MasterThesis Christian Fischer Transzendentale Naturschutz-Ethik
MasterThesis Christian Fischer Transzendentale Naturschutz-Ethik
einer transzendentalen
Naturschutz-Ethik
Masterthesis
Sommersemester 2015
II
Ehrenwörtliche Erklärung III
Ehrenwörtliche Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich diese Masterarbeit selbständig verfasst und
keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Die aus fremden Quel-
len übernommenen Gedanken sind als solche gekennzeichnet. Die Arbeit wurde bisher
weder einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt noch veröffentlicht.
Danksagung
Herzlichen Dank möchte ich Herrn Prof. Dr. Kurt Jax aussprechen, der durch ein hoch-
interessantes Seminar über die „Theorie der Ökologie und des Naturschutzes“ im
Grunde den Funken gelegt hat, der später immer mehr zündete und letztlich zum Thema
dieser Thesis führte. Nicht nur seiner Offenheit ist es zu verdanken, dass diese Arbeit
so entstehen konnte, sondern sicher auch seiner ausgezeichneten Form der Betreuung,
die mir einerseits die Freiheit zugestanden hatte, die ich brauchte, andererseits doch
stets zur Stelle war, wenn Fragen oder Unklarheiten auftauchten.
Ein ebenso herzlicher Dank geht auch an Herrn Dr. Michael Kalff, der mir, insbesondere
was den Systemtheorie-Teil (II) anging, durch seine wertvolle Kritik neue Denkanstöße
gab.
Und auch meine Mutter kann ich nicht unerwähnt lassen, die mich immer und in jeder
Hinsicht unterstützt hat und die natürlich die notwendigste Bedingung all meiner Mög-
lichkeiten ist. Vielen lieben Dank dafür.
1 EOS = Ethik-Online-Seminaristen
2 NEOS = Nachhaltige-Entwicklung-Online-Seminaristen
VI
VII
Inhaltsverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung .......................................................................................... III
Danksagung................................................................................................................ V
Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................... IX
1 Prätext .................................................................................................................... 2
1.1 Anlass und Zielsetzung der Arbeit ...................................................................... 2
1.2 Abstrakt .............................................................................................................. 2
2 Einleitung ............................................................................................................... 3
2.1 Ein Überblick ...................................................................................................... 5
Abkürzungsverzeichnis
ST Systemtheorie nach Niklas Luhmann
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Grundtypen der Umweltethik mit den jeweiligen Entitäten, denen ein
Eigenwert zugeschrieben wird (oben) und den entspr. moralischen Kriterien
(unten) (Gorke 2010, S.23) .............................................................................. 10
Abbildung 2: Vereinfachte (zweidimensionale, im Grunde falsche) Veranschaulichung
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der
Einheit der Differenz von System und Umwelt ................................................. 37
Abbildung 3: Vereinfachte (zweidimensionale, weniger falsche) Veranschaulichung der
Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der Einheit
der Differenz von System und Umwelt ............................................................. 37
Abbildung 4: Vereinfachte (zweidimensionale, im Grunde falsche) Veranschaulichung
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der
Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz .................................. 38
Abbildung 5: Vereinfachte (zweidimensionale, weniger falsche) Veranschaulichung der
Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der Einheit
der Differenz von Immanenz und Transzendenz .............................................. 38
Abbildung 6: Vereinfachte Veranschaulichung des System als Emergenz der
Bedingung seiner Möglichkeit, also der eigentlichen Umwelt des Systems
(Selbes gilt u.a. für Immanenz und die eigentliche Transzendenz und für alle
weiteren Grafiken dieser Form) ........................................................................ 39
Abbildung 7: Vereinfachte (zweidimensionale, im Grunde falsche) Veranschaulichung
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der
Einheit der Differenz von Extrinsik und Intrinsik ............................................... 49
Abbildung 8: Vereinfachte (zweidimensionale, weniger falsche) Veranschaulichung der
Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der Einheit
der Differenz von Extrinsik und Intrinsik ........................................................... 49
Abbildung 9: Die Extrinsik als Einheit durch die bloße Negation der Intrinsik ............... 50
Abbildung 10: Vereinfachte (zweidimensionale, im Grunde falsche) Veranschaulichung
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der
Einheit der Differenz von Akzidenz und Substanz (Inhärenz) ........................... 54
Abbildung 11: Vereinfachte (zweidimensionale, weniger falsche) Veranschaulichung
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und der Immanenz der
Einheit der Differenz von Akzidenz und Substanz (Inhärenz) ........................... 54
Abbildung 12: Instrumentalität als konvexe Form der Inhärenz ................................... 55
Abbildung 13: Vereinfachte (zweidimensionale, im Grunde falsche) Veranschaulichung
der Beziehungen innerhalb eines transzendentalen Emergenz- und
Werteschemas ................................................................................................. 64
Abbildung 14: Vereinfachte (zweidimensionale, weniger falsche) Veranschaulichung
der Beziehungen innerhalb eines transzendentalen Emergenz- und
Werteschemas ................................................................................................. 65
Abbildung 15: Das Konzept des ökonomischen Gesamtwertes (Schröter-Schlaack &
Hansjürgens 2014)........................................................................................... 79
Abbildung 16: Illustration des Werteschemas nach Birnbacher (1996) ........................ 94
Abbildung 17: „Übersicht über die Gesamtkonzeption mit ihren zwei Ebenen, vier
Prinzipien erster Ordnung, vier Prinzipen zweiter Ordnung und den fünfzehn
Abwägungskriterien“ (Gorke 2010, S.171) ..................................................... 121
Tabellenverzeichnis XIV
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Veranschaulichung der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform und
der Immanenz der Einheit der Differenz anhand der Differenzen von
System/Umwelt und Immanenz/Transzendenz: ............................................... 36
Tabelle 2: Gegenüberstellung von Merkmalen teleologischer und deontischer
Theorien .......................................................................................................... 73
I Allgemeiner Teil, Einleitung und Hinführung zum Thema 1
1 Prätext
Ziel ist es, aufbauend auf der Systemtheorie Niklas Luhmanns und der Weiterentwick-
lung dieser nach Peter Fuchs, eine präzise Herleitung der Beziehungen zwischen
Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität aufzuzeigen und diese auf die Be-
obachtung bzw. die Zuschreibung von Werten anzuwenden, dies im Hinblick auf andere
Ansätze zu diskutieren, eigene Grundprinzipien abzuleiten und ggf. Grundprinzipien an-
derer Ansätze zu integrieren.
1.2 Abstrakt
Aufbauend auf der Transzendenz3 der Unterscheidung von Intrinsik und Extrinsik wird
die Intrinsik als die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit
jeder Form von Extrinsik, Inhärenz als eine Form der Extrinsik und zugleich als die be-
obachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Instrumentalität
entwickelt. Auf Grundlage dieser Beziehungen, die man als Emergenzfolge oder Ausdif-
ferenzierung von Sinnformen verstehen kann, wird darauf der Spezialfall der Wertebe-
obachtung angewandt.
Grundaxiom ist dabei, dass für jede Beobachtung bzw. Zuschreibung eines Wertes stets
gelte, dass (min.) allen notwendigen Bedingungen dieser Möglichkeit konsequenter-
weise auch ein Wert zugeschrieben werden muss.
Somit wird letztlich deutlich, dass jede Form eines instrumentellen Wertetyps einen in-
härenten und dieser wiederrum einen intrinsischen voraussetzt. Letztlich rein instrumen-
telle (utilitaristische) Wertebeobachtungen, die intrinsische bzw. inhärente Werte nur als
Folge instrumenteller Zweckerfüllung konstruieren, wären damit (in ihrer Einseitigkeit)
widerlegt, während (nicht nur aber auch) im Hinblick auf den Holismus und seine zu
Recht kritisierte, pauschale Zuschreibung von Werten in Bezug auf schlichtweg „Alles“,
eine zwar sehr viel komplexere, dem Anspruch nach aber auch bescheidenere und vor
allem theoretisch fundierte, alternative Argumentationsgrundlage geschaffen wird. Die
Grundprinzipien der holistischen Naturschutz-Ethik nach Martin Gorke lassen sich dabei
im Wesentlichen transzendieren und integrieren.
2 Einleitung
Naturschutz bezieht sich auf Werte. Wir schützen Natur, weil sie uns etwas wert ist, weil
wir ihr einen Wert zuschreiben. Die Art und Weise, wie wir diese Werte 4 konstruieren
bzw. welche Wertetypen wird dazu verwenden und wie wir diese Wertetypen zueinander
in Beziehung setzen macht dabei, so die These, einen entscheidenden Unterschied und
zieht auch unterschiedliche Konsequenzen im Umgang mit Natur, also auch im prakti-
schen Naturschutz nach sich.
Eine davon eindeutig abweichende Position vertritt Martin Gorke, der sicher ebenso wie
Birnbacher, zu den wichtigsten Naturschutzethikern im deutschsprachigen Raum zählen
kann. Gorke vertritt ein sich von Birnbachers utilitaristischer Sichtweise klar abgrenzen-
des Verständnis von inhärenten bzw. intrinsischen Werten. Er konzentriert sich in sei-
nem Buch „Eigenwert der Natur, Ethische Begründung und Konsequenzen“ (Gorke
2010), wie der Titel bereits nahe legt, aber weniger auf die (u.U. konstitutive bzw. kon-
tingent-konstruktive) Herleitung und das Verständnis des sog. Eigenwertes, sondern e-
her auf ethische Begründungen für den quasi vorausgesetzten Eigenwert und auf die
Konsequenzen, die sich aus dessen Anerkennung für den Naturschutz ergeben.
Die unklare Herleitung dieses Eigenwertes (bei Gorke) bzw. speziell des intrinsischen
Wertes, macht beide aber schwer anschlussfähig bzw. leicht angreifbar und lässt sie für
Kritiker ebenso leicht als bloße sentimentale Projektion (Vgl. Birnbacher 1996, S. 50 und
60), erscheinen. Birnbachers Essay „Landschaftsschutz und Artenschutz, Wie weit tra-
gen utilitaristische Begründungen?“ (Birnbacher 1996) wird hierfür immer wieder als Bei-
spiel dienen.
Diese Konstruktion des intrinsischen Wertetyps greift zurück auf die Systemtheorie (ST)
nach Niklas Luhmann und die darauf aufbauende Allgemeine Theorie der Sinnsysteme
(ATS) nach Peter Fuchs. Die ST bzw. die ATS eigenen sich hervorragend dafür, über
Dinge bzw. Phänomene zu sprechen, die genau genommen keine sind und die Intrinsik
ist, nach dem hier entwickelten Verständnis davon, solch ein Ding oder Phänomen, das
weder Ding noch Phänomen ist. Dies mag ein weiterer Grund sein, warum der intrinsi-
sche Wert (bzw. ein Eigenwert, der sich auch auf diesen Wertetyp beziehen mag, ihn
evtl. mitführt bzw. integriert), es mitunter so schwer hat, anschlussfähig zu sein und so
leicht missverstanden, marginalisiert oder gar negiert wird.
Erst nachdem zumindest eine, in ihrer Ausgestaltung sicher kontingente aber wie ich
hoffe doch in sich schlüssige und nachvollziehbare Konstruktion des intrinsischen Wer-
tetyps aufgezeigt wurde, macht es m.E. Sinn in die Diskussion mit Kritikern (hier: Dieter
Birnbacher) eines in sich relevanten, intrinsischen Wertes einzusteigen bzw. die Konse-
quenzen dieses intrinsischen Wertes im Kontext des Naturschutzes aufzuzeigen.
2 Einleitung 5
In Kapitel 3.3 wird ein erster Ausblick gegeben, auf das im Rahmen dieser Arbeit entwi-
ckelte, systemtheoretisch inspirierte, transzendentale (Emergenz- und) Werteschema,
das im darauf folgenden Teil II in aller, für die Nachvollziehbarkeit sicher notwendigen
Ausführlichkeit entwickelt wird. Erst vor dem Hintergrund dieses (Emergenz- und) Wer-
teschemas macht es m.E. Sinn, in die in Teil III folgende Diskussion zu Birnbachers
utilitaristischen Werteschema und seiner Interpretation der Konvergenzhypothesen ein-
zusteigen. Besonders anhand der Diskussion (Vgl. Kapitel 9, insbesondere Kapitel 9.3)
werden sicher auch viele, der in Teil II noch eher abstrakt und theoretisch wirkenden
Überlegungen greifbarer.
Für jemanden, der nicht bereits mit der Systemtheorie von Luhmann und Fuchs vertraut
ist, wird Teil II also sicher eine Herausforderung sein, dessen bin ich mir durchaus be-
wusst. Allerdings ist das Ausgangsproblem, nämlich die Integration des intrinsischen
Wertes, mit den Beobachtungen der ST und ATS ausgesprochen gut handhabbar, ge-
rade durch die mitunter hochkomplexe Sprache, derer sich ST und ATS bedienen.
2 Einleitung 6
Teil IV stellt beide Werteschemata direkt gegenüber und kann als Zusammenfassung
der Teile II und III verstanden werden. Hier werden die wichtigsten Punkte nochmals in
aller Klarheit auf den Punkt gebracht und auch die ersten Implikationen und Konkretisie-
rungen zum transzendentalen Emergenz- und Werteschema verdeutlicht, u.a. in Bezug
auf den an dieser Stelle bereits als transzendental konstruierten Eigenwert und die Un-
terscheidung von Natur und Kultur.
Martin Gorke entwickelte, in seinem bereits angesprochenen Buch (Gorke 2010), auf
Grundlage des Holismus, Grundprinzipien und Konsequenzen für den Umgang mit dem
von ihm (zumindest in Gorke 2010) eher ethisch-moralisch geforderten, als funktional
bzw. transzendental im Sinne einer Notwendigkeit hergeleiteten7 Eigenwert. In Teil V
wird u.a. auf diese Grundprinzipien und Konsequenzen eingegangen, wobei zunächst in
Kapitel 13.1 der Hauptunterschied des transzendentalen Emergenz- und Werteschemas
zur holistischen Wertebeobachtung verdeutlicht wird. Kapitel 14 beschäftigt sich dann
vorrangig mit den Grundprinzipien Martin Gorkes holistischer Ethik und reflektiert diese
im Hinblick auf die transzendentale Herangehensweise. Dabei wird deutlich, dass sich
Gorkes Holismus weitgehend in das transzendentale Emergenz- und Werteschema in-
tegrieren lässt.
In diese Arbeit geht es also vornehmlich um die Herleitung bzw. Entwicklung eines trans-
zendentalen Emergenz- und Wertschemas bzw. einer entsprechenden, transzendenta-
len Naturschutz-Ethik und die Gegenüberstellung mit anderen Herangehensweisen, zu-
nächst eben mit der utilitaristischen Naturschutz-Ethik Dieter Bernbachers und seinem
entsprechend utilitaristischen Werteschema und eben auch mit Martin Gorkes holisti-
scher Naturschutz-Ethik, vor allem im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit seiner holis-
tischen Grundprinzipien.
Nun ist es sicher so, dass eine wie auch immer geartete Naturschutz-Ethik sich, vielleicht
sogar mehr noch als, an ihren Grundprinzipien, daran messen lassen muss, wie sie mit
Zielkonflikten und Pflichtkollisionen umgeht. Wahr ist aber sicher auch, dass eine Natur-
schutz-Ethik ohne eine präzise Theorie praktisch nicht funktional sein kann.
6 Vgl. Fußnote 5.
7 Genau diese Herleitung leistet Teil II. In Teil IV (speziell in Kapitel 12.2) wird sie in Bezug auf
den transzendentalen Eigenwert nochmals explizit auf den Punkt gebracht.
2 Einleitung 7
Diese Arbeit stellt den vornehmlich theoretischen Teil dar, der m.E. um einen praktischen
Anwendungsteil, der sich näher mit den so wichtigen Zielkonflikten und Pflichtkollisionen
beschäftigen würde, erweitert werden sollte. Beides war jedoch im Rahmen der Mas-
terthesis und der damit begrenzten Bearbeitungszeit nicht möglich. So bleibt es in dieser
Thesis also bei der Entwicklung der systemtheoretisch inspirierten, transzendentalen
Theoriegrundlage, der Diskussion anhand der utilitaristischen Naturschutz-Ethik nach
Birnbacher, der Ableitung eigener Grundprinzipien und eben der Reflektion und Integra-
tion der Grundprinzipien Martin Gorkes holistischer Naturschutz-Ethik.
3 Die Grundtypen der Umweltethik, die drei Wertetypen und ein erster Ausblick 8
Die Wertetypen werden in Kapitel 3.2 zunächst nur für sich dargestellt und unterschie-
den, ohne sie, im Sinne eines Werteschemas, in eine Beziehung zueinander zu setzten,
dies erfolgt in den späteren Teilen der Arbeit, im Sinne eines transzendentalen
Emergenz- und Werteschemas in Teil II, wobei auf dieses bereits hier, unter Kapitel 3.3,
ein Ausblick gegeben wird, und darauffolgend in Teil III nach Dieter Birnbachers utilita-
ristischen Verständnis, das in Teil IV auch graphisch veranschaulicht und dem transzen-
dentalen Emergenz- und Werteschema nochmals direkt gegenüber gestellt wird.
Anthropozentrik
Nur der Mensch hat einen Selbstzweck, insofern ergeben sich moralische Verpflichtun-
gen nur gegenüber dem Menschen. Das schließt allerdings nicht aus, dass man aus
einer anthropozentrischen Sicht heraus auch andere Entitäten (z.B. Tiere) schützt, ent-
scheidend ist allerdings die Begründung dafür. Handelt man beispielsweise aus Gewis-
sengründen so wäre auch dies (u.U.) auch anthropozentrisch motiviert.
Pathozentrik
Schützt man dagegen auch andere Entitäten, als den Menschen, aufgrund deren Lei-
densfähigkeit, erkennt man auch deren Selbstzweck bzw. Eigenwert an und beobachtet
diese dann als moralische Objekte8, denen gegenüber man als moralisches Subjekt be-
stimmt Pflichten hat.
Biozentrik
Hier wird der Kreis noch weiter ausgedehnt und zwar auf alle Lebewesen (einschließlich
Pflanzen).
Holismus9
Nichts Natürliches (auch Steine usw.) existiert nur als Mittel zum Zweck. „Alles existiert
auch um seiner selbst willen und ist damit zumindest potenziell ‚moralisches Ob-
jekt‘“(Gorke 2004, S.10).
Unterschieden wird der pluralistische Holismus (Vgl. Norton 1987, S.177 in Gorke
2010, S.23), der sowohl Individuen, als auch Gesamtsysteme einbezieht und der mo-
nistische Holismus, nach dem nur das Gesamtsystem einen Eigenwert hat. Bei letzte-
rem wird also ein Ganzes als absolut gesetzt, was zwangsläufig alle Teile auf funktionale
bzw. instrumentelle Werte reduziert. Diese monistische Form des Holismus gilt nach
Gorke den meisten als Ökozentrismus. (Vgl. Gorke 2010, S. 23)
Kritik an dieser monistische Form des Holismus ist m.E. durchaus berechtigt, das eigent-
lich interessante am Holismus ist allerdings seine pluralistische Form des sowohl als
auch in Bezug auf Ganze und Teile.10
Abbildung 1: Grundtypen der Umweltethik mit den jeweiligen Entitäten, denen ein Ei-
genwert zugeschrieben wird (oben) und den entspr. moralischen Kriterien (unten)
(Gorke 2010, S.23)
3 Die Grundtypen der Umweltethik, die drei Wertetypen und ein erster Ausblick 11
Konkrete Beispiele könnten vielleicht auch Gleichheit, Freiheit, Liebe, Vielfalt oder Resi-
lienz sein, wobei jeder dieser Werte auch intrinsisch oder instrumentell umgedeutet wer-
den könnte. Es ist also eher nicht so, dass es bestimmte feste inhärente Werte oder
Selbstzwecke gäbe, sondern eher so, dass sich allgemein die verschiedenen Werte
durch die Art und Weise ihrer Konstitution bzw. Konstruktion bzw. Zuschreibung diffe-
renzieren.
Hösle spricht beispielsweise von Zuständen, „die an sich gut sind, d.h. die einen positi-
ven intrinsischen Wert haben“ und unterscheidet diese von „solchen, die nur als Mittel
für etwas, das in sich werthaft ist, einen extrinsischen [instrumentellen] Wert haben
(‚nützlich‘ sind)“ (Hösle 1997, S.177, [Einschub] hinzugefügt). Auch Birnbacher spricht
von intrinsisch wertvollen Zuständen, die er allerdings lediglich als Zweckerfüllungen in-
strumentell wertvoller Mittel versteht (Vgl. Birnbacher 1996, S.60; Vgl. Kapitel 9.3.2 und
Kapitel 11) Hösle dagegen: „Da jede moralische Handlung einen hohen subjektiv-mora-
lischen intrinsischen Wert hat, ist auch das Benutzen von Mitteln, die selbst ohne intrin-
sischen Wert sind, intrinsisch werthaft, wenn es von der moralisch gebotenen Ausrich-
tung auf Zustände mit intrinsischem Wert bestimmt ist“ (Hösle 1997, S.178).
Hösle konstruiert neben Zuständen also auch Handlungen als intrinsisch wertvoll, wobei
die Motivation der Handlung hier scheinbar entscheidend ist. Der Begriff der intrinsischen
Motivation kommt hier in den Sinn. Man erhält im letzten Zitat von Hösle einen Hinweis
darauf, wie sehr ein einseitiges Denken im Schema „entweder/oder“ hier fehl am Platze
zu sein scheint. Man kann also nicht einfach sagen, dieses oder jenes sei intrinsisch,
inhärent oder instrumentell wertvoll, stattdessen spielt eben, neben der Beschaffenheit
dessen, wessen der Wert zugeschrieben wird, die Art und Weise der Wertekonstruktion
eine Rolle.
Häufig werden im Zusammenhang mit intrinsischen Werten auch die Begriffe Selbst-
zweck bzw. Eigenwert verwendet, wobei nicht immer klar wird, inwieweit sie nun eindeu-
tig dem intrinsischen oder dem inhärentem Wert zugeordnet werden. „Ohne Gesundheit“
schreibt beispielsweise Hösle (1997, S.178), „lassen sich komplexere Aufgaben nicht
erfüllen, aber sie hat als Ausdruck der Stärke des Lebendigen auch einen Eigenwert
(…)“(Hösle 1997, S.178). Der Zustand Gesundheit hat hier also einen Eigenwerts, wel-
cher Art dieser Eigenwert ist, bleibt unklar. Gorke spricht dagegen nicht von Zuständen,
3 Die Grundtypen der Umweltethik, die drei Wertetypen und ein erster Ausblick 13
Und hier würde ich nun die Unterscheidung zwischen intrinsischen und extrinsischen
Werten festmachen. Die Beobachtbarkeit16 wäre für mich ein Kriterium, das auf einen
inhärenten oder instrumentellen (also extrinsischen) Wert hindeutet, während die feh-
lende Beobachtbarkeit für mich ein ausschlaggebendes Kriterium für den intrinsischen
Wert wäre. So gesehen wäre damit der intrinsische Wert der Wert der an sich unbeo-
bachtbaren (und wie sich später herausstellen wird, zudem notwendigen) Bedingung der
Möglichkeit der Beobachtung jeder Form eines extrinsischen17 Wertes. 18
Das Wort „sinn-los“ kann man im Sinne von „nicht-sinnförmig“ verstehen, wobei die Form
stets die einer Differenz ist und die Operation der Beobachtung stets (auch) das Diffe-
renzieren vollzieht. Im Rückgriff auf Luhmann definiert Fuchs die Beobachtung beispiels-
weise als „die Einheit einer Operation, die eine Unterscheidung verwendet, um die eine
oder die andere Seite dieser Unterscheidung zu bezeichnen“ (Luhmann, 198819 in Fuchs
2010, S.41)
16 Und gemeint ist hier die Beobachtung im Sinne der Systemtheorie. (Vgl. Kapitel 4)
17 Und das würde sowohl inhärente als auch instrumentelle Werte einschließen.
18 Ausführliche Herleitung dazu in Teil II dieser Arbeit, erste Skizzierung im folgenden Kapitel.
19 Fuchs (2010) zitiert hier die erste Auflage Luhmanns „Ökologischer Kommunikation“ aus dem
Jahre 1986, mir lag jedoch nur die 2. Auflage vor aus dem Jahre 1988. Die Seitenzahl hat sich
jedoch nicht geändert, ebenso wenig, wie die Formulierung der zitierten Stelle.
3 Die Grundtypen der Umweltethik, die drei Wertetypen und ein erster Ausblick 14
Wenn nun also davon gesprochen wird, dass die Beobachtbarkeit das Kriterium für in-
härente bzw. instrumentelle Werte sei, dann deshalb, weil die Phänomenalisierung der
Beobachtung das beobachtete Phänomen (unausweichlich) konstruiert20 und an diesem
bleiben sozusagen die extrinsischen Werte (inhärent, instrumentell) „haften“, wenn sie
denn auf das Phänomen, von außen, projiziert bzw. dazu beobachtet werden. Die Be-
dingung der Möglichkeit dieser Beobachtung und Wertezuschreibung wäre hier unbeo-
bachtbar21. Das (extrinsisch) wertvolle Phänomen ist eben keines, bevor es nicht als
(extrinsisch) wertvolles Phänomen beobachtet wurde und die (notwendige) Bedingung
dieser Möglichkeit ist die an sich unbeobachtbare Intrinsik, die ich meine.
Obwohl beispielsweise Hösle von intrinsischen Werten an sich (Vgl. Hösle 1997, S.177)
spricht, halte ich es für sinnvoller und konsequenter, bei intrinsischen Werten von Werten
in sich zu sprechen, da eben die (äußere) Gegenständlichkeit bzw. Phänomenalisierung
fehlt bzw. nur im Nachhinein als Abstraktion beobachtbar wird. Genau das weißt aller-
dings auch auf die Problematik hin, denn die Unbeobachtbarkeit eines Dings bzw. Phä-
nomens, das wegen seiner Unbeobachtbarkeit an sich weder Ding noch Phänomen ist,
scheint den zugeschriebenen (intrinsischen) Wert in sich, in Frage zu stellen. Oder in
den Worten von Peter Fuchs:
Selbes gilt auch für die Differenz von System und Umwelt23, ihre Einheit ist System (Vgl.
Fuchs 2004, S.16; Luhmann 1998, S.63 ff, oder auch Fuchs 2004, S.39 ff), sie ist also
(auch) eine (spezielle24) einseitige Zweiseitenform. Die Umwelt des Systems ist per De-
finition nicht System, also auch nicht systemintern beobachtbar, denn jede Beobachtung
ist System.
„Das Problem ist, daß die Einheit, der die Funktion der Beobachtung un-
terstellt und der Name System gegeben wird, als Einheit einer Differenz
zu begreifen ist. Wer Systeme beobachtet (bezeichnet), tut dies im Rah-
men einer Unterscheidung: System/Umwelt. Das System ist diese Diffe-
renz“
Wird also die an sich unbeobachtbare Umwelt des Systems beobachtet bzw. über sie
kommuniziert, wie jetzt gerade, ist diese Beobachtung doch nur die Phänomenalisierung
eines Phänomens, das eigentlich keines ist und keines sein kann, es ist (auch, und noch
viel mehr) die unbeobachtbare Bedingung der Möglichkeit des Systems.
Die Schwierigkeit, das nachzuvollziehen und letztlich auf die Unterscheidung von
Extrinsik und Intrinsik bzw. die entspr. Wertezuschreibungen zu übertragen25, besteht
wohl darin, das System bzw. allgemein diese einseitige Zweiseitenform, letztliche eben
die von Intrinsik und Extrinsik, zu transzendieren, alternativloserweise mit Mitteln der
Immanenz bzw. eben des Systems26, und das kommt eben dem Anspruch gleich, etwas
beobachten zu wollen27, das an sich unbeobachtbar ist. Schafft man das, ohne aufgrund
der eigentlichen Unbeobachtbarkeit dieser unbeobachtbaren Seite (der Umwelt des Sys-
tems, der Transzendenz und eben auch der Intrinsik) diese Seite zu negieren, dann,
denke ich, hat man die Sache28 transzendiert.
Obwohl also die Umwelt des Systems so definiert ist, dass sie eben an sich unbeobacht-
bar ist, disqualifiziert dieser Umstand keineswegs die Umwelt des Systems. Es gilt: Kein
System ohne Umwelt des Systems. Die Umwelt des Systems ist nicht nur aber auch
Potentialität des Systems, im Sinne der an sich unbeobachtbaren (und notwendigen)
Bedingung der Möglichkeit des Systems und m.E. eben in sich intrinsisch wertvoll, zu-
mindest dann, wenn man dem System (in welcher Form auch immer) einen Wert zu-
schreibt. Ein inhärenter Wert kann der Umwelt an sich jedoch nicht zugeschrieben wer-
den, weil es systemintern keine Umwelt gibt, der man diesen Wert zuschreiben könnte.
Stattdessen wird der inhärente Wert notwendigerweise nicht der unbeobachtbaren, ei-
gentlichen Umwelt, sondern der systemintern rekonstruierten Beobachtung dieser Um-
welt, an sich, also inhärent zugeschrieben, die Bedingung dieser Möglichkeit ist jedoch
intrinsisch. Ich gehe dabei davon aus, dass ein Wert stets auch den Wert dessen impli-
ziert, was Bedingung seiner Möglichkeit ist.
Vielleicht kann eine Analogie zum Sehen hier besser und weniger abstrakt verdeutlichen,
was gemeint ist: Beispielsweise wird der blinde Fleck mit dem Bereich auf der Netzhaut
assoziiert, an dem der Sehnerv sich bündelt, also keine Lichtreize verarbeitet werden
können. Obwohl wir also einen blinden Fleck in der Optik haben, ist genau dieser blinde
Fleck notwendige Bedingung dafür, dass wir überhaupt etwas sehen. Der blinde Fleck
steht also als Sinnbild für etwas, das an sich unsichtbar ist, wann immer wir sehen und
ist dennoch notwendige Bedingung für das Sehen selbst. Der blinde Fleck ist somit auch
eine Allegorie für die unbeobachtbare andere Seite der Beobachtung, also auch für die
Umwelt des Systems. Man könnte folglich sagen: Der blinde Fleck ist intrinsisch wertvoll,
vorausgesetzt natürlich, man beobachtet das Sehen als (extrinsisch) wertvoll. Der blinde
Fleck ist jedenfalls eine an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Mög-
lichkeit des Sehens selbst. Sich dessen bewusst zu werden, setzt allerdings voraus,
dass man das Sehen, hinsichtlich der an sich unsichtbaren aber eben notwendigen Be-
dingung dieser Möglichkeit transzendiert.
Selbes gilt analog auch für die Differenz von System und Umwelt, die von Immanenz
und Transzendenz und m.E. eben auch für die von Extrinsik und Intrinsik, wobei m.E.
die (eigentliche29) Umwelt des Systems an sich unbeobachtbare aber eben notwendige
Bedingung der Möglichkeit des Systems ist, die (eigentliche) Transzendenz an sich un-
beobachtbare aber eben notwendige Bedingung der Möglichkeit der Immanenz und
ebenso die (eigentliche) Intrinsik die an sich unbeobachtbare aber eben notwendige Be-
dingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik (einschließlich Inhärenz und Instru-
mentalität) ist.
Träfe dies zu, und könnte man sich zudem darauf einigen, dass jede Wertezuschreibung
sich stets auch (min.) auf die notwendigen Bedingungen dieser Möglichkeit beziehen
müsste, dass also (min.) auch stets das wertvoll ist, was das ursprünglich als wertvoll
beobachtet „Etwas“30 notwendigerweise bedingt, dann würde es zu jedem extrinsischen
Wert notwendigerweise auch stets einen intrinsischen Wert geben.
Zu zeigen, dass genau dies zutrifft, damit beschäftigt sich der nun folgende Teil II, aus-
gehend von dem angesprochenen Grundaxiom:
29 Warum es sich bei der eigentlichen Umwelt bzw. der eigentlichen Transzendenz handelt, wird
später noch ausführlich entwickelt und präzisiert.
