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„Ruf mich an, falls du ankommst“

 

von Niels Kadritzke | 16. Mai 2023

Bei dem Zugungl�ck vom 28. Februar 2023 in der N�he von Larissa kamen 57 Menschen ums Leben. Die gr��te Katastrophe in der Geschichte des griechischen Eisenbahnwesens hat das Land ersch�ttert und �ber Wochen auch die politischen Auseinandersetzungen dominiert. Eine Zeit lang sah es so aus, als w�rde die Wut der Bev�lkerung �ber ein System, das die Sicherheit des Zugverkehrs auf kriminelle Weise vernachl�ssigt, die Aussichten der ND-Regierung auf einen erneuten Sieg bei den anstehenden Parlamentswahlen beeintr�chtigen. Auch deshalb hat Regierungschef Mitsotakis die Wahlen auf den 21. Mai verschoben. Doch inzwischen hat die ND die Stimmenverluste von rund 3 Prozent, die ihr in den ersten Umfragen nach dem Ungl�ck bescheinigt wurden, l�ngst wieder ausgeglichen. Die oppositionelle Syriza wiederum konnte keine Stimmen dazu gewinnen und hat keine Chancen, am 21. Mai zur st�rksten Partei zu werden. Das liegt auch daran, dass ihr Versuch gescheitert ist, die Regierung Mitsotakis allein f�r die Tempi-Katastrophe verantwortlich zu machen. Damit hat sie das Gesp�r f�r die Stimmung in der Gesellschaft verloren, die das Versagen „des Systems“ der gesamten politischen Klasse anrechnet. Vor allem die junge Generation l�sst sich l�ngst nicht mehr mit dem Hinweis auf „menschliches Versagen“ abspeisen.



Die Unfallstelle am Tag danach, 1. M�rz 2023
� Vaggelis Kousioras/picture alliance/AP

Das Ungl�ck von Tempi ist f�r mich nichts anderes als der Beleg f�r die kranken Seiten und die Unf�higkeit des griechischen Gemeimwesens in den letzten 23 Jahren. F�r dieses Ungl�ck gibt es eine kollektive Verantwortung, und zwar nicht nur der politischen Klasse … Junge Menschen mussten die Pathologien des Staates – und von uns allen – mit ihrem Leben bezahlen. Deshalb ist jetzt f�r alle der Moment gekommen, uns selbstkritisch zu befragen.“ Sotiris Tsafoulias, Theater- und Filmemacher

Ein unvergessliches Erlebnis

Der Werbespruch auf der englischsprachigen Website von Hellenic Train soll vornehmlich ausl�ndische Reisende ansprechen: “Zugfahren in Griechenland ist ein unvergessliches Erlebnis und eine der besten M�glichkeiten, im ganzen Land herumzukommen.”(1) Das Gef�hl, mit dem griechische Fahrg�ste das “unvergessliche Erlebnis” beschreiben, ist seit dem 28. Februar 2023 ein anderes. Es wird von den Jugendlichen artikuliert, die nach dem Eisenbahnungl�ck vom Tempi-Tal auf die Stra�e gingen, indem sie einen vertrauten Satz abwandelten. “Ruf mich an, wenn du ankommst”, h�ren sie von ihren Eltern, wenn sie in den Zug steigen. Auf ihren Plakaten haben sie ein einziges Wort ver�ndert: “Ruf mich an, falls du ankommst.” („pare me, an ftaseis“, statt: … otan ftaseis).

Diese bittere Pointe, von jungen Leuten f�r junge Leute erfunden, hat einen Hintergrund, der noch bitterer ist. Die Mehrzahl der 57 Todesopfer vom 28. Februar waren unter 30 Jahre alt.(2) Der Intercity Express 62 von Athen �ber Larissa nach Thessaloniki wird vor allem von Studierenden und Wehrpflichtigen benutzt, denn die sp�te Verbindung bietet die billigsten Tarife.

Am Abend des letzten Karnevalstags sa�en noch mehr junge Leute als sonst im Intercity 62 nach Thessaloniki. Ihre Fahrt endete um 23 Uhr 21, knapp 25 Kilometer hinter Larissa. Und f�r fast alle, die in den ersten beiden Wagen sa�en, mit einem entsetzlichen Tod.(3) Sie wurden zerschmettert und verbrannten. Von den meisten blieben nur verkohlte Leichenteile �brig, die man nur per DNA-Abgleich einer Person zuordnen konnte.

12 Minuten auf dem falschen Gleis

Die Nachricht von dem Ungl�ck in der letzten Stunde des Karnevalstags weckte die Nation am Morgen des 1. M�rz. Obwohl die Zahl der Todesopfer noch nicht feststand, waren die Menschen wie gel�hmt vor Entsetzen. Und fassungslos, als sie die Umst�nde des Ungl�cks erfuhren. Der IC 62 war auf der zweigleisig ausgebauten Bahnmagistrale des Landes frontal mit einem G�terzug zusammengesto�en. Die Wucht der Kollision kann man an folgenden Daten ermessen: Der IC 62 mit etwa 350 Personen(4) fuhr mit einer Geschwindigkeit von 150 wenn nicht 160 km/h, der entgegenkommende G�terzug mit 115 km/h. Da dieser mit Stahlplatten und Schiffs-Containern beladene Zug eine Masse von 1300 Tonnen hatte, raste der Intercity wie gegen eine Wand. Die Aufprallenergie wurde von der Lokomotive und den ersten beiden Waggons absorbiert, die sich in eine gl�hende Metallmasse verwandelten. Fast alle der 57 Toten befanden sich in diesen beiden Wagen. Von den Passagieren im hinteren Teil des Zugs wurden 80 verletzt, 25 von ihnen schwer.

Die Kollision ereignete sich auf dem Gleis, auf dem die Z�ge von Thessaloniki in Richtung Larissa-Athen fahren. Der G�terzug fuhr auf der richtigen Spur; der IC 62 dagegen auf dem falschen Gleis. Beide Z�ge rasten 12 Minuten aufeinander zu, ohne gestoppt oder gewarnt zu werden.
 

Der Frontalzusammensto� war die gr��te Katastrophe der griechischen Eisenbahngeschichte, aber er h�tte noch t�dlicher enden k�nnen. W�ren die Z�ge nur eine halbe Minute sp�ter kollidiert, h�tte es weit mehr Opfer gegeben. Dann w�re der Aufprall innerhalb eines Tunnels erfolgt. Das h�tte kaum ein Passagier �berlebt, denn auch die griechischen Eisenbahntunnel weisen haarstr�ubende Sicherheitsdefizite auf, die nach dem Ungl�ck vom 28. Februar ans Licht kamen (dazu unten mehr).

Der menschliche Faktor und das System

F�r eine Aufkl�rung der Unfallursachen – und damit der Schuldfrage – sind zwei Fragen entscheidend:
- Wie konnte der IC 62 in Larissa auf das falsche Gleis geraten?
- Warum konnte der frontale Zusammensto� in den darauffolgenden 12 Minuten nicht verhindert werden?
Die erste Frage zielt auf die Rolle des „menschlichen Faktors", die zweite auf den „systemischen Faktor": die technischen Installationen, die dazu da sind, „menschliches Versagen“ zu korrigieren.
Die Antwort auf die erste Frage l�sst sich genau lokalisieren. Es war eine falsch gestellte Weiche, die den IC 62 kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof auf das falsche linke Gleis schickte. Verantwortlich f�r diesen fatalen Fehler war der diensthabende Fahrdienstleiter Vassilis S. Er hatte eine Stunde zuvor einen Regionalzug aus Thessaloniki kurz vor Einfahrt in den Bahnhof von Larissa vom rechten auf das linke Gleis umgeleitet. Das geschah �ber die Weiche Nr. 118. Die h�tte der Fahrdienstleiter wieder von „diagonal“ auf „geradeaus“ stellen m�ssen, was er vers�umt oder schlicht vergessen hat.

Damit scheint die Schuldfrage gekl�rt: Ohne das „menschliche Versagen“ des Vassilis S. h�tte es keine Kollision gegeben. Muss man also den Tod von 57 Menschen „leider haupts�chlich einem tragischen menschlichen Fehler zuschreiben“, wie es Ministerpr�sident Kyriakos Mitsotakis am Tag nach dem Unfall getan hat?

Mit seiner eilfertigen Schuldzuweisung wollte Mitsotakis die Frage nach dem „Systemversagen“ abblocken, also die Diskussion dar�ber, wer das System der Schienenverkehrssicherheit in den letzten Jahren kontrolliert und „gemanagt“ hat. Der Regierungschef, der sich seit seinem Amtsantritt im Juli 2019 als „Generalmanager“ eines straff durchorganisierten Staates anpreist, wollte nicht selbst in den Fokus der Ursachenforschung r�cken.

Diese Position war angesichts des Volkszorns nicht zu halten. Am Sonntag nach dem Ungl�ck schob Mitsotakis �ber die sozialen Medien eine reum�tige Erkl�rung nach: „Wir k�nnen, wir wollen und wir d�rfen uns nicht hinter einer Serie menschlicher Fehler verstecken.“ Deshalb habe er die Pflicht, „sich neben die Familien der Opfer zu stellen und den Mut zu haben, die Fehler des Staates anzuerkennen“. (Kathimerini vom 5. M�rz 2023)

Ein Fahrdienstleiter, den es gar nicht geben d�rfte

Wem die „Fehler des Staates“ zuzurechnen sind, wird im zweiten Teil dieses Textes er�rtert, der die systemischen Defizite analysiert. Aber bereits auf der Ebene des „menschlichen Versagens“ geht es um mehr als die individuelle Schuld des Vassilis S. Denn schon hier tauchen Fragen auf, die auf Systemfehler verweisen:
- Warum war der Fahrdienstleiter in jener Nacht allein im Dienst?
- War S. f�r seine Dienstpflichten hinreichend ausgebildet?
- Und wenn nein: Wie konnte er auf eine so verantwortungsvolle Position gelangen?

Zur Frage 1: Die Kollegen gingen vorzeitig nach Hause

Vassilis S. war am Abend des Unfalls ab 22 h 15 allein im Dienst, weil zwei Kollegen, deren Schicht bis 23 Uhr gedauert h�tte, vorzeitig gegangen waren. Gegen die beiden wird ebenfalls staatsanwaltlich ermittelt. Bei den ersten Vernehmungen stellte sich heraus, dass der dienst�lteste der beiden vom Hauptstationsvorsteher angewiesen worden war, auf seinem Posten zu bleiben, bis der bereits als versp�tet gemeldete IC 62 aus Athen abgefertigt war. (EfSyn vom 29. M�rz 2023)

Dies ist ein aufschlussreiches Indiz: Offenbar war in Larissa bekannt, dass man den unerfahrenen S. besser nicht allein l�sst. Auch der Dienstplan f�r M�rz zeigte, dass S. nicht als vollwertiger Fahrdienstleiter galt: F�r den ganzen Monat war ihm keine einzige Schicht in Larissa zugeteilt. Er sollte auf seinen ruhigen Posten in Kalambaka zur�ckkehren.

Zur Frage 2: Vom Gep�cktr�ger zum Fahrdienstleiter

Dass Vassilis S. mit seiner Aufgabe als Fahrdienstleiter auf dem frequentierten Bahnhof �berfordert war, hat mit zweierlei Ausbildungsdefiziten zu tun: mit den Schw�chen des Lehrprogramms und mit fehlender Einarbeitung auf dem konkreten Posten.
Der 59-j�hrige S. war trotz fortgeschrittenen Alters ein Berufsanf�nger. Zwar hatte er schon fr�her bei der staatlichen OSE gearbeitet, allerdings nur als Gep�cktr�ger. 2010 war er im Zuge der Griechenland aufgezwungenen Sparpolitik, die auch die OSE traf, innerhalb des �ffentlichen Sektors ins Bildungsministerium versetzt worden. Dort war er mit der Verteilung von Lehrmaterial an die Schulen betraut. 2021 bewarb er sich f�r ein Ausbildungsprogramm der OSE, �ber das sich Quereinsteiger zum Fahrdienstleiter qualifizieren k�nnen.

