrlichen und ge- ſunden Verſtand, noch vor die ſchulgerechte Pruͤfung et- was genugthuendes bey ſich fuͤhret. Der cosmologiſche Beweis, den wir iezt unterſu- chen wollen, behaͤlt die Verknuͤpfung der abſoluten Noth- wendigkeit mit der hoͤchſten Realitaͤt bey, aber, anſtatt, wie der vorige, von der hoͤchſten Realitaͤt auf die Nothwendig- keit im Daſeyn zu ſchlieſſen, ſchließt er vielmehr von der, zum voraus gegebenen unbedingten Nothwendigkeit irgend eines Weſens, auf deſſen unbegraͤnzte Realitaͤt, und bringt ſo fern alles wenigſtens in das Gleiß einer, ich weiß nicht ob vernuͤnftigen, oder vernuͤnftelnden, wenigſtens natuͤr- lichen Schlußart, welche nicht allein vor den gemeinen, ſon- dern auch den ſpeculativen Verſtand die meiſte Ueberredung bey ſich fuͤhrt, wie ſie denn auch ſichtbarlich zu allen Be- weiſen der natuͤrlichen Theologie die erſte Grundlinien zieht, denen man iederzeit nachgegangen iſt und ferner nachgehen wird, man mag ſie nun durch noch ſo viel Laubwerk und Schnoͤrkel verzieren und verſtecken, als man immer will. Dieſen Beweis, den Leibnitz auch den a contingentia mundi nante, wollen wir iezt vor Augen ſtellen und der Pruͤfung unterwerfen. Er lautet alſo: Wenn etwas exiſtirt, ſo muß auch ein ſchlechterdingsnothwendiges Weſen exiſtiren. Nun exiſtire, zum mindeſten, ich ſelbſt: alſo exiſtirt ein abſo- lutnothwendiges Weſen. Der Unterſatz enthaͤlt eine Er- fah- [605/0635] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. fahrung, der Oberſatz die Schlußfolge aus einer Erfah- rung uͤberhaupt auf das Daſeyn des Nothwendigen *). Alſo hebt der Beweis eigentlich von der Erfahrung an, mithin iſt er nicht gaͤnzlich a priori gefuͤhrt, oder ontolo- giſch, und weil der Gegenſtand aller moͤglichen Erfahrung Welt heißt, ſo wird er darum der cosmologiſche Beweis genant. Da er auch von aller beſondern Eigenſchaft der Gegenſtaͤnde der Erfahrung, dadurch ſich dieſe Welt von ieder moͤglichen unterſcheiden mag, abſtrahirt: ſo wird er ſchon in ſeiner Benennung auch vom phyſicotheologi- ſchen Beweiſe unterſchieden, welcher Beobachtungen der beſonderen Beſchaffenheit dieſer unſerer Sinnenwelt zu Beweisgruͤnden braucht. Nun ſchließt der Beweis weiter: das nothwendige Weſen kan nur auf eine einzige Art, d. i. in Anſehung aller moͤglichen entgegengeſezten Praͤdicate nur durch eines derſelben beſtimt werden, folglich muß es durch ſeinen Begriff durchgaͤngig beſtimt ſeyn. Nun iſt nur ein ein- ziger Begriff von einem Dinge moͤglich, der daſſelbe a priori durchgaͤngig beſtimt, nemlich der des entis realiſ- ſimi: Alſo iſt der Begriff des allerrealeſten Weſens der einzi- *) Dieſe Schlußfolge iſt zu bekant, als daß es noͤthig waͤre, ſie hier weitlaͤuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transſcendentalen Naturgeſetz der Cauſſalitaͤt: daß alles Zufaͤllige ſeine Urſache habe, die, wenn ſie wie- derum zufaͤllig iſt, eben ſowol eine Urſache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Urſachen ſich bey einer ſchlechthinnothwendigen Urſache endigen muß, ohne welche ſie keine Vollſtaͤndigkeit haben wuͤrde. [606/0636] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. einzige, dadurch ein nothwendiges Weſen gedacht werden kan, d. i. es exiſtirt ein hoͤchſtes Weſen nothwendiger Weiſe. In dieſem cosmologiſchen Argumente kommen ſo viel vernuͤnftelnde Grundſaͤtze zuſammen, daß die ſpecu- lative Vernunft hier alle ihre dialectiſche Kunſt aufgeboten zu haben ſcheint, um den groͤßtmoͤglichen transſcendenta- len Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Pruͤ- fung indeſſen eine Weile bey Seite ſetzen, um nur eine Liſt derſelben offenbar zu machen, mit welcher ſie ein altes Argument in verkleideter Geſtalt vor ein neues aufſtellt und ſich auf zweier Zeugen Einſtimmung beruft, nemlich einem reinen Vernunftzeugen und einem anderen von em- piriſcher Beglaubigung, da es doch nur der erſtere allein iſt, welcher blos ſeinen Anzug und Stimme veraͤndert, um vor einen zweiten gehalten zu werden. Um ſeinen Grund recht ſicher zu legen, fuſſet ſich dieſer Beweis auf Erfahrung und giebt ſich dadurch das Anſehen, als ſey er vom ontologiſchen Beweiſe unterſchieden, der auf lauter reine Begriffe a priori ſein ganzes Vertrauen ſezt. Die- ſer Erfahrung aber bedient ſich der cosmologiſche Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu thun, nemlich zum Daſeyn eines nothwendigen Weſens uͤberhaupt. Was dieſes vor Eigenſchaften habe, kan der empiriſche Beweis- grund nicht lehren, ſondern da nimt die Vernunft gaͤnz- lich von ihm Abſchied und forſcht hinter lauter Begriffen: was nemlich ein abſolutnothwendiges Weſen uͤberhaupt vor [607/0637] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. vor Eigenſchaften haben muͤſſe, d. i. welches unter allen moͤglichen Dingen die erforderliche Bedingungen (requi- ſita) zu einer abſoluten Nothwendigkeit in ſich enthalte. Nun glaubt ſie im Begriffe eines allerrealeſten Weſens einzig und allein dieſe Requiſite anzutreffen, und ſchließt ſodann: das iſt das ſchlechterdingsnothwendige Weſen. Es iſt aber klar: daß man hiebey vorausſezt, der Be- griff eines Weſens von der hoͤchſten Realitaͤt thue dem Begriffe der abſoluten Nothwendigkeit im Daſeyn voͤllig gnug, d. i. es laſſe ſich aus iener auf dieſe ſchlieſſen, ein Satz, den das ontologiſche Argument behauptete, welches man alſo im cosmologiſchen Beweiſe annimt und zum Grunde legt, da man es doch hatte vermeiden wollen. Denn die abſolute Nothwendigkeit iſt ein Daſeyn aus bloſſen Begriffen. Sage ich nun: der Begriff des entis realiſſimi iſt ein ſolcher Begriff und zwar der einzige, der zu dem nothwendigen Daſeyn paſſend und ihm adaͤquat iſt, ſo muß ich auch einraͤumen, daß aus ihm das leztere geſchloſſen werden koͤnne. Es iſt alſo eigentlich nur der ontologiſche Beweis aus lauter Begriffen, der in dem ſo- genanten cosmologiſchen alle Beweiskraft enthaͤlt, und die angebliche Erfahrung iſt ganz muͤſſig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der abſoluten Nothwendigkeit zu fuͤh- ren, nicht aber um dieſe an irgend einem beſtimten Dinge darzuthun. Denn ſobald wir dieſes zur Abſicht haben, muͤſſen wir ſo fort alle Erfahrung verlaſſen, und unter reinen Begriffen ſuchen, welcher von ihnen wol die Be- din- [608/0638] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. dingungen der Moͤglichkeit eines abſolutnothwendigen We- ſens enthalte. Iſt aber auf ſolche Weiſe nur die Moͤg- lichkeit eines ſolchen Weſens eingeſehen, ſo iſt auch ſein Daſeyn dargethan; denn es heißt ſo viel, als: unter allem Moͤglichen iſt Eines, das abſolute Nothwendigkeit bey ſich fuͤhrt, d. i. dieſes Weſen exiſtirt ſchlechterdingsnoth- wendig. Alle Blendwerke im Schlieſſen entdecken ſich am leich- teſten, wenn man ſie auf ſchulgerechte Art vor Augen ſtellt Hier iſt eine ſolche Darſtellung. Wenn der Satz richtig iſt: ein iedes ſchlechthinnoth- wendiges Weſen iſt zugleich das allerrealeſte Weſen (als welches der neruus probandi des cosmologiſchen Bewei- ſes iſt), ſo muß er ſich, wie alle beiahende Urtheile, we- nigſtens per accidens umkehren laſſen; alſo einige aller- realeſte Weſen ſind zugleich ſchlechthinnothwendige We- ſen. Nun iſt aber ein ens realiſſimum von einem anderen in keinem Stuͤcke unterſchieden und, was alſo von einigen unter dieſem Begriffe enthaltenen gilt, das gilt auch von allen. Mithin werde ich (in dieſem Falle) auch ſchlecht- hin umkehren koͤnnen, d. i. ein iedes allerrealeſte Weſen iſt ein nothwendiges Weſen. Weil nun dieſer Satz blos aus ſeinen Begriffen a priori beſtimt iſt: ſo muß der bloſſe Begriff des realeſten Weſens auch die abſolute Nothwen- digkeit deſſelben bey ſich fuͤhren, welches eben der ontolo- giſche Beweis behauptete und der cosmologiſche nicht an- erken- [609/0639] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. erkennen wolte, gleichwol aber ſeinen Schluͤſſen, obzwar verſtekter Weiſe, unterlegte. So iſt denn der zweite Weg, den die ſpeculative Vernunft nimt, um das Daſeyn des hoͤchſten Weſens zu beweiſen, nicht allein mit dem erſten gleich truͤglich, ſon- dern hat noch dieſes tadelhafte an ſich, daß er eine igno- ratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußſteig zu fuͤhren, aber, nach einem kleinen Umſchweif, uns wiederum auf den alten zuruͤck bringt, den wir ſeinet- wegen verlaſſen hatten. Ich habe kurz vorher geſagt: daß in dieſem cosmo- logiſchen Argumente ſich ein ganzes Neſt von dialectiſchen Anmaſſungen verborgen halte, welches die transſcenden- tale Critik leicht entdecken und zerſtoͤhren kan. Ich will ſie iezt nur anfuͤhren und es dem ſchon geuͤbten Leſer uͤber- laſſen, den truͤglichen Grundſaͤtzen weiter nachzuforſchen und ſie aufzuheben. Da befindet ſich denn z. B. 1. der transſcendentale Grundſatz: vom Zufaͤlligen auf eine Urſache zu ſchlieſſen, welcher nur in der Sinnenwelt von Bedeutung iſt, auſſer- halb derſelben aber auch nicht einmal einen Sinn hat. Denn der blos intellectuelle Begriff des Zufaͤlligen kan gar keinen ſynthetiſchen Satz, wie den der Cauſſalitaͤt, her- vorbringen, und der Grundſatz der lezteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal ſeines Gebrauchs, als nur in der Sinnenwelt; hier aber ſolte er gerade dazu dienen, um uͤber die Sinnenwelt hinaus zu kommen. 2. Der Schluß, Q q [610/0640] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Schluß, von der Unmoͤglichkeit einer unendlichen Reihe uͤber einander gegebenen Urſachen in der Sinnenwelt auf eine erſte Urſache zu ſchlieſſen, wozu uns die Principien des Vernunftgebrauchs ſelbſt in der Erfahrung nicht be- rechtigen, vielweniger dieſen Grundſatz uͤber dieſelbe (wo- hin dieſe Kette gar nicht verlaͤngert werden kan) ausdeh- nen koͤnnen. 3. Die falſche Selbſtbefriedigung der Ver- nunft, in Anſehung der Vollendung dieſer Reihe, da- durch: daß man endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff einer Nothwendigkeit ſtatt finden kan, weg- ſchaft und, da man alsdenn nichts weiter begreifen kan, dieſes vor eine Vollendung ſeines Begriffs annimt. 4. Die Verwechſelung der logiſchen Moͤglichkeit eines Begriffs von aller vereinigten Realitaͤt (ohne inneren Widerſpruch) mit der transſcendentalen, welche ein Principium der Thun- lichkeit einer ſolchen Syntheſis bedarf, das aber wiederum nur auf das Feld moͤglicher Erfahrungen gehen kan, u. ſ. w. Das Kunſtſtuͤck des cosmologiſchen Beweiſes zielet blos darauf ab, um dem Beweiſe des Daſeyns eines nothwendigen Weſens a priori durch bloſſe Begriffe aus- zuweichen, der ontologiſch gefuͤhrt werden muͤßte, wozu wir uns aber gaͤnzlich unvermoͤgend fuͤhlen. In dieſer Abſicht ſchlieſſen wir aus einem zum Grunde gelegten wirk- lichen Daſeyn (einer Erfahrung uͤberhaupt), ſo gut es ſich will thun laſſen, auf irgend eine ſchlechterdingsnoth- wendige Bedingung deſſelben. Wir haben alsdenn dieſer ihre Moͤglichkeit nicht noͤthig zu erklaͤren. Denn, wenn bewie- [611/0641] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. bewieſen iſt, daß ſie da ſey, ſo iſt die Frage wegen ihrer Moͤglichkeit ganz unnoͤthig. Wollen wir nun dieſes noth- wendige Weſen nach ſeiner Beſchaffenheit naͤher beſtimmen, ſo ſuchen wir nicht dasienige, was hinreichend iſt, aus ſeinem Begriffe die Nothwendigkeit des Daſeyns zu be- greifen, denn koͤnten wir dieſes, ſo haͤtten wir keine em- piriſche Vorausſetzung noͤthig; nein, wir ſuchen nur die negative Bedingung, (conditio ſine qua non), ohne welche ein Weſen nicht abſolutnothwendig ſeyn wuͤrde. Nun wuͤrde das in aller anderen Art von Schluͤſſen, aus einer gegebenen Folge auf ihren Grund, wol angehen; es trift ſich aber hier ungluͤcklicher Weiſe, daß die Be- dingung, die man zur abſoluten Nothwendigkeit fodert, nur in einem einzigen Weſen angetroffen werden kan, welches daher in ſeinem Begriffe alles, was zur abſoluten Nothwendigkeit erfoderlich iſt, enthalten muͤßte, und alſo einen Schluß a priori auf dieſelbe moͤglich macht, d. i. ich muͤßte auch umgekehrt ſchlieſſen koͤnnen: welchem Din- ge dieſer Begriff (der hoͤchſten Realitaͤt) zukomt, das iſt ſchlechterdings nothwendig und, kan ich ſo nicht ſchlieſſen, (wie ich denn dieſes geſtehen muß, wenn ich den ontolo- giſchen Beweis vermeiden will), ſo bin ich auch auf mei- nem neuen Wege verungluͤckt und befinde mich wiederum da, von wo ich ausging. Der Begriff des hoͤchſten We- ſens thut wol allen Fragen a priori ein Gnuͤge, die we- gen der inneren Beſtimmungen eines Dinges koͤnnen auf- geworfen werden, und iſt darum auch ein Ideal ohne Gleichen, Q q 2 [612/0642] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Gleichen, weil der allgemeine Begriff daſſelbe zugleich als ein Individuum unter allen moͤglichen Dingen auszeich- net. Er thut aber der Frage wegen ſeines eigenen Da- ſeyns gar kein Gnuͤge, als warum es doch eigentlich nur zu thun war, und man konte auf die Erkundigung deſſen, der das Daſeyn eines nothwendigen Weſens annahm und nur wiſſen wolte, welches denn unter allen Dingen davor angeſehen werden muͤſſe, nicht antworten: Dies hier iſt das nothwendige Weſen. Es mag wol erlaubt ſeyn, das Daſeyn eines Weſens von der hoͤchſten Zulaͤnglichkeit, als Urſache zu allen moͤg- lichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklaͤrungsgruͤnde, welche ſie ſucht, zu er- leichteren. Allein, ſich ſo viel herauszunehmen: daß man ſo gar ſage: ein ſolches Weſen exiſtirt nothwendig, iſt nicht mehr die beſcheidene Aeuſſerung einer erlaubten Hy- potheſe, ſondern die dreuſte Anmaſſung einer apodictiſchen Gewißheit; denn, was man als ſchlechthinnothwendig zu erkennen vorgiebt, davon muß auch die Erkentniß abſo- lute Nothwendigkeit bey ſich fuͤhren. Die ganze Aufgabe des transſcendentalen Ideals komt darauf an: entweder zu der abſoluten Nothwendig- keit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgend einem Dinge die abſolute Nothwendigkeit deſſelben zu finden. Kan man das eine, ſo muß man auch das andere koͤnnen; denn als ſchlechthinnothwendig erkent die Vernunft nur dasie- nige, was aus ſeinem Begriffe nothwendig iſt. Aber bei- des [613/0643] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. des uͤberſteigt gaͤnzlich alle aͤuſſerſte Beſtrebungen, unſe- ren Verſtand uͤber dieſen Punct zu befriedigen, aber auch alle Verſuche, ihn wegen dieſes ſeines Unvermoͤgens zu be- ruhigen. Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt der wahre Abgrund vor die menſchliche Vernunft. Selbſt die Ewigkeit, ſo ſchauderhafterhaben ſie auch ein Haller ſchildern mag, macht lange den ſchwindelichten Eindruck nicht auf das Gemuͤth; denn ſie mißt nur die Dauer der Dinge, aber traͤgt ſie nicht. Man kan ſich des Gedan- ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra- gen: daß ein Weſen, welches wir uns auch als das Hoͤch- ſte unter allen moͤglichen vorſtellen, gleichſam zu ſich ſelbſt ſage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, auſſer mir iſt nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas iſt; aber woher bin ich denn? Hier ſinkt alles unter uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinſte, ſchwebt ohne Haltung blos vor der ſpeculativen Vernunft, der es nichts koſte, die eine ſo wie die andere, ohne die mindeſte Hinderniß verſchwinden zu laſſen. Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daſeyn durch ge- wiſſe Wirkungen aͤuſſern, bleiben vor uns unerforſchlich; denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge- nug nachſpuͤhren. Das den Erſcheinungen zum Grunde liegende transſcendentale Obiect und, mit demſelben der Grund, warum unſere Sinnlichkeit dieſe vielmehr als an- dere Q q 3 [614/0644] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. dere oberſte Bedingungen habe, ſind und bleiben vor uns unerforſchlich, obzwar die Sache ſelbſt uͤbrigens gegeben, aber nur nicht eingeſehen iſt. Ein Ideal der reinen Ver- nunft kan aber nicht unerforſchlich heiſſen, weil es weiter keine Beglaubigung ſeiner Realitaͤt aufzuweiſen hat, als die Beduͤrfniß der Vernunft, vermittelſt deſſelben alle ſyn- thetiſche Einheit zu vollenden. Da es alſo nicht einmal als denkbarer Gegenſtand gegeben iſt, ſo iſt es auch nicht als ein ſolcher unerforſchlich, vielmehr muß er, als bloſſe Idee, in der Natur der Vernunft ſeinen Sitz und ſeine Aufloͤſung finden und alſo erforſcht werden koͤnnen; denn eben darin beſteht Vernunft: daß wir von allen unſeren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es ſey aus obiectiven, oder, wenn ſie ein bloſſer Schein ſind, aus ſubiectiven Gruͤnden Rechenſchaft geben koͤnnen. Entdeckung und Erklaͤrung des dialectiſchen Scheins in allen transſcendentalen Beweiſen vom Daſeyn eines nothwendigen Weſens. Beide bisher gefuͤhrte Beweiſe waren transſcenden- tal, d. i. unabhaͤngig von empiriſchen Principien verſucht. Denn, obgleich der cosmologiſche eine Erfahrung uͤberhaupt zum Grunde legt, ſo iſt er doch nicht aus irgend einer be- ſonderen Beſchaffenheit derſelben, ſondern aus reinen Vernunftprincipien, in Beziehung auf eine durchs empiri- che Bewuſtſeyn uͤberhaupt gegebene Exiſtenz, gefuͤhret und [615/0645] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. und verlaͤßt ſo gar dieſe Anleitung, um ſich auf lauter reine Begriffe zu ſtuͤtzen. Was iſt nun in dieſen trans- ſcendentalen Beweiſen die Urſache des dialectiſchen, aber natuͤrlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendig- keit und hoͤchſten Realitaͤt verknuͤpft und dasienige, was doch nur Idee ſeyn kan, realiſirt und hypoſtaſirt? Was iſt die Urſache der Unvermeidlichkeit, etwas als an ſich nothwendig unter den exiſtirenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich von dem Daſeyn eines ſolchen Weſens als einem Abgrunde zuruͤckzubeben, und wie faͤngt man es an, daß ſich die Vernunft hieruͤber ſelbſt verſtehe und aus dem ſchwankenden Zuſtande eines ſchuͤchternen und immer wiederum zuruͤckgenommenen Beifalls, zur ruhi- gen Einſicht gelange? Es iſt etwas uͤberaus Merkwuͤrdiges: daß, wenn man vorausſezt, etwas exiſtire, man der Folgerung nicht Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendi- gerweiſe exiſtire. Auf dieſem ganz natuͤrlichen (obzwar darum noch nicht ſicheren) Schluſſe beruhete das cosmo- logiſche Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, ſo finde ich, daß ſein Daſeyn niemals von mir als ſchlechterdings nothwen- dig vorgeſtellt werden koͤnne, und daß mich nichts hindere, es mag exiſtiren was da wolle, das Nichtſeyn deſſelben zu denken, mithin ich zwar zu dem Exiſtirenden uͤberhaupt etwas Nothwendiges annehmen muͤſſe, kein einziges Ding aber ſelbſt, als an ſich nothwendig, denken koͤnne: Das heißt: Q q 4 [616/0646] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. heißt: ich kan das Zuruͤckgehen zu den Bedingungen des Exiſtirens niemals vollenden, ohne ein nothwendig Weſen anzunehmen, ich kan aber von demſelben niemals an- fangen. Wenn ich zu exiſtirenden Dingen uͤberhaupt etwas Nothwendiges denken muß, kein Ding aber an ſich ſelbſt als nothwendig zu denken befugt bin, ſo folgt daraus un- vermeidlich: daß Nothwendigkeit und Zufaͤlligkeit nicht die Dinge ſelbſt angehen und treffen muͤſſe, weil ſonſt ein Widerſpruch vorgehen wuͤrde, mithin keiner dieſer beiden Grundſaͤtze obiectiv ſey, ſondern ſie allenfalls nur ſub- iective Principien der Vernunft ſeyn koͤnnen, nemlich einer Seits zu allem, was als exiſtirend gegeben iſt, etwas zu ſuchen, das nothwendig iſt, d. i. niemals anderswo, als bey einer a priori vollendeten Erklaͤrung aufzuhoͤren, an- derer Seits aber auch dieſe Vollendung niemals zu hoffen, d. i. nichts Empiriſches als unbedingt anzunehmen, und ſich dadurch fernerer Ableitung zu uͤberheben. In ſol- cher Bedeutung koͤnnen beide Grundſaͤtze als blos hevri- ſtiſch und regulativ, die nichts, als das formale Intereſſe der Vernunft beſorgen, ganz wol bey einander beſtehen. Denn der eine ſagt, ihr ſollt ſo uͤber die Natur philo- ſophiren, als ob es zu allem, was zur Exiſtenz gehoͤrt, einen nothwendigen erſten Grund gebe, lediglich um ſy- ſtematiſche Einheit in euer Erkentniß zu bringen, indem ihr einer ſolchen Idee, nemlich einem eingebildeten ober- ſten Grunde, nachgeht: der andere aber warnet euch, keine ein- [617/0647] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. einzige Beſtimmung, die die Exiſtenz der Dinge betrift, vor einen ſolchen oberſten Grund, d. i. als abſolutnothwen- dig anzunehmen, ſondern euch noch immer den Weg zur ferneren Ableitung offen zu erhalten und ſie daher iederzeit noch als bedingt zu behandeln. Wenn aber vor uns alles, was an den Dingen wahrgenommen wird, als bedingtnoth- wendig betrachtet werden muß: ſo kan auch kein Ding (das empiriſch gegeben ſeyn mag) als abſolutnothwendig angeſehen werden. Es folgt aber hieraus: daß ihr das Abſolutnothwen- dige auſſerhalb der Welt annehmen muͤßt; weil es nur zu einem Princip der groͤßtmoͤglichen Einheit der Erſchei- nungen, als deren oberſter Grund, dienen ſoll und ihr in der Welt niemals dahin gelangen koͤnt, weil die zweite Regel euch gebietet, alle empiriſche Urſachen der Einheit iederzeit als abgeleitet anzuſehen. Die Philoſophen des Alterthums ſahen alle Form der Natur als zufaͤllig, die Materie aber, nach dem Urtheile der gemeinen Vernunft, als urſpruͤnglich und nothwendig an. Wuͤrden ſie aber die Materie nicht als Subſtratum der Erſcheinungen reſpectiv, ſondern an ſich ſelbſt ihrem Daſeyn nach betrachtet haben, ſo waͤre die Idee der abſo- luten Nothwendigkeit ſo gleich verſchwunden. Denn es iſt nichts, was die Vernunft an dieſes Daſeyn ſchlecht- hin bindet, ſondern ſie kan ſolches, iederzeit und ohne Widerſtreit, in Gedanken aufheben; in Gedan- ken aber lag auch allein die abſolute Nothwendigkeit. Es Q q 5 [618/0648] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Es mußte alſo bey dieſer Ueberredung ein ge- wiſſes regulative Princip zum Grunde liegen. In der That iſt auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zuſammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberſte empiriſche Principium der Einheit der Erſcheinun- gen und hat, ſo fern als es empiriſch unbedingt iſt, eine Eigenſchaft des regulativen Princips an ſich. Gleichwol, da iede Beſtimmung der Materie, welche das Reale der- ſelben ausmacht, mithin auch die Undurchdringlichkeit, ei- ne Wirkung (Handlung) iſt, die ihre Urſache haben muß und daher immer noch abgeleitet iſt, ſo ſchickt ſich die Materie doch nicht zur Idee eines nothwendigen Weſens, als eines Princips aller abgeleiteten Einheit; weil iede ihrer realen Eigenſchaften, als abgeleitet, nur bedingt nothwendig iſt und alſo an ſich aufgehoben werden kan, hiemit aber das ganze Daſeyn der Materie aufgehoben wer- den wuͤrde, wenn dieſes aber nicht geſchaͤhe, wir den hoͤch- ſten Grund der Einheit empiriſch erreicht haben wuͤrden, welches durch das zweite regulative Princip verboten wird, ſo folgt: daß die Materie, und uͤberhaupt, was zur Welt gehoͤrig iſt, zu der Idee eines nothwendigen Urweſens, als eines bloſſen Princips der groͤßten empiriſchen Einheit, nicht ſchicklich ſey, ſondern daß es auſſerhalb der Welt geſezt werden muͤſſe, da wir denn die Erſcheinungen der Welt und ihr Daſeyn immer getroſt von anderen ableiten koͤnnen, als ob es kein nothwendig Weſen gaͤbe und dennoch zu der Bollſtaͤndigkeit der Ableitung unaufhoͤrlich ſtreben koͤn- nen: [619/0649] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. nen, als ob ein ſolches, als ein oberſter Grund, voraus- geſezt waͤre. Das Ideal des hoͤchſten Weſens iſt nach dieſen Be- trachtungen nichts anders, als ein regulatives Princip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt ſo anzuſehen, als ob ſie aus einer allgnugſamen nothwendigen Urſache entſpraͤnge, um darauf die Regel einer ſyſtematiſchen und nach allgemeinen Geſetzen nothwendigen Einheit in der Erklaͤrung derſelben zu gruͤnden und iſt nicht eine Behaup- tung einer an ſich nothwendigen Exiſtenz. Es iſt aber zugleich unvermeidlich, ſich, vermittelſt einer transſcen- dentalen Subreption, dieſes formale Princip als conſtitu- tiv vorzuſtellen und ſich dieſe Einheit hypoſtatiſch zu den- ken. Denn, ſo wie der Raum, weil er alle Geſtalten, die lediglich verſchiedene Einſchraͤnkungen deſſelben ſind, urſpruͤnglich moͤglich macht, ob er gleich nur ein Princi- pium der Sinnlichkeit iſt, dennoch eben darum vor ein ſchlechterdings nothwendiges vor ſich beſtehendes Etwas und einen a priori an ſich ſelbſt gegebenen Gegenſtand ge- halten wird, ſo geht es auch ganz natuͤrlich zu: daß, da die ſyſtematiſche Einheit der Natur auf keinerley Weiſe zum Princip des empiriſchen Gebrauchs unſerer Vernunft auf- geſtellet werden kan, als ſo fern wir die Idee eines aller- realeſten Weſens, als der oberſten Urſache, zum Grunde legen, dieſe Idee dadurch als ein wirklicher Gegenſtand und dieſer wiederum, weil er die oberſte Bedingung iſt, als nothwendig vorgeſtellet, mithin ein regulatives Prin- cip [620/0650] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. cip in ein conſtitutives verwandelt werde, welche Unter- ſchiebung ſich dadurch offenbart: daß, wenn ich nun die- ſes oberſte Weſen, welches reſpectiv auf die Welt ſchlecht- hin (unbedingt) nothwendig war, als Ding vor ſich be- trachte, dieſe Nothwendigkeit keines Begriffs faͤhig iſt, und alſo nur als formale Bedingung des Denkens, nicht aber als materiale und hypoſtatiſche Bedingung des Da- ſeyns, in meiner Vernunft anzutreffen geweſen ſeyn muͤſſe. Des dritten Hauptſtuͤcks Sechſter Abſchnitt. Von der Unmoͤglichkeit des phyſicotheologiſchen Beweiſes. Wenn denn weder der Begriff von Dingen uͤberhaupt, noch die Erfahrung von irgend einem Daſeyn uͤberhaupt, das, was gefodert wird, leiſten kan, ſo bleibt noch ein Mittel uͤbrig, zu verſuchen, ob nicht eine beſtim- te Erfahrung, mithin die, der Dinge der gegenwaͤrtigen Welt, ihre Beſchaffenheit und Anordnung einen Beweis- grund abgebe, der uns ſicher zur Ueberzeugung von dem Daſeyn eines hoͤchſten Weſens verhelfen koͤnne. Einen ſolchen Beweis wuͤrden wir den phyſicotheologiſchen nen- nen. Solte dieſer auch unmoͤglich ſeyn: ſo iſt uͤberall kein gnugthuender Beweis aus blos ſpeculativer Vernunft vor das Daſeyn eines Weſens, welches unſerer transſcen- dentalen Idee entſpraͤche, moͤglich. Man [621/0651] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald ein- ſehen, daß der Beſcheid auf dieſe Nachfrage ganz leicht und buͤndig erwartet werden koͤnne. Denn, wie kan ie- mals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemeſ- ſen ſeyn ſolte? Darin beſteht eben das Eigenthuͤmliche der lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congrui- ren koͤnne. Die transſcendentale Idee von einem noth- wendigen allgnugſamen Urweſen iſt ſo uͤberſchwenglich groß, ſo hoch uͤber alles Empiriſche, das iederzeit bedingt iſt, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Er- fahrung auftreiben kan, um einen ſolchen Begriff zu fuͤl- len, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und ſtets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Geſetz irgend einer empiriſchen Syntheſis ein Beiſpiel, oder dazu die mindeſte Leitung giebt, ſuchen werden. Wuͤrde das hoͤchſte Weſen in dieſer Kette der Bedin- gungen ſtehen, ſo wuͤrde es ſelbſt ein Glied der Reihe derſelben ſeyn und, eben ſo, wie die niedere Glieder, de- nen es vorgeſezt iſt, noch fernere Unterſuchung wegen ſei- nes noch hoͤheren Grundes erfodern. Will man es dage- gen von dieſer Kette trennen und, als ein blos intelligi- beles Weſen, nicht in der Reihe der Natururſachen mit be- greifen: welche Bruͤcke kan die Vernunft alsdenn wol ſchla- gen, um zu demſelben zu gelangen? Da alle Geſetze des Ueberganges von Wirkungen zu Urſachen, ia alle Synthe- ſis und Erweiterung unſerer Erkentniß uͤberhaupt auf nichts anderes, als moͤgliche Erfahrung, mithin blos auf Gegen- [622/0652] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Gegenſtaͤnde der Sinnenwelt geſtellt ſeyn und nur in Anſe- hung ihrer eine Bedeutung haben koͤnnen. Die gegenwaͤrtige Welt eroͤfnet uns einen ſo uner- meßlichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmaͤſſigkeit und Schoͤnheit, man mag dieſe nun in der Unendlichkeit des Raumes, oder in der unbegraͤnzten Theilung deſſelben verfolgen, daß ſelbſt nach den Kentniſſen, welche unſer ſchwache Verſtand davon hat erwerben koͤn- nen, alle Sprache, uͤber ſo viele und unabſehlichgroſſe Wunder, ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu meſſen und ſelbſt unſere Gedanken alle Begraͤnzung ver- miſſen, ſo, daß ſich unſer Urtheil vom Ganzen in ein ſprach- loſes, aber deſto beredteres Erſtaunen aufloͤſen muß. Aller- werts ſehen wir eine Kette der Wirkungen und Urſachen, von Zwecken und den Mitteln, Regelmaͤſſigkeit im Ent- ſtehen oder Vergehen, und, indem nichts von ſelbſt in den Zuſtand getreten iſt, darin es ſich befindet, ſo weiſet er immer weiter hin nach einem anderen Dinge, als ſeiner Urſache, welche gerade eben dieſelbe weitere Nachfrage nothwendig macht, ſo, daß auf ſolche Weiſe das ganze All im Abgrunde des Nichts verſinken muͤßte, naͤhme man nicht etwas an, das auſſerhalb dieſem unendlichen Zufaͤlli- gen, vor ſich ſelbſt urſpruͤnglich und unabhaͤngig beſtehend, daſſelbe hielte und, als die Urſache ſeines Urſprungs, ihm zugieich ſeine Fortdauer ſicherte. Dieſe hoͤchſte Urſache (in Anſehung aller Dinge der Welt) wie groß ſoll man ſie ſich denken? Die Welt kennen wir nicht ihrem ganzen In- halte [623/0653] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. halte nach, noch weniger wiſſen wir ihre Groͤſſe durch die Vergleichung mit allem, was moͤglich iſt, zu ſchaͤtzen. Was hindert uns aber, daß, da wir einmal in Abſicht auf Cauſ- ſalitaͤt ein aͤuſſerſtes und oberſtes Weſen beduͤrfen, es nicht zugleich dem Grade der Vollkommenheit nach uͤber alles andere Moͤgliche ſetzen ſolten, welches wir leicht, obzwar freilich nur durch den zarten Umriß eines abſtracten Be- griffs, bewerkſtelligen koͤnnen, wenn wir uns in ihm, als einer einigen Subſtanz, alle moͤgliche Vollkommenheit ver- einigt vorſtellen, welcher Begriff der Foderung unſerer Vernunft in der Erſpahrung der Principien guͤnſtig, in ſich ſelbſt keinen Widerſpruͤchen unterworfen und ſelbſt der Erweiterung des Vernunftgebrauchs mitten in der Erfah- rung, durch die Leitung, welche eine ſolche Idee auf Ord- nung und Zweckmaͤſſigkeit giebt, zutraͤglich, nirgend aber einer Erfahrung auf entſchiedene Art zuwider iſt. Dieſer Beweis verdient iederzeit mit Achtung ge- nant zu werden. Er iſt der aͤlteſte, klaͤreſte und der ge- meinen Menſchenvernunft am meiſten angemeſſene. Er belebt das Studium der Natur, ſo wie er ſelbſt von die- ſem ſein Daſeyn hat und dadurch immer neue Kraft be- komt. Er bringt Zwecke und Abſichten dahin, wo ſie un- ſere Beobachtung nicht von ſelbſt entdekt haͤtte und erwei- terr unſere Naturkentniſſe durch den Leitfaden einer beſon- deren Einheit, deren Princip auſſer der Natur iſt. Dieſe Kentniſſe wirken aber wieder auf ihre Urſache, nemlich die veran- [624/0654] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. veranlaſſende Idee zuruͤck und vermehren den Glauben an einen hoͤchſten Urheber bis zu einer unwiderſtehlichen Ueber- zeugung. Es wuͤrde daher nicht allein troſtlos, ſondern auch ganz umſonſt ſeyn, dem Anſehen dieſes Beweiſes etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch ſo maͤch- tige und unter ihren Haͤnden immer wachſende, obzwar nur empiriſche Beweisgruͤnde, unablaͤſſig gehoben wird, kan durch keine Zweifel ſubtiler abgezogener Speculation ſo niedergedruͤkt werden, daß ſie nicht aus ieder gruͤbleri- ſchen Unentſchloſſenheit, gleich als aus einem Traume, durch einen Blick, den ſie auf die Wunder der Natur und der Maieſtaͤt des Weltbaues wirft, geriſſen werden ſolte, um ſich von Groͤſſe zu Groͤſſe bis zur allerhoͤchſten, vom Be- dingten zur Bedingung, bis zum oberſten und unbeding- ten Urheber zu erheben. Ob wir aber gleich wider die Vernunftmaͤſſigkeit und Nuͤtzlichkeit dieſes Verfahrens nichts einzuwenden, ſondern es vielmehr zu empfehlen und aufzumuntern haben, ſo koͤnnen wir darum doch die Anſpruͤche nicht billigen, wel- che dieſe Beweisart auf apodictiſche Gewißheit und auf einen, gar keiner Gunſt, oder fremder Unterſtuͤtzung be- duͤrftigen Beifall machen moͤchte und es kan der guten Sa- che keinesweges ſchaden, die dogmatiſche Sprache eines hohnſprechenden Vernuͤnftlers auf den Ton der Maͤſſigung und Beſcheidenheit, eines zur Beruhigung hinreichenden, obgleich eben nicht unbedingte Unterwerfung gebietenden Glau- [625/0655] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. Glaubens, herabzuſtimmen. Ich behaupte demnach: daß der phyſicotheologiſche Beweis das Daſeyn eines hoͤchſten Weſens niemals allein darthun koͤnne, ſondern es iederzeit dem ontologiſchen (welchem er nur zur Introduction dient), uͤberlaſſen muͤſſe, dieſen Mangel zu ergaͤnzen, mithin die- ſer immer noch den einzigmoͤglichen Beweisgrund (wo- fern uͤberall nur ein ſpeculativer Beweis ſtatt findet), ent- halte, den keine menſchliche Vernunft vorbey gehen kan. Die Hauptmomente des gedachten phyſiſchtheologi- ſchen Beweiſes ſind folgende: 1. In der Welt finden ſich allerwerts deutliche Zeichen einer Anordnung nach beſtim- ter Abſicht, mit groſſer Weisheit ausgefuͤhrt und in einem Ganzen, von unbeſchreiblicher Mannigfaltigkeit des In- halts ſo wol, als auch unbegraͤnzter Groͤſſe des Umfangs; 2. Denen Dingen der Welt iſt dieſe zweckmaͤſſige Anord- nung ganz fremd und haͤngt ihnen nur zufaͤllig an, d. i. die Natur verſchiedener Dinge konte von ſelbſt, durch ſo vie- lerley ſich vereinigende Mittel, zu beſtimten Endabſichten nicht zuſammen ſtimmen, waͤren ſie nicht durch ein anord- nendes vernuͤnftiges Princip, nach zum Grunde liegenden Ideen, dazu ganz eigentlich gewaͤhlt und angelegt worden. 3. Es exiſtirt alſo eine erhabene und weiſe Urſache (oder mehrere), die nicht blos, als blindwirkende allvermoͤgende Natur, durch Fruchtbarkeit, ſondern, als Intelligenz, durch Freiheit die Urſache der Welt ſeyn muß. 4. Die Einheit derſelben laͤßt ſich aus der Einheit der wechſelſei- tigen Beziehung der Theile der Welt, als Glieder von ei- nem R r [626/0656] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. nem kuͤnſtlichen Bauwerk, an demienigen, wohin unſere Beobachtung reicht, mit Gewißheit, weiter hin aber, nach allen Grundſaͤtzen der Analogie, mit Wahrſcheinlich- keit ſchlieſſen. Ohne hier mit der natuͤrlichen Vernunft uͤber ihren Schluß zu chicaniren, da ſie aus der Analogie einiger Na- turproducte mit demienigen, was menſchliche Kunſt hervor- bringt, wenn ſie der Natur Gewalt thut und ſie noͤthigt, nicht nach ihren Zwecken zu verfahren, ſondern ſich in die unſrige zu ſchmiegen, (der Aehnlichkeit derſelben mit Haͤu- ſern, Schiffen, Uhren) ſchließt, es werde eben eine ſolche Cauſſalitaͤt, nemlich Verſtand und Wille, bey ihr zum Grunde liegen, wenn ſie die innere Moͤglichkeit der freiwirken- den Natur (die alle Kunſt und vielleicht ſelbſt ſo gar die Vernunft zuerſt moͤglich macht), noch von einer anderen, obgleich uͤbermenſchlichen Kunſt ableitet, welche Schlußart vielleicht die ſchaͤrfſte transſc. Critik nicht aushalten duͤrfte, muß man doch geſtehen, daß, wenn wir einmal eine Urſache nennen ſollen, wir hier nicht ſicherer, als nach der Analogie mit dergleichen zweckmaͤſſigen Erzeugungen, die die einzige ſind, wovon uns die Urſachen und Wirkungsart voͤllig bekant ſind, verfahren koͤnnen. Die Vernunft wuͤrde es bey ſich ſelbſt nicht verantworten koͤnnen, wenn ſie von der Cauſſalitaͤt, die ſie kent, zu dunkeln und unerweislichen Erklaͤrungs- gruͤnden, die ſie nicht kent, uͤbergehen wolte. Nach dieſem Schluſſe muͤßte die undeckmaͤſſigkeit und Wolgereimtheit ſo vieler Naturanſtalten blos die Zufaͤllig- keit [627/0657] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. keit der Form, aber nicht der Materie, d. i. der Subſtanz in der Welt beweiſen; denn zu dem lezteren wuͤrde noch erfodert werden, daß bewieſen werden koͤnte: die Dinge der Welt waͤren an ſich ſelbſt zu dergleichen Ordnung und Einſtimmung, nach allgemeinen Geſetzen, untauglich, wenn ſie nicht, ſelbſt ihrer Subſtanz nach, das Product einer hoͤchſten Weisheit waͤren, wozu aber ganz andere Beweisgruͤnde, als die von der Analogie mit menſchlicher Kunſt, erfodert werden wuͤrden. Der Beweis koͤnte alſo hoͤchſtens einen Weltbaumeiſter, der durch die Tauglichkeit des Stoffs, den er bearbeitet, immer ſehr eingeſchraͤnkt waͤre, aber nicht einen Weltſchoͤpfer, deſſen Idee alles unterworfen iſt, darthun, welches zu der groſſen Abſicht, die man vor Augen hat, nemlich ein allgnugſames Urwe- ſen zu beweiſen, bey weitem nicht hinreichend iſt. Woll- ten wir die Zufaͤlligkeit der Materie ſelbſt beweiſen, ſo muͤßten wir zu einem transſcendentalen Argumente unſere Zuflucht nehmen, welches aber hier eben hat vermieden werden ſollen. Der Schluß gehet alſo von der in der Welt ſo durch- gaͤngig beobachtenden Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit, als einer durchaus zufaͤlligen Einrichtung, auf das Daſeyn einer ihr proportionirten Urſache. Der Begriff dieſer Ur- ſache aber muß uns etwas ganz Beſtimtes von ihr zu er- kennen geben und er kan alſo kein anderer ſeyn, als der von einem Weſen, das alle Macht, Weisheit ꝛc. mit einem Worte, alle Vollkommenheit, als ein allgnugſames We- ſen, R r 2 [628/0658] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſen, beſizt. Denn die Praͤdicate von ſehr groſſer, von erſtaunlicher, von unermeßlicher Macht und Treflichkeit geben gar keinen beſtimten Begriff und ſagen eigentlich nicht, was das Ding an ſich ſelbſt ſey, ſondern ſind nur Verhaͤltnißvorſtellungen von der Groͤſſe des Gegenſtandes, den der Beobachter (der Welt) mit ſich ſelbſt und ſeiner Faſſungskraft vergleicht und die gleich hochpreiſend ausfal- len, man mag den Gegenſtand vergroͤſſern, oder das be- obachtende Subiect in Verhaͤltniß auf ihn kleiner machen. Wo es auf Groͤſſe (der Vollkommenheit) eines Dinges uͤberhaupt ankomt, da giebt es keinen beſtimten Begriff, als der, ſo die ganze moͤgliche Vollkommenheit begreift, und nur das All (omnitudo) der Realitaͤt iſt im Begriffe durchgaͤngig beſtimt. Nun will ich nicht hoffen, daß ſich iemand unterwin- den ſolte, das Verhaͤltniß der von ihm beobachteten Welt- groͤſſe (nach Umfang ſo wol als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur hoͤchſten Weisheit, der Welteinheit zur abſoluten Einheit des Urhebers ꝛc einzuſehen. Alſo kan die Phyſicotheologie keinen beſtimten Begriff von der ober- ſten Welturſache geben und daher zu einem Princip der Theologie, welche wiederum die Grundlage der Religion ausmachen ſoll, nicht hinreichend ſeyn. Der Schritt zu der abſoluten Totalitaͤt iſt durch den empiriſchen Weg ganz und gar unmoͤglich. Nun thut man ihn doch aber im phyſiſchtheologiſchen Beweiſe. Wel- ches [629/0659] VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc. ches Mittels bedient man ſich alſo wol, uͤber eine ſo weite Kluft zu kommen? Nachdem man bis zur Bewunderung der Groͤſſe der Weisheit, der Macht ꝛc des Welturhebers gelanget iſt und nicht weiter kommen kan, ſo verlaͤßt man auf ein- mal dieſes durch empiriſche Beweisgruͤnde gefuͤhrte Argu- ment und geht zu der, gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit der Welt geſchloſſenen Zufaͤlligkeit derſel- ben. Von dieſer Zufaͤlligkeit allein geht man nun, le- diglich durch transſcendentale Begriffe, zum Daſeyn eines Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der abſo- luten Nothwendigkeit der erſten Urſache auf den durch- gaͤngig beſtimten, oder beſtimmenden Begriff deſſelben, nemlich einer allbefaſſenden Realitaͤt. Alſo blieb der phyſiſchtheologiſche Beweis in ſeiner Unternehmung ſtecken, ſprang in dieſer Verlegenheit ploͤtzlich zu dem cosmologi- ſchen Beweiſe uͤber und, da dieſer nur ein verſteckter onto- logiſcher Beweis iſt, ſo vollfuͤhrte er ſeine Abſicht wirklich blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfaͤnglich alle Ver- wandſchaft mit dieſer abgeleugnet und alles auf einleuch- tende Beweiſe aus Erfahrung ausgeſezt hatte. Die Phyſicotheologen haben alſo gar nicht Urſache gegen die transſcendentale Beweisart ſo ſproͤde zu thun und auf ſie mit dem Eigenduͤnkel hellſehender Naturkenner, als auf das Spinnengewebe finſterer Gruͤbler, herabzuſehen. Denn, wenn ſie ſich nur ſelbſt pruͤfen wolten, ſo wuͤrden ſie finden: daß, nachdem ſie eine gute Strecke auf dem Boden R r 3 [630/0660] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Boden der Natur und Erfahrung fortgegangen ſind und ſich gleichwol immer noch eben ſo weit von dem Gegenſtan- de ſehen, der ihrer Vernunft entgegen ſcheint, ſie ploͤtzlich dieſen Boden verlaſſen und ins Reich bloſſer Moͤglichkeiten uͤbergehen, wo ſie auf den Fluͤgeln der Ideen demienigen nahe zu kommen hoffen, was ſich aller ihrer empiriſchen Nachſuchung entzogen hatte. Nachdem ſie endlich durch einen ſo maͤchtigen Sprung feſten Fuß gefaßt zu haben vermeinen, ſo verbreiten ſie den nunmehr beſtimten Be- griff (in deſſen Beſitz ſie, ohne zu wiſſen wie, gekommen ſind), uͤber das ganze Feld der Schoͤpfung und erlaͤutern das Ideal, welches lediglich ein Product der reinen Ver- nunft war, obzwar kuͤmmerlich gnug und weit unter der Wuͤrde ſeines Gegenſtandes, durch Erfahrung, ohne doch geſtehen zu wollen, daß ſie zu dieſer Kentniß oder Vor- ausſetzung durch einen anderen Fußſteig, als den der Er- fahrung, gelanget ſind. So liegt demnach dem phyſicotheologiſchen Beweiſe der cosmologiſche, dieſem aber der ontologiſche Beweis. vom Daſeyn eines einigen Urweſens als hoͤchſten Weſens, zum Grunde und, da auſſer dieſen dreien Wegen keiner mehr der ſpeculativen Vernunft offen iſt: ſo iſt der onto- logiſche Beweis, aus lauter reinen Vernunftbegriffen, der einzige moͤgliche, wenn uͤberall nur ein Beweis, von ei- nem ſo weit uͤber allen empiriſchen Verſtandesgebrauch er- habenen Satze, moͤglich iſt. Des [631/0661] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Des dritten Hauptſtuͤcks Siebenter Abſchnitt. Critik aller Theologie aus ſpeculativen Principien der Vernunft. Wenn ich unter Theologie die Erkentniß des Urweſens verſtehe, ſo iſt ſie entweder die aus bloſſer Ver- nunft (theologia rationalis) oder aus Offenbahrung (reve- lata). Die erſtere denkt ſich nun ihren Gegenſtand entwe- der blos durch reine Vernunft, vermittelſt lanter trans- ſcendentaler Begriffe, (ens originarium, realiſſimum, ens entium und heißt die transſcendentale Theologie, oder durch einen Begriff, den ſie aus der Ratur (unſerer Seele) entlehnt, als die hoͤchſte Intelligenz und muͤßte die natuͤrliche Theologie heiſſen. Der, ſo allein eine trans- ſcendentale Theologie einraͤumt, wird Deiſt, der, ſo auch eine natuͤrliche Theologie annimt, Theiſt genant. Der erſtere giebt zu, daß wir allenfals das Daſeyn eines Ur- weſens durch bloſſe Vernunft erkennen koͤnnen, aber unſer Begriff von ihm blos transſcendental ſey, nemlich nur als von einem Weſen, das alle Realitaͤt hat, die man aber nicht naͤher beſtimmen kan. Der zweite behauptet, die Vernunft ſey im Stande, den Gegenſtand nach der Ana- logie mit der Natur naͤher zu beſtimmen, nemlich: als ein Weſen, das durch Verſtand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in ſich enthalte. Jener ſtellet ſich alſo unter demſelben blos eine Welturſache, (ob durch die Noth- R r 4 [632/0662] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Nothwendigkeit ſeiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentſchieden), dieſen einen Welturheber vor. Die transſcendentale Theologie iſt entweder dieienige, welche das Daſeyn des Urweſens von einer Erfahrung uͤber- haupt (ohne uͤber die Welt, wozu ſie gehoͤret, etwas naͤ- her zu beſtimmen), abzuleiten gedenkt und heißt Cosmo- theologie, oder glaubt durch bloſſe Begriffe, ohne Beihuͤlfe der mindeſten Erfahrung, ſein Daſeyn zu erkennen und wird Ontotheologie genant. Die natuͤrliche Theologie ſchließt auf die Eigen- ſchaften und das Daſeyn eines Welturhebers, aus der Beſchaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieſer Welt angetroffen wird, in welcher zweierley Cauſſalitaͤt und deren Regel angenommen werden muß, nemlich Na- tur und Freiheit. Daher ſteigt ſie von dieſer Welt zur hoͤchſten Intelligenz auf, entweder als dem Princip aller natuͤrlichen, oder aller ſittlichen Ordnung und Vollkom- menheit. Im erſteren Falle heißt ſie Phyſicotheologie, im lezten Moraltheologie *). Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa blos eine blindwirkende ewige Natur, als die Wurzel der Dinge, ſondern ein hoͤchſtes Weſen, das durch Verſtand und *) Nicht theologiſche Moral; denn die enthaͤlt ſittliche Ge- ſetze, welche das Daſeyn eines hoͤchſten Weltregierers vorausſetzen, dahingegen die Moraltheologie eine Ueber- zeugung vom Daſeyn eines hoͤchſten Weſens iſt, welche auf ſittliche Geſetze gegruͤndet iſt. [633/0663] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. und Freiheit der Urheber der Dinge ſeyn ſoll, zu ver- ſtehen gewohnt iſt, und auch dieſer Begriff allein uns in- tereſſirt, ſo koͤnte man, nach der Strenge, dem Deiſten allen Glauben an Gott abſprechen und ihm lediglich die Behauptung eines Urweſens, oder oberſten Urſache uͤbrig laſſen. Indeſſen, da niemand darum, weil er etwas ſich nicht zu behaupten getraut, beſchuldigt werden darf, er wolle es gar laͤugnen, ſo iſt es gelinder und billiger zu ſagen: der Deiſt glaube einen Gott, der Theiſt aber einen lebendigen Gott (ſummam intelligentiam). Jezt wollen wir die moͤgliche Quellen aller dieſer Verſuche der Vernunft aufſuchen. Ich begnuͤge mich hier, die theoretiſche Erkentniß durch eine ſolche zu erklaͤren, wodurch ich erkenne, was da iſt, die practiſche aber, dadurch ich mir vorſtelle, was da ſeyn ſoll. Dieſemnach iſt der theoretiſche Gebrauch der Vernunft derienige, durch den ich a priori (als noth- wendig) erkenne, daß etwas ſey, der practiſche aber, durch den a priori erkant wird, was geſchehen ſolle. Wenn nun entweder, daß etwas ſey, oder geſchehen ſolle, un- gezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt iſt: ſo kan doch entweder eine gewiſſe beſtimte Bedingung dazu ſchlechthin nothwendig ſeyn, oder ſie kan nur als beliebig und zufaͤl- lig vorausgeſezt werden. Im erſteren Falle wird die Be- dingung poſtulirt, (per theſin) im zweiten ſupponirt, (per hypotheſin). Da es practiſche Geſetze giebt, die ſchlechthin nothwendig ſind (die moraliſche), ſo muß, wenn R r 5 [634/0664] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. wenn dieſe irgend ein Daſeyn, als die Bedingung der Moͤglichkeit ihrer verbindenden Kraft, nothwendig vor- ausſetzen, dieſes Daſeyn poſtulirt werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf dieſe beſtimte Bedingung geht, ſelbſt a priori als ſchlechterdingsnoth- wendig erkant wird. Wir werden kuͤnftig von den mo- raliſchen Geſetzen zeigen: daß ſie das Daſeyn eines hoͤch- ſten Weſens nicht blos vorausſetzen, ſondern auch, da ſie in anderweitiger Betrachtung ſchlechterdings nothwendig ſind, es mit Recht, aber freilich nur practiſch, poſtuli- ren; iezt ſetzen wir dieſe Schlußart noch bey Seite. Da, wenn blos von dem, was da iſt (nicht, was ſeyn ſoll), die Rede iſt, das Bedingte, welches uns in der Er- fahrung gegeben wird, iederzeit auch als zufaͤllig gedacht wird, ſo kan die zu ihm gehoͤrige Bedingung daraus nicht als ſchlechthinnothwendig erkant werden, ſondern dient nur als eine reſpectivnothwendige, oder vielmehr noͤthige, an ſich ſelbſt aber und a priori willkuͤhrliche Vorausſetzung zum Vernunfterkentniß des Bedingten. Soll alſo die ab- ſolute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretiſchen Er- kentniſſe erkant werden, ſo koͤnte dieſes allein aus Begrif- fen a priori geſchehen, niemals aber als einer Urſache, in Beziehung auf ein Daſeyn, das durch Erfahrung ge- geben iſt. Eine theoretiſche Erkentniß iſt ſpeculativ, wenn ſie auf einen Gegenſtand, oder ſolche Begriffe von einem Gegen- ſtande, geht, zu welchem man in keiner Erfahrung ge- langen [635/0665] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. langen kan. Sie wird der Naturerkentniß entgegenge- ſezt, welche auf keine andere Gegenſtaͤnde oder Praͤdicate derſelben geht, als die in einer moͤglichen Erfahrung ge- geben werden koͤnnen. Der Grundſatz: von dem, was geſchieht, (dem empiriſchzufaͤlligen) als Wirkung, auf eine Urſache zu ſchlieſſen, iſt ein Princip der Naturerkentniß, aber nicht der ſpeculativen. Denn, wenn man von ihm, als einem Grundſatze, der die Bedingung moͤglicher Erfahrung uͤberhaupt enthaͤlt, abſtrahirt und, indem man alles Em- piriſche weglaͤßt, ihm vom Zufaͤlligen uͤberhaupt ausſagen will, ſo bleibt nicht die mindeſte Rechtfertigung eines ſol- chen ſynthetiſchen Satzes uͤbrig, um daraus zu erſehen, wie ich von etwas, was da iſt, zu etwas davon ganz Ver- ſchiedenem (genant Urſache) uͤbergehen koͤnne; ia der Be- griff einer Urſache verliert eben ſo, wie des Zufaͤlligen, in ſolchem blos ſpeculativen Gebrauche, alle Bedeutung, de- ren obiective Realitaͤt ſich in concreto begreiflich machen laſſe. Wenn man nun vom Daſeyn der Dinge in der Welt auf ihre Urſache ſchließt: ſo gehoͤrt dieſes nicht zum na- tuͤrlichen, ſondern zum ſpeculativen Vernunftgebrauch; weil iener nicht die Dinge ſelbſt (Subſtanzen), ſondern nur das, was geſchieht, alſo ihre Zuſtaͤnde, als empi- riſch zufaͤllig, auf irgend eine Urſache bezieht; daß die Subſtanz ſelbſt (die Materie) dem Daſeyn nach zufaͤllig ſey, wuͤrde ein blos ſpeculatives Vernunfterkentniß ſeyn muͤſſen. [636/0666] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. muͤſſen. Wenn aber auch nur von der Form der Welt, der Art ihrer Verbindung und dem Wechſel derſelben die Rede waͤre, ich wolte aber daraus auf eine Urſache ſchlieſ- ſen, die von der Welt gaͤnzlich unterſchieden iſt, ſo wuͤrde dieſes wiederum ein Urtheil der blos ſpeculativen Vernunft ſeyn; weil der Gegenſtand hier gar kein Obiect einer moͤg- lichen Erfahrung iſt. Aber alsdenn wuͤrde der Grundſatz der Cauſſalitaͤt, der nur innerhalb dem Felde der Erfah- rungen gilt und auſſer demſelben ohne Gebrauch, ia ſelbſt ohne Bedeutung iſt, von ſeiner Beſtimmung gaͤnzlich ab- gebracht. Ich behaupte nun: daß alle Verſuche eines blos ſpeculativen Gebrauchs der Vernunft in Anſehung der Theologie gaͤnzlich fruchtlos und ihrer inneren Beſchaffen- heit nach null und nichtig ſind, daß aber die Principien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie fuͤhren, folglich, wenn man nicht moraliſche Geſetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es uͤberall keine Theologie der Vernunft geben koͤnne. Denn alle ſynthe- tiſche Grundſaͤtze des Verſtandes ſind von immanentem Gebrauch: zu der Erkentniß eines hoͤchſten Weſens aber wird ein transſcendenter Gebrauch derſelben erfodert, wozu unſer Verſtand gar nicht ausgeruͤſtet iſt. Soll das empiriſchguͤltige Geſetz der Cauſſalitaͤt zu dem Urweſen fuͤhren, ſo muͤßte dieſes in die Kette der Gegenſtaͤnde der Erfahrung mit gehoͤren, alsdenn waͤre es aber, wie alle Erſcheinungen, ſelbſt wiederum bedingt. Erlaubte man aber [637/0667] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. aber auch den Sprung uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus, vermittelſt des dynamiſchen Geſetzes der Bezie- hung der Wirkungen auf ihre Urſachen: welchen Begriff kan uns dieſes Verfahren verſchaffen? bey weitem keinen Begriff von einem hoͤchſten Weſen, weil uns Erfahrung niemals die groͤßte aller moͤglichen Wirkungen (als welche das Zeugniß von ihrer Urſache ablegen ſoll), darreicht. Soll es uns erlaubt ſeyn, blos, um in unſerer Vernunft nichts Leeres uͤbrig zu laſſen, dieſen Mangel der voͤlligen Beſtimmung durch eine bloſſe Idee der hoͤchſten Vollkom- menheit und urſpruͤnglichen Nothwendigkeit auszufuͤllen: ſo kan dieſes zwar aus Gunſt eingeraͤumt, aber nicht aus dem Rechte eines unwiderſtehlichen Beweiſes gefodert wer- den. Der phyſiſchtheologiſche Beweis koͤnte alſo vielleicht wol anderen Beweiſen (wenn ſolche zu haben ſind) Nach- druck geben, indem er Speculation mit Anſchauung ver- knuͤpft: vor ſich ſelbſt aber bereitet er mehr den Verſtand zur theologiſchen Erkentniß vor und giebt ihm dazu eine gerade und natuͤrliche Richtung, als daß er allein das Geſchaͤfte vollenden koͤnte. Man ſieht alſo hieraus wol: daß transſcendentale Fragen nur transſcendentale Antworten, d. i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeſte empiriſche Beimi- ſchung erlauben. Die Frage iſt hier aber offenbar ſyn- thetiſch und verlangt eine Erweiterung unſerer Erkentniß uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung hinaus, nemlich zu dem Daſeyn eines Weſens, was unſerer bloſſen Idee entſpre- chen [638/0668] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. chen ſoll, der niemals irgend eine Erfahrung gleich kom- men kan. Nun iſt, nach unſeren obigen Beweiſen, alle ſynthetiſche Erkentnis a priori nur dadurch moͤglich, daß ſie die formale Bedingungen einer moͤglichen Erfahrung ausdruͤckt, und alle Grundſaͤtze ſind alſo nur von imma- nenter Guͤltigkeit, d. i. ſie beziehen ſich lediglich auf Ge- genſtaͤnde empiriſcher Erkentniß, oder Erſcheinungen. Alſo wird auch durch transſcendentales Verfahren in Ab- ſicht auf die Theologie einer blos ſpeculativen Vernunft nichts ausgerichtet. Wolte man aber lieber alle obige Beweiſe der Ana- lytik in Zweifel ziehen, als ſich die Ueberredung von dem Gewichte der ſo lange gebrauchten Beweisgruͤnde rauben laſſen, ſo kan man ſich doch nicht weigern, der Auffode- rung ein Gnuͤge zu thun, wenn ich verlange: man ſolle ſich wenigſtens daruͤber rechtfertigen, wie und vermittelſt welcher Erleuchtung man ſich denn getraue, alle moͤgliche Erfahrung durch die Macht bloſſer Ideen zu uͤberfliegen. Mit neuen Beweiſen, oder ausgebeſſerter Arbeit alter Be- weiſe, wuͤrde ich bitten, mich zu verſchonen. Denn, ob man zwar hierin eben nicht viel zu waͤhlen hat, indem endlich doch alle blos ſpeculative Beweiſe auf einen einzi- gen, nemlich den ontologiſchen hinauslaufen und ich alſo eben nicht fuͤrchten darf, ſonderlich durch die Fruchtbarkeit der dogmatiſchen Verfechter iener ſinnenfreien Vernunft belaͤſtigt zu werden, obgleich ich uͤberdem auch, ohne mich darum ſehr ſtreitbar zu duͤnken, die Ausfoderung nicht [639/0669] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. nicht ausſchlagen will, in iedem Verſuche dieſer Art den Fehlſchluß aufzudecken und dadurch ſeine Anmaſſung zu vereiteln: ſo wird daher doch die Hoffnung beſſeren Gluͤcks bey denen, welche einmal dogmatiſcher Ueberredungen ge- wohnt ſeyn, niemals voͤllig aufgehoben und ich halte mich daher an der einzigen billigen Foderung, daß man ſich allgemein und aus der Natur des menſchlichen Verſtandes, ſamt allen uͤbrigen Erkentnißquellen, daruͤber rechtfertige, wie man es anfangen wolle, ſein Erkentniß ganz und gar a priori zu erweitern und bis dahin zu erſtrecken, wo kei- ne moͤgliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgend einem von uns ſelbſt ausgedachten Begriffe ſeine obiective Realitaͤt zu verſichern. Wie der Verſtand auch zu dieſem Begriffe gelanget ſeyn mag, ſo kan doch das Daſeyn des Gegenſtandes deſſelben nicht analytiſch in dem- ſelben gefunden werden, weil eben darin die Erkentniß der Exiſtenz des Obiects beſteht, daß dieſes auſſer dem Gedanken an ſich ſelbſt geſezt iſt. Es iſt aber gaͤnzlich unmoͤglich, aus einem Begriffe von ſelbſt hinaus zu ge- hen und, ohne daß man der empiriſchen Verknuͤpfung folgt, (wodurch aber iederzeit nur Erſcheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenſtaͤnde und uͤber- ſchwenglicher Weſen zu gelangen. Ob aber gleich die Vernunft in ihrem blos ſpecula- tiven Gebrauche zu dieſer ſo groſſen Abſicht bey weitem nicht zulaͤnglich iſt, nemlich zum Daſeyn eines oberſten Weſens zu gelangen, ſo hat ſie doch darin ſehr groſſen Nutzen, [640/0670] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Nutzen, die Erkentniß deſſelben, im Fall ſie anders wo- her geſchoͤpft werden koͤnte, zu berichtigen, mit ſich ſelbſt und ieder intelligibelen Abſicht einſtimmig zu machen, und von allem, was dem Begriffe eines Urweſens zuwider ſeyn moͤchte, und aller Beimiſchung empiriſcher Einſchraͤn- kungen zu reinigen. Die transſcendentale Theologie bleibt demnach, al- ler ihrer Unzulaͤnglichkeit ungeachtet, dennoch von wichti- gem negativen Gebrauche und iſt eine beſtaͤndige Cenſur unſerer Vernunft, wenn ſie blos mit reinen Ideen zu thun hat, die eben darum kein anderes, als transſcendenta- les Richtmaaß zulaſſen. Denn, wenn einmal, in ander- weitiger, vielleicht practiſcher Beziehung, die Voraus- ſetzung eines hoͤchſten und allgnugſamen Weſens, als ober- ſter Intelligenz, ihre Guͤltigkeit ohne Widerrede behaup- tete: ſo waͤre es von der groͤßten Wichtigkeit, dieſen Be- griff auf ſeiner transſcendentalen Seite, als den Begriff eines nothwendigen und allerrealeſten Weſens, genau zu beſtimmen und, was der hoͤchſten Realitaͤt zuwider iſt, was zur bloſſen Erſcheinung (dem Antropomorphism im weiteren Verſtande) gehoͤrt, wegzuſchaffen und zugleich alle entgegengeſezte Behauptungen, ſie moͤgen nun athei- ſtiſch, oder deiſtiſch, oder anthropomorphiſtiſch ſeyn, aus dem Wege zu raͤumen, welches in einer ſolchen critiſchen Behandlung ſehr leicht iſt, indem dieſelben Gruͤnde, durch welche das Unvermoͤgen der menſchlichen Vernunft, in An- ſehung der Behauptung des Daſeyns eines dergleichen Weſens, [641/0671] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Weſens, vor Augen gelegt wird, nothwendig auch zurei- chen, um die Untauglichkeit einer ieden Gegenbehauptung zu beweiſen. Denn, wo will iemand durch reine Specu- lation der Vernunft die Einſicht hernehmen: daß es kein hoͤchſtes Weſen, als Urgrund von Allem, gebe, oder daß ihm keine von den Eigenſchaften zukomme, welche wir, ihren Folgen nach, als analogiſch mit den dynamiſchen Realitaͤten eines denkenden Weſens, uns vorſtellen, oder daß ſie, in dem lezteren Falle auch allen Einſchraͤnkungen unterworfen ſeyn muͤßten, welche die Sinnlichkeit den Intelligenzen, die wir durch Erfahrung kennen, unver- meidlich auferlegt. Das hoͤchſte Weſen bleibt alſo vor den blos ſpecula- tiven Gebrauch der Vernunft ein bloſſes, aber doch fehler- freies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menſchliche Erkentniß ſchließt und kroͤnet, deſſen obiective Realitaͤt auf dieſem Wege zwar nicht bewieſen, aber auch nicht wider- legt werden kan und, wenn es eine Moraltheologie geben ſolte, die dieſen Mangel ergaͤnzen kan, ſo beweiſet als- denn die vorher nur problematiſche transſcendentale Theo- logie ihre Unentbehrlichkeit, durch Beſtimmung ihres Be- griffs und unaufhoͤrliche Cenſur einer durch Sinnlich- keit oft genug getaͤuſchten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einſtimmigen Vernunft. Die Nothwendig- keit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Daſeyn auſſer der Welt (nicht als Weltſeele), die Ewigkeit, ohne Be- dingungen der Zeit, die Allgegenwart, ohne Bedingungen des S s [642/0672] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. des Raumes, die Allmacht ꝛc ſind lauter transſcendentale Praͤdicate und daher kan der gereinigte Begriff derſelben, den eine iede Theologie ſo ſehr noͤthig hat, blos aus der transſcendentalen gezogen werden. Anhang zur transſcendentalen Dialectik. Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft. Der Ausgang aller dialectiſchen Verſuche der reinen Vernunft beſtaͤtigt nicht allein, was wir ſchon in der trans- ſcendentalen Analytik bewieſen, nemlich, daß alle unſere Schluͤſſe, die uns uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung hin- ausfuͤhren wollen, truͤglich und grundlos ſeyn, ſondern er lehrt uns zugleich dieſes beſondere: daß die menſchliche Vernunft dabey einen natuͤrlichen Hang habe, dieſe Graͤn- ze zu uͤberſchreiten, daß transſcendentale Ideen ihr eben ſo natuͤrlich ſeyn, als dem Verſtande die Categorien, ob- gleich mit dem Unterſchiede, daß, ſo wie die leztere zur Wahrheit, d. i. der Uebereinſtimmung unſerer Begriffe mit dem Obiecte fuͤhren, die erſtere einen bloſſen, aber un- widerſtehlichen Schein bewirken, deſſen Taͤuſchung man kaum durch die ſchaͤrf;ſte Critik abhalten kan. Alles, was in der Natur unſerer Kraͤfte gegruͤndet iſt, muß zweckmaͤſſig und mit dem richtigen Gebrauche derſelben einſtimmig ſeyn, wenn wir nur einen gewiſſen Miß- [643/0673] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Mißverſtand verhuͤten und die eigentliche Richtung derſel- ben ausfindig machen koͤnnen. Alſo werden die transſcen- dentale Ideen allem Vermuthen nach ihren guten und folglich immanenten Gebrauch haben, obgleich, wenn ihre Bedeutung verkant und ſie vor Begriffe von wirkli- chen Dingen genommen werden, ſie transſcendent in der Anwendung und eben darum truͤglich ſeyn koͤnnen. Denn nicht die Idee an ſich ſelbſt, ſondern blos ihr Gebrauch kan, entweder in Anſehung der geſamten moͤglichen Er- fahrung, uͤberfliegend (transſcendent), oder einheimiſch (immanent) ſeyn, nachdem man ſie entweder gerade zu auf einen ihr vermeintlich entſprechenden Gegenſtand, oder nur auf den Verſtandesgebrauch uͤberhaupt in Anſehung der Gegenſtaͤnde, mit welchen er zu thun hat, richtet und alle Fehler der Subreption ſind iederzeit einem Man- gel der Urtheilskraft, niemals aber dem Verſtande oder der Vernunft zuzuſchreiben. Die Vernunft bezieht ſich niemals gerade zu auf ei- nen Gegenſtand, ſondern lediglich auf den Verſtand und vermittelſt deſſelben auf ihren eigenen empiriſchen Gebrauch, ſchaft alſo keine Begriffe (von Obiecten), ſondern ordnet ſie nur und giebt ihnen dieienige Einheit, welche ſie in ihrer groͤßtmoͤglichen Ausbreitung haben koͤnnen, d. i. in Beziehung auf die Totalitaͤt der Reihen, als auf welche der Verſtand gar nicht ſieht, ſondern nur auf dieienige Verknuͤpfung, dadurch allerwerts Reihen der Bedingungen nach Begriffen zu Stande kommen. Die Vernunft hat alſo S s 2 [644/0674] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. alſo eigentlich nur den Verſtand und deſſen zweckmaͤſſige Anſtellung zum Gegenſtande und, wie dieſer das Mannig- faltige im Obiect durch Begriffe vereinigt, ſo vereinigt iene ihrer Seits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem ſie eine gewiſſe collective Einheit zum Ziele der Verſtandeshandlungen ſezt, welche ſonſt nur mit der diſtributiven Einheit beſchaͤftigt ſind. Ich behaupte demnach: die transſcendentale Ideen ſeyn niemals von conſtitutivem Gebrauche, ſo, daß dadurch Begriffe gewiſſer Gegenſtaͤnde gegeben wuͤrden und in dem Falle, daß man ſie ſo verſteht, ſo ſind es blos vernuͤnf- telnde (dialectiſche) Begriffe. Dagegen aber haben ſie einen vortreflichen und unentbehrlichnothwendigen regula- tiven Gebrauch, nemlich den Verſtand zu einem gewiſſen Ziele zu richten, in Ausſicht auf welches die Richtungsli- nien aller ſeiner Regeln in einen Punct zuſammen laufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punct iſt, aus welchem die Verſtandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz auſſerhalb den Graͤnzen moͤglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die groͤßte Einheit neben der groͤßten Ausbreitung zu verſchaffen. Nun entſpringt uns zwar hieraus die Taͤuſchung, als wenn dieſe Richtungslinien von einem Gegenſtande ſelbſt, der auſſer dem Felde empiriſchmoͤglicher Erkentniß laͤge, aus- geſchloſſen waͤren (ſo wie die Obiecte hinter der Spiegel- flaͤche geſehen werden), allein dieſe Illuſion (welche man doch hindern kan, daß ſie nicht betriegt) iſt gleichwol un- ent- [645/0675] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. entbehrlich nothwendig, wenn wir auſſer den Gegenſtaͤn- den, die uns vor Augen ſind, auch dieienige zugleich ſe- hen wollen, die weit davon uns im Ruͤcken liegen, d. i. wenn wir, in unſerem Falle, den Verſtand uͤber iede ge- gebene Erfahrung (dem Theile der geſamten moͤglichen Erfahrung) hinaus, mithin auch zur groͤßtmoͤglichen und aͤuſſerſten Erweiterung abrichten wollen. Ueberſehen wir unſere Verſtandeserkentniſſe in ihrem ganzen Umfange, ſo finden wir, daß dasienige, was Ver- nunft ganz eigenthuͤmlich daruͤber verfuͤgt und zu Stande zu bringen ſucht, das Syſtematiſche der Erkentniß ſey, d. i. der Zuſammenhang derſelben aus einem Princip. Dieſe Vernunfteinheit ſezt iederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Fom eines Ganzen der Erkentniß, wel- ches von der beſtimten Erkentniß der Theile vorhergeht und die Bedingungen enthaͤlt, iedem Theile ſeine Stelle und Verhaͤltniß zu den uͤbrigen a priori zu beſtimmen. Dieſe Idee poſtulirt demnach vollſtaͤndige Einheit der Verſtan- deserkentniß, wodurch dieſe nicht blos ein zufaͤlliges Ag- gregat, ſondern ein nach nothwendigen Geſetzen zuſam- menhangendes Syſtem wird. Man kan eigentlich nicht ſagen: daß dieſe Idee ein Begriff vom Obiecte ſey, ſon- dern von der durchgaͤngigen Einheit dieſer Begriffe, ſo fern dieſelbe dem Verſtande zur Regel dient. Dergleichen Vernunftbegriffe werden nicht aus der Natur geſchoͤpft, vielmehr befragen wir die Natur nach dieſen Ideen und halten unſere Erkentniß vor mangelhaft, ſo lange ſie den- S s 3 [646/0676] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. denſelben nicht adaͤquat iſt. Man geſteht: daß ſich ſchwerlich reine Erde, reines Waſſer, reine Luft ꝛc. finde. Gleichwol hat man die Begriffe davon doch noͤthig (die alſo, was die voͤllige Reinigkeit betrift, nur in der Vernunft ihren Urſprung haben), um den Antheil, den iede dieſer Natururſachen an der Erſcheinung hat, gehoͤ- rig zu beſtimmen und ſo bringt man alle Materien auf die Erden (gleichſam die bloſſe Laſt), Salze und brennliche Weſen (als die Kraft), endlich auf Waſſer und Luft als Vehikeln (gleichſam Maſchinen, vermittelſt deren die vorige wirken), um, nach der Idee eines Mechanismus, die chemiſche Wirkungen der Materien unter einander zu erklaͤren. Denn, wiewol man ſich nicht wirklich ſo ausdruͤckt, ſo iſt doch ein ſolcher Einfluß der Vernunft auf die Ein- theilungen der Naturforſcher ſehr leicht zu entdecken. Wenn die Vernunft ein Vermoͤgen iſt, das Beſon- dere aus dem Allgemeinen abzuleiten, ſo iſt entweder das Allgemeine ſchon an ſich gewiß und gegeben, und alsdenn erfodert es nur Urtheilskraft zur Subſumtion und das Beſondere wird dadurch nothwendig beſtimt. Dieſes will ich den apodictiſchen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematiſch angenommen und iſt eine bloſſe Idee, das Beſondere iſt gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieſer Folge iſt noch ein Pro- blem, ſo werden mehrere beſondere Faͤlle, die insgeſamt gewiß ſeyn, an der Regel verſucht, ob ſie daraus flieſſen und in dieſem Falle, wenn es den Anſchein hat, daß alle anzu- [647/0677] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. anzugebende beſondere Faͤlle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieſer aber nachher auf alle Faͤlle, die auch an ſich nicht gegeben ſind, geſchloſſen. Dieſen will ich den hypothetiſchen Gebrauch der Vernunft nennen. Der hypothetiſche Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten Ideen, als problematiſcher Begriffe, iſt ei- gentlich nicht conſtitutiv, nemlich nicht ſo beſchaffen, daß dadurch, wenn man nach aller Strenge urtheilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als Hypotheſe ange- nommen worden, folge; denn, wie will man alle moͤgliche Folgen wiſſen, die, indem ſie aus demſelben angenommenen Grundſatze folgen, ſeine Allgemeinheit beweiſen, ſondern er iſt nur regulativ, um dadurch, ſo weit als es moͤglich iſt, Einheit in die beſondere Erkentniſſe zu bringen und die Regel dadurch der Allgemeinheit zu naͤheren. Der hypothetiſche Vernunftgebrauch geht alſo auf die ſyſtematiſche Einheit der Verſtandeserkentniſſe, dieſe aber iſt der Probierſtein der Wahrheit der Regeln. Umgekehrt iſt die ſyſtematiſche Einheit (als bloſſe Idee) lediglich nur proiectirte Einheit, die man an ſich nicht als gegeben, ſondern nur als Problem anſehen muß, welche aber dazu dient, zu dem Mannigfaltigen und beſonderen Verſtandesgebrauche ein Principium zu finden und dieſen dadurch auch uͤber die Faͤlle, die nicht gegeben ſind, zu leiten und zuſammenhaͤngend zu machen. Man S s 4 [648/0678] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Man ſiehet aber hieraus nur: daß die ſyſtematiſche oder Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verſtandeserkent- niß ein logiſches Princip ſey, um, da wo der Verſtand allein nicht zu Regeln hinlangt, ihm durch Ideen fortzu- helfen und zugleich der Verſchiedenheit ſeiner Regeln Ein- helligkeit unter einem Princip (ſyſtematiſche) und dadurch Zuſammenhang zu verſchaffen, ſo weit als es ſich thun laͤßt. Ob aber die Beſchaffenheit der Gegenſtaͤnde, oder die Na- tur des Verſtandes, der ſie als ſolche erkent, an ſich zur ſyſtematiſchen Einheit beſtimt ſey und ob man dieſe a priori, auch ohne Ruͤckſicht auf ein ſolches Intereſſe der Vernunft in gewiſſer Maaſſe poſtuliren und alſo ſagen koͤnne: alle moͤgliche Verſtandeserkentniſſe (darunter die empiriſche) haben Vernunfteinheit und ſtehen unter gemeinſchaftlichen Principien, woraus ſie, unerachtet ihrer Verſchiedenheit, abgeleitet werden koͤnnen, das wuͤrde ein transſcendenta- ler Grundſatz der Vernunft ſeyn, welcher die ſyſtematiſche Einheit nicht blos ſubiectiv- und logiſch als Methode, ſondern obiectivnothwendig machen wuͤrde. Wir wollen dieſes durch einen Fall des Vernunftge- brauchs erlaͤutern. Unter die verſchiedene Arten von Ein- heit nach Begriffen des Verſtandes gehoͤret auch die der Cauſſalitaͤt einer Subſtanz, welche Kraft genant wird. Die verſchiedene Erſcheinungen eben derſelben Subſtanz zeigen beym erſten Anblicke ſo viel Ungleichartigkeit, daß man daher anfaͤnglich beynahe ſo vielerley Kraͤfte derſelben annehmen muß, als Wirkungen ſich hervorthun, wie in dem [649/0679] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. dem menſchlichen Gemuͤthe die Empfindung, Bewuſtſeyn, Einbildung, Erinnerung, Witz, Unterſcheidungskraft, Luſt, Begierde u. ſ. w. Anfaͤnglich gebietet eine logiſche Maxime dieſe anſcheinende Verſchiedenheit ſo viel als moͤg- lich dadurch zu verringeren, daß man durch Vergleichung die verſteckte Identitaͤt entdecke und nachſehe, ob nicht Einbildung, mit Bewuſtſeyn verbunden, Erinnerung, Witz, Unterſcheidungskraft, vielleicht gar Verſtand und Vernunft ſey. Die Idee einer Grundkraft, von wel- cher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es dergleichen gebe, iſt wenigſtens das Problem einer ſyſtematiſchen Vor- ſtellung der Mannigfaltigkeit von Kraͤften. Das logiſche Vernunftprincip erfodert dieſe Einheit, ſo weit als moͤg- lich zu Stande zu bringen und, ie mehr die Erſcheinungen der einen und anderen Kraft unter ſich identiſch gefunden werden, deſto wahrſcheinlicher wird es, daß ſie nichts, als verſchiedene Aeuſſerungen einer und derſelben Kraft ſeyn, welche (comparativ) ihre Grundkraft heiſſen kan. Eben ſo verfaͤhrt man mit den uͤbrigen. Die comparativen Grundkraͤfte muͤſſen wiederum unter einander verglichen werden, um ſie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer einzigen raticalen, d. i. abſoluten Grundkraft nahe zu bringen. Dieſe Ver- nunfteinheit aber iſt blos hypothetiſch. Man behauptet nicht, daß eine ſolche in der That angetroffen werden muͤſſe, ſondern, daß man ſie zu Gunſten der Vernunft, nemlich zu Errichtung gewiſſer Principien, vor die mancherley Regeln, die S s 5 [650/0680] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. die die Erfahrung an die Hand geben mag, ſuchen und, wo es ſich thun laͤßt, auf ſolche Weiſe ſyſtematiſche Ein- heit ins Erkentniß bringen muͤſſe. Es zeigt ſich aber, wenn man auf den transſcen- dentalen Gebrauch des Verſtandes Acht hat, daß dieſe Idee einer Grundkraft uͤberhaupt, nicht blos als Problem zum hypothetiſchen Gebrauche beſtimt ſey, ſondern obiec- tive Realitaͤt vorgebe, dadurch die ſyſtematiſche Einheit der mancherley Kraͤfte einer Subſtanz poſtuliret und ein apodictiſches Vernunftprincip errichtet wird. Denn, ohne daß wir einmal die Einhelligkeit der mancherley Kraͤfte ver- ſucht haben, ia ſelbſt wenn es uns nach allen Verſuchen mißlingt, ſie zu entdecken, ſetzen wir doch voraus: es wer- de eine ſolche anzutreffen ſeyn und dieſes nicht allein, wie in dem angefuͤhrten Falle, wegen der Einheit der Sub- ſtanz, ſondern, wo ſo gar viele, obzwar in gewiſſem Grade gleichartige, angetroffen werden, wie an der Materie uͤber- haupt, ſezt die Vernunft ſyſtematiſche Einheit mannigfal- tiger Kraͤfte voraus, da beſondere Naturgeſetze unter all- gemeineren ſtehen und die Erſparung der Principien nicht blos ein oͤkonomiſcher Grundſatz der Vernunft, ſondern inneres Geſetz der Natur wird. In der That iſt auch nicht abzuſehen, wie ein logi- ſches Princip der Vernunfteinheit der Regeln ſtatt finden koͤnne, wenn nicht ein transſcendentales vorausgeſezt wuͤr- de, durch welches eine ſolche ſyſtematiſche Einheit, als den Obiecten ſelbſt anhaͤngend, a priori als nothwendig ange- [651/0681] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. angenommen wird. Denn mit welcher Befugniß kan die Vernunft im logiſchen Gebrauche verlangen, die Mannig- faltigkeit der Kraͤfte, welche uns die Natur zu erkennen giebt, als eine blos verſteckte Einheit zu behandeln und ſie aus irgend einer Grundkraft, ſo viel an ihr iſt, abzuleiten, wenn es ihr frey ſtaͤnde zuzugeben, daß es eben ſo wol moͤglich ſey, alle Kraͤfte waͤren ungleichartig, und die ſy- ſtematiſche Einheit ihrer Ableitung der Natur nicht gemaͤß: denn alsdenn wuͤrde ſie gerade wider ihre Beſtimmung verfahren, indem ſie ſich eine Idee zum Ziele ſezte, die der Ratureinrichtung ganz widerſpraͤche. Auch kan man nicht ſagen: ſie habe zuvor von der zufaͤlligen Beſchaffen- heit der Natur dieſe Einheit nach Principien der Vernunft abgenommen. Denn das Geſetz der Vernunft, ſie zu ſuchen, iſt nothwendig, weil wir ohne daſſelbe gar keine Vernunft, ohne dieſe aber keinen zuſammenhangenden Ver- ſtandesgebrauch und, in deſſen Ermangelung, kein zurei- chendes Merkmal empiriſcher Wahrheit haben wuͤrden und, wir alſo in Anſehung des lezteren die ſyſtematiſche Einheit der Natur durchaus als obiectivguͤltig und nothwendig vorausſetzen muͤſſen. Wir finden dieſe transſcendentale Vorausſetzung auch auf eine bewundernswuͤrdige Weiſe in den Grundſaͤtzen der Philoſophen verſteckt, wiewol ſie ſolche darin nicht immer erkant, oder ſich ſelbſt geſtanden haben. Daß alle Mannigfaltigkeiten einzelner Dinge die Identitaͤt der Art nicht ausſchließen, daß die mancherley Arten nur als ver- ſchie- [652/0682] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſchiedentliche Beſtimmungen von wenigen Gattungen, die- ſe aber von noch hoͤheren Geſchlechtern ꝛc. behandelt wer- den muͤſſen, daß alſo eine gewiſſe ſyſtematiſche Einheit al- ler moͤglichen empirſchen Begriffe, ſo fern ſie von hoͤheren und allgemeineren abgeleitet werden koͤnnen, geſucht wer- den muͤſſe, iſt eine Schulregel oder logiſches Princip, ohne welches kein Gebrauch der Vernunft ſtatt faͤnde, weil wir nur ſo fern vom Allgemeinen aufs beſondere ſchlieſſen koͤn- nen, als allgemeine Eigenſchaften der Dinge zum Grunde gelegt werden, unter denen die beſondere ſtehen. Daß aber auch in der Natur eine ſolche Einhelligkeit angetroffen werde, ſetzen die Philoſophen in der bekanten Schulregel voraus: daß man die Anfaͤnge (Principien) nicht ohne Noth vervielfaͤltigen muͤſſe (entia praeter ne- ceſſitatem non eſſe multiplicanda). Dadurch wird ge- ſagt: daß die Natur der Dinge ſelbſt zur Vernunft- einheit Stoff darbiete und die anſcheinende unendliche Verſchiedenheit duͤrfe uns nicht abhalten, hinter ihr Ein- heit der Grundeigenſchaften zu vermuthen, von welchen die Mannigfaltigkeit nur durch mehrere Beſtimmung abge- leitet werden kan. Dieſer Einheit, ob ſie gleich eine bloſſe Idee iſt, iſt man zu allen Zeiten ſo eifrig nachgegangen, daß man eher Urſache gefunden, die Begierde nach ihr zu maͤßigen, als ſie aufzumuntern. Es war ſchon viel: daß die Scheidekuͤnſtler alle Salze auf zwey Hauptgattungen, ſaure und laugenhafte, zuruͤckfuͤhren konten, ſie verſu- chen ſo gar auch dieſen Unterſchied bles als eine Varietaͤt, oder [653/0683] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. oder verſchiedene Aeuſſerung eines und deſſelben Grund- ſtoffs, anzuſehen. Die mancherley Arten von Erden (den Stoff der Steine und ſogar der Metalle) hat man noch und nach auf drey, endlich auf zwey, zu bringen geſucht; allein damit noch nicht zufrieden, koͤnnen ſie ſich des Ge- dankens nicht entſchlagen, hinter dieſen Varietaͤten den- noch eine einzige Gattung, ia wol gar, zu dieſen und den Salzen, ein gemeinſchaftliches Princip zu vermuthen. Man moͤchte vielleicht glauben, dieſes ſey ein blos oͤkono- miſcher Handgriff der Vernunft, um ſich ſo viel als moͤg- lich Muͤhe zu erſparen und ein hypothetiſcher Verſuch, der, wenn er gelingt, dem vorausgeſezten Erklaͤrungsgrunde eben durch dieſe Einheit Wahrſcheinlichkeit giebt. Allein eine ſolche ſelbſtſuͤchtige Abſicht iſt ſehr leicht von der Idee zu unterſcheiden, nach welcher iedermann vorausſezt: dieſe Vernunfteinheit ſey der Natur ſelbſt angemeſſen, und daß die Vernunft hier nicht bettele, ſondern gebiete, obgleich ohne die Graͤnzen dieſer Einheit beſtimmen zu koͤnnen. Waͤre unter den Erſcheinungen, die ſich uns darbie- ten, eine ſo groſſe Verſchiedenheit, ich will nicht ſagen der Form (denn darin moͤgen ſie einander aͤhnlich ſeyn), ſon- dern dem Inhalte, d. i. der Mannigfaltigkeit exiſtirender Weſen nach, daß auch der allerſchaͤrfſte menſchliche Ver- ſtand durch Vergleichung der einen mit der anderen nicht die mindeſte Aehnlichkeit ausfuͤndig machen koͤnte (ein Fall, der ſich wol denken laͤßt), ſo wuͤrde das logiſche Geſetz der Gattungen ganz und gar nicht ſtatt finden, und es wuͤrde ſelbſt [654/0684] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſelbſt kein Begriff von Gattung, oder irgend ein allgemei- ner Begriff, ia ſo gar kein Verſtand ſtatt finden, als der es lediglich mit ſolchen zu thun hat. Das logiſche Prin- cip der Gattungen ſezt alſo ein transſcendentales voraus, wenn es auf Natur (darunter ich hier nur Gegenſtaͤnde, die uns gegeben werden, verſtehe) angewandt werden ſoll. Nach demſelben wird in dem Mannigfaltigen einer moͤgli- chen Erfahrung nothwendig Gleichartigkeit vorausgeſezt, (ob wir gleich ihren Grad a priori nicht beſtimmen koͤn- nen), weil ohne dieſelbe keine empiriſche Begriffe, mithin keine Erfahrung moͤglich waͤre. Dem logiſchen Princip der Gattungen, welches Identitaͤt poſtulirt, ſteht ein anderes, nemlich das der Ar- ten entgegen, welches Mannigfaltigkeit und Verſchieden- heiten der Dinge, unerachtet ihrer Uebereinſtimmung un- ter derſelben Gattung, bedarf und es dem Verſtande zur Vorſchrift macht, auf dieſe nicht weniger als auf iene auf- merkſam zu ſeyn. Dieſer Grundſatz (der Scharfſinnig- keit, oder des Unterſcheidungsvermoͤgens) ſchraͤnkt den Leichtſinn des erſteren (des Witzes) ſehr ein und die Ver- nunft zeigt hier ein doppeltes einander widerſtreitendes Intereſſe, einerſeits das Intereſſe des Umfanges (der Allgemeinheit) in Anſehung der Gattungen, andererſeits des Inhalts (der Beſtimtheit), in Abſicht auf die Man- nigfaltigkeit der Arten, weil der Verſtand im erſteren Falle zwar viel unter ſeinen Begriffen im zweiten aber deſto mehr in denſelben denkt. Auch aͤuſſert ſich dieſes an [655/0685] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. an der ſehr verſchiedenen Denkungsart der Naturforſcher, deren einige (die vorzuͤglich ſpeculativ ſind), der Ungleich- artigkeit gleichſam feind, immer auf die Einheit der Gat- tung hinausſehen, die andere (vorzuͤglich empiriſche Koͤpfe) die Natur unaufhoͤrlich in ſo viel Mannigfaltigkeit zu ſpalten ſuchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge- ben muͤßte, ihre Erſcheinungen nach allgemeinen Prin- cipien zu beurtheilen. Dieſer lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logiſches Princip zum Grunde, welches die ſyſtematiſche Vollſtaͤndigkeit aller Erkentniſſe zur Abſicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten ſeyn mag, herabſteige, und auf ſolche Weiſe dem Syſtem Ausbreitung, wie im erſteren Falle, da ich zur Gattung aufſteige, Einfalt zu verſchaffen ſuche. Denn aus der Sphaͤre des Begriffs, der eine Gattung be- zeichnet, iſt eben ſo wenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kan, zu erſehen, wie weit die Theilung derſelben gehen koͤnne. Daher iede Gattung verſchiedene Arten, dieſe aber verſchiedene Unterarten erfodert und, da keine der lezteren ſtatt findet, die nicht immer wieder- um eine Sphaͤre (Umfang als conceptus communis) haͤtte, ſo verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite- rung, daß keine Art als die unterſte an ſich ſelbſt angeſe- hen werde, weil, da ſie doch immer ein Begriff iſt, der nur das, was verſchiedenen Dingen gemein iſt, in ſich ent- haͤlt, dieſer nicht durchgaͤngig beſtimt, mithin auch nicht zu- [656/0686] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. zunaͤchſt auf ein Individuum bezogen ſeyn koͤnne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter ſich ent- halten muͤſſe. Dieſes Geſetz der Specification koͤnte ſo ausgedruͤckt werden: entium varietates non temere eſſe minuendas. Man ſieht aber leicht: daß auch dieſes logiſche Ge- ſetz ohne Sinn und Anwendung ſeyn wuͤrde, laͤge nicht ein transſcendentales Geſetz der Specification zum Grun- de, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die un- ſere Gegenſtaͤnde werden koͤnnen, eine wirkliche Unendlich- keit in Anſehung der Verſchiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logiſche Princip, als welches lediglich die Unbe- ſtimtheit der logiſchen Sphaͤre in Anſehung der moͤglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verſtande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verſchiedenheit kleinere Verſchie- denheiten zu ſuchen. Denn wuͤrde es keine niedere Be- griffe geben, ſo gaͤbe es auch keine hoͤhere. Nun erkent der Verſtand alles nur durch Begriffe: folglich, ſo weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch bloſſe Anſchauung, ſondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erſcheinungen in ihrer durchgaͤngigen Be- ſtimmung (welche nur durch Verſtand moͤglich iſt) fodert eine unaufhoͤrlich fortzuſetzende Specification ſeiner Be- griffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Ver- ſchiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abſtrahirt worden. Auch [657/0687] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Auch kan dieſes Geſetz der Specification nicht von der Erfahrung entlehnt ſeyn; denn dieſe kan keine ſo weit gehende Eroͤfnungen geben. Die empiriſche Specification bleibt in der Unterſcheidung des Mannigfaltigen bald ſte- hen, wenn ſie nicht durch das ſchon vorhergehende trans- ſcendentate Geſetz der Specification, als einem Princip der Vernunft, geleitet worden, ſolche zu ſuchen und ſie noch immer zu vermuthen, wenn ſie ſich gleich nicht den Sinnen offenbaret. Daß abſorbirende Erden nach ver- ſchiedener Art (Kalk- und muriatiſche Erden) ſeyn, be- durfte zur Entdeckung eine zuvorkommende Regel der Vernunft, welche dem Verſtande es zur Aufgabe machte, die Verſchiedenheit zu ſuchen, indem ſie die Natur ſo reich- haltig vorausſetzte, ſie zu vermuthen. Denn wir haben eben ſowol nur unter Vorausſetzung der Verſchiedenhei- ten in der Natur Verſtand, als unter der Bedingung, daß ihre Obiecte Gleichartigkeit an ſich haben, weil eben die Mannigfaltigkeit desienigen, was unter einem Begriff zuſammengefaßt werden kan, den Gebrauch dieſes Begriffs und die Beſchaͤftigung des Verſtandes ausmacht. Die Vernunft bereitet alſo dem Verſtande ſein Feld 1. durch ein Princip der Gleichartigkeit des Man- nigfaltigen unter hoͤheren Gattungen, 2. durch einen Grundſatz der Varietaͤt des Gleichartigen unter niederen Arten; und um die ſyſtematiſche Einheit zu vollenden, fuͤgt ſie 3. noch ein Geſetz der Affinitaͤt aller Begriffe hinzu, welches einen continuirlichen Uebergang von einer ieden Art T t [658/0688] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Art zu ieder anderen durch ſtufenartiges Wachsthum der Verſchiedenheit gebietet. Wir koͤnnen ſie die Principien der Homogenitaͤt, der Specification und der Conti- nuitaͤt der Formen nennen. Das leztere entſpringt da- durch: daß man die zwey erſtere vereinigt, nachdem man, ſowol im Aufſteigen zu hoͤheren Gattungen, als im Her- abſteigen zu niederen Arten, den ſyſtematiſchen Zuſammen- hang in der Idee vollendet hat; denn alsdenn ſind alle Mannigfaltigkeiten unter einander verwandt, weil ſie ins- geſamt durch alle Grade der erweiterten Beſtimmung von einer einzigen oberſten Gattung abſtammen. Man kan ſich die ſyſtematiſche Einheit unter den drey logiſchen Principien auf folgende Art ſinnlich machen. Man kan einen ieden Begriff als einen Punct anſehen, der, als der Standpunct eines Zuſchauers, ſeinen Horizont hat, d. i. eine Menge von Dingen, die aus demſelben koͤn- nen vorgeſtellet und gleichſam uͤberſchauet werden. Inner- halb dieſem Horizonte muß eine Menge von Puncten ins Unendliche angegeben werden koͤnnen, deren ieder wieder- um ſeinen engeren Geſichtskreis hat, d. i. iede Art ent- haͤlt Unterarten, nach dem Princip der Specification und der logiſche Horizont beſteht nur aus kleineren Horizonten (Unterarten), nicht aber aus Puncten, die keinen Umfang haben (Individuen). Aber zu verſchiedenen Horizonten, d. i. Gattungen, die aus eben ſo viel Begriffen beſtimt werden, laͤßt ſich ein gemeinſchaftlicher Horizont, daraus man ſie insgeſamt als aus einem Mittelpuncte uͤberſchauet, gezo- [659/0689] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. gezogen denken, welcher die hoͤhere Gattung iſt, bis end- lich die hoͤchſte Gattung der allgemeine und wahre Hori- zont iſt, der aus dem Standpuncte des hoͤchſten Be- griffs beſtimt wird und alle Mannigfaltigkeit, als Gat- tungen, Arten und Unterarten unter ſich befaßt. Zu dieſem hoͤchſten Standpuncte fuͤhrt mich das Ge- ſetz der Homogenitaͤt, zu allen niedrigen und deren groͤßten Varietaͤt das Geſetz der Specification. Da aber auf ſol- che Weiſe in dem ganzen Umfange aller moͤglichen Begriffe nichts leeres iſt, und auſſer demſelben nichts angetroffen werden kan, ſo entſpringt aus der Vorausſetzung ienes allgemeinen Geſichtskreiſes und der durchgaͤngigen Einthei- lung deſſelben der Grundſatz: non datur vacuum for- marum, d. i. es giebt nicht verſchiedene urſpruͤngliche und erſte Gattungen, die gleichſam iſolirt und von einander (durch einen leeren Zwiſchenraum) getrennet waͤren, ſon- dern alle mannigfaltige Gattungen ſind nur Abtheilungen einer einzigen oberſten und allgemeinen Gattung und aus dieſem Grundſatze, deſſen unmittelbare Folge datur conti- nuum formarum, d. i. alle Verſchiedenheiten der Arten graͤnzen an einander und erlauben keinen Uebergang zu ein- ander durch einen Sprung, ſondern nur durch alle kleinere Grade des Unterſchiedes, dadurch man von einer zu der anderen gelangen kan, mit einem Worte, es giebt keine Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der Ver- nunft) die naͤchſten waͤren, ſondern es ſind noch immer Zwiſchenarten moͤglich, deren Unterſchied von der erſten und T t 2 [660/0690] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. und zweiten kleiner iſt, als dieſer ihr Unterſchied von ein- ander. Das erſte Geſetz alſo verhuͤtet die Ausſchweifung in die Mannigfaltigkeit verſchiedener urſpruͤnglichen Gattun- gen und empfiehlt die Gleichartigkeit, das zweite ſchraͤnkt dagegen dieſe Neigung zur Einhelligkeit wiederum ein und gebietet Unterſcheidung der Unterarten, bevor man ſich mit ſeinem allgemeinen Begriffe zu den Individuen wende. Das dritte vereinigt iene beide, indem ſie bey der hoͤchſten Mannigfaltigkeit dennoch die Gleichartigkeit durch den ſtu- fenartigen Uebergang von einer Species zur anderen vor- ſchreibt, welches eine Art von Verwandſchaft der verſchie- denen Zweige anzeigt, in ſo fern ſie insgeſamt aus einem Stamme entſproſſen ſind. Dieſes logiſche Geſetz des continui ſpecierum (for- marum logicarum) ſezt aber ein transſcendentales vor- aus, (lex continui in natura), ohne welches der Ge- brauch des Verſtandes durch iene Vorſchrift nur irre gelei- tet werden wuͤrde, indem ſie vielleicht einen der Natur gerade entgegengeſezten Weg nehmen wuͤrde. Es muß alſo dieſes Geſetz auf reinen transſcendentalen und nicht empiriſchen Gruͤnden beruhen. Denn in dem lezteren Falle wuͤrde es ſpaͤter kommen, als die Syſteme; es hat aber eigentlich das Syſtematiſche der Naturerkentniß zuerſt hervorgebracht. Es ſind hinter dieſen Geſetzen auch nicht etwa Abſichten auf eine, mit ihnen, als bloſſen Verſuchen, anzuſtellende Probe verborgen, obwol freilich dieſer Zu- ſam [661/0691] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. ſammenhang, wo er zutrift, einen maͤchtigen Grund ab- giebt, die hypothetiſchausgedachte Einheit vor gegruͤndet zu halten und ſie alſo auch in dieſer Abſicht ihren Nutzen haben, ſondern man ſieht es ihnen deutlich an: daß ſie die Sparſamkeit der Grundurſachen, die Mannigfaltigkeit der Wirkungen und eine daherruͤhrende Verwandſchaft der Glieder der Natur an ſich ſelbſt vor vernunftmaͤßig und der Natur angemeſſen urtheilen und dieſe Grundſaͤtze alſo direct und nicht blos als Handgriffe der Methode ihre Empfehlung bey ſich fuͤhren. Man ſiehet aber leicht: daß dieſe Continuitaͤt der Formen eine bloſſe Idee ſey, der ein congruirender Ge- genſtand in der Erfahrung gar nicht aufgewieſen werden kan, nicht allein um deswillen, weil die Species in der Natur wirklich abgetheilt ſind, und daher an ſich ein quan- tum discretum ausmachen muͤſſen und, wenn der ſtufen- artige Fortgang in der Verwandſchaft derſelben continuir- lich waͤre, ſie auch eine wahre Unendlichkeit der Zwiſchen- glieder, die innerhalb zweer gegebenen Arten laͤgen, ent- halten muͤßte, welches unmoͤglich iſt: ſondern auch, weil wir von dieſem Geſetz gar keinen beſtimten empiriſchen Gebrauch machen koͤnnen, indem dadurch nicht das gering- ſte Merkmal der Affinitaͤt angezeigt wird, nach welchem und wie weit wir die Gradfolge ihrer Verſchiedenheit zu ſuchen, ſondern nichts weiter, als eine allgemeine Anzeige, daß wir ſie zu ſuchen haben. Wenn T t 3 [662/0692] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Wenn wir die iezt angefuͤhrte Principien ihrer Ord- nung nach verſetzen, um ſie dem Erfahrungsgebrauch gemaͤß zu ſtellen, ſo wuͤrden die Principien der ſyſtema- tiſchen Einheit etwa ſo ſtehen: Mannigfaltigkeit, Ver- wandſchaft und Einheit, iede derſelben aber als Ideen im hoͤchſten Grade ihrer Vollſtaͤndigkeit genommen. Die Vernunft ſezt die Verſtandeserkentniſſe voraus, die zunaͤchſt auf Erfahrung angewandt werden, und ſucht ihre Ein- heit nach Ideen, die viel weiter geht, als Erfahrung reichen kan. Die Verwandſchaft des Mannigfaltigen, unbeſchadet ſeiner Verſchiedenheit, unter einem Princip der Einheit, betrift nicht blos die Dinge, ſondern weit mehr noch, die bloſſe Eigenſchaften und Kraͤfte der Dinge. Daher, wenn uns z. B. durch eine (noch nicht voͤllig be- richtigte) Erfahrung der Lauf der Planeten als Kreisfoͤr- mig gegeben iſt und wir finden Verſchiedenheiten, ſo ver- muthen wir ſie in demienigen, was den Cirkel nach einem beſtaͤndigen Geſetze durch alle unendliche Zwiſchengrade, zu einer dieſer abweichenden Umlaͤufe abaͤndern kan, d. i. die Bewegungen der Planeten, die nicht Cirkel ſind, wer- den etwa deſſen Eigenſchaften mehr oder weniger nahe kommen und fallen auf die Ellipſe. Die Cometen zeigen eine noch groͤſſere Verſchiedenheit ihrer Bahnen, da ſie (ſo weit Beobachtung reicht) nicht einmal im Kreiſe zuruͤck- kehren, allein wir rathen auf einen paraboliſchen Lauf, der doch mit der Ellipſis verwandt iſt und, wenn die lan- ge Achſe der lezteren ſehr weit geſtreckt iſt, in allen unſeren Beob- [663/0693] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Beobachtungen von ihr nicht unterſchieden werden kan. So kommen wir, nach Anleitung iener Principien, auf Ein- heit der Gattungen dieſer Bahnen in ihrer Geſtalt, da- durch aber weiter auf Einheit der Urſache aller Geſetze ihrer Bewegung (die Gravitation), von da wir nachher unſere Eroberungen ausdehnen und auch alle Varietaͤten und ſcheinbare Abweichungen von ienen Regeln aus dem- ſelben Princip zu erklaͤren ſuchen, endlich gar mehr hinzu- fuͤgen, als Erfahrung iemals beſtaͤtigen kan, nemlich, uns nach den Regeln der Verwandſchaft ſelbſt hyperboliſche Cometenbahnen zu denken, in welcher dieſe Coͤrper ganz und gar unſere Sonnenwelt verlaſſen und, indem ſie von Sonne zu Sonne gehen, die entfernteren Theile eines vor uns unbegraͤnzten Weltſyſtems, das durch eine und die- ſelbe bewegende Kraft zuſammenhaͤngt, in ihrem Laufe vereinigen. Was bey dieſen Principien merkwuͤrdig iſt, und uns auch allein beſchaͤftigt, iſt dieſes: daß ſie transſcendental zu ſeyn ſcheinen und, ob ſie gleich bloſſe Ideen zur Befol- gung des empiriſchen Gebrauchs der Vernunft enthalten, denen der leztere nur gleichſam aſymptotiſch, d. i. blos an- naͤhernd folgen kan, ohne ſie iemals zu erreichen, ſie gleich- wol, als ſynthetiſche Saͤtze a priori, obiective aber unbe- ſtimte Guͤltigkeit haben und zur Regel moͤglicher Erfahrung dienen, auch wirklich in Bearbeitung derſelben, als hevri- ſtiſche Grundſaͤtze, mit gutem Gluͤcke gebraucht werden, ohne daß man doch eine transſcendentale Deduction der- ſelben T t 4 [664/0694] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſelben zu Stande bringen kan, welches, wie oben bewie- ſen worden, in Anſehung der Ideen iederzeit unmoͤglich iſt. Wir haben in der transſcendentalen Analytik unter den Grundſaͤtzen des Verſtandes die dynamiſche, als blos re- gulative Principien der Anſchauung, von den mathema- tiſchen, die in Anſehung der lezteren conſtitutiv ſind, un- terſchieden. Dieſem ungeachtet ſind gedachte dynamiſche Geſetze allerdings conſtitutiv in Anſehung der Erfahrung, indem ſie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung ſtatt findet, a priori moͤglich machen. Principien der reinen Vernunft koͤnnen dagegen nicht einmal in Anſehung der empiriſchen Begriffe conſtitutiv ſeyn, weil ihnen kein cor- reſpondirendes Schema der Sinnlichkeit gegeben werden kan und ſie alſo keinen Gegenſtand in concreto haben koͤn- nen. Wenn ich nun von einem ſolchen empiriſchen Ge- brauch derſelben, als conſtitutiver Grundſaͤtze, abgehe, wie will ich ihnen dennoch einen regulativen Gebrauch und mit demſelben einige obiective Guͤltigkeit ſichern und was kan derſelbe vor Bedeutung haben? Der Verſtand macht vor die Vernunft eben ſo einen Gegenſtand aus, als die Sinnlichkeit vor den Verſtand. Die Einheit aller moͤglichen empiriſchen Verſtandeshandlun- gen ſyſtematiſch zu machen, iſt ein Geſchaͤfte der Vernunft, ſo wie der Verſtand das Mannigfaltige der Erſcheinungen durch Begriffe verknuͤpft und unter empiriſche Geſetze bringt. Die Verſtandeshandlungen aber, ohne Schemate der Sinnlichkeit, ſind unbeſtimt; eben ſo iſt die Ver- nunft- [665/0695] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. nunfteinheit auch in Anſehung der Bedingungen, unter denen, und des Grades, wie weit, der Verſtand ſeine Begriffe ſyſtematiſch verbinden ſoll, an ſich ſelbſt unbe- ſtimt. Allein, obgleich vor die durchgaͤngige ſyſtematiſche Einheit aller Verſtandesbegriffe kein Schema in der An- ſchauung ausfuͤndig gemacht werden kan, ſo kan und muß doch ein Analogon eines ſolchen Schema gegeben werden, welches die Idee des Maximum der Abtheilung und der Vereinigung der Verſtandeserkentniß in einem Princip iſt. Denn das Groͤſſeſte und Abſolutvollſtaͤndige laͤßt ſich beſtimt gedenken, weil alle reſtringirende Bedingungen, welche un- beſtimte Mannigfaltigkeit geben, weggelaſſen werden. Al- ſo iſt die Idee der Vernunft ein Analogon von einem Sche- ma der Sinnlichkeit, aber mit dem Unterſchiede, daß die Anwendung der Verſtandesbegriffe auf das Schema der Vernunft nicht eben ſo eine Erkentniß des Gegenſtandes ſelbſt iſt (wie bey der Anwendung der Categorien auf ihre ſinnliche Schemate), ſondern nur eine Regel oder Princip der ſyſtematiſchen Einheit alles Verſtandesgebrauchs. Da nun ieder Grundſatz, der dem Verſtande durchgaͤngige Einheit ſeines Gebrauchs a priori feſtſezt, auch, obzwar nur indirect, von dem Gegenſtande der Erfahrung gilt: ſo werden die Grundſaͤtze der reinen Vernunft auch in