30 Sei es ein Ding, eine Sache, ein Phänomen oder vielleicht auch eine (transzendentale) Be-
obachtung.
II Konstruktion eines transzendentalen Emergenz- und Werteschemas 17
Die Schwierigkeit dabei und allgemein auch was den Einstieg in die ST bzw. ATS angeht,
ist der Umstand, dass beide sehr komplex sind und wann immer man einen Begriff iso-
liert beobachten und erklären möchte, sofort einige andere Begriffe und Theoriefiguren
auftauchen, die unmittelbar an das Verständnis des einen Begriffs geknüpft sind. Trotz-
dem wird es wohl sinnvoll sein, einige diese Begriffe anschlussfähiger zu machen, bevor
zur eigentlichen Entwicklung des entsprechenden Werteschemas in den Kapitel 5 und 6
übergegangen wird. Im Laufe der Lektüre dieser Kapitel kann auch immer wieder auf die
in Kapitel 4 eingeführten Begriffe zurückgegriffen werden, was das Verständnis hoffent-
lich erleichtert. Ziel in diesem zweiten Hauptteil wird es also sein, (nicht nur aber auch)
die Intrinsik aufbauend auf der ST nach Luhmann bzw. der ATS nach Fuchs, als die an
sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von
Extrinsik zu entwickeln und darauf aufbauend die Beobachtung bzw. Zuschreibung der
entsprechenden Wertetypen anschlussfähig zu machen und ihre Beziehung zueinander
in einem entsprechenden Werteschema aufzuzeigen. Die Systemtheorie eignet sich
m.E. hervorragend dazu, weil sie, gerade durch ihre hochabstrakte Sprache und Kom-
plexität, besser als andere Theorien dazu in der Lage ist, auch Dinge und Phänomene,
die eigentlich weder Dinge noch Phänomene sind, zu beobachten und die Intrinsik (auf
die sich die Zuschreibung des intrinsischen Wertes ja bezieht) ist m.E. so ein Ding bzw.
Phänomen, das weder Ding noch Phänomen ist. Es geht dabei allerdings keineswegs
darum, irgendeine absolute Wahrheit zu verkünden, sondern darum, eine kontingente
Sichtweise zu entwickeln und darzustellen31, um sie letztlich in der Gegenüberstellung
und im Vergleich mit anderen Sichtweisen zu diskutieren und ggf. ihre Vorteile heraus-
zustellen.32
31 (…) wobei ich der Ansicht bin, dass diese kontingente Konstruktion nur innerhalb eines, im
Sinne der notwendigen Bedingung der Möglichkeit, konstitutiven Rahmen stattfinden kann.
32 Vor allem wird die Diskussion Dieter Birnbachers utilitaristischen Werteschemas und seiner
Interpretation der Konvergenzhypothesen (in Teil III und in der Gegenüberstellung auch in Teil
IV) vor dem Hintergrund dieses systemtheoretisch inspirierten, transzendentalen Emergenz-
und Werteschemas stattfinden. Aber auch im weiteren Verlauf der Arbeit wird stets darauf
zurückgegriffen.
4 Systemtheoretische Begriffe 18
4 Systemtheoretische Begriffe
Die hier erklärten Begriffe orientieren sich in etwa am Verlauf der Kapiteln 5 und 6. Dort
werden viele Begriffe nach und nach eingeführt, die zum Verständnis dieser Entwicklung
von Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität notwendig sind. Alle hier erwähnten
Begriffe und Bestimmungen finden sich im Wesentlichen in Fuchs (2004).
Dieser Teil kann als Glossar dienen, auf den zurückgegriffen werden kann, um mögliche
Unklarheiten in den Folgekapiteln aufzulösen.
Beobachtung
Gemeint ist hier nicht das, was man gewöhnlich unter diesem Begriff versteht. Beobach-
tung im systemtheoretischen Sinne hat nichts mit „Sehen“ zu tun. Wenn die Rede davon
ist, dass beobachtet wird, dann ist damit nicht gemeint, dass es einen Beobachter gibt,
der irgendetwas „sieht“. Die Systemtheorie kommt ohne einen Beobachter aus, der die
Beobachtung sozusagen ausführt. (Vgl. Fuchs 2004, S. 16)
Nach Luhmann gilt: System = System / Umwelt. Das System ist also als die Differenz
aus System und Umwelt definiert und folglich Einheit (linke Seite der Gleichung), Diffe-
renz (rechte Seite) und zugleich Teil dieser Differenz. (Vgl. Fuchs 2004, S.16; Vgl. Luh-
mann 1998, S.63 ff, Vgl. Fuchs 2004, S.39 ff).
Die Negation einer Seite der Differenz wäre gleichbedeutend mit der Negation der Diffe-
renz selbst und damit des Systems. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird dabei vor allem
ein Punkt entscheidend sein: Keine Umwelt des Systems, kein System!
Das System darf man sich vor allem nicht als „Etwas“ vorstellen, wie man sich beispiels-
weise einen Baum oder einen Wald oder ein Ökosystem vorstellt. Das System blitzt
sozusagen auf, wenn Beobachtung operiert und Beobachtung operiert immer nur mo-
mentan aktuell. Keine aktuelle, momentane Operation, keine (sinnförmige) Beobach-
tung, kein System. (Vgl. Fuchs 2004, S.16 ff. oder auch S.63 ff.)
Luhmann sprach ursprünglich nur vom System. Dieses System ist die Operation der
Beobachtung, sozusagen in ihrer aktuellen Operationalität. Diese Aktualität, in der die
Operation der Beobachtung, sozusagen als System in Aktion, stets operiert, deutet be-
reits die Unterscheidung an, die im Kontext der Systemtheorie als Sinn verstanden wird
und das System (besonders bei Peter Fuchs) zum Sinnsystem macht.
4 Systemtheoretische Begriffe 19
Sinn im systemtheoretischen Sinne meint nicht den Sinn, den etwas macht, beispiels-
weise im Sinne der Aussage: „Das macht Sinn“. Gemeint ist auch nicht Hören, Sehen,
Schmecken, Riechen, Fühlen oder Tasten.
Sinn ist als die Differenz von Aktualität und Potentialität (bei Fuchs auch oft auch: Virtu-
alität) definiert (Vgl. Fuchs 2004, S.63 ff., speziell auch S. 68). Also sozusagen das Ak-
tuelle im Unterschied zum Potentiellen bzw. Virtuellen. Der Zusatz „sinnförmig“ wird oft
verwendet werden, um zu betonen, dass die Beobachtung eben System, genau genom-
men, Sinnsystem ist. Sinn ist zudem das Medium des Sinnsystems, jede Form von Sinn
ist sinnförmige Beobachtung (Vgl. Fuchs 2004, S.25 ff.), also System. Insofern ist das
Medium „Sinn“, solange es eben nicht-sinnförmig ist, m.E. der Umwelt des Systems zu-
zuordnen.
Wie bereits erwähnt, wird häufig nicht einfach von Beobachtung die Rede sein, sondern
von sinnförmiger Beobachtung. Dies geht auch auf die Unterscheidung von Medium und
Form zurück. Beobachtungen sind sozusagen Formen im Medium Sinn. Das Medium
Sinn ist dabei stets nur als eine Form beobachtbar, weshalb jede Beobachtung sinnför-
mig ist. (Vgl. Fuchs 2004, S.25 ff.)
Jede Beobachtung aktualisiert eine Differenz. Die Beobachtung bezeichnet zwar nur
eine Seite dieser Differenz, sieht aber sozusagen die andere Seite mit. „Gut“ ist, im Falle
der Beobachtung, nicht nur „Gut“, (das allein wäre eine Referenz (Vgl. Fuchs 2010, S.
42 ff.)), sondern „Gut, im Gegensatz zu (…)“. Die andere Seite dieser Differenz ist, in
diesem Falle, ebenso kontingent, wie die eine.
Die Zweiseitenform bezieht sich auf die Differenz, die die Operation der Beobachtung
aktualisiert. Die Beobachtung greift eben auf Differenzen, also sozusagen Zweiseiten-
formen zurück, die Art und Weise, wie sie das „tut“ ist allerdings einseitig. Obwohl die
Beobachtung ebenso wenig im Sinne des Sprechens misszuverstehen ist, wie im Sinne
des Sehens, kann ein Beispiel hier vielleicht zum Verständnis beitragen: Man sagt nicht
„Es ist gut, im Gegensatz zu schlecht“ sondern man sagt einfach nur: Es ist gut“. Es
werden nicht beide Seiten der Differenz bezeichnet, sondern nur eine, obwohl die Ope-
ration der Beobachtung dennoch so zu verstehen ist, dass die andere Seite, sozusagen
stumm, also nicht bezeichnet, mitgesehen wird. (Vgl. z.B. Fuchs 2010, S. 42 und 45)
4 Systemtheoretische Begriffe 20
Die Umwelt des Systems meint all das, was (aktuell) nicht System, also nicht sinnför-
mige Beobachtung ist (Vgl. z.B. Fuchs 2010, S. 36). Die Umwelt des Systems ist sozu-
sagen der Indifferenzraum des Systems, nur ist sie eben kein Raum. Die naheliegendste
Fehlinterpretation der Umwelt des Systems wäre die, den Begriff Umwelt im herkömmli-
chen Sinne, also als die Umwelt des Menschen, die beispielsweise verschmutzt ist, zu
verstehen. Wie alle systemtheoretischen Begriffe ist also auch die Umwelt des Systems
hochabstrakt gemeint.
Die Umwelt des Systems ist also all das, was nicht System ist, all das, was nicht Be-
obachtung ist (Vgl. z.B. Fuchs 2010, S. 36). Die Umwelt des Systems ist genau genom-
men unbeobachtbar. Was immer auch beobachtet wird, selbst dann, wenn es mit „Um-
welt“ bezeichnet wird, ist nicht die (eigentliche) Umwelt des Systems, sondern System,
eben weil es sich dabei um eine Beobachtung handelt. Die Beobachtung, und damit das
System, hat sozusagen ihren blinden Fleck in der Umwelt des Systems. Die Umwelt des
Systems ist der blinde Fleck des Systems.
Ich verstehe die Umwelt des Systems zudem als die an sich unbeobachtbare aber not-
wendige Bedingung der Möglichkeit des Systems.
Gemeint ist ursprünglich der Bereich auf der Netzhaut, an dem die Sehnerven zusam-
men laufen. Genau genommen hat man also einen blinden Fleck in der Optik (bzw. zwei,
für jedes Auge einen). Trotzdem sehen wir diesen Fleck nicht, denn das Gehirn setzt
sich ein Bild aus den Informationen zusammen, die es eben erhält, der Fleck wäre also
eine Art Informationsloch, das sich aber nicht durch Information darstellen lässt. Dieser
blinde Fleck ist notwendig, ohne ihn könnten wir nicht Sehen, obwohl wir ihn selbst nie
sehen werden.
Der blinde Fleck wird im Kontext der ST bzw. der ATS häufig als Allegorie verwendet,
die die (eigentlich unzulässige aber intuitiv naheliegende) Assoziation des Begriffs „Be-
obachtung“ mit dem Begriff „Sehen“ nutzt, um zu verdeutlichen, dass man, wenn man
etwas beobachtet, zwangsläufig etwas anderes nicht beobachten kann.
Auch für das Verständnis der Umwelt des Systems kann diese Allegorie hilfreich sein,
insbesondere dann, wenn man sich die Umwelt des Systems als die an sich unbeobacht-
bare und notwendige Bedingung der Möglichkeit des Systems vorstellt.
Wahrnehmung
Nach Peter Fuchs kann Wahrnehmung als nicht-sinnförmig verstanden werden (Vgl. z.B.
Fuchs 2010, S. 40, insbesondere auch Fuchs 2010, S. 76; Luhmann hat das möglicher-
weise noch anders verstanden, was hier aber zu weit führen würde). Diese nicht-sinn-
förmige Wahrnehmung ist nicht System, also aus der Perspektive des Systems der Um-
welt des Systems zuzuordnen. Körper sind sozusagen Resonanz-Körper nicht-sinnför-
miger Wahrnehmung, erst wenn diese Körperzustände -eben sinnförmig- (nach-)beo-
bachtet werden, kommt das System ins Spiel.
4 Systemtheoretische Begriffe 21
Das, was wir fühlen, wenn wir uns an einer Kerzenflamme brennen, ist nicht-sinnförmige
Wahrnehmung, sobald wir es aber (notwendigerweise im Nachhinein, daher ist Be-
obachtung immer Nachträglich) als „an einer Kerzenflamme brennen“ oder als „heiß“
beobachten, geht es schon um sinnförmige Beobachtung.
Sie ist nicht mit der Einseitigkeit der Zweiseitform zu verwechseln. Gemeint ist hierbei
der Umstand, dass beispielsweise die Umwelt des Systems nur sinnförmig, also eben
durch Beobachtung beobachtet werden kann. (Vgl. Die Umwelt des Systems). Jede Be-
obachtung der Umwelt des Systems ist System.
Während man beispielsweise bei der Differenz „rot/grün“, sowohl „rot“, als auch „grün“
beobachten kann, also beide Seiten der Differenz kontingenterweise beobachtbar sind,
lässt sich bei der Differenz „System/Umwelt“ im Grunde nur „System“ beobachten, denn
auch die Beobachtung der Umwelt ist System, eben weil dies eine Beobachtung ist. In-
sofern ist die Umwelt des Systems eigentlich unbeobachtbar. Wenn also die Umwelt des
Systems beobachtet wird, wird eigentlich nicht die Umwelt des Systems beobachtet,
sondern eine Form im Medium Sinn, die mit „Umwelt“ bezeichnet wird, aber -per Defini-
tion- (Vgl. Die Umwelt des Systems) eben nicht die eigentliche Umwelt ist, denn diese
ist gerade das, was nicht System, was nicht sinnförmige Beobachtung ist. Daher ist die
Einheit der Differenz von System und Umwelt System.
Dies gilt ebenso bei der Differenz von Form und Medium. Jede Beobachtung des Medi-
ums ist sinnförmig, also Form. Die Einheit der Differenz von Medium und Form ist Form
(Vgl. Fuchs 2004, S. 25). Ebenso bei der Differenz von Immanenz und Transzendenz.
Die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz ist Immanenz (Vgl. Fuchs
2004, S. 13). Die Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität (Vgl. Sinn) ist Ak-
tualität (Vgl. Fuchs 2004, S. 63 ff.)
Im weiteren Verlauf von Teil II werde ich u.a. die These vertreten, dass die Einheit der
Differenzen von Extrinsik und Intrinsik Extrinsik ist.
Dies ist KEINE gesicherte Theoriefigur der ST bzw. der ATS. Ich halte sie aber für sinn-
voll und notwendig für die in dieser Arbeit entwickelten Thesen. Peter Fuchs hat in Fuchs
(1997, S.71-72) allerdings bereits davon geschrieben, dass, „der Bezug auf Transzen-
denz seinerseits eine immanente Operation ist, die immanent Welt so beobachtet, als
würde sie von außen observiert: Welt wird durch sich selbst dupliziert. Sie ist Innen und
Außen im Innen“ (Fuchs 1997, S.71-72).
Das ist sicher richtig, denn die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz
ist Immanenz. Aber ich beobachte hier dennoch zwei Aspekte oder Momente: Einen
transzendenten Moment, der sozusagen aus dem System hinaus führt, und andererseits
den immanenten oder „immanierenden“ Moment, der quasi wieder in das System hinein
4 Systemtheoretische Begriffe 22
führt und zur Immanenz einer neuen (eben transzendentalen) Beobachtung führt. In Ka-
pitel 5.5 wird dies ausführlich entwickelt.
Spezielle Differenzen
Für gewöhnlich sind beide Seiten der Differenz, die eine Beobachtung aktualisiert, be-
obachtbar, also es ist demnach kontingent, welche Seite beobachtet und welche Seite
nur mitgesehen wird. Ausgehend von der Differenz „gut/böse“ kann man „gut“ beobach-
ten (im Gegensatz zu „böse“) man kann aber ebenso „böse“ (im Gegensatz zu „gut“)
beobachten, das wäre also kontingent. Die Seiten der Differenz sind dabei auch nicht
auf Gegenteile beschränkt, man könnte also genauso gut „böse“ im Gegensatz zu
„Grützwurst“ oder was auch immer beobachten.
Die Differenzen die hier aber gemeint sind, sind insofern speziell, als dass deren Seiten
i.d.R. Gegenteile sind und sie eine unbeobachtbare Seite aufweisen. Gemeint sind also
Differenzen, für die es eine „Einheit der Differenz“ gibt.
Wichtigstes Beispiel wäre die Differenz von System und Umwelt, deren Einheit System
ist. Die Umwelt ist so definiert, dass sie gerade nicht System ist, weshalb jede Beobach-
tung der Umwelt eine Beobachtung ist und damit eben System. Die Umwelt des Sys-
tems, die eben gerade nicht System ist, ist deshalb also unbeobachtbar, weil eben jede
Beobachtung System ist. Eine weitere Differenz dieser Art wäre die von Immanenz und
Transzendenz, deren Einheit Immanenz ist. Dies wird in Kapitel 5.5 näher erläutert. Die
Einheit der Differenz von Medium und Form ist Form, das Medium ist unbeobachtbar,
weil jede Beobachtung sinnförmig ist. Auch der Sinn, der durch die Differenz von Aktua-
lität und Potentialität bestimmt ist, deren Einheit Aktualität ist, hat eine unbeobachtbare
Seite, eben die der Potentialität. Jede Form bzw. Beobachtung von Potentialität ist stets
aktuell, also momentane Aktualität der Beobachtung.
Die für diese Arbeit zentrale Differenz ist aber die von Extrinsik und Intrinsik. Meine
These wäre nun, dass auch dies eine dieser speziellen Differenzen ist, deren Einheit
Extrinsik ist. (Vgl. Kapitel 5.5 und insbesondere Kapitel 5.7)
Während bei der Beobachtung 1. Ordnung eine Differenz aktualisiert wird (Beispiels-
weise „rot“ (als Beobachtung, die beispiels- und kontingenterweise die Differenz
„rot/grün“ aktualisiert), stehen bei der Beobachtung 2. Ordnung auf beiden Seiten der
Differenz Differenzen. Man könnte sich vorstellen, dass eine weitere Beobachtung 1.
Ordnung vollzogen wird, sagen wir „Holz“ wird anhand der Differenz von „Holz/Stein“
beobachtet. Stellt man nun diese beiden Beobachtungen 1. Ordnung gegenüber und
beobachtet eine Seite dieser Differenz, deren beider Seiten nun selbst Differenzen sind,
vollzieht man die Beobachtung 2. Ordnung: „rot/grün“ // „Holz/Stein“. Was hier nun beo-
bachtet wird ist kontingent. Eine Möglichkeit wäre aber auch: „Farbe“ als Aktualisierung
der Differenz von „Farbe/Material“. Jede Beobachtung 2. Ordnung ist zugleich auch eine
der 1. Ordnung. (Vgl. z.B. Fuchs 2004, S. 21-23)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 23
„Der Begriff Beobachtung (…) bezeichnet die Einheit einer Operation, die
eine Unterscheidung verwendet, um die eine oder die andere Seite dieser
Unterscheidung zu bezeichnen“
Beobachten heißt im Kontext der ST bzw. der ATS also unterscheiden, zwischen zwei
Seiten einer Differenz, beispielsweise die moralische Unterscheidung „gut/böse“, und
eine dieser Seiten zu bezeichnen, beispielsweise „gut“, sowie das Referenzieren auf
etwas, sagen wir auf einen „Hund“, und eine Weiterverarbeitung im System, also die
Anschlussrealisierung durch eine weitere Beobachtung. Das Referenzieren der Be-
obachtung „gut“ bezieht sich dabei aber wieder auf eine Beobachtung („Hund“), die in
diesem Beispiel, im Sinne der Anschlussrealisierung, erst durch das Referenzieren auf
diese, eine Beobachtung wird. Das Referenzieren der einen Beobachtung („gut“ in Be-
zug auf…) ist hier also die Anschlussrealisierung der anderen Beobachtung („Hund“).
Bevor nicht an den „Hund“ angeschlossen wurde, gab es -im Sinnsystem- keinen „Hund“
und erst, wenn jemand an die Beobachtung „gut“ anschließt, gibt es diese Beobachtung
und im weiteren Verlauf vielleicht sogar den „guten Hund“, je nachdem, woran eben an-
geschlossen wird.
Beobachtung ist also immer eine Operation, ein Ereignis, das neben Unterscheidung,
Bezeichnung einer Seite und Referenz auf etwas, immer die Anschlussrealisierung, also
die Weiterverarbeitung im System voraussetzt.
33 System und Sinnsystem werden hier und im weiteren Verlauf synonym verwendet. Die Aus-
führungen beziehen sich in erster Linie auf Peter Fuchs´ ATS, so dass immer, wenn vom
System die Rede ist, auch das Sinnsystem gemeint ist. In bestimmten Fällen, wenn der Sinn
(Vgl. Kapitel 4) eine besondere Rolle spielt oder betont werden soll, wird eher das Wort „Sinn-
system“ statt „System“ verwendet werden.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 24
Zum einen ist hier die (momentane bzw. aktuelle) Ereignishaftigkeit der Beobachtung
entscheidend und zum anderen die Nachträglichkeit der Beobachtung, denn eine Be-
obachtung ist immer erst eine Beobachtung, wenn an sie angeschlossen wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Operation der Beobachtung ist das „Mitsehen der
anderen Seite“ (Fuchs 2010, S.42):
Die Beobachtung beobachtet zwar, um das obige Beispiels aufzugreifen, „gut“ aber eben
nicht nur „gut“, sondern „gut“ beispielsweise im Gegensatz zu „böse“34, insofern ist die
Beobachtung also eine Zweiseitenform und kann durch diese Form auch von der Ope-
ration der Referenz abgegrenzt werden, die zwar auch eine Seite einer Differenz aktua-
lisiert, jedoch ohne die andere Seite mitzusehen und damit zu bestimmen:
Während die Referenz also sozusagen eine Einseitenform ist, ist die Beobachtung eine
Zweiseitenform, genau genommen aber eben: eine einseitige Zweiseitenform.
34 Wobei die jeweils andere Seite der Differenz -in diesem Falle- kontingent wäre, also beispiels-
weise auch „schlecht“, „nicht-gut“ oder ganz anderes möglich wäre.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 25
Die Beobachtung „kalt“ könnte, beispiels- und kontingenterweise, also die Differenz von
„kalt/warm“ aktualisieren. „Kalt“ macht für sich genommen keinen Sinn36, erst wenn „kalt“
im Gegensatz zu, sagen wir „warm“ gemeint ist, macht „kalt“ Sinn, man könnte also auch
sagen: „warm“ ist -im Beobachtungsfalle von „kalt“- eine kontingente Bedingung der
Möglichkeit der Beobachtung „kalt“. Entscheidend ist, dass eine Seite der Differenz (der
Zweiseitenform) beobachtet wird, während die andere nur mitgesehen wird. (Vgl. Kapitel
4) Welche Seite dabei beobachtet wird ist (i.d.R.) kontingent und die jeweils unbeobach-
tete (aber mitgesehene) andere Seite der Differenz ist (i.d.R.) keineswegs auf das Ge-
genteil festgelegt, sondern ebenso kontingent, wie auch die jeweils beobachtete Seite.
Wichtig für die Weiterentwicklung dieser Thesis ist zudem die Kontingenz der beobach-
teten Seite und damit auch die Beobachtbarkeit der jeweils nicht beobachteten (aber
eben mitgesehenen) Seite. Mit anderen Worten: Man kann zwar (aktuell) nur eine37 Seite
der Unterscheidung beobachten aber die jeweils andere ist deshalb trotzdem (potentiell)
beobachtbar38 und im Falle der Beobachtung wird diese ja stets auch mitgesehen.
Soweit so nachvollziehbar, da es hier aber letztlich um die Herleitung der Intrinsik geht,
wird es nötig, die Komplexität zu erhöhen, denn ich verstehe die Intrinsik als die unbeo-
bachtbare (und notwendige) Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik, also
jene, jeweils nicht beobachtete aber zugleich eben auch an sich unbeobachtbare andere
Seite der Differenz (von Intrinsik und Extrinsik). Um dem näher zu kommen wird es nötig,
die unbeobachtbare Seite aller Differenzen bzw. aller Beobachtungen und damit auch
des Systems zu beobachten. Wir gehen nun also über zu ganz speziellen einseitigen
Zweiseitenformen (Vgl. Kapitel 4, Begriff: spezielle Differenzen), jenen nämlich, deren
jeweils andere Seite eben nicht beobachtbar ist.
35 Dieses Mitsehen der anderen Seite der Unterscheidung macht im Grunde erst den Unter-
schied, den die Referenz allein nicht leistet.
36 Zwar ist eine Referenz auf „kalt“ natürlich sinnförmig möglich aber diese Referenz setzt vo-
raus, dass klar ist, was „kalt“ ist. Bevor man also auf „kalt“ referenzieren kann, muss „kalt“
beobachtet worden sein, sonst macht es eben doch: keinen Sinn.
37 Die Beobachtung zweiter Ordnung wäre ein Spezialfall. (Vgl. Kapitel 4)
38 Zur Erinnerung: Sinn wird als die Differenz von Aktualität/Potentialität definiert, deren Einheit
Aktualität ist. (Vgl. Kapitel 4)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 26
Ist die Umwelt des Systems also doch beobachtbar? Sie ist es nicht, denn die Einheit
der Differenz von System und Umwelt ist System und die Umwelt ist gerade das, was
nicht System, was also nicht Beobachtung ist. (Vgl. Fuchs 2004, S.16; Vgl. Luhmann
1998, S.63 ff.; Vgl. Fuchs 2004, S.39 ff.; Vgl. Kapitel 4)
Die Umwelt des Systems ist also stets nur systemintern, also durch sinnförmige Be-
obachtung fassbar, obwohl mit dieser beobachteten Umwelt, eben doch diese eigentli-
che Umwelt des Systems gemeint ist41 und diese ist gerade so zu verstehen, dass sie
eben nicht System, also unbeobachtbar ist. Die eigentliche Umwelt des Systems ist also
nicht sinnförmig, obwohl darüber nur sinnförmig, also durch Beobachtung kommuniziert
werden kann. Diese sinnförmig systemintern rekonstruierte, also beobachtete Umwelt
ist so gesehen nur das sinnförmige Kondensat oder Sinn-Bild der an sich unbeobacht-
baren Bedingung der Möglichkeit jeder Beobachtung und damit der des Systems selbst.
39 Ebenso wenig, wie der Begriff der Beobachtung im Sinne des Sehens zu verstehen ist, ist der
der Umwelt im herkömmlichen Sinne zu verstehen. Umwelt meint nicht die Umwelt des Men-
schen und hat im systemtheoretischen Sinne nichts mit Natur zu tun, sondern meint eben all
das, was nicht System ist. (Vgl. Kapitel 4)
40 Damit greife ich aber wieder etwas voraus. Die Unbeobachtbarkeit der Umwelt wird hier be-
reits thematisiert, die Notwendigkeit wird erst in Kapitel 5.6 entwickelt.
41 Und ich würde meinen, das setzt die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform voraus,
aber auch das ist wieder ein Vorgriff, hier auf Kapitel 5.5.
42 Eine Rekonstruktion ist diese beobachtete Umwelt allein schon deshalb, weil die eigentliche
Umwelt, die gemeint ist, unbeobachtbar ist, also eben gerade nicht System ist. Die Umwelt,
die als Beobachtung im System vorkommt, ist also bestenfalls dieses sinnförmige Kondensat
oder Sinn-Bild, von dem bereits die Rede war, sie ist ein Stellvertreter im System für „etwas“,
das -per Definition- im System nicht vorkommen kam, weil es kein „etwas“ ist.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 27
Im Kontext der Systemtheorie gibt es die Operation des Transzendierens nicht als fest
etablierte Theoriefigur45. An diesem Punkt muss ich also bereits über die Grenze der
Systemtheorie hinaus gehen, denn sie selbst scheint das stets zu vermeiden, nicht ohne
Grund, denn es ist schwer über etwas zu kommunizieren, über das man eigentlich nicht
kommunizieren kann. Verzichtet man aber auf diese systemtheoretische Grenzüber-
schreitung, wüsste ich nicht, wie man in der Lage sein könnte, Intrinsik in dem hier ent-
worfenen Sinne, also als die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der
Möglichkeit jeder Form von Extrinsik, entwickeln zu können und der Negation der
Intrinsik, und damit auch ihres Wertetyps, etwas gehaltvolles entgegen zu setzten, das
nicht nur vage und appellativ daher kommt und die zahlreichen Kritiker eher an irgendein
Glaubensbekenntnis erinnert, als an fundierte Argumentation.
Aber, wie gerade gezeigt, auch die Umwelt des Systems wäre ohne das, was nun als
die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform bzw. die Operation des Transzendie-
rens entwickelt wird, im systemtheoretischen Sinne, m.E. schlicht nicht haltbar. Wenn
die systemintern rekonstruierte, also beobachtete Umwelt schlicht Beobachtung, also
System wäre und nicht zugleich auch diese eigentlich unbeobachtbare Umwelt des Sys-
tems meinte, würde die Einheit der Differenz dazu führen, dass die Differenz von System
und Umwelt negiert würde, weil es dann eben keine Umwelt mehr gäbe, die nicht System
wäre. Mit der Umwelt wäre aber eben auch die Differenz und damit das System negiert.
Deshalb bin ich zuversichtlich, dass dieser Schritt im Grunde einer ist, der in der ST bzw.
der ATS bisher stillschweigend vorausgesetzt wurde, denn ohne ihn macht Systemthe-
orie m.E. keinen Sinn.46
Anton Wallner47
Ich beginne hier also bei der Differenz von Immanenz und Transzendenz. Wird auf
Grundlage dieser einseitigen Zweiseitenform beobachtet, so kann man entweder Imma-
nenz beobachten und die Transzendenz mitsehen oder eben Transzendenz beobachten
und die Immanenz mitsehen. Nun ist es aber so, dass die Seite der eigentlichen Trans-
zendenz (als das Gegenteil von Immanenz) an sich unbeobachtbar ist, denn die Einheit
der Differenz von Immanenz und Transzendenz ist Immanenz. Jede Beobachtung ist
immanent, etwas jenseits von Beobachtung kann schlicht nicht beobachtet werden.
Ebenso, wie die eigentliche Umwelt des Systems an sich unbeobachtbar ist, weil die
beobachtete Umwelt eben nicht eigentliche Umwelt des Systems sondern Systems ist,
ebenso ist auch die beobachtete Transzendenz, im Sinne der Beobachtung stets imma-
nent. Beobachtete Transzendenz ist Immanenz, genau das sagt die Einheit der Differenz
m.E. aus. Man könnte nun folgern, dass es also keine eigentliche Transzendenz (im
Sinne des eigentlichen Gegenteils von Immanenz) gibt und diese damit negieren oder
aber man könnte die einseitige Zweiseitenform von Immanenz und Transzendenz trans-
zendieren und genau darum geht es im Folgenden.
Zum einen verstehe ich die Transzendenz als Operation50, wobei in diesem Fall wohl
das substantivierte Verb Transzendieren sinnvoller51 ist 52. Wichtig ist dabei, dass durch
dieses Transzendieren eine neue Komplexität entsteht, die das "Alte" in einen neuen
Zusammenhang stellt und so letztlich das neue Ganze eben mehr ist, als die Summe
seiner Teile53.54
Genau genommen, denke ich, ist die eigentliche Transzendenz, jetzt als an sich unbeo-
bachtbares Gegenteil von Immanenz, stets ein (singulärer) Moment (oder räumlich ge-
sprochen: Punkt), den man quasi passieren muss, wann immer man (momentan, aktuell)
die Operation des Transzendierens ausführt und dieses Transzendieren führt stets un-
weigerlich zurück in die Immanenz. Man kommt also sofort wieder in der Immanenz (in
der Polarität bzw. der einseitigen Dualität des Systems) an, denn die Einheit der Unter-
scheidung von Immanenz und Transzendenz ist eben Immanenz (Vgl. Fuchs 1997,
S.71-72). Transzendenz, als die eigentliche, an sich unbeobachtbare, andere Seite von
Immanenz, ist m.E. also eine Singularität55, die immer nur nicht-sinnförmig wahrnehmbar
ist, denn jede sinnförmige Beobachtung wäre schon wieder immanentes System.