Damit begann eine unselige Karriere, die es eigentlich nicht geben d�rfte: Die offizielle Altersgrenze f�r die Ausbildung zum Fahrdienstleiter liegt bei 48 Jahren, f�r das Programm war Vassilis also zehn Jahre zu alt.(5)

Defizite hatte aber auch das Programm als solches. Es sieht 712 Stunden theoretischen Unterricht in zwei Zyklen, parallel zu dem zweiten kleineren Zyklus ist eine 75-t�gige praktischen Ausbildung in der Fahrdienstzentrale eines gr��eren Bahnhofs vorgesehen. Zum Abschluss erfolgt eine Pr�fung; wer die besteht, hat eine Lizenz f�r den Beruf des Fahrdienstleiters erworben.

Eine Pr�fung mit Erfolgsgarantie

Diese Ausbildung ist im Vergleich mit den Eisenbahn-Gesellschaften der meisten EU-L�nder deutlich k�rzer. Aber das Hauptdefizit liegt beim Kontroll- und Pr�fungssystem, wie die griechische �ffentlichkeit nach dem Ungl�ck erfahren musste.(6)
- Die vollst�ndige Teilnahme an dem Kurs war nicht zu belegen, weil f�r einige Unterrichtseinheiten Anwesenheitslisten mit Unterschriften fehlten;
- �ber die Absolvierung des praktischen Ausbildungsteils lagen keine beglaubigten Dokumente vor;
- die m�ndliche Pr�fung wird vor einem Ausschuss abgelegt, dessen drei Mitglieder die Ausbilder selbst sind;
- die Pr�fungsfragen werden den Gepr�ften einen Tag vorher mitgeteilt.
Wo die Pr�fenden �ber ihre eigene Lehrleistung befinden, haben die Gepr�ften nichts zu bef�rchten. Durchfallen ist nicht vorgesehen. Bei dem Kurs, den Vassilis S. im August 2022 abgeschlossen hat, betrug die Erfolgsquote 100 Prozent. Ein solches System k�nne man nicht als Ausbildung bezeichnen, kommentierte der Stationsvorsteher a.D. Giorgos Apostoleris in einem TV-Interview, „auf diese Weise k�nnte ich auch ein Arztexamen bestehen“.(7)

Ein Vehikel des parteipolitischen Klientelismus

Ein derartiges Qualifikationssystem bedeutet, dass bereits die Aufnahme in den Kurs den angestrebten Job garantiert. Damit ist es das ideale Vehikel f�r das, was in Griechenland rousfeti hei�t. Das Wort wird gew�hnlich mit „Korruption“ �bersetzt, aber rousfeti ist ein komplexerer Begriff und umfasst ein Spektrum von Patronage, das von kleinen administrativen Gef�lligkeiten bis zu milliardenschweren Staatsauftr�gen reicht. Wobei der gemeinsame Nenner ist, dass es sich um Erscheinungsformen des Klientelismus handelt.

Das gesellschaftlich-politisch-�konomische Geflecht, das man als Klientelsystem bezeichnet, ist keineswegs auf Griechenland beschr�nkt. Doch hier ist es gesellschaftlich am tiefsten verwurzelt und treibt deshalb die pr�chtigsten Bl�ten – zumindest im europ�ischen Vergleich.
Woran das liegt, ist eine Frage, die in der historischen Forschung kontrovers diskutiert wird. Herrschende Meinung ist jedoch, dass der rousfeti-Klientelismus seinen Ursprung in der Zeit der „T�rkenherrschaft“ (tourkokratia) hat, in der die lokalen Eliten klientelistische Beziehungen zur osmanischen Obrigkeit unterhielten. Wobei die entscheidende Frage ist, wie sich der Klientelismus nach 1830 innerhalb des neuen griechischen Nationalstaats reproduzieren und verfestigen konnte.

Tr�ger der klientelistischen Kontinuit�t waren die politischen Parteien, die sich innerhalb des griechischen K�nigreichs aus zun�chst lokalen, von einflussreichen Familien beherrschten Beziehungsgeflechten zu nationalen Netzwerken entwickelten, deren Daseinszweck die Eroberung der politischen Zentralmacht war. In einem solchen System wird „der Staat“ zur Beute, die sich diejenige Partei, die mittels – mehr oder weniger – „demokratischer“ Wahlen an die Regierung kommt, als Ressource aneignet. Mit dem Ziel, die eigene Anh�nger- und W�hlerschaft mit Verg�nstigungen aller Art f�r ihre Loyalit�t zu honorieren, oder die Stimmen neuer W�hlergruppen zu erkaufen.

Griechenland gr��te Plage, schrieb der kritische Wirtschaftsjournalist Kostas Kallitsis nach dem Tempi-Ungl�ck, ist nach wie vor „der alte klientelistische Staat, der nicht nur au�erstande ist, seine komplexen zeitgem��en Aufgaben zu erf�llen, der sich vielmehr sogar als lebensgef�hrlich f�r seine B�rger erweist“. (Kathimerini vom 26. M�rz 2023)

Der Modernisierer Mitsotakis und die Tradition der Korruption

Dieser Grundbefund enth�lt die Antwort auf unsere dritte Frage: Wie konnte Vassilis S. in den Kurs aufgenommen werden, der ihm eine Anstellung als Fahrdienstleiter garantierte?

Ein ehemaliger Stationsvorsteher von Larissa behauptete, S. sei durch „Vermittlung der Partei“ (also der ND) zu seinem Posten gekommen.(8) Das ist, wie in vielen rousfeti-F�llen, nicht zu beweisen. Aber das spielt im Grunde keine Rolle. Entscheidend ist, dass 90 Prozent der Bev�lkerung wie selbstverst�ndlich von parteipolitischer Protektion ausgehen, die sie in ihrem eigenen Alltag st�ndig erleben.

Da die Nea Dimokratia seit 1974 insgesamt 23 Jahre und 9 Monate lang an der Macht war, verf�gen die griechischen Konservativen �ber eine besonders eingefleischte rousfeti-Tradition. Und der vorgebliche „Modernisierer“ Mitsotakis hat die klientelistische Personalpolitik perfektioniert. Daf�r gibt es eine F�lle von Belegen. Hier will ich nur zwei Trendzahlen nennen und einen exemplarischen Fall schildern.
1. Die Besetzung von Stellen im �ffentlichen Dienst ohne formelle Ausschreibungs- und Auswahlverfahren, die laut Gesetz die Ausnahme sein sollen, sind seit Juli 2019 weitaus h�ufiger und in bestimmten Bereichen (etwa bei PR-Beratern) fast zur Regel geworden.
2. Die Zahl der bewilligten Versetzungen – fast immer auf besser bezahlte oder weniger arbeitsintensive Posten – hat sich im Vergleich zur Regierungszeit von Alexis Tsipras (2015 bis 2019) fast verdreifacht.(9)

Diese Praktiken bedeuten einen Missbrauch �ffentlicher Mittel im doppelten Sinne: Zum einen wird ein Batzen �ffentlicher Gelder zugunsten einer politischen Klientel „privatisiert“. Zum anderen werden F�hrungspositionen nach fachfremden Kriterien, also an die „falschen Leuten“ vergeben, was die Qualit�t des �ffentlichen Dienstes beeintr�chtigt.

Eine rousfeti-Orgie im staatlichen Gesundheitswesen

Die Regierung Mitsotakis hat f�r diese doppelte Misswirtschaft gleich zu Beginn ihrer Amtszeit neue Ma�st�be gesetzt. Im November 2019 verteilte sie die Verwaltungsleiter-Posten bei den 112 staatlichen Krankenh�user des Landes derart schamlos an die eigene Klientel, dass die Opposition von einer „rousfeti-Orgie“ sprach. Und die linke Tageszeitung EfSyn („Zeitung der Redakteure“) stellte fest, noch nie sei die Liste der h�heren Verwaltungsposten im Gesundheitssystem so stark parteipolitisch gef�rbt gewesen.(10) Dabei hatten die meisten der Postenj�ger keinerlei Bezug zum Gesundheitswesen. Seit 2019 werden ESY-Krankenh�user im ganzen Land von pensionierten Milit�rs geleitet, von ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern, oder auch von Buchhaltern und in die Jahre gekommenen Fu�balltrainern.

Die EfSyn deckte damals auf, dass die rousfeti-Liste vom Stab des Ministerpr�sidentenamts erstellt worden war. Also unter direkter Aufsicht des „Modernisierers“ Kyriakos Mitsotakis, der st�ndig von einem entschlackten Staat spricht, dem nur „die Besten“ dienen sollen, die strikt nach dem „Leistungsprinzip“ bestimmt w�rden. Noch kurz von den Wahlen vom 7. Juli 2019 hatte er angek�ndigt: „Ich werde nicht dulden, dass in den Verwaltungen der Krankenh�user gescheiterte Politiker platziert werden, die einen Versorgungsposten im �ffentlichen Sektor suchen“. (EfSyn vom 27. November 2023)


Kyriakos Mitsotakis im Tempital, 1. M�rz 2023.
� Vasilis Ververidis/picture alliance/ANE/Eurokinissi

Dabei hatte der Verfechter des „meritokratischen“ Prinzips einen besonders frechen rousfeti-Deal schon zwei Monate vor den Wahlen eingef�delt. Im Mai 2019 traf er sich mit einem thessalischen Provinzpolitiker namens Konstantinos Pateras, der von der ND zur rechtspopulistischen Anel („Unabh�ngige Griechen“) �bergelaufen war. Mitsotakis �berredete den Abtr�nnigen, in seinen alten Stall zur�ckzukehren und seine lokale W�hlerherde mitzubringen. Pateras forderte als Gegenleistung einen Verwaltungsleiter-Posten, der ihm offensichtlich zugesagt wurde.(11) So kam es, dass ein 81-j�hriger pensionierter Lehrer zum Verwaltungschef des Krankenhauses Karditsa berufen wurde. Allerdings war in diesem Fall die Emp�rung in der lokalen �ffentlichkeit – und sogar bei thessalischen ND-Notablen – so gro�, dass Pateras auf seinen Posten verzichten musste. So viel zum Kampf des Kyriakos Mitsotakis f�r das Leistungsprinzip und gegen das rousfeti-Unwesen.

Rousfeti f�hrt zu Qualifikationsverlust auch bei der Bahn

Rousfeti hat auch bei der griechischen Staatsbahn OSE eine jahrzehntelange Tradition. Die gehobenen Stellen wurden mit Leuten besetzt, „deren einzige Qualifikation ihr Zugeh�rigkeit zum jeweiligen Regierungslager war, und deren berufliche Bef�higung auf �berholten Kenntnisse aus vergangenenen Jahrzehnten beruhte.“ So urteilt der ehemalige OSE-Chefmechaniker Dimitris Makrodimopoulos. Er verweist darauf, dass diese nach Parteibuch erfolgten Einstellungen – wie auch die unz�hligen Bef�rderungen – einen st�ndigen Verlust an Qualifikation bedeuteten, sodass eine „Kluft zwischen den Anforderungen der neuen Technologien und den F�higkeiten des Personals“ entstanden ist. Diese Kluft wurde durch die radikale Ausd�nnung des Personals im Zuge der seit 2010 auferlegten Sparzw�nge noch weiter vertieft.

F�r Makrodimopoulos ist auch der Fahrdienstleiter Vassilis S. ein „Produkt des politischen Systems“. Im diesem Fall gelang der Sprung auf einen besser dotierten Posten �ber das geschenkte Examen. Doch diese unorthodoxe Bef�rderung erkl�rt noch nicht, wie man den frisch „examinierten“ Fahrdienstleiter mit dem ansspruchsvollen Dienst auf dem Bahnhof Larissa betrauen konnte.

Keine Einweisung in moderne Kontrolltechniken

Hier kommt ein Defizit ins Bild, das noch problematischer ist als das Ausbildungs- und Pr�fungsprogramm: das Praxis-Defizit des Berufsanf�ngers.

Bei S. beschr�nkte sich die „praktische“ Ausbildung – nach dem geschenkten Examen – auf eine Art Schnupperkurs von gut zwei Wochen. Der erfolgte nicht etwa auf einem gr��eren Bahnhof mit moderner technischer Ausstattung, etwa einem elektronischen Stellwerk, in dem die Weichen per Mausklick am Computer gestellt werden. Vassilis S. wurde nur 16 Tage lang auf zwei kleinen Stationen angelernt: Zwei Tage auf der Bahnstation von Litochoro, wo das elektronische Stellwerk nicht funktionierte, danach 14 Tage auf dem Bahnhof von Kalambaka, der �ber keine elektronische Ausstattung verf�gt.