An- ſehung dieſes lezteren obiective Realitaͤt haben, allein nicht um etwas an ihnen zu beſtimmen, ſondern nur um das Verfahren anzuzeigen, nach welchem der empiriſche und beſtimte Erfahrungsgebrauch des Verſtandes mit ſich ſelbſt durch- T t 5 [666/0696] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. durchgaͤngig zuſammenſtimmend werden kan, dadurch, daß er mit dem Princip der durchgaͤngigen Einheit, ſo viel als moͤglich, in Zuſammenhang gebracht und davon ab- geleiter wird. Ich nenne alle ſubiective Grundſaͤtze, die nicht von der Beſchaffenheit des Obiects, ſondern dem Intereſſe der Vernunft, in Anſehung einer gewiſſen moͤglichen Voll- kommenheit der Erkentniß dieſes Obiects, hergenommen ſind, Maximen der Vernunft. So giebt es Maximen der ſpeculativen Vernunft, die lediglich auf dem ſpeculati- ven Intereſſe derſelben beruhen, ob es zwar ſcheinen mag, ſie waͤren obiective Principien. Wenn blos regulative Grundſaͤtze als conſtitutiv be- trachtet werden, ſo koͤnnen ſie als obiective Principien wi- derſtreitend ſeyn; betrachtet man ſie aber blos als Maxi- men ſo iſt kein wahrer Widerſtreit, ſondern blos ein verſchiedenes Intereſſe der Vernunft, welches die Tren- nung der Denkungsart verurſacht. In der That hat die Vernunft nur ein einiges Intereſſe und der Streit ihrer Maximen iſt nur eine Verſchiedenheit und wechſelſeitige Einſchraͤnkung der Methoden, dieſem Intereſſe ein Gnuͤge zu thun. Auf ſolche Weiſe vermag bey dieſem Vernuͤnftler mehr das Intereſſe der Mannigfaltigkeit (nach dem Prin- cip der Specification), bey ienem aber das Intereſſe der Einheit (nach dem Princip der Aggregation). Ein ieder der- [667/0697] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. derſelben glaubt ſein Urtheil aus der Einſicht des Obiects zu haben und gruͤndet es doch lediglich auf der groͤſſeren oder kleineren Anhaͤnglichkeit an einen von beiden Grund- ſaͤtzen, deren keine auf obiectiven Gruͤnden beruht, ſondern nur auf dem Vernunftintereſſe, und die daher beſſer Maxi- men als Principien genant werden koͤnten. Wenn ich einſehende Maͤnner mit einander wegen der Characteriſtik der Menſchen, der Thiere oder Pflanzen, ia ſelbſt der Coͤrper des Mineralreichs im Streite ſehe, da die einen z. B. beſondere und in der Abſtammung gegruͤndete Volks- charactere, oder auch entſchiedene und erbliche Unterſchie- de der Familien, Racen u. ſ. w. annehmen, andere dage- gen ihren Sinn darauf ſetzen, daß die Natur in dieſem Stuͤcke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und aller Unterſchied nur auf aͤuſſeren Zufaͤlligkeiten beruhe, ſo darf ich nur die Beſchaffenheit des Gegenſtandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide viel zu tief verborgen liege, als daß ſie aus Einſicht in die Natur des Obiects ſprechen koͤnten. Es iſt nichts an- deres, als das zwiefache Intereſſe der Vernunft, davon dieſer Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt, oder auch affectirt, mithin die Verſchiedenheit der Maxi- men der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit, welche ſich gar wol vereinigen laſſen, aber ſo lange ſie vor obiective Einſichten gehalten werden, nicht allein Streit, ſondern auch Hinderniſſe veranlaſſen, welche die Wahr- heit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das ſtrit- [668/0698] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſtrittige Intereſſe zu vereinigen und die Vernunft hieruͤber zufrieden zu ſtellen. Eben ſo iſt es mit der Behauptung, oder Anfech- tung des ſo berufenen, von Leibnitz in Gang gebrachten und durch Bonnet treflich aufgeſtutzten Geſetzes der conti- nuirlichen Stufenleiter der Geſchoͤpfe bewandt, welche nichts als eine Befolgung des auf dem Intereſſe der Ver- nunft beruhenden Grundſatzes der Affinitaͤt iſt; denn Beob- achtung und Einſicht in die Einrichtung der Natur konte es gar nicht als obiective Behauptung an die Hand geben. Die Sproſſen einer ſolchen Leiter, ſo wie ſie uns Erfah- rung angeben kan, ſtehen viel zu weit aus einander und unſere vermeintlichkleine Unterſchiede ſind gemeiniglich in der Natur ſelbſt ſo weite Kluͤfte, daß auf ſolche Beobach- tungen (vornemlich bey einer groſſen Mannigfaltigkeit von Dingen, da es immer leicht ſeyn muß, gewiſſe Aehnlich- keiten und Annaͤherungen zu finden), als Abſichten der Natur gar nichts zu rechnen iſt. Dagegen iſt die Metho- de, nach einem ſolchen Princip Ordnung in der Natur auf- zuſuchen, und die Maxime, eine ſolche, obzwar unbeſtimt wo, oder wie weit, in einer Natur uͤberhaupt als gegruͤn- det anzuſehen, allerdings ein rechtmaͤſſiges und trefliches regulatives Princip der Vernunft, welches aber, als ein ſolches, viel weiter geht, als daß Erfahrung oder Beobach- tung ihr gleich kommen koͤnte, doch ohne etwas zu beſtim- men, ſondern ihr nur zur ſyſtematiſchen Einheit den Weg vorzuzeichnen. Von [669/0699] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Von der Endabſicht der natuͤrlichen Dialectik der menſchlichen Vernunft. Die Ideen der reinen Vernunft koͤnnen nimmermehr an ſich ſelbſt dialectiſch ſeyn, ſondern ihr bloſſer Mißbrauch muß es allein machen, daß uns von ihnen ein truͤglicher Schein entſpringt; denn ſie ſind uns durch die Natur un- ſerer Vernunft aufgegeben und dieſer oberſte Gerichtshof aller Rechte und Anſpruͤche unſerer Speculation kan un- moͤglich ſelbſt urſpruͤngliche Taͤuſchungen und Blendwerke enthalten. Vermuthlich werden ſie alſo ihre gute und zweckmaͤſſige Beſtimmung in der Naturanlage unſerer Ver- nunft haben. Der Poͤbel der Vernuͤnftler ſchreit aber, wie gewoͤhnlich, uͤber Ungereimtheit und Widerſpruͤche und ſchmaͤhet auf die Regierung, in deren innerſte Plane er nicht zu dringen vermag, deren wohlthaͤtigen Einfluͤſſen er auch ſelbſt ſeine Erhaltung und ſo gar die Cultur ver- danken ſolte, die ihn in den Stand ſezt, ſie zu tadeln und zu verurtheilen. Man kan ſich eines Begriffs a priori mit keiner Sicherheit bedienen, ohne ſeine transſcendentale Deduction zu Stande gebracht zu haben. Die Ideen der reinen Vernunft verſtatten zwar keine Deduction von der Art, als die Ca- tegorien; ſollen ſie aber im mindeſten einige, wenn auch nur unbeſtimte, obiective Guͤltigkeit haben und nicht blos leere Gedankendinge (entia rationis ratiocinanus) vorſtellen, ſo [670/0700] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſo muß durchaus eine Deduction derſelben moͤglich ſeyn, geſezt, daß ſie auch von derienigen weit abwiche, die man mit den Categorien vornehmen kan. Das iſt die Vollendung des critiſchen Geſchaͤftes der reinen Vernunft und dieſes wollen wir iezt uͤbernehmen. Es iſt ein groſſer Unterſchied, ob etwas meiner Ver- nunft als ein Gegenſtand ſchlechthin, oder nur als ein Gegenſtand in der Idee gegeben wird. In dem er- ſteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenſtand zu beſtimmen, im zweiten iſt es wirklich nur ein Schema, dem direct kein Gegenſtand, auch nicht einmal hypothe- tiſch zugegeben wird, ſondern welches nur dazu dient, um andere Gegenſtaͤnde, vermittelſt der Beziehung auf dieſe Idee, nach ihrer ſyſtematiſchen Einheit, mithin indirect uns vorzuſtellen. So ſage ich, der Begriff einer hoͤchſten Intelligenz iſt eine bloſſe Idee, d. i. ſeine obiective Reali- taͤt ſoll nicht darin beſtehen, daß er ſich gerade zu auf ei- nen Gegenſtand bezieht (denn in ſolcher Bedeutung wuͤr- den wir ſeine obiective Guͤltigkeit nicht rechtfertigen koͤn- nen), ſondern er iſt nur ein, nach Bedingungen der groͤßten Vernunfteinheit geordnetes Schema, von dem Begriffe eines Dinges uͤberhaupt, welches nur dazu dient, um die groͤßte ſyſtematiſche Einheit im empiriſchen Gebrauche un- ſerer Vernunft zu erhalten, in dem man den Gegenſtand der Erfahrung gleichſam von dem eingebildeten Gegenſtan- de dieſer Idee, als ſeinem Grunde, oder Urſache, ablei- tet. Alsdenn heißt es z. B. die Dinge der Welt muͤſſen ſo [671/0701] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. ſo betrachtet werden, als ob ſie von einer hoͤchſten Intelli- genz ihr Daſeyn haͤtten. Auf ſolche Weiſe iſt die Idee ei- gentlich nur ein hevriſtiſcher und nicht oſtenſiver Begriff und zeigt an, nicht wie ein Gegenſtand beſchaffen iſt, ſon- dern wie wir, unter der Leitung deſſelben, die Beſchaffen- heit und Verknuͤpfung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung uͤberhaupt ſuchen ſollen. Wenn man nun zeigen kan, daß ob- gleich die dreierley transſcendentale Ideen (die pſychologi- ſche, cosmologiſche, und theologiſche) direct auf keinen ihnen correſpondirenden Gegenſtand und deſſen Beſtim- mung bezogen werden, dennoch alle Regeln des empiri- ſchen Gebrauchs der Vernunft unter Vorausſetzung eines ſolchen Gegenſtandes in der Idee auf ſyſtematiſche Ein- heit fuͤhren und die Erfahrungserkentniß iederzeit erweitern, niemals aber derſelben zuwider ſeyn koͤnnen: ſo iſt es eine nothwendige Maxime der Vernunft, nach dergleichen Ideen zu verfahren. Und dieſes iſt die transſcendentale Deduction aller Ideen der ſpeculativen Vernunft, nicht als conſtitutiver Principien der Erweiterung unſerer Er- kentniß uͤber mehr Gegenſtaͤnde, als Erfahrung geben kan, ſondern als regulativer Principien der ſyſtematiſchen Einheit des Mannigfaltigen der empiriſchen Erkentniß uͤber- haupt, welche dadurch in ihren eigenen Graͤnzen mehr an- gebauet und berichtigt wird, als es ohne ſolche Ideen durch den bloſſen Gebrauch der Verſtandesgrundſaͤtze geſche- hen koͤnte. Ich [672/0702] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Ich will dieſes deutlicher machen. Wir wollen den genanten Ideen als Principien zu Folge erſtlich (in der Pſychologie) alle Erſcheinungen, Handlungen und Em- pfaͤnglichkeit unſeres Gemuͤths an dem Leitfaden der inne- ren Erfahrung ſo verknuͤpfen, als ob daſſelbe eine einfache Subſtanz waͤre, die, mit perſoͤnlicher Identitaͤt, beharr- lich (wenigſtens im Leben) exiſtirt, indeſſen daß ihre Zu- ſtaͤnde, zu welcher die des Coͤrpers nur als aͤuſſere Bedin- gungen gehoͤren, continuirlich wechſeln. Wir muͤſſen zweitens (in der Cosmologie) die Bedingungen, der inne- ren ſowol als der aͤuſſeren Naturerſcheinungen, in einer ſolchen nirgend zu vollendenden Unterſuchung verfolgen, als ob dieſelbe an ſich unendlich und ohne ein erſtes oder oberſtes Glied ſey, obgleich wir darum, auſſerhalb allen Erſcheinungen, die blos intelligibele erſte Gruͤnde derſel- ben nicht laͤugnen, aber ſie doch niemals in den Zuſam- menhang der Naturerklaͤrungen bringen duͤrfen, weil wir ſie gar nicht kennen. Endlich und drittens muͤſſen wir (in An- ſehung der Theologie) alles, was nur immer in den Zuſam- menhang der moͤglichen Erfahrung gehoͤren mag, ſo betrach- ten, als ob dieſe eine abſolute, aber durch und durch abhaͤn- gige und immer noch innerhalb der Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch aber zugleich, als ob der Inbegriff aller Erſcheinungen (die Sinnenwelt ſelbſt) einen einzigen oberſten und allgnugſamen Grund auſſer ihrem Umfange ha- be, nemlich eine, gleichſam ſelbſtaͤndige, urſpruͤngliche und ſchoͤpferiſche Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen empi- [673/0703] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. empiriſchen Gebrauch unſerer Vernunft in ſeiner groͤßten Erweiterung ſo richten, als ob die Gegenſtaͤnde ſelbſt aus ienem Urbilde aller Vernunft entſprungen waͤren, das heißt: nicht von einer einfachen denkenden Subſtanz die innere Erſcheinungen der Seele, ſondern nach der Idee eines ein- fachen Weſens iene von einander ableiten; nicht von einer hoͤchſten Intelligenz die Weltordnung und ſyſtematiſche Einheit derſelben ableiten, ſondern von der Idee einer hoͤchſtweiſen Urſache die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bey der Verknuͤpfung der Urſachen und Wirkun- gen in der Welt zu ihrer eigenen Befriedigung am beſten zu brauchen ſey. Nun iſt nicht das Mindeſte, was uns hindert, dieſe Ideen auch als obiectiv und hypoſtatiſch anzunehmen, auſſer allein die cosmologiſche, wo die Vernunft auf eine Antinomie ſtoͤßt, wenn ſie ſolche zu Stande bringen will (die pſychologiſche und theologiſche enthalten dergleichen gar nicht). Denn, ein Widerſpruch iſt in ihnen nicht, wie ſolte uns daher iemand ihre obiective Realitaͤt ſtreiten koͤn- nen, da er von ihrer Moͤglichkeit eben ſo wenig weis, um ſie zu verneinen, als wir, um ſie zu beiahen. Gleichwol iſts, um etwas anzunehmen, noch nicht gnug, daß keine poſitive Hinderniß dawider iſt, und es kan uns nicht er- laubt ſeyn, Gedankenweſen, welche alle unſere Begriffe uͤberſteigen, obgleich keinem widerſprechen, auf den bloſſen Credit der, ihr Geſchaͤfte gern vollendenden ſpeculativen Vernunft, als wirkliche und beſtimte Gegenſtaͤnde einzu- fuͤh- U u [674/0704] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. fuͤhren. Alſo ſollen ſie an ſich ſelbſt nicht angenommen werden, ſondern nur ihre Realitaͤt, als eines Schema des regulativen Princips der ſyſtematiſchen Einheit aller Naturerkentniß, gelten, mithin ſollen ſie nur als Analoga von wirklichen Dingen, aber nicht als ſolche an ſich ſelbſt zum Grunde gelegt werden. Wir heben von dem Ge- genſtande der Idee die Bedingungen auf, welche unſeren Verſtandesbegriff einſchraͤnken, die aber es auch allein moͤg- lich machen, daß wir von irgend einem Dinge einen be- ſtimten Begriff haben koͤnnen. Und nun denken wir uns ein Etwas, wovon wir, was es an ſich ſelbſt ſey, gar keinen Begriff haben, aber wovon wir uns doch ein Ver- haͤltniß zu dem Inbegriffe der Erſcheinungen denken, das demienigen analogiſch iſt, welches die Erſcheinungen unter einander haben. Wenn wir demnach ſolche idealiſche Weſen anneh- men, ſo erweiteren wir eigentlich nicht unſere Erkentniß uͤber die Obiecte moͤglicher Erfahrung, ſondern nur die empiriſche Einheit der lezteren, durch die ſyſtematiſche Ein- heit, wozu uns die Idee das Schema giebt, welche mit- hin nicht als conſtitutives, ſondern blos als regulatives Princip gilt. Denn, daß wir ein der Idee correſpondi- rendes Ding, ein Etwas, oder wirkliches Weſen ſetzen, dadurch iſt nicht geſagt: wir wolten unſere Erkentniß der Dinge mit transſcendenten Begriffen erweitern; denn die- ſes Weſen wird nur in der Idee und nicht an ſich ſelbſt zum Grunde gelegt, mithin nur um die ſyſtematiſche Ein- heit [675/0705] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. heit auszudruͤcken, die uns zur Richtſchnur des empiriſchen Gebrauchs der Vernunft dienen ſoll, ohne doch etwas daruͤber auszumachen, was der Grund dieſer Einheit, oder die innere Eigenſchaft eines ſolchen Weſens ſey, auf wel- chem, als Urſache, ſie beruhe. So iſt der transſcendentale und einzige beſtimte Be- griff, den uns die blos ſpeculative Vernunft von Gott giebt, im genaueſten Verſtande deiſtiſch, d. i. die Ver- nunft giebt nicht einmal die obiective Guͤltigkeit eines ſol- chen Begriffs, ſondern nur die Idee von Etwas an die Hand, worauf alle empiriſche Realitaͤt ihre hoͤchſte und nothwendige Einheit gruͤndet und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Subſtanz, welche nach Vernunftgeſetzen die Urſache aller Dinge ſey, denken koͤnnen, wofern wir es ia unternehmen, es uͤber- all als einen beſonderen Gegenſtand zu denken und nicht lieber, mit der bloſſen Idee des regulativen Princips der Vernunft zufrieden, die Vollendung aller Bedingungen des Denkens, als uͤberſchwenglich vor den menſchlichen Ver- ſtand, bey Seite ſetzen wollen, welches aber mit der Abſicht einer vollkommenen ſyſtematiſchen Einheit in unſerem Er- kentniß, der wenigſtens die Vernunft keine Schranken ſezt, nicht zuſammen beſtehen kan. Daher geſchiehts nun, daß, wenn ich ein goͤttliches Weſen annehme, ich zwar, weder von der inneren Moͤg- lichkeit ſeiner hoͤchſten Vollkommenheit, noch der Noth- wendigkeit ſeines Daſeyns, den mindeſten Begriff habe, aber U u 2 [676/0706] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. aber alsdenn doch allen anderen Fragen, die das Zufaͤllige betreffen, ein Gnuͤge thun kan und der Vernunft die voll- kommenſte Befriedigung in Anſehung der nachzuforſchen- den groͤßten Einheit in ihrem empiriſchen Gebrauche, aber nicht in Anſehung dieſer Vorausſetzung ſelbſt, verſchaffen kan, welches beweiſet: daß ihr ſpeculatives Intereſſe und nicht ihre Einſicht ſie berechtige, von einem Puncte, der ſo weit uͤber ihrer Sphaͤre liegt, auszugehen, um daraus ihre Gegenſtaͤnde in einem vollſtaͤndigen Ganzen zu be- trachten. Hier zeigt ſich nun ein Unterſchied der Denkungsart, bey einer und derſelben Vorausſetzung, der ziemlich ſubtil, aber gleichwol in der Transſcendentalphiloſophie von groſ- ſer Wichtigkeit iſt. Ich kan gnuſamen Grund haben, etwas relativ anzunehmen, (ſuppoſitio relativa), ohne doch befugt zu ſeyn, es ſchlechthin anzunehmen (ſuppoſi- tio abſoluta). Dieſe Unterſcheidung trift zu, wenn es blos um ein regulatives Princip zu thun iſt, wovon wir zwar die Nothwendigkeit an ſich ſelbſt, aber nicht den Quell derſelben erkennen und dazu wir einen oberſten Grund blos in der Abſicht annehmen, um deſto beſtimter die All- gemeinheit des Princips zu denken, als z. B. wenn ich mir ein Weſen als exiſtirend denke, das einer bloſſen und zwar transſcendentalen Idee correſpondirt. Denn, da kan ich das Daſeyn dieſes Dinges niemals an ſich ſelbſt annehmen, weil keine Begriffe, dadurch ich mir irgend einen [677/0707] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. einen Gegenſtand beſtimt denken kan, dazu gelangen und die Bedingungen der obiectiven Guͤltigkeit meiner Begriffe durch die Idee ſelbſt ausgeſchloſſen ſeyn. Die Begriffe der Realitaͤt, der Subſtanz, der Cauſſalitaͤt ſelbſt, die der Nothwendigkeit im Daſeyn, haben, auſſer dem Gebrauche, da ſie die empiriſche Erkentniß eines Gegenſtandes moͤglich ma- chen, gar keine Bedeutung, die irgend ein Obiect beſtim- mete. Sie koͤnnen alſo zwar zu Erklaͤrung der Moͤglich- keit der Dinge in der Sinnenwelt, aber nicht der Moͤg- lichkeit eines Weltganzen ſelbſt gebraucht werden, weil dieſer Erklaͤrungsgrund auſſerhalb der Welt und mithin kein Gegenſtand einer moͤglichen Erfahrung ſeyn muͤßte. Nun kan ich gleichwol ein ſolches unbegreifliches Weſen, den Gegenſtand einer bloſſen Idee, relativ auf die Sinnen- welt, obgleich nicht an ſich ſelbſt, annehmen. Denn, wenn dem groͤßtmoͤglichen empiriſchen Gebrauche meiner Vernunft eine Idee (der ſyſtematiſchvollſtaͤndigen Einheit, von der ich bald beſtimter reden werde) zum Grunde liegt, die an ſich ſelbſt niemals adaͤquat in der Erfahrung kan dargeſtellet werden, ob ſie gleich, um die empiriſche Einheit dem hoͤchſtmoͤglichen Grade zu naͤhern, unumgaͤnglich noth- wendig iſt, ſo werde ich nicht allein befugt, ſondern auch genoͤthigt ſeyn, dieſe Idee zu realiſiren, d. i. ihr einen wirklichen Gegenſtand zu ſetzen, aber nur als ein Etwas uͤberhaupt, das ich an ſich ſelbſt gar nicht kenne und dem ich nur, als einem Grunde iener ſyſtematiſchen Einheit, in Beziehung auf dieſe leztere ſolche Eigenſchaften gebe, als U u 3 [678/0708] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. als den Verſtandesbegriffen im empiriſchen Gebrauche ana- logiſch ſind. Ich werde mir alſo nach der Analogie der Realitaͤten in der Welt, der Subſtanzen, der Cauſſalitaͤt und der Nothwendigkeit, ein Weſen denken, das alles dieſes in der hoͤchſten Vollkommenheit beſizt und, indem dieſe Idee blos auf meiner Vernunft beruht, dieſes Weſen als ſelbſtſtaͤndige Vernunft, was durch Ideen der groͤß- ten Harmonie und Einheit, Urſache vom Weltganzen iſt, denken koͤnnen, ſo daß ich alle, die Idee einſchraͤnkende, Bedingungen weglaſſe, lediglich um, unter dem Schutze eines ſolchen Urgrundes, ſyſtematiſche Einheit des Man- nigfaltigen im Weltganzen und, vermittelſt derſelben, den groͤßtmoͤglichen empiriſchen Vernunftgebrauch moͤglich zu machen, indem ich alle Verbindungen ſo anſehe, als ob ſie Anordnungen einer hoͤchſten Vernunft waͤren, von der die unſrige ein ſchwaches Nachbild iſt. Ich denke mir alsdenn dieſes hoͤchſte Weſen durch lauter Begriffe, die eigentlich nur in der Sinnenwelt ihre Anwendung haben, da ich aber auch iene transſcendentale Vorausſetzung zu keinem anderen als relativen Gebrauch habe, nemlich, daß ſie das Subſtratum der groͤßtmoͤglichen Erfahrungseinheit abgeben ſolle, ſo darf ich ein Weſen, das ich von der Welt unterſcheide, ganz wol durch Eigenſchaften denken, die lediglich zur Sinnenwelt gehoͤren. Denn ich verlange keinesweges und bin auch nicht befugt, es zu verlangen, dieſen Gegenſtand meiner Idee, nach dem, was er an ſich ſeyn mag, zu erkennen; denn dazu habe ich keine Be- griffe [679/0709] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. griffe und ſelbſt die Begriffe von Realitaͤt, Subſtanz, Cauſſalitaͤt, ia ſo gar der Nothwendigkeit im Daſeyn ver- lieren alle Bedeutung und ſind leere Titel zu Begriffen, ohne allen Inhalt, wenn ich mich auſſer dem Felde der Sinne damit hinauswage. Ich denke mir nur die Rela- tion eines mir an ſich ganz unbekanten Weſens zur groͤßten ſyſtematiſchen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Princips des groͤßtmoͤglichen em- piriſchen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen. Werfen wir unſeren Blick nun auf den transſcen- dentalen Gegenſtand unſerer Idee, ſo ſehen wir: daß wir ſeine Wirklichkeit nach den Begriffen von Realitaͤt, Sub- ſtanz, Cauſſalitaͤt ꝛc an ſich ſelbſt nicht vorausſetzen koͤn- nen, weil dieſe Begriffe auf etwas, das von der Sinnen- welt ganz unterſchieden iſt, nicht die mindeſte Anwendung haben. Alſo iſt die Suppoſition der Vernunft von einem hoͤchſten Weſen, als oberſter Urſache, blos relativ, zum Behuf der ſyſtematiſchen Einheit der Sinnenwelt gedacht und ein bloſſes Etwas in der Idee, wovon wir, was es an ſich ſey, keinen Begriff haben. Hiedurch erklaͤrt ſich auch: woher wir zwar in Beziehung auf das, was exiſti- rend den Sinnen gegeben iſt, der Idee eines an ſich nothwen- digen Urweſens beduͤrfen, niemals aber von dieſem und ſeiner abſoluten Nothwendigkeit den mindeſten Begriff haben koͤnnen. Nunmehr koͤnnen wir das Reſultat der ganzen trans- ſcendentalen Dialectik deutlich vor Augen ſtellen und die End- U u 4 [680/0710] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Endabſicht der Ideen der reinen Vernunft, die nur durch Mißverſtand und Unbehutſamkeit dialectiſch werden, ge- nau beſtimmen. Die reine Vernunft iſt in der That mit nichts, als ſich ſelbſt beſchaͤftigt und kan auch kein ande- res Geſchaͤfte haben, weil ihr nicht die Gegenſtaͤnde zur Einheit des Erfahrungsbegriffs, ſondern die Verſtandeser- kentniſſe zur Einheit des Vernunftbegriffs, d. i. des Zu- ſammenhanges in einem Princip gegeben werden. Die Vernunfteinheit iſt die Einheit des Syſtems, und dieſe ſyſtematiſche Einheit dient der Vernunft nicht obiectiv zu einem Grundſatze, um ſie uͤber die Gegenſtaͤnde, ſondern ſubiectiv als Maxime, um ſie uͤber alles moͤgliche empiri- ſche Erkentniß der Gegenſtaͤnde zu verbreiten. Gleichwol befoͤrdert der ſyſtematiſche Zuſammenhang, den die Ver- nunft dem empiriſchen Verſtandesgebrauche geben kan, nicht allein deſſen Ausbreitung, ſondern bewaͤhrt auch zu- gleich die Richtigkeit deſſelben und das Principium einer ſolchen ſyſtematiſchen Einheit iſt auch obiectiv, aber auf unbeſtimte Art (principium vagum) nicht als conſtituti- ves Princip, um etwas in Anſehung ſeines directen Ge- genſtandes zu beſtimmen, ſondern um, als blos regula- tiver Grundſatz und Maxime, den empiriſchen Gebrauch der Vernunft durch Eroͤfnung neuer Wege, die der Ver- ſtand nicht kent, ins Unendliche (Unbeſtimte) zu befoͤrdern und zu befeſtigen, ohne dabey iemals den Geſetzen des empiriſchen Gebrauchs im Mindeſten zuwider zu ſeyn. Die [681/0711] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Die Vernunft kan aber dieſe ſyſtematiſche Einheit nicht anders denken, als daß ſie ihrer Idee zugleich einen Gegenſtand giebt, der aber durch keine Erfahrung gegeben werden kan, denn Erfahrung giebt niemals ein Beiſpiel vollkommener ſyſtematiſcher Einheit. Dieſes Vernunftwe- ſen (ens rationis ratiocinatæ) iſt nun zwar eine bloſſe Idee und wird alſo nicht ſchlechthin und an ſich ſelbſt als etwas Wirkliches angenommen, ſondern nur problematiſch zum Grunde gelegt (weil wir es durch keine Verſtandes- begriffe erreichen koͤnnen), um alle Verknuͤpfung der Dinge der Sinnenwelt ſo anzuſehen, als ob ſie in dieſem Ver- nunftweſen ihren Grund haͤtten, lediglich aber in der Ab- ſicht, um darauf die ſyſtematiſche Einheit zu gruͤnden, die der Vernunft unentbehrlich, der empiriſchen Verſtandeserkent- niß aber auf alle Weiſe befoͤrderlich und ihr gleichwol nie- mals hinderlich ſeyn kan. Man verkennet ſogleich die Bedeutung dieſer Idee, wenn man ſie vor die Behauptung, oder auch nur die Vorausſetzung einer wirklichen Sache haͤlt, welcher man den Grund der ſyſtematiſchen Weltverfaſſung zuzuſchreiben gedaͤchte; vielmehr laͤßt man es gaͤnzlich unausgemacht, was der, unſeren Begriffen ſich entziehende Grund derſel- ben an ſich vor Beſchaffenheit habe und ſetzet ſich nur eine Idee zum Geſichtspuncte, aus welchem einzig und allein man iene, der Vernunft ſo weſentliche und dem Verſtan- de ſo heilſame, Einheit verbreiten kan, mit einem Worte: dieſes U u 5 [682/0712] Elementarl. II. Th. II. Abth. II.Buch. III. Hauptſt. dieſes transſendentale Ding iſt blos das Schema ienes re- gulativen Princips, wodurch die Vernunft, ſo viel an ihr iſt, ſyſtematiſche Einheit uͤber alle Erfahrung verbreitet. Das erſte Obiect einer ſolchen Idee bin ich ſelbſt, blos als denkende Natur (Seele) betrachtet. Will ich die Eigenſchaften, mit denen ein denkend Weſen an ſich exiſtirt, aufſuchen, ſo muß ich die Erfahrung befragen und ſelbſt von allen Categorien kan ich keine auf dieſen Gegen- ſtand anwenden, als in ſo fern das Schema derſelben in der ſinnlichen Anſchauung gegeben iſt. Hiemit gelange ich aber niemals zu einer ſyſtematiſchen Einheit aller Erſchei- nungen des inneren Sinnes. Satt des Erfahrungsbegriffs alſo (von dem, was die Seele wirklich iſt), der uns nicht weit fuͤhren kan, nimt die Vernunft den Begriff der em- piriſchen Einheit alles Denkens und macht dadurch, daß ſie dieſe Einheit unbedingt und urſpruͤnglich denkt, aus demſelben einen Vernunftbegriff (Idee) von einer einfa- chen Subſtanz, die an ſich ſelbſt unwandelbar (perſoͤn- lich identiſch), mit andern wirklichen Dingen auſſer ihr in Gemeinſchaft ſtehe, mit einem Worte: von einer ein- fachen ſelbſtſtaͤndigen Intelligenz. Hiebey aber hat ſie nichts anders vor Augen, als Principien der ſyſtematiſchen Einheit in Erklaͤrung der Erſcheinungen der Seele, nem- lich: alle Beſtimmungen, als in einem einigen Subiecte, alle Kraͤfte, ſo viel moͤglich, als abgeleitet von einer einigen Grundkraft, allen Wechſel, als gehoͤrig zu den Zuſtaͤnden eines [683/0713] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. eines und deſſelben beharrlichen Weſens zu betrachten, und alle Erſcheinungen im Raume, als von den Handlungen des Denkens ganz unterſchieden vorzuſtellen. Jene Ein- fachheit der Subſtanz ꝛc. ſolte nur das Schema zu dieſem regulativen Princip ſeyn und wird nicht vorausgeſezt, als ſey ſie der wirkliche Grund der Seeleneigenſchaften. Denn dieſe koͤnnen auch auf ganz anderen Gruͤnden beruhen, die wir gar nicht kennen, wie wir denn die Seele auch durch dieſe angenommene Praͤdicate eigentlich nicht an ſich ſelbſt erkennen koͤnten, wenn wir ſie gleich von ihr ſchlechthin wolten gelten laſſen, indem ſie eine bloſſe Idee ausmachen, die in concreto gar nicht vorgeſtellet werden kan. Aus einer ſolchen pſychologiſchen Idee kan nun nichts anders als Vortheil entſpringen, wenn man ſich nur huͤtet, ſie vor etwas mehr als bloſſe Idee, d. i. blos relativiſch auf den ſyſtematiſchen Vernunftsgebrauch in Anſehung der Er- ſcheinungen unſerer Seele, gelten zu laſſen. Denn, da mengen ſich keine empiriſche Geſetze koͤrperlicher Erſchei- nungen, die ganz von anderer Art ſeyn, in die Erklaͤrun- gen deſſen, was blos vor den inneren Sinn gehoͤret, da werden keine windige Hypotheſen, von Erzeugung, Zer- ſtoͤhrung und Palingeneſie der Seelen ꝛc. zugelaſſen, alſo die Betrachtung dieſes Gegenſtandes des inneren Sinnes ganz rein und unvermengt mit ungleichartigen Eigenſchaf- ten angeſtellet, uͤberdem die Vernunftunterſuchung darauf gerichtet, die Erklaͤrungsgruͤnde in dieſem Subiecte, ſo weit es moͤglich iſt, auf ein einziges Princip hinaus zu fuͤh- [684/0714] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. fuͤhren, welches alles durch ein ſolches Schema, als ob es ein wirkliches Weſen waͤre, am beſten, ia ſo gar einzig und allein, bewirkt wird. Die pſychologiſche Idee kan auch nichts anders als das Schema eines regulativen Be- griffs bedeuten. Denn wolte ich auch nur fragen: ob die Seele nicht an ſich geiſtiger Natur ſey, ſo haͤtte dieſe Frage gar keinen Sinn. Denn durch einen ſolchen Be- griff nehme ich nicht blos die koͤrperliche Natur, ſondern uͤberhaupt alle Natur weg, d. i. alle Praͤdicate irgend ei- ner moͤglichen Erfahrung, mithin alle Bedingungen zu einem ſolchen Begriffe einen Gegenſtand zu denken, als welches doch einzig und allein es macht, daß man ſagt, er habe einen Sinn. Die zweite regulative Idee der blos ſpeculativen Ver- nunft iſt der Weltbegriff uͤberhaupt. Denn Natur iſt ei- gentlich nur das einzige gegebene Obiect, in Anſehung deſſen die Vernunft regulative Principien bedarf. Dieſe Natur iſt zwiefach, entweder die denkende, oder die koͤr- perliche Natur. Allein zu der lezteren, um ſie ihrer inne- ren Moͤglichkeit nach zu denken, d. i. die Anwendung der Categorien auf dieſelbe zu beſtimmen, beduͤrfen wir keiner Idee, d. i. einer die Erfahrung uͤberſteigenden Vorſtellung; es iſt auch keine in Anſehung derſelben moͤglich, weil wir darin blos durch ſinnliche Anſchauung geleitet werden und nicht, wie in dem pſychologiſchen Grundbegriffe (Ich), welcher eine gewiſſe Form des Denkens, nemlich die Ein- heit deſſelben, a priori enthaͤlt. Alſo bleibt uns vor die reine [685/0715] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. reine Vernunft nichts uͤbrig, als Natur uͤberhaupt, und die Vollſtaͤndigkeit der Bedingungen in derſelben nach ir- gend einem Princip. Die abſolute Totalitaͤt der Reihen dieſer Bedingungen, in der Ableitung ihrer Glieder, iſt eine Idee, die zwar im empiriſchen Gebrauche der Ver- nunft niemals voͤllig zu Stande kommen kan, aber doch zur Regel dient, wie wir in Anſehung derſelben verfah- ren ſollen, nemlich in der Erklaͤrung gegebener Erſcheinun- gen (im Zuruͤckgehen oder Aufſteigen) ſo, als ob die Rei- he an ſich unendlich waͤre, d. i. in indefinitum, aber wo die Vernunft ſelbſt als beſtimmende Urſache betrachtet wird (in der Freiheit), alſo bey practiſchen Principien, als ob wir nicht ein Obiect der Sinne, ſondern des rei- nen Verſtandes vor uns haͤtten, wo die Bedingungen nicht mehr in der Reihe der Erſcheinungen, ſondern auſſer der- ſelben geſezt werden koͤnnen und die Reihe der Zuſtaͤnde angeſehen werden kan, als ob ſie ſchlechthin (durch eine intelligibele Urſache) angefangen wuͤrde, welches alles beweiſet: daß die cosmologiſche Ideen nichts als regula- tive Principien und weit davon entfernt ſind, gleichſam conſtitutiv, eine wirkliche Totalitaͤt ſolcher Reihen zu ſetzen. Das uͤbrige kan man an ſeinem Orte unter der Antinomie der reinen Vernunft ſuchen. Die dritte Idee der reinen Vernunft, welche eine blos relative Suppoſition eines Weſens enthaͤlt, als der einigen und allgnugſamen Urſache aller cosmologiſchen Reihen, iſt der Vernunftbegriff von Gott. Den Gegenſtand die- [686/0716] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. dieſer Idee, haben wir nicht den mindeſten Grund, ſchlecht- hin anzunehmen (an ſich zu ſupponiren); denn was kan uns wol dazu vermoͤgen, oder auch nur berechtigen, ein Weſen von der hoͤchſten Vollkommenheit, und als ſeiner Natur nach ſchlechthin nothwendig, aus deſſen bloſſem Begriffe an ſich ſelbſt zu glauben, oder zu behaupten, waͤre es nicht die Welt, in Beziehung auf welche dieſe Suppoſition allein nothwendig ſeyn kan, und da zeigt es ſich klar: daß die Idee deſſelben, ſo wie alle ſpeculative Ideen, nichts weiter ſagen wolle, als daß die Vernunft ge- biete, alle Verknuͤpfung der Welt nach Principien einer ſyſtematiſchen Einheit zu betrachten, mithin als ob ſie ins- geſamt aus einem einzigen allbefaſſenden Weſen, als ober- ſter und allgnugſamer Urſache, entſprungen waͤren. Hier- aus iſt klar: daß die Vernunft hiebey nichts als ihre eige- ne formale Regel in Erweiterung ihres empiriſchen Ge- brauchs zur Abſicht haben koͤnne, niemals aber eine Er- weiterung uͤber alle Graͤnzen des empiriſchen Gebrauchs, folglich unter dieſer Idee kein conſtitutives Princip ihres auf moͤgliche Erfahrung gerichteten Gebrauchs verborgen liege. Die hoͤchſte formale Einheit, welche allein auf Ver- nunftbegriffen beruht, iſt die zweckmaͤſſige Einheit der Dinge, und das ſpeculative Intereſſe der Vernunft macht es nothwendig, alle Anordnung in der Welt ſo anzuſehen, als ob ſie aus der Abſicht einer allerhoͤchſten Vernunft ent- ſproſſen waͤre. Ein ſolches Princip eroͤfnet nemlich unſerer auf [687/0717] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Ausſichten nach telologiſchen Geſetzen die Dinge der Welt zu verknuͤpfen, und dadurch zu der groͤßten ſyſtema- tiſchen Einheit derſelben zu gelangen. Die Vorausſetzung einer oberſten Intelligenz, als der alleinigen Urſache des Weltganzen, aber freilich blos in der Idee, kan alſo ie- derzeit der Vernunft nutzen und dabey doch niemals ſchaden. Denn, wenn wir in Anſehung der Figur der Erde (der runden doch etwas abgeplatteten *), der Gebirge und Meere ꝛc. lauter weiſe Abſichten eines Urhebers zum voraus anneh- men, ſo koͤnnen wir auf dieſem Wege eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir nur bey dieſer Vor- ausſetzung, als einem blos regulativen Princip, ſo kan ſelbſt der Irrthum uns nicht ſchaden. Denn es kan allen- falls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologiſchen Zuſammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein blos mechaniſcher oder phyſiſcher (nexus effectiuus) ange- *) Der Vortheil, den eine kugelichte Erdgeſtalt ſchaft, iſt be- kant gnug; aber wenige wiſſen: daß ihre Abplattung, als eines Sphaͤroids, es allein verhindert, daß nicht die Hervorragungen des feſten Landes, oder auch kleinerer, vielleicht durch Erdbeben aufgeworfener Berge, die Achſe der Erde continuirlich und in nicht eben langer Zeit an- ſehnlich verruͤcke, waͤre nicht die Aufſchwellung der Erde unter der Linie ein ſo gewaltiger Berg, den der Schwung iedes andern Berges niemals merklich aus ſeiner Lage in Anſehung der Achſe bringen kan. Und doch erklaͤrt man dieſe weiſe Anſtalt ohne Bedenken aus dem Gleichgewicht der ehmals fluͤſſigen Erdmaſſe. [688/0718] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. angetroffen werde, wodurch wir, in einem ſolchen Falle, nur eine Einheit mehr vermiſſen, aber nicht die Vernunft- einheit in ihrem empiriſchen Gebrauche verderben. Aber ſo gar dieſer Querſtrich kan das Geſetz ſelbſt in allgemei- ner und teleologiſcher Abſicht uͤberhaupt nicht treffen. Denn, ob zwar ein Zergliederer eines Irrthumes uͤberfuͤhrt werden kan, wenn er irgend ein Gliedmaas eines thieriſchen Coͤr- pers auf einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen kan, daß er daraus nicht erfolge: ſo iſt es doch gaͤnzlich unmoͤglich, in einem Falle zu beweiſen, daß eine Natureinrichtung, es mag ſeyn welche da wolle, ganz und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die Phyſiologie (der Aerzte) ihre ſehr eingeſchraͤnkte empiri- ſche Kentniß von den Zwecken des Gliederbaues eines or- ganiſchen Coͤrpers durch einen Grundſatz, welchen blos reine Vernunft eingab, ſo weit, daß man darin ganz dreuſt und zugleich mit aller Verſtaͤndigen Einſtimmung annimt, es habe alles an dem Thiere ſeinen Nutzen und gute Abſicht, welche Vorausſetzung, wenn ſie conſtitutiv ſeyn ſolte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobach- tung berechtigen kan, woraus denn zu erſehen iſt: daß ſie nichts als ein regulatives Princip der Vernunft ſey, um zur hoͤchſten ſyſtematiſchen Einheit, vermittelſt der Idee der zweckmaͤſſigen Cauſſalitaͤt der oberſten Welturſache und, als ob dieſe, als hoͤchſte Intelligenz nach der weiſeſten Ab- ſicht die Urſache von allem ſey, zu gelangen. Gehen [689/0719] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Gehen wir aber von dieſer Reſtriction der Idee auf den blos regulativen Gebrauch ab, ſo wird die Vernunft auf ſo mancherley Weiſe irre gefuͤhrt, indem ſie alsdenn den Boden der Erfahrung, der doch die Merkzeichen ih- res Ganges enthalten muß, verlaͤßt, und ſich uͤber denſel- ben zu dem Unbegreiflichen und unerforſchlichen hinwagt, uͤber deſſen Hoͤhe ſie nothwendig ſchwindlicht wird, weil ſie ſich aus dem Standpuncte deſſelben von allem mit der Erfahrung ſtimmigen Gebrauch gaͤnzlich abgeſchnitten ſieht. Der erſte Fehler, der daraus entſpringt, daß man die Idee eines hoͤchſten Weſens nicht blos regulativ, ſon- dern (welches der Natur einer Idee zuwider iſt) conſtitu- tiv braucht, iſt die faule Vernunft (ignaua ratio *). Man kan ieden Grundſatz ſo nennen, welcher macht, daß man ſeine Naturunterſuchung, wo es auch ſey, vor ſchlecht- *) So nanten die alten Dialectiker einen Trugſchluß, der ſo lautete: Wenn es dein Schickſal mit ſich bringt, du ſolſt von dieſer Krankheit geneſen, ſo wird es geſchehen, du magſt einen Arzt brauchen, oder nicht. Cicero ſagt: daß dieſe Art zu ſchlieſſen ihren Nahmen daher habe, daß, wenn man ihr folgt, gar kein Gebrauch der Vernunft im Leben uͤbrig bleibe. Dieſes iſt die Urſache, warum ich das ſophiſtiſche Argument der reinen Vernunft mit demſelben Nahmen belege. X x [690/0720] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ſchlechthin vollendet anſieht und die Vernunft ſich alſo zur Ruhe begiebt, als ob ſie ihr Geſchaͤfte voͤllig ausgerich- tet habe. Daher ſelbſt die pſychologiſche Idee, wenn ſie als ein conſtitutives Princip vor die Erklaͤrung der Er- ſcheinungen unſerer Seele, und hernach gar, zur Erwei- terung unſerer Erkentniß dieſes Subiects, noch uͤber alle Erfahrung hinaus (ihren Zuſtand nach dem Tode) ge- braucht wird, es der Vernunft zwar ſehr bequem macht, aber auch allen Naturgebrauch derſelben nach der Leitung der Erfahrungen ganz verdirbt und zu Grunde richtet. So erklaͤrt der dogmatiſche Spiritualiſt die durch allen Wechſel der Zuſtaͤnde unveraͤndert beſtehende Einheit der Perſon aus der Einheit der denkenden Subſtanz, die er in dem Ich unmittelbar wahrzunehmen glaubt, das Intereſſe, was wir an Dingen nehmen, die ſich allererſt nach unſerem Tode zutragen ſollen, aus dem Bewuſtſeyn der immateriellen Natur unſeres denkenden Subiects ꝛc. und uͤberhebt ſich aller Naturunterſuchung der Urſache dieſer unſerer inneren Erſcheinungen aus phyſiſchen Erklaͤrungs- gruͤnden, indem er gleichſam durch den Machtſpruch einer transſcendenten Vernunft die immanente Erkentnißquel- len der Erfahrung, zum Behuf ſeiner Gemaͤchlichkeit, aber mit Einbuſſe aller Einſicht, vorbey geht. Noch deutlicher faͤllt dieſe nachtheilige Folge bey dem Dogmatism unſerer Idee von einer hoͤchſten Intelligenz und dem darauf faͤlſch- lich gegruͤndeten theologiſchen Syſtem der Natur (Phyſico- theo- [691/0721] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. theologie) in die Augen. Denn da dienen alle ſich in der Natur zeigende, oft nur von uns ſelbſt dazu gemachte Zwecke dazu, es uns in der Erforſchung der Urſachen recht bequem zu machen, nemlich, anſtatt ſie in den allgemeinen Geſetzen des Mechanismus der Materie zu ſuchen, ſich ge- radezu auf den unerforſchlichen Rathſchluß der hoͤchſten Weisheit zu berufen, und die Vernunftbemuͤhung alsdenn vor vollendet anzuſehen, wenn man ſich ihres Gebrauchs uͤberhebt, der doch nirgend einen Leitfaden findet, als wo ihn uns die Ordnung der Natur und die Reihe der Ver- aͤnderungen, nach ihren inneren und allgemeinern Geſe- tzen, an die Hand giebt. Dieſer Fehler kan vermieden werden, wenn wir nicht blos einige Naturſtuͤcke, als z. B. die Vertheilung des feſten Landes, das Bauwerk deſſelben und die Beſchaffenheit und Lage der Gebirge, oder wol gar nur die Organiſation im Gewaͤchs- und Thierreiche aus dem Geſichtspuncte der Zwecke betrachten, ſondern dieſe ſyſtematiſche Einheit der Natur, in Beziehung auf die Idee einer hoͤchſten Intelligenz, ganz allgemein ma- chen. Denn alsdenn legen wir eine Zweckmaͤſſigkeit nach allgemeinen Geſetzen der Natur zum Grunde, von denen keine beſondere Einrichtung ausgenommen, ſondern nur mehr oder weniger kentlich vor uns ausgezeichnet worden, und haben ein regulatives Princip der ſyſtematiſchen Ein- heit einer teleologiſchen Verknuͤpfung, die wir aber nicht zum voraus beſtimmen, ſondern nur in Erwartung derſel- ben X x 2 [692/0722] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. ben die phyſiſchmechaniſche Verknuͤpfung nach allgemeinen Geſetzen verfolgen duͤrfen. Denn ſo allein kan das Prin- cip der zweckmaͤſſigen Einheit den Vernunftgebrauch in Anſehung der Erfahrung iederzeit erweitern, ohne ihm in irgend einem Falle Abbruch zu thun. Der zweite Fehler, der aus der Mißdeutung des ge- dachten Princips der ſyſtematiſchen Einheit entſpringt, iſt der der verkehrten Vernunft (peruerſa ratio, ὕςερον πρότερον rationis). Die Idee der ſyſtematiſchen Einheit ſolte nur dazu dienen, um als regulatives Princip ſie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgeſe- tzen zu ſuchen und, ſo weit ſich etwas davon auf dem em- piriſchen Wege antreffen laͤßt, um ſo viel auch zu glau- ben, daß man ſich der Vollſtaͤndigkeit ihres Gebrauchs genaͤhert habe, ob man ſie freilich niemals erreichen wird. Anſtatt deſſen kehrt man die Sache um und faͤngt davon an, daß man die Wirklichkeit eines Princips der zweckmaͤſſigen Einheit als hypoſtatiſch zum Grunde legt, den Begriff einer ſolchen hoͤchſten Intelligenz, weil er an ſich gaͤnzlich unerforſchlich iſt, anthropomorphiſtiſch beſtimt und denn der Natur Zwecke, gewaltſam und dictatoriſch, aufdringt, anſtatt ſie, wie billig, auf dem Wege der phyſiſchen Nach- forſchung zu ſuchen, ſo daß nicht allein Teleologie, die blos dazu dienen ſolte, um die Natureinheit nach allgemeinen Geſetzen zu ergaͤnzen, nun vielmehr dahin wirkt, ſie auf- zuhe- [693/0723] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. zuheben, ſondern die Vernunft ſich noch dazu ſelbſt um ihren Zweck bringt, nemlich das Daſeyn einer ſolchen intelligenten oberſten Urſache, nach dieſem, aus der Na- tur zu beweiſen. Denn, wenn man nicht die hoͤchſte Zweck- maͤſſigkeit in der Natur a priori, d. i. als zum Weſen der- ſelben gehoͤrig, vorausſetzen kan, wie will man denn an- gewieſen ſeyn, ſie zu ſuchen und auf der Stufenleiter der- ſelben ſich der hoͤchſten Vollkommenheit eines Urhebers, als einer ſchlechterdingsnothwendigen, mithin a priori erkenbaren Vollkommenheit, zu naͤhern. Das regulative Princip verlangt die ſyſtematiſche Einheit als Naturein- heit, welche nicht blos empiriſch erkant, ſondern a priori, obzwar noch unbeſtimt, vorausgeſezt wird, ſchlechter- dings, mithin als aus dem Weſen der Dinge folgend, vor- auszuſetzen. Lege ich aber zuvor ein hoͤchſtes ordnendes Weſen zum Grunde, ſo wird die Natureinheit in der That aufgehoben. Denn ſie iſt der Natur der Dinge ganz fremde und zufaͤllig und kan auch nicht aus allgemeinen Geſetzen derſelben erkant werden. Daher entſpringt ein fehlerhafter Cirkel im beweiſen, da man das vorausſezt, was eigentlich hat bewieſen werden ſollen. Das regulative Princip der ſyſtematiſchen Einheit der Natur vor ein conſtitutives zu nehmen und, was nur in der Idee zum Grunde des einhelligen Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Urſache hypoſtatiſch vorausſe- tzen, X x 3 [694/0724] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. tzen, heißt nur die Vernunft verwirren. Die Naturfor- ſchung geht ihren Gang ganz allein an der Kette der Na- tururſachen nach allgemeinen Geſetzen derſelben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die Zweck- maͤſſigkeit, der ſie allerwerts nachgeht, von demſelben ab- zuleiten, ſondern ſein Daſeyn aus dieſer Zweckmaͤſſigkeit, die in den Weſen der Naturdinge geſucht wird, wo moͤg- lich auch in den Weſen aller Dinge uͤberhaupt, mithin als ſchlechthin nothwendig zu erkennen. Das leztere mag nun gelingen oder nicht, ſo bleibt die Idee immer richtig und eben ſowol auch deren Gebrauch, wenn er auf die Bedingungen eines blos regulativen Princips reſtringirt worden. Vollſtaͤndige zweckmaͤſſige Einheit iſt Vollkommenheit (ſchlechthin betrachtet). Wenn wir dieſe nicht in dem Weſen der Dinge, welche den ganzen Gegenſtand der Er- fahrung, d. i. aller unſerer obiectivguͤltigen Erkentniß, aus machen, mithin in allgemeinen und nothwendigen Natur- geſetzen finden, wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer hoͤchſten und ſchlechthin nothwendigen Vollkommen- heit eines Urweſens ſchlieſſen, welches der Urſprung aller Cauſſalitaͤt iſt. Die groͤßte ſyſtematiſche, folglich auch die zweckmaͤſſige Einheit iſt die Schule und ſelbſt die Grund- lage der Moͤglichkeit des groͤßten Gebrauchs der Menſchen- vernunft. Die Idee derſelben iſt alſo mit dem Weſen unſe- [695/0725] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. unſerer Vernunft unzertrenlich verbunden. Eben die- ſelbe Idee iſt alſo vor uns geſetzgebend und ſo iſt es ſehr natuͤrlich, eine ihr correſpondirende geſetzgebende Vernunft (intellectus archetypus) anzunehmen, von der alle ſyſte- matiſche Einheit der Natur, als dem Gegenſtande unſerer Vernunft, abzuleiten ſey. Wir haben bey Gelegenheit der Antinomie der rei- nen Vernunft geſagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, ſchlechterdings beantwortlich ſeyn muͤſ- ſen, und daß die Entſchuldigung mit den Schranken un- ſerer Erkentniß, die in vielen Naturfragen eben ſo unver- meidlich, als billig iſt, hier nicht geſtattet werden koͤnne, weil uns hier nicht von der Natur der Dinge, ſondern allein durch die Natur der Vernunft und lediglich uͤber ihre innere Einrichtung, die Fragen vorgelegt werden. Jezt koͤnnen wir dieſe dem erſten Anſcheine nach kuͤhne Behauptung in Anſehung der zween Fragen, wobey die reine Vernunft ihr groͤßtes Intereſſe hat, beſtaͤtigen und dadurch unſere Betrachtung uͤber die Dialectik derſelben zur gaͤnzlichen Vollendung bringen. Fraͤgt man denn alſo (in Abſicht auf eine transſcen- dentale Theologie *) erſtlich: ob es etwas von der Welt Unter- *) Dasienige, was ich ſchon vorher von der pſychologiſchen Idee und deren eigentlichen Beſtimmung, als Princip’s zum X x 4 [696/0726] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Unterſchiedenes gebe, was den Grund der Weltordnung und ihres Zuſammenhanges nach allgemeinen Geſetzen ent- halte, ſo iſt die Antwort: ohne Zweifel. Denn die Welt iſt eine Summe von Erſcheinungen, es muß alſo ir- gend ein transſcendentaler, d. i. blos dem reinen Verſtan- de denkbarer Grund derſelben ſeyn. Iſt zweitens die Frage: ob dieſes Weſen Subſtanz, von der groͤßten Rea- litaͤt, nothwendig ꝛc ſey: ſo antworte ich: daß dieſe Fra- ge gar keine Bedeutung habe. Denn alle Categorien, durch welche ich mir einen Begriff von einem ſolchen Ge- genſtande zu machen verſuche, ſind von keinem anderen, als empiriſchen Gebrauche und haben gar keinen Sinn, wenn ſie nicht auf Obiecte moͤglicher Erfahrung, d. i. auf die Sinnenwelt angewandt werden. Auſſer dieſem Felde ſind ſie blos Titel zu Begriffen, die man einraͤumen, da- durch man aber auch nichts verſtehen kan. Iſt endlich Drittens die Frage: ob wir nicht wenigſtens dieſes von der Welt unterſchiedene Weſen nach einer Analogie mit den Gegenſtaͤnden der Erfahrung denken duͤrfen? ſo iſt die Antwort: allerdings, aber nur als Gegenſtand in der Idee *) *) zum blos regulativen Vernunftgebrauch, geſagt habe, uͤberhebt mich der Weitlaͤuftigkeit, die transſcendentale Illuſion, nach der iene ſyſtematiſche Einheit aller Man- nigfaltigkeit des inneren Sinnes hypoſtatiſch vorgeſtellt wird, noch beſonders zu eroͤrtern. Das Verfahren hie- bey iſt demienigen ſehr aͤhnlich, welches die Critik in An- ſehung des theologiſchen Ideals beobachtet. [697/0727] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. Idee und nicht in der Realitaͤt, nemlich