50 Während die „Einheit der Differenz“ und auch die „einseitige Zweiseitenform“ etablierte Theo-
riefiguren innerhalb der ST bzw. der ATS sind, kommt die „Transzendenz als Operation“ im
Sinne des „Transzendierens“ bzw. der „Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform“, mei-
nes Wissens, nicht vor, auch wenn Peter Fuchs sie in Fuchs (1997, S.71-72) m.E. bereits
indirekt angesprochen hatte. Ich halte sie in diesem Zusammenhang aber für sehr funktional,
und wie bereits angesprochen, für bisher schlicht stillschweigend vorausgesetzt.
51 Vielen Dank an Torsten Geucke für den entspr. Hinweis (lange vor dem Beginn dieser Arbeit).
52 Eine religiöse Konnotation ist dabei nicht impliziert, jedenfalls ist sie nicht beabsichtigt. Sys-
temtheoretischerweise könnte man vielleicht auch sagen, dass die Beobachtung 2. Ordnung
die der 1. Ordnung transzendiert, genauso, wie jede Beobachtung 1. Ordnung, durch das Mit-
sehen der anderen Seite, die bloße Referenz transzendiert. (Vgl. Kapitel 4) Transzendenz als
Operation, bzw. das Transzendieren, also nicht im religiösen Sinne, sondern im Grunde eher
im Sinne der dialektischen Aufhebung nach Hegel, also dem Dreiklang von Überwindung (Ne-
gation), Aufbewahrung und Integration zugleich.
53 Hier drängt sich wieder der Vergleich zur Beobachtung 2. Ordnung auf. Die Beobachtung 2.
Ordnung ist zwar auch zugleich eine der 1. Ordnung aber sie ist eben doch mehr: Die Be-
obachtung 2. Ordnung ist sozusagen eine Kontingenzbeobachtung, sie beobachtet Beobach-
tungen 1. Ordnung. (Vgl. Kapitel 4)
54 Die Transzendenz (als Operation im Sinne des Transzendierens) funktioniert natürlich in vie-
len Richtungen, einmal „im“ Sinnsystem, also „in“ der Immanenz der sinnförmigen Beobach-
tung in Richtung mehr Komplexität (Referenz -> Beobachtung.1. Ordnung -> Beobachtung
2.Ordnung) und m.E. auch über die nicht sinnförmige Wahrnehmung, quasi in Richtung Um-
welt des Systems oder Nicht-Dualität. Letzteres ist in dem Sinne zu verstehen, dass das (Sinn-
)System auf Dualität in Form von Differenzen aufbaut bzw. in diesen dualistischen Formen
operiert, während die nicht sinnförmige Wahrnehmung keine Unterscheidungen benutzt, um
irgendwelche Unterschiede zu kennzeichnen. Man könnte vielleicht sagen: Die nicht-sinnför-
mige Wahrnehmung verhält sich zur sinnförmigen Beobachtung, wie die (eigentliche) Umwelt
des Systems zum System bzw. wie Nicht-Dualität zu Dualität.
55 Ebenso wie auch das System stets nur momentan „aufblitzt“, wann immer es eben operiert,
nur eben nicht als Singularität, sondern als Polarität.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 30
Das macht die Einheit der Differenz zum Problem. Man könnte sich vor-
stellen, daß diese Einheit jeweils nur als ein Ereignis präsentiert wird. Da
das Ereignis verschwindet, ist mit dieser Form der Präsentation zugleich
die Einheit und Wiederherstellbarkeit der Differenz garantiert. Die Einheit
leuchtet gleichsam im Moment ein, aber im Moment! Das heißt: der ver-
such, Schlußfolgerungen zu ziehen, muß wieder die Unterscheidung be-
nutzen und entweder an Immanenz oder Transzendenz (und beides im-
manent) anschließen (...)
In diesem Sinne ist also die Immanenz die einzige Möglichkeit, die Transzendenz zu
beobachten. Diese beobachtete Transzendenz ist demnach notwendigerweise Imma-
nenz, ebenso wie die beobachtete (systemintern rekonstruierte) Umwelt des Systems
notwendigerweise System ist56. Will man das verstehen57, denke ich, muss man diese
Unterscheidungen (zuvor) transzendieren bzw. transzendiert haben und -im Falle der
Differenz von System und Umwelt- eben erkennen, dass es zur beobachteten, also sys-
temintern rekonstruierten Umwelt eben noch diese eigentliche Umwelt des Systems gibt,
ebenso wie es zur beobachteten, systemintern rekonstruierten, also immanenten Trans-
zendenz noch eine eigentliche Transzendenz gibt, die gerade eben nicht Immanenz ist.
Ebenso, wie ich denke, dass die eigentliche Umwelt des Systems die unbeobachtbare
und notwendige Bedingung der Möglichkeit des Systems ist, denke ich, dass diese ei-
gentliche Transzendenz die unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit
der Immanenz58 ist. Ich denke, im Sinne Kants wäre die Beobachtung dieses Umstands
transzendental.
56 Eben weil die eigentliche Umwelt des Systems ebenso unbeobachtbar ist, wie die eigentliche
Transzendenz.
57 (…) ohne angesichts der Einheit der Differenz einfach die andere, unbeobachtbare Seite (die
eigentliche Umwelt des Systems bzw. die eigentliche Transzendenz) zu negieren (…)
58 Einschließlich der Möglichkeit, die Transzendenz immanent (als an sich unbeobachtbar) zu
beobachten.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 31
In diesem Sinne führt die Transzendenz als Operation, also das Transzendieren, zu ei-
ner transzendentalen Beobachtung, die sich auf die an sich unbeobachtbaren und not-
wendigen (transzendenten) Bedingungen der Möglichkeit bezieht. Die durch diese Ope-
ration des Transzendierens entstehende, neue Komplexität, kann gerade erst dadurch
das "Alte" in diesen neuen Zusammenhang stellen, der jenes neue Ganze konstatiert,
das eben mehr ist, als die Summe irgendwelcher Teile.59
Bezogen auf die Differenz von System und Umwelt, sowie die von sinnförmiger Be-
obachtung und nicht-sinnförmiger Wahrnehmung, könnte man vielleicht sagen: Alles,
was nicht System (also Beobachtung) ist, wäre die eigentliche Umwelt des Systems.
Alles, was außerhalb des Systems nicht-sinnförmig wahrgenommen wird, wirkt aller-
dings auf die sinnförmigen Beobachtungen des Systems60. Nicht nur aber auch in diesem
Sinn ist die Umwelt des Systems stets die an sich unbeobachtbare und notwendige
(transzendente) Bedingung der Möglichkeit (und damit die Potentialität der Aktualität)
des (Sinn-)Systems, die61 an sich eben unbeobachtbar ist, aber im System anhand von
systeminternen (Re-)Konstruktionen (nach-)beobachtet werden kann und wird. Ebenso,
wie die Immanenz die einzige Möglichkeit ist, Transzendenz, notwendigerweise eben
immanent, fassbar zu machen (bzw. zu beobachten), ist das System die einzige Mög-
lichkeit, die eigentliche, an sich unbeobachtbare (transzendente) Umwelt, in Form der
systemintern rekonstruierten Umwelt zu beobachten.62
1. Transzendenz als die andere, an sich unbeobachtbare Seite von Immanenz. Die
eigentliche Transzendenz.63
2. Transzendenz als immanente, sinnförmige Beobachtung, also genau genommen
nur Schein-Transzendenz.64
3. Transzendenz als Operation des Transzendierens, als momentanes (singuläres)
Ereignis, das nicht sinnförmig ist aber sofort sinnförmig und damit immanent wird,
sobald es nachbeobachtet wird (wobei es dann natürlich längst vorbei ist und wir
wieder bei 2. sind).
4. Diese Operation, dieses Transzendieren, wäre m.E. als Operation transzendent,
würde im Falle der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform (spezieller Dif-
ferenzen, Vgl. Kapitel 4) aber zu einer transzendentalen Beobachtung führen.
59 Was auch für die Differenz von Beobachtung und Wahrnehmung gilt, denn auch die nicht-
sinnförmige, also an sich unbeobachtbare Wahrnehmung ist nur durch die Beobachtung sinn-
förmig zu fassen, nur so wird sie eben beobachtbar. (Vgl. Kapitel 4)
60 Sinnsysteme sind an ihre Umwelt gekoppelt und beeinflussen sich wechselseitig. Deutlich wird
das beispielsweise dann, wenn man sich bewusst macht, dass auch Körper zur Umwelt des
Sinnsystems gehören. Keine Umwelt des Systems, kein System.
61 Gemeint ist die Umwelt.
62 Genau das leistet die Beobachtung 2. Ordnung. (Vgl. Kapitel 4)
63 Vgl.: die eigentliche Umwelt des Systems.
64 Vgl.: die systemintern rekonstruierte Umwelt des Systems, quasi das Sinn-Bild der eigentli-
chen Umwelt
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 32
Ich deute Kant65 also so, dass er die Transzendenz, dadurch, dass er sie auf einen Be-
griff bezieht, als einerseits immanent versteht (im Sinne der beobachteten Transzen-
denz), wobei dieser immanente (beobachtete) Begriff der Transzendenz aber nur des-
halb Sinn macht, weil er andererseits doch auf die eigentliche, an sich unbeobachtbare
Transzendenz verweist und die Transzendenz (als Beobachtung) kann nur -notwendi-
gerweise immanent66- auf die eigentliche, ans sich eben unbeobachtbare Transzendenz
verweisen.67 Da nun die eigentliche Transzendenz m.E. die an sich unbeobachtbare aber
eben notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Immanenz ist, wäre die
(beobachtete) Transzendenz m.E. ein transzendentaler68 Begriff bzw. eine transzenden-
tale Beobachtung. Diese transzendentale Beobachtung stellt sich m.E. aber nur als
Folge der Transzendenz (bzw. des Transzendierens) der einseitigen Zweiseitenform ein.
Die Operation des Transzendierens selbst ist transzendent, weil sie, momentan, als
Operation, die Immanenz bzw. das System „verlässt“. Die Analogie zur Umwelt des Sys-
tems wurde bereits angesprochen. Transzendental wird dieser Begriff bzw. diese Be-
obachtung der Umwelt des Systems, also erst dadurch, dass er die eigentliche Umwelt
meint und diese eigentliche Umwelt verstehe ich eben, so wie die eigentliche Transzen-
denz selbst, als an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit.
65 Bzw. Prechtl & Burkard (2008, S.624), die Bezug nehmen auf Kant.
66 Denn die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz bleibt Immanenz.
67 Wäre die Transzendenz aber etwas rein immanentes, wäre die Unterscheidung sinnlos.
68 Ob das ein Widerspruch zu Kant oder eher ein Widerspruch zu Prechtl & Burkard ist, bleibt
offen aber m.E. kann ein Begriff bzw. eine Beobachtung nicht transzendent sein, denn jede
Beobachtung ist immanent. Die transzendentale Beobachtung die ich meine, beobachtet die
transzendenten, also an sich unbeobachtbaren und notwendigen Bedingungen der Möglich-
keiten.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 33
Mit anderen Worten: Man hat es in diesen Fällen69 also mit der immanenten, sinnförmi-
gen, transzendentalen Beobachtung der an ich unbeobachtbaren aber notwendigen,
transzendenten Bedingung(en) der Möglichkeit der Beobachtung selbst zu tun. 70 71
Wichtig ist hier: Die systemintern rekonstruierte, beobachtete Umwelt ist m.E. ein trans-
zendentaler Begriff bzw. eine transzendentale Beobachtung, dann und nur dann, wenn
sie die eigentliche, an sich unbeobachtbare, transzendente Umwelt des Systems meint.
Das setzt aber m.E. die Transzendenz (bzw. das Transzendieren) der einseitigen Zwei-
seitenform (hier von System und Umwelt) voraus. Diese Operation hat zwei Aspekte.
Zum einen ist sie transzendent, weil sie aus dem System hinaus „führt“, zum anderen ist
sie (bzw. wirkt sie) immanent, weil sie zur Immanenz der Einheit der Differenz führt (hier:
System als die Einheit der Differenz von System und Umwelt). Die Immanenz der Einheit
der Differenz alleine würde die eigentliche Umwelt negieren.
Das ist die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform, die ich meine, die einerseits
auch die Transzendenz selbst72 notwendigerweise immanent beobachtet, sich aber zu-
gleich dessen bewusst ist, dass damit doch eigentlich die an sich unbeobachtbare Trans-
zendenz gemeint ist. Selbes gilt eben auch für die Differenz von System und Umwelt.
Erst wenn man versteht, dass die beobachtete (systemintern rekonstruierte) Umwelt des
Systems nicht die eigentliche (transzendente) Umwelt des Systems ist und auch nicht
sein kann, hat man diese einseitige Zweiseitenform transzendiert. Die Transzendenz
dieser speziellen einseitigen Zweiseitenformen73 führt, in diesem Sinne, notwendiger-
weise zur Immanenz einer Art zweiseitigen Einseitenform. Das hier passende Theorem
aus der ST bzw. der ATS scheint mir aber das der Einheit der Differenz zu sein.
69 Gemeint ist die Beobachtung der Umwelt im Sinne der eigentlichen Umwelt, oder auch die
Beobachtung der Transzendenz im Sinne der eigentlichen Transzendenz aber beispielsweise
auch die Beobachtung des Mediums, ausgehend von der Differenz Medium/Form (deren Ein-
heit Form ist) (…).
70 Um den späteren Kapiteln kurz vorauszugreifen: Ich würde meinen, dass es sich auch bei der
Beobachtung der Intrinsik, ausgehend von der Differenz Extrinsik/Intrinsik, so verhält, denn
ich gehe davon aus, dass die Einheit dieser Differenz Extrinsik ist, die (beobachtete) Intrinsik
ein transzendentaler Begriff ist, der sich auf die eigentliche, transzendente Intrinsik bezieht
und der diese, m.E. nur durch die Operation des Transzendierens dieser einseitigen Zweisei-
tenform, nicht negiert, sondern unter Aufrechterhaltung der eigentlichen Differenz, die Einheit
der Differenz immanent werden lässt. (Vgl. Kapitel 5.7)
71 Es ist ein wenig so, als würde man mit einem Handschuh in den Schnee greifen, man würde
sagen, man greift den Schnee, genau genommen greift man aber stets nur den Handschuh.
Das wird sprachlich vernachlässigt, weil jeder in der Lage ist, die Differenz des Innens und
des Außens des Handschuhs zu transzendieren, was natürlich sehr leicht fällt, denn wir be-
obachten uns zugleich als innerhalb des Handschuhs als auch als außerhalb des Hand-
schuhs. Unsere Hand greift den Handschuh und unsere Augen sehen den Schnee auf der
anderen Seite des Handschuhs. Im Falle der Beobachtung ist der Fall gar nicht so viel kom-
plexer, immerhin „stehen“ Körper (inklusive Augen und Hände) sozusagen in der eigentlichen
(transzendenten) Umwelt des (immanenten) Systems.
72 Analog zur Umwelt des Systems.
73 Also jener einseitigen Zweiseitenformen, bei denen die jeweils andere Seite eigentlich unbe-
obachtbar ist. (z.B.: System/Umwelt oder Immanenz/Transzendenz aber beispielsweise auch:
Form/Medium und andere, m.E. eben auch Extrinsik/Intrinsik).
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 34
Obwohl also eine Seite der Differenz von System/Umwelt beobachtet wird74, dies aber
ja immer nur sinnförmig, also systemintern möglich ist, damit also diese spezielle einsei-
tige Zweiseitenformen, deren zweite Seiten (die der Umwelt) eigentlich unbeobachtbar
ist, dennoch beobachtet bzw. mitgesehen wird75, wird diese ohnehin einseitige Zweisei-
tenform durch das unvermeidliche System, dass die Beobachtung eben operiert, sozu-
sagen doppelt einseitig76. Die Einheit der Differenz von System und Umwelt ist System.
Selbes gilt für die Differenz von Immanenz und Transzendenz. Obwohl eine Seite der
Differenz von Immanenz und Transzendenz beobachten wird, dies aber ebenso nur sinn-
förmig, systemintern, also immanent möglich ist, damit also diese spezielle einseitige
Zweiseitenformen, deren zweite Seiten (die der Transzendenz) eigentlich unbeobacht-
bar ist, dennoch beobachtet bzw. mitgesehen wird77, wird diese ohnehin einseitige Zwei-
seitenform durch die unvermeidliche Immanenz der Beobachtung78 sozusagen doppelt
einseitig79. Die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz ist Immanenz.
In diesem Sinne haben wir es Im Falle der Beobachtung der Umwelt bzw. der Transzen-
denz, als an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingungen ihrer Möglichkeiten,
also mit einer transzendentalen Beobachtung80 zu tun, die m.E. Folge einer transzen-
denten Operation ist, eben der Operation des Transzendierens der einseitigen Zweisei-
tenform.
Was auf diese Weise immanent (nach-) beobachtet wird, ist also die jeweils systemintern
rekonstruierte Seite der jeweiligen Differenz, die an sich eigentlich unbeobachtbar aber
dennoch notwendige Bedingung der Möglichkeit ist. Ist man sich dessen bewusst, hat
man diese speziellen einseitigen Zweiseitenformen81 transzendiert und die Einheit der
Differenz wird beobachtbar, ohne die eigentlich unbeobachtbare Seite der Differenz zu
negieren. Systemintern wird also ein Stellvertreter des Unbeobachtbaren82 konstruiert
und man ist sich dessen bewusst, es ist immanent, dass es sich um einen Stellvertreter
handelt. Das Unbeobachtete und in diesen speziellen Fällen Unbeobachtbare, das eben
gerade nicht System ist, kondensiert in diesem Falle sozusagen (notwendigerweise) im
System.
74 Und das schließt das „Mitsehen der anderen Seite“ ja ein, womit wir es also auch hier mit einer
einseitigen Zweiseitenform zu tun hätten. (Vgl. Kapitel 4 und 5.2)
75 Wenn von der Differenz „System/Umwelt“ das System beobachtet wird, würde die Umwelt
mitgesehen werden, wenn die Umwelt beobachtet würde, würde das System mitgesehen wer-
den, wobei in letzterem Falle die beobachtete Umwelt eben nicht die eigentliche Umwelt ist,
da diese unbeobachtbar ist.
76 Mindestens im Falle der Beobachtung der Umwelt.
77 Wenn von der Differenz „Immanenz/Transzendenz“ die Transzendenz beobachtet wird, würde
die Immanenz mitgesehen werden, wenn die Transzendenz beobachtet würde, würde die Im-
manenz mitgesehen werden, wobei in letzterem Falle die beobachtete Transzendenz eben
nicht die eigentliche Transzendenz ist, da diese unbeobachtbar ist.
78 Und Beobachtung ist ja System.
79 Mindestens im Falle der Beobachtung der Transzendenz.
80 Ich denke, diese transzendentale Beobachtung ist die Beobachtung 2. Ordnung.
81 System/Umwelt, Immanenz/Transzendenz und beispielsweise eben auch Medium/Form und
m.E. eben auch Extrinsik/Intrinsik.
82 (…) im konstitutiven Rahmen der notwendigen Bedingungen dieser Möglichkeit (…)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 35
Welt wird durch sich selbst dupliziert. Sie ist Innen und Außen im Innen.
Zusammenfassung:
1. Die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz ist Immanenz.83
2. Die Transzendenz im Sinne des Transzendierens ist eine transzendente Opera-
tion (weil sie quasi aus dem System „hinaus führt“).
3. Diese transzendente Operation des Transzendierens stellt unweigerlich eine
neue Form von Immanenz her, die (84) eine neue Komplexität herstellt, die das
alte nicht einfach negiert, sondern negiert, aufbewahrt und in einen neuen Kom-
plexitätszusammenhang integriert.
4. Vorausgesetzt die Transzendenz (bzw. das Transzendieren) der einseitigen
Zweiseitenform wurde vollzogen, wird die Umwelt des Systems (ebenso wie die
Transzendenz als Gegenbegriff zur Immanenz), als transzendentaler Begriff
bzw. als transzendentale Beobachtungen (sozusagen systemintern) immanent.
5. Diese transzendentalen Beobachtungen (von Umwelt bzw. Transzendenz) ver-
weisen nun auf die an sich unbeobachtbaren und notwendigen Bedingungen ih-
rer Möglichkeiten (also auf die an sich unbeobachtbare, eigentliche Umwelt des
Systems bzw. auf die an sich unbeobachtbare, eigentliche Transzendenz).
6. Dieses Schema lässt sich m.E. auf all diese speziellen Differenzen (Vgl. Kapitel
4) anwenden, die eine an sich unbeobachtbare Seite haben, also u.a. auch auf
Medium und Form, Aktualität und Potentialität (Sinn) und m.E. eben auch auf die
Differenz von Extrinsik und Intrinsik (Vgl. Kapitel 5.7).
83 Dies kann im Kontext der ST bzw. der ATS als gesichert gelten (Vgl. Fuchs 2004, S.13),
ebenso, wie die Einheit der Differenz von System und Umwelt System ist (Vgl. Kapitel 4; Vgl.
Luhmann 1998, S.63 ff).
84 (…) ähnlich wie die Beobachtung 2. Ordnung und m.E. ganz im Sinne von Hegels dialektischer
Aufhebung (…)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 36
beobachtbar unbeobachtbar
systemintern
System rekonstruierte eigentliche Umwelt
Umwelt
Da die Einheit der Differenz von Immanenz und Transzendenz ebenso Immanenz
ist, wie die Einheit der Unterscheidung von System und Umwelt System ist,
bleibt man stets in der Immanenz bzw. im System, sozusagen „gefangen“.
beobachtbar unbeobachtbar
die eigentliche
SYSTEM UMWELT
systemintern
System rekonstruierte
Umwelt
die eigentliche
UMWELT
SYSTEM
systemintern
System rekonstruierte
Umwelt
eigentliche
IMMANENZ
Transzendenz
beobachtete
Immanenz Transzendenz
eigentliche
Transzendenz
IMMANENZ
beobachtete
Immanenz Transzendenz
Dieser Erklärungszusatz gilt auch für alle anderen Grafiken dieser Form im weiteren
Verlauf der Arbeit. Es handelt sich hier stets nur im Sinnbilder, die in der ein oder ande-
ren Darstellung das ein oder andere besser (und anderes aber leider auch schlechter)
veranschaulichen.
Abbildung 6: Vereinfachte Veranschaulichung des System als Emergenz der Bedingung sei-
ner Möglichkeit, also der eigentlichen Umwelt des Systems (Selbes gilt u.a. für Immanenz
und die eigentliche Transzendenz und für alle weiteren Grafiken dieser Form)
85 Dieses Kapitel wurde als Reaktion auf eine Kritik von Herrn Dr. Michael Kalff zur Darstellung
der Grafiken hinzugefügt.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 40
Würde man es bei der Einheit der Differenz und damit bei der beobachteten (systemin-
tern rekonstruierten) Umwelt belassen, würde das bedeuten, dass auf beiden Seiten der
Gleichung System stünde: System / System = System bzw. vereinfacht System = Sys-
tem (Vgl. Tabelle 1). Das wäre zwar eine wahre Aussage aber eben auch eine Tautolo-
gie, die keinen Mehrgewinn an Information brächte. Um genau diese Reduktion bzw.
Negation (der eigentlichen Umwelt) zu vermeiden bzw. die Unterscheidung der rechten
Seite (System / Umwelt) nicht ad absurdum zu führen, muss man m.E. die Differenz
(genau genommen auf der Seite der Umwelt) transzendieren, denn die Umwelt ist hier
der beobachtete, immanente aber eben zugleich transzendentale Begriff, der eigentlich
eine (transzendente) Umwelt, die eben gerade nicht (immanentes) System ist, meint.
Die Negation allein hingegen, würde nur die Einheit der Differenz beobachten, sie würde
die eigentliche Umwelt bzw. die eigentliche Transzendenz schlicht negieren.86
Der doppelte Zug der Transzendenz bzw. des Transzendierens der einseitigen Zweisei-
tenform und der Immanenz der Einheit der Differenz beschreibt im Grunde den Sprung
von der Beobachtung 1. Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung, bei diesen spezi-
ellen Differenzen. Auch die Beobachtung 2. Ordnung ist zugleich einer der 1. Ordnung,
aber das negiert nicht ihre höhere Komplexität. Die Beobachtung 2. Ordnung transzen-
diert die der 1. Ordnung, sie negiert sie nicht. (Vgl. Kapitel 4)
86 Genauso, wie Dieter Birnbacher den intrinsischen Wert negiert, eben weil er die einseitige
Zweiseitenform nicht transzendiert. U.a in Kapitel 9, insbesondere in Kapitel 9.3, wird das noch
genauer thematisiert. Für Birnbacher gibt es letztlich nur instrumentelle Werte, alles ist für ihn
nur funktional. Dementsprechend beobachtet er beispielsweise die Unfunktionalität als etwas
höchst funktionales (Vgl. Birnbacher 1996, S.59), wogegen nichts einzuwenden ist, die Einheit
der Differenz von Funktionalität und Unfunktionalität mag tatsächlich Funktionalität sein, das
sehe ich sogar auch so, aber er nimmt das als Argument, nicht nur um das Unfunktionale zu
funktionalisieren, sondern auch um das Unfunktionale (das ich als notwendige Bedingung der
Möglichkeit des Funktionalen verstehen würde) im selben Zuge zu negieren. DAS ist m.E.
völlig unzulässig und eine völlige Verkennung der Komplexität, zumal er das Ganze dann noch
auf die Natur und den Naturschutz überträgt (in Teil III und IV wird dies ausführlicher themati-
siert).
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 41
Womit die eigentliche Umwelt an sich unbeobachtbare aber eben notwendige Bedingung
der Möglichkeit des Systems88 wäre, was aber m.E. erst durch die (bzw. eine transzen-
dentale Form der) Beobachtung 2. Ordnung beobachtbar wird, eben weil die Beobach-
tung 2. Ordnung die Beobachtung der 1. Ordnung transzendiert (Vgl. Kapitel 5.6.2).
87 Siehe Dieter Birnbacher „Funktionalität des Unfunktionalen“ (Vgl. Birnbacher 1996, S.59; Vgl.
Kapitel 9, insbesondere in Kapitel 9.3).
88 Kein System ohne (eigentliche) Umwelt, (…)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 42
Beispielsweise ist bei der Beobachtung von „Rot“ die andere Seite der Differenz
kontingent. Es könnte also „Rot"“ im Gegensatz zu „Grün“ beobachtet werden
aber genauso gut auch im Gegensatz zu „Orange“ oder zu was auch immer. (Vgl.
Prechtl & Burkard 2008, S.64)
Dies wäre eine Bedingung, die zwangsweise erfüllt sein muss, damit eine Mög-
lichkeit eintreten kann. Es bleibt aber eine Möglichkeit, die notwendige Bedin-
gung führt also nicht automatisch zum Eintritt der Möglichkeit, sonst wäre ja die
Möglichkeit keine Möglichkeit mehr. Es gibt also in diesem Falle noch weiter Be-
dingungen, die zum Eintritt der Möglichkeit notwendig sind. (Vgl. Prechtl & Bur-
kard 2008, S.64)
„Ein Ereignis A stellt dann eine hinreichende B. [Bedingung] dar, wenn bei
ihrem Gegebensein mit Notwendigkeit auch das Ereignis A eintritt. (…) Die
Kenntnis einer hinreichenden B. [Bedingung] beantwortet nicht die Frage,
ob nicht auch noch andere als hinreichende B.en [Bedingungen] gelten
können“
Genau genommen würde es sich bei diesem Ereignis (B dann (also wenn A be-
reits eingetreten ist) nicht mehr um eine Möglichkeit handeln.
Man kann es also nicht einfach dabei belassen, zu behaupten, dass sich System und
Umwelt sowie Immanenz und Transzendenz89, gegenseitig bedingen. Einerseits würde
das die Frage offen lassen, welche Form der Bedingung gemeint ist und andererseits
müsste man nach der Differenzierung zwischen der beobachteten und der eigentlichen
89 Ebenso wie Medium und Form, Aktualität und Potentialität und weitere Differenzen derselben
speziellen Form (Vgl. Kapitel 4).
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 43
Umwelt sowie der Differenzierung zwischen der beobachteten Transzendenz und der
eigentlichen Transzendenz, angeben, welche Form denn nun gemeint ist und wofür
diese, welche Art von Bedingung (der Möglichkeit) ist. Es wurde also bereits unterschie-
den zwischen:
Bei den bisher angesprochenen, speziellen Differenzen90 scheint also die Besonderheit
zu bestehen, dass sich all diese -an dieser Stelle noch nicht genauer bestimmten- Be-
dingungen der Möglichkeiten91, im Zuge der Transzendenz der einseitigen Zweiseiten-
form und der daraufhin (m.E. hinreichenderweise) folgenden Immanenz der Einheit der
Differenz (Vgl. Kapitel 5.5), sozusagen verdoppeln. Zu den beobachtbaren Bedingungen
der Möglichkeit92 kommen, in diesen speziellen Fällen, auf einer höheren Beobachtungs-
ebene93, unweigerlich die an sich unbeobachtbaren Bedingungen der Möglichkeit94
hinzu.
100 …bzw. sich (durch diese transzendentale Form der Beobachtung 2. Ordnung) beobachten
lässt bzw. immanent wird…
101 Ebenso wie das Medium oder auch die Potentialität und einige andere, an sich unbeobacht-
bare Seiten von Differenzen dieser speziellen Form (…)
102 …der jeweils anderen, beobachtbaren Seite, speziell hier: der Extrinsik.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 46
(Wikipedia 2015a)
Und eine ebenso nur assoziative Einstimmung zum Begriff der Extrinsik:
„Extrinsisch bedeutet von außen her (angeregt), nicht aus eigenem Antrieb
erfolgend. Das Wort extrinsisch stammt von dem lateinischen extrinsecus
und wird allgemein verwendet um äußere Faktoren oder Motivationen zu
beschreiben.“
(Wikipedia 2015b)
1. „von außen“
Obwohl natürlich weder Wikipedia noch Wiktionary als wissenschaftliche Quellen gelten
können, genügen diese Ausschnitte der Definitionen m.E. zunächst völlig, um die ersten
Assoziationen zu den Wortbedeutungen bzw. Wortherkünften herzustellen.103 Der Begriff
der Extrinsik ist, so verstanden, ein einseitiger Begriff, weil nach dieser einfachen Defi-
nition hier nur das Außen beobachtet wird, ein Innen scheint nicht relevant zu sein. Be-
sonders die spätlateinische Bedeutung bringt die Sache auf den Punkt: Hier geht es um
einen Begriffsverständnis, das m.E. weder der Sache an sich, geschweigenden der Sa-
che in sich, gerecht wird. Aber ich verstehe die beiden Begriffe ohnehin im Kontext der
ST bzw. der ATS.
Es wurde ausführlich über das Verhältnis von System und Umwelt und von Immanenz
und Transzendenz gesprochen. Wiederholt wurde darauf hinzuweisen, dass das System
103 Weder in Höffe (2008), noch in Prechtl & Burkard (2008) aber auch nicht in HWPh (1971-
2007) ist explizit etwas über die Extrinsik bzw. die Intrinsik zu finden. Diese zugegebenerma-
ßen unwissenschaftlichen Zitate von Wikipedia bzw. Wiktionary erfüllen m.M.n. aber zumin-
dest als assoziative Einstimmung hier ihren Zweck, zumal es im Folgenden auch darum geht,
dieses einfache Verständnis, speziell der Extrinsik, zu überwinden bzw. eben zu transzendie-
ren.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 47
sozusagen als sinnförmige Beobachtung in Aktion und auch jede Form von Immanenz
ebenso als System, also als sinnförmige Beobachtung, verstanden werden kann und
alles, was eben nicht System ist bzw. alles, was nicht Immanenz ist, konsequenterweise
der eigentlichen Umwelt des Systems zugeordnet werden kann, die insofern mit der ei-
gentlichen Transzendenz gleichgesetzt werden kann, als dass sie, ebenso, wie die ei-
gentliche Umwelt des Systems, die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung
der Möglichkeit des Systems, auch in der Form der Immanenz, ist, und zwar auch dann,
wenn gerade die Umwelt des Systems oder die Transzendenz (unausweichlicherweise
immanent bzw. systemintern) beobachtet wird.