Mit anderen Worten: S. kam mit keiner modernen Kontrolltechnik in Ber�hrung. Die lernte er erst Anfang Februar 2023 bei seinen ersten eigenverantwortlichen Eins�tzen kennen: zun�chst bei zwei Morgenschichten in der Station Nei Poroi (am n�rdlichen Ausgang des Tempi-Tals), die er an der Seite eines erfahrenen Kollegen ableistete. Es folgte ein 14 Tage langer Dienst auf dem idyllischen Bahnhof von Kalambaka.(13) Dann folgte bereits der Einsatz in Larissa, wo S. f�nf Nachtschichten zugeteilt waren. Gleich zu Beginn der f�nften geschah die Katastrophe.

Ein Systemvergleich

Was bei dieser Kette der Ausbildungsetappen fehlt, ist das Zwischenglied zwischen der praktischen Ausbildungsphase und der eigenverantwortlichen Berufsaus�bung an einem bestimmten Arbeitsplatz. Dieses Zwischenglied ist in anderen L�ndern eine Selbstverst�ndlichkeit, wie ein Blick auf die Fahrdienstleiter-Ausbildung in Deutschland zeigt. Hier gibt es ebenfalls einen Ausbildungsgang f�r Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, mit einer �hnlichen Kombination von Theoriephasen und Praxistraining. Auch in Deutschland kann man den Beruf des Fahrdienstleiters in vier bis zehn Monaten erlernen. Allerdings gibt es zwei erhebliche Unterschiede.

Zum einen setzt die Bewerbung f�r diesen zweiten Bildungsweg eine abgeschlossene Berufsausbildung und „gutes Verst�ndnis f�r Technik“ voraus, das in einer Eignungspr�fung nachzuweisen ist. Ein Kandidat ohne jegliche Berufsausbildung (wie Vassilis S.) w�rde in dieses Programm gar nicht aufgenommen. Noch wichtiger ist der zweite Unterschied: Der erfolgreiche Abschluss des Kurses durch eine schriftliche plus m�ndliche Pr�fung (vor der Pr�fungskommission der Deutschen Bahn) verschafft dem Absolventen oder der Absolventin zwar die „Bef�higung“ zur Aus�bung des Berufs, nicht aber schon die „Lizenz“, die zum Einsatz auf einem bestimmten Stellwerk berechtigt. Diese gibt es erst nach einer „�rtlichen Einweisung“, die mehrere Wochen dauert und „durch den erfahrenen diensthabenden Fahrdienstleiter“ erfolgt.(14) W�re auch in Griechenland eine solche Etappe der „Einweisung“ erforderlich, um eine konkrete „Lizenz“ zu erwerben, h�tte Vassilis S. eine mehrw�chige Lehrzeit auf dem Bahnhof Larissa durchlaufen m�ssen. Erst dann h�tte er einen regul�ren Schichtdienst leisten d�rfen.

Der ungl�ckliche Fahrdienstleiter, den Mitsotakis am Tag nach dem Ungl�ck zum Alleinschuldigen machen wollte, hat in seiner ersten Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft selbst erkl�rt, dass er sich f�r seinen Einsatz in Larissa nicht qualifiziert f�hlte. Er sei nie an einem Tele-�berwachungssystem ausgebildet worden, deshalb h�tte man ihn nicht mit einer Technologie, die er weder kannte noch kannte, allein lassen d�rfen.(15)

Menschliches und systemisches Versagen

Das Fazit auf der Ebene des “menschlichen Faktors” lautet: Die Katastrophe im Tempi-Tal h�tte es nicht gegeben, wenn Vassilis S. f�r seine verantwortungsvolle Aufgabe ausgebildet gewesen w�re, oder wenn in jener Nacht ein zweiter Fahrdienstleiter seinen unerfahrenen Kollegen beaufsichtigt h�tte.

Beide Vers�umnisse verweisen auf Defizite des „Systems“: Das erste auf die M�ngel in der Ausbildung; das zweite auf eine Personalpolitik, die nicht f�r eine (mindestens) doppelte Besetzung wichtiger Positionen im Kontroll- und Sicherheitsbereich sorgt.

Die entscheidende „Systemfrage“ setzt jedoch jenseits des „menschlichen Versagens“ an. Vor drei Jahren klagte der Vorsitzende der Gewerkschaft des Zugpersonals in einem Interview: „Wir haben kein System, das gegen individuelle Irrt�mer sch�tzt …“(16) Um herauszufinden, warum das so ist, m�ssen wir uns die Organisation des griechischen Eisenbahnsystems ansehen.

Das Schienennetz des Landes ist im europ�ischen Vergleich sehr bescheiden. Von den 2293 Kilometern werden ganzj�hrig nur 1800 Kilometer befahren.(17) Die weitaus wichtigste Bahnlinie ist die „Magistrale“, die Athen und Thessaloniki verbindet, aber selbst diese 520 Kilometer lange Strecke ist erst seit 2018 zweispurig ausgebaut und voll elektrifiziert. Das �brige Netz (mit Ausnahme des Schienennahverkehrs im Raum Athen) ist technisch um Jahrzehnte veraltet, wie etwa die mehr als 500 unbeschrankten Bahn�berg�nge zeigen.

Eine staatliche griechische Eisenbahngesellschaft gibt es seit 1920, seit 1971 tr�gt sie den Namen OSE (Οrganism�s Sidyrodr�mon Ell�dos). Innerhalb der OSE wurde bereits 1996 das Subunternehmen ErgOSE gegr�ndet, das f�r Wartung und Ausbau der Infrastruktur verantwortlich ist.(18) Auf Verlangen der „Troika“ wurde 2013 der Verkehrsbetrieb (Personen- wie G�terz�ge) unter dem Namen TrainOSE ausgegliedert, mit dem erkl�rten Ziel, diese Sparte zu privatisieren.

Privatisierung mit nur einem Bieter

Mit der Aufspaltung in ein Verkehrs- und ein Infrastruktur-Unternehmen, das u.a. f�r die Wartung und Entwicklung des Gleisnetzes und der Zugleitsysteme verantwortlich ist, erf�llte Griechenland versp�tet die Vorgaben der EU-Verkehrspolitik, die in den meisten anderen L�ndern l�ngst umgesetzt waren. Die alte OSE hatte diese Aufspaltung zwar schon 2005, unter der ND-Regierung Karamanlis, und lange vor der „griechischen Krise“ und den Sparauflagen der Troika beschlossen. Doch das chronisch defizit�re und hoch verschuldete Staatsunternehmen fand f�r die angestrebte Privatisierung seiner Betriebssparte jahrelang keinen K�ufer.

Das gelang erst Anfang 2017 durch den Verkauf an eine Tochter des italienischen Staatsunternehmens Ferrovie dello Stato Italiane (FSI). Dabei konnte FS als der einzige Bieter den Kaufpreis auf 45 Millionen Euro dr�cken – weit unter die 300 Millionen, die sich die Sparkommissare der Troika versprochen hatten. Das italienische Unternehmen TrainOSE wurde im Juni 2022 in Hellenic Train umbenannt. Bei der staatlichen OSE (Hellenic Railways) verblieb der Aufgabenbereich der ErgOSE, also Wartung und Modernisierung der Infrastruktur.

Der Verkauf von 2017, der unter dem Druck der Troika erfolgte, bedeutete im Grunde allerdings keine „Privatisierung“, da FSI auch ein Staatsunternehmen ist. Damals war es jedoch der einzige Weg zur „Rettung“ der TrainOSE, da Br�ssel die R�ckzahlung staatlicher Subventionen in H�he von 750 Millionen Euro forderte, was den Bankrott des Staatsunternehmens bedeutet h�tte.(19)

Die Rolle der Tsipras-Regierung

Die �bernahme durch die italienische Staatsbahn wurde unter der Tsipras-Regierung vollzogen. Damit stellt sich auch die Frage nach der Mitverantwortung der Linkspartei Syriza f�r die Misere des griechischen Eisenbahnsystems. Die Syriza verteidigt ihre damalige Entscheidung mit zwei Argumenten: Erstens sei man zum Verkauf gezwungen gewesen, weil das Defizit von TrainOSE auf 15 Milliarden Euro angewachsen war, wie Tsipras in einem Interview mit Mega TV argumentierte (news 24/7 vom 14. M�rz 2023). Und zweitens habe man es immerhin geschafft, die OSE in staatlicher Hand zu behalten, und damit die Kontrolle �ber die Infrastruktur und �ber die Verwendung der Gelder aus den Infrastruktur-Fonds der EU.

Das zweite Argument mag �konomisch einleuchten, ist unter dem Aspekt der Betriebssicherheit jedoch h�chst fragw�rdig. Bereits 2019 hat Philippos Tsalidis, damals CEO des Fahrdienstunternehmens TrainOSE, auf die Folgen einer Trennung der beiden Bereiche hingewiesen. Der Zustand des Gleisnetzes, auf den TrainOSE keinen Einfluss hat, sei das gr��te Hindernis f�r „die reibungslose Durchf�hrung von Bahntransportleistungen“, denn die staatliche OSE zeige sich au�erstande, „elementare Infrastruktureinrichtungen wie das Zug�berwachungs- und das Signalsystem“ fertigzustellen.(20)

Die systemische Sicherheitsl�cke

Dieses Versagen des Staatsunternehmens hatte Folgen nicht nur f�r die P�nktlichkeit, sondern auch f�r die Sicherheit des Zugverkehrs. Damit individuelle Fehler keine t�dlichen Folgen haben, wurden die sogenannten „Zugbeeinflussungssysteme” entwickelt: elektronische Leitungs- und Kontrollsysteme, die Fehler erkennen und in Echtzeit korrigieren k�nnen.

Die meisten europ�ischen L�nder verf�gen �ber ein Zugbeeinflussungssystem f�r das gesamte nationale Bahnnetz, Griechenland nicht.(21) Allerdings gibt es im Stellwerk von Larissa ein elektronisches Kontrollsystem von begrenzter Reichweite, wie es auf etwa der H�lfte der griechischen Bahnh�fe installiert ist. (Kathimerini vom 12. M�rz 2023) Das von Larissa wurde erst Anfang 2023 wieder in Betrieb genommen, nachdem es 2016 durch einem Brand zerst�rt worden war. Doch dieses Kontrollsystem deckt lediglich die ersten 1,7 Streckenkilometer in Richtung Tempital ab.(22) Innerhalb dieser Reichweite liegt die Weiche Nr. 118, die den IC 62 auf das linke Gleis lenkte. Die falsche Weichenstellung w�re Vassilis S. per Warnsignal auf seinem Kontrollmonitor gemeldet worden; doch den hat dieser entweder nicht beachtet oder abgeschaltet.

Auch auf diesem Bildschirm h�tte der Fahrdienstleiter allerdings nicht gesehen, dass dem IC 62 ein G�terzug aus Thessaloniki entgegenkam. Das w�re nur mit einem integrierten „horizontalen“ �berwachungssystem m�glich, das die gesamte Strecke und s�mtliche Zugbewegungen abbildet. Ein solches zentrales System – eine Art „nationales Stellwerk“ – h�tte auch die Lokf�hrer der beiden Z�ge alarmiert, die aufeinander zurasten, oder eine automatische Bremsung eingeleitet.