nur, ſo fern er ein uns unbekantes Subſtratum der ſyſtematiſchen Einheit, Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit der Welteinrichtung iſt, wel- che ſich die Vernunft zum regulativen Princip ihrer Natur- forſchung machen muß. Noch mehr, wir koͤnnen in dieſer Idee gewiſſe Anthropomorphismen, die dem gedachten re- gulativen Princip befoͤrderlich ſeyn, ungeſcheut und ungeta- delt erlauben. Denn es iſt immer nur eine Idee, die gar nicht direct auf ein von der Welt unterſchiedenes Weſen, ſondern auf das regulative Princip der ſyſtematiſchen Ein- heit der Welt, aber nur vermittelſt eines Schema derſel- ben, nemlich einer oberſten Intelligenz, die nach weiſen Abſichten Urheber derſelben ſey, bezogen wird. Was die- ſer Urgrund der Welteinheit an ſich ſelbſt ſey, hat dadurch nicht gedacht werden ſollen, ſondern wie wir ihn, oder vielmehr ſeine Idee, relativ auf den ſyſtematiſchen Gebrauch der Vernunft in Anſehung der Dinge der Welt, brau- chen ſollen. Auf ſolche Weiſe aber koͤnnen wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weiſen und allgewalti- gen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, ſondern wir muͤſſen einen ſolchen vor- ausſetzen. Aber alsdenn erweitern wir doch unſere Er- kentniß uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung? Keineswe- ges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgeſezt, wo- von X x 5 [698/0728] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. von wir gar keinen Begriff haben, was es an ſich ſelbſt ſey (einen blos transſcendentalen Gegenſtand), aber, in Beziehung auf die ſyſtematiſche und zweckmaͤſſige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur ſtudiren, vorausſetzen muͤſſen, haben wir ienes uns unbekante We- ſen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein em- piriſcher Begriff) gedacht, d. i. es in Anſehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die ſich auf demſelben gruͤnden, gerade mit denen Eigenſchaften begabt, die nach den Be- dingungen unſerer Vernunft den Grund einer ſolchen ſyſte- matiſchen Einheit enthalten koͤnnen. Dieſe Idee iſt alſo reſpectiv auf den Weltgebrauch unſerer Vernunft ganz gegruͤndet. Wolten wir ihr aber ſchlechthin obiective Guͤltigkeit ertheilen, ſo wuͤrden wir vergeſſen: daß es le- diglich ein Weſen in der Idee ſey, das wir denken und, in- dem wir alsdenn von einem durch die Weltbetrachtung gar nicht beſtimbaren Grunde anfingen, wuͤrden wir dadurch auſſer Stand geſezt, dieſes Princip dem empiriſchen Ver- nunftgebrauch angemeſſen anzuwenden. Aber (wird man ferner fragen) auf ſolche Weiſe kan ich doch von dem Begriffe und der Vorausfetzung eines hoͤchſten Weſens in der vernuͤnftigen Weltbetrachtung Ge- brauch machen? Ja, dazu war auch eigentlich dieſe Idee von der Vernunft zum Grunde gelegt. Allein darf ich nun zweckaͤhnliche Anordnungen als Abſichten anſehen, indem ich [699/0729] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. ich ſie vom goͤttlichen Willen, obzwar vermittelſt beſonde- rer dazu in der Welt darauf geſtellten Anlagen, ableite? Ja, das koͤnt ihr auch thun, aber ſo, daß es euch gleich viel gelten muß, ob iemand ſage, die goͤttliche Weisheit hat alles ſo zu ſeinen oberſten Zwecken geordnet, oder die Idee der hoͤchſten Weisheit iſt ein regulativ in der Nach- forſchung der Natur und ein Princip der ſyſtematiſchen und zweckmaͤſſigen Einheit derſelben nach allgemeinen Naturge- ſetzen, auch ſelbſt da, wo wir iene nicht gewahr werden, d. i. es muß euch da, wo ihr ſie wahrnehmt, voͤllig einer- ley ſeyn, zu ſagen: Gott hat es weislich ſo gewolt, oder die Natur hat es alſo weislich geordnet. Denn die groͤßte ſyſtematiſche und zweckmaͤſſige Einheit, welche eure Ver- nunft aller Naturforſchung als regulatives Princip zum Grunde zu legen verlangte, war eben das, was euch be- rechtigte, die Idee einer hoͤchſten Intelligenz als ein Sche- ma des regulativen Princips zum Grunde zu legen und, ſo viel ihr nun, nach demſelben, Zweckmaͤſſigkeit in der Welt antreft, ſo viel habt ihr Beſtaͤtigung der Rechtmaͤſ- ſigkeit eurer Idee; da aber gedachtes Princip nichts anders zur Abſicht hatte, als nothwendige und groͤßtmoͤgliche Natureinheit zu ſuchen, ſo werden wir dieſe zwar, ſo weit als wir ſie erreichen, der Idee eines hoͤchſten Weſens zu dan- ken haben, koͤnnen aber die allgemeine Geſetze der Natur, als in Abſicht auf welche die Idee nur zum Grunde gelegt wurde, ohne mit uns ſelbſt in Widerſpruch zu gerathen, nicht [700/0730] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. nicht vorbey gehen, um dieſe Zweckmaͤſſigkeit der Natur als zufaͤllig und hyperphyſiſch ihrem Urſprunge nach anzu- ſehen, weil wir nicht berechtigt waren, ein Weſen uͤber die Natur von den gedachten Eigenſchaften anzunehmen, ſondern nur die Idee deſſelben zum Grunde zu legen, um nach der Analogie einer Cauſſalbeſtimmung der Erſcheinun- gen als ſyſtematiſch unter einander verknuͤpft anzuſehen. Eben daher ſind wir auch berechtigt, die Welturſa- che in der Idee nicht allein nach einem ſubtileren Anthro- pomorphism (ohne welchen ſich gar nichts von ihm denken laſſen wuͤrde), nemlich als ein Weſen, was Verſtand, Wolgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demſelben ge- maͤſſe Begierde und Willen hat ꝛc. zu denken, ſondern dem- ſelben unendliche Vollkommenheit beyzulegen, die alſo die- ienige weit uͤberſteigt, dazu wir durch empiriſche Kentniß der Weltordnung berechtigt ſeyn koͤnnen. Denn das re- gulative Geſetz der ſyſtematiſchen Einheit will: daß wir die Natur ſo ſtudiren ſollen, als ob allenthalben ins Un- endliche ſyſtematiſche und zweckmaͤſſige Einheit, bey der groͤßtmoͤglichen Mannigfaltigkeit, angetroffen wuͤrde. Denn, wiewol wir nur wenig von dieſer Weltvollkommenheit aus- ſpaͤhen, oder erreichen werden, ſo gehoͤrt es doch zur Ge- ſetzgebung unſerer Vernunft, ſie allerwerts zu ſuchen und zu vermuthen und es muß uns iederzeit vortheilhaft ſeyn, niemals aber kan es nachtheilig werden, nach dieſem Prin- cip [701/0731] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. cip die Naturbetrachtung anzuſtellen. Es iſt aber, unter dieſer Vorſtellung, der zum Grunde gelegten Idee eines hoͤchſten Urhebers, auch klar: daß ich nicht das Daſeyn und die Kentniß eines ſolchen Weſens, ſondern nur die Idee deſſelben zum Grunde lege und alſo eigentlich nichts von dieſem Weſen, ſondern blos von der Idee deſſelben, d. i. von der Natur der Dinge der Welt, nach einer ſolchen Idee, ableite. Auch ſcheint ein gewiſſes, obzwar unent- wickeltes Bewuſtſeyn, des aͤchten Gebrauchs dieſes unſe- ren Vernunftbegriffs, die beſcheidene und billige Sprache der Philoſophen aller Zeiten veranlaßt zu haben, da ſie von der Weisheit und Vorſorge der Natur und der goͤtt- lichen Weisheit, als gleichbedeutenden Ausdruͤcken, reden, ia den erſteren Ausdruck, ſo lange es um blos ſpeculative Vernunft zu thun iſt, vorziehen, weil er die Anmaſſung einer groͤſſeren Behauptung, als die iſt, wozu wir befugt ſeyn, zuruͤck haͤlt und zugleich die Vernunft auf ihr eigen- thuͤmliches Feld, die Natur, zuruͤck weiſet. So enthaͤlt die reine Vernunft, die uns Anfangs nichts Geringeres, als Erweiterung der Kentniſſe uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung, zu verſprechen ſchiene, wenn wir ſie recht verſtehen, nichts als regulative Principien, die zwar groͤſſere Einheit gebieten, als der empiriſche Ver- ſtandesgebrauch erreichen kan, aber eben dadurch, daß ſie das Ziel der Annaͤherung deſſelben ſo weit hinaus ruͤcken, die [702/0732] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. die Zuſammenſtimmung deſſelben mit ſich ſelbſt durch ſy- ſtematiſche Einheit zum hoͤchſten Grade bringen, wenn man ſie aber mißverſteht und ſie vor conſtitutive Princi- pien transſcendenter Erkentniſſe haͤlt, durch einen zwar glaͤnzenden, aber truͤglichen Schein, Ueberredung und ein- gebildetes Wiſſen, hiemit aber ewige Widerſpruͤche und Streitigkeiten hervorbringen. So faͤngt denn alle menſchliche Erkentniß mit An- ſchauungen an, geht von da zu Begriffen und endigt mit Ideen. Ob ſie zwar in Anſehung aller dreyen Elemente Erkentnißquellen a priori hat, die beym erſten Anblicke die Graͤnzen aller Erfahrung zu verſchmaͤhen ſcheinen, ſo uͤber- zeugt doch eine vollendete Critik, daß alle Vernunft im ſpeculativen Gebrauche mit dieſen Elementen niemals uͤber das Feld moͤglicher Erfahrung hinaus kommen koͤnne, und daß die eigentliche Beſtimmung dieſes oberſten Erkent- nißvermoͤgens ſey, ſich aller Methoden und der Grundſaͤtze derſelben nur zu bedienen, um der Natur nach allen moͤg- lichen Principien der Einheit, worunter die der Zwecke die vornehmſte iſt, bis in ihr Innerſtes nachzugehen, nie- mals aber ihre Graͤnze zu uͤberfliegen, auſſerhalb welcher vor uns nichts als leerer Raum iſt. Zwar hat uns die critiſche Unterſuchung aller Saͤtze, welche unſere Erkent- niß [703/0733] VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie. niß uͤber die wirkliche Erfahrung hinaus erweitern koͤnnen, in der transſcendentalen Analytik hinreichend uͤberzeugt: daß ſie niemals zu etwas mehr, als einer moͤglichen Er- fahrung leiten koͤnnen und, wenn man nicht ſelbſt gegen die klaͤreſte oder abſtracte und allgemeine Lehrſaͤtze miß- trauiſch waͤre, wenn nicht reitzende und ſcheinbare Aus- ſichten uns locketen, den Zwang der erſteren abzuwerfen, ſo haͤtten wir allerdings der muͤhſamen Abhoͤrung aller dia- lectiſchen Zeugen, die eine transſcendente Vernunft zum Behuf ihrer Anmaſſungen auftreten laͤßt, uͤberhoben ſeyn koͤnnen; denn wir wußten es ſchon zum voraus mit voͤlli- ger Gewißheit: daß alles Vorgeben derſelben zwar vielleicht ehrlich gemeint, aber ſchlechterdings nichtig ſeyn muͤſſe, weil es eine Kundſchaft betraf, die kein Menſch iemals bekommen kan. Allein, weil doch des Redens kein Ende wird, wenn man nicht hinter die wahre Urſache des Scheins komt, wodurch ſelbſt der Vernuͤnftigſte hintergangen wer- den kan und die Aufloͤſung aller unſerer transſcendenten Erkentniß in ihre Elemente (als ein Studium unſerer in- neren Natur) an ſich ſelbſt keinen geringen Werth hat, dem Philoſophen aber ſo gar Pflicht iſt, ſo war es nicht allein noͤthig, dieſe ganze, obzwar eitele Bearbeitung der ſpeculativen Vernunft bis zu ihren erſten Quellen ausfuͤhr- lich nachzuſuchen, ſondern, da der dialectiſche Schein hier nicht allein dem Urtheile nach taͤuſchend, ſondern auch dem Intereſſe nach, das man hier am Urtheile nimt, an- lockend [704/0734] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. lockend und iederzeit natuͤrlich iſt und ſo in alle Zukunft bleiben wird, ſo war es rathſam, gleichſam die Acten die- ſes Proceſſes ausfuͤhrlich abzufaſſen und ſie im Archive der menſchlichen Vernunft, zu Verhuͤtung kuͤnftiger Ir- rungen aͤhnlicher Art, nieder zu legen. [Abbildung] II. Trans- [[705]/0735] II. Transſcendentale Methodenlehre. Y y [[706]/0736] [707/0737] Wenn ich den Inbegriff aller Erkentniß der reinen und ſpeculativen Vernunft wie ein Gebaͤude anſe- he, dazu wir wenigſtens die Idee in uns haben, ſo kan ich ſagen, wir haben in der transſcendentalen Elementar- lehre den Bauzeug uͤberſchlagen und beſtimt, zu welchem Gebaͤude, von welcher Hoͤhe und Feſtigkeit er zulange. Freilich fand es ſich: daß, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen ſolte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhauſe zureichte, welches zu unſeren Geſchaͤften auf der Ebene der Erfahrung gerade geraͤumig und hoch gnug war, ſie zu uͤberſehen, daß aber iene kuͤhne Unternehmung aus Mangel an Stoff fehlſchlagen mußte, ohne einmal auf die Sprachverwirrung zu rechnen, welche die Arbeiter uͤber den Plan unvermeidlich entzweien und ſie in alle Welt zer- ſtreuen mußte, um ſich, ein ieder nach ſeinem Entwurfe, beſonders anzubauen. Jezt iſt es uns nicht ſo wol um die Materialien, als vielmehr um den Plan zu thun und, indem wir gewarnet ſind, es nicht auf einen beliebigen blinden Entwurf, der vielleicht unſer ganzes Vermoͤgen uͤberſteigen koͤnte, zu wagen, gleichwol doch von der Er- richtung eines feſten Wohnſitzes nicht wol abſtehen koͤn- nen, den Anſchlag zu einem Gebaͤude in Verhaͤltniß auf den Vorrath, der uns gegeben und zu gleich unſerem Beduͤrfniß angemeſſen iſt, zu machen. Ich verſtehe alſo unter der transſcendentalen Metho- denlehre, die Beſtimmung der formalen Bedingungen eines voll- Y y 2 [708/0738] Methodenlehre I. Hauptſtuͤck vollſtaͤndigen Syſtems der reinen Vernunft. Wir werden es in dieſer Abſicht mit einer Diſciplin, einem Canon, einer Architectonik, endlich einer Geſchichte der reinen Vernunft zu thun haben und dasienige in transſcendentaler Abſicht leiſten, was, unter dem Nahmen einer practiſchen Logik, in Anſehung des Gebrauchs des Verſtandes uͤber- haupt in den Schulen geſucht, aber ſchlecht geleiſtet wird; weil, da die allgemeine Logik auf keine beſondere Art der Verſtandeserkentniß (z. B. nicht auf die reine), auch nicht auf gewiſſe Gegenſtaͤnde eingeſchraͤnkt iſt, ſie, ohne Kent- niſſe aus anderen Wiſſenſchaften zu borgen, nichts mehr thun kan, als Titel zu moͤglichen Methoden und techni- ſche Ausdruͤcke, deren man ſich in Anſehung des Syſtema- tiſchen in allerley Wiſſenſchaften bedient, vorzutragen, die den Lehrling zum voraus mit Nahmen bekant machen, de- ren Bedeutung und Gebrauch er kuͤnftig allererſt ſoll ken- nen lernen. Der Transſcendentalen Methodenlehre Erſtes Hauptſtuͤck. Die Diſciplin der reinen Vernunft. Die negativen Urtheile, die es nicht blos der logiſchen Form, ſondern auch dem Inhalte nach ſind, ſtehen bey der Wißbegierde der Menſchen in keiner ſonderlichen Achtung; man ſieht ſie wol gar als neidiſche Feinde unſe- res unablaͤſſig zur Erweiterung ſtrebenden Erkentnißtriebes an [709/0739] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. an und es bedarf beinahe einer Apologie, um ihnen nur Duldung und noch mehr, um ihnen Gunſt und Hochſchaͤ- tzung zu verſchaffen. Man kan zwar logiſch alle Saͤtze, die man will, negativ ausdruͤcken, in Anſehung des Inhalts aber unſe- rer Erkentniß uͤberhaupt, ob ſie durch ein Urtheil er- weitert, oder beſchraͤnkt wird, haben die verneinende das eigenthuͤmliche Geſchaͤfte, lediglich den Irrthum abzuhal- ten. Daher auch negative Saͤtze, welche eine falſche Er- kentniß abhalten ſollen, wo doch niemals ein Irrthum moͤglich iſt, zwar ſehr wahr, aber doch leer, d. i. ihrem Zwecke gar nicht angemeſſen und eben darum oft laͤcherlich ſeyn. Wie der Satz ienes Schulredners: daß Alexander, ohne Kriegsheer, keine Laͤnder haͤtte erobern koͤnnen. Wo aber die Schranken unſerer moͤglichen Erkent- niß ſehr enge, der Anreitz zum Urtheilen groß, der Schein, der ſich darbietet, ſehr betruͤglich und der Nachtheil aus dem Irrthum erheblich iſt, da hat das Negative der Un- terweiſung, welches blos dazu dient, um uns vor Irr- thuͤmer zu verwahren, noch mehr Wichtigkeit, als man- che poſitive Belehrung, dadurch unſer Erkentniß Zuwachs bekommen koͤnte. Man nennet den Zwang, wodurch der beſtaͤndige Hang von gewiſſen Regeln abzuweichen, ein- geſchraͤnkt und endlich vertilget wird, die Diſciplin. Sie iſt von der Cultur unterſchieden, welche blos eine Fer- tigkeit verſchaffen ſoll, ohne eine andere, ſchon vorhande- ne, dagegen aufzuheben. Zu der Bildung eines Talents, wel- Y y 3 [710/0740] Methodenlehre I. Hauptſtuͤck. welches ſchon vor ſich ſelbſt einen Antrieb zur Aeuſſerung hat, wird alſo die Diſciplin einen negativen, *) die Cultur aber und Doctrin einen poſitiven Beitrag leiſten. Daß das Temperament, imgleichen daß Talente, die ſich gern eine freie und uneingeſchraͤnkte Bewegung erlauben, (als Einbildungskraft und Witz), in mancher Abſicht einer Diſciplin beduͤrfen, wird iederman leicht zuge- ben. Daß aber die Vernunft, der es eigentlich obliegt, allen anderen Beſtrebungen ihre Diſciplin vorzuſchreiben, ſelbſt noch eine ſolche noͤthig habe, das mag allerdings be- fremdlich ſcheinen, und in der That iſt ſie auch einer ſol- chen Demuͤthigung eben darum bisher entgangen, weil, bey der Feierlichkeit und dem gruͤndlichen Anſtande, wo- mit ſie auftritt, niemand auf den Verdacht eines leicht- ſinnigen Spiels, mit Einbildungen ſtatt Begriffen, und Worten ſtatt Sachen, leichtlich gerathen konte. Es bedarf keiner Critik der Vernunft im empiriſchen Gebrauche, weil ihre Grundſaͤtze am Probierſtein der Er- fahrung *) Ich weiß wol: daß man in der Schulſprache den Nahmen der Diſciplin mit dem der Unterweiſung gleichgeltend zu brauchen pflegt. Allein, es giebt dagegen ſo viele andere Faͤlle, da der erſtere Ausdruck, als Zucht, von dem zweiten, als Belehrung, ſorgfaͤltig unterſchieden wird, und die Natur der Dinge erheiſcht es auch ſelbſt, vor dieſen Unterſchied die einzige ſchickliche Ausdruͤcke aufzu- bewahren, daß ich wuͤnſche, man moͤge niemals erlauben, ienes Wort in anderer als negativer Bedeutung zu brauchen. [711/0741] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. fahrung einer continuirlichen Pruͤfung unterworfen werden, imgleichen auch nicht in der Mathematik, wo ihre Begriffe an der reinen Anſchauung ſo fort in concreto dargeſtellet werden muͤſſen, und iedes Ungegruͤndete und Willkuͤhrli- che dadurch alsbald offenbar wird. Wo aber weder em- piriſche noch reine Anſchauung die Vernunft in einem ſicht- baren Gleiſe halten, nemlich in ihrem transſcendentalen Gebrauche, nach bloſſen Begriffen, da bedarf ſie ſo gar ſehr einer Diſciplin, die ihren Hang zur Erweiterung, uͤber die enge Graͤnzen moͤglicher Erfahrung, baͤn- dige, und ſie von Ausſchweifung und Irrthum abhalte, daß auch die ganze Philoſophie der reinen Vernunft blos mit dieſem negativen Nutzen zu thun hat. Einzelnen Verirrungen kan durch Cenſur und den Urſachen derſel- ben durch Critik abgeholfen werden. Wo aber, wie in der reinen Vernunft, ein ganzes Syſtem von Taͤuſchungen und Blendwerken angetroffen wird, die unter ſich wol ver- bunden und unter gemeinſchaftlichen Principien vereinigt ſind, da ſcheint eine ganz eigene und zwar negative Geſetz- gebung erforderlich zu ſeyn, welche unter dem Nahmen ei- ner Diſciplin aus der Natur der Vernunft und der Ge- genſtaͤnde ihres reinen Gebrauchs gleichſam ein Syſtem der Vorſicht und Selbſtpruͤfung errichte, vor welchem kein falſcher vernuͤnftelnder Schein beſtehen kan, ſondern ſich ſofort, unerachtet aller Gruͤnde ſeiner Beſchoͤnigung, verra- then muß. Es Y y 4 [712/0742] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. Es iſt aber wol zu merken: daß ich in dieſem zwei- ten Hauptheile der transſcendentalen Critik die Diſciplin der reinen Vernunft nicht auf den Inhalt, ſondern blos auf die Methode der Erkentniß aus reiner Vernunft richte. Das erſtere iſt ſchon in der Elementarlehre geſchehen. Es hat aber der Vernunftgebrauch ſo viel Aehnliches, auf wel- chen Gegenſtand er auch angewandt werden mag, und iſt doch, ſo fern er transſcendental ſeyn ſoll, zugleich von allem anderen ſo weſentlich unterſchieden, daß, ohne die warnende Negativlehre einer beſonders darauf geſtellten Diſciplin, die Irrthuͤmer nicht zu verhuͤten ſind, die aus einer unſchicklichen Befolgung ſolcher Methoden, die zwar ſonſt der Vernunft, aber nur nicht hier wol anpaſſen, nothwendig entſpringen muͤſſen. Des erſten Hauptſtuͤcks Erſter Abſchnitt. Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogmatiſchen Gebrauche. Die Mathematik giebt das glaͤnzendſte Beiſpiel, einer ſich ohne Beihuͤlfe der Erfahrung, von ſelbſt gluͤck- lich erweiternden reinen Vernunft. Beiſpiele ſind an- ſteckend, vornemlich vor daſſelbe Vermoͤgen, welches ſich natuͤrlicherweiſe ſchmeichelt, eben daſſelbe Gluͤck in anderen Faͤllen zu haben, welches ihm in einem Falle zu Theil worden. Daher hofft reine Vernunft im transſcendentalen Ge- [713/0743] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Gebrauche ſich eben ſo gluͤcklich und gruͤndlich erweitern zu koͤnnen, als es ihr im mathematiſchen gelungen iſt, wenn ſie vornemlich dieſelbe Methode dort anwendet, die hier von ſo augenſcheinlichem Nutzen geweſen iſt. Es liegt uns alſo viel daran, zu wiſſen: ob die Methode, zur apo- dictiſchen Gewißheit zu gelangen, die man in der lezteren Wiſſenſchaft mathematiſch nent, mit derienigen einerley ſey, womit man eben dieſelbe Gewißheit in der Philoſo- phie ſucht, und die daſelbſt dogmatiſch genant werden muͤßte. Die philoſophiſche Erkentniß iſt die Vernunfter- kentniß aus Begriffen, die mathematiſche aus der Con- ſtruction der Begriffe. Einen Begriff aber conſtruiren heißt: die ihm correſpondirende Anſchauung a priori dar- ſtellen. Zur Conſtruction eines Begriffs wird alſo eine nicht empiriſche Anſchauung erfordert, die folglich, als Anſchauung, ein einzelnes Obiect iſt, aber nichts deſto- weniger als die Conſtruction eines Begriffs (einer allge- meinen Vorſtellung), Allgemeinguͤltigkeit vor alle moͤgliche Anſchauungen, die unter denſelben Begriff gehoͤren, in der Vorſtellung ausdruͤcken muß. So conſtruire ich einen Triangel, indem ich den, dieſem Begriffe entſprechenden Gegenſtand, entweder durch bloſſe Einbildung, in der rei- nen, oder nach derſelben auch auf dem Papier, in der empiriſchen Anſchauung, beide male aber voͤllig a priori, ohne das Muſter dazu aus irgend einer Erfahrung geborgt zu haben, darſtelle. Die einzelne hingezeichnete Figur iſt empi- Y y 5 [714/0744] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. empiriſch, und dient gleichwol den Begriff, unbeſchadet ſeiner Allgemeinheit, auszudruͤcken, weil bey dieſer empi- riſchen Anſchauung, immer nur auf die Handlung der Conſtruction des Begriffs, welchem viele Beſtimmungen, z. E. der Groͤſſe, der Seiten und der Winkel, ganz gleich- guͤltig ſind, geſehen und alſo von dieſen Verſchiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht veraͤndern, abſtrahirt wird. Die philoſophiſche Erkentniß betrachtet alſo das Be- ſondere nur im Allgemeinen, die mathematiſche das All- gemeine im Beſonderen, ia gar im Einzelnen, gleichwol doch a priori und vermittelſt der Vernunft, ſo daß, wie dieſes Einzelne unter gewiſſen allgemeinen Bedingungen der Conſtruction beſtimt iſt, eben ſo der Gegenſtand des Begriffs, dem dieſes Einzelne nur als ſein Schema corre- ſpondirt, allgemein beſtimt gedacht werden muß. In dieſer Form beſteht alſo der weſentliche Unter- ſchied dieſer beiden Arten der Vernunfterkentniß, und be- ruhet nicht auf dem Unterſchiede ihrer Materie, oder Ge- genſtaͤnde. Dieienige, welche Philoſophie von Mathema- tik dadurch zu unterſcheiden vermeineten, daß ſie von iener ſagten, ſie habe blos die Qualitaͤt, dieſe aber nur die Quantitaͤt zum Obiect, haben die Wirkung vor die Ur- ſache genommen. Die Form der mathematiſchen Erkent- niß iſt die Urſache, daß dieſe lediglich auf Quanta gehen kan. Denn nur der Begriff von Groͤſſen laͤßt ſich con- ſtruiren, d. i. a priori in der Anſchauung darlegen, Qua- litaͤ- [715/0745] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. litaͤten aber laſſen ſich in keiner anderen, als empiriſchen Anſchauung darſtellen. Daher kan eine Vernunfterkent- niß derſelben nur durch Begriffe moͤglich ſeyn. So kan niemand eine dem Begriff der Realitaͤt correſpondirende Anſchauung anders woher, als aus der Erfahrung neh- men, niemals aber a priori aus ſich ſelbſt und vor dem empiriſchen Bewuſtſeyn derſelben theilhaftig werden. Die coniſche Geſtalt wird man ohne alle empiriſche Beihuͤlfe, blos nach dem Begriffe, anſchauend machen koͤnnen, aber die Farbe dieſes Kegels, wird in einer oder anderer Erfah- rung zuvor gegeben ſeyn muͤſſen. Den Begriff einer Ur- ſache uͤberhaupt kan ich auf keine Weiſe in der Anſchauung darſtellen, als an einem Beiſpiele, das mir Erfahrung an die Hand giebt, u. ſ. w. Uebrigens handelt die Phi- loſophie eben ſowol von Groͤſſen, als die Mathematik, z. B. von der Totalitaͤt, der Unendlichkeit u. ſ. w. Die Mathematik beſchaͤftiget ſich auch mit dem Unterſchiede der Linien und Flaͤchen, als Raͤumen, von verſchiedener Quali- taͤt, mit der Continuitaͤt der Ausdehnung, als einer Qua- litaͤt derſelben. Aber, obgleich ſie in ſolchen Faͤllen, einen gemeinſchaftlichen Gegenſtand haben, ſo iſt die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der philoſophiſchen, als mathematiſchen Betrachtung. Jene haͤlt ſich blos an allgemeinen Begriffen, dieſe kan mit dem bloſſen Begriffe nichts ausrichten, ſondern eilt ſogleich zur Anſchauung, in welcher ſie den Begriff in concreto be- trachtet, aber doch nicht empiriſch, ſondern blos in einer ſol- [716/0746] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. ſolchen, die ſie a priori darſtellet, d. i. conſtruiret hat, und in welcher dasienige, was aus den allgemeinen Be- dingungen der Conſtruction folgt, auch von dem Obiecte des conſtruirten Begriffs allgemein gelten muß. Man gebe einem Philoſophen den Begriff eines Trian- gels und laſſe ihn nach ſeiner Art ausfuͤndig machen, wie ſich wol die Summe ſeiner Winkel zum rechten verhalten moͤge. Er hat nun nichts als den Begriff von einer Figur, die in drey geraden Linien eingeſchloſſen iſt, und an ihr den Begriff von eben ſo viel Winkeln. Nun mag er dieſem Begriffe nachdenken, ſo lange er will, er wird nichts Neues heraus bringen. Er kan den Begriff der geraden Linie, oder eines Winkels, oder der Zahl drey zergliedern und deutlich machen, aber nicht auf andere Eigenſchaften kommen, die in dieſen Begriffen gar nicht liegen. Allein der Geometer nehme dieſe Frage vor. Er faͤngt ſofort da- von an, einen Triangel zu conſtruiren. Weil er weis, daß zwey rechte Winkel zuſammen gerade ſo viel austra- gen, als alle beruͤhrende Winkel, die aus einem Puncte auf einer graden Linie gezogen werden koͤnnen, zuſammen, ſo verlaͤngert er eine Seite ſeines Triangels und bekomt zwey beruͤhrende Winkel, die zweien rechten zuſammen gleich ſeyn. Nun theilet er den aͤuſſeren von dieſen Win- keln, indem er eine Linie mit der gegenuͤberſtehenden Seite des Triangels parallel zieht, und ſieht, daß hier ein aͤuſ- ſerer beruͤhrender Winkel entſpringe, der einem inneren gleich iſt, u. ſ. w. Er gelangt auf ſolche Weiſe durch eine Kette [717/0747] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Kette von Schluͤſſen, immer von der Anſchauung geleitet, zur voͤllig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Aufloͤſung der Frage. Die Mathematik aber conſtruiret nicht blos Groͤſſen, (Quanta), wie in der Geometrie, ſondern auch die bloſſe Groͤſſe (Quantitatem), wie in der Buchſtabenrechnung, wobey ſie von der Beſchaffenheit des Gegenſtandes, der nach einem ſolchen Groͤſſenbegriff gedacht werden ſoll, gaͤnz- lich abſtrahirt. Sie waͤhlt ſich alsdenn eine gewiſſe Be- zeichnung aller Conſtructionen von Groͤſſen uͤberhaupt (Zah- len, als der Addition, Subtraction u. ſ. w.), Ausziehung der Wurzel und, nachdem ſie den allgemeinen Begriff der Groͤſſen nach den verſchiedenen Verhaͤltniſſen derſelben auch bezeichnet hat, ſo ſtellet ſie alle Behandlung, die durch die Groͤſſe erzeugt und veraͤndert wird, nach gewiſ- ſen allgemeinen Regeln in der Anſchauung dar: wo eine Groͤſſe durch die andere dividiret werden ſoll, ſezt ſie bei- der ihre Charactere nach der bezeichnenden Form der Di- viſion zuſammen u. ſ. w. und gelangt alſo vermittelſt einer ſymboliſchen Conſtruction eben ſo gut, wie die Geometrie nach einer oſtenſiven oder geometriſchen (der Gegenſtaͤnde ſelbſt) dahin, wohin die diſcurſive Erkentniß vermittelſt bloſſer Begriffe niemals gelangen koͤnte. Was mag die Urſache dieſer ſo verſchiedenen Lage ſeyn, darin ſich zwey Vernunftkuͤnſtler befinden, deren der eine ſeinen Weg nach Begriffen, der andere nach An- ſchauungen nimt, die er a priori den Begriffen gemaͤß dar- ſtellet. [718/0748] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. ſtellet. Nach den oben vorgetragenen transſcendentalen Grundlehren iſt dieſe Urſache klar. Es komt hier nicht auf analytiſche Saͤtze an, die durch bloſſe Zergliederung der Begriffe erzeugt werden koͤnnen, (hierin wuͤrde der Philo- ſoph ohne Zweifel den Vortheil uͤber ſeinen Nebenbuhler haben), ſondern auf ſynthetiſche und zwar ſolche, die a priori ſollen erkant werden. Denn ich ſoll nicht auf das- ienige ſehen, was ich in meinem Begriffe vom Triangel wirklich denke, (dieſes iſt nichts weiter, als die bloſſe Defi- nition), vielmehr ſoll ich uͤber ihn zu Eigenſchaften, die in dieſem Begriffe nicht liegen, aber doch zu ihm gehoͤren, hinausgehen. Nun iſt dieſes nicht anders moͤglich, als daß ich meinen Gegenſtand nach den Bedingungen, ent- weder der empiriſchen Anſchauung, oder der reinen An- ſchauung beſtimme. Das erſtere wuͤrde nur einen empi- riſchen Satz (durch Meſſen ſeiner Winckel), der keine All- gemeinheit, noch weniger Nothwendigkeit enthielte, ab- geben und von dergleichen iſt gar nicht die Rede. Das zweite Verfahren aber iſt die mathematiſche und zwar hier die geometriſche Conſtruction, vermittelſt deren ich in einer reinen Anſchauung, eben ſo, wie in der empiriſchen, das Mannigfaltige, was zu dem Schema eines Triangels uͤber- haupt, mithin zu ſeinem Begriffe gehoͤret, hinzuſetze, wo- durch allerdings allgemeine ſynthetiſche Saͤtze werden muͤſſen. Ich wuͤrde alſo umſonſt uͤber den Triangel philoſo- phiren, d. i. discurſiv nachdenken, ohne dadurch im min- deſten [719/0749] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. deſten weiter zu kommen, als auf die bloſſe Definition, von der ich aber billig anfangen muͤßte. Es giebt zwar eine transſcendentale Syntheſis aus lauter Begriffen, die wiederum allein dem Philoſophen gelingt, die aber nie- mals mehr als ein Ding uͤberhaupt betrift, unter welchen Bedingungen deſſen Wahrnehmung zur moͤglichen Erfah- rung gehoͤren koͤnne. Aber in den mathematiſchen Aufga- ben iſt hievon und uͤberhaupt von der Exiſtenz gar nicht die Frage, ſondern von den Eigenſchaften der Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt, lediglich ſo fern dieſe mit dem Begriffe der- ſelben verbunden ſind. Wir haben in dem angefuͤhrten Beiſpiele nur deut- lich zu machen geſucht, welcher groſſe Unterſchied zwiſchen dem discurſiven Vernunftgebrauch nach Begriffen und dem intuitiven durch die Conſtruction der Begriffe anzutreffen ſey. Nun fraͤgts ſich natuͤrlicher Weiſe, was die Urſache ſey, die einen ſolchen zwiefachen Vernunftgebrauch noth- wendig macht, und an welchen Bedingungen man erken- nen koͤnne, ob nur der erſte, oder auch der zweite ſtatt finde. Alle unſere Erkentniß bezieht ſich doch zulezt auf moͤgliche Anſchauungen: denn durch dieſe allein wird ein Gegenſtand gegeben. Nun enthaͤlt ein Begriff a priori (ein nicht empiriſcher Begriff) entweder ſchon eine reine Anſchauung in ſich, und alsdenn kan er conſtruirt wer- den, oder nichts, als die Syntheſis moͤglicher Anſchauun- gen, die a priori nicht gegeben ſind, und alsdenn kan man wol [720/0750] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. wol zwar durch ihn ſynthetiſch und a priori urtheilen, aber nur discurſiv, nach Begriffen, niemals aber intui- tiv durch die Conſtruction des Begriffes. Nun iſt von aller Anſchauung keine a priori gege- ben, als die bloſſe Form der Erſcheinungen, Raum und Zeit und ein Begriff von dieſen, als Quantis, laͤßt ſich ent- weder zugleich mit der Qualitaͤt derſelben (ihre Geſtalt), oder auch blos ihre Quantitaͤt (die bloſſe Syntheſis des Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl a priori in der An- ſchauung darſtellen, d. i. conſtruiren. Die Materie aber der Erſcheinungen, wodurch uns Dinge im Raume und der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung, mithin a poſteriori vorgeſtellet werden. Der einzige Be- griff, der a priori dieſen empiriſchen Gehalt der Erſchei- nungen vorſtellt, iſt der Begriff des Dinges uͤberhaupt, und die ſynthetiſche Erkentniß von demſelben a priori kan nichts weiter, als die bloſſe Regel der Syntheſis desieni- gen, was die Wahrnehmung a poſteriori geben mag, nie- mals aber die Anſchauung des realen Gegenſtandes a priori liefern, weil dieſe nothwendig empiriſch ſeyn muß. Synthetiſche Saͤtze, die auf Dinge uͤberhaupt, de- ren Anſchauung ſich a priori gar nicht geben laͤßt, gehen, ſind transſcendental. Demnach laſſen ſich transſcenden- tale Saͤtze niemals durch Conſtruction der Begriffe, ſon- dern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten blos die Regel, nach der eine gewiſſe ſynthetiſche Einheit desienigen, was nicht a priori anſchaulich vorgeſtellt wer- den [721/0751] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. den kan, (der Wahrnehmungen), empiriſch geſucht wer- den ſoll. Sie koͤnnen aber keinen einzigen ihrer Begriffe a priori in irgend einem Falle darſtellen, ſondern thun dieſes nur a poſteriori, vermittelſt der Erfahrung, die nach ienen ſynthetiſchen Grundſaͤtzen allererſt moͤglich wird. Wenn man von einem Begriffe ſynthetiſch urtheilen ſoll, ſo muß man aus dieſem Begriffe hinausgehen, und zwar zur Anſchauung, in welcher er gegeben iſt. Denn bliebe man bey dem ſtehen, was im Begriffe enthalten iſt, ſo waͤre das Urtheil blos analytiſch und eine Erklaͤ- rung des Gedanken, nach demienigen, was wirklich in ihm enthalten iſt. Ich kan aber von dem Begriffe zu der ihm correſpondirenden reinen, oder empiriſchen Anſchauung ge- hen, um ihn in derſelben in concreto zu erwaͤgen und, was dem Gegenſtande deſſelben zukomt, a priori oder a poſteriori zu erkennen. Das erſtere iſt die rationale und mathematiſche Erkentniß durch die Conſtruction des Be- griffs, das zweite die bloſſe empiriſche (mechaniſche) Er- kentniß, die niemals nothwendige und apodictiſche Saͤtze geben kan. So koͤnte ich meinen empiriſchen Begriff vom Golde zergliedern, ohne dadurch etwas weiter zu gewin- nen, als alles, was ich bey dieſem Worte wirklich denke, herzaͤhlen zu koͤnnen, wodurch in meinem Erkentniß zwar eine logiſche Verbeſſerung vorgeht, aber keine Vermehrung oder Zuſatz erworben wird. Ich nehme aber die Mate- rie, welche unter dieſem Nahmen vorkomt, und ſtelle mit ihr Wahrnehmungen an, welche mir verſchiedene ſynthe- tiſche, Z z [722/0752] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. tiſche, aber empiriſche Saͤtze an die Hand geben werden. Den mathematiſchen Begriff eines Triangels wuͤrde ich con- ſtruiren, d. i. a priori in der Anſchauung geben und auf dieſem Wege eine ſynthetiſche, aber rationale Erkentniß bekommen. Aber, wenn mir der transſcendentale Be- griff einer Realitaͤt, Subſtanz, Kraft ꝛc. gegeben iſt, ſo bezeichnet er weder eine empiriſche, noch reine Anſchauung, ſondern lediglich die Syntheſis der empiriſchen Anſchauun- gen (die alſo a priori nicht gegeben werden koͤnnen), und es kan alſo aus ihm, weil die Syntheſis nicht a priori zu der Anſchauung, die ihm correſpondirt, hinausgehen kan, auch kein beſtimmender ſynthetiſcher Satz, ſondern nur ein Grundſatz der Syntheſis *) moͤglicher empiriſcher An- ſchauungen entſpringen. Alſo iſt ein transſcendentaler Satz ein ſynthetiſches Vernunfterkentniß nach bloſſen Be- griffen und mithin discurſiv, indem dadurch alle ſyntheti- ſche Einheit der empiriſchen Erkentniß allererſt moͤglich, keine Anſchauung aber dadurch a priori gegeben wird. So *) Vermittelſt des Begriffs der Urſache gehe ich wirklich aus dem empiriſchen Begriffe von einer Begebenheit (da etwas geſchieht) heraus, aber nicht zu der Anſchauung, die den Begriff der Urſache in concreto darſtellt, ſondern zu den Zeitbedingungen uͤberhaupt, die in der Erfahrung dem Begriffe der Urſache gemaͤß gefunden werden moͤch- ten. Ich verfahre alſo blos nach Begriffen und kan nicht durch Conſtruction der Begriffe verfahren, weil der Be- griff eine Regel der Syntheſis der Wahrnehmungen iſt, die keine reine Anſchauungen ſind, und ſich alſo a priori nicht geben laſſen. [723/0753] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. So giebt es denn einen doppelten Vernunftgebrauch, der, unerachtet der Allgemeinheit der Erkentniß und ihrer Erzeugung a priori, welche ſie gemein haben, dennoch im Fortgange ſehr verſchieden iſt, und zwar darum, weil in der Erſcheinung, als wodurch uns alle Gegenſtaͤnde gegeben werden, zwey Stuͤcke ſind: die Form der Anſchauung (Raum und Zeit), die voͤllig a priori erkant und beſtimt werden kan, und die Materie (das Phyſiſche) oder der Sehalt, welcher ein Etwas be- deutet, das im Raume und der Zeit angetroffen wird, mithin ein Daſeyn enthaͤlt und der Empfindung correſpon- dirt. In Anſehung des lezteren, welches niemals anders auf beſtimte Art, als empiriſch gegeben werden kan, koͤn- nen wir nichts a priori haben, als unbeſtimte Begriffe der Syntheſis moͤglicher Empfindungen, ſo fern ſie zur Einheit der Apperception (in einer moͤglichen Erfahrung) gehoͤren. In Anſehung der erſtern koͤnnen wir unſere Be- griffe in der Anſchauung a priori beſtimmen, indem wir uns im Raume und der Zeit die Gegenſtaͤnde ſelbſt durch gleichfoͤrmige Syntheſis ſchaffen, indem wir ſie blos als Quanta betrachten. Jener heißt der Vernunftgebrauch nach Begriffen, indem wir nichts weiter thun koͤnnen, als Erſcheinungen dem realen Inhalte nach unter Begriffe zu bringen, welche darauf nicht anders als empiriſch, d. i. a poſteriori, (aber ienen Begriffen als Regeln einer em- piriſchen Syntheſis gemaͤß) koͤnnen beſtimt werden; die- ſer iſt der Vernunftgebrauch durch Conſtruction der Be- griffe, Z z 2 [724/0754] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. griffe, indem dieſe, da ſie ſchon auf eine Anſchauung a priori gehen, auch eben darum a priori und ohne alle em- piriſche data in der reinen Anſchauung beſtimt gegeben wer- den koͤnnen. Alles, was da iſt(ein Ding im Raum oder der Zeit) zu erwaͤgen, ob und wie fern es ein Quantum iſt oder nicht, daß ein Daſeyn in demſelben oder Mangel vorgeſtellt werden muͤſſe, wie fern dieſes Etwas (welches Raum oder Zeit erfuͤllt), ein erſtes Subſtratum, oder bloſſe Beſtimmung ſey, eine Beziehung ſeines Daſeyns auf etwas Anderes, als Urſache, oder Wirkung habe, und endlich iſolirt oder in wech- ſelſeitiger Abhaͤngigkeit mit andern in Anſehung des Daſeyns ſtehe, die Moͤglichkeit dieſes Daſeyns, die Wirklichkeit und Nothwendigkeit, oder die Gegentheile derſelben zu erwaͤ- gen: dieſes alles gehoͤret zum Vernunfterkentniß aus Begriffen, welches philoſophiſch genant wird. Aber im Raume eine Anſchauung a priori zu beſtimmen (Geſtalt), die Zeit zu theilen (Tauer), oder blos das Allgemeine der Syntheſis von einem und demſelben in der Zeit und dem Raume und die daraus entſpringende Groͤſſe einer Anſchauung uͤberhaupt (Zahl) zu erkennen, das iſt ein Vernunftgeſchaͤfte durch Conſtruction der Begriffe und heißt mathematiſch. Das groſſe Gluͤck, welches die Vernunft vermittelſt der Mathematik macht, bringt ganz natuͤrlicher Weiſe die Vermuthung zu Wege: daß es, wo nicht ihr ſelbſt, doch ihrer Methode auch auſſer dem Felde der Groͤſſen, ge- lingen werde, indem ſie alle ihre Begriffe auf Anſchauun- gen [725/0755] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. gen bringt, die ſie a priori geben kan und wodurch ſie, ſo zu reden, Meiſter uͤber die Natur wird: da hingegen reine Philoſophie mit diſcurſiven Begriffen a priori in der Natur herum pfuſcht, ohne die Realitaͤt derſelben a priori anſchauend und eben dadurch beglaubigt machen zu koͤn- nen. Auch ſcheint es den Meiſtern in dieſer Kunſt an die- ſer Zuverſicht zu ſich ſelbſt und dem gemeinen Weſen an groſſen Erwartungen von ihrer Geſchicklichkeit, wenn ſie ſich einmal hiemit befaſſen ſolten, gar nicht zu fehlen. Denn da ſie kaum iemals uͤber ihre Mathematik philoſophirt haben, (ein ſchweres Geſchaͤfte), ſo komt ihnen der ſpeci- fiſche Unterſchied des einen Vernunftgebrauchs von dem an- dern gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empiriſch gebrauchte Regeln, die ſie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten ihnen denn ſtatt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit ſie ſich (als den einzigen urſpruͤnglichen Quantis) beſchaͤftigen, herkommen moͤgen, daran iſt ihnen gar nichts gelegen und eben ſo ſcheint es ihnen unnuͤtz zu ſeyn, den Urſprung rei- ner Verſtandesbegriffe und hiemit auch den Umfang ihrer Guͤltigkeit zu erforſchen, ſondern nur ſich ihrer zu bedie- nen. In allem dieſen thun ſie ganz recht, wenn ſie nur ihre angewieſene Graͤnze, nemlich die der Natur nicht uͤberſchreiten. So aber gerathen ſie unvermerkt, von dem Felde der Sinnlichkeit, auf den unſicheren Boden reiner und ſelbſt transſcendentaler Begriffe, wo der Grund (in- ſtabilis tellus, innabilis unda) ihnen weder zu ſtehen, noch Z z 3 [726/0756] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. noch zu ſchwimmen erlaubt und ſich nur fluͤchtige Schritte thun laſſen, von denen die Zeit nicht die mindeſte Spur aufbehaͤlt, da hingegen ihr Gang in der Mathematik eine Heeresſtraſſe macht, welche noch die ſpaͤteſte Nachkommen- ſchaft mit Zuverſicht betreten kan. Da wir es uns zur Pflicht gemacht haben, die Graͤnzen der reinen Vernunft im transſcendentalen Ge- brauche genau und mit Gewißheit zu beſtimmen, dieſe Art der Beſtrebung aber das beſondere an ſich hat, uner- achtet der nachdruͤklichſten und klaͤreſten Warnungen, ſich noch immer durch Hofnung hinhalten zu laſſen, ehe man den Anſchlag gaͤnzlich aufgiebt, uͤber Graͤnzen der Erfah- rungen hinaus in die reitzende Gegenden des Intellectuel- len zu gelangen: ſo iſt es nothwendig, noch gleichſam den lezten Anker einer phantaſiereichen Hoffnung wegzunehmen und zu zeigen, daß die Befolgung der mathematiſchen Methode in dieſer Art Erkentniß nicht den mindeſten Vor- theil ſchaffen koͤnne, es muͤßte denn der ſeyn, die Bloͤſſen ihrer ſelbſt deſto deutlicher aufzudecken, daß Meßkunſt und Philoſophie zwey ganz verſchiedene Dinge ſeyn, ob ſie ſich zwar in der Naturwiſſenſchaft einander die Hand bieten, mithin das Verfahren des einen niemals von dem andern nachgeahmt werden koͤnne. Die Gruͤndlichkeit der Mathematik beruht auf De- finitionen, Axiomen, Demonſtrationen. Ich werde mich damit begnuͤgen, zu zeigen: daß keines dieſer Stuͤcke in dem Sinne, darin ſie der Mathematiker nimt, von der Phi- [727/0757] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. Philoſophie koͤnne geleiſtet, noch nachgeahmet werden. Daß der Meßkuͤnſtler, nach ſeiner Methode, in der Philoſophie nichts als Kartengebaͤude zu Stande bringe, der Philoſoph nach der ſeinigen in dem Antheil der Mathematik nur ein Geſchwaͤtz erregen koͤnne, wiewol eben darin Philoſophie beſteht, ſeine Graͤnzen zu kennen, und ſelbſt der Mathema- tiker, wenn das Talent deſſelben nicht etwa ſchon von der Natur begraͤnzt und auf ſein Fach eingeſchraͤnkt iſt, die Warnungen der Philoſophie nicht ausſchlagen, noch ſich uͤber ſie wegſetzen kan. 1. Von den Definitionen. Definiren ſoll, wie es der Ausdruck ſelbſt giebt, eigentlich nur ſo viel bedeuten, als, den ausfuͤhrlichen Begriff eines Dinges innerhalb ſeinen Graͤnzen urſpruͤnglich darſtellen *). Nach einer ſolchen Foderung kan ein empiriſcher Begriff gar nicht definirt, ſondern nur explicirt werden. Denn, da wir an ihm nur einige Merkmale von einer gewiſſen Art Ge- genſtaͤnde der Sinne haben, ſo iſt es niemals ſicher, ob man unter dem Worte, der denſelben Gegenſtand bezeich- net, nicht einmal mehr, das andere mal weniger Merk- male *) Ausfuͤhrlichkeit bedeutet die Klarheit und Zulaͤnglichkeit der Merkmale, Graͤnzen die Praͤciſion, daß deren nicht mehr ſind, als zum ausfuͤhrlichen Begriffe gehoͤren, ur- ſpruͤnglich aber, daß dieſe Graͤnzbeſtimmung nicht irgend woher abgeleitet ſey und alſo noch eines Beweiſes beduͤrfe, welches die vermeintliche Erklaͤrung unfaͤhig machen wuͤr- de, an der Spitze aller Urtheile uͤber einen Gegenſtand zu ſtehen. Z z 4 [728/0758] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. male deſſelben denke. So kan der eine im Begriffe vom Golde ſich auſſer dem Gewichte, der Farbe, der Zaͤhigkeit, noch die Eigenſchaft, daß es nicht roſtet, denken, der an- dere davon vielleicht nichts wiſſen. Man bedient ſich ge- wiſſer Merkmale nur ſo lange, als ſie zum Unterſcheiden hinreichend ſeyn; neue Bemerkungen dagegen nehmen welche weg und ſetzen einige hinzu, der Begriff ſteht alſo niemals zwiſchen ſicheren Graͤnzen. Und wozu ſolte es auch dienen, einen ſolchen Begriff zu definiren, da, wenn z. B. von dem Waſſer und deſſen Eigenſchaften die Rede iſt, man ſich bey dem nicht aufhalten wird, was man bey dem Worte Waſſer denkt, ſondern zu Verſuchen ſchreitet und das Wort, mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhaͤngen, nur eine Bezeichnung und nicht einen Begriff der Sache ausmachen ſoll, mithin die angebliche Defini- tion nichts anders als Wortbeſtimmung iſt. Zweitens kan auch, genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff de- finirt werden, z. B. Subſtanz, Urſache, Recht, Billig- keit ꝛc. Denn ich kan niemals ſicher ſeyn: daß die deut- liche Vorſtellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausfuͤhrlich entwickelt worden, als wenn ich weis, daß dieſelbe dem Gegenſtande adaͤquat ſey. Da der Begriff deſſelben aber, ſo wie er gegeben iſt, viel dunkele Vor- ſtellungen enthalten kan, die wir in der Zergliederung uͤbergehen, ob wir ſie zwar in der Anwendung iederzeit brauchen: ſo iſt die Ausfuͤhrlichkeit der Zergliederung mei- nes Begriffs immer zweifelhaft und kan nur durch viel- faͤltig [729/0759] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. faͤltig zutreffende Beiſpiele vermuthlich, niemals aber apo- dictiſch gewiß gemacht werden. Anſtatt des Ausdrucks: Definition, wuͤrde ich lieber den der Expoſition brauchen, der immer noch behutſam bleibt und bey dem der Critiker ſie auf einen gewiſſen Grad gelten laſſen und doch wegen der Ausfuͤhrlichkeit noch Bedenken tragen kan. Da alſo weder empiriſch- noch a priori gegebene Begriffe definirt werden koͤnnen, ſo bleiben keine andere als willkuͤhrlich- gedachte uͤbrig, an denen man dieſes Kunſtſtuͤck verſuchen kan. Meinen Begriff kan ich in ſolchem Falle iederzeit definiren; denn ich muß doch wiſſen, was ich habe den- ken wollen, da ich ihn ſelbſt vorſezlich gemacht habe, und er mir weder durch die Natur des Verſtandes, noch durch die Erfahrung gegeben worden, aber ich kan nicht ſagen, daß ich dadurch einen wahren Gegenſtand definirt habe. Denn, wenn der Begriff auf empiriſchen Bedingungen be- ruht, z. B. eine Schiffsuhr, ſo wird der Gegenſtand und deſſen Moͤglichkeit durch dieſen willkuͤhrlichen Begriff noch nicht gegeben, ich weis daraus nicht einmal, ob er uͤberall einen Gegenſtand habe, und meine Erklaͤrung kan beſſer eine Declaration (meines Proiects) als Definition eines Gegenſtandes heiſſen. Alſo blieben keine andere Begriffe uͤbrig, die zum definiren taugen, als ſolche, die eine will- kuͤhrliche Syntheſis enthalten, welche a priori conſtruirt werden kan, mithin hat nur die Mathematik Definitio- nen. Denn, den Gegenſtand, den ſie denkt, ſtellt ſie auch a priori in der Anſchauung dar und dieſer kan ſicher nicht mehr Z z 5 [730/0760] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. mehr noch weniger enthalten, als der Begriff, weil durch die Erklaͤrung der Begriff von dem Gegenſtande urſpruͤng- lich, d. i. ohne die Erklaͤrung irgend wovon abzuleiten, gegeben wurde. Die deutſche Sprache hat vor die Aus- druͤcke der Expoſition, Explication, Declaration und Definition nichts mehr, als das eine Wort: Erklaͤrung, und daher muͤſſen wir ſchon von der Strenge der Foderung, da wir nemlich den philoſophiſchen Erklaͤrungen den Ehren- nahmen der Definition verweigerten, etwas ablaſſen und wollen dieſe ganze Anmerkung darauf einſchraͤnken: daß philoſophiſche Definitionen nur als Expoſitionen gegebener, mathematiſche aber als Conſtructionen urſpruͤnglich gemach- ter Begriffe, iene nur analytiſch durch Zergliederung (de- ren Vollſtaͤndigkeit nicht apodictiſch gewiß iſt), dieſe ſyn- thetiſch zu Stande gebracht werden, und alſo den Begriff ſelbſt machen, dagegen die erſtere ihn nur erklaͤren. Hier- aus folgt a) daß man es in der Philoſophie der Mathema- tik nicht ſo nachthun muͤſſe, die Definitionen voran zu ſchicken, als nur etwa zum bloſſen Verſuche. Denn, da ſie Zergliederungen gegebener Begriffe ſeyn, ſo gehen dieſe Begriffe, obzwar nur noch verworren, voran und die un- vollſtaͤndige Expoſition geht vor der vollſtaͤndigen, ſo, daß wir aus einigen Merkmalen, die wir aus einer noch un- vollendeten Zergliederung gezogen haben, manches vorher ſchlieſſen koͤnnen, ehe wir zur vollſtaͤndigen Expoſition, d. i. der Definition gelangt ſind, mit einem Worte, daß in der [731/0761] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. der Philoſophie die Definition, als abgemeſſene Deutlich- keit, das Werk eher ſchlieſſen, als anfangen muͤſſe *). Da- gegen haben wir in der Mathematik gar keinen Begriff vor der Definition, als durch welche der Begriff allererſt gegeben wird, ſie muß alſo und kan auch iederzeit davon anfangen. b) Mathematiſche Definitionen koͤnnen niemals ir- ren. Denn, weil der Begriff durch die Definition zuerſt gegeben wird, ſo enthaͤlt er gerade nur das, was die De- finition durch ihn gedacht haben will. Aber, obgleich den: Inhalte nach nichts Unrichtiges darin vorkommen kan, ſo kan doch bisweilen, obzwar nur ſelten, in der Form (der Einkleidung) gefehlt werden, nemlich in Anſehung der Praͤciſion. So hat die gemeine Erklaͤrung der Kreislinie: daß ſie eine krumme Linie ſey, deren alle Puncte von einem eini- *) Die Philoſophie wimmelt von fehlerhaften Definitionen, vornehmlich ſolchen, die zwar wirklich Elemente zur De- finition, aber noch nicht vollſtaͤndig enthalten. Wuͤrde man nun eher gar nichts mit einem Begriffe anfangen koͤnnen, als bis man ihn definirt haͤtte, ſo wuͤrde es gar ſchlecht mit allem Philoſophiren ſtehen. Da aber, ſo weit die Elemente (der Zergliederung) reichen, immer ein guter und ſicherer Gebrauch davon zu machen iſt, ſo koͤn- nen auch mangelhafte Definitionen, d. i. Saͤtze, die ei- gentlich noch nicht Definitionen, aber uͤbrigens wahr und alſo Annaͤherungen zu ihnen ſind, ſehr nuͤtzlich ge- braucht werden. In der Mathematik gehoͤret die Defi- nition ad eſſe, in der Philoſophie ad melius eſſe. Es iſt ſchoͤn, aber oft ſehr ſchwer, dazu zu gelangen. Noch ſuchen die Juriſten eine Definition zu ihrem Begriffe von Recht. [732/0762] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. einigen (dem Mittelpuncte) gleich weit abſtehen, den Feh- ler, daß die Beſtimmung krumm unnoͤthiger Weiſe einge- floſſen iſt. Denn es muß einen beſonderen Lehrſatz ge- ben, der aus der Definition gefolgert wird und leicht be- wieſen werden kan: daß eine iede Linie, deren alle Puncte von einem einigen gleich weit abſtehen, krumm, (kein Theil von ihr gerade) ſey. Analytiſche Definitionen koͤnnen dagegen auf vielfaͤltige Art irren, entweder, indem ſie Merkmale hineinbringen, die wirklich nicht im Begriffe lagen, oder an der Ausfuͤhrlichkeit ermangeln, die das weſentliche einer Definition ausmacht, weil man der Voll- ſtaͤndigkeit ſeiner Zergliederung nicht ſo voͤllig gewiß ſeyn kan. Um deswillen laͤßt ſich die Methode der Mathematik im Definiren in der Philoſophie nicht nachahmen. 