Nun haben wir es mit einer neuen Differenz zu tun. Der von Extrinsik und Intrinsik, sozu-
sagen das Außen bzw. das „an sich“ und das Innen bzw. das „in sich“ einer Sache, eines
Dings oder Phänomens, kurz: einer Beobachtung.
Wenn, und davon denke ich kann man im Sinne der ST und der ATS ausgehen, sowohl
die Extrinsik, als auch die Intrinsik, einschließlich der jeweiligen Sache, des jeweiligen
Dings oder Phänomens, auf das diese Begriffe Bezug nehmen, eben auch sinnförmige
Beobachtungen104 sind, dann müsste vor dem Hintergrund der letzten Kapitel eigentlich
klar sein: Die Einheit der Differenzen von Extrinsik und Intrinsik ist Extrinsik. Denn das
„in sich“ der Intrinsik ist nur „an sich“, also extrinsisch beobachtbar. Beobachtung scheint
also nicht nur sinnförmig und immanent zu sein, sondern auch stets extrinsisch. Denn
jedes Innen ist stets nur wie von außen beobachtbar.105 Die beobachtete Intrinsik ist also
zwangsläufig stets eine Form der Extrinsik und die eigentliche Intrinsik ist m.E. die un-
beobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik. Dies
wird aber nur dann immanent bzw. beobachtbar, wenn man die einseitige zweiseiten-
form von Extrinsik und Intrinsik transzendiert und dadurch erkennt, dass die Intrinsik nur
dann ein transzendentaler Begriff bzw. eine transzendentale Beobachtung ist, wenn sie
auf die eigentliche, „an sich“ unbeobachtbare106 Intrinsik verweist.
Analog zu Fuchs (1997, S.71-72) könnte man sagen: Der Bezug auf Intrinsik ist Extrinsik,
wobei die Intrinsik so beobachtet wird, als würde sie von Innen observiert: Welt wird auch
hier durch sich selbst dupliziert. In diesem Falle, wäre sie Außen (Extrinsik) und Innen
(Intrinsik) im Außen (Extrinsik). (Vgl. Fuchs 1997, S.71-72)
Die Ähnlichkeit der Unterscheidung von Extrinsik und Intrinsik zu der innerhalb der ST
bzw. der ATS sehr wichtigen Unterscheidung von Fremdreferenz und Selbstreferenz
liegt nahe:
104 Hier lohnt ggf. der Vergleich mit Kapitele 4 oder auch mit Kapitel 5.1 bis 5.3, um sich die
Definition des Begriffes der Beobachtung nochmal zu vergegenwärtigen. Insbesondere der, in
der Folge von Zügen der Operation der Beobachtung ausgeführte Zug der Referenz, also dem
Beziehen auf etwas, dass dann der (zuvor) beobachteten Sache, dem Ding oder Phänomen,
sozusagen „an sich“ zugeschrieben wird, ist hier für das Verständnis der Beobachtung als eine
unweigerlich zu Formen von Extrinsik führenden Operation wichtig.
105 Es ist aber m.E. „in sich“ nicht-sinnförmig wahrnehmbar!
106 (…) weil: „ins sich“ (…)
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 48
Selbst dann, wenn ein System sich explizit auf sich selbst bezieht, ge-
schieht dies so, als bezöge es sich auf sich selbst wie auf ein Nicht-es-
selbst.
Das lässt sich m.E. auch auf die Beobachtung von Extrinsik und Intrinsik übertragen:
Wann immer Intrinsik beobachtet wird, wird diese beobachtet, wie etwas „an sich“, das
die eigentliche Intrinsik (in sich) aber ja gerade nicht ist. Ich denke damit wird nachvoll-
ziehbar, dass die Intrinsik stets nur als eine Form von Extrinsik beobachtet werden kann.
Ich würde hinzufügen, dass die eigentliche Intrinsik (ins sich) nur durch nicht-sinnförmige
Wahrnehmung zugänglich ist, die zwar an sich sinnförmig nachbeobachtet werden kann,
dann aber eben keine nicht-sinnförmige Wahrnehmung mehr ist, und sich auch nicht
mehr unmittelbar auf die eigentliche Intrinsik (in sich) bezieht, sondern Intrinsik, durch
Beobachtung, als eine Form von Extrinsik (an sich) rekonstruiert. Ebenso, wie die ei-
gentliche Umwelt des Systems oder die eigentliche Transzendenz die an sich unbeo-
bachtbare aber eben auch notwendige Bedingung der Möglichkeit für jede Form von
Beobachtung bzw. System bzw. Immanenz ist, so ist m.E. auch die eigentliche Intrinsik
die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von
Extrinsik.
Anderenfalls wären unsere Beobachtungen, wäre Extrinsik, sozusagen hohl. Das Außen
wäre ohne sein Innen. Wir lebten dann in einer Welt der zweidimensionalen Oberflächen,
eine Art Flachlandwelt, ohne jede Tiefe. Ich denke es ist klar, und auch völlig mit der ST
bzw. der ATS vereinbar, dass dem nicht so sein kann. Ebenso, wie jede Oberfläche in
einer (min.) dreidimensionalen Welt ein Inneres jenseits der Oberfläche voraussetzt,
setzt jede Form von Extrinsik die eigentliche Intrinsik (in sich) notwendigerweise voraus
und die ist eben an sich unbeobachtbar. Man könnte sich vorstellen, dass man, um das
Innere, das jenseits einer Oberfläche liegt, beobachten zu können, die Oberfläche ab-
trägt, in der Hoffnung, dann das Innere beobachten zu können. Das mag beispielsweise
in der Archäologie oder anderen Disziplinen durchaus seinen Zweck erfüllen, aber sys-
temtheoretisch oder allgemein erkenntnistheoretisch gesehen, ist das völlig absurd,
denn der Abtrag von Oberflächen produziert nur immer neue Oberflächen und die sind
eben Oberflächen und nicht das, was jenseits von Oberflächen liegt.
Zusammenfassung:
1. Die Einheit der Differenz von Extrinsik und Intrinsik ist Extrinsik.
2. Die Transzendenz der einstigen Zweiseitenform von Extrinsik und Intrinsik lässt
die an sich beobachtete Intrinsik, als transzendentalen Begriff bzw. als transzen-
dentale Beobachtung immanent werden, eben weil diese auf die an sich unbeo-
bachtbare, eigentliche (transzendente) Intrinsik (in sich) verweist.
3. Die eigentliche Intrinsik ist die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedin-
gung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 49
die eigentliche
INTRINSIK
„in sich“
Extrinsik
„an sich“
Intrinsik
Extrinsik „an sich“
„an sich“ beobachtetes
„in sich“
Analog zu den Differenzen von System und Umwelt108 lässt sich m.E. -wie bereits aus-
geführt- auch die von Extrinsik und Intrinsik transzendieren. Ebenso, wie die eigentliche
Umwelt des Systems oder die eigentliche Transzendenz an sich unbeobachtbar sind
aber systemintern rekonstruiert beobachtet werden können, kann auch die Intrinsik sys-
temintern rekonstruiert beobachtet werden, der dann -wenn man es denn dabei belässt-
aber ein Aspekt, der die Intrinsik eben ausmacht, fehlt.
Wer diese Differenz an dieser Stelle, bzw. in diesem Moment nicht transzendiert, kommt
vielleicht, wie ich beispielsweise Dieter Birnbacher verstehe (Vgl. Kapitel 9.3.2; Vgl. Birn-
bacher 1996, S.59-60), zu dem Schluss, dass die Einheit der Differenz von Extrinsik und
Intrinsik jene einfache einseitige Form der Extrinsik im Sinne von Wikipedia ist.109 Die
Einheit der Differenz wird in diesem110 Falle aber gerade nicht durch die Transzendenz
bzw. das Transzendieren dieser Differenz immanent, also den Dreischritt im Sinne der
dialektischen Aufhebung Hegels, die einerseits zwar die Negation einer Seite vollzieht,
aber sie eben, im systemtheoretischen Sinne gesprochen, weiterhin mitsieht, sie also
aufbewahrt und letztlich in einen höheren Sinnzusammenhang (m.E. letztlich also in eine
Form der Beobachtung 2. Ordnung), integriert, nein, sondern diese nicht transzendierte
Differenz von Extrinsik und Intrinsik stellt ihre Einheit allein durch die Negation der
Intrinsik her.
EXTRINSIK
Extrinsik Intrinsik
Abbildung 9: Die Extrinsik als Einheit durch die bloße Negation der Intrinsik
Diese Negation ist nicht direkt „falsch“, sie ist (in Sinne der Möglichkeit) genauso kontin-
gent wie die Immanenz der Einheit der Differenz, die sich aus der Transzendenz der
einseitigen Zweiseitenform ergibt, ich denke nur, letztere sieht wesentlich mehr (eben
zugleich auch den konstitutiven Rahmen), und zwar ohne einfach nur zu negieren, son-
dern durch das Negieren und zugleich das Aufbewahren (beider Seiten der Differenz)
und die Integration in einen höheren, komplexeren Zusammenhang. Beobachtet man
die Extrinsik als das Gegenteil der Intrinsik, wobei die Intrinsik dann ja gerade nicht ir-
gendeine Form der Extrinsik sein kann, wird -wie ich meine eben durch das Transzen-
dieren dieser speziellen einseitigen Zweiseitenform- die Einheit der Differenz als
Extrinsik immanent und zwar ohne die Negation der Intrinsik als die an sich unbeobacht-
bare und notwendige Bedingung dieser Möglichkeit.
5.7.3 Inhärenz
Der Begriff der Inhärenz kommt aus dem Lateinischen („lat. Inhaerere“) und kann mit „an
etwas haften“ übersetzt werden (Vgl. Prechtl & Burkard 2008, S. 269). Inhärenz kann
zudem als „die Beziehung zwischen Akzidenz und Substanz in einer wahren elementa-
ren Aussage“ (Prechtl & Burkard 2008, S. 269) verstanden werden. Der Begriff Akzidenz
kommt wiederrum vom lateinischen „accido: sich ereignen oder zu- bzw. niederfallen“
(Prechtl & Burkard 2008, S.16) und meint “das Nicht-Notwendige, im Gegensatz zum
Wesentlich-Substanziellen“ (Prechtl & Burkard 2008, S.16). Der Begriff der Substanz,
von griechisch ousia (Vgl. Prechtl & Burkard 2008, S. 591), „ist nach Aristoteles das, was
im eigentlichen Sinne seiend ist“111 (Prechtl & Burkard 2008, S. 591).
Auch an dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass das System ja sozusagen
als die Beobachtung in Aktion verstanden wird und Beobachtung ist sinnförmig, im Ge-
gensatz zur nicht-sinnförmigen Wahrnehmung.112 Die (eigentliche) Umwelt des Systems
ist dabei all das, was nicht System ist. Diese nicht-sinnförmige Wahrnehmung kann man
m.E. als einen Teilaspekt der (eigentlichen) Umwelt des Systems beobachten, die ich ja
als die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit der sinnför-
migen Beobachtung, und damit eben des Systems, verstehe (Vgl. Kapitel 5.6).113
111 Hier ist ein erster Hinweis notwendig, damit nicht der Eindruck entsteht, es ginge mir um ein
rein ontologisches Verständnis. Man kann davon ausgehen, dass Aristoteles dieses „ist“ on-
tologisch gemeint haben mag, ich verstehe es aber nicht so, sondern eher im Sinne der fun-
gierenden Ontologie. Viel interessanter ist hier die Formulierung „im eigentlichen Sinne“, die
an dieser Stelle an die eigentliche Umwelt (des Systems) erinnern könnte und der hier ange-
sprochene Sinn würde sich dann nicht auf Formen von Sinn beziehen (also auf Beobachtung),
sondern auf das Medium Sinn, das für jede Form von Beobachtung und damit System, an sich
unbeobachtbare und notwendig Bedingung der Möglichkeit ist. (Vgl. Kapitel 4)
112 Analog zu Fuchs und wohl im Widerspruch zu Luhmann, der meines Wissens Wahrnehmung
noch als sinnförmige Operation der Psyche verstanden hatte. (Vgl. Kapitel 4)
113 Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass man nicht-sinnförmige Wahrnehmung zwar sinnförmig
nachbeobachten kann, sie dann aber -aktuell- keine nicht-sinnförmige Wahrnehmung mehr
ist. Vielmehr wäre sie in diesem Falle die an sich unbeobachtbare, notwendige Bedingung der
Möglichkeit der Beobachtung, die im Nachhinein etwas Sinnförmiges operiert (beobachtet),
was an sich nicht sinnförmig ist.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 52
Zum Verständnis hilfreich kann auch die Unterscheidung von „Sinnenwelt“ und „Ver-
standeswelt“ sein, in deren Kontext auch der Begriff „ousia“ klarer wird.
„KANT unterscheidet die «Sinnenwelt» [S.] von «einer Welt ..., die ... nur
dem Verstände spürbar ist» […]. Diese Unterscheidung entspricht der
prinzipiellen «Unterscheidung einer S. von der Verstandeswelt» [V.] in der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten […]. Die Unterscheidung zweier
Welten stammt nicht von Kant, sondern geht letztlich auf PHILON VON
ALEXANDREIA zurück; der nämlich unterscheidet einen kosmos aisthtos
[k.ai. = S.] von einem kosmos nohtos [k.n. = V.].“
114 Beim Historischen Wärterbuch der Philosophie (HWPh 1971-2007) handelt es sich um ein
digitales Medium (DVD), die alle Bände (1-13) enthält. Die erste Seitenangabe bezieht sich
auf die digitale Version, in der die Seiten durch die einzelnen Bände fortlaufen, die zweite
Angabe bezieht sich auf den jeweiligen Band und die Seitenanzahl innerhalb des Bandes.
Beide Angaben betreffen jedoch ein und dasselbe Medium und ein und dieselbe Stelle.
115 Konstruktivisten würden hier eher die Konstruktion der Beobachtung betonen, Vittorio Hösle
würde mit seinem objektiven Idealismus sicher die Beobachtung eher als Konstitution verste-
hen. M.E. ist die Umwelt des Systems bzw. die Intrinsik, als unbeobachtbare und notwendige
Bedingung der Möglichkeit jeder Form von System bzw. Extrinsik (inkl. Inhärenz), durchaus
konstitutiv, die sinnförmige Beobachtung zudem aber unweigerlich auch Konstruktion, in die-
sem konstitutiven Rahmen.
Beispielsweise würde ich meinen, die (an sich unbeobachtbare und notwendige) Bedingung
der Möglichkeit der Beobachtung eines Baumes konstituiert diese Möglichkeit, die sinnförmige
Beobachtung „Baum“ ist aber m.E. dennoch eine Konstruktion, wenn auch notwendigerweise
im Rahmen der Bedingungen dieser Möglichkeit, was jede Form von Solipsismus also aus-
schließt. Einen Baum mag man auch als „Katze“ bezeichnen können, das ändert aber nichts
an den Bedingungen der Möglichkeit dieser Beobachtung und auch nichts an den nicht-sinn-
förmigen Wahrnehmungen, die dieser Beobachtung vorausgehen.
116 Wiederrum vorausgesetzt, man hat die Einseitige Zweiseitenform, in diesem Falls von Inhä-
renz im Sinne der Differenz von Akzidenz und Substanz, transzendiert.
5 Eine Konstruktion der Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität 53
Inhärenz ist -und das dürfte auch unabhängig von ST und ATS als gesichert gelten- eine
Form der Extrinsik. Inhärenz aktualisiert die Differenz von Akzidenz und Substanz, wobei
aus Sicht der ST bzw. der ATS, sowohl Akzidenz, als auch Substanz, sozusagen an sich
extrinsische (sinnförmige) Beobachtungen sind. Die Substanz, die da beobachtet wird,
ist also in ihrer konkreten Ausgestaltung kontingent, also nicht notwendig, wie jede Form
der Beobachtung, und damit nicht die eigentliche Substanz, also das, was „im eigentli-
chen Sinne [in sich] seiend ist“ (Prechtl & Burkard 2008, S. 591, [Einschub] hinzugefügt).
Beobachtungen sind Formen im Medium Sinn, deshalb sind sie stets sinnförmig, deshalb
sind sie System. Es gibt aber im System keine eigentliche Substanz, ebenso wenig, wie
es ein Medium im System gibt, das nicht immer schon beobachtete Form ist. Im System
gibt es nur sinnförmige Beobachtung, also auch nur beobachtete Substanz, sozusagen
Akzidenz in Form des Substanziellen. Die Einheit der Differenz von Akzidenz und Sub-
stanz ist Akzidenz. Die eigentliche Substanz ist also an sich unbeobachtbar, sie ist sinn-
förmiger Beobachtung nicht zugänglich, sondern nur der nicht-sinnförmigen Wahrneh-
mung, und die nicht-sinnförmige Wahrnehmung ist als Teilaspekt der (eigentlichen) Um-
welt des Systems, unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder
Form von System, jeder Form von Beobachtung. Insofern ist also auch die eigentliche
Substanz die an sich unbeobachtbare aber notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder
Form von Inhärenz.
Und eben weil die Intrinsik, die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der
Möglichkeit jeder Form von Extrinsik und Inhärenz eben eine Form von Extrinsik ist, setzt
auch jede Form von Inhärenz die Intrinsik notwendigerweise voraus. Und genau diese
Intrinsik führt die Inhärenz mit und zwar m.E. in Form des transzendentalen Begriffs bzw.
der transzendentalen Beobachtung der Substanz, die aber -die Transzendenz der ein-
seitigen Zweiseitenform vorausgesetzt- die an sich unbeobachtbare eigentliche Sub-
stanz meint.
Zusammenfassung:
Extrinsik in
die eigentliche
Form von
INTRINSIK
Inhärenz
im Sinne der
unbeobachtbaren
Die eigentliche
und notwendigen
Akzidenz Substanz Substanz Bedingung
der Möglichkeit
jeder Form von
Extrinsik
die eigentliche
INTRINSIK
Extrinsik in
Form von
Inhärenz
Akzidenz Substanz
5.7.4 Inhärenz als konkave Form der Extrinsik und Instrumentalität als
konvexe Form von Inhärenz
Die Inhärenz (als eine Form von Extrinsik) ist insofern konkav, also nach Innen gewandt,
als dass sie sich zwar direkt auf die Substanz (in Form der Beobachtung einer Sache,
eines Dings oder Phänomens) bezieht, diese Substanz aber eine transzendentale Be-
obachtung ist, die auf die eigentliche (transzendente) Substanz und damit auf die
Intrinsik verweist, also sozusagen aus dem System hinaus weist. Insofern setzt jede
Form von Inhärenz nicht nur Intrinsik voraus, sie bezieht117 sich auch auf diese.
Instrumentalität verstehe ich im Sinne des Mittels zum Zweck. Hierbei wird also eine
Sache, ein Dings oder Phänomen, was im Kontext der ST bzw. der ATS natürlich als
Beobachtung verstanden wird, als Mittel zu einem bestimmten Zweck instrumentalisiert.
Wichtig ist herbei, dass die Instrumentalisierung, die vornehmlich auf den Zweck gerich-
tet ist, also sozusagen von der Sache, dem Ding oder Phänomen, quasi konvex nach
außen, weg von der Sache, hin zum Zweck, gerichtet ist, diese Sache, dieses Ding oder
Phänomen, aber dennoch stets notwendigerweise voraussetzt.118 Ohne diese Sache,
dieses Ding oder Phänomen, welches zu einem Zeck instrumentalisiert werden soll,
kann diese Sache, dieses Ding oder Phänomen kein Mittel sein, um irgendeinen Zweck
zu erfüllen. Das Mittel ist so gesehen also auf einen Zweck, quasi nach außen gerichtete,
konvexe Akzidenz aber die muss sich notwendigerweise auch auf Substanz beziehen,
die wiederrum, vorausgesetzt man hat die einseitige Zweiseitenform transzendiert, als
transzendentaler Begriff bzw. als transzendentale Beobachtung auf Intrinsik, also ihre
an sich unbeobachtbare aber notwendige Bedingung verweist. Dass das im Falle der
Instrumentalisierung so i.d.R. wohl eher nicht nachvollzogen wird, ändert daran nichts,
auch wenn es vielleicht einige Fehlschlüsse (Negation der Intrinsik, Marginalisierung der
Inhärenz) einiger utilitaristischer Denker119 erklären könnte. Ich denke also, jede Instru-
mentalisierung setzt die als Mittel instrumentalisierte Sache (bzw. das Ding oder Phäno-
men) und damit auch Inhärenz voraus. Diese Beobachtung (in Form des auch inhären-
ten Mittels) ist demnach beobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder
Instrumentalisierung.
Die eigentliche
Mittel
Zweck (Intrinsik)
Und weiter:
120 Eine These, die auch Herr Prof. Dr. Wörz vertritt, nach dem sich Ethik und Moral (assoziativ)
verhalten wie Theorie und Praxis, Moral also (quasi praktisch) urteilt, während die Ethik (quasi
theoretisch) begründet.
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 58
Luhmann mag damit konkrete Werte, im Sinne konkreter moralischer Urteile meinen,
nicht das, worum es hier geht, nämlich eine grundsätzliche Unterscheidung von be-
stimmten Wertetypen, die eine wie auch immer konkretisierte, inhaltlichen Ausgestaltung
zunächst völlig offen lassen. Es geht also vorerst nicht darum zu sagen, dieses oder
jenes sei, wie auch immer geartet, wertvoll, sondern darum, zu unterscheiden, welche
Formen von Wertetypen überhaupt beobachtbar sind und die Konsequenzen zu unter-
suchen, die sich ergeben, wenn man dann doch einmal sagt, dieses und jenes sein in
der ein oder anderen Form wertvoll. Mir geht es, im Sinne Luhmanns, gerade um die
Konstruktion bzw. Beobachtung konstitutiv-kontingenter, keineswegs absoluter Wahr-
heiten, sondern es geht gerade um deren Herleitung und Begründung, die dann eben
doch „bestritten und geprüft werden“ (Luhmann 1998, S.343) können und sollen, nicht
um Unterstellungen, die allein „durch Anspielung aktualisiert“ (Luhmann 1998, S.343)
werden. Es geht auch nicht um „Unbezweifelbarkeit“ (Luhmann 1998, S.343), sondern
um die Unterscheidung bestimmter Typen von Wertebeobachtungen und die Konse-
quenzen ihrer in Beziehung Setzung.
Das sind also zwei völlig verschiedene Welten, die formal scheinbar den gleichen (hier
instrumentellen) Wertetyp bezeichnen, aber doch auf völlig verschiedene Beobachtun-
gen bzw. Konstruktionen der verschiedenen Wertetypen zurückgreifen und diese dem-
entsprechend auch völlig anders zueinander in Beziehung setzten.
Dabei setzte ich allerdings voraus, dass es als unstrittig gelten kann, dass (min.) all dem,
was sowohl als beobachtbare als auch als unbeobachtbare notwendige Bedingung der
Möglichkeit einer bestimmten Wertezuschreibung gelten kann, konsequenterweise auch
ein Wert zugeschrieben werden muss.
Wer also der Erholungsfunktion der Natur einen (extrinsisch-) instrumentellen Wert zu-
schreibt, muss m.E. also auch (min. den notwendigen) Bedingungen, die diese Erho-
lungsfunktion ermöglichen, ebenso einen Wert zuschreiben und wem, beispielsweise
durch eine Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform, die an sich unbeobachtbare
aber notwendige Bedingungen einer bestimmter Möglichkeit immanent wird, der muss
m.E. auch dieser einen Wert zuschreiben.
Wer dagegen Extrinsik für sich isoliert beobachtet, also die Einheit der Differenz von
Extrinsik und Intrinsik durch die Negation der Intrinsik herstellt, der wird dies natürlich
kaum tun oder überhaupt nachvollziehen können. Beide Sichtweisen sind möglich, die
spannende Frage wäre, welche Version integrativer ist und mit den Herausforderungen
des Naturschutzes nachhaltiger umgehen kann?
121 Also sowohl von Inhärenz, als auch allgemein von Extrinsik im Sinne der einfachen Wikipedia
(2015b) Definition, ebenso, wie im Sinne von Instrumentalität.
122 Also sowohl rein instrumenteller Werte, als auch inhärenter Werte.
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 60
Beobachtet man nun dementsprechend bestimmte Wertetypen, würden m.E. also die-
selben Beziehungen gelten.
Auch wenn der instrumentelle Wert also in seiner (konvexen) Zweckgerichtetheit die be-
obachtbaren und unbeobachtbaren, notwendigen Bedingungen seiner Möglichkeit meist
ausblendet, lassen sich diese doch nicht einfach beiseite wischen. Auch wenn der in-
strumentelle Wertetyp oft als der einfachste verstanden wird, setzt er m.E. doch die meis-
ten (notwendigen) Bedingungen seiner Möglichkeit voraus, eben sowohl Inhärenz als
auch Intrinsik, und die müssten m.E. ebenso einen Wert haben, wie der zweckgerichtete
instrumentelle Wert selbst.
Wer Natur nur als Mittel zum Zweck, beispielsweise für Erholung, einen Wert zuschreibt,
ignoriert m.E. völlig unzulässigerweise, dass diese Natur nur deshalb so erholsam ist,
weil sie eben noch sehr viel mehr, als nur erholsam ist. Natur, die nicht auch inhärenter
Selbstzweck und indifferente Intrinsik ist, wäre m.E. keine Natur. Rein instrumentelle
Natur ist m.E. nicht Natur, sondern Kultur. Die Einheit der Differenz von Natur und Kultur
mag man (in einem konstitutiven Rahnem) als Kultur konstruieren, das sehe ich auch
so, wenn diese Einheit aber durch die Negation von (eigentlicher) Natur zustande
kommt, also sozusagen durch die bloße Funktionalisierung des Unfunktionalen (Vgl.
Birnbacher 1996, S.59; Vgl. Kapitel 9.3.2), dann wäre das m.E. eine sehr unterkomplexe
Sichtweise, die dahingehend dysfunktional ist, Differenzen bzw. einseitige Zweiseiten-
formen zu transzendieren, und stattdessen Einheiten durch bloße Negation herstellt und
damit völlig die beobachtbaren und unbeobachtbaren, notwendigen Bedingungen dieser
Möglichkeit ausblendet. (Vgl. Kapitel 12.3 und 12.4)
Dabei ist es nicht das Ziel, diesen einseitig verstandenen instrumentellen Wertetyp selbst
zu negieren, sondern ihn in einen größeren Komplexitätszusammenhang zu integrieren.
Ich denke also nicht, dass diese einseitige Instrumentalität vollkommen „falsch“ ist, sie
mag in einigen Fällen sogar recht funktional sein, ich denke nur, sie ist recht kurzsichtig,
m.E. zu kurzsichtig, um langfristig nachhaltig sein zu können, denn jede Instrumentalität,
die die beobachtbaren und unbeobachtbaren, notwendigen Bedingungen ihrer Möglich-
keit negiert wird auf Dauern dysfunktional.124
Der inhärente Wert ist also eine Zuschreibung, die sich (in Form von Akzidenz) direkt
auf die Substanz bezieht, und die ist, die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform
vorausgesetzt, ein transzendentaler Begriff bzw. eine transzendentale Beobachtung, die
letztlich eben auf Intrinsik verweist. Jede Form von Inhärenz, und damit auch der inhä-
rente Wert, setzt eine entsprechende Form von Intrinsik voraus, in diesem Falle eben
einen entsprechenden intrinsischen Wert, was auch im Falle der Beobachtung von inhä-
renten Werten sicher oft nicht mitbeobachtet bzw. mitgesehen wird. Was nicht direkt
verwundert, denn die Intrinsik ist m.E. eben die an sich unbeobachtbare und notwendige
Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik, also auch jeder Form von Inhärenz,
einschließlich der Beobachtung bzw. Zuschreibung inhärenter Werte. Die Inhärenz
selbst ist dabei die beobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form
von Instrumentalität, insofern macht ein instrumenteller Wert also ohne einen entspre-
chenden inhärenten Wert keinen Sinn125.
124 Beispielsweise im Falle des massiven Antibiotikaeinsatzes in der, kurzfristig betrachtet, hoch-
funktionalen Massentierhaltung, die langfristig aber zu Resistenzen und Anfälligkeiten führt
und somit mit steigender Instrumentalisierung und scheinbarer Funktonalität, zunehmend Be-
dingungen schafft, die die Möglichkeit ihrer eigenen Dysfunktionalität immer wahrscheinlicher
machen.
125 Vgl. Kapitel 4, Sinn als Differenz von Aktualität und Potentialität.
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 62
Wenn also der instrumentelle Wert (in gewisser Weise) kontingent, also nicht notwendig
ist, die Sache selbst, also die Substanz, dieses „Etwas“, das instrumentalisiert werden
soll, aber als beobachtbare Bedingung notwendigerweise Voraussetzung ist für jede In-
strumentalisierung, dann, denke ich, müsste Kant recht behalten, wenn er prinzipiell da-
von ausgeht, dass der Selbstzweck das grundsätzlich entscheidendere Kriterium für mo-
ralisches Handeln sei und eben nicht der rein instrumentelle Wert einer Sache, als Mittel
zum Zweck.126 (Vgl. Kant, [1785] 1965, S.56, 65; in Gorke 2010, S. 111)
Transzendiert man die einseitige Zweiseitenform von Extrinsik und Intrinsik und wird die
Einheit dieser Differenz als Extrinsik immanent, wird in diesem Zuge eben zudem die
Intrinsik als die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit je-
der Form von Extrinsik bewusst. Demnach würde die Intrinsik also jeder Form von
Extrinsik (also auch Inhärenz und Instrumentalität) notwendigerweise vorausgehen, wo-
bei die Wertebeobachtung aber scheinbar intuitiv eher vom rein extrinsisch-instrumen-
tellen Mittel zum Zweck ausgehend, sich nur langsam über den Selbstzweck und die
Inhärenz hin zum Komplexeren (quasi integrativ aufsteigend zurück-)entwickelt. (Vgl.
Abbildung 13 und 14)
Werte sind Zuschreibungen, sozusagen von außen, an etwas. Ich denke, dieses „etwas“
bezieht sich im Falle der Beobachtung von inhärenten Werten auf die Substanz (z.B.
den Menschen, eine bestimmte Art, den Boden, usw.), genau genommen aber zugleich
auch auf die eigentliche Substanz. Intrinsische Werte sind auch Zuschreibungen, über
sie wird kommuniziert, sie werden beobachtet, angeheftet an etwas, aber der entschei-
126 Und bereits hier scheiden sich die Geister, denn für glühende Verfechter des Utilitarismus
wäre das wohl bereits unannehmbar.
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 63
dende Unterschied besteht darin, dass dieses „etwas“, dem der intrinsische Wert zuge-
schrieben wird, eben kein etwas ist. „Es“ ist nicht beobachtete Substanz, sondern eigent-
liche Substanz127, „es“ ist sozusagen die an sich beobachtete aber in sich eben unbeo-
bachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit von „etwas“, einschließlich der
Beobachtung und der Wertezuschreibung selbst. Und wenn etwas einen Wert hat, dann
muss m.E. auch (min.) die notwendige Bedingung der Möglichkeit von „etwas“ einen
Wert haben. Der intrinsische Wert ist und bleibt eine Zuschreibung, aber dieses „etwas“,
dem der Wert zugeschrieben wird, ist in diesem Falle nur eine Art Platzhalter, ein extrin-
sischer Stellvertreter oder Link, der ebenso über die Extrinsik hinaus, „in“ die Intrinsik
verweist, wie die systemintern rekonstruierte (beobachtete) Umwelt des Systems auf die
an sich eben gerade unbeobachtbare, eigentliche Umwelt des Systems verweist oder
die Transzendenz, notwendigerweise immanent beobachtet, doch eigentlich gerade die
an sich unbeobachtbare Transzendenz meint, die eben gerade nicht Immanenz ist.