Geplant aber nicht umgesetzt

Ein elektronisches Signal- und Kontrollsystem ist f�r die Eisenbahn-Magistrale Athen-Thessaloniki seit vielen Jahren geplant. Es ist auch die Voraussetzung f�r die Integration des griechische Bahnnetzes in das „European Train Control System“ (ETCS), das die verschiedenen nationalen Systeme abl�sen soll. Ein integriertes ETCS gew�hrleistet die notwendige Signal- und Kontrolltechnologie f�r das geplante „European Railway Traffic Management System“ (ERTMS), das ein europaweites Netz von Hochgeschwindigkeitsz�gen erm�glichen soll.(23)

In Griechenland ist ein solches Kontrollystem heute nur auf einem 106 Kilometer langen Streckenabschnitt s�dlich von Larissa (zwischen Tithorea and Domokos) in Betrieb und auch auf diesem Abschnitt immer noch st�ranf�llig. So kam es auf dem Bahnhof von Tithorea im Oktober 2022 – f�nf Monate nach der pomp�sen Einweihung des Systems – zu zwei Unf�llen; beim zweiten entgleiste ein Zug wegen einer falsch gestellten Weiche. Das beweise, dass „im griechischen Eisenbahnwesen nichts richtig funktioniert“, erkl�rte damals die Gewerkschaft PEPE, die das Bahnpersonal repr�sentiert. Sie kritisierte insbesondere das Transportministerium, das sich weigere, mit den Gewerkschaften zu sprechen und sich �ber „den tats�chlichen Zustand der Bahn-Infrastruktur“ informieren zu lassen. (EfSyn vom 22. Oktober 2022)

Der tats�chliche Zustand stellt sich nach dem ersten Untersuchungsbericht �ber das Tempi-Ungl�ck, der am 21. April 2023 vorgelegt wurde, wie folgt dar: Das ETCS „funktioniert in keinem Bereich des griechischen Eisenbahnnetzes vollst�ndig“ (zitiert nach EfSyn vom 21. April). Und es gibt auch kein anderes „Train Protection System“(TPS), wie es in den meisten EU-L�ndern installiert ist.(24)

Ein abgesagter Auftritt

Wie die Athener Regierung die „tats�chlichen Zust�nde“ verschleiert, zeigt eine bizarre Episode, die nicht stattgefunden hat. F�r den 1. M�rz hatte Regierungschef Mitsotakis eine Vorwahlkampf-Reise geplant, bei der er auch das “Zentrum f�r Tele-�berwachung des Eisenbahnnetzes Nordgriechenlands” besuchen wollte. Daf�r gibt es auf dem Bahnhof von Thessaloniki bereits ein Geb�ude, aber nichts zu �berwachen. Es existiert zwar ein Vertrag mit dem franz�sischen Gro�konzern Alstom �ber die Installation des digitalen Kontrollsystems „Iconis“ in ganz Nordgriechenland, aber der sieht die Fertigstellung erst f�r 2025 vor. (Global Railway Review vom 15. M�rz 2022)

Angesichts dessen frotzelte der PEPE-Vorsitzende Kostas Genidounias: „Kann uns jemand sagen, wo es das automatische Signal- und Strecken�berwachungssystem in Nordgriechenland gibt und wo es funktioniert?” In Richtung Osten gebe es so was nicht und in Richtung Athen liege sowieso “alles im Dunkeln”. (zitiert nach EfSyn vom 2. M�rz 2023)

Wenige Stunden vor dem geplanten Auftritt von Mitsotakis geschah das Tempi-Ungl�ck. Die Ansprache in dem Potemkinschen Kontrollzentrum musste ausfallen. Und so gab es am 1. M�rz auf dem Bahnhofsvorplatz von Thessaloniki statt einer Jubelkulisse von ND-Getreuen eine Demonstration von mehreren Hundert Studierenden, die skandierten: "Es war kein Ungl�ck, sondern ein Verbrechen."

Der Verkehrsminister ist emp�rt

Welche Spr�che die PR-Berater von Mitsotakis f�r den 1. M�rz aufgeschrieben hatten, werden wir nie erfahren. Doch sicher h�tte der Regierungschef – mit Blick auf die Parlamentswahlen – �hnliche T�ne angeschlagen wie sein Verkehrsminister Karamanlis. Der verk�ndet seit Jahren, Griechenland sei dazu bestimmt, zum „Verkehrs- und Infrastruktur-Knotenpunkt des Balkans zu werden“. Dank der ND-Regierung, die dabei sei, mit Investitionen von mehr als 3 Milliarden Euro „die Landkarte des Transportwesens zu ver�ndern“.(25)

Visionen f�r mehr Sicherheit hatte Karamanlis dagegen nicht zu bieten. Als er am 20. Februar 2023 von Syriza-Abgeordneten nach der Sicherheit des Schienenverkehrs gefragt wurde, fand er es „emp�rend“ und „eine Schande“, dass die Opposition dieses Thema �berhaupt ansprach. (news 24/7 vom 6. M�rz 2023)

Acht Tage sp�ter fand die Sicherheitsfrage ihre Antwort im Tempital. Verkehrsminister Karamanlis musste zur�cktreten. Doch er empfand es nicht als sch�ndlich, einen Monat sp�ter anzuk�ndigen, er werde bei den Wahlen am 21. Mai erneut f�r das Parlament kandidieren, um den ND-Sitz im nordgriechischen Wahlkreis Serres zu verteidigen.

�berh�rte Alarmsignale

Was Karamanlis im Parlament nicht erw�hnte – und Mitsotakis am 1. M�rz nicht erw�hnt h�tte – waren die Alarmsignale von Gewerkschafts- und von Expertenseite. So hatte die PEPE am 22. Oktober 2022 in einem Brandbrief an den Verkehrsminister die chronische Vernachl�ssigung der Infrastrukturen beklagt und konkrete Defizite benannt: „ausbleibende Instandhaltungsarbeiten“, „nicht funktionierende Fotosignaltechnik und Fernsteuerung“, und das „seit vielen Jahren nicht funktionierende System ETCS, ... obwohl es an den Lokomotiven schon installiert war“.(26)


Wenige Stunden nach dem Ungl�ck erkl�rte Verkehrsminister Karamanlis seinen R�cktritt.
� Vasilis Ververidis/picture alliance/ANE/Eurokinissi

Der Verkehrsminister erw�hnte auch nicht, dass ein Jahr zuvor ein hochrangiger Sicherheitsexperte die Zust�nde bei der ErgOSE scharf kritisiert hatte. Der Elektroingeniuer Christos Katsioulis leitete bei dem Subunternehmen der OSE das Arbeitsteam, das die Anpassung des griechischen Bahnnetzes an die Standards des ETCS organisieren sollte. Damit war Katsioulos auch f�r die Einf�hrung des Signal- und Zug�berwachungssystem zust�ndig. Am 24. April 2022 reichte er seinen R�cktritt ein, aus Protest gegen „nicht zu rechtfertigende gigantische Verz�gerungen“, gegen die „grundlose Demontage von Systemen“ und die „schlechte Umsetzung“ der Vertr�ge durch die Unternehmen, die mit dem weitgehend EU-finanzierten ErgOSE-Programms betraut waren. (EfSyn vom 2. M�rz und Ta Nea vom 5. M�rz 2023)

Der letzte Kritikpunkt zielte auf das Konsortium, das der franz�sische Konzern Alstom Transport und Τomh Abete, eine Tochter des griechischen Bauriesen Ellaktor, gegr�ndet hatten, um den lukrativen ErgOSE-Auftrag zu bekommen. Der wurde ihnen mit dem Vertrag 717 vom Oktober 2014 erteilt, der die Entwicklung und Installation eines Systems auf ETCS-Niveau vorsah, das bis September 2016 einsatzf�hig sein sollte.

Ein Konsortium, das nicht zusammenarbeitet

Ein Konsortium ist ein Zusammenschluss von selbst�ndigen Unternehmen „zur zeitlich begrenzten Durchf�hrung eines vereinbarten Gesch�ftszwecks“ (Wikipedia). In diesem Sinne hat das Tandem Alstom/Ellaktor nie funkioniert. Das liegt vor allem an den sehr unterschiedlichen technischen Kompetenzen. W�hrend Alstom auf Verkehrstechnik spezialisiert und auf dem Gebiet der Bahntechnik das zweitgr��te Unternehmen weltweit ist, handelt es sich bei Ellaktor um einen Baukonzern, der in Richtung Alternative Energien, M�llaufbereitung und Immobilienverwertung expandiert.

Dass Ellaktor zum Teilhaber am lukrativen Vertrag 717 mit einem Auftragsvolumen von 41,3 Millionen Euro werden konnte, hatte nichts mit technischer Expertise zu tun. Der einzige Grund war, dass der international aktive Baugigant (der 2022 einen Umsatz von 1,04 Milliarden Euro erzielte) an jedem �ffentlich finanzierten Gro�projekt auf griechischem Boden beteiligt wird. Das gilt f�r die H�ngebr�cke am Eingang zum Golf von Patras, die Gro�bauten f�r Olympia 2004 in Athen (Stadion und Olympisches Dorf) oder das Akropolis-Museum, wie auch f�r das griechische Autobahnnetz und die Athener Stadtautobahn (Attiki Odos).

Das Gesch�ftsmodell von Ellaktor beruht auf klassisch „klientelistischen“ Beziehungen zu jedweder Athener Regierung und auf der optimalen Verwertung der erlangten Auftr�ge. Wie diese Optimierung funktioniert, l�sst sich an dem 2,6-Milliarden Projekt Attiki Odos besichtigen. Als ich einmal mit einem Freund, der Bauingenieur ist, �ber die Stadtautobahn fuhr, machte der mich auf das Volumen der massiven Betonmauern und -st�tzen aufmerksam und erl�uterte: Da wurde um 30 Prozent mehr Beton verbaut, als von der Statik her n�tig ist; und nat�rlich lag die Projektplanung bei Ellaktor, der seine Gewinne proportional zum Betonvolumen steigern konnte.

Verz�gerungen am laufenden Band

Was den Vertrag 717 �ber die Installation eines modernen Zugbeeinflussungssystems betrifft, so war der (mittlerweile zur H�lfte niederl�ndische) Baugigant f�r den f�hrenden Verkehrstechnik-Konzern Alstom nie ein echter Partner. Das Know-how-Gef�lle zeigte sich schon daran, dass die Planstudien f�r die Teilprojekte, die Tomh Abete/Ellaktor �bernehmen sollte, vom franz�sischen Partner gepr�ft und abgezeichnet werden mussten. Einer der Gr�nde f�r die st�ndigen Verz�gerungen bei der Umsetzung des Vertrags 717 war, dass die Alstom-Experten ihre Unterschrift unter diese Studien jahrelang verweigerten. Hinzu kam, dass die Ellaktor-Tochter zahlreiche Subauftr�ge an kleinere Unternehmen vergab, von denen etliche das Geld kassierten, ohne den Auftrag auszuf�hren. Solche Unterauftr�ge sind auf der unteren rousfeti-Ebene ein g�ngiges Mittel, um lokale Klienten zu bedienen, da man sie meist ohne formelle Ausschreibung vergeben kann. Die Folgen schilderte ein Eisenbahnexperte gegen�ber der Nachrichten-Website news 24/7 am 4. M�rz 2023 an einem Beispiel: „Die elektronischen Systeme der Auftragnehmer, denen kleinere Teile des Projekts zugeteilt wurden, konnten von den Systemen der franz�sischen Alstom nicht ‚gelesen werden‘.“

Das f�hrte dazu, dass die ETCS-kompatible Software in den Z�gen zeitweise bereits installiert war, aber nicht funktionierte, weil sie nicht mit den an den Gleisen installierten Sensoren kompatibel war.(27) Als news 24/7 nach dem Tempi-Ungl�ck bei Kostas Genedounias, Chef der Lokf�hrergewerkschaft (PEPE) nachfragte, warum es kein funktionierendes Zugkontrollsystem gebe, lautete die Antwort: „Fragt die Verantwortlichen … Die sagen immer nur, dass es nicht funktioniert, dass sie es aber hinkriegen werden; dann sagen sie uns, dass es kaputt ist, aber dass sie einen Vertrag mit einem Unternehmen machen, dann wieder, dass sie einen Vertrag mit einem anderen Unternehmen machen … und so geht es weiter.“

Das j�ngste Beispiel f�r eine solche „systemische“ Verz�gerung: Im Mai 2017 hatte die ErgOSE zugesagt, sp�testens 2019 werde das gesamte Schienennetz mit dem automatischen Zugsicherungssystem nach ETCS-Standard ausgestattet sein. Dann werde es ein zentrales Kontrollzentrum geben, das „im Fall eines schwerwiegenden Fahrfehlers die Steuerung eines Zuges in Echtzeit �bernimmt“. (Kathimerini vom 26. Mai 2017)

Am 28. Februar w�re das die Rettung gewesen. Aber ein solches System hat „zu keinem Zeitpunkt als ganzes und integriertes System funktioniert“, befindet der Verkehrsexperte Achilleas Chek�moglou. Das Bahnpersonal sei bis heute darauf angewiesen, per Mobiltelelefon zu kommunizieren. (Kathimerini vom 5. M�rz 2023)

Statt R�ckzahlungen ein Nachschlag

Wenn die installierte Technik jahrelang nicht funktioniert, entsteht auch ein Verschlei�-Problem. Bei der OSE verlotterten die Apparaturen an den Gleisen mangels Wartung – oder sie wurden schlicht gepl�ndert. Professionelle Diebesbanden, die auf wertvolle Metalle spezialisiert sind, entdeckten den Schatz an Kupferleitungen, den es aus dem unbewachten OSE-Gleisbett zu heben gab.(28)

Chronische Verluste und Verz�gerungen veranlassten die griechische Watchdog-Kommission namens EDEL Ende 2018 zu einer Kontrolle des ErgOSE-Programms. Die Kommission, die �ber die Verwendung �ffentlicher Gelder (auch der EU) zu wachen hat, stellte gravierende Probleme und Vertragsverletzungen seitens des Konsortiums fest. So waren zwei Jahre nach dem vereinbarten Abschluss der Arbeiten noch nicht einmal alle unerl�sslichen Studien fertiggestellt und abgezeichnet (Kathimerini vom 3. M�rz 2023). Deshalb verlangte das Komitee vom Projekttr�ger ErgOSE die R�ckzahlung von 2,42 Millionen Euro. Dieser Bescheid erging wenige Tage vor den Wahlen vom 7. Juli 2019, die von der konservativen ND gewonnen wurde.