2. Von den Axiomen. Dieſe ſind ſynthetiſche Grundſaͤtze a priori, ſo fern ſie unmittelbar gewiß ſeyn. Nun laͤßt ſich nicht ein Begriff mit dem anderen ſynthe- tiſch und doch unmittelbar verbinden, weil, damit wir uͤber einen Begriff hinausgehen koͤnnen, ein drittes ver- mittelnde Erkentniß noͤthig iſt. Da nun Philoſophie, blos die Vernunfterkentniß nach Begriffen iſt, ſo wird in ihr kein Grundſatz anzutreffen ſeyn, der den Nahmen eines Axioms verdiene. Die Mathematik dagegen iſt der Axio- men faͤhig, weil ſie vermittelſt der Conſtruction der Be- griffe in der Anſchauung des Gegenſtandes die Praͤdicate deſſelben a priori und unmittelbar verknuͤpfen kan, Z. B. daß drey Puncte iederzeit in einer Ebene liegen. Dage- gen [733/0763] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. gen kan ein ſynthetiſcher Grundſatz blos aus Begriffen niemals unmittelbar gewiß ſeyn, z. B. der Satz: alles was geſchieht hat ſeine Urſache, da ich mich nach einem dritten herumſehen muß, nemlich der Bedingung der Zeit- beſtimmung in einer Erfahrung und nicht direct unmittel- bar aus den Begriffen allein einen ſolchen Grundſatz er- kennen konte. Discurſive Grundſaͤtze ſind alſo ganz etwas anderes, als intuitive, d. i. Axiomen. Jene erfodern iederzeit noch eine Deduction, deren die leztere ganz und gar entbehren koͤnnen und, da dieſe eben um deſſelben Grundes wegen evident ſind, welches die philoſophiſche Grundſaͤtze, bey aller ihrer Gewißheit, doch niemals vor- geben koͤnnen, ſo fehlt unendlich viel daran: daß irgend ein ſynthetiſcher Satz der reinen und transſcendentalen Vernunft ſo augenſcheinlich ſey (wie man ſich trotzig aus- zudruͤcken pflegt), als der Satz: daß zweymal zwey vier geben. Ich habe zwar in der Analytik, bey der Tafel der Grundſaͤtze des reinen Verſtandes, auch gewiſſer Axio- men der Anſchauung gedacht, allein der daſelbſt angefuͤhr- te Grundſatz war ſelbſt kein Axiom, ſondern diente nur dazu, das Principium der Moͤglichkeit der Axiomen uͤber- haupt anzugeben, und ſelbſt nur ein Grundſatz aus Be- griffen. Denn ſo gar die Moͤglichkeit der Mathematik muß in der Transſcendentalphiloſophie gezeigt werden. Die Philoſophie hat alſo keine Axiomen und darf niemals ihre Grundſaͤtze a priori ſo ſchlechthin gebieten, ſondern muß ſich [734/0764] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. ſich dazu bequemen, ihre Befugniß wegen derſelben durch gruͤndliche Deduction zu rechtfertigen. 3. Von den Demonſtrationen. Nur ein apodicti- ſcher Beweis, ſo fern er intuitiv iſt, kan Demonſtration heiſſen. Erfahrung lehrt uns wol, was da ſey, aber nicht, daß es gar nicht anders ſeyn koͤnne. Daher koͤnnen em- piriſche Beweisgruͤnde keinen apodictiſchen Beweis verſchaf- fen. Aus Begriffen a priori (im discurſiven Erkentniſſe) kan aber niemals anſchauende Gewißheit, d. i. Evidenz ent- ſpringen, ſo ſehr auch ſonſt das Urtheil apodictiſch gewiß ſeyn mag. Nur die Mathematik enthaͤlt alſo Demonſtra- tionen, weil ſie nicht aus Begriffen, ſondern der Conſtru- ction derſelben, d. i. der Anſchauung, die, den Begriffen entſprechend a priori gegeben werden kan, ihr Erkentniß ableitet. Selbſt das Verfahren der Algeber mit ihren Gleichungen, aus denen ſie durch Reduction die Wahrheit zuſamt dem Beweiſe hervorbringt, iſt zwar keine geome- triſche, aber doch characteriſtiſche Conſtruction, in welcher man an den Zeichen die Begriffe, vornemlich von dem Verhaͤltniſſe der Groͤſſen, in der Anſchauung darlegt und, ohne einmal auf das hevriſtiſche zu ſehen, alle Schluͤſſe vor Fehlern dadurch ſichert, daß ieder derſelben vor Augen geſtellt wird. Da hingegen das philoſophiſche Erkentniß dieſes Vortheils entbehren muß, indem es das Allgemeine iederzeit in abſtracto (durch Begriffe) betrachten muß, indeſſen daß Mathematik das Allgemeine in concreto (in der einzelnen Anſchauung) und doch durch reine Vorſtel- lung [735/0765] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. lung a priori erwaͤgen kan, wobey ieder Fehltritt ſichtbar wird. Ich moͤchte die erſtere daher lieber acroamatiſche (discurſive) Beweiſe nennen, weil ſie ſich nur durch lau- ter Worte (den Gegenſtand in Gedanken) fuͤhren laſſen, als Demonſtrationen, welche, wie der Ausdruck es ſchon anzeigt, in der Anſchauung des Gegenſtandes fortgehen. Aus allem dieſem folgt nun: daß es ſich vor die Natur der Philoſophie gar nicht ſchicke, vornemlich im Felde der reinen Vernunft, mit einem dogmatiſchen Gange zu ſtrotzen und ſich mit den Titeln und Baͤndern der Ma- thematik auszuſchmuͤcken, in deren Orden ſie doch nicht ge- hoͤret, ob ſie zwar auf ſchweſterliche Vereinigung mit der- ſelben zu hoffen alle Urſache hat. Jene ſind eitele An- maſſungen, die niemals gelingen koͤnnen, vielmehr ihre Abſicht ruͤckgaͤngig machen muͤſſen, die Blendwerke einer ihre Graͤnzen verkennenden Vernunft zu entdecken und, ver- mittelſt hinreichender Aufklaͤrung unſerer Begriffe, den Ei- genduͤnkel der Speculation auf das beſcheidene, aber gruͤnd- liche Selbſterkentniß zuruͤckzufuͤhren. Die Vernunft wird alſo in ihren transſcendentalen Verſuchen nicht ſo zuver- ſichtlich vor ſich hinſehen koͤnnen, gleich als wenn der Weg, den ſie zuruͤckgelegt hat, ſo ganz gerade zum Ziele fuͤhre und auf ihre zum Grunde gelegte Praͤmiſſen nicht ſo muthig rechnen koͤnnen, daß es nicht noͤthig waͤre, oͤfters zuruͤck zu ſehen und Acht zu haben, ob ſich nicht etwa im Fort- gange der Schluͤſſe Fehler entdecken, die in den Principien uͤber- [736/0766] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. uͤberſehen worden und es noͤthig machen, ſie entweder mehr zu beſtimmen, oder ganz abzuaͤndern. Ich theile alle apodictiſche Saͤtze (ſie moͤgen nun er- weislich oder auch unmittelbar gewiß ſeyn) in Dogmata und Mathemata ein. Ein directſynthetiſcher Satz aus Begriffen iſt ein Dogma, dagegen ein dergleichen Satz, durch Conſtruction der Begriffe, iſt ein Mathema. Ana- lytiſche Urtheile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Ge- genſtande, als was der Begriff, den wir von ihm haben, ſchon in ſich enthaͤlt, weil ſie die Erkentniß uͤber den Be- griff des Subiects nicht erweitern, ſondern dieſen nur er- laͤutern. Sie koͤnnen daher nicht fuͤglich Dogmen heiſſen (welches Wort man vielleicht durch Lehrſpruͤche uͤberſetzen koͤnte). Aber unter den gedachten zweien Arten ſyntheti- ſcher Saͤtze a priori koͤnnen, nach dem gewoͤhnlichen Rede- gebrauch, nur die, zum philoſophiſchen Erkentniſſe gehoͤ- rige dieſen Nahmen fuͤhren, und man wuͤrde ſchwerlich die Saͤtze der Rechenkunſt, oder Geometrie Dogmata nen- nen. Alſo beſtaͤtigt dieſer Gebrauch die Erklaͤrung, die wir gaben, daß nur Urtheile aus Begriffen und nicht die, aus der Conſtruction der Begriffe, dogmatiſch heiſſen koͤnnen. Nun enthaͤlt die ganze reine Vernunft in ihrem blos ſpeculativen Gebrauche nicht ein einziges directſynthe- tiſches Urtheil aus Begriffen. Denn durch Ideen iſt ſie, wie wir gezeigt haben, gar keiner ſynthetiſcher Urtheile, die obiective Guͤltigkeit haͤtten, faͤhig; durch Verſtandes- begriffe [737/0767] Die Diſciplin der reinen Vernunft im dogm. ꝛc. begriffe aber errichtet ſie zwar ſichere Grundſaͤtze, aber gar nicht direct aus Begriffen, ſondern immer nur indirect durch Beziehung dieſer Begriffe auf etwas ganz zufaͤlliges, nemlich moͤgliche Erfahrung; da ſie denn, wenn dieſe (etwas als Gegenſtand moͤglicher Erfahrungen) voraus- geſezt wird, allerdings apodictiſch gewiß ſeyn, an ſich ſelbſt aber (direct) a priori gar nicht einmal erkant werden koͤnnen. So kan niemand den Satz: alles was geſchieht hat ſeine Urſache, aus dieſen gegebenen Begriffen allein gruͤndlich einſehen. Daher iſt er kein Dogma, ob er gleich in einem anderen Geſichtspuncte, nemlich dem einzigen Felde ſeines moͤglichen Gebrauchs, d. i. der Erfahrung, ganz wol und apodictiſch bewieſen werden kan. Er heißt aber Grundſatz und nicht Lehrſatz, ob er gleich bewieſen werden muß, darum, weil er die beſondere Eigenſchaft hat, daß er ſeinen Beweisgrund, nemlich Erfahrung, ſelbſt zuerſt moͤglich macht und bey dieſer immer vorausgeſezt werden muß. Giebt es nun im ſpeculativen Gebrauche der reinen Vernunft auch dem Inhalte nach gar keine Dogmate, ſo iſt alle dogmatiſche Methode, ſie mag nun dem Mathema- tiker abgeborgt ſeyn, oder eine eigenthuͤmliche Manier werden ſollen, vor ſich unſchicklich. Denn ſie verbirgt nur die Fehler und Irrthuͤmer und taͤuſcht die Philoſophie, deren eigentliche Abſicht iſt, alle Schritte der Vernunft in ihrem klaͤreſten Lichte ſehen zu laſſen. Gleichwol kan die Methode immer ſyſtematiſch ſeyn. Denn unſere Vernunft (ſub- A a a [738/0768] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. (ſubiectiv) iſt ſelbſt ein Syſtem, aber in ihrem reinen Ge- brauche, vermittelſt bloſſer Begriffe, nur ein Syſtem der Nachforſchung nach Grundſaͤtzen der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kan. Von der ei- genthuͤmlichen Methode einer Transſcendentalphiloſophie laͤßt ſich aber hier nichts ſagen, da wir es nur mit einer Critik unſerer Vermoͤgensumſtaͤnde zu thun haben, ob wir uͤberall bauen und wie hoch wir wol unſer Gebaͤude, aus dem Stoffe, den wir haben, (den reinen Begriffen a priori), auffuͤhren koͤnnen. Des erſten Hauptſtuͤcks Zweiter Abſchnitt. Die Diſciplin der reinen Vernunft in Anſehung ihres polemiſchen Gebrauchs. Die Vernunft muß ſich in allen ihren Unternehmungen der Critik unterwerfen und kan der Freiheit derſel- ben durch kein Verbot Abbruch thun, ohne ſich ſelbſt zu ſchaden und einen ihr nachtheiligen Verdacht auf ſich zu ziehen. Da iſt nun nichts ſo wichtig, in Anſehung des Nutzens, nichts ſo heilig, daß ſich dieſer pruͤfenden und muſternden Durchſuchung, die kein Anſehen der Perſon kent, entziehen duͤrfte. Auf dieſer Freiheit beruht ſo gar die Exiſtenz der Vernunft, die kein dictatoriſches Anſehen hat, ſondern deren Ausſpruch iederzeit nichts als die Ein- ſtimmung freier Buͤrger iſt, deren ieglicher ſeine Bedenk- lich [739/0769] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. lichkeiten, ia ſo gar ſein veto, ohne Zuruͤckhalten muß aͤuſſern koͤnnen. Ob nun aber gleich die Vernunft ſich der Critik nie- mals verweigern kan, ſo hot ſie doch nicht iederzeit Urſa- che, ſie zu ſcheuen. Aber die reine Vernunft in ihrem dog- matiſchen (nicht mathematiſchen) Gebrauche iſt ſich nicht ſo ſehr der genaueſten Beobachtung ihrer oberſten Geſetze bewuſt, daß ſie nicht mit Bloͤdigkeit, ia mit gaͤnzlicher Able- gung alles angemaßten dogmatiſchen Anſehens, vor dem critiſchen Auge einer hoͤheren und richterlichen Vernunft erſcheinen muͤßte. Ganz anders iſt es bewandt, wenn ſie es nicht mit der Cenſur des Richters, ſondern den Anſpruͤchen ihres Mitbuͤrgers zu thun hat und ſich dagegen blos vertheidi- gen ſoll. Denn, da dieſe eben ſowol dogmatiſch ſeyn wol- len, obzwar im Verneinen, als iene im Beiahen: ſo findet eine Rechtfertigung κατ’ ἀνϑρωπον ſtatt, die wider alle Beeintraͤchtigung ſichert und einen titulirten Beſitz verſchaft, der keine fremde Anmaſſungen ſcheuen darf, ob er gleich ſelbſt κατ’ αληϑειαν nicht hinreichend bewieſen werden kan. Unter dem polemiſchen Gebrauche der reinen Ver- nunft verſtehe ich nun die Vertheidigung ihrer Saͤtze ge- gen die dogmatiſche Verneinungen derſelben. Hier komt es nun nicht darauf an, ob ihre Behauptungen nicht viel- leicht auch falſch ſeyn moͤchten, ſondern nur, daß niemand das Gegentheil iemals mit apodictiſcher Gewißheit (ia auch nur A a a 2 [740/0770] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. nur mit groͤſſerem Scheine) behaupten koͤnne. Denn wir ſind alsdenn doch nicht bittweiſe in unſerem Beſitz, wenn wir einen, obzwar nicht hinreichenden Titel derſelben vor uns haben und es voͤllig gewiß iſt, daß niemand die Un- rechtmaͤſſigkeit dieſes Beſitzes iemals beweiſen koͤnne. Es iſt etwas Bekuͤmmerndes und Niederſchlagendes: daß es uͤberhaupt eine Antithetik der reinen Vernunft ge- ben, und dieſe, die doch den oberſten Gerichtshof uͤber alle Streitigkeiten vorſtellt, mit ſich ſelbſt in Streit gera- then ſoll. Zwar hatten wir oben eine ſolche ſcheinbare Antithetik derſelben vor uns, aber es zeigte ſich, daß ſie auf einem Mißverſtande beruhete, da man nemlich, dem gemeinen Vorurtheile gemaͤß, Erſcheinungen vor Sachen an ſich ſelbſt nahm und denn eine abſolute Vollſtaͤndigkeit ihrer Syntheſis, auf eine oder andere Art (die aber auf beiderley Art gleich unmoͤglich war), verlangte, welches aber von Erſcheinungen gar nicht erwartet werden kan. Es war alſo damals kein wirklicher Widerſpruch der Vernunft mit ihr ſelbſt bey den Saͤtzen: die Reihe an ſich gegebener Erſcheinungen hat einen abſoluterſten An- fang und: dieſe Reihe iſt ſchlechthin und an ſich ſelbſt ohne allen Anfang; denn beide Saͤtze beſtehen gar wol zuſammen, weil Erſcheinungen nach ihrem Daſeyn (als Erſcheinungen) an ſich ſelbſt gar nichts, d. i. etwas wider- ſprechendes ſind und alſo deren Vorausſetzung natuͤrlicher Weiſe widerſprechende Folgerungen nach ſich ziehen muß. Ein [741/0771] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Ein ſolcher Mißverſtand kan aber nicht vorgewandt und dadurch der Streit der Vernunft beygelegt werden, wenn etwa theiſtiſch behauptet wuͤrde: es iſt ein hoͤchſtes Weſen und dagegen atheiſtiſch: es iſt kein hoͤchſtes We- ſen, oder, in der Pſychologie: alles was da denkt, iſt von abſoluter beharrlicher Einheit und alſo von aller ver- gaͤnglichen materiellen Einheit unterſchieden, welchem ein anderer entgegenſezte: die Seele iſt nicht immaterielle Ein- heit und kan von der Vergaͤnglichkeit nicht ausgenommen werden. Denn der Gegenſtand der Frage iſt hier von al- lem fremdartigen, das ſeiner Natur widerſpricht, frey und der Verſtand hat es nur mit Sachen an ſich ſelbſt und nicht mit Erſcheinungen zu thun. Es wuͤrde alſo hier freilich ein wahrer Widerſtreit anzutreffen ſeyn, wenn nur die reine Vernunft auf der verneinenden Seite etwas zu ſagen haͤtte, was dem Grunde einer Behauptung nahe kaͤme; denn was die Critik der Beweisgruͤnde des Dogma- tiſchbeiahenden betrift, die kan man ihm ſehr wol ein- raͤumen, ohne darum dieſe Saͤtze aufzugeben, die doch wenigſtens das Intereſſe der Vernunft vor ſich haben, dar- auf ſich der Gegner gar nicht berufen kan. Ich bin zwar nicht der Meinung, welche vortrefliche und nachdenkende Maͤnner (z. B. Sulzer) ſo oft geaͤuſ- ſert haben, da ſie die Schwaͤche der bisherigen Beweiſe fuͤhlten: daß man hoffen koͤnne, man werde dereinſt noch evidente Demonſtrationen der zween Cardinalſaͤtze unſerer reinen Vernunft: es iſt ein Gott, es iſt ein kuͤnftiges Le- ben A a a 3 [742/0772] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. ben, erfinden. Vielmehr bin ich gewiß, daß dieſes nie- mals geſchehen werde. Denn, wo will die Vernunft den Grund zu ſolchen ſynthetiſchen Behauptungen, die ſich nicht auf Gegenſtaͤnde der Erfahrung und deren innerer Moͤglichkeit beziehen, hernehmen? Aber es iſt auch apo- dictiſch gewiß, daß niemals irgend ein Menſch auftreten werde, der das Gegentheil mit dem mindeſten Scheine, geſchweige dogmatiſch behaupten koͤnne. Denn, weil er dieſes doch blos durch reine Vernunft darthun koͤnte, ſo muͤßte er es unternehmen, zu beweiſen: daß ein hoͤchſtes Weſen, daß das in uns denkende Subiect, als reine In- telligenz, unmoͤglich ſey. Wo will er aber die Kentniſſe hernehmen, die ihn, von Dingen uͤber alle moͤgliche Er- fahrung hinaus ſo ſynthetiſch zu urtheilen, berechtigten. Wir koͤnnen alſo daruͤber ganz unbekuͤmmert ſeyn: daß uns iemand das Gegentheil einſtens beweiſen werde, daß wir darum eben nicht noͤthig haben, auf ſchulgerechte Be- weiſe zu ſinnen, ſondern immerhin dieienige Saͤtze anneh- men koͤnnen, welche mit dem ſpeculativen Intereſſe unſe- rer Vernunft im empiriſchen Gebrauch ganz wol zuſam- menhaͤngen und uͤberdem, es mit dem practiſchen Inter- eſſe zu vereinigen die einzige Mittel ſind. Vor den Gegner (der hier nicht blos als Critiker betrachtet werden muß), haben wir unſer non liquet in Bereitſchaft, wel- ches ihn unfehlbar verwirren muß, indeſſen daß wir die Retorſion deſſelben auf uns nicht weigeren, indem wir die ſubiective Maxime der Vernunft beſtaͤndig im Ruͤckhalte haben, [743/0773] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. haben, die dem Gegner nothwendig fehlt und, unter de- ren Schutz, wir alle ſeine Luftſtreiche mit Ruhe und Gleich- guͤltigkeit anſehen koͤnnen. Auf ſolche Weiſe giebt es eigentlich gar keine Anti- thetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz vor ſie wuͤrde auf dem Felde der reinen Theologie und Pſy- chologie zu ſuchen ſeyn; dieſer Boden aber traͤgt keinen Kaͤmpfer in ſeiner ganzen Ruͤſtung und mit Waffen, die zu fuͤrchten waͤren. Er kan nur mit Spott oder Grosſpre- cherey auftreten, welches als ein Kinderſpiel belacht wer- den kan. Das iſt eine troͤſtende Bemerkung, die der Vernunft wieder Muth giebt, denn, worauf wolte ſie ſich ſonſt verlaſſen, wenn ſie, die allein alle Irrungen abzu- thun berufen iſt, in ſich ſelbſt zerruͤttet waͤre, ohne Frie- den und ruhigen Beſitz hoffen zu koͤnnen? Alles, was die Natur ſelbſt anordnet, iſt zu irgend einer Abſicht gut. Selbſt Gifte dienen dazu, andere Gif- te, welche ſich in unſeren eigenen Saͤften erzeugen, zu uͤberwaͤltigen und duͤrfen daher in einer vollſtaͤndigen Sam- lung von Heilmitteln (Officin) nicht fehlen. Die Ein- wuͤrfe, wider die Ueberredungen und den Eigenduͤnkel un- ſerer blos ſpeculativen Vernunft, ſind ſelbſt durch die Natur dieſer Vernunft aufgegeben und muͤſſen alſo ihre gute Beſtimmung und Abſicht haben, die man nicht in den Wind ſchlagen muß. Wozu hat uns die Vorſehung manche Gegenſtaͤnde, ob ſie gleich mit unſerem hoͤchſten Intereſſe zuſammenhaͤngen, ſo hoch geſtellt, daß uns faſt nur A a a 4 [744/0774] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. nur vergoͤnnet iſt, ſie in einer undeutlichen und von uns ſelbſt bezweifelten Wahrnehmung anzutreffen, dadurch ausſpaͤhende Blicke mehr gereizt, als befriedigt werden. Ob es nuͤtzlich ſey, in Anſehung ſolcher Ausſichten dreuſte Beſtimmungen zu wagen, iſt wenigſtens zweifelhaft, viel- leicht gar ſchaͤdlich. Allemal aber und ohne allen Zweifel iſt es nuͤtzlich, die forſchende ſowol, als pruͤfende Ver- nunft in voͤllige Freiheit zu verſetzen, damit ſie ungehin- dert ihr eigen Intereſſe beſorgen koͤnne, welches eben ſo wol befoͤrdert wird, dadurch, daß ſie ihren Einſichten Schranken ſezt, als daß ſie ſolche erweitert und welches allemal leidet, wenn ſich fremde Haͤnde einmengen, um ſie wider ihren natuͤrlichen Gang nach erzwungenen Ab- ſichten zu lenken. Laſſet demnach euren Gegner nur Vernunft ſagen und bekaͤmpfet ihn blos mit Waffen der Vernunft. Uebri- gens ſeyd wegen der guten Sache (des practiſchen Inter- eſſe) auſſer Sorgen, denn die komt im blos ſpeculativen Streite niemals mit ins Spiel. Der Streit entdeckt als- denn nichts, als eine gewiſſe Antinomie der Vernunft, die, da ſie auf ihrer Natur beruhet, nothwendig angehoͤrt und gepruͤft werden muß. Er cultivirt dieſelbe durch Betrach- tung ihres Gegenſtandes auf zweien Seiten und berichtigt ihr Urtheil dadurch, daß er ſolches einſchraͤnkt. Das, was hiebey ſtrittig wird, iſt nicht die Sache, ſondern der Ton. Denn es bleibt euch noch genug uͤbrig, um die vor der ſchaͤrfſten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines feſten Glau- [745/0775] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Glaubens zu ſprechen, wenn ihr gleich die des Wiſſens habt aufgeben muͤſſen. Wenn man den kaltbluͤtigen, zum Gleichgewichte des Urtheils eigentlich geſchaffenen David Hume fragen ſolte: was bewog euch, durch muͤhſam ergruͤbelte Be- denklichkeiten, die vor den Menſchen ſo troͤſtliche und nuͤtz- liche Ueberredung, daß ihre Vernunfteinſicht zur Behaup- tung und dem beſtimten Begriff eines hoͤchſten Weſens zu- lange, zu untergraben? ſo wuͤrde er antworten: nichts, als die Abſicht, die Vernunft in ihrer Selbſterkentniß wei- ter zu bringen und zugleich ein gewiſſer Unwille uͤber den Zwang, den man der Vernunft anthun will, indem man mit ihr groß thut und ſie zugleich hindert, ein freimuͤthi- ges Geſtaͤndniß ihrer Schwaͤchen abzulegen, die ihr bey der Pruͤfung ihrer Selbſt offenbar werden. Fragt ihr dagegen den, den Grundſaͤtzen des empiriſchen Vernunft- gebrauchs allein ergebenen, und aller transſcendenten Spe- culation abgeneigten Prieſtley, was er vor Bewegungs- gruͤnde gehabt habe, unſerer Seele Freiheit und Unſterb- lichkeit (die Hoffnung des kuͤnftigen Lebens iſt bey ihm nur die Erwartung eines Wunders der Wiedererweckung), zwey ſolche Grundpfeiler aller Religion niederzureiſſen, er, der ſelbſt ein frommer und eifriger Lehrer der Religion iſt, ſo wuͤrde er nichts anders antworten koͤnnen, als: das In- tereſſe der Vernunft, welche dadurch verliert, daß man gewiſſe Gegenſtaͤnde den Geſetzen der materiellen Natur, den einzigen, die wir genau kennen und beſtimmen koͤnnen, entzie- A a a 5 [746/0776] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. entziehen will. Es wuͤrde unbillig ſcheinen, den lezteren, der ſeine paradoxe Behauptung mit der Religionsabſicht zu vereinigen weiß, zu verſchreien und einem woldenken- den Manne wehe zu thun, weil er ſich nicht zurechte fin- den kan, ſo bald er ſich aus dem Felde der Naturlehre verlohren hatte. Aber dieſe Gunſt muß dem nicht minder gutgeſinnten und ſeinem ſittlichen Character nach untadel- haften Hume eben ſo wol zu Statten kommen, der ſeine abgezogene Speculation darum nicht verlaſſen kan, weil er mit Recht davor haͤlt, daß ihr Gegenſtand ganz auſſer- halb den Graͤnzen der Naturwiſſenſchaft im Felde reiner Ideen liege. Was iſt nun hiebey zu thun, vornemlich in Anſe- hung der Gefahr, die daraus dem gemeinen Beſten zu drohen ſcheinet? Nichts iſt natuͤrlicher, nichts billiger, als die Entſchlieſſung, die ihr deshalb zu nehmen habt. Laßt dieſe Leute nur machen; wenn ſie Talent, wenn ſie tiefe und neue Nachforſchung, mit einem Worte, wenn ſie nur Vernunft zeigen, ſo gewint iederzeit die Vernunft. Wenn ihr andere Mittel ergreift, als die einer zwangsloſen Ver- nunft, wenn ihr uͤber Hochverrath ſchreiet, das gemeine Weſen, das ſich auf ſo ſubtile Bearbeitungen gar nicht verſteht, gleichſam als zum Feuerloͤſchen zuſammen ruft, ſo macht ihr euch laͤcherlich. Denn es iſt die Rede gar nicht davon, was dem gemeinen Beſten hierunter vortheil- haft, oder nachtheilig ſey, ſondern nur, wie weit die Ver- nunft es wol in ihrer von allem Intereſſe abſtrahirenden Specu- [747/0777] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Speculation bringen koͤnne und, ob man auf dieſe uͤber- haupt etwas rechnen, oder ſie lieber gegen das Practi- ſche gar aufgeben muͤſſe. Anſtatt alſo mit dem Schwerdte darein zu ſchlagen, ſo ſehet vielmehr von dem ſicheren Sitze der Critik dieſem Streite geruhig zu, der vor die Kaͤmpfende muͤhſam, vor euch unterhaltend und bey einem, gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einſichten erſprieß- lich ausfallen muß. Denn es iſt ſehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklaͤrung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuſchreiben, auf welche Seite ſie nothwendig ausfallen muͤſſe. Ueberdem wird Vernunft ſchon von ſelbſt durch Vernunft ſo wol gebaͤndigt und in Schranken gehal- ten, daß ihr gar nicht noͤthig habt, Schaarwachen aufzu- bieten, um demienigen Theile, deſſen beſorgliche Ober- macht euch gefaͤhrlich ſcheint, buͤrgerlichen Widerſtand entgegen zu ſetzen. In dieſer Dialectik giebts keinen Sieg, uͤber den ihr beſorgt zu ſeyn Urſache haͤttet. Auch bedarf die Vernunft gar ſehr eines ſolchen Streits und es waͤre zu wuͤnſchen, daß er eher und mit uneingeſchraͤnkter oͤffentlicher Erlaubniß waͤre gefuͤhrt wor- den. Denn um deſto fruͤher waͤre eine reife Critik zu Stande gekommen, bey deren Erſcheinung alle dieſe Streit- haͤndel von ſelbſt wegfallen muͤſſen, indem die Streitende ihre Verblendung und Vorurtheile, welche ſie veruneinigt haben, einſehen lernen. Es giebt eine gewiſſe Unlauterkeit in der menſchli- chen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der Natur [748/0778] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. Natur komt, eine Anlage zu guten Zwecken enthalten muß, nemlich eine Neigung, ſeine wahre Geſinnungen zu verhee- len und gewiſſe angenommene, die man vor gut und ruͤhm- lich haͤlt, zur Schau zu tragen. Ganz gewiß haben die Menſchen durch dieſen Hang, ſo wol ſich zu verheelen, als auch einen ihnen vortheilhaften Schein anzunehmen, ſich nicht blos civiliſirt, ſondern nach und nach, in gewiſſer Maaſſe, moraliſirt, weil keiner durch die Schmincke der Anſtaͤndigkeit, Ehrbarkeit und Sittſamkeit durchdringen konte, alſo an vermeintlich aͤchten Beiſpielen des Guten, die er um ſich ſahe, eine Schule der Beſſerung vor ſich ſelbſt fand. Allein dieſe Anlage, ſich beſſer zu ſtellen, als man iſt und Geſinnungen zu aͤuſſern, die man nicht hat, dient nur gleichſam proviſoriſch dazu, um den Menſchen aus der Rohigkeit zu bringen und ihn zuerſt wenigſtens die Manier des Guten, das er kent, annehmen zu laſſen; denn nachher, wenn die aͤchte Grundſaͤtze einmal entwickelt und in die Denkungsart uͤbergegangen ſind, ſo muß iene Falſchheit nach und nach kraͤftig bekaͤmpft werden, weil ſie ſonſt das Herz verdirbt und gute Geſinnungen, unter dem Wucherkraute des ſchoͤnen Scheins, nicht aufkom- men laͤßt. Es thut mir leid, eben dieſelbe Unlauterkeit, Ver- ſtellung und Heucheley ſo gar in den Aeuſſerungen der ſpe- culativen Denkungsart wahrzunehmen, worin doch Men- ſchen, das Geſtaͤndniß ihrer Gedanken billiger Maaſſen offen und unverholen zu entdecken, weit weniger Hinderniſſe und gar [749/0779] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. gar keinen Vortheil haben. Denn was kan den Einſichten nachtheiliger ſeyn, als ſo gar bloſſe Gedanken verfaͤlſcht einander mitzutheilen, Zweifel, die wir wider unſere ei- gene Behauptungen fuͤhlen, zu verheelen, oder Beweis- gruͤnden, die uns ſelbſt nicht gnug thun, einen Anſtrich von Evidenz zu geben. So lange indeſſen blos die Pri- vateitelkeit dieſe geheime Raͤnke anſtiftet (welches in ſpecu- lativen Urtheilen, die kein beſonderes Intereſſe haben und nicht leicht einer apodictiſchen Gewißheit faͤhig ſind, ge- meiniglich der Fall iſt), ſo widerſteht denn doch die Eitelkeit anderer mit oͤffentlicher Genehmigung und die Sachen kommen zulezt dahin, wo die lauterſte Geſinnung und Aufrichtigkeit, obgleich weit fruͤher, ſie gebracht haben wuͤrde. Wo aber das gemeine Weſen davor haͤlt: daß ſpitzfindige Vernuͤnftler mit nichts minderem umgehen, als die Grundveſte der oͤffentlichen Wolfahrt wankend zu ma- chen, da ſcheint es nicht allein der Klugheit gemaͤß, ſon- dern auch erlaubt und wol gar ruͤhmlich, der guten Sache eher durch Scheingruͤnde zu Huͤlfe zu kommen, als den vermeintlichen Gegnern derſelben auch nur den Vortheil zu laſſen, unſeren Ton zur Maͤſſigung einer blos practiſchen Ueberzeugung herabzuſtimmen, und uns zu noͤthigen, den Mangel der ſpeculativen und apodictiſchen Gewißheit zu geſtehen. Indeſſen ſolte ich denken: daß ſich mit der Ab- ſicht, eine gute Sache zu behaupten, in der Welt wol nichts uͤbler, als Hinterliſt, Verſtellung und Betrug ver- einigen laſſe. Daß es in der Abwiegung der Vernunft- gruͤn- [750/0780] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. gruͤnde einer bloſſen Speculation alles ehrlich zugehen muͤſſe, iſt wol das Wenigſte, was man fodern kan. Koͤnte man aber auch nur auf dieſes Wenige ſicher rechnen, ſo waͤre der Streit der ſpeculativen Vernunft uͤber die wichtigen Fragen von Gott, der Unſterblichkeit (der Seele) und der Freiheit, entweder laͤngſt entſchieden, oder wuͤrde ſehr bald zu Ende gebracht werden. So ſteht oͤfters die Lau- terkeit der Geſinnung im umgekehrten Verhaͤltniſſe der Gut- artigkeit der Sache ſelbſt und dieſe hat vielleicht mehr auf- richtige und redliche Gegner, als Vertheidiger. Ich ſetze alſo Leſer voraus, die keine gerechte Sache mit Unrecht vertheidigt wiſſen wollen. In Anſehung de- ren iſt es nun entſchieden, daß, nach unſeren Grundſaͤtzen der Critik, wenn man nicht auf dasienige ſieht, was ge- ſchieht, ſondern was billig geſchehen ſollte, es eigentlich gar keine Polemik der reinen Vernunft geben muͤſſe. Denn wie koͤnnen zwey Perſonen einen Streit uͤber eine Sache fuͤhren, deren Realitaͤt keiner von beiden in einer wirkli- chen, oder auch nur moͤglichen Erfahrung darſtellen kan, uͤber deren Idee er allein bruͤtet, um aus ihr etwas mehr als Idee, nemlich, die Wirklichkeit des Gegenſtandes ſelbſt heraus zu bringen? Durch welches Mittel wollen ſie aus dem Streite heraus kommen, da keiner von beiden ſeine Sache geradezu begreiflich und gewiß machen, ſondern nur die ſeines Gegners angreifen und widerlegen kan? Denn dieſes iſt das Schickſal aller Behauptungen der rei- nen [751/0781] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. nen Vernunft: daß, da ſie uͤber die Bedingungen aller moͤglichen Erfahrung hinausgehen, auſſerhalb welchen kein Document der Wahrheit irgendwo angetroffen wird, ſich aber gleichwol der Verſtandesgeſetze, die blos zum em- piriſchen Gebrauch beſtimt ſind, ohne die ſich aber kein Schritt im ſynthetiſchen Denken thun laͤßt, bedienen muͤſ- ſen, ſie dem Gegner iederzeit Bloͤſſen geben und ſich ge- genſeitig die Bloͤſſe ihres Gegners zu Nutzen machen koͤnnen. Man kan die Critik der reinen Vernunft als den wahren Gerichtshof vor alle Streitigkeiten derſelben anſe- hen; denn ſie iſt in die leztere, als welche auf Obiecte unmittelbar gehen, nicht mit verwickelt, ſondern iſt dazu geſezt, die Rechtſame der Vernunft uͤberhaupt nach den Grundſaͤtzen ihrer erſten Inſtitution zu beſtimmen und zu beurtheilen. Ohne dieſelbe iſt die Vernunft gleichſam im Stande der Natur und kan ihre Behauptungen und Anſpruͤche nicht anders geltend machen, oder ſichern, als durch Krieg. Die Critik dagegen, welche alle Entſcheidungen aus den Grundregeln ihrer eigenen Einſetzung hernimt, deren An- ſehen keiner bezweifeln kan, verſchaft uns die Ruhe eines geſezlichen Zuſtandes, in welchem wir unſere Streitigkeit nicht anders fuͤhren ſollen, als durch Proceß. Was die Haͤndel in dem erſten Zuſtande endigt, iſt ein Sieg, deſſen ſich beide Theile ruͤhmen, auf den mehrentheils ein nur unſicherer Friede folgt, den die Obrigkeit ſtiftet, welche ſich ins [752/0782] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. ins Mittel legt, im zweiten aber die Sentenz, die, weil ſie hier die Quelle der Streitigkeiten ſelbſt trift, einen ewi- gen Frieden gewaͤhren muß. Auch noͤthigen die endloſen Streitigkeiten einer blos dogmatiſchen Vernunft, endlich in irgend einer Critik dieſer Vernunft, ſelbſt und einer Geſetz- gebung, die ſich auf ſie gruͤndet, Ruhe zu ſuchen; ſo wie Hobbes behauptet: der Stand der Natur ſey ein Stand des Unrechts und der Gewaltthaͤtigkeit und man muͤſſe ihn nothwendig verlaſſen, um ſich dem geſetzlichen Zwange zu unterwerfen, der allein unſere Freiheit dahin einſchraͤnkt, daß ſie mit iedes anderen Freiheit und eben dadurch mit dem gemeinen Beſten zuſammen beſtehen koͤnne. Zu dieſer Freiheit gehoͤrt denn auch die, ſeine Ge- danken, ſeine Zweifel, die man ſich nicht ſelbſt aufloͤſen kan, oͤffentlich zur Beurtheilung auszuſtellen, ohne dar- uͤber vor einen unruhigen und gefaͤhrlichen Buͤrger ver- ſchrieen zu werden. Dies liegt ſchon in dem urſpruͤngli- chen Rechte der menſchlichen Vernunft, welche keinen an- deren Richter erkent, als ſelbſt wiederum die allgemeine Menſchenvernunft, worin ein ieder ſeine Stimme hat und, da von dieſer alle Beſſerung, deren unſer Zuſtand faͤhig iſt, herkommen muß: ſo iſt ein ſolches Recht heilig, und darf nicht geſchmaͤlert werden. Auch iſt es ſehr unweiſe, gewiſſe gewagte Behauptungen oder vermeſſene Angriffe, auf die, welche ſchon die Beiſtimmung des groͤßten und beſten Theils des gemeinen Weſens auf ihrer Seite haben, vor gefaͤhrlich auszuſchreien: denn das heißt, ihnen eine Wich- [753/0783] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. Wichtigkeit geben, die ſie gar nicht haben ſolten. Wenn ich hoͤre: daß ein nicht gemeiner Kopf die Freiheit des menſchlichen Willen, die Hoffnung eines kuͤnftigen Lebens, und das Daſeyn Gottes wegdemonſtrirt haben ſolle, ſo bin ich begierig, das Buch zu leſen, denn ich erwarte von ſeinem Talent, daß er meine Einſichten weiter bringen werde. Das weis ich ſchon zum voraus voͤllig gewiß: daß er nichts von allem dieſem wird geleiſtet haben, nicht dar- um, weil ich etwa ſchon im Beſitze unbezwinglicher Be- weiſe dieſer wichtigen Saͤtze zu ſeyn glaubete, ſondern weil mich die transſcendentale Critik, die mir den ganzen Vorrath unſerer reinen Vernunft aufdeckte, voͤllig uͤber- zeugt hat, daß, ſo wie ſie zu beiahenden Behauptungen in dieſem Felde ganz unzulaͤnglich iſt, ſo wenig und noch weniger werde ſie wiſſen, um uͤber dieſe Fragen etwas verneinend behaupten zu koͤnnen. Denn, wo will der angebliche Freigeiſt ſeine Kentniß hernehmen, daß es z. B. kein hoͤchſtes Weſen gebe. Dieſer Satz liegt auſſerhalb dem Felde moͤglicher Erfahrung, und darum auch auſſer den Graͤnzen aller menſchlichen Einſicht. Den dogmatiſchen Vertheidiger der guten Sache gegen dieſen Feind wuͤrde ich gar nicht leſen, weil ich zum voraus weis: daß er nur darum die Scheingruͤnde des anderen angreifen werde, um ſeinen eigenen Eingang zu verſchaffen, uͤber dem ein alltaͤgiger Schein doch nicht ſo viel Stoff zu neuen Bemer- kungen giebt, als ein befremdlicher und ſinnreich ausge- dachter. Hingegen wuͤrde der, nach ſeiner Art, auch dog- mati- B b b [754/0784] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. matiſche Religionsgegner, meiner Critik gewuͤnſchte Be- ſchaͤftigung und Anlaß zu mehrerer Berichtigung ihrer Grundſaͤtze geben, ohne daß ſeinetwegen im mindeſten et- was zu befuͤrchten waͤre. Aber die Jugend, welche dem academiſchen Unter- richte anvertrauet iſt, ſoll doch wenigſtens vor dergleichen Schriften gewarnet, und von der fruͤhen Kentniß ſo ge- faͤhrlicher Saͤtze abgehalten werden, ehe ihre Urtheilskraft gereift, oder vielmehr die Lehre, welche man in ihnen gruͤnden will, feſt gewurzelt iſt, um aller Ueberredung zum Gegentheil, woher ſie auch kommen moͤge, kraͤftig zu widerſtehen? Muͤßte es bey dem dogmatiſchen Verfahren in Sa- chen der reinen Vernunft bleiben und die Abfertigung der Gegner eigentlich polemiſch, d. i. ſo beſchaffen ſeyn, daß man ſich ins Gefechte einlieſſe, und mit Beweisgruͤnden zu entgegengeſezten Behauptungen bewaffnete, ſo waͤre frei- lich nichts rathſamer vor der Hand, aber zugleich nichts eiteler und fruchtloſer auf die Dauer, als die Vernunft der Jugend eine zeitlang unter Vormundſchaft zu ſetzen, und wenigſtens ſo lange vor Verfuͤhrung zu bewahren. Wenn aber in der Folge entweder Neugierde, oder der Mo- deton des Zeitalters ihr dergleichen Schriften in die Haͤnde ſpielen: wird alsdenn iene iugendliche Ueberredung noch Stich halten? Derienige, der nichts als dogmatiſche Waffen mitbringt, um den Angriffen ſeines Gegners zu widerſtehen und die verborgene Dialectik, die nicht minder in [755/0785] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. in ſeinem eigenen Buſen, als in dem des Gegentheils liegt, nicht zu entwickeln weis, ſieht Scheingruͤnde, die den Vor- zug der Neuigkeit haben, gegen Scheingruͤnde, welche der- gleichen nicht mehr haben, ſondern vielmehr den Verdacht einer mißbrauchten Leichtglaͤubigkeit der Jugend erregen, auftreten. Er glaubt nicht beſſer zeigen zu koͤnnen, daß er der Kinderzucht entwachſen ſey, als wenn er ſich uͤber iene wolgemeinte Warnungen wegſezt und, dogmatiſch gewohnt, trinkt er das Gift, das ſeine Grundſaͤtze dog- matiſch verdirbt, in langen Zuͤgen in ſich. Gerade das Gegentheil von dem, was man hier an- raͤth, muß in der academiſchen Unterweiſung geſchehen, aber freilich nur unter der Vorausſetzung eines gruͤndlichen Unterrichts in der Critik der reinen Vernunft. Denn, um die Principien derſelben ſo fruͤh als moͤglich in Ausuͤbung zu bringen und ihre Zulaͤnglichkeit, bey dem groͤßten dia- lectiſchen Scheine, zu zeigen, iſt es durchaus noͤthig, die vor den Dogmatiker ſo furchtbare Angriffe wider ſeine, obzwar noch ſchwache, aber durch Critik aufgeklaͤrte Ver- nunft zu richten und ihn den Verſuch machen zu laſſen, die grundloſe Behauptungen des Gegners Stuͤck vor Stuͤck an ienen Grundſaͤtzen zu pruͤfen. Es kan ihm gar nicht ſchwer werden, ſie in lauter Dunſt aufzuloͤſen, und ſo fuͤhlt er fruͤhzeitig ſeine eigene Kraft, ſich wider dergleichen ſchaͤd- liche Blendwerke, die vor ihn zulezt allen Schein verlieh- ren muͤſſen, voͤllig zu ſichern. Ob nun zwar eben dieſelbe Strei- B b b 2 [756/0786] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. Streiche, die das Gebaͤude des Feindes niederſchlagen, auch ſeinem eigenen ſpeculativen Bauwerke, wenn er etwa der- gleichen zu errichten gedaͤchte, eben ſo verderblich ſeyn muͤſſen: ſo iſt er daruͤber doch gaͤnzlich unbekuͤmmert, in- dem er es gar nicht bedarf, darinnen zu wohnen, ſondern noch eine Ausſicht in das practiſche Feld vor ſich hat, wo er mit Grunde einen feſteren Boden hoffen kan, um dar- auf ſein vernuͤnftiges und heilſames Syſtem zu errichten. So giebts demnach keine eigentliche Polemik im Fel- de der reinen Vernunft. Beide Theile ſind Luftfechter, die ſich mit ihrem Schatten herumbalgen, denn ſie gehen uͤber die Natur hinaus, wo vor ihre dogmatiſche Griffe nichts vorhanden iſt, was ſich faſſen und halten lieſſe. Sie ha- ben gut kaͤmpfen; die Schatten, die ſie zerhauen, wach- ſen, wie die Helden in Valhalla in einem Augenblicke wie- derum zuſammen, um ſich aufs neue in unblutigen Kaͤm- pfen beluſtigen zu koͤnnen. Es giebt aber auch keinen zulaͤſſigen ſceptiſchen Ge- brauch der reinen Vernunft, welchen man den Grundſatz der Neutralitaͤt bey allen ihren Streitigkeiten nennen koͤnte. Die Vernunft wider ſich ſelbſt zu verhetzen, ihr auf beiden Seiten Waffen zu reichen und alsdenn ihrem hitzigſten Gefechte ruhig und ſpoͤttiſch zuzuſehen, ſieht aus einem dogmatiſchen Geſichtspuncte nicht wol aus, ſondern hat das Anſehen einer ſchadenfrohen und haͤmiſchen Ge- muͤthsart an ſich. Wenn man indeſſen die unbezwingliche Verblendung und das Großthun der Vernuͤnftler, die ſich durch [757/0787] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. durch keine Critik will maͤſſigen laſſen, anſieht, ſo iſt doch wirklich kein anderer Rath, als der Großſprecherey auf einer Seite, eine andere, welche auf eben dieſelbe Rechte fuſſet, entgegen zu ſetzen, damit die Vernunft durch den Widerſtand eines Feindes wenigſtens nur ſtutzig gemacht werde, um in ihre Anmaſſungen einigen Zweifel zu ſetzen, und der Critik Gehoͤr zu geben. Allein es bey dieſen Zweifeln gaͤnzlich bewenden zu laſſen und es darauf aus- zuſetzen, die Ueberzeugung und das Geſtaͤndniß ſeiner Un- wiſſenheit, nicht blos als ein Heilmittel wider den dogma- tiſchen Eigenduͤnkel, ſondern zugleich als die Art, den Streit der Vernunft mit ſich ſelbſt zu beendigen, empfeh- len zu wollen, iſt ein ganz vergeblicher Anſchlag und kan keinesweges dazu tauglich ſeyn, der Vernunft einen Ru- heſtand zu verſchaffen, ſondern iſt hoͤchſtens nur ein Mit- tel, ſie aus ihrem ſuͤſſen dogmatiſchen Traume zu erwecken, um ihren Zuſtand in ſorgfaͤltigere Pruͤfung zu ziehen. Da indeſſen dieſe ſceptiſche Manier, ſich aus einem verdrieß- lichen Handel der Vernunft zu ziehen, gleichſam der kurze Weg zu ſeyn ſcheint, zu einer beharrlichen philoſophiſchen Ru- he zu gelangen, wenigſtens die Heeresſtraſſe, welche dieienige gern einſchlagen, die ſich in einer ſpoͤttiſchen Verachtung aller Nachforſchungen dieſer Art ein philoſophiſches Anſe- hen zu geben meinen, ſo finde ich es noͤthig, dieſe Den- kungsart in ihrem eigenthuͤmlichen Lichte darzuſtellen. Von B b b 3 [758/0788] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. Von der Unmoͤglichkeit einer ſceptiſchen Befriedigung der mit ſich ſelbſt veruneinigten reinen Vernunft. Das Bewußtſeyn meiner Unwiſſenheit, (wenn dieſe nicht zugleich als nothwendig erkant wird) ſtatt, daß ſie meine Unterſuchungen endigen ſolte, iſt vielmehr die ei- gentliche Urſache, ſie zu erwecken. Alle Unwiſſenheit iſt entweder die der Sachen, oder der Beſtimmung und Graͤn- zen meiner Erkentniß. Wenn die Unwiſſenheit nun zufaͤl- lig iſt, ſo muß ſie mich antreiben, im erſteren Falle den Sachen (Gegenſtaͤnden) dogmatiſch, im zweiten den Graͤnzen meiner moͤglichen Erkentniß critiſch nachzuforſchen. Daß aber meine Unwiſſenheit ſchlechthin nothwendig ſey, und mich daher von aller weiteren Nachforſchung frei- ſpreche, laͤßt ſich nicht empiriſch, aus Beobachtung, ſon- dern allein critiſch, durch Ergruͤndung der erſten Quellen unſerer Erkentniß ausmachen. Alſo kan die Graͤnzbeſtim- mung unſerer Vernunft nur nach Gruͤnden a priori ge- ſchehen, die Einſchraͤnkung derſelben aber, welche eine, obgleich nur unbeſtimte Erkentniß einer nie voͤllig zu heben- den Unwiſſenheit iſt, kan auch a poſteriori, durch das, was uns bey allem Wiſſen immer noch zu wiſſen uͤbrig bleibt, erkant werden. Jene, durch Critik der Vernunft ſelbſt allein moͤgliche Erkentniß ſeiner Unwiſſenheit iſt alſo Wiſ- ſenſchaft, dieſe iſt nichts als Wahrnehmung, von der man [759/0789] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. man nicht ſagen kan, wie weit der Schluß aus ſelbiger reichen moͤge. Wenn ich mir die Erdflaͤche (dem ſinnli- chen Scheine gemaͤß), als einen Teller vorſtelle, ſo kan ich nicht wiſſen, wie weit ſie ſich erſtrecke. Aber das lehrt mich die Erfahrung: daß, wohin ich nur komme, ich im- mer einen Raum um mich ſehe, dahin ich weiter fortge- hen koͤnte, mithin erkenne ich Schranken meiner iedes- mal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Graͤnzen aller moͤglichen Erdbeſchreibung. Bin ich aber doch ſoweit ge- kommen, zu wiſſen: daß die Erde eine Kugel und ihre Flaͤche eine Kugelflaͤche ſey, ſo kan ich auch aus einem kleinen Theil derſelben, z. B. der Groͤſſe eines Grades, den Durchmeſſer und, durch dieſen, die voͤllige Begraͤn- zung der Erde, d. i. ihre Oberflaͤche beſtimt und, nach Principien a priori erkennen und, ob ich gleich in Anſe- hung der Gegenſtaͤnde, die dieſe Flaͤche enthalten mag, unwiſſend bin, ſo bin ich es doch nicht in Anſehung des Umfanges, der ſie enthaͤlt, der Groͤſſe und Schranken derſelben. Der Inbegriff aller moͤglichen Gegenſtaͤnde vor un- ſere Erkentniß ſcheint uns eine ebene Flaͤche zu ſeyn, die ihren ſcheinbaren Horizont hat, nemlich das, was den ganzen Umfang derſelben befaſſet und von uns der Ver- nunftbegriff der unbedingten Totalitaͤt genant worden. Empiriſch denſelben zu erreichen, iſt unmoͤglich, und nach einem gewiſſen Princip ihn a priori zu beſtimmen, dazu ſind alle Verſuche vergeblich geweſen. Indeſſen gehen doch alle B b b 4 [760/0790] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer- halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner Graͤnzlinie liegen moͤge. Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo- graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein- te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein- mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent- niß a priori fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge- meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache. Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge- brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun- gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus zu gehen. Man kan ein Verfahren dieſer Art, die Facta der Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel zu unterwerfen, die Cenſur der Vernunft nennen. Es iſt auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf Zwei- fel gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze fuͤhre. [761/0791] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. fuͤhre. Allein dies iſt nur der zweite Schritt, der noch lange nicht das Werk vollendet. Der erſte Schritt in Sa- chen der reinen Vernunft, der das Kindesalter derſelben auszeichnet, iſt dogmatiſch. Der eben genante zweite Schritt iſt ſceptiſch und zeigt von Vorſichtigkeit, der durch Erfahrung gewitzigten Urtheilskraft. Nun iſt aber noch ein dritter Schritt noͤthig, der nur der gereiften und maͤn- niglichen Urtheilskraft, welche feſte und ihrer Allgemein- heit nach bewaͤhrte Maximen zum Grunde hat, nemlich nicht die Facta der Vernunft, ſondern die Vernunft ſelbſt, nach ihrem ganzen Vermoͤgen und Tauglichkeit zu reinen Erkentniſſen a priori, der Schaͤtzung zu unterwerfen, wel- ches nicht die Cenſur, ſondern Critik der Vernunft iſt, wodurch nicht blos Schranken, ſondern die beſtimte Graͤnzen derſelben, nicht blos Unwiſſenheit an einem oder anderen Theil, ſondern in Anſehung aller moͤglichen Fra- gen von einer gewiſſen Art und zwar nicht etwa nur ver- muthet, ſondern aus Principien bewieſen wird. So iſt der Scepticism ein Ruheplatz vor die menſchliche Vernunft, da ſie ſich uͤber ihre dogmatiſche Wanderung beſinnen und den Entwurf von der Gegend machen kan, wo ſie ſich be- findet, um ihren Weg fernerhin mit mehrerer Sicherheit waͤhlen zu koͤnnen, aber nicht ein Wohnplatz zum beſtaͤn- digen Aufenthalte; denn dieſer kan nur in einer voͤlligen Gewißheit angetroffen werden, es ſey nun der Erkentniß der Gegenſtaͤnde ſelbſt, oder der Graͤnzen, innerhalb de- nen B b b 5 [762/0792] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. nen alle unſere Erkentniß von Gegenſtaͤnden eingeſchloſ- ſen iſt. Unſere Vernunft iſt nicht etwa eine unbeſtimbarweit ausgebreitete Ebene, deren Schranken man nur ſo uͤber- haupt erkent, ſondern muß vielmehr mit einer Sphaͤre verglichen werden, deren Halbmeſſer ſich aus der Kruͤm- mung des Bogens auf ihrer Oberflaͤche (der Natur ſyntheti- ſcher Saͤtze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt und die Begraͤnzung derſelben mit Sicherheit angeben laͤßt. Auſſer dieſer Sphaͤre (Feld der Erfahrung) iſt nichts vor ihr Obiect, ia ſelbſt Fragen uͤber dergleichen vermeintliche Gegenſtaͤnde betreffen nur ſubiective Princi- pien einer durchgaͤngigen Beſtimmung der Verhaͤltniſſe, welche unter den Verſtandes Begriffen innerhalb dieſer Sphaͤ- re vorkommen koͤnnen. Wir ſind wirklich im Beſitz ſynthetiſcher Erkentniß a priori, wie dieſes die Verſtandesgrundſaͤtze, welche die Erfahrung anticipiren, darthun. Kan iemand nun die Moͤglichkeit derſelben ſich gar nicht begreiflich machen, ſo mag er zwar anfangs zweifeln, ob ſie uns auch wirklich a priori beiwohnen, er kan dieſes aber noch nicht vor eine Unmoͤglichkeit derſelben, durch bloſſe Kraͤfte des Verſtan- des, und alle Schritte, die die Vernunft nach der Richt- ſchnur derſelben thut, vor nichtig ausgeben. Er kan nur ſagen: wenn wir ihren Urſprung und Aechtheit einſaͤhen, ſo wuͤrden wir den Umfang und die Graͤnzen unſerer Ver- nunft beſtimmen koͤnnen; ehe aber dieſes geſchehen iſt, ſind [763/0793] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. ſind alle Behauptungen der lezten blindlings gewagt. Und auf ſolche Weiſe waͤre ein durchgaͤngiger Zweifel an alle dogmatiſche Philoſophie, die ohne Critik der Vernunft ſelbſt ihren Gang geht, ganz wol gegruͤndet; allein darum koͤnte doch der Vernunft nicht ein ſolcher Fortgang, wenn er durch beſſere Grundlegung vorbereitet und geſichert wuͤr- de, gaͤnzlich abgeſprochen werden. Denn, einmal liegen alle Begriffe, ia alle Fragen, welche uns die reine Ver- nunft vorlegt, nicht etwa in der Erfahrung, ſondern ſelbſt wiederum nur in der Vernunft und muͤſſen daher koͤn- nen aufgeloͤſet und ihrer Guͤltigkeit oder Nichtigkeit nach begriffen werden koͤnnen. Wir ſind auch nicht berechtigt, dieſe Aufgaben, als laͤge ihre Aufloͤſung wirklich in der Natur der Dinge, doch unter dem Vorwande unſeres Un- vermoͤgens abzuweiſen und uns ihrer weiteren Nachfor- ſchung zu weigern, da die Vernunft in ihrem Schoße allein dieſe Ideen ſelbſt erzeugt hat, von deren Guͤltigkeit oder dialectiſchen Scheine ſie alſo Rechenſchaft zu geben gehalten iſt. Alles ſceptiſche Polemiſiren iſt eigentlich nur wider den Dogmatiker gekehrt, der, ohne ein Mißtrauen auf ſeine urſpruͤngliche obiective Principien zu ſetzen, d. i. ohne Critik gravitaͤtiſch ſeinen Gang fortſezt, blos um ihm das Concept zu verruͤcken und zur Selbſterkentniß zu brin- gen. An ſich macht ſie in Anſehung deſſen, was wir wiſ- ſen und was wir dagegen nicht wiſſen koͤnnen, ganz und gar nichts aus. Alle fehlgeſchlagene dogmatiſche Verſuche der [764/0794] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. der Vernunft ſind Facta, die der Cenſur zu unterwerfen im- mer nuͤtzlich iſt. Dieſes aber kan nichts uͤber die Erwartun- gen der Vernunft entſcheiden, einen beſſeren Erfolg ihrer kuͤnftigen Bemuͤhungen zu hoffen und darauf Anſpruͤche zu machen; die bloſſe Cenſur kan alſo die Streitigkeit uͤber die Rechtſame der menſchlichen Vernunft niemals zu Ende bringen. Da Hume, vielleicht der geiſtreichſte unter allen Sceptikern und ohne Widerrede der vorzuͤglichſte in Anſe- hung des Einfluſſes iſt, den das ſceptiſche Verfahren auf die Erweckung einer gruͤndlichen Vernunftpruͤfung haben kan, ſo verlohnt es wol der Muͤhe, den Gang ſeiner Schluͤſſe und die Verirrungen eines einſehenden und ſchaͤtz- baren Mannes, die doch auf der Spur der Wahrheit an- gefangen haben, ſo weit es zu meiner Abſicht ſchicklich iſt, vorſtellig zu machen. Hume hatte es vielleicht in Gedanken, wiewol er es niemals voͤllig entwickelte: daß wir in Urtheilen von gewiſſer Art, uͤber unſeren Begriff vom Gegenſtande hin- aus gehen. Ich habe dieſe Art von Urtheilen ſynthetiſch genant. Wie ich aus meinem Begriffe, den ich bis da- hin habe, vermittelſt der Erfahrung hinausgehen koͤnne, iſt keiner Bedenklichkeit unterworfen. Erfahrung iſt ſelbſt eine ſolche Syntheſis der Wahrnehmungen, welche mei- nen Begriff, den ich vermittelſt einer Wahrnehmung habe, durch andere hinzukommende vermehrt. Allein wir glau- ben auch a priori aus unſerem Begriffe hinausgehen und unſer [765/0795] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. unſer Erkentniß erweitern zu koͤnnen. Dieſes verſuchen wir entweder durch den reinen Verſtand, in Anſehung des- ienigen, was wenigſtens ein Obiect der Erfahrung ſeyn kan, oder ſogar durch reine Vernunft, in Anſehung ſol- cher Eigenſchaften der Dinge, oder auch wol des Daſeyns ſolcher Gegenſtaͤnde, die in der Erfahrung niemals vor- kommen koͤnnen. Unſer Sceptiker unterſchied dieſe beide Arten der Urtheile nicht, wie er es doch haͤtte thun ſollen und hielt geradezu dieſe Vermehrung der Begriffe aus ſich ſelbſt und, ſo zu ſagen, die Selbſtgebaͤhrung unſeres Verſtandes (ſamt der Vernunft), ohne durch Erfahrung geſchwaͤngert zu ſeyn, vor unmoͤglich, mithin alle ver- meintliche Principien derſelben a priori vor eingebildet und fand, daß ſie nichts als eine, aus Erfahrung und de- ren Geſetzen entſpringende Gewohnheit, mithin blos empi- riſche, d. i. an ſich zufaͤllige Regeln ſeyn, denen wir eine vermeinte Nothwendigkeit und Allgemeinheit beimeſſen. Er bezog ſich aber zu Behauptung dieſes befremdlichen Satzes auf den allgemein anerkanten Grundſatz, von dem Verhaͤltniß der Urſache zur Wirkung. Denn da uns kein Verſtandesvermoͤgen von dem Begriffe eines Dinges zu dem Daſeyn von etwas anderem, was dadurch allgemein und nothwendig gegeben ſey, fuͤhren kan: ſo glaubte er daraus folgern zu koͤnnen, daß wir ohne Erfahrung nichts haben, was unſern Begriff vermehren und uns zu einem ſolchen a priori ſich ſelbſt erweiternden Urtheile berechtigen koͤnte. Daß das Sonnenlicht, welches das Wachs beleuchtet, es zu- [766/0796] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. zugleich ſchmelze, indeſſen es den Ton haͤrtet, koͤnne kein Verſtand aus Begriffen, die wir vorher von dieſen Dingen hatten, errathen, viel weniger geſetzmaͤſſig ſchlieſſen und nur Erfahrung koͤnne uns ein ſolches Geſetz lehren. Dagegen haben wir in der transſcendentalen Logik geſehen: daß, ob wir zwar niemals unmittelbar uͤber den Inhalt des Be- griffs, der uns gegeben iſt, hinausgehen koͤnnen, wir doch voͤllig a priori, aber in Beziehung auf ein drittes, nemlich moͤgliche Erfahrung, alſo doch a priori, das Ge- ſetz der Verknuͤpfung mit andern Dingen erkennen koͤnnen. Wenn alſo vorher feſtgeweſenes Wachs ſchmilzt, ſo kan ich a priori erkennen, daß etwas voraus gegangen ſeyn muͤſſe, (z. B. Sonnenwaͤrme) worauf dieſes nach einem beſtaͤndigen Geſetze gefolgt iſt, ob ich zwar, ohne Erfah- rung, aus der Wirkung weder die Urſache, noch aus der Urſache die Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung beſtimt erkennen koͤnte. Er ſchloß alſo faͤlſch- lich aus der Zufaͤlligkeit unſerer Beſtimmung nach dem Geſetze, auf die Zufaͤlligkeit des Geſetzes ſelbſt und das Herausgehen aus dem Begriffe eines Dinges auf moͤgliche Erfahrung (welche a priori geſchieht und die obiective Realitaͤt deſſelben ausmacht), verwechſelte er mit der Syn- theſis der Gegenſtaͤnde wirklicher Erfahrung, welche frei- lich iederzeit empiriſch iſt; dadurch machte er aber aus einem Princip der Affinitaͤt, welches im Verſtande ſeinen Sitz hat, und nothwendige Verknuͤpfung ausſagt, eine Regel der Aſſociation, die blos in der nachbildenden Ein- bil- [767/0797] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. bildungskraft angetroffen wird, und nur zufaͤllige, gar nicht obiective Verbindungen darſtellen kan. Die ſceptiſche Verirrungen aber dieſes ſonſt aͤuſſerſt ſcharfſinnigen Mannes entſprangen vornemlich aus einem Mangel, den er doch mit allen Dogmatikern gemein hat- te, nemlich, daß er nicht alle Arten der Syntheſis des Ver- ſtandes a priori ſyſtematiſch uͤberſah. Denn da wuͤrde er, ohne der uͤbrigen hier Erwaͤhnung zu thun z. B. den Grundſatz der Beharrlichkeit als einen ſolchen gefunden haben, der eben ſowol, als der der Cauſſalitaͤt, die Er- fahrung anticipirt. Dadurch wuͤrde er auch dem a priori ſich erweiternden Verſtande und der reinen Vernunft be- ſtimte Graͤnzen haben vorzeichnen koͤnnen. Da er aber unſeren Verſtand nur einſchraͤnkt, ohne ihn zu begraͤnzen und zwar ein allgemeines Mißtrauen, aber keine beſtimte Kentniß der uns unvermeidlichen Unwiſſenheit zu Stande bringt, da er einige Grundſaͤtze des Verſtandes unter Cen- ſur bringt, ohne dieſen Verſtand in Anſehung ſeines gan- zen Vermoͤgens auf die Probierwage der Critik zu bringen und, indem er ihm dasienige abſpricht, was er wirklich nicht leiſten kan, weiter geht und ihm alles Vermoͤgen, ſich a priori zu erweitern, ſtreitet, unerachtet er dieſes ganze Vermoͤgen nicht zur Schaͤtzung gezogen, ſo wiederfaͤhrt ihm das, was iederzeit den Scepticism niederſchlaͤgt, nem- lich, daß er ſelbſt bezweifelt wird, indem ſeine Einwuͤrfe nur auf Factis, welche zufaͤllig ſind, nicht aber auf Prin- cipien [768/0798] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. cipien beruhen, die eine nothwendige Entſagung auf das Recht dogmatiſcher Behauptungen bewirken koͤnten. Da er auch zwiſchen den gegruͤndeten Anſpruͤchen des Verſtandes und den dialectiſchen Anmaſſungen der Ver- nunft, wider welche doch hauptſaͤchlich ſeine Angriffe gerich- tet ſind, keinen Unterſchied kent: ſo fuͤhlt die Vernunft, de- ren ganz eigenthuͤmlicher Schwung hiebey nicht im min- deſten geſtoͤhret, ſondern nur gehindert worden, den Raum zu ihrer Ausbreitung nicht verſchloſſen und kan von ihren Verſuchen, unerachtet ſie hie oder da gezwackt wird, niemals gaͤnzlich abgebracht werden. Denn wider An- griffe ruͤſtet man ſich zur Gegenwehr und ſezt noch um deſto ſteifer ſeinen Kopf drauf, um ſeine Foderungen durch- zuſetzen. Ein voͤlliger Ueberſchlag aber ſeines ganzen Ver- moͤgens und die daraus entſpringende Ueberzeugung der Gewißheit eines kleinen Beſitzes, bey der Eitelkeit hoͤhe- rer Anſpruͤche, hebt allen Streit auf und bewegt, ſich in einem eingeſchraͤnkten, aber unſtrittigen Eigenthume fried- fertig zu begnuͤgen. Wider den uncritiſchen Dogmatiker, der die Sphaͤre ſeines Verſtandes nicht gemeſſen, mithin die Graͤnzen ſei- ner moͤglichen Erkentniß nicht nach Principien beſtimt hat, der alſo nicht ſchon zum voraus weis, wie viel er kan, ſon- dern es durch bloſſe Verſuche ausfindig zu machen denkt, ſind dieſe ſceptiſche Angriffe nicht allein gefaͤhrlich, ſon- dern ihm ſo gar verderblich. Denn, wenn er auf einer einzigen Behauptung betroffen wird, die er nicht rechtferti- gen, [769/0799] Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc. gen, deren Schein er aber auch nicht aus Principien ent- wickeln kan, ſo faͤllt der Verdacht auf alle, ſo uͤberredend ſie auch ſonſt immer ſeyn moͤgen. Und ſo iſt der Sceptiker der Zuchtmeiſter des dogma- tiſchen Vernuͤnftlers auf eine geſunde Critik des Verſtandes und der Vernunft ſelbſt. Wenn er dahin gelanget iſt, ſo hat er weiter keine Anfechtung zu fuͤrchten; denn er unter- ſcheidet alsdenn ſeinen Beſitz von dem, was gaͤnzlich auſſer- halb demſelben liegt, worauf er keine Anſpruͤche macht und daruͤber auch nicht in Streitigkeiten verwickelt werden kan. So iſt das ſceptiſche Verfahren zwar an ſich ſelbſt vor die Vernunftfragen nicht befriedigend, aber doch voruͤbend, um ihre Vorſichtigkeit zu erwecken und auf gruͤndliche Mittel zu weiſen, die ſie in ihren rechtmaͤſſigen Beſitzen ſichern koͤnnen. Des erſten Hauptſtuͤcks Dritter Abſchnitt. Die Diſciplin der reinen Vernunft in Anſehung der Hypotheſen. Weil wir denn durch Critik unſerer Vernunft end- lich ſo viel wiſſen: daß wir in ihrem reinen und ſpeculativen Gebrauche in der That gar nichts wiſſen koͤn- nen, ſolte ſie nicht ein deſto weiteres Feld zu Hypotheſen eroͤfnen, da es wenigſtens vergoͤnnet iſt, zu dichten und zu meinen, wenn gleich nicht zu behaupten? Wo C c c [770/0800] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. Wo nicht etwa Einbildungskraft ſchwaͤrmen, ſon- dern, unter der ſtrengen Aufſicht der Vernunft, dichten ſoll, ſo muß immer vorher etwas voͤllig gewiß und nicht erdichtet, oder bloſſe Meinung ſeyn, und das iſt die Moͤg- lichkeit des Gegenſtandes ſelbſt. Alsdenn iſt es wol er- laubt, wegen der Wirklichkeit deſſelben, zur Meinung ſeine Zuflucht zu nehmen, die aber, um nicht grundlos zu ſeyn, mit dem, was wirklich gegeben und folglich ge- wiß iſt, als Erklaͤrungsgrund in Verknuͤpfung gebracht werden muß und alsdenn Hypotheſe heißt. Da wir uns nun von der Moͤglichkeit der dynamiſchen Verknuͤpfung a priori nicht den mindeſten Begriff machen koͤnnen und die Categorie des reinen Verſtandes nicht dazu dient, dergleichen zu erdenken, ſondern nur, wo ſie in der Erfahrung angetroffen wird, zu verſtehen: ſo koͤnnen wir nicht einen einzigen Gegenſtand, nach einer neuen und em- piriſch nicht anzugebenden Beſchaffenheit, dieſen Catego- rien gemaͤß, urſpruͤnglich ausſinnen und ſie einer erlaubten Hypotheſe zum Grunde legen; denn dieſes hieſſe, der Ver- nunft leere Hirngeſpinſte, ſtatt der Begriffe von Sachen, unterzulegen. So iſt es nicht erlaubt, ſich irgend neue urſpruͤngliche Kraͤfte zu erdenken, z. B. einen Verſtand, der vermoͤgend ſey, ſeinen Gegenſtand ohne Sinne anzu- ſchauen, oder eine Anziehungskraft ohne alle Beruͤhrung, oder eine neue Art Subſtanzen, z. B. die ohne Undurchdring- lichkeit im Raume gegenwaͤrtig waͤre, folglich auch keine Gemeinſchaft der Subſtanzen, die von aller derienigen un- ter- [771/0801] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. terſchieden iſt, welche Erfahrung an die Hand giebt: keine Gegenwart anders, als im Raume, keine Dauer, als blos in der Zeit. Mit einem Worte: es iſt unſerer Vernunft nur moͤglich, die Bedingungen moͤglicher Erfahrung, als Bedingungen der Moͤglichkeit der Sachen zu brauchen, kei- nesweges aber, ganz unabhaͤngig von dieſen, ſich ſelbſt welche gleichſam zu ſchaffen, weil dergleichen Begriffe, obzwar ohne Widerſpruch, dennoch auch ohne Gegenſtand ſeyn wuͤrden. Die Vernunftbegriffe ſind, wie geſagt, bloſſe Ideen und haben freilich keinen Gegenſtand in irgend einer Er- fahrung, aber bezeichnen darum doch nicht gedichtete und zugleich dabey vor moͤglich angenommene Gegenſtaͤnde. Sie ſind blos problematiſch gedacht, um, in Beziehung auf ſie, (als hevriſtiſche Fictionen) regulative Principien des ſyſtematiſchen Verſtandesgebrauchs im Felde der Erfah- rung zu gruͤnden. Geht man davon ab, ſo ſind es bloſſe Gedankendinge, deren Moͤglichkeit nicht erweislich iſt, und die daher auch nicht der Erklaͤrung wirklicher Erſcheinun- gen durch eine Hypotheſe zum Grunde gelegt werden koͤn- nen. Die Seele ſich als einfach denken, iſt ganz wol er- laubt, um, nach dieſer Idee, eine vollſtaͤndige und noth- wendige Einheit aller Gemuͤthskraͤfte, ob man ſie gleich nicht in concreto einſehen kan, zum Princip unſerer Beur- theilung ihrer inneren Erſcheinungen zu legen. Aber die Seele als einfache Subſtanz anzunehmen, (ein transſcen- denter Begriff) waͤre ein Satz, der nicht allein unerweis- lich C c c 2 [772/0802] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. lich, (wie es mehrere phyſiſche Hypotheſen ſind) ſondern auch ganz willkuͤrlich und blindlings gewagt ſeyn wuͤrde, weil das Einfache in ganz und gar keiner Erfahrung vor- kommen kan und, wenn man unter Subſtanz hier das be- harrliche Obiect der ſinnlichen Anſchauung verſteht, die Moͤglichkeit einer einfachen Erſcheinung gar nicht einzu- ſehen iſt. Blos intelligibele Weſen, oder blos intelligibele Eigenſchaften der Dinge der Sinnenwelt, laſſen ſich mit keiner gegruͤndeten Befugniß der Vernunft als Meinung annehmen, obzwar (weil man von ihrer Moͤglichkeit oder Unmoͤglichkeit keine Begriffe hat) auch, durch keine ver- meinte beſſere Einſicht, dogmatiſch ableugnen. Zur Erklaͤrung gegebener Erſcheinungen koͤnnen keine andere Dinge und Erklaͤrungsgruͤnde, als die, ſo nach ſchon bekanten Geſetzen der Erſcheinungen, mit den gege- benen in Verknuͤpfung geſezt worden, angefuͤhrt werden. Eine transſcendentale Hypotheſe, bey der eine bloſſe Idee der Vernunft zur Erklaͤrung der Naturdinge gebraucht wuͤrde, wuͤrde daher gar keine Erklaͤrung ſeyn, indem das, was man aus bekanten empiriſchen Principien nicht hinreichend verſteht, durch etwas erklaͤrt werden wuͤrde, davon man gar nichts verſteht. Auch wuͤrde das Princip einer ſolchen Hypotheſe eigentlich nur zur Befriedigung der Vernunft und nicht zur Befoͤrderung des Verſtandesge- brauchs in Anſehung der Gegenſtaͤnde dienen. Ordnung und Zweckmaͤſſigkeit in der Natur muß wiederum aus Na- turgruͤnden und nach Naturgeſetzen erklaͤrt werden und hier [773/0803] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. hier ſind ſelbſt die wildeſten Hypotheſen, wenn ſie nur phyſiſch ſind, ertraͤglicher, als eine hyperphyſiſche, d. i. die Berufung auf einen goͤttlichen Urheber, den man zu dieſem Behuf vorausſezt. Denn das waͤre ein Princip der faulen Vernunft, (ignaua ratio) alle Urſachen, deren obiective Realitaͤt, wenigſtens der Moͤglichkeit nach, man noch durch fortgeſezte Erfahrung kan kennen lernen, auf einmal vorbey zu gehen, um ſich in einer bloſſen Idee, die der Vernunft ſehr bequem iſt, zu ruhen. Was aber die abſolute Totalitaͤt des Erklaͤrungsgrundes in der Reihe der- ſelben betrift, ſo kan das keine Hinderniß in Anſehung der Weltobiecte machen, weil, da dieſe nichts als Erſchei- nungen ſind, an ihnen niemals etwas Vollendetes in der Syntheſis der Reihen von Bedingungen gehoffet werden kan. Transſcendentale Hypotheſen des ſpeculativen Ge- brauchs der Vernunft und eine Freiheit, zu Erſetzung des Mangels an phyſiſchen Erklaͤrungsgruͤnden, ſich allenfals hyperphyſiſcher zu bedienen, kan gar nicht geſtattet wer- den, theils, weil die Vernunft dadurch gar nicht weiter gebracht wird, ſondern vielmehr den ganzen Fortgang ih- res Gebrauchs abſchneidet, theils weil dieſe Licenz ſie zulezt um alle Fruͤchte der Bearbeitung ihres eigenthuͤmlichen Bodens, nemlich der Erfahrung bringen muͤßte. Denn, wenn uns die Naturerklaͤrung hie oder da ſchwer wird, ſo haben wir beſtaͤndig einen transſcendenten Erklaͤrungs- grund bey der Hand, der uns iener Unterſuchung uͤberhebt, und C c c 3 [774/0804] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. und unſere Nachforſchung ſchließt nicht durch Einſicht, ſon- dern durch gaͤnzliche Unbegreiflichkeit eines Princips, wel- ches ſo ſchon zum voraus ausgedacht war, daß es den Be- griff des Abſoluterſten enthalten mußte. Das zweite erfoderliche Stuͤck zur Annehmungswuͤr- digkeit einer Hypotheſe iſt die Zulaͤnglichkeit derſelben, um daraus a priori die Folgen, welche gegeben ſind, zu be- ſtimmen. Wenn man zu dieſem Zwecke huͤlfleiſtende Hypo- theſen herbey zu rufen genoͤthigt iſt, ſo geben ſie den Ver- dacht einer bloſſen Erdichtung, weil iede derſelben an ſich dieſelbe Rechtfertigung bedarf, welche der zum Grunde gelegte Gedanke noͤthig hatte und daher keinen tuͤchtigen Zeugen abgeben kan. Wenn, unter Vorausſetzung einer unbeſchraͤnktvollkommenen Urſache, zwar an Erklaͤrungs- gruͤnden aller Zweckmaͤſſigkeit, Ordnung und Groͤſſe, die ſich in der Welt finden, kein Mangel iſt, ſo bedarf iene doch, bey denen, wenigſtens nach unſeren Begriffen, ſich zeigenden Abweichungen und Uebeln, noch neuer Hypothe- ſen, um gegen dieſe, als Einwuͤrfe, gerettet zu werden. Wenn die einfache Selbſtſtaͤndigkeit der menſchlichen Seele, die zum Grunde ihrer Erſcheinungen gelegt worden, durch die Schwierigkeiten ihrer, den Abaͤnderungen einer Ma- terie (dem Wachsthum und Abnahme) aͤhnlichen Phaͤno- mene angefochten wird, ſo muͤſſen neue Hypotheſen zu Huͤlfe gerufen werden, die zwar nicht ohne Schein, aber doch ohne alle Beglaubigung ſind, auſſer derienigen, wel- che [775/0805] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. che ihnen die zum Hauptgrunde angenommene Meinung giebt, der ſie gleichwol das Wort reden ſollen. Wenn die hier zum Beiſpiele angefuͤhrte Vernunft- behauptungen (unkoͤrperliche Einheit der Seele und Da- ſeyn eines hoͤchſten Weſens) nicht als Hypotheſen, ſondern a priori bewieſene Dogmate gelten ſollen, ſo iſt alsdenn von ihnen gar nicht die Rede. In ſolchem Falle aber ſehe man ſich ia vor: daß der Beweis die apodictiſche Ge- wißheit einer Demonſtration habe. Denn die Wirklichkeit ſolcher Ideen blos wahrſcheinlich machen zu wollen, iſt ein ungereimter Vorſatz, eben ſo, als wenn man einen Satz der Geometrie blos wahrſcheinlich zu beweiſen gedaͤchte. Die von aller Erfahrung abgeſonderte Vernunft kan alles nur a priori und als nothwendig oder gar nicht erkennen; daher iſt ihr Urtheil niemals Meinung, ſondern entweder Enthaltung von allem Urtheile, oder apodictiſche Gewiß- heit. Meinungen und wahrſcheinliche Urtheile von dem, was Dingen zukomt, koͤnnen nur als Erklaͤrungsgruͤnde deſſen, was wirklich gegeben iſt, oder Folgen nach empi- riſchen Geſetzen von dem, was als wirklich zum Grunde liegt, mithin nur in der Reihe der Gegenſtaͤnde der Er- fahrung vorkommen. Auſſer dieſem Felde iſt Meinen ſo viel, als mit Gedanken ſpielen, es muͤßte denn ſeyn, daß man von einem unſicheren Wege des Urtheils blos die Meinung haͤtte, vielleicht auf ihm die Wahrheit zu finden. Ob C c c 4 [776/0806] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. Ob aber gleich bey blos ſpeculativen Fragen der reinen Vernunft keine Hypotheſen ſtatt finden, um Saͤtze darauf zu gruͤnden, ſo ſind ſie dennoch ganz zulaͤſſig, um ſie allenfals nur zu vertheidigen, d. i. zwar nicht im dog- matiſchen, aber doch im polemiſchen Gebrauche. Ich ver- ſtehe aber unter Vertheidigung nicht die Vermehrung der Beweisgruͤnde ſeiner Behauptung, ſondern die bloſſe Ver- eitelung der Scheineinſichten des Gegners, welche unſerem behaupteten Satze Abbruch thun ſollen. Nun haben aber alle ſynthetiſche Saͤtze aus reiner Vernunft das Eigen- thuͤmliche an ſich: daß, wenn der, welcher die Realitaͤt gewiſſer Ideen behauptet, gleich niemals ſo viel weis, um dieſen ſeinen Satz gewiß zu machen, auf der andern Seite der Gegner eben ſo wenig wiſſen kan, um das Widerſpiel zu behaupten. Dieſe Gleichheit des Looſes der menſchli- chen Vernunft, beguͤnſtigt nun zwar im ſpeculativen Er- kentniſſe keinen von beiden und da iſt auch der rechte Kampf- platz nimmer beizulegender Fehden. Es wird ſich aber in der Folge zeigen, daß doch, in Anſehung des practiſchen Gebrauchs, die Vernunft ein Recht habe, etwas anzu- nehmen, was ſie auf keine Weiſe im Felde der bloſſen Speculation, ohne hinreichende Beweisgruͤnde, voraus- zuſetzen befugt waͤre; weil alle ſolche Vorausſetzungen der Vollkommenheit der Speculation Abbruch thun, um welche ſich aber das practiſche Intereſſe gar nicht bekuͤmmert. Dort iſt ſie alſo im Beſitze, deſſen Rechtmaͤſſigkeit ſie nicht beweiſen darf, und wovon ſie in der That den Beweis auch nicht [777/0807] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. nicht fuͤhren koͤnte. Der Gegner ſoll alſo beweiſen. Da dieſer aber eben ſo wenig etwas von dem bezweifelten Ge- genſtande weis, um deſſen Nichtſeyn darzuthun, als der erſtere, der deſſen Wirklichkeit behauptet: ſo zeigt ſich hier ein Vortheil auf der Seite desienigen, der etwas als practiſchnothwendige Vorausſetzung behauptet (melior eſt conditio poſſidentis). Es ſteht ihm nemlich frey, ſich gleichſam aus Nothwehr eben derſelben Mittel vor ſeine gute Sache, als der Gegner wider dieſelbe, d. i. der Hy- potheſen zu bedienen, die gar nicht dazu dienen ſollen, um den Beweis derſelben zu verſtaͤrken, ſondern nur zu zei- gen, daß der Gegner viel zu wenig von dem Gegenſtande des Streits verſtehe, als daß er ſich eines Vortheils der ſpeculativen Einſicht in Anſehung unſerer ſchmeicheln koͤnne. Hypotheſen ſind alſo im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen erlaubt, nicht um darauf ein Recht zu gruͤnden, ſondern nur es zu vertheidigen. Den Geg- ner aber muͤſſen wir hier iederzeit in uns ſelbſt ſuchen. Denn ſpeculative Vernunft in ihrem transſcendentalen Gebrauche iſt an ſich dialectiſch. Die Einwuͤrfe, die zu fuͤrchten ſeyn moͤchten, liegen in uns ſelbſt. Wir muͤſſen ſie, gleich alten, aber niemals veriaͤhrenden Anſpruͤchen, her- vorſuchen, um einen ewigen Frieden auf deren Vernichti- gung zu gruͤnden. Aeuſſere Ruhe iſt nur ſcheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menſchen- vernunft liegt, muß ausgerottet werden; wie koͤnnen wir ihn C c c 5 [778/0808] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia ſelbſt Nahrung geben, Kraut auszuſchieſſen, um ſich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen. Sinnet demnach ſelbſt auf Einwuͤrfe, auf die noch kein Geg- ner gefallen iſt und leihet ihm ſo gar Waffen, oder raͤumt ihm den guͤnſtigſten Platz ein, den er ſich nur wuͤn- ſchen kan. Es iſt hiebey gar nichts zu fuͤrchten, wol aber zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie- mals mehr anzufechtenden Beſitz verſchaffen werdet. Zu eurer vollſtaͤndigen Ruͤſtung gehoͤren nun auch die Hypotheſen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur bleierne Waffen, (weil ſie durch kein Erfahrungsgeſetz ge- ſtaͤhlt ſind), dennoch immer ſo viel vermoͤgen, als die, deren ſich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag. Wenn euch alſo, wider die (in irgend einer anderen nicht ſpeculativen Ruͤckſicht) angenommene immaterielle und kei- ner koͤrperlichen Umwandlung unterworfene Natur der Seele, die Schwierigkeit aufſtoͤßt: daß gleichwol die Erfah- rung ſo wol die Erhebung, als Zerruͤttung unſerer Geiſtes- kraͤfte blos als verſchiedene Modification unſerer Organen zu beweiſen ſcheine, ſo koͤnt ihr die Kraft dieſes Beweiſes dadurch ſchwaͤchen: daß ihr annehmt, unſer Koͤrper ſey nichts, als die Fundamentalerſcheinung, worauf, als Be- dingung, ſich in dem ietzigen Zuſtande (im Leben) das ganze Vermoͤgen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken bezieht. Die Trennung vom Coͤrper ſey das Ende dieſes ſinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang des [779/0809] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. des intellectuellen. Der Coͤrper waͤre alſo nicht die Urſa- che des Denkens, fondern eine blos reſtringirende Bedin- gung deſſelben, mithin zwar als Befoͤrderung des ſinnli- chen und animaliſchen, aber deſto mehr auch als Hin- derniß des reinen und ſpirituellen Lebens anzuſehen, und die Abhaͤngigkeit des erſteren von der koͤrperlichen Be- ſchaffenheit bewieſe nichts vor die Abhaͤngigkeit des gan- zen Lebens, von dem Zuſtande unſerer Organen. Ihr koͤnt aber noch weiter gehen und wol gar neue, entwe- der nicht aufgeworfene, oder nicht weit genug getriebene Zweifel ausfindig machen. Die Zufaͤlligkeit der Zeugungen, die bey Menſchen, ſo wie beim vernunftloſen Geſchoͤpfe, von der Gelegenheit, uͤberdem aber auch oft vom Unterhalte, von der Regierung, deren Launen und Einfaͤllen, oft ſo gar vom Laſter abhaͤngt, macht eine groſſe Schwierigkeit wider die Meinung, der auf Ewigkeiten ſich erſtreckenden Fortdauer eines Geſchoͤpfs, deſſen Leben unter ſo unerheblichen und unſerer Freiheit ſo ganz und gar uͤberlaſſenen Umſtaͤnden zuerſt angefangen hat. Was die Fortdauer der ganzen Gattung (hier auf Erden) betrift, ſo hat dieſe Schwierigkeit in Anſehung der- ſelben wenig auf ſich, weil der Zufall im Einzelnen nichts deſto weniger einer Regel im Ganzen unterworfen iſt; aber in Anſehung eines ieden Individuum eine ſo maͤchtige Wir- kung von ſo geringſuͤgigen Urſachen zu erwarten, ſcheint allerdings bedenklich. Hiewider koͤnt ihr aber eine transſcen- dentale Hypotheſe aufbieten: daß alles Leben eigentlich nur intelli- [780/0810] Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch. intelligibel ſey, den Zeitveraͤnderungen gar nicht unter- worfen und weder durch Geburt angefangen habe, noch durch den Tod geendigt werde. Daß dieſes Leben nichts als eine bloſſe Erſcheinung, d. i. eine ſinnliche Vorſtellung von dem reinen geiſtigen Leben und die ganze Sinnenwelt ein bloſſes Bild ſey, welches unſerer iezigen Erkentnißart vor- ſchwebt und, wie ein Traum, an ſich keine obiective Rea- litaͤt habe: daß, wenn wir die Sachen und uns ſelbſt an- ſchauen ſollen, wie ſie ſind, wir uns in einer Welt geiſti- ger Naturen ſehen wuͤrden, mit welcher unſere einzig- wahre Gemeinſchaft weder durch Geburt angefangen habe, noch durch den Leibestod (als bloſſe Erſcheinungen) auf- hoͤren werde, u. ſ. w. Ob wir nun gleich von allem dieſem, was wir hier wider den Angriff hypothetiſch vorſchuͤtzen, nicht das Min- deſte wiſſen, noch im Ernſte behaupten, ſondern alles nicht einmal Vernunftidee, ſondern blos zur Gegenwehr aus- gedachter Begriff iſt, ſo verfahren wir doch hiebey ganz vernunftmaͤſſig, indem wir dem Gegner, welcher alle Moͤg- lichkeit erſchoͤpft zu haben meint, indem er den Mangel ihrer empiriſchen Bedingungen vor einen Beweis der gaͤnzlichen Unmoͤglichkeit, des von uns Geglaubten, faͤlſch- lich ausgiebt, nur zeigen: daß er eben ſo wenig durch bloſ- ſe Erfahrungsgeſetze das ganze Feld moͤglicher Dinge an ſich ſelbſt umſpannen, als wir auſſerhalb der Erfahrung vor unſere Vernunft irgend etwas auf gegruͤndete Art er- werben koͤnnen. Der ſolche hypothetiſche Gegenmittel wi- der [781/0811] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Hypotheſen. der die Anmaſſungen des dreuſtverneinenden Gegners vorkehrt, muß nicht davor gehalten werden, als wolle er ſie ſich als ſeine wahre Meinungen eigen machen. Er ver- laͤßt ſie, ſobald er den dogmatiſchen Eigenduͤnkel des Geg- ners abgefertigt hat. Denn ſo beſcheiden und gemaͤſſigt es auch anzuſehen iſt, wenn iemand ſich in Anſehung frem- der Behauptungen blos weigernd und verneinend verhaͤlt, ſo iſt doch iederzeit, ſobald er dieſe ſeine Einwuͤrfe als Be- weiſe des Gegentheils geltend machen will, der Anſpruch nicht weniger ſtolz und eingebildet, als ob er die beiahende Parthey und deren Behauptung ergriffen haͤtte. Man ſiehet alſo hieraus: daß im ſpeculativen Ge- brauche der Vernunft Hypotheſen keine Guͤltigkeit, als Meinungen an ſich ſelbſt, ſondern nur relativ auf entge- gengeſezte transſcendente Anmaſſungen haben. Denn die Ausdehnung der Principien moͤglicher Erfahrung auf die Moͤglichkeit der Dinge uͤberhaupt iſt eben ſo wol trans- ſcendent, als die Behauptung der obiectiven Realitaͤt ſol- cher Begriffe, welche ihre Gegenſtaͤnde nirgend, als auſ- ſerhalb der Graͤnze aller moͤglichen Erfahrung finden koͤn- nen. Was reine Vernunft aſſertoriſch urtheilt, muß (wie alles, was Vernunft erkent) nothwendig ſeyn, oder es iſt gar nichts. Demnach enthaͤlt ſie in der That gar keine Meinungen. Die gedachte Hypotheſen aber ſind nur pro- blematiſche Urtheile, die wenigſtens nicht widerlegt, ob- gleich freilich durch nichts bewieſen werden koͤnnen, und ſind [782/0812] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. ſind alſo keine Privatmeinungen, koͤnnen aber doch nicht fuͤglich (ſelbſt zur inneren Beruhigung) gegen ſich regende Scrupel entbehrt werden. In dieſer Qualitaͤt aber muß man ſie erhalten und ia ſorgfaͤltig verhuͤten, daß ſie nicht, gleich als an ſich ſelbſt beglaubigt und von einiger abſo- luten Guͤltigkeit, auftreten und die Vernunft unter Er- dichtungen und Blendwerken erſaͤufen. Des erſten Hauptſtuͤcks Vierter Abſchnitt. Die Diſciplin der reinen Vernunft in Anſehung ihrer Beweiſe. Die Beweiſe transſcendentaler und ſynthetiſcher Saͤtze haben das Eigenthuͤmliche, unter allen Beweiſen einer ſynthetiſchen Erkentniß a priori an ſich; daß die Vernunft bey ienen vermittelſt ſeiner Begriffe ſich nicht geradezu an den Gegenſtand wenden darf, ſondern zuvor die obiective Guͤltigkeit der Begriffe und die Moͤglichkeit der Syntheſis derſelben a priori darthun muß. Die- ſes iſt nicht etwa blos eine noͤthige Regel der Behutſam- keit, ſondern betrift das Weſen und die Moͤglichkeit der Beweiſe ſelbſt. Wenn ich uͤber den Begriff von einem Gegenſtande a priori hinausgehen ſoll, ſo iſt dieſes, ohne einen beſonderen und auſſerhalb dieſem Begriffe befindli- chen Leitfaden, unmoͤglich. In der Mathematik iſt es die Anſchauung a priori, die meine Syntheſis leitet und da koͤnnen alle Schluͤſſe unmittelbar an der reinen Anſchau- ung [783/0813] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen. ung gefuͤhrt werden. Im transſcendentalen Erkentniß, ſo lange es blos mit Begriffen des Verſtandes zu thun hat, iſt dieſe Richtſchnur die moͤgliche Erfahrung. Der Beweis zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von dem, was geſchieht) geradezu auf einen anderen Begriff (dem einer Urſache) fuͤhre; denn dergleichen Uebergang waͤre ein Sprung, der ſich gar nicht verantworten lieſſe, ſondern er zeigt: daß die Erfahrung ſelbſt, mithin das Obiect der Erfahrung, ohne eine ſolche Verknuͤpfung un- moͤglich waͤre. Alſo mußte der Beweis zugleich die Moͤg- lichkeit anzeigen, ſynthetiſch und a priori zu einer gewiſ- ſen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Be- griffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne dieſe Auf- merkſamkeit laufen die Beweiſe wie Waſſer, welche ihre Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der Hang der verborgenen Aſſociation ſie zufaͤlliger Weiſe her- leitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf ſub- iectiven Urſachen der Aſſociation beruht und vor die Ein- ſicht einer natuͤrlichen Affinitaͤt gehalten wird, kan der Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die ſich billiger maaſſen uͤber dergleichen gewagte Schritte einfinden muß. Daher ſind auch alle Verſuche, den Satz des zureichenden Grundes zu beweiſen, nach dem allgemeinen Geſtaͤndniſſe der Kenner, vergeblich geweſen und, ehe die transſcen- dentale Critik auftrat, hat man lieber, da man dieſen Grundſatz doch nicht verlaſſen konte, ſich trotzig auf den geſunden Menſchenverſtand berufen, (eine Zuſlucht, die ieder- [784/0814] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. iederzeit beweiſet, daß die Sache der Vernunft verzweifelt iſt), als neue dogmatiſche Beweiſe verſuchen wollen. Iſt aber der Satz, uͤber den ein Beweis gefuͤhrt werden ſoll, eine Behauptung der reinen Vernunft und will ich ſo gar vermittelſt bloſſer Ideen uͤber meine Erfah- rungsbegriffe hinausgehen, ſo muͤßte derſelbe noch viel- mehr die Rechtfertigung eines ſolchen Schrittes der Syn- theſis (wenn er anders moͤglich waͤre) als eine nothwen- dige Bedingung ſeiner Beweiskraft in ſich enthalten. So ſcheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfa- chen Natur unſerer denkenden Subſtanz aus der Einheit der Apperception ſeyn mag, ſo ſteht ihm doch die Bedenk- lichkeit unabweislich entgegen: daß, da die abſolute Ein- fachheit doch kein Begriff iſt, der unmittelbar auf eine Wahrnehmung bezogen werden kan, ſondern als Idee blos geſchloſſen werden muß, gar nicht einzuſehen iſt, wie mich das bloſſe Bewuſtſeyn, welches in allem Denken ent- halten iſt, oder wenigſtens ſeyn kan, ob es zwar ſo fern eine einfache Vorſtellung iſt, zu dem Bewuſtſeyn und der Kentniß eines Dinges uͤberfuͤhren ſolle, in welchem das Denken allein enthalten ſeyn kan. Denn, wenn ich mir die Kraft meines Koͤrpers in Bewegung vorſtelle, ſo iſt er ſo fern vor mich abſolute Einheit und meine Vorſtellung von ihm iſt einfach, daher kan ich dieſe auch durch die Bewegung eines Puncts ausdruͤcken, weil ſein Volumen hiebey nichts thut und, ohne Verminderung der Kraft, ſo klein, wie man will, und alſo auch als in einem Punct befind- [785/0815] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen. befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber doch nicht ſchlieſſen: daß, wenn mir nichts, wie die be- wegende Kraft eines Coͤrpers, gegeben iſt, der Coͤrper als einfache Subſtanz gedacht werden koͤnne, darum, weil ſeine Vorſtellung von aller Groͤſſe des Raumesinhalts ab- ſtrahirt und alſo einfach iſt. Hiedurch nun, daß das Einfache in der Abſtraction vom Einfachen im Obiect ganz unterſchieden iſt und daß das Ich, welches im erſteren Verſtande gar keine Mannigfaltigkeit in ſich faßt, im zwei- ten, da es die Seele ſelbſt bedeutet, ein ſehr complexer Be- griff ſeyn kan, nemlich ſehr vieles unter ſich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein, um dieſen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine ſolche vor- laͤufige Vermuthung, wuͤrde man gar keinen Verdacht ge- gen den Beweis faſſen) iſt durchaus noͤthig, ein immer- waͤhrendes Criterium der Moͤglichkeit ſolcher ſynthetiſchen Saͤtze, die mehr beweiſen ſollen, als Erfahrung geben kan, bey Hand zu haben, welches darin beſteht: daß der Be- weis nicht geradezu auf das verlangte Praͤdicat, ſondern nur vermittelſt eines Princips der Moͤglichkeit, unſeren ge- gebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und dieſe zu realiſiren, gefuͤhrt werde. Wenn dieſe Behut- ſamkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Be- weis noch verſucht wird, zuvor weislich bey ſich zu Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wol eine ſolche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten koͤnne und woher man, in dergleichen Falle, dieſe Einſich- ten, D d d [786/0816] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. ten, die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in Beziehung auf moͤgliche Erfahrung anticipirt werden koͤn- nen, denn hernehmen wolle: ſo kan man ſich viel ſchwere und dennoch fruchtloſe Bemuͤhungen erſparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar uͤber ihr Ver- moͤgen geht, oder vielmehr ſie, die, bey Anwandlungen ihrer ſpeculativen Erweiterungsſucht, ſich nicht gerne ein- ſchraͤnken laͤßt, der Diſciplin der Enthaltſamkeit un- terwirft. Die erſte Regel iſt alſo dieſe: keine transſcendentale Beweiſe zu verſuchen, ohne zuvor uͤberlegt und ſich des- fals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundſaͤtze nehmen wolle, auf welche man ſie zu errichten gedenkt und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der Schluͤſſe erwarten koͤnne. Sind es Grundſaͤtze des Ver- ſtandes (z. B. der Cauſſalitaͤt), ſo iſt es umſonſt, vermit- telſt ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn iene gelten nur vor Gegenſtaͤnde moͤglicher Erfahrung. Sollen es Grundſaͤtze aus reiner Vernunft ſeyn, ſo iſt wiederum alle Muͤhe umſonſt. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als obiective Grundſaͤtze ſind ſie insge- ſamt dialectiſch und koͤnnen allenfals nur wie regulative Principien des ſyſtematiſchzuſammenhangenden Erfahrungs- gebrauchs guͤltig ſeyn. Sind aber dergleichen angebliche Beweiſe ſchon vorhanden: ſo ſetzet der truͤglichen Ueber- zeugung das non liquet eurer gereiften Urtheilskraft ent- gegen [787/0817] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen. gegen und, ob ihr gleich das Blendwerk derſelben noch nicht durchdringen koͤnt, ſo habt ihr doch voͤlliges Recht, die Deduction der darin gebrauchten Grundſaͤtze zu verlan- gen, welche, wenn ſie aus bloſſer Vernunft entſprungen ſeyn ſollen, euch niemals geſchaffet werden kan. Und ſo habt ihr nicht einmal noͤthig, euch mit der Entwickelung und Widerlegung eines ieden grundloſen Scheins zu be- faſſen, ſondern koͤnt alle an Kunſtgriffen unerſchoͤpfliche Dialectik am Gerichtshofe einer critiſchen Vernunft, welche Geſetze verlangt, in ganzen Haufen auf einmal abweiſen. Die zweite Eigenthuͤmlichkeit transſcendentaler Be- weiſe iſt dieſe: daß zu iedem transſcendentalen Satze nur ein einziger Beweis gefunden werden koͤnne. Soll ich nicht aus Begriffen, ſondern aus der Anſchauung, die einem Begriffe correſpondirt, es ſey nun eine reine Anſchau- ung, wie in der Mathematik, oder empiriſche, wie in der Naturwiſſenſchaft, ſchlieſſen: ſo giebt mir die zum Grunde gelegte Anſchauung mannigfaltigen Stoff zu ſyn- thetiſchen Saͤtzen, welchen ich auf mehr wie eine Art ver- knuͤpfen und, indem ich von mehr wie einem Puncte aus- gehen darf, durch verſchiedene Wege zu demſelben Satze gelangen kan. Nun geht aber ein ieder transſcendentaler Satz blos von einem Begriffe aus und ſagt die ſynthetiſche Bedin- gung der Moͤglichkeit des Gegenſtandes nach dieſem Be- griffe. Der Beweisgrund kan alſo nur ein einziger ſeyn, weil auſſer dieſem Begriffe nichts weiter iſt, wodurch der Ge- D d d 2 [788/0818] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. Gegenſtand beſtimt werden koͤnte, der Beweis alſo nichts weiter, als die Beſtimmung eines Gegenſtandes uͤberhaupt nach dieſem Begriffe, der auch nur ein einziger iſt, enthalten kan. Wir hatten z. B. in der transſcendentalen Analytik den Grundſatz: alles was geſchieht, hat eine Urſache, aus der einzigen Bedingung der obiectiven Moͤglichkeit eines Begriffs, von dem, was uͤberhaupt geſchieht, gezogen: daß die Beſtimmung einer Begebenheit in der Zeit, mit- hin dieſe (Begebenheit) als zur Erfahrung gehoͤrig, ohne unter einer ſolchen dynamiſchen Regel zu ſtehen, unmoͤg- lich waͤre. Dieſes iſt nun auch der einzigmoͤgliche Beweis- grund; denn dadurch nur, daß dem Begriffe vermittelſt des Geſetzes der Cauſſalitaͤt ein Gegenſtand beſtimt wird, hat die vorgeſtellte Begebenheit obiective Guͤltigkeit, d. i. Wahrheit. Man hat zwar noch andere Beweiſe von die- ſem Grundſatze z. B. aus der Zufaͤlligkeit verſucht; allein, wenn dieſer beim Lichten betrachtet wird, ſo kan man kein Kennzeichen der Zufaͤlligkeit auffinden, als das geſchehen, d. i. das Daſeyn, vor welchem ein Nichtſeyn des Gegen- ſtandes vorher geht und komt alſo immer wiederum auf den nemlichen Beweisgrund zuruͤck. Wenn der Satz be- wieſen werden ſoll: alles, was denkt, iſt einfach, ſo haͤlt man ſich nicht bey dem Mannigfaltigen des Denkens auf, ſondern beharret blos bey dem Begriffe des Ich, welcher einfach iſt und worauf alles Denken bezogen wird. Eben ſo iſt es mit dem transſcendentalen Beweiſe vom Daſeyn Gottes bewandt, welcher lediglich auf der Reciprocabili- taͤt [789/0819] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen. taͤt der Begriffe vom realeſten und nothwendigen Weſen beruht und nirgend anders geſucht werden kan. Durch dieſe warnende Anmerkung wird die Critik der Vernunftbehauptungen ſehr ins kleine gebracht. Wo Vernunft ihr Geſchaͤfte durch bloſſe Begriffe treibt, da iſt nur ein einziger Beweis moͤglich, wo uͤberall nur irgend einer moͤglich iſt. Daher, wenn man ſchon den Dogma- tiker mit zehn Beweiſen auftreten ſieht, da kan man ſicher glauben, daß er gar keinen habe. Denn haͤtte er einen, der (wie es in Sachen der reinen Vernunft ſeyn muß) apodictiſch bewieſe, wozu beduͤrfte er der uͤbrigen. Seine Abſicht iſt nur, wie die von ienem Parlementsadvocaten: das eine Argument iſt vor dieſen, das andere vor ienen, nemlich, um ſich die Schwaͤche ſeiner Richter zu Nutze zu machen, die, ohne ſich tief einzulaſſen und, um von dem Geſchaͤfte bald loszukommen, das Erſtebeſte, was ihnen eben auffaͤlt, ergreifen und darnach entſcheiden. Die dritte eigenthuͤmliche Regel der reinen Vernunft, wenn ſie in Anſehung transſcendentaler Beweiſe einer Diſ- ciplin unterworfen wird, iſt: daß ihre Beweiſe niemals apogogiſch, ſondern iederzeit oftenſiv ſeyn muͤſſen. Der directe oder oſtenſive Beweis iſt in aller Art der Erkent- niß derienige, welcher mit der Ueberzeugung von der Wahr- heit, zugleich Einſicht in die Quellen derſelben verbindet, der apogogiſche dagegen kan zwar Gewißheit, aber nicht Begreiflichkeit der Wahrheit in Anſehung des Zuſammen- hanges mit den Gruͤnden ihrer Moͤglichkeit hervorbringen. Daher D d d 3 [790/0820] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. Daher ſind die leztere mehr eine Nothhuͤlfe, als ein Ver- fahren, welches allen Abſichten der Vernunft ein Gnuͤge thut. Doch haben dieſe einen Vorzug der Evidenz vor den directen Beweiſen, darin: daß der Widerſpruch alle- mal mehr Klarheit in der Vorſtellung bey ſich fuͤhrt, als die beſte Verknuͤpfung und ſich dadurch dem anſchaulichen einer Demonſtration mehr naͤhert. Die eigentliche Urſache des Gebrauchs apogogiſcher Beweiſe in verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt wol dieſe. Wenn die Gruͤnde von denen eine gewiſſe Erkentniß abgeleitet werden ſoll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen: ſo verſucht man, ob ſie nicht durch die Folgen zu erreichen ſey. Nun waͤre der modus ponens, auf die Wahrheit einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu ſchlieſ- ſen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle moͤgliche Folgen daraus wahr ſind; denn alsdenn iſt zu dieſem nur ein ein- ziger Grund moͤglich, der alſo auch der wahre iſt. Die- ſes Verfahren aber iſt unthunlich, weil es uͤber unſere Kraͤfte geht, alle moͤgliche Folgen von irgend einem ange- nommenen Satze einzuſehen; doch bedient man ſich dieſer Art zu ſchlieſſen, obzwar freilich mit einer gewiſſen Nach- ſicht, wenn es darum zu thun iſt, um etwas blos als Hypotheſe zu beweiſen, indem man den Schluß nach der Analogie einraͤumt: daß, wenn ſo viele Folgen, als man nur immer verſucht hat, mit einem angenommenen Grun- de wol zuſammenſtimmen, alle uͤbrige moͤgliche auch dar- auf einſtimmen werden. Um deswillen kan durch dieſen Weg [791/0821] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen. Weg niemals eine Hypotheſe in demonſtrirte Wahrheit ver- wandelt werden. Der modus tollens der Vernunftſchluͤſſe, die von den Folgen auf die Gruͤnde ſchlieſſen, beweiſet nicht allein ganz ſtrenge, ſondern auch uͤberaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falſche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, ſo iſt dieſer Satz falſch. An- ſtatt nun die ganze Reihe der Gruͤnde in einem oſtenſiven Beweiſe durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Er- kentniß, vermittelſt der vollſtaͤndigen Einſicht in ihre Moͤg- lichkeit, fuͤhren kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derſelben flieſſende Folgen eine einzige falſch finden, ſo iſt dieſes Gegentheil auch falſch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweiſen hatte, wahr. Die apogogiſche Beweisart kan aber nur in denen Wiſſenſchaften erlaubt ſeyn, wo es unmoͤglich iſt, das Subiective unſerer Vorſtellungen dem Obiectiven, nem- lich der Erkentniß desienigen, was am Gegenſtande iſt, zu unterſchieben. Wo dieſes leztere aber herrſchend iſt, da muß es ſich haͤufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewiſſen Satzes entweder blos den ſubiectiven Bedingun- gen des Denkens widerſpricht, aber nicht dem Gegenſtande, oder daß beide Saͤtze nur unter einer ſubiectiven Bedin- gung, die, faͤlſchlich vor obiectiv gehalten, einander wider- ſprechen und da die Bedingung falſch iſt, alle beide falſch ſeyn koͤnnen, ohne daß von der Falſchheit des einen auf die Wahrheit des andern geſchloſſen werden kan. In D d d 4 [792/0822] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. In der Mathematik iſt dieſe Subreption unmoͤglich; daher haben ſie daſelbſt auch ihren eigentlichen Platz. In der Naturwiſſenſchaft, weil ſich daſelbſt alles auf empiri- ſche Anſchauungen gruͤndet, kan iene Erſchleichung durch viel verglichene Beobachtungen zwar mehrentheils verhuͤ- tet werden; aber dieſe Beweisart iſt daſelbſt doch mehren- theils unerheblich. Aber die transſcendentalen Verſuche der reinen Vernunft werden insgeſamt innerhalb dem ei- gentlichen Medium des dialectiſchen Scheins angeſtellt, d. i. des Subiectiven, welches ſich der Vernunft in ihren Praͤ- miſſen als obiectiv anbietet, oder gar aufdringt. Hier nun kan es, was ſynthetiſche Saͤtze betrift, gar nicht er- laubt werden, ſeine Behauptungen dadurch zu rechtferti- gen, daß man das Gegentheil widerlegt. Denn, entweder dieſe Widerlegung iſt nichts anders, als die bloſſe Vorſtel- lung des Widerſtreits der entgegengeſezten Meinung, mit den ſubiectiven Bedingungen der Begreiflichkeit durch un- ſere Vernunft, welches gar nichts dazu thut, um die Sache ſelbſt darum zu verwerfen, (ſo wie z. B. die unbedingte Nothwendigkeit im Daſeyn eines Weſens ſchlechterdings von uns nicht begriffen werden kan, und ſich daher ſubie- ctiv iedem ſpeculativen Beweiſe eines nothwendigen ober- ſten Weſens mit Recht, der Moͤglichkeit eines ſolchen Ur- weſens aber an