Und dieses „etwas“, das allein schon deshalb, weil man es „etwas“ nennt, schon „etwas“
ist, dass aber „kein etwas“, im Sinn der an sich unbeobachtbaren Bedingung der Mög-
lichkeit von „etwas“, meint, das hat den intrinsischen Wert, den ich meine.128
Wenn man beispielsweise vom Wert der Bodenfruchtbarkeit spricht, oder von dem der
Resilienz oder Biodiversität, dann sind das natürlich feste Begriffe, unter denen sich je-
der „etwas“ (z.B. bestimmte Arten, bestimmte Ökosysteme, bestimmte Prozesse) vor-
stellen kann, dann hat sicher dieses „etwas“, eben weil es „etwas“ ist, einen jeweils in-
härenten Wert oder Selbstzweck und ggf. auch einen instrumentellen Wert als Mittel zu
irgendeinem Zweck. Sich dazu aber keine untrennbar damit verknüpften, intrinsischen
Werte vorstellen zu können, die sich auf all die aktuell unbeobachteten bzw. an sich
unbeobachtbaren aber notwendigen Bedingungen der Möglichkeiten dieser inhärent
(und ggf. auch noch instrumentell) wertvollen Dinge bzw. Phänomene beziehen, das
wäre doch wohl „a serious underestimate of infinity“ (Toman 1998, S.58).
(zunehmend komplexere Bedingungen der Möglichkeiten, die aber nicht unbedingt mitbeobachtet werden)
Extrinsik
2
6 4 3
5 Inhärenz Intrinsik
(beobachtete) eigentliche
Mittel
7 8 10
transzendentaler EIGENWERT 12
10
8
3
3
7
4 4
6
6
7
7
8 8
6
10 10
4
3
Intrinsik
II. Die rekursive Beobachtung bzw. Zuschreibung von Werten (Integration der
Werte-Beobachtung):
7. Jede Form eines instrumentellen (zweckgerichteten) Wertes nimmt not-
wendigerweise Bezug auf Inhärenz (in Form des Mittels als Aspekt der
Akzidenz).
8. „Innerhalb“ der Inhärenz nimmt jede Form von Akzidenz notwendiger-
weise Bezug auf (beobachtete) Substanz.
9. Damit setzt jeder instrumentelle Wert notwendigerweise einen entspre-
chenden inhärenten Wert voraus.
10. Die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform vorausgesetzt, ist die
beobachtete Substanz ein transzendentaler Begriff bzw. eine transzen-
dentale Beobachtung, die notwendigerweise Bezug nimmt auf die eigent-
liche Substanz und damit auf Intrinsik.
11. Damit setzt jeder inhärente Wert wiederrum notwendigerweise einen ent-
sprechenden intrinsischen Wert voraus.
12. Der intrinsische Wert ist an sich nicht zuschreibbar, er wird aber durch
den transzendentalen Eigenwert (Vgl. Kapitel 6.3.4.3 und Kapitel 12.2)
der jeweils inhärenten Form zugeschrieben, verweist aber zugleich auch
auf die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung dieser Mög-
lichkeit und damit auf Intrinsik und den intrinsischen Wert.
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 67
Die Wertebeobachtung scheint intuitiv von der Instrumentalität, vom sozusagen Nächst-
gelegenen, auszugehend und leider oft auch nicht darüber hinaus zu kommen. Es
scheint so, also würden zunächst die entsprechenden, extrinsisch-instrumentellen Werte
beobachtet werden (Utilitarismus) und erst darauf aufbauend scheinen diese Wertebe-
obachtungen in einen höheren Komplexitätszusammenhang gestellt zu werden, der die
bisherigen Werte (extrinsisch-instrumentelles Mittel zum Zweck) nicht negiert, sondern
integriert (z.B. im Sinne Kants kategorischen Imperativs, besonders deutlich in Form der
Selbstzweckformel). Eine Transzendenz wird erst nötig, wenn man darauf aufbauend
einen Schritt weiter geht und den an sich unbeobachtbaren aber notwendigen Bedingun-
gen der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik, wie ich finde konsequenterweise, auch
einen Wert zuschreibt.
Der transzendentale Eigenwert löst dieses Problem auf und wäre m.E. also der Wert,
der sich dieses Umstands (und damit der Einheit der Differenz von Intrinsik und Extrinsik
bzw. Akzidenz und Substanz) bewusst ist und daher den Wert notwendigerweise in Form
einer Beobachtung an Inhärenz festmacht. Es handelt sich dabei aber nicht „nur“ um
einen inhärenten Wert, sondern um einen inhärenten Wert, der die Transzendenz der
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 68
einseitigen Zweiseitenform (von Intrinsik und Extrinsik bzw. von Akzidenz und Substanz)
berücksichtigt und in Folge dessen zugleich auch der an sich unbeobachtbaren und not-
wendigen Bedingung seiner Möglichkeit (eben der Intrinsik) einen Wert zuschreibt. Letz-
teres wäre eigentlich der intrinsische Wert, nur ist Intrinsik „nicht etwas“, dem irgendein
Wert direkt zugeschrieben werden könnte. Notwendigerweise hat der transzendentale
Eigenwert also dem ersten Anschein nach die Form eines inhärenten Wertes, er geht
aber insofern über den inhärenten Wert hinaus (transzendiert ihn), als dass er den Wert
der Intrinsik, also der an sich unbeobachtbaren und notwendigen Bedingung seien Mög-
lichkeit (und damit den intrinsischen Wert) mitführt.
„Wenn ich etwas behaupte, dann sage ich (der Sprecher) mit etwas (der
Proposition) etwas (Prädikat) über etwas (Referenzobjekt), und dies so,
dass ich mit etwas (performativer Satz) zu etwas (Proposition) einen Gel-
tungsanspruch (etwa der Wahrheit) erhebe, und zwar zunächst gegenüber
der realen Kommunikationsgemeinschaft (bzw. deren Vertretern, die die
gegenwärtige Gesprächssituation mitkonstituieren), dann aber auch ge-
genüber der idealen unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft (auf die
ich Bezug nehme als die Instanz, welche, anders als die reale Kommuni-
kationsgemeinschaft, wirklich imstande ist, das Recht meines Geltungs-
anspruchs adäquat zu beurteilen). Berücksichtige ich irgendeines der auf-
geführten Momente nicht, dann verunglückt meine Behauptung und leistet
nicht, was sie soll“
129 Wie etwa der Holismus dies tut.(Vgl. Kapitel 13.1 und 13.2)
6 Eine Konstruktion des intrinsischen, inhärenten und instrumentellen Wertetyps 69
len kann man m.E. ausgehen, dann ist auch die systemtheoretische Operation der Be-
obachtung sozusagen unhintergehbar normativ. Jede Form der Beobachtung (und damit
jede Form des Sinnsystems) ist und kann nur funktional ein, wenn sie derart operiert,
dass sie sozusagen ihr Sein auf das Sollen der Anschlussrealisierung hin ausrichtet.
Man könnte also zumindest die These aufstellen, dass Beobachtung immer normativ ist,
das Sinnsystem damit also stets auch den notwendigen Bedingungen der Möglichkeit
der Beobachtung bzw. des Systems selbst (min. der Anschlussrealisierung) einen Wert
beimisst bzw. dieser -unabhängig von der konkreten Wertebeobachtung- sozusagen
notwendigerweise „mitschwingt“ und sei es nur deshalb, weil diese Bedingungen der
Möglichkeit der Beobachtung notwendigerweise die Anschlussrealisierung einschließen.
Keine Anschlussrealisierung, keine Beobachtung, kein System. Das autopoietische
Sinnsystem wäre in diesem Falle notwendigerweise normativ gestimmt.130 Dieser Ansatz
kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter verfolgt werden.
Aber selbst wenn man diesen Schritt nicht geht, wäre nach dem transzendentalen
Emergenz- und Werteschemas auch die Beobachtung, und damit das Sinnsystem
selbst, allein schon deshalb wertvoll, weil es die notwendige Bedingung der Möglichkeit
jeder Form von Werte-Beobachtung ist. Und der Grundsatz der in dieser Arbeit aufge-
stellt wurde besteht ja gerade darin, dass allen beobachtbaren und unbeobachtbaren,
notwendigen Bedingungen all dessen, was als wertvoll beobachtet wird, konsequenter-
weise auch ein Wert zugeschrieben werden muss und das schließt, wie gesagt, eben
auch die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Wertebeobachtung selbst mit
ein, also auch die Beobachtung und damit das Sinnsystem.
130 Vielleicht ließe sich damit sogar eine Brücke zu Hösles objektiven Idealismus bauen.
III Birnbachers Konvergenzhypothesen und sein utilitaristisches Werteschema 70
Dieter Birnbacher vertritt also den konsequent utilitaristischen Standpunkt und betont
dementsprechend den instrumentellen Wert von Natur, eine Sichtweise, nach der Natur
in erster Linie als Mittel zum Zweck ein Wert zugeschrieben wird. Im Zuge Birnbachers
Diskussion zu den Konvergenzhypothesen wird dessen Werteschema, also die in Be-
ziehung Setzung der verschiedenen Wertetypen deutlich und er argumentiert dement-
sprechend, dass es letztlich keinen Unterschied macht, ob man intrinsische Werte betont
und sie den extrinsischen (inhärenten und insbesondere den instrumentellen) Werten,
dem Werteschema dessen, was er „Ökologische Ethik“ nennt, folgend, gegenüberstellt.
Vom instrumentellen Wert ausgehend und letztlich eben auch davon abhängig, baut
Birnbacher sein utilitaristisches Werteschema auf, das den inhärenten und den intrinsi-
schen Wert in Abhängigkeit des für ihn zentralen instrumentellen Wertes sieht.
Die eigentliche Diskussion Birnbachers Essays findet in Kapitel 9 vor dem Hintergrund
des in Teil II entwickelten, transzendentalen Emergenz- und Werteschemas statt, wo im
Zuge dieser Diskussion auch Birnbachers utilitaristisches Werteschema deutlich wird,
das in Teil IV nochmal kompakt aufgegriffen und auch graphisch veranschaulicht auf den
Punkt gebracht und dem in Teil II entwickelten, transzendentalen Emergenz- und Wer-
teschema gegenübergestellt wird. (Vgl. Kapitel 11 und 12).
Allen Theorien dieser Form ist also gemeinsam, dass sie das Gute (im Sinne des höchs-
ten Ziels) unabhängig vom Rechten bestimmen, wobei das Rechte das Gute maximiert.
Rawls schreibt hierzu: „Recht sind die Institutionen und Handlungen, die unter den ge-
gebenen Möglichkeiten das meiste Gute erzeugen oder zumindest ebensoviel Gutes wie
irgendwelche anderen Institutionen und Handlungen, die eine reale Möglichkeit sind
(dieser Zusatz ist nötig für den Fall, daß die maximierende Klasse mehr als ein Element
enthält)“ (Rawls 2012, S.42).
Beispiele für das Gute könnten eine göttliche Ordnung (Religion) sein, auch das Ange-
nehme (Hedonismus), das Glück (Eudämonismus), die Verwirklichung der besten
menschlichen Fähigkeiten (Perfektionismus) oder eben auch die Befriedigung von Be-
dürfnissen im Sinne des Nutzens im Utilitarismus, wobei das Gute dabei stets als onto-
logisch gegeben beobachtet wird, also kaum einer Herleitung oder Begründung bedarf,
weil es intuitiv überzeugend wirkt. Das bedeutet aber keineswegs, dass es das immer
und für jeden sein muss oder stets jeder tieferen ethischen Auseinandersetzung stand-
halten kann, es soll aber auch nicht das Gegenteil implizieren. Ganz wertungsfrei ist
lediglich festzustellen, dass das teleologische Gute intuitiv sehr anschlussfähig ist. Das
Rechte ist dabei die Menge der Mittel, mit welcher der Zweck des Guten erreicht werden
soll. Insofern hat hierbei das Gute also vom Grundsatz her Vorrang vor dem Rechten,
denn der Zweck (das Gute) heiligt hierbei ebenso grundsätzlich133 die Mittel und definiert
somit das Rechte, an das vorrangig eine Hauptbedingung gestellt wird: die Maximierung
des Guten. Unter den teleologischen Theorien findet sich die Folgenethik, zu welcher
der Utilitarismus gehört.
Während in teleologischen Theorien grundsätzlich136 jedes Mittel Recht ist, welches das
Gute maximiert, wäre nach einer deontischen Herangehensweise also nur das Mittel
zulässig, was an sich auch als etwas Gutes verstanden werden kann. Freiheit und
Gleichheit Einzelner beispielsweise könnten so nicht zum Wohle einer Mehrheit einge-
schränkt werden, während dies für den Utilitarismus, dessen höchstes Gut das größte
Wohl der größten Zahl (frei nach Bentham; Vgl. Bentham [1775] 1977, S.393) ist, wenn
auch nicht angestrebt, aber eben auch nicht ausgeschlossen ist.
133 Wenn auch nicht zwingenderweise generell, in dem Sinne, dass Ausnahmen oder Nebenbe-
dingungen nicht generell Ausgeschlossen werden.
134 gr.: to deon: das Erforderliche, die „Pflicht“ (Höffe 2008, S.48).
135 Allgemein wird der Begriff „ökologische Ethik“ bisher eher unspezifisch verwendet.
136 Auch hier nicht zwingenderweise generell, in dem Sinne, dass Ausnahmen oder Nebenbedin-
gungen nicht generell Ausgeschlossen werden.
7 Grundunterscheidungen innerhalb der Ethik 73
Das Rechte maximiert das Gute Das Rechte begrenzt das Gute
Der Zweck (das Gute) Die Mittel (das Rechte) müssen selbst
auch einen Zweck (das Gute)
heiligt die Mittel (das Rechte)
an sich haben
Folgenethik Gesinnungsethik
Ausgegangen wird von einer relativ starren Kausalität und damit von prinzipieller Steu-
erbarkeit der Folgen als Wirkung, durch die Handlung als Ursache. Niemand wird be-
streiten, dass man mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, beispielsweise eine
Klausur zu bestehen, wenn man sich entsprechend darauf vorbereitet, denn Im Wesent-
lichen sind hier nur zwei Parteien beteiligt, der Prüfer und der Geprüfte. Der Utilitarismus
funktioniert hier recht gut, wenn er als individuelle Ethik praktiziert wird, also sich in Er-
zählungen psychischer Systeme wiederfindet. Allerdings weitet der Utilitarismus seinen
Gültigkeitsanspruch auch auf das soziale System aus, also die Gesellschaft, und genau
hier wird es problematisch, denn je komplexer das Wirkungsgefüge, desto unsicherer ist
der Ausgang und desto unabsehbarer sind die Folgen der Handlungen bzw. Operatio-
nen. Die Komplexität des sozialen Systems und umso mehr des Sinnsystems (das sozi-
ales und psychisches System integriert) macht Steuerbarkeit im Sinne starrer Kausali-
täten und damit das Absehen von Folgen bzw. das Bestimmen von Ursachen unwahr-
scheinlich, genau dadurch zeichnen sich komplexe Systeme (psychisch wie sozial) aus.
Eben dieser Komplexität wird der rein utilitaristisch Denkende und Handelnde nicht ge-
recht, im günstigeren Falle projiziert er die Handhabbarkeit der Invisibilisierung psychi-
scher Komplexität auf das weit komplexere soziale System, im schlechteren Falle redu-
ziert er generell Komplexität auf die Beobachtung starrer Kausalität, in jedem Falle setzt
er dadurch sich (psychisch), und umso schlimmer, uns (sozial) den Risiken dieser Ver-
einfachung aus. Um nicht falsch verstanden zu werden: Dieses Risiko besteht immer,
jedoch ist es sinnvoll, dieses Risiko zu kennen und hin und wieder mitzubeobachten.
So spielt die Verteilungsgerechtigkeit keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Im Uti-
litarismus ist es nicht entscheidend, „wie diese Summe der Befriedigungen über die ein-
zelnen Menschen verteilt ist; ebenso, wie es höchst mittelbar eine Rolle spielt, wie ein
Mensch seine angenehmen Erlebnisse zeitlich verteilt“ (Rawls 2012, S.44), solange nur
der Nutzen als Summe maximiert wird. „Doch an sich ist keine Verteilung der Befriedi-
gung besser als eine andere, nur daß die gleichmäßigere vorzuziehen ist, wenn sonst
keine Unterscheidung möglich ist“ (Rawls 2012, S.44). Der reine Bilanzierungsgedanke
(Vgl.: Konsequenzprinzip, Kapitel 8.1) im Hinblick auf die Nutzenmaximierung schließt
es also kategorisch nicht aus, dass „größere Vorteile einiger nicht geringere Nachteile
anderer aufwiegen sollten; oder noch wichtiger: warum die Verletzung der Freiheit eini-
ger weniger nicht durch das größere Wohl vieler gutgemacht werden könnte“ (Rawls
2012, S.44).
Dieses utilitaristische Prinzip scheint umso besser zu funktionieren, wenn es einher geht
mit der bereits angesprochenen unreflektierten Invisibilisierung von Komplexität und eine
Tendenz dazu scheint vorhanden zu sein. Der Utilitarismus ist sicher eine völlig berech-
tigte ethische Theorie, solange er in psychischen Systemen einen Teilaspekt der Selbst-
erzählungen bestimmt, die sich auf den engen Kreis der einigermaßen sicher absehba-
ren und damit beherrschbaren Wirkungen des eigenen Beobachtens, Denkens bzw.
Handelns, also auf den jeweils beherrschbaren Verantwortungskomplex beschränken
und idealerweise nicht darüber hinaus gehen. Gleiches kann durchaus auch für soziale
Systeme gelten, solange der Utilitarismus nur in einem als sicher beobachtbaren, also
kausal handhabbaren sozialen Subsystem operiert, das sich eben nur auf jenen Teil der
Komplexität bezieht, der sozial verantwortungsvoll als einigermaßen sicher überschau-
bar und damit beherrschbar gelten kann. Nur sind die Anschlussmöglichkeiten, die die-
sen Bedingungen genügen in sozialen Systemen eben nochmals unwahrscheinlicher als
sie es in psychischen Systemen ohnehin schon sind.
dung als falsch erweisen. Ganz anders würde es sich verhalten, postulierte man bei-
spielsweise, dass allen Menschen zukünftig nur noch Kekse essen sollten oder realisti-
scher: dass beispielsweise in einer globalisierten Welt, finanzielle Gewinne unabhängig
von der Frage der Verteilungsgerechtigkeit als Maßstab für Nutzenmaximierung taugten.
Letztere Annahme wäre nur durch eine enorme Invisibilisierungsleistung aufrecht zu er-
halten, beispielsweise indem man das, was man selbst als das größte Glück beobachtet
zu dem größten Glück verallgemeinert (Vgl.: universalistisches Prinzip, Kapitel 8.4) und
die größte Zahl auf die Gesamtheit jener Menschen beschränkt, derer man sich selbst
unmittelbar bewusst ist und derer man sich gegenüber verantwortlich fühlt.
„Ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Ich weiß nicht,
woher diese Berichte kommen. Ich war schon oft in Katar und habe des-
halb ein anderes Bild, das glaube ich realistischer ist.“
Deutlich wird auch hier wieder der Bilanzierungsgedanke, nach dem man Freude und
Leid scheinbar exakt gegeneinander aufrechnen kann. Während man Bentham noch für
die fehlende Differenzierung nach der Art und Weise der Nutzen- bzw. Lustmaximierung
kritisiert hat, nimmt Mill diese Kritik später auf und bilanziert Lust bzw. Freuden nicht
mehr rein quantitativ sondern auch qualitativ. Idealerweise sollte demnach langfristige-
ren bzw. qualitativ hochwertigeren Freuden der Vorzug vor kurzfristigeren bzw. qualitativ
minderwertigeren Freuden gegeben werden.
Das klingt vernünftig und ist es dem Anspruch nach sicherlich auch. Die Frage ist jedoch,
inwieweit sich dieser Anspruch erfüllen lässt und wie der utilitaristische Ansatz dazu aus-
sieht? Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Anspruch sicherlich haltbar, insbesondere
für das Individuum bzw. eben als Teilaspekt der Selbsterzählungen psychischer Sys-
8 Reflektion des klassischen Utilitarismus 77
teme, sofern sie sich auf den engen Kreis des jeweils beherrschbaren Verantwortungs-
komplexes beschränken. Soll heißen: Man kann utilitaristisch beobachten und dabei ver-
antwortlich handeln und jeder von uns tut das auch. Solange man selbst die Verantwor-
tung für seine Handlungen übernehmen kann und auch übernimmt, ist die Maximierung
des selbstgewählten Nutzens nur insofern problematisch, als dass wir nicht antizipierte
Konsequenzen eigenverantwortlich tragen müssen.
Wirklich problematisch wird es, wenn davon andere betroffen sind, die sich nicht einver-
nehmlich darauf eingelassen haben. Die Eingrenzung des Kreises der von einer Hand-
lung Betroffener wird umso schwieriger, je komplexer das System. Zudem wird hier wie-
der von einer überschaubaren Kausalität ausgegangen, die sich in komplexen Systemen
aber nur durch Invisibilisierung, also konstruierte Komplexitätsreduktion beobachten
lässt, welche die Komplexität aber nicht aufhebt, sondern sie nur handhabbarer macht,
einschließlich der Gruppe der Betroffenen. Sozial verantwortungsvoll ist dies nur dann,
wenn dieser Umstand regelmäßig mitbeobachtet und die Vereinfachungen auch als sol-
che verstanden werden und sie nicht zu kausalen, ontologischen Wahrheiten verabso-
lutiert, sondern als kontingente Problemlösungen verstanden werden, als fungierende
Ontologien, die vorläufige Wahrheiten repräsentieren, die stets mitberücksichtigen, dass
alles auch ganz anders sein könnte und sollte sich dies so herausstellen, auch entspre-
chend angepasst werden. Anderenfalls bekommt die Sache schnell einen totalitären Bei-
geschmack.
„Der natürlichste Weg zum Utilitarismus (wenn auch gewiss nicht der einzige) ist also
die Übertragung des Prinzips der vernünftigen Entscheidung für den Einzelmenschen
auf die Gesellschaft als ganzen“137 (Rawls, 2012, S.45). Genau das ist mit dem univer-
salistischen Aspekt dieses Prinzips gemeint. Im Utilitarismus gibt es hierzu die Theorie-
figur des unparteiischen, mitfühlenden Beobachters, er „besitzt ideales Vorstellungs- und
Einfühlungsvermögen, er ist das vollkommen vernünftige Wesen, das die Bedürfnisse
der anderen wie seine eigenen erlebt. So stellt er die Stärken fest und weist ihnen das
richtige Gewicht in dem System der Bedürfnisse zu, dessen Befriedigung der ideale Ge-
setzgeber mittels der Regel des sozialen Systems zu maximieren sucht.“ (Rawls 2012,
S.45)
Darüber hinaus wird zum Zwecke der Monetarisierung von Ökosystemleistungen nach
dem Ansatz des ökonomischen Gesamtwertes eine Unterteilung vorgenommen in nut-
zungsabhängige, nicht nutzungsabhängige Werte und Optionswerte, die zum Teil weiter
differenziert werden. (Vgl. Abbildung 15) So werden nutzungsabhängige Werte in indi-
rekt nutzbare und direkt nutzbare Werte unterteilt, letztere zudem in Werte mit konsumti-
vem und nicht konsumtivem Nutzen. Die nicht nutzungsabhängigen Werte untergliedern
sich bei dieser Einteilung in Vermächtniswerte, Altruistische Werte und Existenzwerte.
Die monetäre Bewertung von Ökosystemleistungen meint damit aber ausschließlich in-
strumentelle und damit grundsätzlich austauschbare Werte. Intrinsische und auch inhä-
rente Werte werden beim diesem Ansatz nicht bzw. nur marginalisiert (also letztlich doch
im Hinblick auf einen Nutzen) betrachtet, insofern handelt es sich hier um eine letztlich
doch anthropozentrisch-utilitaristische Sichtweise (denn der Mensch ist hier die Instanz,
die den Nutzen und den Wert bestimmt bzw. zuschreibt).
Natur hat hier keinen für sich alleine stehenden Wert an sich (inhärent) oder gar in sich
(intrinsisch), sie hat, in letzter Konsequenzen, nur insofern einen Wert, als dass sie Leis-
tungen (instrumentell), letztlich für den Menschen (also anthropozentrisch) bereitstellt138,
können diese Leistungen anderweitig ebenso zufriedenstellend erbracht werden, be-
steht prinzipiell Austauschbarkeit.
138 Auch wenn der Mensch hier indirekt durchaus auch anderen Entitäten einen Wert zuschreiben
mag, dann doch nur deshalb, weil dies vom Menschen, für den Menschen als nützlich bzw.
(ökonomisch) wertvoll beobachtet wird und sei es nur im Sinne einer sentimentalen Präferenz
(z. B. Zufriedenheit, Vgl. Abbildung 15), die hierbei den Nutzen generiert.
8 Reflektion des klassischen Utilitarismus 79
Als einen wesentlichen Unterschied zum Utilitarismus weist Birnbacher darauf hin, dass
in der in seinem Sinne verstandenen Ökologischen Ethik „nicht-menschlichen Lebewe-
sen, Biotopen, Ökosystemen, Tier- und Pflanzenarten und der Biosphäre als ganzer
Selbstzweckcharakter, ‚Eigenwert‘ oder der Status eines (moralischen und/oder juridi-
schen) Rechtssubjektes zugesprochen wird“ (Birnbacher 1996, S.49-50). Im Gegensatz
zum Utilitarismus sieht er hier keine „umfassende Rationalisierung des ethischen Urteils“
(Birnbacher 1996, S.50), sondern einen „ethischen Sentimentalismus“ (Vgl. Birnbacher
1996, S.50) am Werk.
Jede Theorie bedient sich einer Form der Ontologie und muss es auch tun, sonst wäre
keine Theorie formbar. Der axiologische (werttheoretische) Aspekt einer Theorie setzt
also die Beobachtung von Werten voraus und Beobachtungen sind (in einem, wie ich
finde, konstitutiven Rahmen) eben kontingent. Das ist ein Problem, das Birnbacher zu
Recht aufgreift, denn aus kontingenten Einzelbeobachtungen allein lässt sich nicht ohne
Weiteres ein legitim begründbarer Selbstzweck oder Eigenwert konstruieren. Was fehlt,
und er in der Ökozentrischen Ethik nicht erkennen kann, ist etwas, das Kohärenz her-
stellt, ein überpersönlicher Standpunkt, der im Utilitarismus durch den unparteiischen,
mitfühlenden und allvernünftigen Beobachter eingenommen wird.
Der kleinste gemeinsame Nenner aller Axiologien ist „die Annahme, daß das, was ein
Subjekt an sich selbst und unabhängig von den Folgen als positiven Bewusstseinszu-
stand empfindet, deshalb auch objektiv etwas Positives ist […]“ (Birnbacher 1996, S. 54).
Über diese Schwelle sieht er die Ökologische Ethik nicht hinaus kommen, ihre intrinsi-
schen oder inhärenten Werte bleiben für ihn nur gut gemeinte „Intuitionen“ und „Gefühle“
(Vgl. Birnbacher 1996, S.50), kontingente Einzelbeobachtungen, die über ihre heuristi-
sche Bedeutung nicht hinaus kommen, weil die sich nicht zu (fungierenden) Ontologien
verdichten lassen.
Birnbacher führt einen weiteren Abgrenzungspunkt auf: den der Austauschbarkeit rein
instrumenteller Werte, die bei intrinsischen oder inhärenten Werten (seiner Interpretation
nach) ausgeschlossen ist: „Wesentlich für den Utilitarismus ist die Annahme, daß alle
Werte miteinander kommensurabel sind (wenn auch nicht notwendig auf der Basis von
Geldwerten) und daß unterschiedliche -materielle und immaterielle- Bedürfnisbefriedi-
gungen idealiter zu einem maximierenden ‚Gesamtnutzen‘ verrechnet werden können“
9 Utilitarismus vs. Ökologische Ethik 81
(Birnbacher 1996, S.51; Vgl. Kapitel 8.5). Genau das wäre bei einer Ethik, die sich einzig
auf den (inhärenten) Selbstzweck bzw. auf (intrinsische) Eigenwerte beruft tatsächlich
nicht zulässig.
„Es gibt keinen echten Schutz für die Natur innerhalb des humanistischen
Systems - schon die Idee ist in sich widersprüchlich“
Ob das gerechtfertigt ist hängt u.a. davon ab, wer beobachtet und was und für wen bzw.
wozu? Wären es Menschen, die instrumentelle Werte für Menschen beobachten, bliebe
alles anthropozentrisch und utilitaristisch. Aber wäre es ebenso anthropozentrisch, wenn
Menschen intrinsische oder inhärente Werte beobachten? Wäre es, was die Werte an-
geht, im Endeffekt nur eine rein begriffliche Unterscheidung, die auf dieselben Konse-
quenzen hinausliefe? Birnbacher geht wohl genau davon aus, denn in diesem Sinne
scheint er seine Konvergenzhypothesen entwickelt zu haben. Birnbacher wollte dabei
vermutlich zeigen, dass der für ihn unvermeidliche Anthropozentrismus intrinsische und
inhärente Werte in gewisser Weise marginalisiert, wenn nicht sogar instrumentalisiert
und damit im Grunde an sich bzw. in sich disqualifiziert. Er übersieht dabei aber wohl
auch die Möglichkeit einer Transzendierung sowohl des Anthropozentrismus als auch
des Utilitarismus, deren Bedingung vielleicht gerade diese anfänglich noch anthropo-
zentrisch geprägte, zu kontingente, zu subjektive und damit zu instabile Beobachtung
inhärenter und intrinsischer zusätzlich zu instrumentellen Werten darstellen könnte.
Die für Birnbacher naheliegendste Lösung ist natürlich die utilitaristische Güterabwä-
gung: „An quantitativ-ökonomischen Kategorien führt schlicht kein Weg vorbei“ (Birnba-
cher 1996, S.56; Vgl. Kapitel 8.5). Er räumt aber durchaus ein, dass dies auch nur ein
Aspekt neben anderen sein kann und geht damit das Problem doch viel differenzierter
an: „So verstanden ist das ‚Kalkulieren‘ überhaupt keine spezifisch utilitaristische, son-
dern eine Forderung, die für alle ethischen Systeme gilt, die ihre Normsetzung in irgend-
einer Weise (und nicht notwendig ausschließlich) an den Handlungsfolgen orientieren“
(Birnbacher 1996, S.56).
Es ist für eine wie auch immer ausgestaltete Ökologische Ethik wohl tatsächlich notwen-
dig, sich mit der Frage der Ersetzbarkeit bzw. Austauschbarkeit auseinander zu setzen,
was die Beobachtung prinzipiell gleichwertiger inhärenter bzw. intrinsischer Werte allein
nicht leisten kann. „Jede Art ist ein Meisterwerk der Evolution und unersetzlich“ (Wilson
1995, S.33; in Birnbacher 1996, S.56). Birnbacher weist aus gutem Grund darauf hin,
dass man mit solchen Ansätzen allein nicht sehr weit kommen wird. So folgert er, dass
sich eine Ökologische Ethik, die sich trivialerweise nur auf eine absolute Gleichwertigkeit
von allem beruft, selbst behindert, denn damit wäre tatsächlich „nichts durch anderes
ersetzbar“ (Birnbacher 1996, S.56). Geraten aber solche absolut gesetzten Werte in
Konflikt, muss auch der „ökozentrische Öko-Ethiker […] ein großes Maß an Ersetzbarkeit
zulassen“ (Birnbacher 1996, S.56). Und wieder muss man zugeben, dass Birnbacher
damit nicht unplausibel argumentiert. Aus seiner utilitaristischen Perspektive sieht er
eben vor allem instrumentelle Werte und bei Gleichwertigkeit intrinsischer bzw. inhären-
ter Werte sind diese für ihn eben ausschlaggebend. Eine Ökologische Ethik oder ein wie
auch immer geartete, zukünftige Naturschutzethik täte gut daran, diese Kritik ernst zu
nehmen.