Die neue Regierung Mitsotakis hat diese R�ckzahlung nicht durchgesetzt. Im Gegenteil: Sie gew�hrte dem Tandem Alstom-Ellaktor einen kr�ftigen Nachschlag in Form einer Zusatzvereinbarung zum Vertrag 717. Das Konsortium konnte weitere 13,3 Millionen Euro in Rechnung stellen; damit sollte die Entwicklung einer neuen Software f�r das digitale Leit- und Kontrollsystem finanziert werden.

Die Begr�ndung war von atemberaubender Dreistigkeit: Die vorhandene Software wie die Hardware seien inzwischen „veraltet“ (news 24/7 vom 4. M�rz 2923). Dass die installierte Technologie nicht mehr up-to-date war, lag nat�rlich an den Verz�gerungen, die auf die Zwistigkeiten innerhalb des Konsortiums zur�ckgingen. Die Vertragspartner nahmen also das eigene Versagen zum Anlass, neues Geld zu fordern. Und die Mitsotakis-Regierung willigte ein, statt von den vertragsbr�chigen Unternehmen einen Teil der urspr�nglichen 41 Millionen Euro zur�ck zu fordern.

Hier haben wir ein Prunkst�ck von rousfeti auf h�chstem Niveau. Der „durchl�cherte Staat“ als Selbstbedienungsladen: „Statt dass die Auftragnehmer den Staat f�rchten, k�nnen sie nach Belieben ihre Gesch�fte machen – ohne jede Kosten,“ klagte der Wirtschaftsjournalist Kostas Kallitsis in der Kathimerini vom 5. M�rz 2023. Auch dies ist ein systemisches Ph�nomen. Sehr oft enthalten Vertr�ge �ber griechische Staatsauftr�ge eine Klausel, die dem Auftragnehmer f�r die rechtzeitige Erf�llung des Auftrags eine Pr�mie zusichert – statt Termin�berschreitungen mit Honorarabzug zu bestrafen.

Finanzielle Sanktionen drohen Alstom und Ellaktor nur von der Europ�ischen Staatsanwaltschaft (EUStA), die Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU zu verfolgen hat. Die unabh�ngige Beh�rde, die ihre Arbeit im Juni 2021 aufgenommen hat, ermittelt seit November 2022, auf welche Weise die Gelder aus Br�ssel im Sumpf des Vertrags 717 versickert sind. (news 24/7 vom 4. M�rz 2023)

D�j�-vu

Das Fiasko des Vertrags 717 war bereits der zweite ergebnislose Anlauf. Ein Jahrzehnt zuvor war ein �hnliches, ebenfalls EU-finanziertes Programm gescheitert, das die Installation der ersten Stufe des Europ�ischen Zugbeeinflussungssystems (ETCS Level 1) in Griechenland vorsah. Das Vorhaben sollte im Zeitraum 2007-2013 vollendet werden, was selbst innerhalb der bis 2017 verl�ngerten Frist nicht klappte. Auftragnehmer war zun�chst ein italienisch-japanisches Konsortium, danach ein Tandem aus dem franz�sischen Milit�r- und Verkehrstechnikkonzern Thales Group und dem griechischen Bauriesen Terna. Auch in diesem Fall ging die Kooperation schief, am Ende waren die Instrumente f�r die elektronische Strecken�berwachung in den Z�gen installiert, nicht aber an den Gleisen der Magistrale Athen-Thessaloniki.(29)

Der jahrzehntelange Krampf um die Modernisierung der griechischen Eisenbahn ist eine Geschichte des Scheiterns. Der Journalist Achilleas Chek�moglou hat sie von Beginn an verfolgt. Nach dem Tempi-Ungl�ck zog er in einem Podcast auf der Webite news 24/7 eine vernichtende Bilanz �ber das Wirken der OSE.(30) „Das ganze Unternehmen OSE war ein System, das nicht wirklich lernte … Die strukturelle Unf�higkeit, moderne Technologie zu integrieren und – trotz riesiger finanzieller Programme – zum Funktionieren zu bringen, ist vielleicht einmalig in Europa.“

Rousfeti in Milliardenh�he

Ob einmalig oder nicht: Was bei der OSE funktionierte, war das Prinzip rousfeti. Laut Chek�moglou bekam die Korruption im Gefilde der milliardenschweren Infrastruktur-Projekte noch einen kr�ftigen Schub durch die „riesigen Finanzierungsprogramme“ der EU. Dass im griechischen Bahnsystem Gelder versickerten, blieb in Br�ssel nicht unbemerkt. Mitte der 1990er Jahre legte die EU-Kommission die Finanzierung von OSE-Projekten aus EU-Mitteln kurzzeitig auf Eis. Sie hatte entdeckt, dass lukrative Auftr�ge direkt, also ohne Ausschreibungen erteilt wurden. Damals verlangte die EU von der OSE, ihre Infrastruktur-Abteilung in Form der ErgOSE auszugliedern, um ein vermeintlich „sauberes“ Unternehmen zu schaffen. (Kathimerini vom 5. M�rz 2023)

Als Beispiel milliardenschwerer Korruption erz�hlt Chek�moglou die Geschichte des Tunnels durch den Bergzug Kallidromos (150 Kilometer n�rdlich von Athen unweit der Thermopylen). Der Bau der beiden Tunnelr�hren von je 9,2 Kilometer L�nge begann 1997. Den Auftrag bekam der Baugigant Aktor (seit 1999 Ellaktor), dessen Hauptaktion�r damals der einflussreiche Multi-Unternehmer und Medienmogul Giorgos Bobolos war.(31)

Bobolas konnte sich den Auftrag ohne Ausschreibung sichern, weil er politisch gut vernetzt war (insbesondere mit der Pasok) und weil sich Aktor �ber Kooperationsvertr�ge ausl�ndische Expertise einkaufte, �ber die der Baukonzern nicht selbst verf�gte. Dennoch kam das technisch schwierige Projekt mehrmals zum Stillstand. Nach 16 Jahren Bauzeit wurde der Tunnel 2013 „eingeweiht“, aber die ersten Z�ge konnten erst Anfang 2018 durchfahren. Solange dauerte es, um die Signal- und Kommunikationstechnik in den R�hren zu installieren. Aber auch zu diesem Zeitpunkt waren die Anlagen wegen st�ndiger technischer Probleme noch nicht amtlich lizensiert, wie die lokale Zeitung Voria vom 1. Februar 2023 berichtete.

Lebensgef�hrliche Tunnel

Im Bereich Verkehr sind technische Probleme immer auch Sicherheitsprobleme. Das gilt verst�rkt f�r Stra�en- und Eisenbahntunnel. Ein weiterer Beweis f�r die „systemische“ Vernachl�ssigung der „Sicherheitskultur“ durch die ErgOSE ist deshalb der Zustand ihrer Tunnel. Wie der aussieht, erfuhr die griechische �ffentlichkeit erst nach dem 28. Februar. Der Frontalzusammensto� h�tte noch viel mehr Menschenleben gekostet, wenn die Z�ge wenige Sekunden sp�ter im Tempi-Tunnel kollidiert w�ren. Daher schickte der TV-Sender Skai ein Reporterteam in die 5,5 Kilometer lange Betonr�hre, das haarstr�ubende Sicherheitsm�ngel dokumentierte: die Wasserschl�uche waren geklaut, die Evakuierungswege nicht beleuchtet, die Bel�ftungssysteme kaputt.

Erst jetzt entdeckten die Medien ein vernichtendes Gutachten der griechischen Feuerwehr, die bereits 2022 die Sicherheitsausstattung der 18 Eisenbahntunnel von mindestens 1 Kilometer L�nge �berpr�ft hatte. Die Inspektion in Begleitung von OSE-Personal erfolgte in 15 Tunneln (drei weitere fielen mangels OSE-Begleitung aus). In allen 15 entdeckten die Feuerwehr-Experten massive Verst��e gegen die Sicherheitsvorschriften:
- defekte oder fehlende L�schwasserschl�uche und leere Wassertanks;
- fehlende Beleuchtung der Fluchtwege, verschlossene T�ren, unzureichend gesch�tzte Zufluchtsr�ume f�r gestrandete Passagiere;
- defekte Bel�ftungs- und Rauchabzugssysteme;
- kein gesicherter Zugang f�r Feuerwehrkr�fte;
- keine Vorkehrungen f�r Bergung und Entsorgung gef�hrlicher Substanzen oder giftiger Chemikalien (nach Unf�llen von G�terz�gen).(32)

Aufgrund des vernichtenden Befunds der Feuerwehr h�tten die Tunnel zumindest f�r den Personenzugverkehr gesperrt werden m�ssen. Die ermittelten Sicherheitsdefizite belegen, dass die OSE ihre Kontroll- und Wartungsaufgaben seit Jahren vernachl�ssigt oder ganz unterlassen hatte.

Die heikle Frage nach den „griechischen Verh�ltnissen“

Wer diesen Bericht bei TrainOSE oder im Verkehrsministerium zur Kenntnis genommen hat, ist nicht bekannt. Wie die offiziellen Instanzen mit unangenehmen Nachrichten umgehen, hat allerdings Adonis Georgiadis, Minister f�r Wirtschaftsentwicklung und Investitionen (und Vize-Regierungschef), entwaffnend offen ausgesprochen. Bei einem Fernseh-Auftritt (Skai TV vom 7. M�rz 2023) verteidigte der Rechtspopulist seinen Kollegen Karamanlis gegen den Vorwurf, die Sicherheitsprobleme verschwiegen zu haben, mit der �berlegung: „Wenn du Verkehrsminister bist, kannst du dann im Parlament einfach sagen, dass es bei den Z�gen Sicherheitsprobleme gibt? Wenn du das sagst, wird morgen kein Mensch mehr in den Zug einsteigen.“

Mit dieser zynischen Auskunft ist die Frage beantwortet, ob die unmittelbare Verantwortung f�r das Ungl�ck vom 28. Februar bei der Regierung liegt. Doch die Verantwortung im weiteren Sinne – oder sagen wir im historischen Horizont – liegt in in den „griechischen Verh�ltnissen“. Mit diesem Ausdruck sollte man vorsichtig umgehen. Zum einen weil Korruption im umfassenden Sinn von rousfeti auch anderswo verbreitet ist – wenn auch nicht so z�hlebig und tief verwurzelt wie in Griechenland. Zum zweiten weil der Befund systemischer Korruption immer wieder von nicht-griechischen Akteuren herangezogen wird, um eigene Interessen und Fehler im Umgang mit Griechenland zu verschleiern.