ſich ſelbſt mit Unrecht widerſezt), oder beide, ſowol der behauptende, als der verneinende Theil, legen, durch den transſcendentalen Schein betrogen, einen unmoͤglichen Begriff vom Gegenſtande zum Grunde und da [793/0823] Die Diſciplin d. r. Vernunft in Beweiſen da gilt die Regel: non entis nulla ſunt praedicata, d. i. ſowol was man beiahend, als was man verneinend von dem Gegenſtande behauptete, iſt beides unrichtig und man kan nicht apogogiſch durch die Widerlegung des Ge- gentheils zur Erkentniß der Wahrheit gelangen. So wie zum Beiſpiel, wenn vorausgeſezt wird: daß die Sinnen- welt an ſich ſelbſt ihrer Totalitaͤt nach gegeben ſey, ſo iſt es falſch, daß ſie entweder unendlich dem Raume nach, oder endlich und begraͤnzt ſeyn muͤſſe, darum, weil beides falſch iſt. Denn Erſcheinungen (als bloſſe Vorſtellungen), die doch an ſich ſelbſt (als Obiecte) gegeben waͤren, ſind etwas Unmoͤgliches und die Unendlichkeit dieſes eingebilde- ten Ganzen wuͤrde zwar unbedingt ſeyn, widerſpraͤche aber (weil alles an Erſcheinungen bedingt iſt) der unbe- dingten Groͤſſenbeſtimmung, die doch im Begriffe voraus- geſezt wird. Die apogogiſche Beweisart iſt auch das eigentliche Blendwerk, womit die Bewunderer der Gruͤndlichkeit un- ſerer dogmatiſchen Vernuͤnftler iederzeit hingehalten wor- den: ſie iſt gleichſam der Champion, der die Ehre und das unſtreitige Recht ſeiner genommenen Parthey dadurch beweiſen will, daß er ſich mit iederman zu raufen anhei- ſchig macht, der es bezweifeln wolte, obgleich durch ſolche Großſprecherey nichts in der Sache, ſondern nur der re- ſpectiven Staͤrke der Gegner ausgemacht wird, und zwar auch nur auf der Seite desienigen, der ſich angreifend verhaͤlt. Die Zuſchauer, indem ſie ſehen, daß ein ieder in D d d 5 [794/0824] Methodenlehre I. Hauptſt. IV. Abſch. ꝛc. in ſeiner Reihe bald Sieger iſt, bald unterliegt, nehmen oftmals daraus Anlaß, das Obiect des Streits ſelbſt ſceptiſch zu bezweifeln. Aber ſie haben nicht Urſache dazu und es iſt gnug, ihnen zuzurufen: non defenſoribus iſtis tem- pus eger. Ein ieder muß ſeine Sache vermittelſt eines, durch transſcendentale Deduction der Beweisgruͤnde ge- fuͤhrten rechtlichen Beweiſes, d. i. direct fuͤhren, damit man ſehe, was ſeine Vernunftanſpruͤche vor ſich ſelbſt anzu- fuͤhren haben. Denn fuſſet ſich ſein Gegner auf ſubiective Gruͤnde, ſo iſt er freilich leicht zu widerlegen, aber ohne Vortheil vor den Dogmatiker, der gemeiniglich eben ſo den ſubiectiven Urſachen des Urtheils anhaͤngt und gleicher- geſtalt von ſeinem Gegner in die Enge getrieben werden kan. Verfahren aber beide Theile blos direct, ſo wer- den ſie entweder die Schwierigkeit, ia Unmoͤglichkeit, den Titel ihrer Behauptungen auszufinden, von ſelbſt bemerken, und ſich zulezt nur auf Veriaͤhrung berufen koͤnnen, oder die Critik wird den dogmatiſchen Schein leicht entdecken und die reine Vernunft noͤthigen, ihre zu hoch getriebene Anmaſſungen im ſpeculativen Gebrauch aufzugeben und ſich innerhalb die Graͤnzen ihres eigenthuͤmlichen Bodens, nemlich practiſcher Grundſaͤtze, zuruͤck zu ziehen. Der [795/0825] Der Transſcendentalen Methodenlehre Zweites Hauptſtuͤck. Der Canon der reinen Vernunft. Es iſt demuͤthigend vor die menſchliche Vernunft, daß ſie in ihrem reinen Gebrauche nichts ausrichtet, und ſo gar noch einer Diſciplin bedarf, um ihre Ausſchwei- fungen zu baͤndigen und die Blendwerke, die ihr daher kommen, zu verhuͤten. Allein anderer Seits erhebt es ſie wiederum und giebt ihr ein Zutrauen zu ſich ſelbſt, daß ſie dieſe Diſciplin ſelbſt ausuͤben kan und muß, ohne eine andere Cenſur uͤber ſich zu geſtatten, imgleichen, daß die Graͤnzen, die ſie ihrem ſpeculativen Gebrauche zu ſetzen genoͤthigt iſt, zugleich die vernuͤnftelnde Anmaſſungen iedes Gegners einſchraͤnken und mithin alles, was ihr noch von ihren vorher uͤbertriebenen Foderungen uͤbrig bleiben moͤch- te, gegen alle Angriffe ſicher ſtellen koͤnne. Der groͤßte und vielleicht einzige Nutze aller Philoſophie der reinen Ver- nunft iſt alſo wol nur negativ; da ſie nemlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, ſondern, als Diſciplin, zur Graͤnzbeſtimmung dient und, anſtatt Wahrheit zu entde- cken, nur das ſtille Verdienſt hat, Irrthuͤmer zu ver- huͤten. Indeſſen muß es doch irgendwo einen Quell von po- ſitiven Erkentniſſen geben, welche ins Gebiete der reinen Vernunft gehoͤren und die vielleicht nur durch Mißverſtand zu [796/0826] Methodenlehre II. Hauptſt. zu Irrthuͤmern Anlaß geben, in der That aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen. Denn welcher Urſache ſolte ſonſt wol die nicht zu daͤmpfende Begierde, durchaus uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus irgend- wo feſten Fuß zu faſſen, zuzuſchreiben ſeyn. Sie ahndet Gegenſtaͤnde, die ein groſſes Intereſſe vor ſie bey ſich fuͤh- ren. Sie tritt den Weg der bloſſen Speculation an, um ſich ihnen zu naͤheren; aber dieſe fliehen vor ſie. Ver- muthlich wird auf dem einzigen Wege, der ihr noch uͤbrig iſt, nemlich dem des practiſchen Gebrauchs, beſſeres Gluͤck vor ſie zu hoffen ſeyn. Ich verſtehe unter einem Canon den Inbegriff der Grundſaͤtze a priori des richtigen Gebrauchs gewiſſer Er- kentnißvermoͤgen uͤberhaupt. So iſt die allgemeine Logik in ihrem analytiſchen Theile ein Canon vor Verſtand und Vernunft uͤberhaupt, aber nur der Form nach, denn ſie abſtrahirt von allem Inhalte. So war die transſcenden- tale Analytik der Canon des reinen Verſtandes; denn der iſt allein wahrer ſynthetiſcher Erkentniſſe a priori faͤhig. Wo aber kein richtiger Gebrauch einer Erkentnißkraft moͤg- lich iſt, da giebt es keinen Canon. Nun iſt alle ſyntheti- ſche Erkentniß der reinen Vernunft in ihrem ſpeculativen Gebrauche, nach allen bisher gefuͤhrten Beweiſen, gaͤnz- lich unmoͤglich. Alſo giebt es gar keinen Canon des ſpe- culativen Gebrauchs derſelben (denn dieſer iſt durch und durch dialectiſch), ſondern alle transſcendentale Logik iſt in dieſer Abſicht nichts als Diſciplin. Folglich, wenn es uͤberall [797/0827] Der Canon der reinen Vernunft. uͤberall einen richtigen Gebrauch der reinen Vernunft giebt, in welchem Fall es auch einen Canon derſelben geben muß, ſo wird dieſer nicht den ſpeculativen, ſondern den practiſchen Vernunftgebrauch betreffen, den wir alſo iezt unterſuchen wollen. Des Canons der reinen Vernunft Erſter Abſchnitt. Von dem lezten Zwecke des reinen Gebrauchs unſerer Vernunft. Die Vernunft wird durch einen Hang ihrer Natur ge- trieben, uͤber den Erfahrungsgebrauch hinaus zu gehen, ſich in einem reinen Gebrauche und vermittelſt bloſſer Ideen zu den aͤuſſerſten Graͤnzen aller Erkentniß hinaus zu wagen und nur allererſt in der Vollendung ih- res Kreiſes, in einem vor ſich beſtehenden ſyſtematiſchen Ganzen, Ruhe zu finden. Iſt nun dieſe Beſtrebung blos auf ihr ſpeculatives, oder vielmehr einzig und allein auf ihr practiſches Intereſſe gegruͤndet? Ich will das Gluͤck, welches die reine Vernunft in ſpeculativer Abſicht macht, iezt bey Seite ſetzen und frage nur nach denen Aufgaben, deren Aufloͤſung ihren lezten Zweck ausmacht, ſie mag dieſen nun erreichen oder nicht, und in Anſehung deſſen alle andere blos den Werth der Mit- tel haben. Dieſe hoͤchſte Zwecke werden, nach der Natur der [798/0828] Methodenlehre II. Hauptſt. I. Abſch. der Vernunft, wiederum Einheit haben muͤſſen, um das- ienige Intereſſe der Menſchheit, welches keinem hoͤheren untergeordnet iſt, vereinigt zu befoͤrdern. Die Endabſicht, worauf die Speculation der Ver- nunft im transſcendentalen Gebrauche zulezt hinauslaͤuft, betrift drey Gegenſtaͤnde: die Freiheit des Willens, die Unſterblichkeit der Seele, und das Daſeyn Gottes. In Anſehung aller dreien iſt blos das ſpeculative Intereſſe der Vernunft nur ſehr gering, und in Abſicht auf daſſelbe wuͤrde wol ſchwerlich eine ermuͤdende, mit unaufhoͤrlichen Hinderniſ- ſen ringende Arbeit transſc. Nachforſchung, uͤbernommen wer- den, weil man von allen Entdeckungen, die hieruͤber zu machen ſeyn moͤchten, doch keinen Gebrauch machen kan, der in concreto, d. i. in der Naturforſchung, ſeinen Nu- tzen bewieſe. Der Wille mag auch frey ſeyn, ſo kan die- ſes doch nur die intelligibele Urſache unſeres Wollens an- gehen. Denn, was die Phaͤnomene der Aeuſſerungen deſ- ſelben, d. i. die Handlungen betrift, ſo muͤſſen wir, nach einer unverletzlichen Grundmaxime, ohne welche wir keine Vernunft in empiriſchem Gebrauche ausuͤben koͤnnen, ſie niemals anders als alle uͤbrige Erſcheinungen der Natur, nemlich nach unwandelbaren Geſetzen derſelben erklaͤren. Es mag zweitens auch die geiſtige Natur der Seele (und mit derſelben ihre Unſterblichkeit) eingeſehen werden koͤn- nen, ſo kan darauf doch, weder in Anſehung der Erſchei- nungen dieſes Lebens, als einen Erklaͤrungsgrund, noch auf [799/0829] Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. auf die beſondere Beſchaffenheit des kuͤnftigen Zuſtandes Rechnung gemacht werden, weil unſer Begriff einer unkoͤr- perlichen Natur blos negativ iſt und unſere Erkentniß nicht im mindeſten erweitert, noch einigen tauglichen Stoff zu Folgerungen darbietet, als etwa zu ſolchen, die nur vor Erdichtungen gelten koͤnnen, die aber von der Philoſophie nicht geſtattet werden. Wenn auch drittens das Daſeyn einer hoͤchſten Intelligenz bewieſen waͤre: ſo wuͤrden wir uns zwar daraus das Zweckmaͤſſige in der Welteinrichtung und Ordnung im Allgemeinen begreiflich machen, keines- weges aber befugt ſeyn, irgend eine beſondere Anſtalt und Ordnung daraus abzuleiten, oder, wo ſie nicht wahrge- nommen wird, darauf kuͤhnlich zu ſchlieſſen, indem es eine nothwendige Regel des ſpeculativen Gebrauchs der Vernunft iſt, Natururſachen nicht vorbey zu gehen und das, wovon wir uns durch Erfahrung belehren koͤnnen, aufzugeben, um etwas, was wir kennen, von demienigen abzuleiten, was alle unſere Kentniß gaͤnzlich uͤberſteigt. Mit einem Worte, dieſe drey Saͤtze bleiben vor die ſpecula- tive Vernunft iederzeit transſcendent und haben gar keinen immanenten, d. i. vor Gegenſtaͤnde der Erfahrung zulaͤſ- ſigen, mithin vor uns auf einige Art nuͤzlichen Gebrauch, ſondern ſind an ſich betrachtet ganz muͤſſige und dabey noch aͤuſſerſt ſchwere Anſtrengungen unſerer Vernunft. Wenn demnach dieſe drey Cardinalſaͤtze uns zum Wiſſen gar nicht noͤthig ſeyn und uns gleichwol durch unſere Vernunft dringend empfohlen werden: ſo wird ihre Wich- [800/0830] Methodenlehre II. Hauptſt. I. Abſch. Wichtigkeit wol eigentlich nur das Practiſche angehen muͤſſen. Practiſch iſt alles, was durch Freiheit moͤglich iſt. Wenn die Bedingungen der Ausuͤbung unſerer freien Will- kuͤhr aber empiriſch ſind, ſo kan die Vernunft dabey kei- nen anderen als regulativen Gebrauch haben, und nur die Einheit empiriſcher Geſetze zu bewirken dienen, wie z. B. in der Lehre der Klugheit, die Vereinigung aller Zwecke, die uns von unſeren Neigungen aufgegeben ſind, in den einigen, die Gluͤckſeligkeit und die Zuſammenſtimmung der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geſchaͤfte der Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als pragmatiſche Geſetze des freien Verhaltens, zu Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke, und alſo keine reine Geſetze, voͤllig a priori beſtimt, liefern kan. Dagegen wuͤrden reine practiſche Geſetze deren Zweck durch die Vernunft voͤllig a priori gegeben iſt und die nicht empi- riſchbedingt, ſondern ſchlechthin gebieten, Producte der rei- nen Vernunft ſeyn. Dergleichen aber ſind die moraliſche Geſetze, mithin gehoͤren dieſe allein zum practiſchen Gebrau- che der reinen Vernunft, und erlauben einen Canon. Die ganze Zuruͤſtung alſo der Vernunft, in der Be- arbeitung, die man reine Philoſophie nennen kan, iſt in der That nur auf die drey gedachte Probleme gerichtet. Dieſe ſelber aber haben wiederum ihre entferntere Abſicht, nemlich, was zu thun ſey, wenn der Wille frey, wenn ein Gott und eine kuͤnftige Welt iſt. Da dieſes nun unſer Ver- [801/0831] Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. Verhalten in Beziehung auf den hoͤchſten Zweck betrift, ſo iſt die lezte Abſicht der weislich uns verſorgenden Natur, bey der Einrichtung unſerer Vernunft, eigentlich nur aufs Moraliſche geſtellet. Es iſt aber Behutſamkeit noͤthig, um, da wir un- ſer Augenmerk auf einen Gegenſtand werfen, der der trans- ſcendentalen Philoſophie fremd *) iſt, nicht in Epiſoden auszuſchweifen und die Einheit des Syſtems zu verletzen, anderer Seits auch, um, indem man von ſeinem neuen Stoffe zu wenig ſagt, es an Deutlichkeit oder Ueberzeu- gung nicht fehlen zu laſſen. Ich hoffe beides dadurch zu leiſten, daß ich mich ſo nahe als moͤglich am Transſcenden- talen halte und das, was etwa hiebey pſychologiſch, d. i. empiriſch ſeyn moͤchte, gaͤnzlich bey Seite ſetze. Und da iſt denn zuerſt anzumerken: daß ich mich voriezt des Begriffs der Freiheit nur im practiſchen Ver- ſtande bedienen werde und den, in transſcendentaler Be- deutung, welcher nicht als ein Erklaͤrungsgrund der Er- ſchei- *) Alle practiſche Begriffe gehen auf Gegenſtaͤnde des Wol- gefallens, oder Mißfallens, d. i. der Luſt und Unluſt, mithin, wenigſtens indirect, auf Gegenſtaͤnde unſeres Ge- fuͤhls. Da dieſes aber keine Vorſtellungskraft der Dinge iſt, ſondern auſſer der geſamten Erkentnißkraft liegt, ſo gehoͤren die Elemente unſerer Urtheile, ſo fern ſie ſich auf Luſt oder Unluſt beziehen, mithin der practiſchen, nicht in den Inbegriff der Transſcendentalphiloſophie, welche lediglich mit reinen Erkentniſſen a priori zu thun hat. E e e [802/0832] Methodenlehre II. Hauptſt. I. Abſch. ſcheinungen empiriſch vorausgeſezt werden kan, ſondern ſelbſt ein Problem vor die Vernunft iſt, hier, als oben abgethan, bey Seite ſetze. Eine Willkuͤhr nemlich iſt blos thieriſch (arbitrium brutum), die nicht anders als durch ſinnliche Antriebe, d. i. pathologiſch beſtimt werden kan. Dieienige aber, welche unabhaͤngig von ſinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegurſachen, welche nur von der Vernunft vorgeſtellet werden, beſtimmet werden kan, heißt die freie Willkuͤhr (arbitrium liberum) und alles, was mit dieſer, es ſey als Grund, oder Folge zuſammen- haͤngt, wird Practiſch genant. Die practiſche Freiheit kan durch Erfahrung bewieſen werden. Denn, nicht blos das, was reitzt, d. i. die Sinne unmittelbar afficirt, be- ſtimt die menſchliche Willkuͤhr, ſondern wir haben ein Vermoͤgen durch Vorſtellungen von dem, was ſelbſt auf entfernete Art nuͤtzlich oder ſchaͤdlich iſt, die Eindruͤcke auf unſer ſinnliches Begehrungsvermoͤgen zu uͤberwinden; die- ſe Ueberlegungen aber von dem, was in Anſehung unſeres ganzen Zuſtandes begehrungswerth, d. i. gut und nuͤtzlich iſt, beruhen auf der Vernunft. Dieſe giebt daher auch Geſetze, welche Imperativen, d. i. obiective Geſetze der Freiheit ſeyn und welche ſagen, was geſchehen ſoll, ob es gleich vielleicht nie geſchieht und ſich darin von Natur- geſetzen, die nur von dem handeln, was geſchieht, unter- ſcheiden, weshalb ſie auch practiſche Geſetze genant werden. Ob [803/0833] Vom lezten Zwecke der reinen Vernunft. Ob aber die Vernunft ſelbſt in dieſen Handlungen, dadurch ſie Geſetze vorſchreibt, nicht wiederum durch an- derweitige Einfluͤſſe beſtimt ſey und das, was in Abſicht auf ſinnliche Antriebe Freiheit leiſt, in Anſehung hoͤherer und entfernetern wirkenden Urſachen nicht wiederum Na- tur ſeyn moͤge, das geht uns im Practiſchen, da wir nur die Vernunft um die Vorſchrift des Verhaltens zunaͤchſt befragen, nichts an, ſondern iſt eine blos ſpeculative Fra- ge, die wir, ſo lange als unſere Abſicht aufs Thun oder Laſſen gerichtet iſt, bey Seite ſetzen koͤnnen. Wir erkennen alſo die practiſche Freiheit durch Erfahrung, als eine von den Natururſachen, nemlich eine Cauſſalitaͤt der Vernunft in Beſtimmung des Willens, indeſſen daß die transſcen- dentale Freiheit, eine Unabhaͤngigkeit dieſer Vernunft ſelbſt (in Anſehung ihrer Cauſſalitaͤt, eine Reihe von Erſcheinun- gen anzufangen) von allen beſtimmenden Urſachen der Sin- nenwelt fodert und ſo fern dem Naturgeſetze, mithin aller moͤglichen Erfahrung zuwider zu ſeyn ſcheint und alſo ein Problem bleibt. Allein vor die Vernunft im practiſchen Gebrauche gehoͤrt dieſes Problem nicht, alſo haben wir es in einem Canon der reinen Vernunft nur mit zwey Fragen zu thun, die das practiſche Intereſſe der reinen Vernunft angehen und in Anſehung deren ein Canon ihres Gebrauchs moͤglich ſeyn muß, nemlich: iſt ein Gott? iſt ein kuͤnfti- ges Leben? Die Frage wegen der transſcendentalen Frei- heit betrift blos das ſpeculative Wiſſen, welche wir als ganz gleichguͤltig bey Seite ſetzen koͤnnen, wenn es um das Practi- E e e 2 [804/0834] Methodenlehre II. Haupſt. II. Abſch. Practiſche zu thun iſt, und woruͤber in der Antinomie der reinen Vernunft ſchon hinreichende Eroͤrterung zu fin- den iſt. Des Canons der reinen Vernunft Zweiter Abſchnitt. Von dem Ideal des hoͤchſten Guts als einem Beſtimmungsgrunde des lezten Zwecks der reinen Vernunft. Die Vernunft fuͤhrete uns in ihrem ſpeculativen Ge- brauche durch das Feld der Erfahrungen und, weil daſelbſt vor ſie niemals voͤllige Befriedigung anzutreffen iſt, von da zu ſpeculativen Ideen, die uns aber am Ende wiederum auf Erfahrung zuruͤck fuͤhreten und alſo ihre Ab- ſicht auf eine zwar nuͤtzliche, aber unſerer Erwartung gar nicht gemaͤſſe Art erfuͤlleten. Nun bleibt uns noch ein Verſuch uͤbrig: ob nemlich auch reine Vernunft im practi- ſchen Gebrauche anzutreffen ſey, ob ſie in demſelben zu den Ideen fuͤhre, welche die hoͤchſten Zwecke der reinen Ver- nunft, die wir eben angefuͤhrt haben, erreichen und dieſe alſo aus dem Geſichtspuncte ihres practiſchen Intereſſe nicht dasienige gewaͤhren koͤnne, was ſie uns in Anſehung des ſpeculativen ganz und gar abſchlaͤgt. Alles Intereſſe meiner Vernunft (das ſpeculative ſo wol, als das practiſche) vereinigt ſich in folgenden drey Fragen: 1. Was [805/0835] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. 1. Was kan ich wiſſen? 2. Was ſoll ich thun? 3. Was darf ich hoffen? Die erſte Frage iſt blos ſpeculativ. Wir haben (wie ich mir ſchmeichele) alle moͤgliche Beantwortungen derſelben erſchoͤpft und endlich dieienige gefunden, mit welcher ſich die Vernunft zwar befriedigen muß und, wenn ſie nicht aufs Practiſche ſieht, auch Urſache hat, zufrieden zu ſeyn, ſind aber von den zwey groſſen Zwecken, worauf dieſe gan- ze Beſtrebung der reinen Vernunft eigentlich gerichtet war, eben ſo weit entfernet geblieben, als ob wir uns aus Ge- maͤchlichkeit dieſer Arbeit gleich anfangs verweigert haͤtten. Wenn es alſo um Wiſſen zu thun iſt, ſo iſt wenigſtens ſo viel ſicher und ausgemacht, daß uns dieſes, in Anſehung iener zwey Aufgaben, niemals zu Theil werden koͤnne. Die zweite Frage iſt blos practiſch. Sie kan als eine ſolche zwar der reinen Vernunft angehoͤren, iſt aber als- denn doch nicht transſendental, ſondern moraliſch, mithin kan ſie unſere Critik an ſich ſelbſt nicht beſchaͤftigen. Die dritte Frage, nemlich: wenn ich nun thue, was ich ſoll, was darf ich alsdenn hoffen? iſt practiſch und theoretiſch zugleich, ſo, daß das Practiſche nur als ein Leit- faden zu Beantwortung der theoretiſchen und, wenn dieſe hoch geht, ſpeculativen Frage fuͤhret. Denn alles Hoffen geht auf Gluͤckſeligkeit und iſt in Abſicht auf das Practi- ſche und das Sittengeſetz eben daſſelbe, was das Wiſſen und das Naturgeſetz in Anſehung der theoretiſchen Erkentniß der E e e 3 [806/0836] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. der Dinge iſt. Jenes laͤuft zulezt auf den Schluß hinaus: daß etwas ſey (was den lezten moͤglichen Zweck beſtimt), weil etwas geſchehen ſoll; dieſes, daß etwas ſey (was als oberſte Urſache wirkt), weil etwas geſchieht. Gluͤckſeligkeit iſt die Befriedigung aller unſerer Nei- gungen, (ſo wol extenſive, der Mannigfaltigkeit derſel- ben, als intenſive, dem Grade, als auch protenſive, der Dauer nach). Das practiſche Geſetz aus dem Be- wegungsgrunde der Gluͤckſeligkeit nenne ich pragmatiſch, (Klugheitsregel) dasienige aber, wofern ein ſolches iſt, das zum Bewegungsgrunde nichts anderes hat, als die Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, moraliſch (Sittengeſetz). Das erſtere raͤth, was zu thun ſey, wenn wir der Gluͤck- ſeligkeit wollen theilhaftig, das zweite gebietet, wie wir uns verhalten ſollen, um nur der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu werden. Das erſtere gruͤndet ſich auf empiriſche Prin- cipien; denn anders, wie vermittelſt der Erfahrung, kan ich weder wiſſen, welche Neigungen da ſind, die befrie- digt werden wollen, noch welches die Natururſachen ſind, die ihre Befriedigung bewirken koͤnnen. Das zweite ab- ſtrahirt von Neigungen und Naturmitteln, ſie zu befrie- digen und betrachtet nur die Freiheit eines vernuͤnftigen Weſens uͤberhaupt und die nothwendige Bedingungen, un- ter denen ſie allein mit der Austheilung der Gluͤckſeligkeit nach Principien zuſammenſtimt, und kan alſo wenigſtens auf bloſſen Ideen der reinen Vernunft beruhen und a priori erkant werden. Ich [807/0837] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. Ich nehme an: daß es wirklich reine moraliſche Ge- ſetze gebe, die voͤllig a priori (ohne Ruͤckſicht auf empi- riſche Bewegungsgruͤnde, d. i. Gluͤckſeligkeit) das Thun und Laſſen, d. i. den Gebrauch der Freyheit eines vernuͤnf- tigen Weſens uͤberhaupt, beſtimmen und daß dieſe Geſetze Schlechterdings (nicht blos hypothetiſch unter Vorausſe- tzung anderer empiriſchen Zwecke) gebieten und alſo in aller Abſicht nothwendig ſeyn. Dieſen Satz kan ich mit Recht vorausſetzen, nicht allein, indem ich mich auf die Beweiſe der aufgeklaͤrteſten Moraliſten, ſondern auf das ſittliche Urtheil eines ieden Menſchen berufe, wenn er ſich ein dergleichen Geſetz deutlich denken will. Die reine Vernunft enthaͤlt alſo, zwar nicht in ih- rem ſpeculativen, aber doch in einem gewiſſen practiſchen, nemlich dem moraliſchen Gebrauche, Principien der Moͤg- lichkeit der Erfahrung, nemlich ſolcher Handlungen, die den ſittlichen Vorſchriften gemaͤß in der Geſchichte des Menſchen anzutreffen ſeyn koͤnten. Denn, da ſie gebie- tet, daß ſolche geſchehen ſollen, ſo muͤſſen ſie auch geſche- hen koͤnnen und es muß alſo eine beſondere Art von ſyſte- matiſcher Einheit, nemlich die moraliſche, moͤglich ſeyn, indeſſen daß die ſyſtematiſche Natureinheit nach ſpecula- tiven Principien der Vernunft nicht bewieſen werden konte, weil die Vernunft zwar in Anſehung der Freiheit uͤberhaupt, aber nicht in Anſehung der geſamten Natur Cauſſalitaͤt hat und moraliſche Vernunftprincipien zwar freie Handlungen, aber nicht Naturgeſetze hervorbringen koͤn- E e e 4 [808/0838] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver- nunft in ihrem practiſchen, namentlich aber, dem morali- ſchen Gebrauche, obiective Realitaͤt. Ich nenne die Welt, ſo fern ſie allen ſittlichen Ge- ſetzen gemaͤß waͤre, (wie ſie es denn, nach der Freiheit der vernuͤnftigen Weſen, ſeyn kan und, nach den noth- wendigen Geſetzen der Sittlichkeit, ſeyn ſoll) eine mora- liſche Welt. Dieſe wird ſo fern blos als intelligibele Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe- cken) und ſelbſt von allen Hinderniſſen der Moralitaͤt in derſelben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menſchlichen Natur) abſtrahirt wird. So fern iſt ſie alſo eine bloſſe, aber doch practiſche Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kan und ſoll, um ſie dieſer Idee ſo viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo- raliſchen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn ſie auf einen Gegenſtand einer intelligibelen Anſchauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), ſon- dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenſtand der reinen Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche und ein corpus myſticum der vernuͤnftigen Weſen in ihr, ſo fern deren freie Willkuͤhr unter moraliſchen Geſetzen ſowol mit ſich ſelbſt, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige ſyſtematiſche Einheit an ſich hat. Das war die Beantwortung der erſten von denen zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practiſche In- tereſſe betrafen: Thue das, wodurch du wuͤrdig wirſt, gluͤck- [809/0839] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. gluͤcklich zu ſeyn. Die zweite fraͤgt nun: wie, wenn ich mich nun ſo verhalte, daß ich der Gluͤckſeligkeit nicht un- wuͤrdig ſey, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch theilhaftig werden zu koͤnnen? Es komt bey der Beantwortung der- ſelben darauf an, ob die Principien der reinen Vernunft, welche a priori das Geſetz vorſchreiben, auch dieſe Hoff- nung nothwendigerweiſe damit verknuͤpfen. Ich ſage demnach: daß eben ſowol, als die mora- liſche Principien nach der Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche nothwendig ſeyn, eben ſo nothwendig ſey es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretiſchen anzuneh- men, daß iederman die Gluͤckſeligkeit in demſelben Maaſſe zu hoffen Urſache habe, als er ſich derſelben in ſeinem Verhalten wuͤrdig gemacht hat und daß alſo das Syſtem der Sittlichkeit mit dem der Gluͤckſeligkeit unzertrenlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden ſey. Nun laͤßt ſich in einer intelligibelen, d. i. der moraliſchen Welt, in deren Begriff wir von allen Hinder- niſſen der Sittlichkeit (der Neigungen) abſtrahiren, ein ſolches Syſtem der mit der Moralitaͤt verbundenen pro- portionirten Gluͤckſeligkeit auch als nothwendig denken, weil die durch ſittliche Geſetze theils bewegte, theils re- ſtringirte Freiheit, ſelbſt die Urſache der allgemeinen Gluͤck- ſeligkeit, die vernuͤnftige Weſen alſo ſelbſt, unter der Lei- tung ſolcher Principien, Urheber ihres eigenen und zu- gleich anderer dauerhaften Wolfarth ſeyn wuͤrden. Aber dieſes Syſtem der ſich ſelbſt lohnenden Moralitaͤt iſt nur eine E e e 5 [810/0840] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. eine Idee, deren Ausfuͤhrung auf der Bedingung beruht, daß iederman thue, was er ſoll, d. i. alle Handlungen vernuͤnftiger Weſen ſo geſchehen, als ob ſie aus einem oberſten Willen, der alle Privatwillkuͤhr in ſich, oder un- ter ſich befaßt, entſpraͤngen. Da aber die Verbindlich- keit aus dem moraliſchen Geſetze vor iedes beſonderen Ge- brauch der Freiheit guͤltig bleibt, wenn gleich andere die- ſem Geſetze ſich nicht gemaͤß verhielten, ſo iſt weder aus der Natur der Dinge der Welt, noch der Cauſſalitaͤt der Handlungen ſelbſt und ihrem Verhaͤltniſſe zur Sittlichkeit beſtimt, wie ſich ihre Folgen zur Gluͤckſeligkeit verhalten werden, und die angefuͤhrte nothwendige Verknuͤpfung der Hoffnung, gluͤcklich zu ſeyn, mit dem unablaͤſſigen Be- ſtreben, ſich der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu machen, kan durch die Vernunft nicht erkant werden, wenn man blos Natur zum Grunde legt, ſondern darf nur gehofft werden, wenn eine hoͤchſte Vernunft, die nach morali- ſchen Geſetzen gebietet, zugleich als Urſache der Natur zum Grunde gelegt wird. Ich nenne die Idee einer ſolchen Intelligenz, in wel- cher der moraliſchvollkommenſte Wille, mit der hoͤchſten Seligkeit verbunden, die Urſache aller Gluͤckſeligkeit in der Welt iſt, ſo fern ſie mit der Sittlichkeit (als der Wuͤr- digkeit gluͤcklich zu ſeyn) in genauem Verhaͤltniſſe ſteht, das Ideal des hoͤchſten Guts. Alſo kan die reine Ver- nunft nur in dem Ideal des hoͤchſten urſpruͤnglichen Guts den Grund der practiſchnothwendigen Verknuͤpfung beider Ele- [811/0841] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. Elemente des hoͤchſten abgeleiteten Guts, nemlich, einer intelligibelen, d. i. moraliſchen Welt antreffen. Da wir uns nun nothwendiger Weiſe durch die Vernunft, als zu einer ſolchen Welt gehoͤrig, vorſtellen muͤſſen, obgleich die Sinne uns nichts als eine Welt von Erſcheinungen dar- ſtellen, ſo werden wir iene als eine Folge unſeres Verhal- tens in der Sinnenwelt, da uns dieſe eine ſolche Verknuͤp- fung nicht darbietet, als eine vor uns kuͤnftige Welt an- nehmen muͤſſen. Gott alſo und ein kuͤnftiges Leben, ſind zwey von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auf- erlegt, nach Principien eben derſelben Vernunft nicht zu trennende Vorausſetzungen. Die Sittlichkeit an ſich ſelbſt macht ein Syſtem aus, aber nicht die Gluͤckſeligkeit, auſſer, ſo fern ſie der Mora- litaͤt genau angemeſſen ausgetheilet iſt. Dieſes aber iſt nur moͤglich in der intelligibelen Welt, unter einem wei- ſen Urheber und Regierer. Einen ſolchen, ſamt dem Le- ben in einer ſolchen Welt, die wir als eine kuͤnftige anſe- hen muͤſſen, ſieht ſich die Vernunft genoͤthigt, anzuneh- men, oder die moraliſche Geſetze als leere Hirngeſpinſte anzuſehen, weil der nothwendige Erfolg derſelben, den dieſelbe Vernunft mit ihnen verknuͤpft, ohne iene Voraus- ſetzung wegfallen muͤßte. Daher auch iederman die mo- raliſche Geſetze als Gebote anſieht, welches ſie aber nicht ſeyn koͤnten, wenn ſie nicht a priori angemeſſene Folgen mit ihrer Regel verknuͤpften und alſo Verheiſſungen und Drohungen bey ſich fuͤhrten. Dieſes koͤnnen ſie aber auch [812/0842] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. auch nicht thun, wo ſie nicht in einem nothwendigen We- ſen, als dem hoͤchſten Gut liegen, welches eine ſolche zweck- maͤſſige Einheit allein moͤglich machen kan. Leibnitz nante die Welt, ſo fern man darin nur auf die vernuͤnftige Weſen und ihren Zuſammenhang nach mo- raliſchen Geſetzen unter der Regierung des hoͤchſten Guts Acht hat, das Reich der Gnaden und unterſchied es vom Reiche der Natur, da ſie zwar unter moraliſchen Geſe- tzen ſtehen, aber keine andere Erfolge ihres Verhaltens erwarten, als nach dem Laufe der Natur unſerer Sinnen- welt. Sich alſo im Reiche der Gnaden zu ſehen, wo alle Gluͤckſeligkeit auf uns wartet, auſſer ſo fern wir unſern Antheil an derſelben durch die Unwuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, nicht ſelbſt einſchraͤnken, iſt eine practiſch nothwendige Idee der Vernunft. Practiſche Geſetze, ſo fern ſie zugleich ſubiective Gruͤnde der Handlungen, d. i. ſubiective Grundſaͤtze wer- den, heiſſen Maximen. Die Beurtheilung der Sitt- lichkeit, ihrer Reinigkeit und Folgen nach, geſchieht nach Ideen, die Befolgung ihrer Geſetze nach Maximen. Es iſt nothwendig, daß unſer ganzer Lebenswandel ſittlichen Maximen untergeordnet werde; es iſt aber zu- gleich unmoͤglich, daß dieſes geſchehe, wenn die Vernunft nicht mit dem moraliſchen Geſetze, welches eine bloſſe Idee iſt, eine wirkende Urſache verknuͤpft, welche dem Verhal- ten nach demſelben einen unſeren hoͤchſten Zwecken genau entſprechenden Ausgang, es ſey in dieſem, oder einem an- deren [813/0843] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. deren Leben, beſtimt. Ohne alſo einen Gott und eine vor uns iezt nicht ſichtbare, aber gehoffte Welt, ſind die herr- liche Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenſtaͤnde des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vor- ſatzes und der Ausuͤbung, weil ſie nicht den ganzen Zweck, der einem ieden vernuͤnftigen Weſen natuͤrlich und durch eben dieſelbe reine Vernunft a priori beſtimt und noth- wendig iſt, erfuͤllen. Gluͤckſeligkeit allein iſt vor unſere Vernunft bey wei- tem nicht das vollſtaͤndige Gut. Sie billigt ſolche nicht, (ſo ſehr als auch Neigung dieſelbe wuͤnſchen mag) wofern ſie nicht mit der Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, d. i. dem ſittlichen Wolverhalten vereinigt iſt. Sittlichkeit allein und, mit ihr, die bloſſe Wuͤrdigkeit, gluͤcklich zu ſeyn, iſt aber auch noch lange nicht das vollſtaͤndige Gut. Um dieſes zu vollenden, muß der, ſo ſich als der Gluͤckſeligkeit nicht unwerth verhalten hatte, hoffen koͤnnen, ihrer theil- haftig zu werden. Selbſt die von aller Privatabſicht freie Vernunft, wenn ſie, ohne dabey ein eigenes Intereſſe in Betracht zu ziehen, ſich in die Stelle eines Weſens ſezte, das alle Gluͤckſeligkeit andern auszutheilen haͤtte, kan nicht anders urtheilen; denn in der practiſchen Idee ſind beide Stuͤcke weſentlich verbunden, obzwar ſo, daß die moraliſche Geſinnung, als Bedingung, den Antheil an Gluͤckſeligkeit und nicht umgekehrt, die Ausſicht auf Gluͤck- ſeligkeit die moraliſche Geſinnung zuerſt moͤglich mache. Denn im lezteren Falle waͤre ſie nicht moraliſch und alſo auch [814/0844] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. auch nicht der ganzen Gluͤckſeligkeit wuͤrdig, die vor der Vernunft keine andere Einſchraͤnkung erkent, als die, wel- che von unſerem eigenen unſittlichen Verhalten herruͤhrt. Gluͤckſeligkeit alſo, in dem genauen Ebenmaaſſe mit der Sittlichkeit der vernuͤnftigen Weſen, dadurch ſie der- ſelben wuͤrdig ſeyn, macht allein das hoͤchſte Gut einer Welt aus, darin wir uns nach den Vorſchriften der rei- nen aber practiſchen Vernunft durchaus verſetzen muͤſſen und welche freilich nur eine intelligibele Welt iſt, da die Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen ſyſte- matiſche Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realitaͤt auch auf nichts anders gegruͤndet werden kan, als auf die Vorausſetzung eines hoͤchſten urſpruͤnglichen Guts, da ſelbſtſtaͤndige Vernunft, mit aller Zulaͤnglichkeit einer ober- ſten Urſache ausgeruͤſtet, nach der vollkommenſten Zweck- maͤſſigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt uns ſehr verborgene Ordnung der Dinge gruͤndet, erhaͤlt und vollfuͤhret. Dieſe Moraltheologie hat nun den eigenthuͤmlichen Vorzug vor der ſpeculativen: daß ſie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommenſten und ver- nuͤnftigen Urweſens fuͤhret, worauf uns ſpeculative Theo- logie nicht einmal aus obiectiven Gruͤnden hinweiſet, ge- ſchweige uns davon uͤberzeugen konte. Denn, wir finden weder in der transſcendentalen, noch natuͤrlichen Theolo- gie, ſo weit uns auch Vernunft darin fuͤhren mag, eini- gen bedeutenden Grund, nur ein einiges Weſen anzuneh- men, [815/0845] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. men, welches wir allen Natururſachen vorſetzen und von dem wir zugleich dieſe in allen Stuͤcken abhaͤngend zu machen, hin- reichende Urſache haͤtten. Dagegen, wenn wir aus dem Geſichtspuncte der ſittlichen Einheit, als einem nothwen- digen Weltgeſetze, die Urſache erwaͤgen, die dieſem allein den angemeſſenen Effect, mithin auch vor uns verbindende Kraft geben kan, ſo muß es ein einiger oberſter Wille ſeyn, der alle dieſe Geſetze in ſich befaßt. Denn, wie wolten wir unter verſchiedenen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden? Dieſer Wille muß allgewaltig ſeyn, damit die gan- ze Natur und deren Beziehung auf Sittlichkeit in der Welt ihm unterworfen ſey, allwiſſend, damit er das Innerſte der Geſinnungen und deren moraliſchen Werth erkenne, allgegenwaͤrtig, damit er unmittelbar allem Beduͤrfniſſe, welche das hoͤchſte Weltbeſte erfodert, nahe ſey, ewig, damit in keiner Zeit dieſe Uebereinſtimmung der Natur und Freiheit ermangele, u. ſ. w. Aber dieſe ſyſtematiſche Einheit der Zwecke in die- ſer Welt der Intelligenzen, welche, obzwar, als bloſſe Natur, nur Sinnenwelt, als ein Syſtem der Freiheit aber, intelligibele, d. i. moraliſche Welt (regnum gra- tiae) genant werden kan, fuͤhret unausbleiblich auch auf die zweckmaͤſſige Einheit aller Dinge, die dieſes groſſe Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgeſetzen, ſo wie die erſtere nach allgemeinen und nothwendigen Sitten- geſetzen und vereinigt die practiſche Vernunft mit der ſpe- culativen. Die Welt muß als aus einer Idee entſprungen vor- [816/0846] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. vorgeſtellet werden, wenn ſie mit demienigen Vernunftge- brauch, ohne welchen wir uns ſelbſt der Vernunft unwuͤr- dig halten wuͤrden, nemlich dem moraliſchen, als welcher durchaus auf der Idee des hoͤchſten Guts beruht, zuſam- menſtimmen ſoll. Dadurch bekomt alle Naturforſchung eine Richtung nach der Form eines Syſtems der Zwecke und wird in ihrer hoͤchſten Ausbreitung Phyſicotheologie. Dieſe aber, da ſie doch von ſittlicher Ordnung, als einer in dem Weſen der Freiheit gegruͤndeten und nicht durch aͤuſſere Gebote zufaͤllig geſtifteten Einheit anhob, bringt die Zweckmaͤſſigkeit der Natur auf Gruͤnde, die a priori mit der inneren Moͤglichkeit der Dinge unzertrenlich verknuͤpft ſeyn muͤſſen und dadurch auf eine transſcendentale Theo- logie, die ſich das Ideal der hoͤchſten ontologiſchen Voll- kommenheit zu einem Princip der ſyſtematiſchen Einheit nimt, welches nach allgemeinen und nothwendigen Natur- geſetzen alle Dinge verknuͤpft, weil ſie alle in der abſolu- ten Nothwendigkeit eines einigen Urweſens ihren Urſprung haben. Was koͤnnen wir vor einen Gebrauch von unſerem Verſtande machen, ſelbſt in Anſehung der Erfahrung, wenn wir uns nicht Zwecke vorſetzen? Die hoͤchſte Zwecke aber ſind die der Moralitaͤt und dieſe kan uns nur reine Vernunft zu erkennen geben. Mit dieſen nun verſehen und an dem Leitfaden derſelben koͤnnen wir von der Kent- niß der Natur ſelbſt keinen zweckmaͤſſigen Gebrauch in An- ſehung der Erkentniß machen, wo die Natur nicht ſelbſt zweck- [817/0847] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. zweckmaͤſſige Einheit hingelegt hat; denn ohne dieſe haͤt- ten wir ſo gar ſelbſt keine Vernunft, weil wir keine Schule vor dieſelbe haben wuͤrden und keine Cultur durch Gegen- ſtaͤnde, welche den Stoff zu ſolchen Begriffen darboͤten. Jene zweckmaͤſſige Einheit iſt aber nothwendig und in dem Weſen der Willkuͤhr ſelbſt gegruͤndet, dieſe alſo, welche die Bedingung der Anwendung derſelben in concreto ent- haͤlt, muß es auch ſeyn, und ſo wuͤrde die transſcenden- tale Steigerung unſerer Vernunfterkentniß nicht die Urſache, ſondern blos die Wirkung von der practiſchen Zweckmaͤſſig- keit ſeyn, die uns die reine Vernunft auferlegt. Wir finden daher auch in der Geſchichte der menſchli- chen Vernunft: daß, ehe die moraliſche Begriffe gnugſam gereinigt, beſtimt und die ſyſtematiſche Einheit der Zwecke nach denſelben und zwar aus nothwendigen Principien ein- geſehen waren, die Kentniß der Natur und ſelbſt ein an- ſehnlicher Grad der Cultur der Vernunft in manchen an- deren Wiſſenſchaften, theils nur rohe und umherſchweifen- de Begriffe von der Gottheit hervorbringen konte, theils eine zu bewundernde Gleichguͤltigkeit uͤberhaupt in Anſe- hung dieſer Frage uͤbrig ließ. Eine groͤſſere Bearbeitung ſittlicher Ideen, die durch das aͤuſſerſtreine Sittengeſetz un- ſerer Religion nothwendig gemacht wurde, ſchaͤrfte die Vernunft auf den Gegenſtand, durch das Intereſſe, was ſie an demſelben zu nehmen noͤthigte und, ohne daß weder erweiterte Naturkentniſſe, noch richtige und zuverlaͤſſige transſcendentale Einſichten (dergleichen zu aller Zeit ge- mangelt F f f [818/0848] Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch. mangelt haben), dazu beitrugen, brachten ſie einen Begriff vom goͤttlichen Weſen zu Stande, den wir iezt vor den richtigen halten, nicht, weil uns ſpecutative Vernunft von deſſen Richtigkeit uͤberzeugt, ſondern, weil er mit den mo- raliſchen Vernunftprincipien vollkommen zuſammen ſtimt. Und ſo hat am Ende doch immer nur reine Vernunft, aber nur in ihrem practiſchen Gebrauche, das Verdienſt ein Erkentniß, das die bloſſe Speculation nur waͤhnen, aber nicht geltend machen kan, an unſer hoͤchſtes Inter- eſſe zu knuͤpfen und dadurch zwar nicht zu einem demon- ſtrirten Dogma, aber doch zu einer ſchlechterdingsnothwen- digen Vorausſetzung bey ihren weſentlichſten Zwecken zu machen. Wenn aber practiſche Vernunft nun dieſen hohen Punct erreicht hat, nemlich den Begriff eines einigen Ur- weſens, als des hoͤchſten Guts, ſo darf ſie ſich gar nicht unterwinden, gleich als haͤtte ſie ſich uͤber alle empiriſche Bedingungen ſeiner Anwendung erhoben und zur unmit- telbaren Kentniß neuer Gegenſtaͤnde empor geſchwungen, um von dieſem Begriffe auszugehen und die moraliſche Geſetze ſelbſt von ihm abzuleiten. Denn dieſe waren es eben, deren innere practiſche Nothwendigkeit uns zu der Vorausſetzung einer ſelbſtſtaͤndigen Urſache, oder eines weiſen Weltregierers fuͤhrete, um ienen Geſetzen Effect zu geben und daher koͤnnen wir ſie nicht nach dieſem wie- derum als zufaͤllig und vom bloſſen Willen abgeleitet an- ſehen, inſonderheit von einem ſolchen Willen, von dem wir [819/0849] Vom Ideal des hoͤchſten Guts. wir gar keinen Begriff haben wuͤrden, wenn wir ihn nicht ie- nen Geſetzen gemaͤß gebildet haͤtten. Wir werden, ſo weit practiſche Vernunft uns zu fuͤhren das Recht hat, Hand- lungen nicht darum vor verbindlich halten, weil ſie Ge- bote Gottes ſind, ſondern ſie als goͤttliche Gebote anſehen, darum, weil wir dazu innerlich verbindlich ſeyn. Wir werden die Freiheit, unter der zweckmaͤſſigen Einheit nach Principien der Vernunft, ſtudiren, und nur ſo fern glau- ben, dem goͤttlichen Willen gemaͤß zu ſeyn, als wir das Sittengeſetz, welches uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen ſelbſt lehrt, heilig halten, ihm dadurch allein zu dienen glauben, daß wir das Weltbeſte an uns und an an- dern befoͤrdern. Die Moraltheologie iſt alſo nur von im- manentem Gebrauche, nemlich unſere Beſtimmung hier in der Welt zu erfuͤllen, indem wir in das Syſtem aller Zwecke paſſen und nicht ſchwaͤrmeriſch, oder wol gar fre- velhaft den Leitfaden einer moraliſchgeſetzgebenden Ver- nunft im guten Lebenswandel zu verlaſſen, um ihn unmit- telbar an die Idee des hoͤchſten Weſens zu knuͤpfen, wel- ches einen transſcendenten Gebrauch geben wuͤrde, aber eben ſo, wie der, der bloſſen Speculation, die lezte Zwecke der Vernunft verkehren und vereiteln muß. Des F f f 2 [820/0850] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. Des Canons der reinen Vernunft Dritter Abſchnitt. Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. Das Vorwahrhalten iſt eine Begebenheit in unſerem Verſtande, die auf obiectiven Gruͤnden beruhen mag, aber auch ſubiective Urſachen im Gemuͤthe deſſen, der da urtheilt, erfodert. Wenn es vor iederman guͤltig iſt, ſo fern er nur Vernunft hat, ſo iſt der Grund deſſel- ben obiectiv hinreichend und das Vorwahrhalten heißt als- denn Ueberzeugung. Hat es nur in der beſonderen Be- ſchaffenheit des Subiect ſeinen Grund, ſo wird es Ueber- redung genant. Ueberredung iſt ein bloſſer Schein, weil der Grund des Urtheils, welcher lediglich im Subiecte liegt, vor ob- iectiv gehalten wird. Daher hat ein ſolches Urtheil auch nur Privatguͤltigkeit und das Vorwahrhalten laͤßt ſich nicht mittheilen. Wahrheit aber beruht auf der Uebereinſtim- mung mit dem Obiecte, in Anſehung deſſen folglich die Urtheile eines ieden Verſtandes einſtimmig ſeyn muͤſſen (conſentientia uni tertio, conſentiunt inter ſe). Der Probierſtein des Vorwahrhaltens, ob es Ueberzeugung oder bloſſe Ueberredung ſey, iſt alſo, aͤuſſerlich, die Moͤglich- keit, daſſelbe mitzutheilen und das Vorwahrhalten vor iedes Menſchen Vernunft guͤltig zu befinden; denn alsdenn iſt wenigſtens eine Vermuthung, der Grund der Einſtim- mung [821/0851] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. mung aller Urtheile, unerachtet der Verſchiedenheit der Subiecte unter einander, werde auf dem gemeinſchaftli- chen Grunde, nemlich dem Obiecte beruhen, mit welchem ſie daher alle zuſammenſtimmen und dadurch die Wahr- heit des Urtheils beweiſen werden. Ueberredung demnach kan von der Ueberzeugung ſub- iectiv zwar nicht unterſchieden werden, wenn das Sub- iect das Vorwahrhalten, blos als Erſcheinung ſeines eige- nen Gemuͤths, vor Augen hat; der Verſuch aber, den man mit den Gruͤnden deſſelben, die vor uns guͤltig ſind, an anderer Verſtand macht, ob ſie auf fremde Vernunft eben dieſelbe Wirkung thun, als auf die unſrige, iſt doch ein, obzwar nur ſubiectives Mittel, zwar nicht Ueberzeugung zu bewirken, aber doch die bloſſe Privatguͤltigkeit des Ur- theils, d. i. etwas in ihm, was bloſſe Ueberredung iſt, zu entdecken. Kan man uͤberdem die ſubiective Urſachen des Ur- theils, welche wir vor obiective Gruͤnde deſſelben nehmen, entwickeln und mithin das truͤgliche Vorwahrhalten als eine Begebenheit in unſerem Gemuͤthe erklaͤren, ohne dazu die Beſchaffenheit des Obiects noͤthig zu haben, ſo entbloͤſſen wir den Schein und werden dadurch nicht mehr hintergan- gen, obgleich immer noch in gewiſſem Grade verſucht, wenn die ſubiective Urſache des Scheins unſerer Natur anhaͤngt. Ich kan nichts behaupten, d. i. als ein vor ieder- man nothwendig guͤltiges Urtheil ausſprechen, als was Ueber- F f f 3 [822/0852] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. Ueberzeugung wirkt. Ueberredung kan ich vor mich behal- ten, wenn ich mich dabey wol befinde, kan ſie aber und ſoll ſie auſſer mir nicht geltend machen wollen. Das Vorwahrhalten, oder die ſubiective Guͤltigkeit des Urtheils, in Beziehung auf die Ueberzeugung, (welche zugleich obiectiv gilt), hat folgende drey Stufen: Mei- nen, Glauben und Wiſſen. Meinen iſt ein mit Be- wuſtſeyn ſo wol ſubiectiv, als obiectiv unzureichendes Vorwahrhalten. Iſt das leztere nur ſubiectiv zureichend und wird zugleich vor obiectiv unzureichend gehalten, ſo heißt es Glauben. Endlich heißt das, ſo wol ſubiectiv als obiectiv zureichende Vorwahrhalten das Wiſſen. Die ſubiective Zulaͤnglichkeit heißt Ueberzeugung (vor mich ſelbſt), die obiective, Gewißheit (vor iederman). Ich werde mich bey der Erlaͤuterung ſo faßlicher Begriffe nicht aufhalten. Ich darf mich niemals unterwinden, zu Meinen, ohne wenigſtens etwas zu wiſſen, vermittelſt deſſen das an ſich blos problematiſche Urtheil eine Verknuͤpfung mit Wahrheit bekomt, die, ob ſie gleich nicht vollſtaͤndig, doch mehr als willkuͤhrliche Erdichtung iſt. Das Geſetz einer ſolchen Verknuͤpfung muß uͤberdem gewiß ſeyn. Denn, wenn ich in Anſehung deſſen auch nichts als Meinung ha- be, ſo iſt alles nur Spiel der Einbildung, ohne die min- deſte Beziehung auf Wahrheit. In Urtheilen aus reiner Vernunft iſt es gar nicht erlaubt, zu meinen. Denn, weil ſie nicht auf Erfahrungsgruͤnde geſtuͤzt werden, ſon- [823/0853] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. ſondern alles a priori erkant werden ſoll, wo alles noth- wendig iſt, ſo erfodert das Princip der Verknuͤpfung All- gemeinheit und Nothwendigkeit, mithin voͤllige Gewiß- heit, widrigenfals gar keine Leitung auf Wahrheit ange- troffen wird. Daher iſt es ungereimt, in der reinen Ma- thematik zu meinen, man muß wiſſen, oder ſich alles Urtheilens enthalten. Eben ſo iſt es mit den Grundſaͤtzen der Sittlichkeit bewandt, da man nicht auf bloſſe Mei- nung, daß etwas erlaubt ſey, eine Handlung wagen darf, ſondern dieſes wiſſen muß. Im transſcendentalen Gebrauche der Vernunft iſt dagegen Meinen freilich zu wenig, aber Wiſſen auch zu viel. In blos ſpeculativer Abſicht koͤnnen wir alſo hier gar nicht urtheilen; weil ſubiective Gruͤnde des Vorwahr- haltens, wie die, ſo das Glauben bewirken koͤnnen, bey ſpeculativen Fragen keinen Beifall verdienen, da ſie ſich frey von aller empiriſchen Beihuͤlfe nicht halten, noch in gleichem Maaſſe andern mittheilen laſſen. Es kan aber uͤberall blos in practiſcher Beziehung das theoretiſch unzureichende Vorwahrhalten Glauben ge- nant werden. Dieſe practiſche Abſicht iſt nun entweder die der Geſchicklichkeit, oder der Sittlichkeit, die erſte zu beliebigen und zufaͤlligen, die zweite aber zu ſchlechthin nothwendigen Zwecken. Wenn einmal ein Zweck vorgeſezt iſt, ſo ſind die Bedingungen der Erreichung deſſelben hypothetiſchnothwen- dig. Dieſe Nothwendigkeit iſt ſubiectiv, aber doch nur com- F f f 4 [824/0854] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. comparativ zureichend, wenn ich gar keine andere Bedin- gungen weis, unter denen der Zweck zu erreichen waͤre; aber ſie iſt ſchlechthin und vor iederman zureichend, wenn ich gewiß weis: daß niemand andere Bedingungen ken- nen koͤnne, die auf den vorgeſezten Zweck fuͤhren. Im erſten Falle iſt meine Vorausſetzung und das Vorwahrhalten gewiſſer Bedingungen ein blos zufaͤlliger, im zweiten Falle aber ein nothwendiger Glaube. Der Arzt muß bey einem Kranken, der in Gefahr iſt, etwas thun, kent aber die Krankheit nicht. Er ſieht auf die Erſcheinungen und urtheilt, weil er nichts beſſeres weiß, es ſey die Schwind- ſucht. Sein Glaube iſt ſelbſt in ſeinem eigenen Urtheile blos zufaͤllig, ein anderer moͤchte es vielleicht beſſer tref- fen. Ich nenne dergleichen zufaͤlligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauche der Mittel zu gewiſſen Handlun- gen zum Grunde liegt, den pragmatiſchen Glauben. Der gewoͤhnliche Probierſtein: ob etwas bloſſe Ueber- redung, oder wenigſtens ſubiective Ueberzeugung, d. i. fe- ſtes Glauben ſey, was iemand behauptet, iſt das Wet- ten. Oefters ſpricht iemand ſeine Saͤtze mit ſo zuver- ſichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, daß er alle Beſorg- niß des Irrthums gaͤnzlich abgelegt zu haben ſcheint. Eine Wette macht ihn ſtutzig. Bisweilen zeigt ſich: daß er zwar Ueberredung genug, die auf einen Ducaten an Werth ge- ſchaͤzt werden kan, aber nicht auf zehn, beſitze. Denn, den erſten wagt er noch wol, aber bey zehnen wird er aller- [825/0855] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. allererſt inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nemlich doch wol moͤglich ſey, er habe ſich geirrt. Wenn man ſich in Gedanken vorſtellt: man ſolle worauf das Gluͤck des ganzen Lebens verwetten, ſo ſchwindet unſer trium- phirendes Urtheil gar ſehr, wir werden uͤberaus ſchuͤchtern und entdecken ſo allererſt, daß unſer Glaube ſo weit nicht zulange. So hat der pragmatiſche Glaube nur einen Grad, der nach Verſchiedenheit des Intereſſe, das da- bey im Spiele iſt, groß oder auch klein ſeyn kan. Weil aber, ob wir gleich in Beziehung auf ein Ob- iect gar nichts unternehmen koͤnnen, alſo das Vorwahr- halten blos theoretiſch iſt, wir doch in vielen Faͤllen eine Unternehmung in Gedanken faſſen und uns einbilden koͤn- nen, zu welcher wir hinreichende Gruͤnde zu haben ver- meinen, wenn es ein Mittel gaͤbe, die Gewißheit der Sa- che auszumachen, ſo giebt es in blos theoretiſchen Urthei- len ein Analogon von practiſchen, auf deren Vorwahr- haltung das Wort Glauben paßt, und den wir den do- ctrinalen Glauben nennen koͤnnen. Wenn es moͤglich waͤ- re, durch irgend eine Erfahrung auszumachen, ſo moͤchte ich wol alles das Meinige darauf verwetten: daß es we- nigſtens in irgend einem von den Planeten, die wir ſehen, Einwohner gebe. Daher ſage ich, iſt es nicht blos Mei- nung, ſondern ein ſtarker Glaube (auf deſſen Richtigkeit ich ſchon viele Vortheile des Lebens wagen wuͤrde), daß es auch Bewohner anderer Welten gebe. Nun F f f 5 [826/0856] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. Nun muͤſſen wir geſtehen: daß die Lehre vom Da- ſeyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob ich gleich in Anſehung der theoretiſchen Weltkentniß nichts zu verfuͤgen habe, was dieſen Gedanken, als Bedingung meiner Erklaͤrungen der Erſcheinungen der Welt, noth- wendig vorausſetze, ſondern vielmehr verbunden bin, mei- ner Vernunft mich ſo zu bedienen, als ob alles blos Na- tur ſey, ſo iſt doch die zweckmaͤſſige Einheit eine ſo groſſe Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beiſpiele darbietet, ſie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieſer Ein- heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die ſie mir zum Leitfaden der Naturforſchung machte, als wenn ich vorausſetze: daß eine hoͤchſte Intelligenz alles nach den weiſeſten Zwecken ſo geordnet habe. Folglich iſt es eine Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner- heblichen Abſicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor- ſchung der Natur zu haben, einen weiſen Welturheber vorauszuſetzen. Der Ausgang meiner Verſuche beſtaͤtigt auch ſo oft die Brauchbarkeit dieſer Vorausſetzung und nichts kan auf entſcheidende Art dawider angefuͤhrt werden; daß ich viel zu wenig ſage, wenn ich mein Vorwahrhalten blos ein Meinen nennen wolte, ſondern es kan ſelbſt in dieſem theoretiſchen Verhaͤltniſſe geſagt werden: daß ich feſtiglich einen Gott glaube, aber alsdenn iſt dieſer Glau- be in ſtrenger Bedeutung dennoch nicht practiſch, ſondern muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die Theo- [827/0857] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. Theologie der Natur (Phyſicotheologie) nothwendig aller- werts bewirken muß. In Anſehung eben derſelben Weis- heit, in Ruͤckſicht auf die vortrefliche Ausſtattung der menſchlichen Natur und die derſelben ſo ſchlecht angemeſſe- ne Kuͤrze des Lebens, kan eben ſo wol gnugſamer Grund zu einem doctrinalen Glauben des kuͤnftigen Lebens der menſchlichen Seele angetroffen werden. Der Ausdruck des Glaubens iſt in ſolchen Faͤllen ein Ausdruck der Beſcheidenheit in obiectiver Abſicht, aber doch zugleich der Feſtigkeit des Zutrauens in ſubiectiver. Wenn ich das blos theoretiſche Vorwahrhalten hier auch nur Hypotheſe nennen wolte, die ich anzunehmen berech- tigt waͤre, ſo wuͤrde ich mich dadurch ſchon anheiſchig ma- chen, mehr, von der Beſchaffenheit einer Welturſache und einer andern Welt, Begriff zu haben, als ich wirk- lich aufzeigen kan; denn was ich auch nur als Hypotheſe annehme, davon muß ich wenigſtens ſeinen Eigenſchaften nach ſo viel kennen: daß ich nicht ſeinen Begriff, ſon- dern nur ſein Daſeyn erdichten darf. Das Wort Glau- ben aber geht nur auf die Leitung, die mir eine Idee giebt und den ſubiectiven Einfluß auf die Befoͤrderung meiner Vernunfthandlungen, die mich an derſelben feſthaͤlt, ob ich gleich von ihr nicht im Stande bin, in ſpeculativer Ab- ſicht Rechenſchaft zu geben. Aber der blos doctrinale Glaube hat etwas wan- ckendes in ſich; man wird oft durch Schwierigkeiten, die ſich in der Speculation vorfinden, aus demſelben geſezt, ob [828/0858] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. ob man zwar unausbleiblich dazu immer wiederum zu- ruͤckkehrt. Ganz anders iſt es mit dem moraliſchen Glauben bewandt. Denn da iſt es ſchlechterdings nothwendig: daß etwas geſchehen muß, nemlich, daß ich dem ſittlichen Ge- ſetze in allen Stuͤcken Folge leiſte. Der Zweck iſt hier unumgaͤnglich feſtgeſtellt und es iſt nur eine einzige Bedin- gung nach aller meiner Einſicht moͤglich, unter welcher dieſer Zweck mit allen geſamten Zwecken zuſammenhaͤngt und dadurch practiſche Guͤltigkeit habe, nemlich, daß ein Gott und eine kuͤnftige Welt ſey: ich weis auch ganz ge- wiß, daß niemand andere Bedingungen kenne, die auf dieſelbe Einheit der Zwecke unter dem moraliſchen Geſetze fuͤhre. Da aber alſo die ſittliche Vorſchrift zugleich meine Maxime iſt (wie denn die Vernunft gebietet, daß ſie es ſeyn ſoll), ſo werde ich unausbleiblich ein Daſeyn Gottes und ein kuͤnftiges Leben glauben und bin ſicher: daß dieſen Glauben nichts wanckend machen koͤnne, weil dadurch meine ſittliche Grundſaͤtze ſelbſt umgeſtuͤrzt werden wuͤrden, denen ich nicht entſagen kan, ohne in meinen eigenen Au- gen verabſcheuungswuͤrdig zu ſeyn. Auf ſolche Weiſe bleibt uns nach Vereitelung aller ehrſuͤchtigen Abſichten einer, uͤber die Graͤnzen aller Erfah- rung hinaus, herumſchweifenden Vernunft noch genug uͤbrig: daß wir damit in practiſcher Abſicht zufrieden zu ſeyn Urſache haben. Zwar wird freilich ſich niemand ruͤh- men koͤnnen: er wiſſe, daß ein Gott und daß ein kuͤnftig Leben [829/0859] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. Leben ſey; denn, wenn er das weis, ſo iſt er gerade der Mann, den ich laͤngſt geſucht habe. Alles Wiſſen, (wenn es einen Gegenſtand der bloſſen Vernunft betrift) kan man mittheilen, und ich wuͤrde alſo auch hoffen koͤnnen, durch ſeine Belehrung mein Wiſſen in ſo bewundrungswuͤrdigem Maaſſe ausgedehnt zu ſehen. Nein, die Ueberzeugung iſt nicht logiſche, ſondern moraliſche Gewißheit und, da ſie auf ſub- iectiven Gruͤnden (der moraliſchen Geſinnung) beruht, ſo muß ich nicht einmal ſagen: es iſt moraliſch gewiß, daß ein Gott ſey ꝛc. ſondern, ich bin moraliſchgewiß ꝛc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt iſt mit meiner moraliſchen Geſinnung ſo verwebt, daß, ſo wenig ich Gefahr laufe, die erſtere einzubuͤſſen, eben ſo wenig be- ſorge ich, daß mir der zweite iemals entriſſen werden koͤnne. Das einzige Bedenkliche, das ſich hiebey findet, iſt, daß ſich dieſer Vernunftglaube auf die Vorausſetzung mo- raliſcher Geſinnungen gruͤndet. Gehn wir davon ab und nehmen einen, der in Anſehung ſittlicher Geſetze gaͤnzlich gleichguͤltig waͤre, ſo wird die Frage, welche die Vernunft aufwirft, blos eine Aufgabe vor die Speculation und kan alsdenn zwar noch mit ſtarken Gruͤnden aus der Analogie, aber nicht mit ſolchen, denen ſich die hartnaͤckigſte Zwei- felſucht ergeben muͤßte, unterſtuͤzt werden *). Es iſt aber kein *) Das menſchliche Gemuͤth nimt (ſo wie ich glaube, daß es bey iedem vernuͤnftigen Weſen nothwendig geſchieht) ein [830/0860] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. kein Menſch bey dieſen Fragen frey von allem Intereſſe. Denn, ob er gleich von dem moraliſchen, durch den Man- gel guter Geſinnungen, getrent ſeyn moͤchte: ſo bleibt doch auch in dieſem Falle genug uͤbrig, um zu machen, daß er ein goͤttliches Daſeyn und eine Zukunft fuͤrchte. Denn hiezu wird nicht mehr erfodert, als daß er wenig- ſtens keine Gewißheit vorſchuͤtzen koͤnne, daß kein ſol- ches Weſen und kein kuͤnftig Leben anzutreffen ſey, wozu, weil es durch bloſſe Vernunft, mithin apodictiſch bewieſen werden muͤßte, er die Unmoͤglichkeit von beiden darzuthun haben wuͤrde, welches gewiß kein vernuͤnftiger Menſch uͤbernehmen kan. Das wuͤrde ein negativer Glaube ſeyn, der zwar nicht Moralitaͤt und gute Geſinnungen, aber doch das Analogon derſelben bewirken, nemlich den Aus- bruch der Boͤſen maͤchtig zuruͤckhalten koͤnte. Iſt das aber alles, wird man ſagen, was reine Vernunft ausrichtet, indem ſie uͤber die Graͤnzen der Er- fahrung hinaus Ausſichten eroͤfnet? nichts mehr, als zwey Glaubensartikel? ſo viel haͤtte auch wol der gemeine Ver- ſtand, *) *) ein natuͤrliches Intereſſe an der Moralitaͤt, ob es gleich nicht ungetheilt und practiſch uͤberwiegend iſt. Befeſtigt und vergroͤſſert dieſes Intereſſe und ihr werdet die Ver- nunft ſehr gelehrig und ſelbſt aufgeklaͤrter finden, um mit dem practiſchen auch das ſpeculative Intereſſe zu ver- einigen. Sorget ihr aber nicht davor: daß ihr vorher, wenigſtens auf dem halben Wege, gute Menſchen macht, ſo werdet ihr auch niemals aus ihnen aufrichtigglaͤubige Menſchen machen! [831/0861] Vom Meinen, Wiſſen und Glauben. ſtand, ohne daruͤber den Philoſophen zu Rathe zu ziehen, ausrichten koͤnnen! Ich will hier nicht das Verdienſt ruͤhmen, das Phi- loſophie durch die muͤhſame Beſtrebung ihrer Critik um die menſchliche Vernunft habe, geſezt, es ſolte auch beim Aus- gange blos negativ befunden werden; denn davon wird in dem folgenden Abſchnitte noch etwas vorkommen. Aber verlangt ihr denn: daß ein Erkentniß, welches alle Men- ſchen angeht, den gemeinen Verſtand uͤberſteigen und euch nur von Philoſophen entdekt werden ſolle? Eben das, was ihr tadelt, iſt die beſte Beſtaͤtigung von der Richtigkeit der bisherigen Behauptungen, da es das, was man anfangs nicht vorher ſehen konte, entdekt, nemlich, daß die Natur, in dem, was Menſchen ohne Unterſchied angelegen iſt, keiner partheyiſchen Austheilung ihrer Gaben zu beſchuldigen ſey und die hoͤchſte Philoſophie in Anſehung der weſentlichen Zwecke der menſchlichen Natur, es nicht weiter bringen koͤnne, als die Leitung, welche ſie auch dem gemeinſten Verſtande hat angedeien laſſen. Der [832/0862] Methodenlehre III. Hauptſt. Der Transſcendentalen Methodenlehre Drittes Hauptſtuͤck. Die Architectonik der reinen Vernunft. Ich verſtehe unter einer Architectonik die Kunſt der Syſteme. Weil die ſyſtematiſche Einheit dasienige iſt, was gemeine Erkentniß allererſt zur Wiſſenſchaft, d. i. aus einem bloſſen Aggregat derſelben ein Syſtem macht, ſo iſt Architectonik: die Lehre des ſcientifiſchen in unſerer Erkentniß uͤberhaupt und ſie gehoͤrt alſo nothwendig zur Methodenlehre. Unter der Regierung der Vernunft duͤrfen unſere Er- kentniſſe uͤberhaupt keine Rhapſodie, ſondern ſie muͤſſen ein Syſtem ausmachen, in welchem ſie allein die weſent- lichen Zwecke derſelben unterſtuͤtzen und befoͤrdern koͤnnen. Ich verſtehe aber unter einem Syſteme die Einheit der mannigfaltigen Erkentniſſe unter einer Idee. Dieſe iſt der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, ſo fern durch denſelben der Umfang des Mannigfaltigen ſo wol, als die Stelle der Theile unter einander, a priori beſtimt wird. Der ſcientifiſche Vernunftbegriff enthaͤlt alſo den Zweck und die Form des Ganzen, das mit demſelben con- gruirt. Die Einheit des Zwecks, worauf ſich alle Theile und in der Idee deſſelben auch untereinander beziehen, macht, daß ein ieder Theil bey der Kentniß der uͤbrigen vermißt wer- [833/0863] Die Architectonik der reinen Vernunft. werden kan und keine zufaͤllige Hinzuſetzung, oder unbeſtim- te Groͤſſe der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori be- ſtimte Graͤnzen habe, ſtatt findet. Das Ganze iſt alſo gegliedert (articulatio) und nicht gehaͤuft (coacervatio); es kan zwar innerlich (per intus ſuſceptionem), aber nicht aͤuſſerlich (per appoſitionem) wachſen, wie ein thieriſcher Coͤrper, deſſen Wachsthum kein Glied hinzuſezt, ſondern, ohne Veraͤnderung der Proportion, ein iedes zu ſeinen Zwecken ſtaͤrker und tuͤchtiger macht. Die Idee bedarf zur Ausfuͤhrung ein Schema, d. i. eine a priori aus dem Princip des Zwecks beſtimte weſent- liche Mannigfaltigkeit und Ordnung der Theile. Das Schema, welches nicht nach einer Idee, d. i. aus dem Hauptzwecke der Vernunft, ſondern empiriſch, nach zu- faͤllig ſich darbietenden Abſichten (deren Menge man nicht voraus wiſſen kan), entworfen wird, giebt techniſche, das- ienige aber, was nur zu Folge einer Idee entſpringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgiebt und nicht em- piriſch erwartet), gruͤndet architectoniſche Einheit. Nicht techniſch, wegen der Aehnlichkeit des Mannigfaltigen, oder des zufaͤlligen Gebrauchs der Erkentniß in concreto zu allerley beliebigen aͤuſſeren Zwecken, ſondern architecto- niſch, um der Verwandſchaft willen und der Ableitung von einem einigen oberſten und inneren Zwecke, der das Ganze allererſt moͤglich macht, kan dasienige entſpringen, was wir Wiſſenſchaft nennen, deſſen Schema den Umriß (monogramma) und die Eintheilung des Ganzen in Glie- der, G g g [834/0864] Methodenlehre III. Hauptſt. der, der Idee gemaͤß, d. i. a priori enthalten und dieſes von allen anderen ſicher und nach Principien unterſchei- den muß. Niemand verſucht es, eine Wiſſenſchaft zu Stande zu bringen, ohne daß ihm eine Idee zum Grunde liege. Allein, in der Ausarbeitung derſelben entſpricht das Sche- ma, ia ſo gar die Definition, die er gleich zu Anfange von ſeiner Wiſſenſchaft giebt, ſehr ſelten ſeiner Idee; denn dieſe liegt, wie ein Keim, in der Vernunft, in welchem alle Theile noch ſehr eingewickelt und kaum der microſcopi- ſchen Beobachtung kennbar, verborgen liegen. Um des- willen muß man Wiſſenſchaften, weil ſie doch alle aus dem Geſichtspuncte eines gewiſſen allgemeinen Intereſſe ausgedacht werden, nicht nach der Beſchreibung, die der Urheber derſelben davon giebt, ſondern nach der Idee, welche man aus der natuͤrlichen Einheit der Theile, die er zuſammengebracht hat, in der Vernunft ſelbſt gegruͤndet findet, erklaͤren und beſtimmen. Denn da wird ſich fin- den: daß der Urheber und oft noch ſeine ſpaͤteſte Nachfol- ger um eine Idee herumirren, die ſie ſich ſelbſt nicht haben deutlich machen und daher den eigenthuͤmlichen Inhalt, die Articulation (ſyſtematiſche Einheit) und Graͤnzen der Wiſſenſchaft nicht beſtimmen koͤnnen. Es iſt ſchlimm: daß nur allererſt, nachdem wir lange Zeit, nach Anweiſung einer in uns verſteckt liegenden Idee, rhapſodiſtiſch viele dahin ſich beziehende Erkentniſſe, als Bauzeug, geſammelt, ia gar lange Zeiten hindurch ſie tech [835/0865] Die Architectonik der reinen Vernunft. techniſch zuſammengeſezt haben, es uns denn allererſt moͤg- lich iſt, die Idee in hellerem Lichte zu erblicken und ein Ganzes nach den Zwecken der Vernunft architectoniſch zu entwerfen. Die Syſteme ſcheinen, wie Gewuͤrme, durch eine generatio equivoca, aus dem bloſſen Zuſammenfluß von aufgeſammelten Begriffen, anfangs verſtuͤmmelt, mit der Zeit vollſtaͤndig, gebildet worden zu ſeyn, ob ſie gleich alle insgeſamt ihr Schema, als den urſpruͤnglichen Keim, in der ſich blos auswickelnden Vernunft hatten und darum, nicht allein ein iedes vor ſich nach einer Idee gegliedert, ſondern noch dazu alle unter einander in einem Syſtem menſchlicher Erkentniß wiederum als Glieder eines Gan- zen zweckmaͤſſig vereinigt ſeyn und eine Architectonik alles menſchlichen Wiſſens erlauben, die ieziger Zeit, da ſchon ſo viel Stoff geſammelt iſt, oder aus Ruinen eingefallener alter Gebaͤude genommen werden kan, nicht allein moͤg- lich, ſondern nicht einmal ſo gar ſchwer ſeyn wuͤrde. Wir begnuͤgen uns hier mit der Vollendung unſeres Geſchaͤftes, nemlich, lediglich die Architectonik aller Erkentniß aus rei- ner Vernunft zu entwerfen und fangen nur von dem Puncte an, wo ſich die allgemeine Wurzel unſerer Erkent- nißkraft theilt und zwey Staͤmme auswirft, deren einer Vernunft iſt. Ich verſtehe hier aber unter Vernunft das ganze obere Erkentnißvermoͤgen und ſetze alſo das ra- tionale dem empiriſchen entgegen. Wenn ich von allem Inhalte der Erkentniß, obie- ctiv betrachtet, abſtrahire, ſo iſt alles Erkentniß, ſubie- ctiv G g g 2 [836/0866] Methodenlehre III. Hauptſt. ctiv, entweder hiſtoriſch oder rational. Die hiſtoriſche Erkentniß iſt cognitio ex datis, die rationale aber cogni- tio ex principiis. Eine Erkentniß mag urſpruͤnglich ge- geben ſeyn, woher ſie wolle, ſo iſt ſie doch bey dem, der ſie beſizt, hiſtoriſch, wenn er nur in dem Grade und ſo viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es mag dieſes ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzaͤhlung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentniſſe) gegeben ſeyn. Daher hat der, welcher ein Syſtem der Philoſophie z. B. das wolfiſche, eigentlich gelernt hat, ob er gleich alle Grundſaͤtze, Erklaͤrungen und Beweiſe, zu- ſamt der Eintheilung des ganzen Lehrgebaͤudes im Kopf haͤtte und alles an den Fingern abzaͤhlen koͤnte, doch keine andere als vollſtaͤndige hiſtoriſche Erkentniß der wolfiſchen Philoſophie; er weis und urtheilt nur ſo viel, als ihm ge- geben war. Streitet ihm eine Definition, ſo weis er nicht, wo er eine andere hernehmen ſoll. Er bildete ſich nach fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermoͤgen iſt nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entſprang bey ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, aller- dings ein Vernunfterkentniß war, ſo iſt es doch, ſubie- ctiv blos hiſtoriſch. Er hat gut gefaßt und behalten, d. i. gelernet und iſt ein Gipsabdruck von einem lebenden Menſchen. Vernunfterkentniſſe, die es obiectiv ſind, (d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Men- ſchen entſpringen koͤnnen) duͤrfen nur denn allein auch ſub- iectiv dieſen Nahmen fuͤhren, wenn ſie aus allgemeinen Quel- [837/0867] Die Architectonik der reinen Vernunft. Quellen der Vernunft, woraus auch die Critik, ia ſelbſt die Verwerfung des Gelerneten entſpringen kan, d. i. aus Principien geſchoͤpft worden. Alle Vernunfterkentniß iſt nun entweder die aus Begriffen, oder aus der Conſtruction der Begriffe, die erſtere heißt philoſophiſch, die zweite mathematiſch. Von dem inneren Unterſchiede beider habe ich ſchon im erſten Hauptſtuͤcke gehandelt. Ein Erkentniß demnach kan ob- iectiv philoſophiſch ſeyn und iſt doch ſubiectiv hiſtoriſch, wie bey den meiſten Lehrlingen und bey allen, die uͤber die Schule niemals hinausſehen und zeitlebens Lehrlinge blei- ben. Es iſt aber doch ſonderbar: daß das mathematiſche Erkentniß, ſo wie man es erlernet hat, doch auch ſubiectiv vor Vernunfterkentniß gelten kan, und ein ſolcher Unter- ſchied bey ihr nicht ſo, wie bey dem philoſophiſchen ſtatt findet. Die Urſache iſt, weil die Erkentnißquellen, aus denen der Lehrer allein ſchoͤpfen kan, nirgend anders als in den weſentlichen und aͤchten Principien der Vernunft liegen und mithin von dem Lehrlinge nirgend anders her- genommen, noch etwa geſtritten werden koͤnnen, und die- ſes zwar darum, weil der Gebrauch der Vernunft hier nur in concreto, obzwar dennoch a priori, nemlich an der reinen und, eben deswegen, fehlerfreien Anſchauung geſchieht und alle Taͤuſchung und Irrthum ausſchließt. Man kan alſo unter allen Vernunftwiſſenſchaften (a priori) nur allein Mathematik, niemals aber Philoſophie (es ſey denn hiſtoriſch), ſondern, was die Vernunft betrift, hoͤch- ſtens nur philoſophiren lernen. Das G g g 3 [838/0868] Methodenlehre III. Hauptſt. Das Syſtem aller philoſophiſchen Erkentniß iſt nun Philoſophie. Man muß ſie obiectiv nehmen, wenn man darunter das Urbild der Beurtheilung aller Verſuche zu philoſophiren verſteht, welche iede ſubiective Philoſo- phie zu beurtheilen dienen ſoll, deren Gebaͤude oft ſo man- nigfaltig und ſo veraͤnderlich iſt. Auf dieſe Weiſe iſt Philoſophie eine bloſſe Idee von einer moͤglichen Wiſſen- ſchaft, die nirgend in concreto gegeben iſt, welcher man ſich aber auf mancherley Wegen zu naͤhern ſucht, ſo lan- ge, bis der einzige, ſehr durch Sinnlichkeit verwachſene Fußſteig entdeckt wird, und das bisher verfehlte Nachbild, ſo weit als es Menſchen vergoͤnnet iſt, dem Urbilde gleich zu machen gelinget. Bis dahin kan man keine Philoſo- phie lernen; denn, wo iſt ſie, wer hat ſie im Beſitze und woran laͤßt ſie ſich erkennen? Man kan nur philoſophi- ren lernen, d. i. das Talent der Vernunft in der Befol- gung ihrer allgemeinen Principien an gewiſſen vorhande- nen Verſuchen uͤben, doch immer mit Vorbehalt des Rechts der Vernunft, iene ſelbſt in ihren Quellen zu un- terſuchen und zu beſtaͤtigen, oder zu verwerfen. Bis dahin iſt aber der Begriff von Philoſophie nur ein Schulbegriff, nemlich von einem Syſtem der Erkent- niß, die nur als Wiſſenſchaft geſucht wird, ohne etwas mehr als die ſyſtematiſche Einheit dieſes Wiſſens, mithin die logiſche Vollkommenheit der Erkentniß zum Zwecke zu haben. Es giebt aber noch einen Weltbegriff, (concep- tus cosmicus) der dieſer Benennung iederzeit zum Grunde gelegen hat, vornemlich, wenn man ihn gleich- ſam [839/0869] Die Architectonik der reinen Vernunft. ſam perſonificirte und in dem Ideal des Philoſophen ſich als ein Urbild vorſtellte. In dieſer Abſicht iſt Philoſo- phie die Wiſſenſchaft von der Beziehung aller Erkentniß auf die weſentliche Zwecke der menſchlichen Vernunft (teleo- logia rationis humanae) und der Philoſoph iſt nicht ein Vernunftkuͤnſtler, ſondern der Geſezgeber der menſchlichen Vernunft. In ſolcher Bedeutung waͤre es ſehr ruhmre- dig, ſich ſelbſt einen Philoſoph zu nennen und ſich anzu- maſſen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleich- gekommen zu ſeyn. Der Mathematiker, der Naturkuͤndiger, der Logi- ker ſind, ſo vortreflich die erſtere auch uͤberhaupt im Ver- nunfterkentniſſe, die zweite beſonders im philoſophiſchen Erkentniſſe Fortgang haben moͤgen, doch nur Vernunft- kuͤnſtler. Es giebt noch einen Lehrer im Ideal, der alle dieſe anſezt, ſie als Werkzeuge nuzt, um die weſentliche Zwecke der menſchlichen Vernunft zu befoͤrdern. Dieſen allein muͤßten wir den Philoſoph nennen; aber, da er ſelbſt doch nirgend, die Idee aber ſeiner Geſezgebung allenthal- ben in ieder Menſchenvernunft angetroffen wird, ſo wollen wir uns lediglich an der lezteren halten und naͤher beſtim- men, was Philoſophie, nach dieſem Weltbegriffe *), vor ſyſte- *) Weltbegriff heißt hier derienige, der das betrift, was iederman nothwendig intereſſirt; mithin beſtimme ich die Abſicht einer Wiſſenſchaft nach Schulbegriffen, wenn ſie nur als eine von den Geſchicklichkeiten, zu gewiſſen beliebigen Zwecken angeſehen wird. G g g 4 [840/0870] Methodenlehre III. Hauptſt. ſyſtematiſche Einheit aus dem Standpuncte der Zwecke vorſchreibe. Weſentliche Zwecke ſind darum noch nicht die hoͤch- ſten, deren (bey vollkommener ſyſtematiſcher Einheit der Vernunft) nur ein einziger ſeyn kan. Daher ſind ſie ent- weder der Endzweck, oder ſubalterne Zwecke, die zu ienem als Mittel nothwendig gehoͤren. Der erſtere iſt kein an- derer, als die ganze Beſtimmung des Menſchen und die Philoſophie uͤber dieſelbe heißt Moral. Um dieſes Vor- zugs willen, den die Moralphiloſophie vor aller anderen Vernunftbewerbung hat, verſtand man auch bey den Alten unter dem Nahmen des Philoſophen iederzeit zugleich und vorzuͤglich den Moraliſt und ſelbſt macht der aͤuſſere Schein der Selbſtbeherrſchung durch Vernunft, daß man iemanden noch iezt, bey ſeinem eingeſchraͤnkten Wiſſen, nach einer gewiſſen Analogie, Philoſoph nent. Die Geſezgebung der menſchlichen Vernunft (Phi- loſophie) hat nun zwey Gegenſtaͤnde: Natur und Freiheit und enthaͤlt alſo ſowol das Naturgeſetz, als auch das Sit- tengeſetz, anfangs in zwey beſondern, zulezt aber in einem einzigen philoſophiſchen Syſtem. Die Philoſophie der Natur geht auf alles, was da iſt, die der Sitten nur auf das, was da ſeyn ſoll. Alle Philoſophie aber iſt entweder Erkentniß aus rei- ner Vernunft, oder Vernunfterkentniß aus empiriſchen Principien. Die erſtere heißt reine, die zweite empiriſche Philoſophie. Die [841/0871] Die Architectonik der reinen Vernunft. Die Philoſophie der reinen Vernunft iſt nun entwe- der Propaͤdevtik (Voruͤbung), welche das Vermoͤgen der Vernunft in Anſehung aller reinen Erkentniß a priori un- terſucht und heißt Critik, oder zweitens das Syſtem der reinen Vernunft (Wiſſenſchaft), die ganze (wahre ſowol als ſcheinbare) philoſophiſche Erkentniß aus reiner Ver- nunft im ſyſtematiſchen Zuſammenhange, und heißt Me- taphyſik; wiewol dieſer Nahme auch der ganzen reinen Philoſophie mit Inbegriff der Critik gegeben werden kan, um, ſowol die Unterſuchung alles deſſen, was iemals a priori erkant werden kan, als auch die Darſtellung desie- nigen, was ein Syſtem reiner philoſophiſchen Erkentniſſe dieſer Art ausmacht, von allem empiriſchen aber, imglei- chen dem mathematiſchen Vernunftgebrauche unterſchieden iſt, zuſammen zu faſſen. Die Metaphyſik theilet ſich in die, des ſpeculativen und practiſchen Gebrauchs der reinen Vernunft und iſt alſo entweder Metaphyſik der Natur, oder Metaphyſik der Sitten. Jene enthaͤlt alle reine Vernunftprincipien aus bloſſen Begriffen (mithin mit Ausſchlieſſung der Mathe- matik) von dem theoretiſchen Erkentniſſe aller Dinge, die- ſe die Principien, welche das Thun und Laſſen a priori beſtimmen und nothwendig machen. Nun iſt die Morali- taͤt die einzige Geſetzmaͤſſigkeit der Handlungen, die voͤllig a priori aus Principien abgeleitet werden kan. Daher iſt die Metaphyſik der Sitten eigentlich die reine Moral, in welcher keine Anthropologie (keine empiriſche Bedin- gung) G g g 5 [842/0872] Methodenlehre III. Hauptſt. gung) zum Grunde gelegt wird. Die Metaphyſik der ſpeculativen Vernunft iſt nun das, was man im engeren Verſtande Metaphyſik zu nennen pflegt; ſo fern aber reine Sittenlehre doch gleichwol zu dem beſonderen Stamme menſchlicher und zwar philoſophiſcher Erkentniß aus reiner Vernunft gehoͤret, ſo wollen wir ihr iene Benennung er- halten, obgleich wir ſie, als zu unſerm Zwecke iezt nicht gehoͤrig, hier bey Seite ſetzen. Es iſt von der aͤuſſerſten Erheblichkeit, Erkentniſſe, die ihrer Gattung und Urſprunge nach von andern unter- ſchieden ſind, zu iſoliren und ſorgfaͤltig zu verhuͤten, daß ſie nicht mit andern, mit welchen ſie im Gebrauche gewoͤhnlich verbunden ſind, in ein Gemiſche zuſammen- flieſſen. Was Chemiker beim Scheiden der Materien, was Mathematiker in ihrer reinen Groͤſſenlehre thun, das liegt noch weit mehr dem Philoſophen ob, damit er den Antheil, den eine beſondere Art der Erkentniß am her- umſchweifenden Verſtandesgebrauch hat, ihren eigenen Werth und Einfluß ſicher beſtimmen koͤnne. Daher hat die menſchliche Vernunft ſeitdem, daß ſie gedacht, oder vielmehr nachgedacht hat, niemals einer Metaphyſik ent- behren, aber gleichwol ſie nicht, genugſam gelaͤutert von allem Fremdartigen, darſtellen koͤnnen. Die Idee einer ſolchen Wiſſenſchaft iſt eben ſo alt, als ſpeculative Men- ſchenvernunft und welche Vernunft ſpeculirt nicht, es mag nun auf ſcholaſtiſche, oder populaͤre Art geſchehen? Man muß indeſſen geſtehen: daß die Unterſcheidung der zwey Ele- [843/0873] Die Architectonik der reinen Vernunft. Elemente unſerer Erkentniß, deren die eine voͤllig a priori in unſerer Gewalt ſind, die andere nur a poſteriori aus der Erfahrung genommen werden koͤnnen, ſelbſt bey Den- kern von Gewerbe, nur ſehr undeutlich blieb, und daher niemals die Graͤnzbeſtimmung einer beſondern Art von Erkentniß, mithin nicht die aͤchte Idee einer Wiſſenſchaft, die ſo lange und ſo ſehr die menſchliche Vernunft beſchaͤf- tigt hat, zu Stande bringen konte. Wenn man ſagte: Metaphyſik iſt die Wiſſenſchaft von den erſten Principien der menſchlichen Erkentniß, ſo bemerkte man dadurch nicht eine ganz beſondere Art, ſondern nur einen Rang in Anſe- hung der Allgemeinheit, dadurch ſie alſo vom Empiriſchen nicht kentlich unterſchieden werden konte; denn auch un- ter empiriſchen Principien ſind einige allgemeiner, und darum hoͤher als andere und, in der Reihe einer ſolchen Unterordnung, (da man das, was voͤllig a priori, von dem, was nur a poſteriori erkant wird, nicht unterſchei- det), wo ſoll man den Abſchnitt machen, der den erſten Theil und die oberſte Glieder von dem lezten und den un- tergeordneten unterſchiede? Was wuͤrde man dazu ſagen, wenn die Zeitrechnung die Epochen der Welt nur ſo be- zeichnen koͤnte, daß ſie ſie in die erſte Jahrhunderte und in die darauf folgende eintheilete. Gehoͤret das fuͤnfte, das zehnte ꝛc. Jahrhundert auch zu den erſten? wuͤrde man fra- gen; eben ſo frage ich: gehoͤrt der Begriff des Ausge- dehnten zur Metaphyſik? ihr antwortet, ia! ey, aber auch der des Coͤrpers? ia! und der des fluͤſſigen Coͤrpers? ihr wer- [844/0874] Methodenlehre III. Hauptſt. werdet ſtutzig, denn, wenn es ſo weiter fortgeht, ſo wird alles in die Metaphyſik gehoͤren. Hieraus ſieht man: daß der bloſſe Grad der Unterordnung (das Beſondere unter dem Allgemeinen) keine Graͤnzen einer Wiſſenſchaft beſtimmen koͤnne, ſondern in unſerem Falle die gaͤnzliche Ungleich- artigkeit und Verſchiedenheit des Urſprungs. Was aber die Grundidee der Metaphyſik noch auf einer anderen Seite ver- dunkelte, war, daß ſie als Erkentniß a priori mit der Ma- thematik eine gewiſſe Gleichartigkeit zeigt, die zwar, was den Urſprung a priori betrift, ſie einander verwandt, was aber die Erkentnißart aus Begriffen bey iener, in Verglei- chung mit der Art, blos durch Conſtruction der Begriffe a priori zu urtheilen, bey dieſer, mithin den Unterſchied einer philoſophiſchen Erkentniß von der mathematiſchen an- langt, ſo zeigt ſich eine ſo entſchiedene Ungleichartigkeit, die man zwar iederzeit gleichſam fuͤhlete, niemals aber auf deutliche Criterien bringen konte. Dadurch iſt es nun geſchehen, daß, da Philoſophen ſelbſt in der Entwickelung der Idee ihrer Wiſſenſchaft fehleten, die Bearbeitung der- ſelben keinen beſtimten Zweck und keine ſichere Richtſchnur haben konte und ſie, bey einem ſo willkuͤhrlich gemachten Entwurfe, unwiſſend in dem Wege, den ſie zu nehmen haͤt- ten, und iederzeit unter ſich ſtreitig, uͤber die Entdeckun- gen, die ein ieder auf dem ſeinigen gemacht haben wolte, ihre Wiſſenſchaft zuerſt bey andern und endlich ſogar bey ſich ſelbſt in Verachtung brachten. Alle [845/0875] Die Architectonik der reinen Vernunft. Alle reine Erkentniß a priori macht alſo, vermoͤ- ge dem beſondern Erkentnißvermoͤgen, darin es allein ſei- nen Sitz haben kan, eine beſondere Einheit aus und Me- taphyſik iſt dieienige Philoſophie, welche iene Erkentniß in dieſer ſyſtematiſchen Einheit darſtellen ſoll. Der ſpecu- lative Theil derſelben, der ſich dieſen Nahmen vorzuͤglich zugeeignet hat, nemlich die, welche wir Metaphyſik der Natur nennen und alles, ſo fern es iſt, (nicht das, was ſeyn ſoll) aus Begriffen a priori erwaͤgt, wird nun auf fol- gende Art eingetheilt. Die im engeren Verſtande ſo genante Metaphyſik be- ſteht aus der Transſcendentalphiloſophie und der Phyſiolo- gie der reinen Vernunft. Die erſtere betrachtet nur den Ver- ſtand und Vernunft ſelbſt in einem Syſtem aller Begriffe und Grundſaͤtze, die ſich auf Gegenſtaͤnde uͤberhaupt bezie- hen, ohne Obiecte anzunehmen, die gegeben waͤren (On- tologia), die zweite betrachtet Natur, d. i. den Inbegriff gegebener Gegenſtaͤnde, (ſie moͤgen nun den Sinnen, oder, wenn man will, einer andern Art von Anſchauung ge- geben ſeyn), und iſt alſo Phyſiologie (obgleich nur ratio- nalis). Nun iſt aber der Gebrauch der Vernunft in die- ſer rationalen Naturbetrachtung entweder phyſiſch, oder hyperphyſiſch, oder beſſer, entweder immanent oder trans- ſcendent. Der erſtere geht auf die Natur, ſo weit als ihre Erkentniß in der Erfahrung (in concreto) kan an- gewandt werden, der zweite auf dieienige Verknuͤpfung der Gegenſtaͤnde der Erfahrung welche alle Erfahrung uͤber- ſteigt. [846/0876] Methodenlehre III. Hauptſt. ſteigt. Dieſe transſcendente Phyſiologie hat daher ent- weder eine innere Verknuͤpfung, oder aͤuſſere, die aber beide uͤber moͤgliche Erfahrung hinaus gehen, zu ihrem Gegenſtande; iene iſt die Phyſiologie der geſamten Natur, d. i. die transſcendentale Welterkentniß, dieſe des Zu- ſammenhanges der geſamten Natur mit einem Weſen uͤber der Natur, d. i. die transſcendentale Gotteserkentniß. Die immanente Phyſiologie betrachtet dagegen Na- tur, als den Inbegriff aller Gegenſtaͤnde der Sinne, mit- hin, ſo wie ſie uns gegeben iſt, aber nur nach Bedingun- gen a priori, unter denen ſie uns uͤberhaupt gegeben wer- den kan. Es ſind aber nur zweierley Gegenſtaͤnde der- ſelben. 1. Die der aͤuſſeren Sinne, mithin, der Inbegriff derſelben, die koͤrperliche Natur. 2. Der Gegenſtand des inneren Sinnes, die Seele, und, nach den Grund- begriffen derſelben uͤberhaupt, die denkende Natur. Die Metaphyſik der koͤrperlichen Natur heißt Phyſik, aber, weil ſie nur die Principien ihrer Erkentniß a priori enthal- ten ſoll, rationale Phyſik. Die Metaphyſik der denken- den Natur heißt Pſychologie und, aus der eben angefuͤhr- ten Urſache, iſt hier nur die rationale Erkentniß derſel- ben zu verſtehen. Demnach beſteht das ganze Syſtem der Metaphyſik aus vier Haupttheilen. 1. Der Ontologie. 2. Der ratio- nalen Phyſiologie. 3. Der rationalen Cosmologie. 4. Der rationalen Theologie. Der zweite Theil, nemlich die Naturlehre der reinen Vernunft, enthaͤlt zwey Abtheilun- gen [847/0877] Die Architectonik der reinen Vernunft. gen, die phyſica rationalis *) und pſychologia ratio- nalis. Die urſpruͤngliche Idee einer Philoſophie der reinen Vernunft ſchreibt dieſe Abtheilung ſelbſt vor; ſie iſt alſo architectoniſch, ihren weſentlichen Zwecken gemaͤß und nicht blos techniſch, nach zufaͤllig wahrgenommenen Ver- wandſchaften und gleichſam auf gut Gluͤck angeſtellt, eben darum aber auch unwandelbar und legislatoriſch. Es fin- den ſich aber hiebey einige Puncte, die Bedenklichkeit er- regen und die Ueberzeugung von der Geſetzmaͤſſigkeit der- ſelben ſchwaͤchen koͤnten. Zuerſt, wie kan ich eine Erkentniß a priori, mithin Metaphyſik, von Gegenſtaͤnden erwarten: ſo fern ſie un- ſeren Sinnen, mithin a poſteriori gegeben ſeyn und, wie iſt es moͤglich, nach Principien a priori, die Natur der Din- ge *) Man denke ia nicht: daß ich hierunter dasienige ver- ſtehe, was man gemeiniglich phyſica generalis nent, und mehr Mathematik, als Philoſophie der Natur iſt. Denn die Metaphyſik der Natur ſondert ſich gaͤnzlich von der Mathematik ab, hat auch bey weitem nicht ſo viel erwei- ternde Einſichten anzubieten, als dieſe, iſt aber doch ſehr wichtig, in Anſehung der Critik des auf die Natur anzu- wendenden reinen Verſtandeserkentniſſes uͤberhaupt; in Ermangelung deren ſelbſt Mathematiker, indem ſie ge- wiſſen gemeinen, in der That doch metaphyſiſchen Be- griffen anhaͤngen, die Naturlehre unvermerkt mit Hypo- theſen belaͤſtigt haben, welche bey einer Critik dieſer Prin- cipien verſchwinden, ohne dadurch doch dem Gebrauche der Mathematik in dieſem Felde (der ganz unentbehrlich iſt) im mindeſten Abbruch zu thun. [848/0878] Methodenlehre III. Hauptſt. ge zu erkennen und zu einer rationalen Phyſiologie zu ge- langen? Die Antwort iſt: wir nehmen aus der Erfah- rung nichts weiter, als was noͤthig iſt, uns ein Obiect, theils des aͤuſſeren, theils des inneren Sinnes zu geben. Jenes geſchieht durch den bloſſen Begriff Materie, (undurch- dringliche lebloſe Ausdehnung) dieſes durch den Begriff eines denkenden Weſens (in der empiriſchen inneren Vor- ſtellung: Ich denke). Uebrigens muͤſten wir in der gan- zen Metaphyſik dieſer Gegenſtaͤnde, uns aller empiriſchen Principien gaͤnzlich enthalten, die uͤber den Begriff, noch irgend eine Erfahrung hinzuſetzen moͤchten, um etwas uͤber dieſe Gegenſtaͤnde daraus zu urtheilen. Zweitens: wo bleibt denn die empiriſche Pſycho- logie, welche von ieher ihren Platz in der Metaphyſik be- hauptet hat und von welcher man in unſeren Zeiten ſo gar groſſe Dinge zu Aufklaͤrung derſelben erwartet hat, nach- dem man die Hoffnung aufgab, etwas taugliches a priori auszurichten? Ich antworte: ſie komt dahin, wo die eigentliche (empiriſche) Naturlehre hingeſtellt werden muß, nemlich auf die Seite der angewandten Philoſophie, zu welcher die reine Philoſophie die Principien a priori ent- haͤlt, die alſo mit iener zwar verbunden, aber nicht vermiſcht werden muß. Alſo muß empiriſche Pſychologie aus der Metaphyſik gaͤnzlich verbannet ſeyn, und iſt ſchon durch die Idee derſelben davon gaͤnzlich ausgeſchloſſen. Gleichwol wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch noch immer (obzwar nur als Epiſode) ein Plaͤtzchen darin ver- [849/0879] Die Architectonik der reinen Vernunft. verſtatten muͤſſen und zwar aus oͤconomiſchen Bewegurſa- chen, weil ſie noch nicht ſo reich iſt, daß ſie allein ein Stu- dium ausmachen und doch zu wichtig, als daß man ſie ganz ausſtoſſen, oder anderwerts anheften ſolte, wo ſie noch weniger Verwandſchaft als in der Metaphyſik antref- fen duͤrfte. Es iſt alſo blos ein ſo lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt vergoͤnt, bis er in einer ausfuͤhrlichen Anthropologie (dem Pendant zu der empiriſchen Naturlehre) ſeine eigene Be- hauſung wird beziehen koͤnnen. Das iſt alſo die allgemeine Idee der Metaphyſik, welche, da man ihr anfaͤnglich mehr zumuthete, als billiger- weiſe verlangt werden kan und ſich eine zeitlang mit ange- nehmen Erwartungen ergoͤtzte, zulezt in allgemeine Ver- achtung gefallen iſt da man ſich in ſeiner Hoffnung betro- gen fand. Aus dem ganzen Verlauf unſerer Critik wird man ſich hinlaͤnglich uͤberzeugt haben: daß, wenn gleich Metaphyſik nicht die Grundveſte der Religion ſeyn kan, ſo muͤſſe ſie doch iederzeit als die Schutzwehr derſelben ſte- hen bleiben und daß die menſchliche Vernunft, welche ſchon durch die Richtung ihrer Natur dialectiſch iſt, einer ſolchen Wiſſenſchaft niemals entbehren koͤnne, die ſie zuͤgelt und, durch ein ſcientifiſches und voͤllig einleuchtendes Selbſter- kentniß, die Verwuͤſtungen abhaͤlt, welche eine geſetzloſe ſpeculative Vernunft ſonſt ganz unfehlbar, in Moral ſowol als Religion, anrichten wuͤrde. Man kan alſo ſicher ſeyn, ſo ſproͤde, oder geringſchaͤtzend auch dieienige thun, die eine H h h [850/0880] Methodenlehre III. Hauptſt. eine Wiſſenſchaft nicht nach ihrer Natur, ſondern allein aus ihren zufaͤlligen Wirkungen zu beurtheilen wiſſen, man wer- de iederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns entzweiten Ge- liebten zuruͤckkehren, weil die Vernunft, da es hier we- ſentliche Zwecke betrift, raſtlos, entweder auf gruͤndliche Einſicht oder Zerſtoͤhrung ſchon vorhandener guten Einſich- ten arbeiten muß. Metaphyſik alſo, ſowol der Natur, als der Sitten, vornemlich die Critik der ſich auf eigenen Fluͤgeln wagen- den Vernunft, welche voruͤbend (propaͤdevtiſch) vorher- geht, machen eigentlich allein dasienige aus, was wir im aͤchten Verſtande Philoſophie nennen koͤnnen. Dieſe be- zieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wiſſen- ſchaft, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt iſt, nie- mals verwaͤchſt und keine Verirrungen verſtattet. Ma- thematik, Naturwiſſenſchaft, ſelbſt die empiriſche Kent- niß des Menſchen, haben einen hohen Werth als Mit- tel, groͤßtentheils zu zufaͤlligen, am Ende aber doch zu nothwendigen und weſentlichen Zwecken der Menſchheit, aber alsdenn nur durch Vermittelung einer Vernunft- erkentniß aus bloſſen Begriffen, die, man mag ſie be- nennen wie man will, eigentlich nichts als Metaphy- ſik iſt. Eben deswegen iſt Metaphyſik auch die Vollendung aller Cultur der menſchlichen Vernunft, die unentbehr- lich [851/0881] Die Architectonik der reinen Vernunft. lich iſt, wenn man gleich ihren Einfluß, als Wiſſenſchaft, auf gewiſſe beſtimte Zwecke bey Seite ſezt. Denn ſie be- trachtet die Vernunft nach ihren Elementen und oberſten Maximen, die ſelbſt der Moͤglichkeit einiger Wiſſenſchaf- ten und dem Gebrauche aller, zum Grunde liegen muͤſſen. Daß ſie, als bloſſe Speculation, mehr dazu dient, Irr- thuͤmer abzuhalten, als Erkentniß zu erweitern, thut ih- rem Werthe keinen Abbruch, ſondern giebt ihr vielmehr Wuͤrde und Anſehen durch das Cenſoramt, welches die allgemeine Ordnung und Eintracht, ia den Wolſtand des wiſſenſchaftlichen gemeinen Weſens ſichert und deſſen mu- thige und fruchtbare Bearbeitungen abhaͤlt, ſich nicht von dem Hauptzwecke, der allgemeinen Gluͤckſeligkeit, zu ent- fernen. Der H h _ [852/0882] Methodenlehre IV. Hauptſt. Der Transſcendentalen Methodenlehre Viertes Hauptſtuͤck. Die Geſchichte der reinen Vernunft. Dieſer Titel ſteht nur hier, um eine Stelle zu bezeich- nen, die im Syſtem uͤbrig bleibt und kuͤnftig aus- gefuͤllet werden muß. Ich begnuͤge mich, aus einem blos transſcendentalen Geſichtspuncte, nemlich der Natur der reinen Vernunft, einen fluͤchtigen Blick auf das Ganze der bisherigen Bearbeitungen derſelben zu werfen, welches freilich meinem Auge zwar Gebaͤude, aber nur in Ruinen vorſtellt. Es iſt merkwuͤrdig gnug, ob es gleich natuͤrlicher Weiſe nicht anders zugehen konte, daß die Menſchen im Kindesalter der Philoſophie davon anfiengen, wo wir iezt lieber endigen moͤgten, nemlich, zuerſt die Erkentniß Gottes und Hoffnung, oder wol gar die Beſchaffenheit einer andern Welt zu ſtudiren. Was auch die alte Gebraͤuche, die noch von dem rohen Zuſtande der Voͤlker uͤbrig waren, vor grobe Religionsbegriffe eingefuͤhrt haben mochten, ſo hinderte dieſes doch nicht den aufgeklaͤrtern Theil, ſich freien Nachforſchungen uͤber dieſen Gegenſtand zu widmen und man ſahe leicht ein, daß es keine gruͤndliche und zu- verlaͤſſigere Art geben koͤnne, der unſichtbaren Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigſtens in einer andern Welt [853/0883] Die Geſchichte der reinen Vernunft. Welt gluͤcklich zu ſeyn, als den guten Lebenswandel. Da- her waren Theologie und Moral, die zwey Triebfedern, oder beſſer, Beziehungspuncte zu allen abgezogenen Ver- nunftforſchungen, denen man ſich nachher iederzeit gewid- met hat. Die erſtere war indeſſen eigentlich das, was die blos ſpeculative Vernunft nach und nach in das Geſchaͤfte zog, welches in der Folge unter dem Nahmen der Meta- phyſik ſo beruͤhmt geworden. Ich will iezt die Zeiten nicht unterſcheiden, auf wel- che dieſe oder iene Veraͤnderung der Metaphyſik traf, ſon- dern nur die Verſchiedenheit der Idee, welche die haupt- ſaͤchlichſte Revolutionen veranlaßte, in einem fluͤchtigen Abriſſe darſtellen. Und da finde ich eine dreifache Abſicht, in welcher die nahmhafteſte Veraͤnderungen auf dieſer Buͤh- ne des Streits geſtiftet worden. 1. In Anſehung des Gegenſtandes aller unſerer Vernunfterkentniſſe, waren einige blos Senſual- andere blos Intellectualphiloſophen. Epikur kan der vornehm- ſte Philoſoph der Sinnlichkeit, Plato des Intellectuellen genant werden. Dieſer Unterſchied der Schulen aber, ſo ſubtil er auch iſt, hatte ſchon in den fruͤheſten Zeiten an- gefangen und hat ſich lange ununterbrochen erhalten. Die von der erſteren behaupteten: in den Gegenſtaͤnden der Sinne ſey allein Wirklichkeit, alles uͤbrige ſey Einbildung; die von der zweiten ſagten dagegen: in den Sinnen iſt nichts H h h 3 [854/0884] Methodenlehre IV. Hauptſt. nichts als Schein, nur der Verſtand erkent das Wahre. Darum ſtritten aber die erſteren den Verſtandesbegriffen doch eben nicht Realitaͤt ab, ſie war aber bey ihnen nur logiſch, bey denen andern aber myſtiſch. Jene raͤume- ten intellectuelle Begriffe ein, aber nahmen blos ſenſibele Gegenſtaͤnde an. Dieſe verlangten, daß die wahren Ge- genſtaͤnde blos intelligibel waͤren und behaupteten eine An- ſchauung durch den, von keinen Sinnen begleiteten und ihrer Meinung nach nur verwirreten reinen Verſtand. 2. In Anſehung des Urſprungs reiner Vernunft- erkentniſſe, ob ſie aus der Erfahrung abgeleitet, oder, unabhaͤngig von ihr, in der Vernunft ihre Quelle haben. Ariſtoteles kan als das Haupt der Empiriſten, Plato aber der Noologiſten angeſehen werden. Locke der in neueren Zeiten dem erſteren und Leibnitz, der dem lezteren (obzwar in einer gnugſamen Entfernung von deſſen myſtiſchem Sy- ſteme) folgete, haben es gleichwol in dieſem Streite noch zu keiner Entſcheidung bringen koͤnnen. Wenigſtens ver- fuhr Epikur ſeiner Seits viel conſequenter nach ſeinem Senſualſyſtem (denn er ging mit ſeinen Schluͤſſen niemals uͤber die Graͤnze der Erfahrung hinaus), als Ariſtoteles und Locke, (vornehmlich aber der leztere,) der, nach dem er alle Begriffe und Grundſaͤtze von der Erfahrung abgeleitet hat- te, ſo weit im Gebrauche derſelben geht, daß er behaup- tet: man koͤnne das Daſeyn Gottes und die Unſterblichkeit der Seele (obzwar beide Gegenſtaͤnde ganz auſſer den Graͤn- zen [855/0885] Die Geſchichte der reinen Vernunft. zen moͤglicher Erfahrung liegen), eben ſo evident beweiſen, als irgend einen mathematiſchen Lehrſatz. 3. In Anſehung der Methode. Wenn man et- was Methode nennen ſoll, ſo muß es ein Verfahren nach Grundſaͤtzen ſeyn. Nun kan man die iezt in dieſem Fache der Nachforſchung herrſchende Methode in die naturaliſti- ſche und ſcientifiſche eintheilen. Der Naturaliſt der rei- nen Vernunft nimt es ſich zum Grundſatze: daß durch ge- meine Vernunft ohne Wiſſenſchaft (welche er die geſunde Vernunft nent), ſich in Anſehung der erhabenſten Fragen, die die Aufgabe der Metaphyſik ausmachen, mehr ausrich- ten laſſe, als durch Speculation. Er behauptet alſo: daß man die Groͤſſe und Weite des Mondes ſicherer nach dem Augenmaaſſe, als durch mathematiſche Umſchweife beſtimmen koͤnne. Es iſt bloſſe Miſologie auf Grundſaͤtze gebracht und, welches das ungereimteſte iſt, die Vernach- laͤſſigung aller kuͤnſtlichen Mittel als eine eigene Methode angeruͤhmt, ſeine, Erkentniß zu erweitern. Denn was die Naturaliſten aus Mangel mehrer Einſicht betrift, ſo kan man ihnen mit Grunde nichts zur Laſt legen. Sie folgen der gemeinen Vernunft, ohne ſich ihrer Unwiſſen- heit als einer Methode zu ruͤhmen, die das Geheimniß enthalten ſolle, die Wahrheit aus Democrits tiefen Brun- nen heraus zu hohlen. Quod ſapio ſatis eſt mihi, non ego curo, eſſe quod Arceſilas aerumnoſique Solones, Perſ. iſt ihr Wahlſpruch, bey dem ſie vergnuͤgt und beifalls- wuͤrdig [856/0886] Methodenlehre IV. Hauptſt. Die Geſch. ꝛc. wuͤrdig leben koͤnnen, ohne ſich um die Wiſſenſchaft zu bekuͤmmern, noch deren Geſchaͤfte zu verwirren. Was nun die Beobachter einer ſcientifiſchen Metho- de betrift, ſo haben ſie hier die Wahl, entweder dogma- tiſch oder ſceptiſch, in allen Faͤllen aber doch die Verbind- lichkeit, ſyſtematiſch zu verfahren. Wenn ich hier in Anſehung der erſteren den beruͤhmten Wolf, bey der zweiten David Hume nenne, ſo kan ich die uͤbrige, mei- ner ietzigen Abſicht nach, ungenant laſſen. Der critiſche Weg iſt allein noch offen. Wenn der Leſer dieſen in meiner Geſellſchaft durchzuwandern Gefaͤlligkeit und Ge- dult gehabt hat, ſo mag er iezt urtheilen, ob nicht, wenn es ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um dieſen Fußſteig zur Heeresſtraſſe zu machen, dasienige, was viele Jahrhunderte nicht leiſten konten, noch vor Ablauf des gegenwaͤrtigen erreicht werden moͤge: nemlich, die menſchliche Vernunft in dem, was ihre Wißbegierde ieder- zeit, bisher aber vergeblich beſchaͤftigt hat, zur voͤlligen Befriedigung zu bringen. [Abbildung] [0887] [0888] [0889]