9 Utilitarismus vs. Ökologische Ethik 83
Aus diesem Verständnis heraus stellte Dieter Birnbacher drei sog. Konvergenzhypothe-
sen auf, die im Folgenden, im Kontext der bisherigen Überlegungen und Birnbachers
eigener Argumentation dazu, reflektiert werden:
Der Optionswert (im Sinne des Ökonomischen Gesamtwertes, Vgl. Abbildung 15) ist, im
Gegensatz zu den nutzungsabhängigen Werten, als vergleichsweise abstrakter Wert zu
verstehen, meint also all jene Werte, die sich aus dem potentiellen zukünftigen Nutzen
9 Utilitarismus vs. Ökologische Ethik 84
bisher nicht genutzter, nicht nutzbarer oder noch nicht entdeckter Nutzungsmöglichkei-
ten der Natur bzw. von Ökosystemleistungen ergeben. Auch wenn der Optionswert (im
Sinne des Ökomischen Gesamtwertes, Vgl. Kapitel 8.5 und Abbildung 15) letztlich rein
utilitaristisch konzipiert und damit als reiner Nutzwert gemeint ist, kann man ihn als Aus-
druck von Klugheit verstehen, mit dem der vergleichsweise enge Kreis des Denkens von
direkten und indirekten Nutzwerten erweitert wird. Immerhin steht beim Optionswert nicht
mehr die gegenwärtige Nutzbarkeit im Vordergrund, sondern die zukünftige, deren Be-
rücksichtigung natürlich vernünftig ist. Birnbacher führt hierzu einige Beispiele an, wie
etwa „den wirtschaftlichen Wert der Natur als (potentieller) Rohstoff für Nahrungsmittel,
Genussmittel, Textilien und andere Produkte“ (Birnbacher 1996, S.58). „Instrumentellen
Wert haben biologische Arten, Biotope und Ökosysteme aber auch als Grundlage des
menschlichen Erkenntnisfortschritts, als Bildungswert und als Ressource menschlicher
Regeneration“ und auch „eine unzerstörte oder wiederhergestellte Natur, als Museum
ihrer selbst“ (Birnbacher 1996, S.59) findet ebenso Erwähnung, wie der direkte, indirekte
oder eben potentielle Erholungswert der Natur (Vgl. Birnbacher 1996, S.59).
Was die Folgen und Praxisnormen hinsichtlich Natur- und Landschaftsschutz angeht, so
folgert Birnbacher, dass all dies sowohl für den Ökozentriker, als auch für den Utilitaris-
ten überzeugende Gründe sind, „in der Praxis dem Prinzip des Safe Minimum Standard
zu folgen […]“ (Birnbacher 1996, S.59-60). Er sieht darin einen Hinweis für die Bestäti-
gung der Konvergenzhypothesen eins und zwei.
Um seine dritte Hypothese zu bestätigen unternimmt er also den Versuch, „die von den
Ökozentrikern als ‚Eigenwerte‘ postulierten Naturwerte aus utilitaristisch-anthropozentri-
scher Sicht als rein inhärente Werte“ zu rekonstruieren (Vgl. Birnbacher 1996, S.58).
Würde das gelingen, wären diese intrinsischen Werte also nur kontingente Beobachtun-
gen von Menschen für Menschen, also (anthropozentrisch-) instrumentell, dann würden
sich hinter diesen Eigenwerten -so Birnbacher- eben keine Werte in sich (intrinsisch)
verbergen, es wären bestenfalls Werte an sich (inhärent) und diese inhärenten Werte
machen für Birnbacher -als Utilitaristen- ja nur im Hinblick auf Instrumentalität, also für
etwas Sinn.
Birnbacher versucht hier scheinbar die Einheit der Differenz von Intrinsik und Extrinsik
aufzuzeigen und diese ist auch m.M.n. tatsächlich Extrinsik. Er stellt diese Einheit aber
nicht durch eine Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform (von Intrinsik und
Extrinsik bzw. von Akzidenz und Substanz im Sinne der Inhärenz) her, sondern durch
die bloße Negation der Intrinsik (Vgl. Kapitel 5.7, speziell 5.7.2.) Im Zuge dessen argu-
mentiert Birnbacher also, dass Eigenwerte (Vgl. Kapitel 6.3.4.3, Kapitel 11 und 12, ins-
besondere 12.2) doch nur rein inhärente Werte sein könnten und -seiner utilitaristischen
9 Utilitarismus vs. Ökologische Ethik 85
Sichtweise folgend- letztlich nur instrumentell (also als Mittel zu einem Zweck) Sinn
machten.140
Wären Beobachtungen nur Operationen, die Menschen ausführten, also würde Be-
obachtung damit nicht im systemtheoretischen Sinns verstanden141, und so scheint Birn-
bacher das zu verstehen, und wären diese inhärenten Werte nicht auch Kondensationen
einer Intrinsik, welche die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Mög-
lichkeit jeder Form von Extrinsik ist, dann würde die Intrinsik und damit der intrinsische
Wert, durch die Einheit der Differenz tatsächlich als disqualifiziert erscheinen, denn es
bliebe nichts anderes als Extrinsik (im Falle Birnbachers letztlich in Form von Instrumen-
talität), um sie herzuleiten und diese rein extrinsische Herleitung würde jede Form von
Intrinsik (im Sinne der Bedingung der Möglichkeit) eben negieren. All das ist aber m.E.
so nur beobachtbar, wenn die eiseitige Zweiseitenform von Intrinsik und Extrinsik eben
nicht transzendiert wird.
Dann, und nur dann, wäre der Eigenwert ein rein inhärenter Wert, der eben nicht (zu-
gleich auch) auf Intrinsik (und damit den intrinsischen Wert) verweisen würde. Dann und
nur dann wär der inhärente Wert also letztlich doch nur ein vom Menschen, (im Falle des
Anthropozentrismus) für den Menschen „beobachteter“142, also eben anthropozentrisch-
instrumentell konstruierter Wert und damit ein Wert, der nur im Hinblick auf eine be-
stimmte Präferenz oder eben einen Nutzen (für den Menschen) Sinn machen würde.
Scheitert der Versuch des Menschen, über sich hinaus zu kommen, also zwangsläufig
an seiner Menschlichkeit oder doch nur an seiner Anthropozentrik? Im Falle von Dieter
Birnbacher scheitert es m.E. wohl auch an der Unfähigkeit bzw. der nicht vorhandenen
Bereitschaft, die einseitige Zweiseitenform hinsichtlich der notwendigen Bedingungen
der jeweiligen Möglichkeit zu transzendieren.
Birnbacher stellt sein Verständnis folgendermaßen dar: „‘Inhärenter Wert‘ wird hier im
Sinne von C.I. Lewis (Vgl. Frankena 1979, S.13) als Begriff innerhalb des anthropozent-
rischen Denkrahmens verstanden, und zwar als Gegenbegriff zum ‚instrumentellen
Wert‘“ (Birnbacher 1996, S.60). Interessant ist auch die Fußnote, in der Birnbacher da-
rauf verweist, dass er unter dem inhärenten Wert auch keineswegs eine Art Würde im
Sinne von Regan (1983) oder Taylor (1986) versteht. Vom Verständnis des inhärenten
Wertes als Kondensation einer (an sich unbeobachtbaren und notwendigen) intrinsi-
schen Bedingung der Möglichkeit, die über die rein anthropozentrische Beobachtung
weit -und auch über die Beobachtung143 selbst- hinausgeht, ist keine Rede.
140 Interessanter- und inkonsistenterweise nimmt er beispielsweise den Menschen davon aber
aus, hier scheint sogar Birnbacher den Eigenwert, der m.E. auch den intrinsischen Wert des
Menschen mitführt, anzuerkennen.
141 In der Systemtheorie sind Menschen sozusagen Exkommuniziert, denn nach Luhmann ist es
nicht der Mensch, der kommuniziert, sondern Kommunikation kommuniziert und Kommunika-
tion ist sozusagen die soziale Form von Beobachtung. (Vgl. Kapitel 4, Kapitel 5.1 sowie 13.2)
142 Hier eben im nicht-systemtheoretischen Sinne.
Intrinsische Werte sind für Birnbacher also Kondensationen instrumenteller Werte und
zwar an Zuständen, die dann auf als inhärent wertvoll beobachtete Dinge oder Phäno-
mene projiziert werden. Mit anderen Worten: Das instrumentell wertvolle Mittel zum
Zweck erzeugt in seiner Zweckerfüllung einen intrinsisch wertvollen Zustand, diese Zwe-
ckerfüllung, die dann aus scheinbar eher sentimentalen Gründen mit dinglichen Be-
obachtungen verknüpft wird, den inhärenten Wert, vielleicht im Sinne eines dann eben
inhärent wertvollen Totems. Man kann spekulieren, dass auf diese Art und Weise auch
dem instrumentell wertvollen Mittel zum Zweck, bei erfolgreicher Zweckerfüllung ein in-
härenter Wert zugeschrieben werden könnte (Vgl. Abbildung 16). Für Birnbacher braucht
es also einen menschlichen Beobachter, der bestimmten Beobachtungen inhärente
Werte zuschreibt aber dieser menschliche Beobachter tut dies letztlich nur deshalb, weil
es ihm nützt. Keine Rede also von der Beobachtung als Operation, die im systemtheo-
retischen Sinne auch ohne die Konstruktion eines im Zentrum stehenden menschlichen
Beobachters fungieren kann. Inhärente Werte sind hier also nicht Kondensationen an
sich unbeobachtbarer und notwendiger intrinsischer Bedingungen. Bei Birnbacher bleibt
alles anthropozentrisch und das Instrumentelle, die anthropozentrische Funktionalität,
steht im Zentrum dieser Anschauung.
Aus dieser anthropozentrisch-utilitaristischen Sicht ist also nicht die Natur, die man bei-
spielsweise während eines Spaziergangs erfährt, eine als inhärent wertvoll beobachtete
Form einer ihr zuordbaren intrinsisch wertvollen Potentialität144, die um einen instrumen-
tellen Wert, der sich aus der Freude des Erlebens dieser Landschaft ableitet, bereichert
wird, sondern nur diese Freude des Erlebens der Natur, nur sie hat einen intrinsischen
Wert, in dem Sinne, dass sie Zweckerfüllung der rein instrumentell wertvollen Natur ist,
inhärent wertvoll wird diese aber nur durch eine sentimentale Projektion (Vgl. Birnbacher
1996, S.50 und 60), dieser Freude auf die Natur, weil sie als Mittel zum Zweck funktional
war. (Vgl. Abbildung 16)
Nach diesem einseitigen Verständnis mag also auch die dritte Konvergenzhypothese
gerechtfertigt erscheinen145. Was die Naturschutzpraxis angeht, so muss man aber leider
zugeben, dass bisher kaum Ansätze erkennbar sind, die diesem Verständnis etwas Ge-
haltvolles entgegensetzten. Solange Naturschutz hauptsächlich in Form des Schutzes
144 Im Sinne der an sich unbeobachtbaren und notwendigen Bedingung der Möglichkeit.
145 M.E. ist sie damit aber bereits widerlegt. (Vgl. Teil II)
9 Utilitarismus vs. Ökologische Ethik 87
von Kulturlandschaft praktiziert wird und selbst die vermeintlichen Indifferenzräume der
Kernzonen von Nationalparks nur als „eine Notwendigkeit zur Rettung der humanisierten
Natur“ (Dubos 1974, S.129; in Birnbacher 1996, S.62) und nicht zugleich auch der ei-
gentlichen Natur (Vgl. Kapitel 12.3), im Sinne der notwendigen Bedingung der Möglich-
keit jeder Form von Kultur, beobachtet werden, wird das wohl auch so bleiben, denn
selbst die Unfunktionalität kann in diesem utilitaristischen Sinne noch als einseitig funk-
tional gedeutet werden und das wird sie tatsächlich (Vgl. Birnbacher 1996, S.65-66):
Diese zunächst scheinbar paradoxe Formulierung ist wunderbar und in gewisser (ein-
seitiger) Weise auch vollkommen stimmig. Die Einheit der Differenz von Unfunktionalität
und Funktionalität ist -im systemtheoretischen Beobachtungsfalle- auch m.E. tatsächlich
Funktionalität. Man könnte genauer sagen: Es gibt keine beobachtete Unfunktionalität
ohne Funktionalität146. Diese Seite sieht der Utilitarist, dass damit aber, wenn man es
denn dabei belässt, Unfunktionalität funktionalisiert und somit also negiert wird, scheint
nicht mitbeobachtet bzw. mitgesehn zu werden. Da funktionale Unfunktionalität aber
nichts anderes als Funktionalität ist, haben wir es hier mit einer Tautologie zu tun, nicht
mit einem Argument. Die einseitige Zweiseitenform von Unfunktionalität und Funktiona-
lität wird hier nicht transzendiert. Denn es kann m.E. keine Funktionalität (einschließlich
der als funktional beobachteten Unfunktionalität) geben, ohne eigentliche Unfunktionali-
tät, denn diese eigentliche Unfunktionalität ist m.E. die an sich unbeobachtbare und not-
wendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Funktionalität.
Hier wird also das wunderbare Paradox dieser Zweiseitenform auf eine Seite der Diffe-
renz reduziert, nämlich (in diesem Falle) die der anthropozentrisch-utilitaristischen Funk-
tionalität und damit wird das Unfunktionale im Funktionalen rekonstruiert, was an sich
nicht das Problem ist. Es bleibt aber einseitig, wenn man nicht in der Lage ist, die andere
Seite dieser Differenz auf der einen Seite zu rekonstruieren, ohne sie zu dabei negieren.
Das ist das Problem, denn damit wäre man nicht in der Lage, die einseitige Zweiseiten-
form zu transzendieren. (Vgl. Kapitel 5.5)
In Kapitel 12.3 wird nochmal deutlicher werden, dass dies m.E. die dritte Konvergenzhy-
pothese, gerade in Bezug auf den Natur-Schutz widerlegt. Denn ein rein funktional aus-
gerichteter Naturschutz, der Natur nicht auch als die notwendige Bedingungen seiner
eigenen Möglichkeit transzendiert, kann langfristig nicht nachhaltig sein.
Keine der beiden so verstandenen Seiten hält es aber scheinbar für möglich, die jeweils
andere zu transzendieren und zu integrieren, statt zu negieren. Die Ökologische Ethik,
die Birnbacher hier meint, bietet tatsächlich genauso viele Kritikpunkte, wie der anthro-
pozentrische Utilitarismus, beide sind sich unvereinbar einig in ihrer Einseitigkeit.
Bei der Priorisierung bestimmter Werte sieht Birnbacher bei der Ökozentrischen Ethik
reine Beliebigkeit, einzig die Natürlichkeit sieht er als häufig zitiertes Kriterium. Lösungs-
ansätze für diesen Mangel, wie beispielsweise John Rawls Urzustand (Vgl. Rawls 2012),
der, solange er nicht rein anthropozentrisch interpretiert wird, auch für den Bereich des
Naturschutzes interessante Ansätze147 bieten könnte, bleiben dabei allerdings unberück-
sichtigt.148 Den Utilitarismus mit seiner ökonomisch-rationalen Herangehensweise sieht
er hier als klar überlegen. Da die Ökologische Ethik, so wie Birnbacher sie versteht,
funktionale bzw. instrumentelle Folgenabschätzungen eher negiert als integriert, traut er
ihr folglich nicht zu, ihre „Prioritären nach intersubjektiv überprüfbaren Kriterien zu be-
messen […] wie Seltenheit, Irreversibilität und die in Zukunft zu erwartende Bedürfnis-
entwicklung“ (Birnbacher 1996, S. 65).149
„Anders als für den Kantianer ist die Moral für den Utilitaristen kein Selbstzweck, sondern
-ambivalentes- Mittel150, das in der richtigen Dosis genossen, von großem Nutzen, im
Übermaß aber von Übel sein kann“ (Birnbacher 1996, S.67, Fußnote hinzugefügt). Birn-
bacher führt hierzu Aldo Leopold (Vgl. Leopold 1949) an, der (hier in Birnbachers Wor-
ten) argumentierte, „die Norm, die natürlichen Arten zu erhalten, würde nicht hinreichend
befolgt, würde sie lediglich aus denjenigen utilitaristischen Gründen befolgt, durch die
sie letztlich gerechtfertigt wird. Insgesamt wäre es besser, wenn wir in der Praxis nicht-
utilitaristischen (und nicht-anthropozentrischen) Handlungsorientierungen folgten“ (Vgl.
Birnbacher 1987, in Birnbacher 1996, S.67). Hält man an diesem Punkt starr am Utilita-
rismus fest, schließt sich der Zirkel, in dem man sich dann dreht und dreht und dreht,
selbst wenn man „einer solchen funktionalen Rechtfertigung von nicht-utilitaristischen
Orientierungen aus utilitaristischen Gründen“ enge Grenzen zieht (Vgl. Birnbacher 1996,
S.67).
Eine rein anthropozentrische Denkweise kann in jedem Ansatz, der letztlich nicht doch
anthropozentrisch-utilitaristischen ist, scheinbar nur „pädagogische Heuchelei“ (Birnba-
cher 1996, S.68) vermuten, denn aus dieser Sicht sind intrinsische und inhärente Werte
(bzw. der transzendentale Eigenwert) letztlich eben nur sentimentale Ausdeutungen151
instrumenteller Werte.
150 Was er hier vernachlässigt, ist m.E. dass der Selbstzweck bei Kant das Mittel zum Zweck nicht
ausschließt, wenngleich auch kategorisch unterordnet.
151 Birnbacher verwendete die Umschreibung „ethischer Sentimentalismus“ (Birnbacher 1996,
S.50).
10 Zusammenfassung zur Reflektion Birnbachers Essay 90
Aus seiner Anthropozentrik heraus wirkt alles, was den Versuch unternimmt, über sie
hinaus zu kommen bestenfalls naiv und sentimental. Gerade die Überwindung, genauer
gesagt die Transzendenz153, nicht nur aber insbesondere auch des Anthropozentrismus
(m.E. generell jedweder Form von Zentrismus) scheint aber ein entscheidender Schritt
zu sein, um der Komplexität einer Welt gerecht zu werden, die eben nicht zum Hauptziel
hatte, den Menschen hervorzubringen, sondern recht gut auch ohne ihn auskommt, wäh-
ren der Mensch aber andererseits nicht ohne sie auskommt. Die Welt ist nicht und war
nie und wird nie nur instrumentell wertvoll sein, weil sie Mittel zum Zwecke der Hervor-
bringung des Menschen ist. Diese rein anthropozentrisch-utilitaristische Sichtweise lässt
sich m.E. nur durch massive Invisibilisierung von Komplexität aufrechterhalten, für die
Birnbacher (1996) ein passendes Beispiel zu sein scheint.
Aber wie überwindet man den Anthropozentrismus? Sicher nicht, indem man den Utili-
tarismus, seine instrumentellen Werte und nicht einmal den Anthropozentrismus selbst
negiert. Genau das scheint jene so verstandene Ökologische Ethik zu versuchen, die
Birnbacher in diesem Sinne völlig zu Recht kritisiert. Demnach sollte scheinbar alles im
Idealfalle einzig intrinsisch und/oder inhärent wertvoll und in sich oder an sich zudem
prinzipiell gleichwertig sein. Damit kommt man tatsächlich nicht allzu weit, worauf Birn-
bacher -wiederrum völlig zu Recht- ausführlich hingewiesen hat. Das Problem der Prio-
risierung von Werten kann man damit nicht lösen und die Strategie, dem Natürlichen
dabei den Vorzug vor dem „Unnatürlichen“ zu geben ist völlig unterkomplex154, ebenso
unterkomplex allerdings, wie die Reduktion auf rein anthropozentrisch-utilitaristische in-
strumentelle Werte und die damit verbundene Marginalisierung bzw. Negation von intrin-
sischen bzw. inhärenten Werten bzw. des Eigenwerts.
Statt auf eine Überwindung im Sinne einer reinen Negation hinzuarbeiten, wäre es m.E.
sinnvoller, auf eine Transzendierung des Anthropozentrismus (bzw. allgemein des Zent-
rismus) und sicher auch des Utilitarismus hinzuarbeiten. Das würde aber bedeuten,
beide eben nicht einfach zu negieren, sondern sie zugleich in ein neues, komplexeres
System einzubinden. Ein Versuch dazu wurde in Teil II dieser Arbeit unternommen.
um Natürlichkeit sicherzustellen? Ist die der von Pferden gezogene Pflug natürlicher, als ein
maschineller, oder liegt das Glück der Natürlichkeit gar vor der Zeit der Entwicklung von Acker-
bau und Viehzucht, jenseits der Sesshaftwerdung am Beginn des Neolithikums? Sicher nicht.
(…)
10 Zusammenfassung zur Reflektion Birnbachers Essay 91
Gibt es also tatsächlich keinen echten Schutz für die Natur innerhalb des humanistischen
Systems (Vgl. Ehrenfeld 1978; in Birnbacher 1996, S.52)? Wenn man den hier ange-
sprochenen Humanismus als Anthropozentrik auffasst, dann könnte man zumindest sa-
gen, dass es keinen echten Schutz der Natur gibt, wenn sich dieser auf ein rein anthro-
pozentrisches System bezieht. Rein anthropozentrischer Naturschutz kann die nicht-
anthropozentrische Komplexität und Potentialität, die den Menschen hervorgebracht hat,
nicht angemessen schützen, denn sie reduziert alles nur auf anthropozentrische Instru-
mentalität und das wäre wirklich „a serious underestimate of infinity“ (Toman 1998, S.58).
Birnbachers Kritik hatte ihren Wert155, denn sie hat viele Inkonsistenzen und Schwach-
stellen aufgezeigt, mit der eine zukünftige Ökologische Ethik bzw. ein neuer Holismus
oder integral-transzendentaler Ansatz der Naturschutzethik und des Naturschutzes um-
gehen muss. Der berechtigtste Kritikpunkt und damit das wohl drängendste Problem,
das es zu lösen gilt, ist m.E. das der Priorisierung von Werten nach vorranging nicht-
anthropozentrischen Kriterien. Die Weiterentwicklung der Theorie muss sich daran mes-
sen lassen, inwieweit sie es vermag, dieses Problem anschlussfähig zu lösen. Martin
Gorke (2010) hat hierzu allerdings bereits interessante Ansätze entwickelt.
1. Das Mittel ist hier nur im Hinblick auf den Zweck instrumentell wertvoll.
1
Instrumenteller Wert
des Mittels
3a 2
inhärenter Wert intrinsischer Wert
„sentimentale
an Entitäten, die mit der der Zweckerfüllung
Zweckerfüllung Projektion“
als Zustand
assoziiert werden
„Am weitesten geht die Hypothese der Konvergenz von Eigenwerten und
inhärenten Werten, nach der sich die beiden scheinbar polar verschiede-
nen Positionen bereits auf der Ebene der Axiologie zur Deckung bringen
lassen, indem die von den Ökozentrikern als ‚Eigenwerte‘ postulierten Na-
turwerte aus utilitaristisch-anthropozentrischer Sicht als rein inhärente
Werte rekonstruiert werden.“
Für Birnbacher wäre also die Plausibilisierung der Inhärenz gleichbedeutend mit der Dis-
qualifizierung eines (für ihn wohl einseitig intrinsisch verstandenen) Eigenwertes, denn
Inhärenz ist für ihn nur sentimentale Projektion (Vgl. Birnbacher 1996, S. 50 und 60, Vgl.
Abbildung 16), ausgehend von einem Mittel, das seinen Zweck erfüllt.
Das Problem, das hier Verwirrung stiften mag ist folgendes: Birnbacher sieht den Eigen-
wert der Ökozentriker, wie bereits angedeutet, als einen einseitig intrinsischen Wert, der
quasi für sich alleine steht und (zumindest ihm und wohl auch den Ökozentrikern, auf
die er sich beruft) völlig abgekoppelt scheint von jeder Form von Inhärenz und Instru-
mentalität. So ein Eigenwert ließe sich tatsächlich leicht zu Fall bringen.157 Birnbacher
versuchte hier also die intrinsische Einseitigkeit des Eigenwertbegriffs (nach der Deu-
tung dessen, was Birnbacher „Ökologische Ethik“ nennt) umzukehren, in eine letztlich
rein anthropozentrisch-utilitaristische Deutung und damit in eine rein instrumentelle Deu-
tung.
Als Beispiel für die Absurdität dessen, was Birnbacher unter ökologischer Ethik versteht,
führt er Ehrenfeld an:
„Es gibt keinen echten Schutz für die Natur innerhalb des humanistischen
Systems – schon die Idee ist in sich widersprüchlich.“
157 Nicht zu verwechseln mit dem in dieser Arbeit im Sinne des transzendentalen Emergenz- und
Werteschemas vorgestellten transzendentalen Eigenwertes (Vgl. Kapitel 6, insbesondere 6.3,
speziell 6.3.4.3).
158 Hier verlässt Birnbacher die sonst so strikte Anthropozentrik.
159 Was eben besonders am Eigenwertbegriff deutlich wird.
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 96
Dieter Birnbacher beobachtet zwar auch intrinsische und inhärente Werte aber für Ihn
sind intrinsische Werte nur Zustände, die sich aus der Zweckerfüllung eines instrumen-
talisierten Mittels ergeben und inhärente Werte sind für ihn nur sentimentale Projektio-
nen (Vgl. Birnbacher 1996, S. 50 und 60) (u.a.) auf das im Sinne der zweckgerichteten
Instrumentalisierung funktionale Mittel (Vgl. Kapitel 11 und Abbildung 16). Irgendwelche
Bedingungen für die Möglichkeit der Instrumentalisierung selbst und die Konsequenzen,
die sich daraus ergeben, beobachtet Birnbacher nicht. Er setzt die Möglichkeit der In-
strumentalisierung (inkl. Mittel) als gegeben voraus und hinterfragt in keinster Weise die
Bedingungen dieser Möglichkeit.
Genau diese Bedingungen der Möglichkeit wurden in dem hier entwickelten, systemthe-
oretisch inspirierten, transzendentalen Emergenz- und Werteschema integriert. Deshalb
ist es nicht nur ein Werteschema, sondern ein Werteschema, das die Emergenz und
damit die Bedingungen der Möglichkeit der Ausdifferenzierung der jeweiligen Beobach-
tungsformen und Wertezuschreibungen mitberücksichtigt.
Ebenso, wie einzelne Atome die notwendige Bedingungen der Möglichkeit eines Mole-
küls sind und eben diese höhere Emergenz des Moleküls ergeben können und ebenso,
wie dann das Molekül sozusagen die beteiligten Atome transzendiert, sie also einerseits
negiert aber eben nicht nur negiert, sondern sie zugleich in sich aufbewahrt und in einen
höheren Komplexitätszusammenstellt integriert, so dass tatsächlich das neue Ganze
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 97
(das Molekül) eben weit mehr ist, als die Summe seiner Teile (die Atome) 160, ebenso
kann man das System als eine Emergenz der Bedingung seiner Möglichkeit verstehen
und ebenso kann man m.E. auch jede Form von Extrinsik als eine Form, oder eben
Emergenz, dessen verstehen, was hierfür als Bedingung der Möglichkeit fungiert. Die
Intrinsik ist m.E. die an sich unbeobachtbare, notwendige Bedingung der Möglichkeit
jeder Form von Extrinsik, die sich durch weitere, beobachtbare Bedingungen weiterer
Möglichkeiten ausdifferenziert (zu Inhärenz bzw. zu Instrumentalität).
Der Grund, warum zunächst diese Beziehungen von Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und
Instrumentalität (Vgl. Kapitel 5.7) herausgearbeitet wurden und die Wertebeobachtung
zunächst keine Rolle spielte, ist der, dass die Beobachtung162 allgemein schon so viele
notwendigen Bedingungen der jeweiligen Möglichkeit voraussetzt, dass, wenn man sich
allein auf Wertebeobachtung konzentriert, dies wohl eher einschränkt, man fokussiert
dann eher auf den (sozusagen nächstgelegen) Wert und verliert die notwendigen Bedin-
gungen der Möglichkeit, überhaupt Werte beobachten zu können, aus den Augen.
Dadurch wird natürlich auch eine Transzendenz (der einseitigen Zweiseitenform) un-
wahrscheinlicher bzw. eben stark erschwert. Intuitiv scheint beispielsweise der rein in-
strumentelle Wert am nächsten zu liegen. Instrumentalität setzt aber zugleich die meis-
ten notwendigen Bedingungen voraus. Wer diese nicht mitbeobachtet, also nicht auch
die notwendigen Bedingungen der Instrumentalität selbst mitbeobachtet, der wird wohl
eher zu einem seichten Werteschema kommen. Eine Wertebeobachtung, die sich nicht
auch auf die notwendigen Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit bezieht, ist m.E. völlig
unterkomplex.
160 Die Eigenschaften von Wasser (H2O) sind beispielsweise nicht durch die Summe oder die
Kombination der für sich stehenden Eigenschaften von zwei Wasserstoffatomen (H) und ei-
nem Sauerstoffatom (O) zu erklären.
161 Und ich möchte Dieter Birnbacher hier in keinster Weise unterstellen, dass er nicht wüsste,
dass Atome notwendige Bedingungen für die Möglichkeit von Molekülen sind. Es ist nur
schwer nachvollziehbar, warum es in diesem Beispiel so leicht fällt, dass zu durchschauen,
während es bei der Wertebeobachtung scheinbar so schwer fällt, integrativ-transzendental,
also (min.) die notwendigen Bedingungen der Möglichkeiten einbeziehend, zu denken.
162 (… ) nicht nur aber auch von Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz, Instrumentalität (…)
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 98
Birnbacher würde sicher zustimmen, dass jede Form von Instrumentalität ein Mittel vo-
raussetzt, das eben zu einem bestimmten Zweck instrumentalisiert werden muss, er
schreibt diesem Mittel ja immerhin im Sinne einer sentimentalen Projektion (Vgl. Birnba-
cher 1996, S. 50 und 60, Vgl. Abbildung 16) einen (inhärenten) Wert zu, aber bei diesem
Mittel handelt es sich, ebenso wie auch beim Zweck, um eine Beobachtung, die eben
nicht einfach so gegeben ist, sondern für die es einige notwendige Bedingungen gibt,
die diese erst ermöglichen. Das (inhärente bzw. inhärent wertvolle) Mittel ist m.E. eine
beobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit des Zwecks und damit jeder
Form von Instrumentalisierung, einschließlich der Zuschreibung eines instrumentellen
Wertes. Sicher würde auch Birnbacher den Atomen einen Wert zusprechen, wenn er sie
als funktionale Mittel zum Zwecke der Bildung eines Moleküls beobachten würde aber
auch Atome haben Bedingungen, die ihre Möglichkeit (bzw. ihre Emergenz) eben vo-
raussetzt. Diese Bedingungen scheinen für ihn völlig irrelevant zu sein.
So weit man die Komplexität der Beobachtung aber auch ausdehnen mag, Beobachtung
hat stets einen blinden (also an sich unbeobachtbaren) Fleck (Vgl. Kapitel 4) und die
notwendige Bedingung der Möglichkeit der Beobachtung selbst ist (im übertragenen
Sinne) dieser blinde Fleck163 der Beobachtung, ihn zu marginalisierten164 oder gar zu
negieren165, würde letztlich bedeuten, die Beobachtung selbst zu marginalisierten bzw.
zu negieren, oder weniger fatalistisch: Es würde bedeuten, (schon durch eine Margina-
lisierung) die Bedingungen der Möglichkeit der Negation der Beobachtung selbst zu
schaffen. Genau diese Form der Marginalisierung bzw. Negation betreibt Birnbacher,
zumindest in seinem hier diskutierten Essay (Birnbacher 1996). Nachhaltig könnte man
das sicher nicht nennen, besonders dann nicht, wenn man dieses Verständnis auf den
Umgang mit (in sich unfunktionaler) Natur anwendet, die m.E. die notwendige Bedingung
der Möglichkeit von (an sich funktionaler) Kultur ist. (Vgl. Kapitel 12.3 und Kapitel 9.3.2
166) Die (durchaus stimmige) Plausibilisierung der Unbeobachtbarkeit der Intrinsik führt
Birnbacher nicht zur Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform, sondern zur Margi-
nalisierung des intrinsischen Wertes (im Sinne des Zustands der Zweckerfüllung) bzw.
zur Negation der Intrinsik im Sinne der an sich unbeobachtbaren aber eben notwendigen
Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik und eben weil er dies tut, hat diese
an sich unbeobachtbaren aber eben notwendigen Bedingung der Möglichkeit auch kei-
nen, oder bestenfalls im Sinne der Zweckerfüllung einen, dann aber von der Instrumen-
talität abhängigen, m.E. doch recht marginalen Wert.