Das Paradebeispiel daf�r ist die Politik der „Troika“ in den Jahren der globalen Finanzmarktkrise. Damals wurde das hoch verschuldete Land auf Betreiben der Sch�uble-Merkel-Regierung mittels eines unnachsichtigen und kontraproduktiven Spardiktats nur noch tiefer in die Krise getrieben – und am Ende fast in einen katastrophalen Grexit. Allerdings steht auch im Fall der Grexit-Krise au�er Frage, dass sich Griechenland mit seiner hohen Gesamtverschuldung selbst zum Angriffsziel Nr. 1 f�r die Finanzm�rkte, die Troika und Sch�uble gemacht hat. Dieser Schuldenstand war das direkte Ergebnis der rousfeti-Orgie der ND-Regierung Karamanlis, die das Staatsdefizit von 2004 bis 2009 in neue Dimensionen katapultierte.(33) Allein im Wahljahr 2009 schufen die Konservativen im �ffentlichen Sektor 40.000 neue Stellen f�r ihre Klientel. Als dennoch die Pasok an die Regierung kam, musste der neue Ministerpr�sident Giorgos Papandreou auf Nachfragen der Troika ein peinliches Eingest�ndnis machen: Er konnte nicht sagen, wie viele �ffentliche Bedienstete es in seinem Land gibt. Um die Zahl zu ermitteln, bedurfte es einer „Volksz�hlung“ in allen Ministerien und �ffentlichen Unternehmen.

Rousfeti und die Linke

Die griechischen Linksparteien haben das rousfeti-System schon immer als Geschw�r des griechischen Staates identifiziert. Die parteipolitische Vetternwirtschaft habe zu „ungeheuerlichen Pathologien im �ffentlichen Sektor“ gef�hrt, klagte Syriza-Chef Alexis Tsipras, als er 2013 – noch als Oppositionsf�hrer – „das System der Verflechtungen zu zerschlagen“ versprach (Interview mit Kyriakatiki Eleftherotypia vom 8. September 2013). Umso verbl�ffender ist, dass Linke au�erhalb Griechenlands bei der Frage, wer an der griechischen Misere „schuld“ sei, den systemischen Klientelismus h�ufig v�llig ignorieren. Die „griechischen Verh�ltnisse“ werden ausgeblendet, um keine Zweifel an der Alleinschuld des „ausl�ndischen Faktors“ aufkommen zu lassen.(34)

Solche ideologischen Scheuklappen machen blind f�r die Wirklichkeit. Das k�nnen sich die Betroffenen nicht leisten, die dieser Wirklichkeit ausgesetzt sind. Wenn etwa der Verkehrs-Experte Achilleas Chek�moglou angesichts des Versagens der OSE von „ganz und gar ‚griechischen‘ Zust�nden“ spricht, so spricht er damit nur aus, was die meisten Griechinnen und Griechen empfinden. In fast jedem Gespr�ch, das ich im M�rz und April mit den unterschiedlichsten Menschen �ber das Tempi-Ungl�ck und seine Ursachen gef�hrt habe, kam irgendwann der Sto�seufzer: „Was will man machen, wir sind eben in Griechenland.“


Forderung nach Aufarbeitung: Proteste w�hrend eines 24-st�ndigen Generalstreiks, Athen, 16. M�rz 2023.
� Konstantinos Zilos/picture alliance/NurPhoto

Dieses Stimmungsbild wird durch vier Umfragen best�tigt, die auch die Verantwortung f�r die Tempi-Katastrophe thematisiert haben. Nur eine kleine Zahl der Befragten (zwischen 10 und 12 Prozent) nannte „menschlichen Versagen“ als Hauptgrund f�r das Ungl�ck; f�r eine gro�e Mehrheit (zwischen 75 und 94 Prozent) waren die Hauptverantwortlichen die aktuelle Regierung oder alle Regierungen der letzten Jahrzehnte. Rechnet man die Schuldzuweisung an die OSE dazu, sieht eine �berw�ltigende Mehrheit „das System“ auf die Anklagebank.(35)

Versorgungsunternehmen im doppelten Sinne

In diesem Meinungsbild zeigt sich in aller Klarheit, dass die griechische Eisenbahn als Sinnbild des rousfeti-Staats wahrgenommen wird. Seit Jahrzehnten war die OSE ein klassisches �ffentliches „Versorgungsunternehmen“ im doppelten Sinne: Als Dienstleister sorgte es f�r den Transport von Personen und G�tern, als Arbeitgeber versorgte es „die Klientel der jeweils herrschenden Regierung mit gut bezahlten, sicheren und h�ufig bequemen Posten – auf Kosten der Kundinnen und der Steuerzahler.“(36)

Im Fall der griechischen Bahn hatte diese zweite Versorgungsfunktion deutlichen Vorrang vor der eigentlich prim�ren Kundendienstleistung. Keine Regierung hatte je die Absicht, den Schienenverkehr zu einer attraktiven Alternative zum Stra�enverkehr auszubauen. Das wurde auch durch die Lobby der Busunternehmen und vor allem der Speditionsfirmen verhindert, die mit ihrer Lkw-Flotte den G�tertransport seit den 1950er Jahren monopolisierten. Und das noch m�chtigere Oligopol der Bau- und Betonindustrie setzte ganz auf den Ausbau des Stra�ennetzes, der nachhaltige Profite aus der Staatskasse garantierte.

Die v�llige Missachtung der Schiene zeigte sich auch beim Bau der H�ngebr�cke, die seit 2004 �ber den Golf von Patras hinweg die Nordk�ste der Peloppones mit dem westgriechischen �tolien verbindet. Zu keinem Zeitpunkt der seit 1990 laufenden Planung wurde eine Bahntrasse �ber die Br�cke auch nur erwogen. Das 770 Millionen Euro teure Projekt wurde als vierspurige Stra�enbr�cke konzipiert; die Chance, den Nordwesten des Landes an das bestehende Schienennetz anzuschlie�en, hatte keine Chance.(37)

Mehr Fortschritte gab es beim Ausbau der OSE als politisches Versorgungsunternehmen. W�hrend die Bahn zum „Verkehrsmittel zweiter Klasse“ heruntergewirtschaftet wurde, nahm der Personalbestand weiter zu.(38) Da die Kundschaft zum Speditions- und Busverkehr abwanderte, sanken die Einnahmen. Doch die Personalkosten stiegen weiter: Zu Beginn der Grexit-Krise machten sie knapp 80 Prozent der Gesamtausgaben des Unternehmens aus. Diese �berstiegen in der OSE-Bilanz von 2008 die gesamten Einnahmen um das 8-fache, w�hrend das Verh�ltnis von Einnahmen zu Ausgaben im EU-Durchschnitt bei 1 : 1,25 lag. Die griechische Bahn bescherte dem Staat also ein Defizit, das 6,4 mal h�her lag als anderswo. Die exorbitanten roten Zahlen r�hrten, wie der pensionierte OSE-Chefmechaniker Dimitris Makrodimopoulos schreibt, gro�enteils von „der Parteienwirtschaft, dem Populismus, den Klientelbeziehungen und der Vetternwirtschaft …“ (EfSyn 31. M�rz 2023)

„Shut it down!“

Die Verschuldung der OSE war bis 2010 auf 10 Milliarden Euro angewachsen (was 4 Prozent des griechischen BIP entsprach). Das Staatsunternehmen war also, bevor es zum Opfer der Schuldenkrise wurde, selbst eine der Ursachen der griechischen Verschuldung. Vor diesem Hintergrund ist die Episode zu verstehen, die �ber Poul Thomsen, den Vertreter des IWF innerhalb der „Troika“ berichtet wird. Als ihm die griechischen Vertreter die roten Zahlen der OSE vorlegten, soll er sie angeschrien haben: „Shut it down!“, Macht den Laden zu.

H�tte sich Thomsen damals durchgesetzt, w�re 13 Jahre sp�ter zwischen Athen und Thessaloniki kein Zug gefahren. Aber ein Land ohne Eisenbahn ist auch keine L�sung. Thomson wurde von den Troika-Partnern gestoppt, die nicht wollten, dass auf diese Weise mehrere Milliarden Euro an EU-Subventionen versenkt werden. Stattdessen forderte die Troika die Einstellung unprofitabler Zugverbindungen und eine „Umstrukturierung“ des ganzen Unternehmens.(39)

Die erste Forderung zielte etwa auf die kaum genutzten Bummelz�ge auf der Peloponnes und war durchaus berechtigt. Doch die Forderung einer „Umstrukturierung“, sprich eines radikalen Personalabbaus, musste sich tats�chlich auf die Verkehrssicherheit auswirken. Damit sind wir bei der Frage nach der „europ�ischen“ Dimension des griechischen Eisenbahn-Desasters, bei der sich drei Unterfragen stellen:
- In welchem Ma�e gehen die sicherheitsrelevanten K�rzungen beim OSE-Personal auf das Konto der Troika?
- Hat die 2017 vollzogene „Privatisierung“ der TrainOSE die Verkehrssicherheit beeintr�chtigt?
- Wie steht es um die Mitverantwortung der italienischen Hellenic Rail (vormals TrainOSE) f�r die Betriebssicherheit des griechischen Bahnnetzes?

Die Rolle der Troika

Jeder Personalabbau bei einem Verkehrsunternehmen geht, wenn er an falscher Stelle erfolgt, auf Kosten der Sicherheit. Das gilt besonders f�r die OSE, die ihr Defizite an moderner Sicherheitstechnik nur mit hohem Personaleinsatz ausgleichen konnte. Diese Rechnung ging nicht mehr auf, als die Belegschaft unter dem Diktat der „Memoranden“ radikal abgebaut wurde.(40)

Deshalb haben die Sparauflagen der Troika die Sicherheitsdefizite unbestreitbar vergr��ert. Dem „ausl�ndischen Faktor“ die Hauptschuld am Zustand der OSE zuzuschreiben, ist dennoch aus zwei Gr�nden verfehlt. Zum einen wurden die Pl�ne f�r eine „Sanierung“ per Personalabbau lange vor dem Wirken der Troika entwickelt; und die massenhaften Versetzungen begannen bereits 2008, unter der ND-Regierung Karamanlis. Zum anderen wurden die Priorit�ten von griechischer Seite definiert.

Damit erfolgte der Personalabbau nach der klientelistischen Logik, die zwei „falsche“ Kriterien setzt: Erstens verschont sie die oberen R�nge der Verwaltungshierarchie, die mittels unverdienter Bef�rderungen – ein klassisches rousfeti-Instrument – notorisch �berbesetzt sind. Statt diesen b�rokratischen „Wasserkopf“ zu k�pfen, wurden die operativen Glieder amputiert.(41) Zweitens werden die „professionellen“ durch „politische“ Kriterien verdr�ngt, womit wertvolles „Kapital“ an ausgebildeten Fachkr�ften verloren geht. Dieser qualitative Verlust bedeutete im Fall der OSE auch, dass „die massenhafte Entsorgung von Personal eine gewaltige Sicherheitsl�cke entstehen lie�.“ (EfSyn vom 31. M�rz 2023)

Das h�tte man nur vermeiden k�nnen, wenn das gesamte �ffentliche Unternehmen einer Evaluierung unterworfen worden w�re. Nur so h�tte man die Spreu der „entbehrlichen“ Stellen vom Weizen der „unerl�sslichen“ trennen k�nnen, um damit die „sicherheitsrelevanten“ Arbeitspl�tze zu retten.(42)

Doch an einer Evaluierung hatten weder die F�hrungsetage der OSE noch die Regierung ein Interesse. Eine Durchleuchtung des Gesamtsystems nach professionellen Kriterien k�nnte helfen, das Leistungs- gegen das rousfeti-Prinzip durchzusetzen. Das aber h�tte eine tragende S�ule der politischen und gesellschaftlichen Machtstruktur zum Einsturz gebracht.(43)

Deshalb ist die Generalkritik an der Troika zu pr�zisieren: Gewiss war das pauschale Spardiktat von EU, EZB und IWF eine sozial ungerechte und �konomisch kontraproduktive Strategie. Aber was die Folgen f�r das Staatsunternehmen OSE betrifft, so ist der Troika eher vorzuwerfen, dass sie der griechischen Seite keine pr�ziseren Auflagen gemacht hat, zum Beispiel was die Betriebssicherheit betrifft. Das w�re die einzige vertretbare Alternative zu der vom IWF angedrohten Liquidation des gesamten griechischen Eisenbahnverkehrs gewesen.