163 Im Kontext der Beobachtung bzw. des Systems würde der blinde Fleck hier als Allegorie für
die eigentliche Umwelt des Systems stehen, in Bezug auf jede Form von Extrinsik wäre die
eigentliche Intrinsik dieser blinde Fleck.
164 Der intrinsische Wert liegt für Birnbacher einzig im Zustand der Zweckerfüllung.
165 Birnbacher lehnt den intrinsischen Wert, ohne instrumentelle Nebenbedingungen (im Sinne
der Zweckerfüllung), kategorisch ab und damit indirekt auch die Intrinsik als die an sich unbe-
obachtbare aber notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik. Ebenso
negiert er die Intrinsik des Eigenwerts (Vgl. Kapitel 11 und 12.4).
166 „Gerade die Erfahrung der Unfunktionalität und Selbstgenügsamkeit der Natur ist etwas
höchst Funktionales, auf das der moderne Mensch dringend angewiesen ist“ (Birnbacher
1996, S.59).
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 99
Genau diese Einseitigkeit (quasi die Immanenz der Einheit der Differenz durch die Ne-
gation der anderen Seite, Vgl. Kapitel 5.5.3 und 5.7.2) ist m.E. der letztlich durchaus
fatale Fehler.
Eine Wertebeobachtung bzw. ein Werteschema, das dagegen die Differenzierung der
Sinn-Formen und die jeweiligen (beobachtbaren wie auch an sich unbeobachtbaren)
notwendigen Bedingungen der jeweiligen Sinn-Formen bzw. Möglichkeiten (der Be-
obachtung, einschließlich der Wertebeobachtung) berücksichtigt, führt m.E. auch zu ei-
ner integrativen, transzendentalen Wertebeobachtung, die konsequenterweise auch die-
sen (beobachtbaren wie auch an sich unbeobachtbaren) notwendigen Bedingungen der
Möglichkeit des direkt als wertvollvoll Beobachteten einen Wert zuschreibt.
Diese Zuschreibung ist notwendigerweise eine Form der Extrinsik, im Falle des Eigen-
wertes allerdings eine transzendentale Form der Extrinsik.
Jede Form von Extrinsik kann m.E. als eine Form der (sinnförmigen) Beobachtung ver-
standen werden, also als System. Dieses System hat in der (eigentlichen) Umwelt des
Systems allerdings die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung seiner Mög-
lichkeit. Diese andere Seite des Systems wird auch innerhalb des Systems, notwendi-
gerweise an sich (sinnförmig) beobachtet (beobachtete Umwelt), eben das ergibt die
Einheit der Differenz: System im Falle der Differenz von System und Umwelt oder eben
Extrinsik, im Falle der Differenz von Extrinsik und Intrinsik. Damit wird die (eigentliche)
Umwelt des Systems bzw. die (eigentliche) Intrinsik aber nicht negiert, sondern eben
transzendiert. Intrinsik ist für jede Form von Extrinsik ebenso an sich unbeobachtbare
und notwendige Bedingung der Möglichkeit, wie die (eigentliche) Umwelt für das System.
Der Umstand, dass beides nur durch sinnförmige Beobachtung, also System bzw. eine
Form von Extrinsik immanent werden kann, disqualifiziert hierbei -die Transzendenz er
einseitigen Zweiseitenform vorausgesetzt- keineswegs die Seite der an sich unbeo-
bachtbaren und notwendigen Bedingung der Möglichkeit.
Für Dieter Birnbacher, den man begründeterweise unterstellen kann, dass er, zumindest
in seinem hier diskutierten Essay (Birnbacher 1996), die einseitige Zweiseitenform nicht
transzendiert hat, ist die Einheit der Differenz sozusagen der für ihn legitime Grund der
Negation der anderen Seite (in seinem Essay (u.a.): die Intrinsik des Eigenwertes). Für
ihn disqualifiziert sozusagen die nur in Form von Inhärenz beobachtbare Intrinsik des
Eigenwerts eben diesen (für Birnbacher ja nicht transzendentalen, sondern einseitig
intrinsischen) Eigenwert, der zwar tatsächlich nur eine Beobachtung ist (und notwendi-
gerweise sein kann), aber eben als transzendentaler Begriff bzw. als transzendentale
Beobachtung (nicht nur aber auch) den Verweis auf die (transzendente) Intrinsik und
den intrinsischen Wert mitführt.
Natur ist für Birnbacher (bzw. allgemein für den Menschen), in ihrer Unfunktionalität also
höchst funktional. Hier zeigt sich die Betonung der Einheit der Differenz von Funktiona-
lität und Unfunktionalität, die auch m.E. Funktionalität ist, nur bei Birnbacher eben ohne
die einseitige Zweiseitenform von Unfunktionalität und Funktonalität zu transzendieren.
Als Gegenbegriff zur Natur würde ich den Begriff der Kultur setzten. Kultur (in ihrer Funk-
tionalität) ist m.E. aber eine Emergenz der Natur, womit also (unkultivierte, quasi kulturell
unfunktionale) Natur die notwendige Bedingung der Möglichkeit von (funktionaler) Kultur
ist, ebenso, wie Unfunktionalität die notwendige Bedingung der Möglichkeit von Funkti-
onalität ist.
Jede Form von Beobachtung ist stets funktional, weshalb die Beobachtung der Unfunk-
tionalität nicht die eigentliche Unfunktionalität beobachten kann, sondern nur eine Art
funktionalisierter Unfunktionalität. Beobachtete bzw. in irgendeiner Form funktionalisierte
Natur wäre analog dazu auch nicht eigentliche Natur, denn diese verstehe ich als un-
funktionalen, (sozusagen unkultivierten) Indifferenzraum, eben als (an sich unbeobacht-
bare und notwendige) Bedingung der Möglichkeit von Kultur. Auch hier wird m.E. die
Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform notwendig, um der Komplexität gerecht
zu werden.
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 101
Diese Einsicht ist aber so wichtig, eben nicht nur weil „die Erfahrung der Unfunktionalität
und Selbstgenügsamkeit der Natur (…) etwas höchst Funktionales“ ist, „auf das der mo-
derne Mensch dringend angewiesen ist“ (Vgl. Birnbacher 1996, S.59), sondern auch und
vor allem deshalb, weil die in sich intrinsisch wertvolle, unkultivierte, unfunktionalisierte
und dem Menschen gegenüber völlig indifferente, eigentliche Natur, schlichtweg die not-
wendige Bedingung der Möglichkeit des Menschen selbst und seiner Kultur war und ist.
12 Das transzendentale Emergenz- und Werteschema 102
Damit wird auch nochmal deutlich , dass die so entscheidende, dritte Konvergenzhypo-
these (Vgl. Kapitel 9.3, speziell 9.3.2) auch und gerade in Bezug auf den Naturschutz
als widerlegt betrachtet werden kann, denn ein Naturschutz, der letztlich nur funktionale,
kultivierte bzw. kultivierbare Natur schützt, marginalisiert, ignoriert bzw. negiert den
Schutz der eigentlichen (unfunktionalen) Natur und damit die notwendige Bedingung der
Möglichkeit jeder Form von Kultur, einschließlich dieser rein auf Funktionalität, Instru-
mentalität und Nützlichkeit ausgerichteten Form dessen, was sich „Naturschutz“ nennt.
„Es gibt keinen echten Schutz für die Natur innerhalb des humanistischen
Systems – schon die Idee ist in sich widersprüchlich.“
Wenn Natur eine Form der Beobachtung und Beobachtung System und zudem unwei-
gerlich funktonal, und funktionalisierte Natur letztlich eine Form der Kultur ist, dann gibt
es tatsächlich keinen echten Schutz für die (eigentliche, unfunktionale, unkultivierte) Na-
tur im System, denn dieses System ist sozusagen Kultur. Genau deshalb muss man
m.E. das System, muss man die einseitige Zweiseitenform der Beobachtung (hier von
Kultur und Natur) transzendieren und auch der Natur einen transzendentalen Eigenwert
zuschrieben.169 Genau das hat auch Martin Gorke in Gorke (2010)170 getan und daraus
Konsequenzen und Strategien abgeleitet, wie man mit dieser Wertigkeit der Natur um-
gehen kann, ohne auf die Komplexitätsreduktions-Strategie der Einschränkung der Mo-
ralgemeinschaft, wie sie von jeder Form von Zentrismus praktiziert wird, zurückzugreifen
und ich denke auch, ohne die jeweils (nicht nur aber auch notwendigen) Bedingungen
der Möglichkeit zu marginalisieren oder gar zu negieren.
168 Adornos Zitat stammt zwar aus ganz anderem Zusammenhang, passt hier aber m.E. wunder-
bar irritierend und provozierend hinein.
169 (… ) und Natur selbstverständlich auch (aber eben nicht nur) innerhalb des Systems schützen.
170 (…) ausgehend vom Holismus (…)
V Konsequenzen einer transzendentalen bzw. einer holistischen Naturschutz-Ethik 103
Jede Form des Zentrismus, also auch die des Anthropozentrismus, erkennt ein Werte-
system an, dass im Grunde alle drei Wertetypen (instrumentell, inhärent und intrinsisch,
letzteres m.E. notwendigerweise in Form des formal inhärenten aber eben transzenden-
talen Eigenwertes) berücksichtigt, nur eben ausschließlich bezogen auf die jeweils im
Zentrum stehende Emergenz, im Falle des Anthropozentrismus eben bezogen auf den
Menschen bzw. eine Moralgemeinschaft, die ausschließlich aus Menschen besteht.
Ich würde behaupten, dass nicht einmal Dieter Birnbacher den (inhärenten) Selbstzweck
und nicht einmal den Eigenwert (und ich gehe davon aus, dass dieser Eigenwert den
intrinsischen Wert, sozusagen transzendentalerweise mitführt) des Menschen in Frage
stellen würde171. So sehr sich also Dieter Birnbacher darum bemüht, den intrinsischen
Wert bzw. den Eigenwert zu dekonstruierten, selbst er scheint ihm de facto uneinge-
schränkte Gültigkeit zuzusprechen, nur eben nur dann, wenn sich diese Werte auf Men-
schen beziehen. Diese Inkonsequenz ist m.E. ein großer Schwachpunkt seiner Argu-
mentation, die er selbst aber nicht thematisiert, vielleicht sogar gar nicht beobachtet bzw.
mitsieht.
171 Wobei ich Dieter Birnbacher nicht mal unterstellen würde, dass er ein reiner Anthropozentriker
ist, auch wenn er in Birnbacher (1996) so argumentiert.
13 Integrativ, transzendentale vs. holistische Ethik 105
Es gibt hier allerdings einen feinen aber entscheidenden Unterschied zum Holismus, der
grundsätzlich allem einen Wert zuschreibt, denn das hier entwickelte, transzendentale
Emergenz- und Werteschema schreibt nicht einfach allem einen Wert zu, sondern es
geht davon aus, dass (min.) allen beobachtbaren und unbeobachtbaren, notwendigen
Bedingungen all dessen, was als wertvoll beobachtet wird, konsequenterweise auch ein
Wert zugeschrieben werden muss und das schließt auch die notwendigen Bedingungen
der Möglichkeit der Werte-Beobachtung selbst mit ein.172 Das mag auf das Gleiche hin-
auslaufen, wie beim Holismus, es ist aber, genau genommen, nicht das Gleiche.
172 Nicht nur aber auch in Ablehnung an Apel könnte man wohl zudem die These aufstellen, dass
dies auch die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Beobachtung allgemein mit ein-
schließt, wobei sich dies aber auch schon als Konsequenz des hier entwickelten, transzen-
dentalen Emergenz- und Werteschemas ergibt. (Vgl. Kapitel 6.3.4.4)
13 Integrativ, transzendentale vs. holistische Ethik 106
Allerdings ist es auch aus der Perspektive des transzendentalen Emergenz- und Wer-
teschemas nicht nachvollziehbar, die Moralgemeinschaft auf bestimmte Beobachtungen
von Emergenzen oder Entitäten zu beschränken. Sowohl beim transzendentalen Wer-
teschema als auch beim Holismus ergibt sich also dieselbe Problematik: Es wird nötig,
Werte zu ordnen, also eine Strategie zu entwickeln, diese integrale Moralgemeinschaft
wohlbegründet in eine Hierarchie zu bringen, um auf Zielkonflikten und Pflichtkollisionen
reagieren zu können.
13.3 Der Grad der Emergenz und der Grad der Potentialität
Eine religiöse Konnotation kann man bei Wilber nicht direkt ausschließen, allerdings be-
steht m.E. keine Notwendigkeit, speziell das, was Wilber „GEIST“ nennt, religiös zu ver-
stehen. Man könnte diesen Begriff auch schlicht und ergreifend als die an sich unbeo-
bachtbare aber notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form der Physiosphäre
verstehen. Die Physiosphäre transzendiert175 die notwendige Bedingung ihrer Möglich-
keit, ebenso, wie die Biosphäre die Physiosphäre transzendiert, die wiederum die not-
wendige Bedingung der Möglichkeit der Biosphäre ist. Weiterhin transzendiert die
Noosphäre die Biosphäre, die ihrerseits notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder
Form der Noosphäre ist und die Noosphäre ist, nach meinem Verständnis davon, nichts
anderes als das Sinnsystem.
Wenn man also, wie mehrfach angesprochen (Vgl. Kapitel 6.3.4.4, Kapitel 13.1 und 13.2)
wurde, auch den notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Wertebeobachtung und
damit der Beobachtung, also dem Sinnsystem, als notwendige Bedingung der Möglich-
keit der Wertebeobachtung selbst, konsequenterweise auch einen Wert zuschriebt, dann
setzt sich die Reihe der notwendigen Bedingung der Möglichkeit rekursiv fort, über die
Biosphäre zur Physiosphäre bis hin zur notwendigen Bedingung der Möglichkeit dieser,
die Wilber (wohl im Rückgriff auf Plotin) eben „GEIST“ nennt.
Die Noosphäre bzw. das Sinnsystem ist demnach (zumindest nach gegenwärtig bestem
Wissen und Gewissen176) also die scheinbar höchste Emergenz, jede Form dieser Stufe
steht im Konfliktfalle und nur im Konfliktfalle höher, als Emergenzen tiefer Stufen.
Beispielsweise ist ein Virus -im Konfliktfalle177 - weder nach dem transzendentalen Wer-
teschema noch nach dem Holismus unangreifbar. Nach dem Holismus ist es wohl ein
größeres Problem, das plausibel zu machen, als mit dem transzendentalen Wer-
teschema, denn nach allem was wir wissen, haben Viren keine strukturelle Kopplung an
das Sinnsystem, das, was als menschlicher Körper beobachtet werden kann, aber
schon. Insofern ist im Konfliktfalle der als wertvoll beobachtete menschliche Körper
(höchst-)wahrscheinlicher, als der als wertvoll beobachtete Virus und das halte ich
ethisch und moralisch auch für völlig legitim, denn der menschliche Körper ist, nicht zu-
letzt gerade wegen seiner strukturellen Kopplung an das Sinnsystem, die höhere
Emergenz im Vergleich zum Virus.
176 Ich sehe eine Verpflichtung darin, beides stets zu hinterfragen, zu prüfen und weiter zu entwi-
ckeln und beides auch nicht im Sinne einer absoluten Ontologie zu „setzten“, sondern stets
nur im Sinne einer fungierenden Ontologie zu verstehen.
177 Und der Konfliktfall ist ja gerade ein Fall, bei dem ein Faktor (hier der Virus) die notwendigen
Bedingungen einer (wertvollen) Möglichkeit (z.B. die Unversehrtheit dessen, was als mensch-
licher Körper beobachtet werden kann) gefährdet bzw. direkt angreift. Das sich zu Wehr Setz-
ten (sicher auch das Vorbeugen) würde hier sozusagen selbst zu einer notwendige Bedingung
der Aufrechterhaltung dieser Möglichkeit werden.
178 So sehr also der Utilitarismus kritisiert wurde (Vgl. Teil III und IV), letztlich kann man doch
nicht ganz auf ihn verzichten, denn im Grunde geht es auch bei der Abschätzung der Potenti-
alität um eine Folgenabwägung, wenn auch nicht direkt um eine Nutzenabwägung.
13 Integrativ, transzendentale vs. holistische Ethik 108
(Kalff 2014)
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 109
„Spaemann (1990, 136) hat das Bemühen der sittlichen Vernunft, andere
Entitäten nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Aneignung, sondern pri-
mär als Selbstsein wahrzunehmen, bildhaft ‚Erwachen zur Wirklichkeit‘ ge-
nannt: Solange wir in der Egoperspektive verharren, wird uns die Welt
nicht wirklich. Andere Naturwesen erscheinen uns nur als ‚Umwelt‘, als
Triebobjekte, nicht als sie selbst. Ihnen gegenüber bleiben wir ähnlich naiv
wie der Passagier auf dem Ozeandampfer, der aus dem Augenschein sei-
ner Beobachterperspektive schließt, er befände sich im Zentrum des Oze-
ans und die Schiffe am Horizont seien alle viel kleiner als sein eigenes [..].
Aktiviert er seine Vernunft, weiß er, dass das nicht stimmt. Er betrachtet
die Welt dann aus einer ‚absoluten‘ Perspektive, gewissermaßen ‚von
ganz weit oben‘, von wo aus klar ist, dass er sich keinesfalls im Zentrum
des Ozeans befindet und die Dampfer am Horizont von derselben Grö-
ßenordnung sind wie sein eigener.“
Im Grunde beschreibt Gorke hier anhand Spaemanns Beispiels den Übergang von der
Beobachtung 1. Ordnung zur Beobachtung 2. Ordnung und diese (Vgl. Kapitel 5.6.2)
transzendiert eben die der 1. Ordnung. Insofern würde ich nicht von einer „absoluten
Perspektive“ (Vgl. Gorke 2010, S.109; Spaemann 1990, S.136) sprechen, sondern von
einer komplexeren, höheren Beobachtungsebene.
Zudem ist m.E. (nicht nur aber auch) die Emergenz und die ungestörte (autopoietische)
evolutionäre Weiterentwicklung „bewusstseinsloser Naturwesen“ notwendige Bedin-
gung der Möglichkeit der Emergenz „bewusstseinsbegabter Wesen“, also auch des
Menschen (Vgl. Gorke 2010, S.110 und Kapitel 13.3.1) und wenn man diesem einen
Wert zuspricht, so meine These, müsste man konsequenterweise auch (min.) all den
notwendigen Bedingungen seiner Möglichkeit einen Wert zusprechen, alles andere
würde uns zurückwerfen zur naiven Geisteshaltung des Passagiers „auf dem Ozean-
dampfer, der aus dem Augenschein seiner Beobachterperspektive schließt, er befände
sich im Zentrum des Ozeans und die Schiffe am Horizont seien alle viel kleiner als sein
eigenes“ (Vgl. Gorke 2010, S. 109).
Aus diesen Überlegungen heraus, bei denen es scheinbar keinen großen Unterschied
macht, ab man nun vom Holismus ausgeht oder von einem transzendentalen Emergenz-
und Werteschema, entwickelt Martin Gorke die Konsequenzen seines holistischen Mo-
ralprinzips, die im Folgenden hinsichtlich ihrer Integrierbarkeit in ein transzendentales
Emergenz- und Werteschema reflektiert werden.
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der
Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß
als Mittel brauchst.“
Ausgehend von der „Eigenständigkeit natürlicher Entitäten und ihrer Fähigkeit sich au-
tonom zu entfalten“ (Gorke 2010, S.111), formuliert Martin Gorke den kategorischen Im-
perativ im Sinne seines Holismus folgendermaßen um:
„Handle so, dass du alles Seiende niemals nur als Mittel, sondern immer
zugleich auch als Selbstzweck behandelst.“
Ähnlich, wie der Holismus „allem“ einen Wert zuschreibt, wird hier also konsequenter-
weise gefordert, „allem Sein“ auch in seiner (inhärenten) Selbstzwecklichkeit gerecht zu
werden. Für Kant war die Autonomie ein entscheidendes Kriterium, das auch Gorke auf-
greift. Der Begriff der Autonomie lässt sich nach Gorke auch „auf die unbelebte Materie
und die nicht zielgerichteten Prozesse der physikalischen, biologischen und ökologi-
schen Selbstorganisation“ (Gorke 2010, S.112) übertragen (Vgl. Kapitel 13.3.1). „So
lässt sich sinnvoll von der autonomen Lebensgestaltung eines Menschen (z.B. ‚freie‘
Berufswahl) wie von der autonomen Entwicklung eins Buchenwaldes (‚freie‘ Sukzessi-
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 111
onsdynamik) sprechen, ohne dass dabei unterstellt werden müsste, beide seien in glei-
chem Maße Urheber ihrer Entwicklung oder beide seinen gar von äußere und inneren
Vorgaben gänzlich frei“ (Gorke 2010, S.112). Die Berücksichtigung der Autonomie und
des Selbstzwecks alleine wäre nach dem transzendentalen Emergenz- und Wer-
teschema aber nicht genug, denn auch inhärente Selbstzwecklichkeit setzt eben die
Intrinsik als notwendige Bedingung voraus und Autonomie ist, transzendental betrachtet,
wohl nur so etwas, wie die äußerlich beobachtbare Form intrinsischer Autopoiesis.
Statt also nur den Selbstzweck bzw. den inhärenten Wert zu integrieren wäre nach dem
transzendentalen Emergenz- und Werteschema, also eher die Integration des transzen-
dentalen Eigenwerts (Vgl. Kapitel 6.3.4.3 und Kapitel 12.2) gefordert. Dieser ist zwar
stets „nur“ in inhärenter (quasi selbstzwecklicher) Form beobachtbar bzw. zuschreibbar,
verweist aber eben durch seine Transzendenz zugleich auch auf den an sich unbeo-
bachtbaren (bzw. nicht direkt zuschreibbaren) intrinsischen Wert als notwendige Bedin-
gung. Eine mögliche transzendentale Umformulierung des erweiterten kategorischen Im-
perativs könnte, m.E. und prima facie, also folgendermaßen lauten:
Handle wertvoll, und zwar so, dass du dich, nach bestem Wissen und Ge-
wissen, darum bemühst, (min.) allen notwendigen Bedingungen dieser
Möglichkeit, nicht nur einen instrumentellen Wert, sondern stets auch ei-
nen transzendentalen Eigenwert zuzuschreiben und dies in deiner Hand-
lung auch zu würdigen und zwar derart, dass die Aktualität der Handlung
im Idealfalle eine Potentialität bewirkt, die, wiederrum nach bestem Wis-
sen und Gewissen, notwendige Bedingung der Möglichkeit weiterer, kon-
struktiver Möglichkeiten ist. (Vgl. u.a. Kapitel 6.3.4.1, Kapitel 6.3.4.4, Ka-
pitel 13.1 und 13.2 und insbesondere auch Kapitel 13.3.2)
Ist die Handlung vornehmlich instrumentell, also zweckgerichtet, dann wäre min. das
Mittel eine notwendige Bedingung dieser Möglichkeit, einschließlich dessen Autonomie
im Sinne des Selbstzwecks bzw. der Inhärenz aber zudem eben auch eine Autopoiesis
im Sinne der Intrinsik, als der an sich unbeobachtbaren aber notwendigen Bedingung
der (autonomen) Inhärenz dessen, was instrumentell als Mittel beobachtet wird (Vgl. Ka-
pitel 6, insbesondere 6.3.4 und Abbildung 13). Es sei auch nochmal darauf hingewiesen,
dass im Sinne des transzendentalen Emergenz- und Werteschemas auch die Bedingun-
gen der Möglichkeit der Beobachtung selbst mit einbezogen werden (Vgl. Kapitel 6.3.4.4
und Kapitel 13).
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 112
Gorke betont bei seinem erweiterten kategorischen Imperativ noch drei Punkte, denen
ich mich grundsätzlich anschließen würde:
1. „(…) Gleiches gemäß seiner Gleichheit auch gleich zu bewerten und zu behan-
deln (…)“ (Gorke 2010, S.115)
2. (…) Verschiedenes je nach Art der Verschiedenheit auch entsprechend verschie-
den zu bewerten und zu behandeln (…)“ (Gorke 2010, S.115)
Gorke zitiert Teutsch (1987, S. 79), der den Gleichheitsgrundsatz „als insofern universal“
betrachtet, „als er auf alles, Gleiches und Verschiedendes anwendbar ist. Jeder Gegen-
stand, jeder Sachverhalt, jede Aussage und auch jedes Lebewesen kann im Vergleich
mit andren immer nur gleich oder ungleich bzw. ähnlich oder unähnlich sein, eine dritte
Möglichkeit gibt es nicht“ (Teutsch 1987, S. 79, in Gorke 2010, S. 115). Ich denke, das
müsste wohl auch für die Bedingungen von Möglichkeiten gelten und sich auf die sys-
temtheoretische Beobachtung übertragen lassen.
Gorke stellt klar, „dass sich die mögliche Gleichheit oder Ungleichheit zweier Dinge stets
auf ein konkretes Merkmal, den sogenannten Vergleichspunkt (‚tertium compartionis‘)
beziehen müssen“ (Gorke 2010, S. 115) und gibt folgendes Beispiel:
179 Mit dem Wort Objektivität wäre ich selbst extrem vorsichtig, wobei Gorke diese Vorsicht hier
natürlich auch walten lässt. Eine „annähernde Objektivität“ eben, keine „absolute Objektivität“,
was sich auch beispielsweise über die Assoziation zum systemtheoretischen Begriff der „fun-
gierenden Ontologie“ lösen lassen könnte, sie ist auch keine absolute Ontologie, sondern
quasi eine vorläufige, stets aktuell fungierende. Diese zeitliche Entparadoxierung könnte auch
für den Begriff der Objektivität funktionieren.
180 Ich hoffe diese Arbeit hat u.a. zu diesem Punkt etwas Sinnvolles beigetragen.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 113
Säugetiere jedoch ziemlich ähnlich. Ein pauschales Urteil über ihre mögli-
che Gleichheit oder Ungleichheit wäre somit wenig sinnvoll.“
Und genau hier sehe ich den Anknüpfungspunkt zum transzendentalen Emergenz- und
Werteschema, denn all diese Vergleichspunkte bzw. die jeweilige Gleichheit bzw. Un-
gleichheit, all das sind (in gewissen Sinne konstitutive aber eben auch kontingente181)
Beobachtungen, Formen von Extrinsik, beobachtete Merkmale, quasi als Zuschreibun-
gen im Sinne der Akzidenz (als Aspekt der Inhärenz).182 Was also diese (inhärenten)
Zuschreibungen bzw. Beobachtungen, speziell auf die Unterscheidung von Gleichheit
und Ungleichheit bezogen, angeht, so wäre ein pauschales (oder gar absolutes) Urteil
sicher wenig sinnvoll183 aber jede Form von Inhärenz hat in der Intrinsik die an sich un-
beobachtbare und notwendige Bedingung ihrer Möglichkeit und in diesem transzenden-
ten Schritt liegt m.E. die Verbindung, die doch eine grundsätzliche Gleichheit in diesem
Punkt konstatiert. Diese grundsätzliche Gleichheit in Bezug auf die stets vorhandene, an
sich unbeobachtbare und notwendige (intrinsisch-autopoietische) Bedingung der Mög-
lichkeit einer jeden Form von auf Extrinsik184 differenziert sich dabei natürlich zugleich
auch in eben diesen Möglichkeiten, weshalb Gorkes eingangs erwähnter, zweiter Punkt
deshalb keineswegs negiert ist, nämlich „Verschiedenes je nach Art der Verschiedenheit
auch entsprechend verschieden zu bewerten und zu behandeln (…)“ (Gorke 2010,
S.115). In diesem Zusammenhang führt Gorke, wieder im Rückgriff auf Teutsch, einen
wichtigen Punkt an:
(Gorke 2010, S.115 ‚zitiert hier Teutsch 1987, S.88‘, mit [Einschüben] von
Gorke selbst).
181 Konstitutiv in dem Sinne, dass die Intrinsik als an sich unbeobachtbare aber eben notwendige
Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Extrinsik quasi einen gewissen Beobachtungs-
Rahmen vorgibt, konstruktiv in dem Sinne, dass aber die konkreten Beobachtungen auf der
Ebene der Extrinsik dadurch nicht determiniert sind. Die an sich unbeobachtbare und notwen-
dige Bedingung der Möglichkeit der Beobachtung eines Baumes ist für die Beobachtung also
in gewisser Weise konstitutiv, an diesen Bedingungen der Möglichkeit ändert sich nichts, auch
wenn man kontingenterweise nicht „Baum“ beobachtet, sondern beispielsweise „Fagus syl-
vatica“.
182 Wobei diese Zuschreibungen umso kontingenter wären, wenn es gar um Instrumentalität
ginge, was allerdings bei der Unterscheidung von Gleichheit und Ungleichheit wohl eher nicht
der Fall ist.
183 Für den einen ist „Baum“ gleich „Baum“, für den anderen ist „Fagus sylvatica“ beispielsweise
ungleich „Carpinus betulus“.
184 Ich denke eben, man könnte das auch auf jede Form von Emergenz bzw. ganz allgemein, auf
jede Form von Beobachtung beziehen.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 114
Auch hier geht das transzendentale Emergenz- und Werteschema also wieder einen
Schritt weiter, denn auch für das Leben und Wohlbefinden eines Wesens gibt es nicht
nur beobachtbare, sondern auch an sich unbeobachtbare aber ebenso notwendige Be-
dingungen dieser Möglichkeit und genau die müssten m.E. zudem transzendiert und in-
tegriert werden.
Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Gorke einseitige Zweiseitenformen transzendiert, be-
rücksichtig er doch die (immanenten) Konsequenzen, die sich daraus ergeben und zwar
in Bezug auf die moralischen Regeln:
„Zugrunde liegt diesen Regeln auf der ersten Ebene das Prinzip der
Gleichheit bzw. Nichtdifferenzierung. Auf dieser fundamentalen Ebene
darf nicht diskriminiert werden. Alle moralischen Regeln sind zunächst,
d.h. wenn die Umstände annähernd gleich sind, auf Alle gleichermaßen
anzuwenden. Erst wenn sich bei näherem Hinsehen spezifische Gründe
zur Ungleichbehandlung auftun, darf auf der zweiten Ebene diskriminiert
werden. Die Gründe müssen dabei moralische Grunde sein und somit al-
len Prüfungen standhalten können, die für eine echte moralische Regel in
Anschlag zu bringen sind.“
185 Wobei in Gorke (2010), meines Wissens, an keiner Stelle eindeutig ausgeschlossen werden
kann, dass dieser von Gorke diskutierte Eigenwert nicht doch ein transzendental verstandener
Eigenwert ist. In seinen Ausführungen thematisiert Gorke diese Transzendenz aber nie direkt.
Es entsteht der Eindruck, als argumentiere er einseitig für das, was in dieser Arbeit als die
Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform entwickelt wurde. Ob Gorke das so sieht kann
ich natürlich nicht beurteilen, ich hoffe er nimmt es mir nicht übel, falls ich da völlig falsch läge.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 115
Das ändert aber nichts an der Gültigkeit dessen, was Gorke hier deutlich macht. Auch
auf der Ebene einer nicht transzendentalen Inhärenz lässt sich Gleichheit beobachten,
dass davor eine Gleichheit im Sinne der stets unbeobachtbaren (intrinsisch-autopoieti-
schen) Bedingung der Möglichkeit sozusagen „vorgeschaltet“ wird, ändert daran nichts.
Und auf dieser beobachtbaren Gleichheitsebene muss dann sicher gelten, „dass Ge-
rechtigkeit ‚bald Gleich- und bald Andersbehandlung‘ verlangt, ‚also nicht `Jedem das
Gleiche`, sondern `Jedem das Seine`, wie es seit der Antike heißt‘. Dabei betont er
[Teutsch], ‚dass die Andersbehandlung aufgrund eines Verschiedenseins niemals belie-
big sein kann, sondern genau dem festgestellten Anderssein entsprechen muss‘.“
(Gorke 2010, S.116, zitiert hier Teutsch 1987, S. 77,78, [Einschub hinzugefügt], die Zi-
tatstellen von Teutsch sind ‚gekennzeichnet‘)
Gorke gibt ein Beispiel, dass auch im Hinblick auf das transzendentale Emergenz- und
Werteschema funktioniert:
Es fehlt ihnen an diesen Fähigkeiten, weil die notwendigen Bedingungen dieser Mög-
lichkeiten nicht gegeben sind, es gilt aber m.E. dennoch die Pflicht, die Evolution dieser
bzw. anderer Bedingungen, und damit die Möglichkeit weiterer Emergenzschritte, gene-
rell nicht zu stören bzw. zu verhindern, wie das beispielsweise bei der Massentierhaltung
der Fall wäre.186 Mit anderen Worten: Das, was heute als „der Mensch“ beobachtet wird,
war in seinen frühen Entwicklungsstadien sicher einmal auf einer ähnlichen Entwick-
lungsstufe, wie unsere heutigen „Nutztiere“, aber wäre zu dieser Zeit ein höher entwi-
ckeltes Wesen gekommen und hätte den Menschen als „Nutztier“ in nicht artgerechten
-also die Evolution der notwendigen Bedingungen möglicher weiterer Emergenzschritte
verhindernder Art und Weise- „gehalten“, dann wäre der Mensch sicher nicht so weit
gekommen, dass er nun dieses Verbrechen selbst begehen kann. Und dieses Verbre-
chen besteht eben darin, die intrinsische Autopoiesis und damit auch die inhärente, au-
tonome Evolution ganzer Arten zu gefährden bzw. unmöglich zu machen. Genau das tut
leider der Mensch in zahllosen Fällen, er instrumentalisiert auf eine Art und Weise, die
mitunter jede Form von inhärenter, autonomer Selbstzwecklichkeit und jede intrinsische
Autopoiesis völlig negiert, missachtet oder zumindest marginalisiert und allein schon
dadurch weder der Komplexität des Seins noch seiner Verantwortung als vernunftbe-
gabtes und empathiefähiges Wesen gerecht wird.
186 (…) die auch Gorke erwähnt (in Gorke 2010, S. 116).
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 116
Wie weit diese Form von intellektueller, emotionaler bzw. psycho-sozialer Kurzsichtigkeit
gehen kann, zeigt Gorke am Beispiel der Zitterspinne, die nach Krebs (2000, S.76) „in
die gleiche Kategorie wie Thermostate und Schachcomputer gehört“.
Warum ist das so unmöglich? Nicht nur aber auch, weil die Zitterspinne eine inhärente
Autonomie und Selbstzwecklichkeit besitzt, die hinsichtlich einer intrinsischen Autopoie-
sis als die an sich unbeobachtbare aber notwendige Bedingung ihrer Möglichkeit trans-
zendiert werden kann. So eine autopoietisch bedingte Autonomie haben Thermostate
und Schachcomputer (zumindest in dieser Form der Komplexität) nicht, sie sind „nur“
Artefakte, wobei auch Artefakte an sich unbeobachtbare, notwendige Bedingungen ihrer
Möglichkeit voraussetzten. Der Unterschied ist aber, dass zum einen die Emergenzstufe
der Zitterspinne -und ich denke, das man das nach bestem Wissen und Gewissen sagen
kann- sehr viel höher ist (Vgl. Kapitel 13.3.1), als die eines Artefakts und zum anderen,
dass auch die damit verbundene Potentialität (oder Offenheit, Vgl. Kapitel 13.3.2) sehr
viel höher ist.
Gorke betont, dass der Gleichheitsgrundsatz als methodisches Mittel zu verstehen ist
(Vgl. Gorke 2010, S. 119), vielleicht könnte man auch sagen, als ein regulatives Prinzip,
das „ohne ein solides Fundament aus Moralprinzip, objektivem Wissen und subjektiver
Erfahrung einerseits sowie daraus gewonnener und bewährter Grundnormen anderer-
seits“ (Gorke 2010, S. 119) nicht funktioniert. Dies sind die Prinzipien erster Ordnung
bzw. die Grundregeln, von denen im nächsten Kapitel die Rede sein wird.
Gorke weist zudem auf die in zwischenmenschlichen Ethiken wichtigen Prinzipien der
Autonomie und der Gerechtigkeit hin, die allerdings bereits im erweiterten kategorischen
Imperativ integriert sind und in Gorkes holistischer Ethik Vorrang haben (Vgl. Gorke
2010, S.120).
Aus der Sicht des transzendentalen Emergenz- und Werteschemas geht es vornehmlich
darum, die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit zu integrieren. Jede Form der In-
strumentalisierung setzt notwendigerweise Inhärenz und damit auch Autonomie voraus,
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 117
Für Gorkes Holismus, der scheinbar die Autonomie nicht hinsichtlich der Autopoiesis
transzendiert, gilt das Prinzip des Nicht-Schadens nur für solche Entitäten, denen man
einen Schaden auch zufügen kann (Vgl. Gorke 2010, S. 121).
„Ein solcher liegt nur bei Entitäten vor, die zielgereichtet (teleologisch bzw.
teleonom) verfasst sind, also bei Lebewesen und vom Menschen zu be-
stimmten Zwecken hervorgebrachten Gegenständen. (…) Für unbelebte
Naturwesen und natürliche Gesamtsysteme, für die kein solches Telos an-
genommen werden kann, ist das Nicht-Schaden-Prinzip nicht sinnvoll. Bei
Ihnen kommt das umfassendere der beiden negativen Pflichten des Holis-
mus zu Anwendung: das Prinzip des Nicht-Einmischens.“
Die interessante Frage wäre jetzt: Ist Intrinsik oder Autopoiesis teleologisch auf die Mög-
lichkeit von Extrinsik bzw. Autonomie ausgerichtet?187 Beide (Intrinsik und Autopoiesis)
sind m.E. an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingungen der Möglichkeit jeder
Form von Inhärenz bzw. von Autonomie. Aber ist diese Möglichkeit auch ein Ziel? Ich
denke, diese Frage kann man nicht beantworten, immerhin sind diese Bedingungen
eben an sich unbeobachtbar, weshalb man die Teleologie der Intrinsik bzw. der Auto-
poiesis weder annehmen noch ausschließen kann. Insofern macht Gorkes verweis auf
das für diesen Fall vorgesehene Prinzip des Nicht-Einmischens m.E. sehr viel Sinn.
187 Besondere bei der Differenz von Intrinsik und Extrinsik sei an der Stelle nochmal darauf hin-
gewiesen, dass m.E. die an sich unbeobachtbare eigentliche Intrinsik die notwendige Bedin-
gung der Möglichkeit von Extrinsik ist, die aber eben keine äquivalente Bedingung von
Extrinsik ist. (Vgl. Kapitel 5.5 und 5.6) Das gilt m.E. generell für diese speziellen Differenzen,
bei denen es eine Einheit der Differenz gibt. (Vgl. Kapitel 4)
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 118
Denn genau diese ungestörte bzw. ungelenke, offene Entfaltung oder Emergenz ist für
sich auch wieder (notwendige) Bedingung weiterer Möglichkeiten und genau diese Po-
tentialität bzw. Offenheit (Vgl. Kapitel 13.3.2) ist deshalb achtenswert, ebenso, wie alle
notwendigen Bedingungen dieser Möglichkeit. Eine Instrumentalisierung, die nicht auch
die notwendigen Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit transzendiert, missachtet diese
letztliche auch an bzw. in sich selbst und behindert die freie, intrinsisch bzw. autopoie-
tisch bedingte Eigendynamik und Autonomie von Systemen.
(…) Es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Neutralität und die damit
verbundene negative Pflicht des Nicht-Einmischens mit der wichtigsten
positiven Pflicht der zwischenmenschlichen Ethik kollidieren, der Pflicht zu
helfen und anderen Wesen Gutes zu tun. Zwar sind positive Pflichten, wie
bereits erwähnt, zumindest gegenüber Fernstehenden, nicht in demselben
Maße bindend wie negative, doch erlaubt sind Wohltätigkeit und das Be-
mühen, Andere vor Schaden zu bewahren in der Zwischenmenschlichen
Ethik allemal. Dies ist im Verhältnis zur außermenschlichen Natur anders.
Hier ist zunächst einmal zwischen der ‚wilden Natur‘ und der ‚Natur in der
sozialen Gemeinschaft‘ zu unterscheiden.“
Gorke unterscheidet hier im Grunde Kultur und eigentliche Natur (Vgl. Kapitel 12.3), wo-
bei das Prinzip des Wohltuns bzw. „die Pflicht zu helfen und anderen Wesen Gutes zu
tun“ (Gorke 2010, S. 123) in erster Linie für die weiter gefasste Moralgemeinschaft des
Kulturwesens Mensch gilt. Wer kultiviert, trägt Verantwortung, denn die Kultivierung ist
eine Form der Fremdbestimmung, die notwendigerweise zu Lasten der Selbstbestim-
mung bzw. der Autonomie und Eigendynamik geht. Ein Wohltun ist im Hinblick auf die
eigentliche Natur gerade deshalb nicht geboten, im Gegenteil, das wäre sogar unzuläs-
sig, denn die Einbindung von eigentlicher Natur käme allein dadurch schon einer Kulti-
vierung gleich und das würde Natur zu kultivierter Natur verwandeln und genau das, was
sie ausmacht, ihre Indifferenz, ihre Unfunktionalität negieren. Langfristig kann es nur
fatal wirken, wenn man das missachtet, denn diese eigentliche Natur ist m.E. die an sich
unbeobachtbare, sozusagen unkultivierte, unfunktionale, intrinsisch autopoietische und
notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Kultur und damit eben auch des
Kulturwesens Mensch.
„Indes gibt es Situationen, wo auch im Umgang mit der ‚wilden Natur‘ die
positive Pflicht des Helfens angezeigt ist. Dies ist der Fall, wenn die nega-
tiven Pflichten des Nicht- Einmischens und Nicht-Schädigens verletzt wor-
den sind, anschließend aber die Chance besteht, dieses Fehlverhalten
durch einen zeitlich begrenzten Eingriff ‚wiedergutzumachen‘. Das Prinzip
das dann zu Anwendung kommt, ist das Prinzip der wiederherstellenden
Gerechtigkeit.“
Wenn damit aber nicht nur äußere Zustände (sozusagen formal) wiederhergestellt wer-
den sollen, die evtl. sogar dauerhafter Pflege durch den Menschen bedürfen, muss es
in erster Linie darum gehen, die intrinsische Autopoiesis des jeweiligen Systems wieder
herzustellen, was genau genommen unmöglich ist, was aber möglich ist, wäre die Schaf-
fung von äußeren Bedingungen, die die inneren Bedingungen diese Möglichkeit ver-
wahrscheinlichen. Letztlich sollte es also m.E. darum gehen, durch äußeres Einwirken
Bedingungen zu schaffen, die resiliente, autopoietische Systeme begünstigen und zwar
so, dass sie nicht dauerhaft auf diese Form der Hilfe angewiesen sind, sondern ihre
Potentialität in erster Linie aus sich heraus entfalten. Das ist ein Kriterium, an dem sich
wohl auch Naturschutz und Renaturierungsökologie messen lassen müssen, denn die-
ses zu missachten würde beider Wirken zu schlicht „besserem Gärtnern“ machen.188
Gorke sieht das ähnlich:
„Eine exakte Rückführung des Systems in seinen früheren Zustand ist we-
gen der prinzipiellen Irreversibilität natürlicher Prozesse allerdings nicht
möglich. Sie anzustreben wäre auch wenig sinnvoll, denn für Ökosysteme
lässt sich wegen ihrer stark vom Zufall und Randbedingungen abhängigen
Dynamik kein zeitunabhängiger, vom System selbst ableitbarer Sollzu-
stand angeben, wie das bei den teleonom verfassten Lebewesen möglich
ist. Da die im Naturschutz häufig verwendeten Begriffe der ‚Renaturierung‘
und der ‚Restaurierung‘ aber genau dies nahelegen, ziehe ich ihnen zur
Erläuterung des Prinzips der wiederherstellenden Gerechtigkeit den im
Naturschutz ebenfalls gebräuchlichen Begriff der ‚Restitution‘ vor.“
Abgesehen davon, dass das transzendentale Emergenz- und Werteschema keine Zu-
fälle189 beobachtet, sondern beobachtbare, wie an sich unbeobachtbare, notwendige Be-
dingungen für Möglichkeiten transzendiert und damit eben auch transzendental beo-
bachtet, kann ich mich dem nur anschließen.
188 Eine Fallstudie, beispielsweise zu Magerrasengesellschaften, wäre hierbei sicher hoch span-
nend.
189 Die Beobachtung des Zufalls ist vielleicht der Ausdruck einer nicht erfolgten Transzendenz
der einseitigen Zweiseitenform.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 120
Martin Gorke hat für seine holistische Ethik, die mit dem transzendentalen Emergenz-
und Wertschema m.E. sehr gut kompatible ist, diese Auseinandersetzung mit den so
entscheidenden Zielkonflikten und Pflichtkollisionen bereits geleistet, sie sei im Folgen-
den nur kurz angedeutet. Diese in aller gebotenen Differenziertheit auf eine mögliche
Integrationsfähigkeit bzw. Komptabilität mit einer transzendentalen Naturschutz-Ethik
hin zu reflektieren und zu diskutieren und ggf. anzupassen und weiterzuentwickeln,
würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen und ich denke, es wäre angemessen
und sinnvoll, diesem so wichtigen Punkt eine eigene Arbeit zu widmen.
14.2.1 Eine kurzer Ausblick auf eine zweistufige holistische Ethik nach
Gorke
Hier also nur in aller Kürze ein Eindruck davon, wie Martin Gorke das Problem der Ziel-
konflikten und Pflichtkollisionen angegangen ist.
Die zuvor diskutierten Grundprinzipien wurden von Gorke zunächst entwickelt „unter
dem Vorbehalt, dass deren Verwirklichung weder von legitimen menschlichen Interes-
sen noch von anderen moralischen Gesichtspunkten in Frage gestellt wird“ (Gorke 2010,
S. 148), was zur Entwicklung einer Theorie sicher notwendig ist, in der Anwendung und
Praxis aber eher die Ausnahme sein dürfte. Deshalb muss sich eine Theorie eben daran
messen lassen, wie sie sich im Umgang mit Zielkonflikten und Pflichtkollisionen bewährt.
Gorke schlägt hierzu eine zweistufige holistische Ethik vor: „Die bereits ausgeführten
Prinzipien erster Ordnung auf der oberen Ebene werden dabei durch mehrere Prinzipien
zweiter Ordnung auf einer nachgeordneten Ebene ergänzt (Gorke 2010, S. 149). Hinzu
kommen bei Gorke nach Abwägungskriterien, die speziell auf den Naturschutz bezogen
sind.
Wie gesagt, soll dies nur als Ausblick dienen, wie sich u.U. auch eine transzendentale
Naturschutz-Ethik ausbauen lassen könnte. Ob nun Gorkes Holismus die transzenden-
tale Sichtweise integriert oder die hier entwickelte transzendentale Sichtweise Gorkes
Holismus, ist letztlich nicht entscheidend, entscheidend ist, dass m.E. die notwendigen
Bedingungen für die Möglichkeit einer Transzendenz und Integration gegeben scheinen.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 121
Abbildung 17: „Übersicht über die Gesamtkonzeption mit ihren zwei Ebenen, vier Prinzi-
pien erster Ordnung, vier Prinzipen zweiter Ordnung und den fünfzehn Abwägungskrite-
rien“ (Gorke 2010, S.171, Abbildung direkt dort entnommen)
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 122
14.2.2 Reflektion zum Grad der Emergenz und zum abgestuften bzw.
gleichen Eigenwert
In Kapitel 13.3.1 wurde, in Anlehnung an Wilber, eine Hierarchisierung als Lösungsan-
satz für Konfliktsituationen, bezogen auf den Grad der Emergenz und in Verbindung da-
mit, in Kapitel 13.3.2, zudem im Hinblick auf den Grad an Potentialität vorgeschlagen.
Gorke (2010, S. 153) lehnt eine „Rangfolge des Natürlichen“ jedoch grundsätzlich ab,
weil es dafür „keinen objektiven Maßstab gibt“ (Vgl. Gorke 201, S. 153). Gorke weist
darauf hin, dass nach Schweitzer (1991, S.157, [Einschub] hinzugefügt), „das Unterneh-
men, allgemeine Wertunterschiede zwischen den Lebewesen zu statuieren, (…) darauf
hinaus [läuft], sie danach zu beurteilen, ob sie uns Menschen nach unserem Empfinden
näher oder ferner zu stehen scheinen, was ein ganz subjektiver Maßstab ist“ (Vgl. Gorke
2010, S. 153). „Nach Dawkins [1982, S. 106] gibt es deshalb ‚keinen Grund für die An-
nahme, dass ein Tier, das beispielsweise im Hinblick auf ein Merkmal `höher` entwickelt
ist, zwangsläufig in seiner Gesamtheit `höher` entwickelt sein muss. Deutlich wird dies,
wenn man etwa Bienen mit Tintenfischen vergleicht. Bienen zeigen einen höheren Stan-
dard an sozialer Organisation als Tintenfische, aber Tintenfische sind den Bienen hin-
sichtlich ihrer Lern- und Gedächtnisfähigkeit überlegen. Es ist unmöglich zu sagen, wer
von beiden ‚höher organisiert‘ ist“ (Gorke 2010, S.153; [Quellangabe] hinzugefügt).
Gorke spricht sich u.a. deshalb gegen eine Abstufung des Eigenwerts aus. „Ein Wesen
verdient entweder moralische Achtung oder nicht“ (Werner 2001, S. 267; in Gorke 2010,
S.155). „Ein Drittes gibt es nicht. Oder um es in Fachausdrücken zu sagen: ‚Eigenwert‘
ist ein binär kodierter und kein gradueller Begriff“ (Gorke 2010, S.155).
Und damit wäre ich vollkommen einverstanden, allerdings gibt es m.E. einen Unter-
schied zwischen dem, was Gorke Eigenwert nennt und dem, was im Rahmen des trans-
zendentalen Emergenz- und Wertschema als transzendentaler Eigenwert entwickelt
wurde. Während Gorkes Eigenwert sich wohl doch eher auf Selbstzwecklichkeit bzw. auf
Inhärenz bezieht190, geht es beim transzendentalen Eigenwert um einen Wert, der zwar
die Form des Inhärenten annimmt, aber eben über diesen hinaus, sich zugleich auch auf
den intrinsischen Wert bezieht. Insofern ist vielleicht auch hier eine Integration möglich.
190 Wobei es hier durchaus Inkonsistenzen gibt, was im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch
deutlich werden wir.
14 Reflektion und Integration Martin Gorkes holistischer Ethik 123
Grundlager der bloßen Beobachtung inhärenter Werte oder gar der bloßen Beobachtung
instrumenteller Werte de facto kategorisch ausschließt.(Vgl. u.a. Kapitel 6.3.4.4)
„Zweers (2000, S.116) hat darauf hingewiesen, dass man ‚dem Konzept des intrinsi-
schen Wertes ein nicht-intrinsisches Element beimengt‘, wenn man ungeachtet seiner
binären Kodierung von einem ‚mehr oder weniger an Eigenwert‘ spricht“ (Gorke 2010,
S.155). Obwohl Gorke beim Eigenwert sonst eher den Selbstzweck bzw. Inhärenz be-
tonte (Vgl. Kapitel 14.1.1), bezieht er sich nun doch auf Intrinsik, m.E. nicht ganz konsis-
tent zu dieser Stelle: „„Eigenwert heißt ja, dass etwas nicht nur wertvoll für andere ist
und nicht nur in bestimmter Hinsicht, sondern dass etwas wertvoll an sich ist (Gorke
2010, S.155).
Das erste Zitat von Gorke, in dem er sich auf Zweers (2000, S.116) bezieht, integriert
den intrinsischen Wert, das zweite, darauf folgende Zitat, spricht wider von (m.E. inhä-
renten, Vgl. Kapitel 6.3.2) Eigenwerten an sich, also Werten die zwar nicht notwendiger-
weise von Instrumentalität abhängen aber eben doch nicht so weit gehen, dass (intrinsi-
sche, Vgl. Kapitel 6.3.3) Werte in sich, integriert bzw. transzendiert würden, jedenfalls
wird diese Transzendenz nie direkt thematisiert. Damit scheint sich der Eindruck zu be-
stätigen, dass Gorke indirekt die Transzendenz mitführt, aber eben ohne sie direkt zu
thematisieren bzw. konkret zu integrieren.
Damit schließt sich in gewisser Weise der Kreis, denn genau dieser, letztlich eineindeu-
tige Verwendung der Wertetypen (instrumenteller, inhärenter, intrinsischer Wert bzw. Ei-
genwert) war der Ausgangspunkt dieser Arbeit. (Vgl. Kapitel 3.2)
Im Sinne des transzendentalen Eigenwertes ist dieser für jede Form der Wertebeobach-
tung gegeben und die Integrationsleistung des transzendentalen Emergenz- und Wert-
schemas (Vgl. Kapitel 13.2) bezieht sich zudem auch auf die notwendigen Bedingungen
der Möglichkeit der Wertebeobachtung und damit auch auf die der Beobachtung selbst.
Der Eigenwert hat an sich notwendigerweise die Form der Inhärenz, schlicht weil Intrinsik
(in sich) keine Form hat, insofern sind also auch Physiosphäre, Biosphäre und
Noosphäre Beobachtungen, die, konsequent transzendental beobachtet, niemals dazu
dienen können, Werte zu negieren, sondern stets dazu dienen, Werte zu transzendieren
und zu integrieren, wobei sie m.E. -im Konfliktfalle und nur im Konfliktfalle- auch sinnvoll
sein können, nicht um Werte abzuerkennen, sondern um Konflikte (nach bestem Wissen
und Gewissen) wohlbegründet zu lösen. (Vgl. Kapitel 13.3)
Man muss an dieser Stelle aber einräumen, dass der Bereich der relativen Ethik, also
der Bereich, in dem die Theorie auf praktische Probleme angewandt wird, höchst kom-
plex ist. Aus diesem Grunde wird im Rahmen dieser Arbeit davon abgesehen, dieses
Bereich weiter zu diskutieren, das erfordert wohl eine extra Arbeit, die sich vornehmlich
damit beschäftigt, eine zu hastige Festlegung wäre kaum sinnvoll.
VI Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen 124
Betrachtet wurden also Differenzen, für die es eine Einheit der Differenz gibt, also zu-
nächst die von System und Umwelt, deren Einheit System ist und Immanenz und Trans-
zendenz, deren Einheit Immanenz ist. So stellte sich u.a. heraus, dass die Umwelt des
Systems, obwohl natürlich über sie kommuniziert werden kann, sie also in gewisser
Form beobachtet wird, dennoch die an sich doch unbeobachtbare und notwendige Be-
dingung der Möglichkeit des Systems ist, ebenso wie die eigentliche Transzendenz, die
an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Im-
manenz ist. Beides kann m.E. im Kontext der ST bzw. der ATS als gesichert gelten.
Der entscheidende Schritt bestand nun darin, diese Transzendenz der einseitigen Zwei-
seitenform, die Einheit der Differenz und die Beziehungen der beiden Seiten der Diffe-
renz auf die Unterscheidung von Intrinsik und Extrinsik anzuwenden. Ausgehend von
der Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform von Intrinsik und Extrinsik, wurde zum
einen die Extrinsik als die Einheit dieser Differenz, zum anderen aber zugleich auch die
Intrinsik als die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit je-
der Form von Extrinsik entwickelt. Inhärenz, die durch die Differenz von Akzidenz und
Substanz definiert ist, ist demnach eine konkave, also der beobachteten Substanz und
damit -die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform vorausgesetzt- auch der eigent-
lichen, an sich unbeobachtbaren Substanz und damit wiederrum der Intrinsik zuge-
wandte Form der Extrinsik, während Instrumentalität eine konvexe, also der Inhärenz
des Mittels abgewandte Form der Extrinsik ist.
Damit wurde gezeigt, dass Instrumentalität nicht für sich alleine stehen kann, sie ist nicht,
wie andere Naturschutzethiker (beispielsweise Dieter Birnbacher) das sehen, Dreh- und
VI Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen 125
Für den Übergang zur eigentlichen Beobachtung der Wertetypen und die in Beziehung
Setzung dieser Wertetypen zu einem transzendentalen Werteschema wurde von einem
Grundaxiom ausgegangen:
Die Beziehungen zwischen Intrinsik, Extrinsik, Inhärenz und Instrumentalität gelten nun
also auch für die Wertebeobachtung, so dass,…(Vgl. Abbildung 13 und 14)
Problem bei der Zuschreibung bzw. Beobachtung des intrinsischen Wertes ist, dass er
sich eben auf die an sich unbeobachtbare Intrinsik bezieht, also im Grunde nicht direkt
zuschreibbar ist. Lösung dieses Problems ist der transzendentale Eigenwert, der zwar
den Wert der jeweils inhärenten Form zugeschreibt, durch seine Transzendenz aber zu-
gleich auch auf die an sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung dieser Möglich-
keit und damit auf Intrinsik und den intrinsischen Wert verweist. (Vgl. Abbildung 13 und
14)
Birnbachers Kritik dessen, was er unter „ökologische Ethik“ versteht, war allerdings
durchaus berechtigt, denn so wie Birnbacher sie versteht, wird hier scheinbar einseitig
auf intrinsische Werte fokussiert, besonders instrumentelle Werte werden dabei wohl
marginalisiert oder gar negiert. So eine einseitige Form der Wertebeobachtung ist auch
m.E. unhaltbar, ebenso allerdings, wie Birnbachers einseitig auf Instrumentalität ausge-
richtetes Werteschema. Besonders am Eigenwert, den die Ökologische Ethik, zumindest
in der Deutung Birnbachers, wohl einseitig intrinsisch versteht, die Birnbacher aber
ebenso einseitig inhärent versteht, macht sich dieser Unterschied fest. Die eine Sicht-
weise marginalisiert bzw. negiert hier die jeweils andere.
Ein treffendes Beispiel für die Einheit der Differenz von Unfunktionalität und Funktonali-
tät, die auch m.E. Funktionalität ist, aber ebenso auch ein treffendes Beispiels dafür,
dass Birnbacher die einseitige Zweiseitenform nicht transzendiert, denn für ihn ist dies
ein Argument dafür, dass letztlich stets der instrumentelle Wert der eigentlich entschei-
dende ist.
VI Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen 127
Funktionale Natur ist m.E. aber nichts anderes als eine Form von Kultur. Allgemein ist
jede Form von Beobachtung stets funktional, weshalb die Beobachtung der Unfunktio-
nalität nicht die eigentliche Unfunktionalität beobachten kann, sondern nur eine Art funk-
tionalisierter Unfunktionalität. Beobachtete bzw. in irgendeiner Form funktionalisierte Na-
tur wäre analog dazu auch nicht eigentliche Natur, denn diese verstehe ich, räumlich
gesprochen, als unfunktionalen, sozusagen unkultivierten Indifferenzraum, eben als an
sich unbeobachtbare und notwendige Bedingung der Möglichkeit von Kultur. Auch hier
wird m.E. die Transzendenz der einseitigen Zweiseitenform notwendig, um der Komple-
xität gerecht zu werden. Birnbacher (1996) wird dieser Komplexität nicht gerecht.
Und so eine Sichtweise hat Konsequenzen, auch und gerade für den Naturschutz, denn
wenn nur funktionale Natur geschützt wird (selbst wenn sich dies auf eine funktionali-
sierte Form von Unfunktionalität bezieht), dann wird eben letztlich nur in irgendeiner
Form eben doch funktionalisierte, kultivierte Natur geschützt, nicht aber die eigentliche
Natur im Sinne der unfunktionalen, unkultivierten, indifferenten, autopoietischen, intrin-
sischen und im Grunde auch an sich unbeobachtbaren aber eben notwendigen Bedin-
gung der Möglichkeit jeder Form von Kultur, einschließlich des Kulturwesens, das der
Menschen eben ist. Eine Kultur, die Naturräume maßlos funktionalisiert bzw. kultiviert,
zerstört letztlich die notwendigen Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit. Der Mensch
ist nicht aus einer für ihn funktionalen Natur entstanden, sondern aus einer ihm gegen-
über völlig indifferenten Natur.
Diese Einsicht ist so wichtig, eben nicht nur weil „die Erfahrung der Unfunktionalität und
Selbstgenügsamkeit der Natur (…) etwas höchst Funktionales“ ist, „auf das der moderne
Mensch dringend angewiesen ist“ (Vgl. Birnbacher 1996, S.59), sondern auch und vor
allem deshalb, weil die in sich intrinsisch wertvolle, unkultivierte, unfunktionalisierte und
dem Menschen gegenüber völlig indifferente, eigentliche Natur, schlichtweg die notwen-
dige Bedingung der Möglichkeit des Menschen selbst und seiner Kultur war und ist.
Damit wird auch deutlich , dass die so entscheidende, dritte Konvergenzhypothese Birn-
bachers (Vgl. Kapitel 9.3), auch und gerade in Bezug auf den Naturschutz, als widerlegt
betrachtet werden kann, denn ein Naturschutz, der letztlich nur funktionale, kultivierte
bzw. kultivierbare Natur schützt, marginalisiert, ignoriert bzw. negiert den Schutz der ei-
gentlichen, unfunktionalen, indifferenten Natur und damit die notwendige Bedingung der
Möglichkeit jeder Form von Kultur, einschließlich dieser rein auf Funktionalität, Instru-
mentalität und Nützlichkeit ausgerichteten Form dessen, was sich „Naturschutz“ nennt.
(Vgl. Kapitel 9.3.2, Kapitel 12.3 und 12.4)
Möglichkeit von Evolution und neuer Emergenzen fungieren können und zwar (sicher
mit Ausnahme eines existenzbedrohenden Konfliktfalles) unabhängig davon, ob wir, als
Menschen, darin etwas Funktionales beobachten oder nicht.
Das mag eine Utopie sein aber ich denke ihre Erzählung ist notwendig, um der Dystopie
der gegenwärtig totalen Funktionalisierung und damit auch der Marginalisierung und
letztlich Negierung der notwendigen Bedingung der Möglichkeit jeder Form von Funkti-
onalität (einschließlich uns selbst) etwas entgegen zu setzen.
Martin Gorke (2010) entwickelte dazu Grundprinzipien, die sich recht gut in das hier ent-
wickelte, transzendentale Emergenz- und Werteschema integrieren lassen (Vgl. Kapitel
14) und nicht umsonst ist das Prinzip des Nicht-Einmischens im Umgang mit Natur hier
vorrangig.
Letztlich muss sich eine Naturschutz-Ethik allerdings daran messen lassen, wie sie sich
im Umgang mit Zielkonflikten und Pflichtkollisionen bewährt. Für diese Fälle wurden
nach dem transzendentalen Emergenz und Werteschema der Grad der Emergenz und
der Grad der Potentialität als Kriterien zur Abwägung in Konfliktfällen vorgeschlagen
(Vgl. Kapitel 13.3). Martin Gorke schlägt hierzu eine zweistufige holistische Ethik vor
(Vgl. Kapitel 14.2). Gorke hat damit, für seine holistische Ethik, die Auseinandersetzung
mit den so entscheidenden Zielkonflikten und Pflichtkollisionen bereits geleistet. Diese
in aller gebotenen Differenziertheit auf eine mögliche Integrationsfähigkeit bzw. Kompa-
tibilität mit einer transzendentalen Naturschutz-Ethik hin zu reflektieren und zu diskutie-
ren und ggf. anzupassen und weiterzuentwickeln, hätte allerdings den Rahnen dieser
Arbeit gesprengt.
In dieser Arbeit ging es vor allem darum, das transzendentale Emergenz- und Wer-
teschema überhaupt einmal zu entwickeln (Teil II) und es im Hinblick auf utilitaristische
(Teil III und IV) und holistische (Teil V) Ansätze zu reflektieren und zu diskutieren.
Literaturverzeichnis 129
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