Der Faktor Privatisierung

Bei der Kritik an der Privatisierungspolitik, die Griechenland von der Troika diktiert wurde, ist vorweg ein Hinweis wichtig. In einem hoch verschuldeten Land mit notorisch defizit�ren Staatsunternehmen kann der Verkauf eines �ffentlichen Unternehmen eine akzeptbale L�sung sein. Allerdings nur unter drei Bedingungen, die ich in meinem ersten Text f�r diesen Blog dargelegt habe (siehe Anm. 36). Erstens sollte der Erl�s f�r den Verkauf „in einem vern�nftigen Verh�ltnis zu den Gewinnen stehen, die der �ffentlichen Hand durch die Ver�u�erung entgehen“. Zweitens sollte die Privatisierung neue Investitionen und den Zugewinn von technischem Know-how erbringen. Drittens sollte der Staat in dem ver�u�erten Unternehmen bei strategischen Entscheidungen ein Mitsprache- oder Einspruchsrecht behalten.

Ein Gro�teil der griechischen Bev�lkerung lehnt Privatisierungen angesichts der Erfahrungen mit rousfeti-kontaminierten Staatsunternehmen nicht prinzipiell ab. Und auch f�r die griechische Linke sind „produktive“ Privatisierungen durchaus diskutabel. Es sei daran erinnert, dass auch der linke �konom Yanis Varoufakis im Fr�hjahr 2015 als Finanzminister der ersten Tsipras-Regierung die gesamte OSE an die chinesische Staatsbahn CR ver�u�ern wollte. Und als unter der zweiten Tsipras-Regierung 2017 die Betriebssparte TrainOSE an die italienische FSI verkauft wurde, gab es fast keine Proteste – wohl aber gro�e Hoffnungen, dass „die Italiener“ den Zugverkehr modernisieren und auf „europ�isches Niveau“ bringen w�rde.

Eine andere Frage ist, ob die Aufteilung eines Eisenbahnsystems in ein Infrastruktur-Unternehmen und einen Transport-Dienstleister die Betriebssicherheit gef�hrdet. Dies h�ngt ganz von der Koordination bei der Entwicklung der Kontrollsysteme ab. In Griechenland blieb (wie oben geschildert) die Abstimmung der Sicherheitstechnik zwischen „Rad und Schiene“ – zwischen „rolling stock“ und fester Infrastruktur – ein st�ndiges Problem.

Allerdings wurde die Trennung beider Bereiche lange vor der Privatisierung von TrainOSE vollzogen. Seitdem liegt die Verantwortung f�r die Wartung und Entwicklung der Signal- und Sicherheitstechnik allein bei der staatlichen ErgOSE. Insofern tr�gt die heutige Hellenic Train (vormals TrainOSE) keine direkte Verantwortung f�r das Tempi-Ungl�ck. Genauso unzweifelhaft ist aber, dass das Transportunternehmen �ber die Sicherheitsdefizite der von ihr genutzten Infrastruktur stets informiert war. W�re sie es nicht gewesen, h�tte es die F�rsorge f�r ihre Kundschaft str�flich vernachl�ssigt.

Sehr schlechte Sicherheitsbilanz

Seit TrainOSE/Hellenic Train ein italienisches Unternehmen ist, war sein „rolling stock“ in zahlreiche Unf�lle verwickelt, in einem Fall auch mit Todesopfern. Die kritischen Jahresberichte der griechischen Aufsichtsbeh�rde RAS waren dem Bahnbetreiber ebenso bekannt wie der Railway Safety Report der EU von 2022, der dem griechischen Eisenbahnsystem eine sehr schlechte Sicherheitsbilanz bescheinigt.(44) Hellenic Train hat sich bei der OSE auch mehrfach beschwert, dass die vormoderne Signal- und Kontrolltechnik st�ndig Versp�tungen verursache. Wegen dieser Beeintr�chtigung des Zugverkehrs hat der Bahnbetreiber seinem Infastruktur-Partner sogar mit juristischen Klagen gedroht.

Aber mehr auch nicht. Niemals ist das italienische Unternehmen an die �ffentlichkeit gegangen, um die ErgOSE oder das griechische Verkehrsministerium wegen der chronischen Sicherheitsdefizite unter Druck zu setzen. Und es gibt auch ein Beispiel daf�r, dass Hellenic Train bereit war, Abstriche an den eigenen Sicherheitsstandards zu machen, wenn es um die Pflege der Unternehmensbilanz ging. 2019 kaufte die FSI-Tochter (noch als TrainOSE) f�nf Hochgeschwindigkeits-Z�ge des Typs ETR 470. Der sogenannte Pendolino ist wegen seiner Neigungstechnik besonders f�r kurvenreiche Strecken geeignet. Allerdings ist er so st�rungsanf�llig, dass er in der Schweiz als „Pannenzug“ verrufen war und 2014 ausgemustert wurde. Auch in Deutschland wurde der ETR 470 aus dem Verkehr gezogen, weil er nicht mit dem speziellen Feuerschutzsystem ausger�stet war, das f�r Fahrten durch Tunnel von mehr als 500 Metern L�nge vorgeschrieben ist.(45)

Hellenic Train setzte das quasi zum „Schrottpreis“ gekaufte Fahrger�t seit dem 15. Mai auf der Strecke Athen-Thessaloniki ein, auf der f�nf mehrere Kilometer lange Tunnel zu durchfahren sind. Dennoch wurde der Hochgeschwindigkeitszug nicht sicherheitstechnisch nachger�stet. Auf Nachfrage antwortete die Verkehrsaufsichtsbeh�rde RAS, ein Hochdruck-L�schsystem wie in anderen L�ndern sei in Griechenland nicht vorgeschrieben. Doch sp�testens nach dem alarmierenden Bericht der Feuerwehr �ber das Sicherheitsvakuum in den griechischen Eisenbahntunneln (siehe oben) h�tte Hellenic Rail die Notbremse ziehen m�ssen. Zumindest h�tte man die Einstellung des Transportbetriebs androhen k�nnen, um die Regierung und die Gesellschaft zu alarmieren. Insoweit tr�gt das Unternehmen zwar keine direkte, aber eine sekund�re Verantwortung auch f�r das Tempi-Ungl�ck.

„Die Probleme waren ja bekannt...“

Um das Geflecht der Verantwortung f�r das Tempi-Ungl�ck anschaulich zu machen, dokumentiere ich abschlie�end eine Art Anh�rung. Am 24. M�rz 2023 stellte sich Ioanna Tsiaparikou, die Vorsitzende der Aufsichsbeh�rde f�r das griechischen Eisenbahnsystem (RAS), im TV-Sender Kontra-Channel einer ausf�hrlichen und strengen Befragung durch die Moderatorin Natasia Giameli und zwei ihrer Kollegen. In der folgenden Auswahl sind die Fragen und Antworten aus dem 36-min�tigen Programm editorisch gerafft. Die Sendung ist in voller L�nge auf der Website der RAS abzurufen.

Frage: Warum gab es Kritik an den Sicherheitsl�cken bei der OSE erst nach dem Ungl�ck? War davor keine M�ngelliste bekannt?

Antwort: Wir haben die Alarmglocken gel�utet, wenn wir was gefunden haben! Seit 2018.

Haben Sie sich wegen dieser Fehler an die Justiz gewandt?

So arbeiten wir nicht. Wir informieren nur alle verantwortlichen Stellen – ErgOSE, Hellenic Train und das Ministerium - und fordern Stellungnahmen an. Etwa wenn wir steigende Unfallzahlen feststellen.

Haben diese Stellen auf Ihren “Empfehlungen zum Sicherheitszustand” bei der OSE vom 13. Dezember 2021 reagiert?

Antworten gibt es immer, aber keine substanziellen Folgen. Wir kommunizierten regelm��ig mit dem Generalsektret�r des Verkehrsministeriums. Die Probleme waren ja bekannt, da mussten wir gar nicht Alarm schlagen. Alle wussten Bescheid: �ber den schlechten Zustand des Schienennetzes, �ber die Probleme mit der Wartung, �ber den Personalmangel bei der Instandhaltung der Infrastruktur. Und immer versuchten wir, Gefahren zu identifizieren und rechtzeitig zu informieren, um das Schlimmste zu verhindern. Das haben wir auch �ffentlich gemacht. Es war bekannt, dass das Personal ausged�nnt war - bis zu dem Punkt, an dem die Sicherheit gef�hrdet ist.

Was die Sicherheit betrifft, so gab es also weder die automatische �berwachung noch das n�tige Personal?

Tsiaparikou nickt und f�hrt fort: F�r die Sicherheit entscheidend ist aber die Pflege einer "Sicherheitskultur". Das Bewusstein – an der Spitze wie beim kleinsten Angestellten –, dass vom Verhalten jedes Einzelnen das Leben von Menschen abh�ngt!

Als Sie von Anstellungen von Leuten ohne angemessene Ausbildung geh�rt haben, warum haben Sie da nicht sofort Stopp gerufen?

Wir wussten nichts von diesen Leuten, die Ausbildung f�llt auch nicht in unsere Zust�ndigkeit.

Hatten Sie jemals einen Termin mit dem Minister?

Bei meinem Amtsantritt habe ich um einen Termin gebeten, aber dann gab es nur ein Schreiben von ihm. Getroffen habe ich ihn nie, immer nur den Staatssekret�r, zwei, drei Mal pro Jahr.

Wir haben den Eindruck, von ihrer Beh�rde wurden viele Papiere produziert, aber es gab keinerlei Nachfrage.

Nachfragen waren gar nicht n�tig, denn �ber den Zustand des Systems Bescheid! Und die OSE-F�hrung hat ja auch versucht, etwas zu �ndern.

Wir haben es also mit einem systemischen Versagen zu tun?

Nat�rlich.

Vier Tage vor dem Tempi-Ungl�ck

Am Ende �berreicht die RAS-Vorsitzende der Moderatorin ein Schreiben, das sie am 20. Januar 2023 an ErgOSE, Hellenic Rail und das Ministerium abgeschickt hatte. Unter dem Betreff: "Verbesserungen der Sicherheit" fragt Tsiaparikou nach, warum sie keine Reaktion auf den RAS-Bericht bekommen hat, der aus Anlass von zwei Entgleisungen (im Oktober 2022) konkrete Gefahren und Sicherheitsdefizite benannt hatte. Die Moderatorin verliest Ausschnitte aus dem Brief:

"Bis heute haben Sie uns nicht �ber die Aktivit�ten informiert, die sie ergriffen haben, um die Fehler zu analysieren und die Probleme zu l�sen, die bei den Weichen aufgetreten sind … Wir bitten um unverz�gliche Reaktion auf die obigen Forderungen der RAS bis sp�testens 26. Januar 2023 …”

Dann verliest Giameli ein weiteres Schreiben vom 24. Februar. Vier Tage vor dem Tempi-Ungl�ck mahnt die RAS-Vorsitzende erneut: "Was die unterlassene Korrektur der Weichenstellung durch den Fahrdienstleiter betrifft, so bitten wir um Information, ob weitere Faktoren ermittelt wurden, die beim Personal der OSE zu solchen Fehlern (wie im Oktober 2022, NK) f�hren – in Klammern: mangelnde Ausbildung, �berlastung oder andere Faktoren – und ob Ma�nahmen ergriffen wurden, um diese M�ngel zu beseitigen, oder ob solche Ma�nahmen geplant sind."

Am Ende folgt eine Frage, die nur zu verstehen ist, wenn man wei�, was die ND-Regierung �ber die RAS-Vorsitzende verbreitet hat: Frau Tsiaparikou sei eine rousfeti-Berufung aus der Zeit der Syriza-Regierung und verf�ge �ber keinerlei Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens.

Frage: Die vorgelegten Dokumente und Mahnschreiben zeigen, dass Sie viel getan haben. Warum werden Sie jetzt als Schuldige gezeichnet?

Antwort: Wir legten von Anfang an Wert darauf, dass unsere Beh�rde nicht f�r parteipolitische Ziele instrumentalisiert wird. Wir wollten stets unsere Glaubw�rdigkeit und Unabh�ngigkeit bewahren. Das wurde von dem Ministerium und der Regierung nicht honoriert. Das ist sch�dlich f�r den Ruf der RAS als Institution. Und es passt nicht zu einem Land, das sich im europ�ischen Rahmen bewegt.

Mitsotakis im Kampf gegen sich selbst

Kyriakos Mitsotakis beschw�rt immer wieder den Anspruch seines Landes, in diesem europ�ischen Rahmen eine angemessene, also bedeutendere Rolle zu spielen. Deshalb sei das letzte Wort zum Thema rousfeti dem griechischen Ministerpr�sidenten �berlassen. Nachdem er das Zugungl�ck zun�chst auf „menschliches Versagen“ reduzieren wollte, trat er die Flucht nach vorne an und erkl�rte seine – und alle anderen Regierungen davor – zu Mitverantwortlichen f�r die 57 Toten von Tempi. Und dann z�ndete er eine Pointe, die kein Satiriker besser erfinden k�nnte: Der Regierungschef gelobte, von nun an den „tiefen Staat“ zu bek�mpfen, der Griechenland auf dem Weg in die Modernit�t um Jahrzehnte zur�ckgeworfen habe. Dazu brauche er aber weitere vier Jahre im Amt, f�gte der ND-Wahlk�mpfer Mitsotakis hinzu. Diese Kampfansage an den „tiefen Staat“ kommentierte der treffliche Kostas Kallitsis mit dem Hinweis, das bedeute ja wohl, dass Mitsotakis sich selbst den Kampf ansagen m�sse. (Kathimerini vom 26. M�rz 2023)

Der Maestro des rousfeti, der Rousfetioso Mitsotakis will das System abschaffen, das ihn an die Macht gebracht hat und ihn weitere vier Jahre an der Macht halten soll. In Griechenland glaubt das kein Mensch. Und doch spricht fast alles daf�r, dass er die bevorstehenden Wahlen gewinnen wird. Warum das so ist, werde ich in meinem n�chsten Text zu erkl�ren versuchen.

Anmerkungen

1) Das Originalzitat: „Taking a train in Greece is an unforgettable experience and one of the best ways to get around the country.“ (nicht mehr aufzurufen)

2) Das Durchschnittsalter der Todesopfer lag bei 35 Jahren, siehe den Bericht von Ferry Batzoglou in der taz vom 15. M�rz 2023.

3) Von den Insassen der ersten beiden Wagen �berlebte nur ein junger Mann, der aus dem Fenster geschleudert wurde.

4) Die offizielle Zahl wurde mit 342 Reisenden und 10 Bahn-Angestellten angegeben, ist aber unscharf, weil in Larissa auch Passagiere ohne Fahrschein zugestiegen waren.

5) Dass die Zulassung zu dem Kurs nicht rechtens war, konstatiert auch der amtliche Untersuchungsbericht vom 21. April 2023; siehe EfSyn vom selben Tag.

6) Und zwar durch die griechische Eisenbahn-Aufsichtsbeh�rde (RAS), die den Kurs unter die Lupe genommen hat. Siehe die Erkl�rung der RAS vom 17. M�rz 2023 �ber „vor�bergehende Notma�nahmen aufgrund der unzureichenden Ausbildung von wichtigem Fachpersonal“.

7) Skai-Abendnachrichten vom 15. M�rz 2023. Die RAS verf�gte in ihrem Beschluss vom 17. M�rz 2023 (Anm. 6), dass alle Absolventen des fraglichen Kurses nicht auf Positionen mit erh�hter Verantwortung eingesetzt werden d�rfen.

8) Interview mit Ioannis Kollatos im TV-Sender open; siehe auch news 24/7 vom 6. April 2023.

9) Versetzungen sind das wichtigste rousfeti-Vehikel, seit die Schaffung neuer Stellen durch die Sparauflagen der „Memoranden“ erschwert wurde.

10) Die EfSyn vom 26. November 2019 publizierte eine komplette Liste der Besetzungen; siehe auch EfSyn vom 27. und 29. November 2019.

11) So schilderte es Pateras selbst am 26. November 2019 gegen�ber dem TV-Sender Skai, siehe EfSyn vom 27. November 2019.

12) Kathimerini vom 5. M�rz 2023, laut Makrodimopoulos bekam gut die H�lfte des OSE-Personals eine Versetzung bewilligt.

13) EfSyn vom 19. M�rz 2023, mit Informationen vom TV-Sender Mega vom selben Tag.

14) Weitere Details auf der Informations-Website: www.azubiyo.de/berufe/fahrdienstleiter/. Die Ausbildungsg�nge in Griechenland und Deutschland vergleicht auch der griechische Experte Isidoros Sapounas im Gespr�ch mit der Kathimerini vom 3. M�rz 2023.

15) Zitiert nach Skai-Radio vom 15. M�rz 2023. In derselben Sendung erz�hlte der pensionierte Fahrdienstleiter Christos Retsinas, er selbst habe die sechsw�chiger Ausbildung an seinem ersten Einsatzort von selbst verl�ngert, weil er sich seiner Aufgabe noch nicht gewachsen f�hlte: "Die Theorie ist leicht zu lernen, wie man ein Gedicht auswendig lernt, aber die Praxis ist etwas anderes."

16) Zitiert nach: Nikos Morfionos, „Warning, No Signal“, Mediterranean Institute for Investigative Reporting vom 6. Februar 2020.

17) Die Differenz ist die Strecke auf der Peloponnes, auf der nur im Sommer nostalgische Bummelz�ge f�r ein touristisches Publikum verkehren; siehe Global Railway Review vom 1. Dezember 2020.

18) Die Abk�rzung steht f�r Erga (Werke) der OSE. Ein weiteres Subunternehmen namens GaiaOSE ist f�r die Verwaltung und Nutzung der Immobilien (Bahnh�fe usw.) zust�ndig.

19) �ber den Hintergrund des Verfahrens siehe den Reuters-Bericht vom 14. Juli und die Neue Z�richer Zeitung vom 16. Juli 2016.

20) "Greece‘s deadly rail tracks", European Data Journalism Network, 30. Januar 2019

21) Siehe die Liste der Zugbeeinflussungssysteme mit nationaler Reichweite

22) So der erste offizielle Untersuchungsbericht �ber das Ungl�ck vom 28. Februar; siehe EfSyn vom 21. M�rz 2023. Die Regierung hatte zuvor von einer Reichweite bis 7,5 Kilometer gesprochen.

23) Das ETCS ist laut Global Railway Review vom 15. M�rz 2022 „the signalling and control component of the European Rail Traffic Management System (ERTMS), ensuring interoperability and cross-border operations, increased line capacity as well as greater safety and efficiency for passengers.“

24) Siehe EU-Railway Safety Report, Grafik A-34. Demnach verf�gte 2020 neben Griechenland nur die Slowakei �ber kein TPS, das auch in L�ndern wie Kroatien und Rum�nien zu 100 Prozent eingef�hrt ist (Report on Railway Safety and Interoperability in the EU, Mai 2022)

25) Zitate aus Karamanlis-Reden vom September 2021 und vom April 2022 (nach news 24/7 vom 9. April 2022) Der gro�sprecherische Kostas (eigentlich: Konstantinos Achilleas) Karamanlis ist ein Neffe des gro�en Alten Konstantinos Karamanlis, der die griechische politische Szene jahrzehntelang dominierte. Von dem nationalen Patriarchen hat der Neffe auch den nordgriechischen Wahlkreis Serres geerbt. Obwohl er der d�rrste Zweig am stattlichen Familienstammbaum ist, reicht der Name f�r eine mittlere politische Karriere im konservativen Lager aus.

26) Weitere Einspr�che der Gewerkschaften sind dokumentiert in: EfSyn vom 2. M�rz und Ta Nea vom 5. M�rz 2023.

27) Siehe Kaki Bali, "Eine Katastrophe mit Ansage", Deutsche Welle vom 2. M�rz 2023.

28) Die Ger�chte, dass OSE-Angestellte als Hinweisgeber fungierten, sind nicht zu verifizieren.

29) Die komplizierte Geschichte des Projekts, das sich zeitlich mit dem Vertrag 717 �berlappt, erz�hlt Morfonios in: „Warning, No Signal“ (Anm. 16)

30) In dem Podcast “Explainer” vom 3. M�rz 2023.

31) Der Baul�we hatte au�erdem ein Medienimperium (Mega TV und die Tageszeitung Ethnos) und war an Casinos beteiligt.

32) Eine ausf�hrlichere Liste bei news 24/7 vom 16. M�rz und EfSyn vom 21. M�rz 2023; die Reportage von Skai TV in den Mittagsnachrichten vom 15. M�rz 2023.

33) Siehe u.a. meine Analyse „Griechenland- auf Gedeih und Verderb“ in LMd vom Januar 2010.

34) Ein gutes Beispiel ist die mit hei�er Nadel gestrickte Aufbereitung des Tempi-Ungl�cks durch den ausgewiesenen linken Verkehrsexperten Winfried Wolf auf der Website Griechenlandsolidarit�t vom 4. M�rz 2023.

35) Die Umfragen wurden zwischen Mitte M�rz und Anfang April von den Instituten Metron Analysis, Alco, GPO und RASS durchgef�hrt. Bei der letzten Umfrage von Anfang April wurde die „gr��te Verantwortung f�r das Ungl�ck“ von 42,5 Prozent dem „gesamten politischen System“ zugeschrieben, von 27,6 Prozent „der Regierung“, und von 13,8 Prozent der staatlichen OSE.

36) So die Beschreibung des rousfeti-Systems in meinem ersten Text auf diesem Blog: „Privatisierungsschwindel in Griechenland“ vom 9. M�rz 2016.

37) Dabei existierte bis 1945 eine westgriechische Bahnlinie, berichtet Achilleas Chek�moglou (Kathimerini vom 5. M�rz 2023), der auch die Zerst�rung des Eisenbahnsystems durch die Nazi-Okkupanten beschreibt. Viele Details meiner Darstellung verdanke ich diesem wichtigen Text.

38) Chek�moglou beschreibt unter anderem, wie die griechische Milit�rjunta die OSE zun�chst „ges�ubert“ hat, um sie mit loyalen Anh�ngern aufzuf�llen (Anm. 37).

39) Siehe Eurydice Bersi, "French contractor, Italian-owned trains, EU policies: Greek crash was also a European failure", Investigate Europe vom 10. M�rz 2023. Der Text ist Teil einer Serie von Reports �ber das „entgleiste euro�ische Bahnsystem“.

40) Das geschah teils durch Fr�hpensionierung, teils durch Versetzung innerhalb des �ffentlichen Sektors; dazu detaillierter Chek�moglou in einem Podcast der Nachrichten-Website news 24/7 vom 3. M�rz 2023.

41) Die �berbesetzung der h�heren R�nge ist f�r den gesamten �ffentlichen Sektor typisch, ein besonders drastisches Beispiel war das griechische Milit�r mit einem extrem hohen Anteil an Offiziersstellen.

42) Zum notwendigen Personal geh�rte auch die ungelernten Arbeitskr�fte, die Gleis- und Signalanlagen zu bewachen hatten, um den „epidemischen“ Diebstahl von Kupferleitungen und Signal-Armaturen einzud�mmen. Dieser st�ndige Materialverlust wurde von der Verkehrsaufsichtsbeh�rde RAS in ihrem Jahresbericht 2018 auf die „finanziellen Probleme Griechenlands“ zur�ckgef�hrt.

43) Zum Kartell der Evaluierungsgegner geh�rten auch die Gewerkschaften, die selbst zum Teil des rousfeti-Systems geworden sind. (EfSyn vom 31. M�rz 2023)

44) So zeigt etwa die Grafik A-9, dass Griechenland „f�hrend“ ist, was die Zahl der Toten und Verletzten pro gefahrenem Kilometern betrifft; desgleichen bei der Zahl der Unf�lle an unbeschrankten Bahn�berg�ngen (Grafik A-28). Der ganze Report unter: www.era.europa.eu

45) Siehe dazu Eurydice Bersi, ",The only thing I can say is good luck': How trains abolished by Switzerland are now back in business in Greece", Investigate Europe vom 18. Februar 2022.


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