„Retardierte Differentialgleichung“ – Versionsunterschied

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'''Retardierte Differentialgleichungen''' sind ein spezieller Typ [[Differentialgleichung]], oft auch als '''DDE''' (Delayed Differential Equation) abgekürzt, oder als '''Differentialgleichung mit nacheilendem Argument''' bezeichnet. Bei ihnen hängt die [[Differentialrechnung|Ableitung]] einer unbekannten [[Funktion]] zum Zeitpunkt <math>t</math> nicht nur vom Funktionswertwert an diesem Zeitpunkt ab, sondern auch von Funktionswerten an früheren Zeitpunkten <math>t-\tau_i</math>, oder von Integralen über die Funktion über vergangene Zeitintervalle. DDEs spielen in Modellen eine Rolle, in denen die Wirkung erst verspätet (retardiert) auf die Ursache folgt. Bekannte Beispiele sind in der [[Epidemiologie]] ([[Infektion]], [[Inkubationszeit]]), Populationsentwicklung in der Biologie ([[Fortpflanzung]],Geschlechtsreifung) und [[Regelungstechnik|Regeltechnik]] (Verzögerungszeit) zu finden.
'''Retardierte Differentialgleichungen''' sind ein spezieller Typ [[Differentialgleichung]], oft auch als '''DDE''' (Delayed Differential Equation) abgekürzt oder als '''Differentialgleichung mit nacheilendem Argument''' bezeichnet. Bei ihnen hängt die [[Differentialrechnung|Ableitung]] einer unbekannten [[Funktion]] zum Zeitpunkt <math>t</math> nicht nur vom Funktionswertwert an diesem Zeitpunkt ab, sondern auch von Funktionswerten an früheren Zeitpunkten <math>t-\tau_i</math> oder von Integralen über die Funktion über vergangene Zeitintervalle. DDEs spielen in Modellen eine Rolle, in denen die Wirkung erst verspätet (retardiert) auf die Ursache folgt. Bekannte Beispiele sind in der [[Epidemiologie]] ([[Infektion]], [[Inkubationszeit]]), Populationsentwicklung in der Biologie ([[Fortpflanzung]], Geschlechtsreife) und [[Regelungstechnik|Regeltechnik]] (Verzögerungszeit) zu finden.


== Notation ==
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== Beispiele ==
== Beispiele ==
* Populationsentwicklung
* Populationsentwicklung
Sei <math>x</math> die Populationsdichte [[Geschlechtsreife|geschlechtsreifer]] [[Individuum|Individuen]], <math>\tau</math> die Dauer der Geschlechtsreifung, <math>\alpha</math> die pro-Kopf [[Fortpflanzung|Fortpflanzungsrate]], <math>\mu</math> die [[Mortalität|Sterberate]] und <math>p</math> die [[Wahrscheinlichkeit]] das die Geschlechtsreife erreicht wird. Dann entwickelt sich die Populationsdichte gemäss
Sei <math>x</math> die Populationsdichte [[Geschlechtsreife|geschlechtsreifer]] [[Individuum|Individuen]], <math>\tau</math> die Dauer bis zur Geschlechtsreife, <math>\alpha</math> die pro-Kopf [[Fortpflanzung|Fortpflanzungsrate]], <math>\mu</math> die [[Mortalität|Sterberate]] und <math>p</math> die [[Wahrscheinlichkeit]], dass die Geschlechtsreife erreicht wird. Dann entwickelt sich die Populationsdichte gemäß
:<math>\dot x=-\mu x(t)+\alpha p x(t-\tau)</math> <ref>Delay Differential Equations and Applications, NATO Science Series II: Mathematics, Physics and Chemistry, Springer Netherlands 2006, Ed.: O. Arino, M.L. Hbid, E. Ait Dads</ref>
:<math>\dot x=-\mu x(t)+\alpha p x(t-\tau)</math> <ref>Delay Differential Equations and Applications, NATO Science Series II: Mathematics, Physics and Chemistry, Springer Netherlands 2006, Ed.: O. Arino, M.L. Hbid, E. Ait Dads</ref>


== Besonderheiten ==
== Besonderheiten ==
[[Bild:Delay-diff-eq-One-species-evolution.png|thumb|Populationsentwicklung einer Art]]Im Vergleich zu den Anfangswerten bei nichtverzögerten Differentialgleichungen muss bei DDEs die Funktion <math>x(t)</math> über ein Zeitintervall gegeben sein, das mindestens so lang wie die maximale Verzögerung ist. Da man nun keine <math>n</math> Startwerte wie bei nichtverzögerten Anfangswertproblemen, sondern Startfunktionen mit prinzipiell unendliche vielen Parametern hat, spricht man auch von unendlich-dimensionalen Systemen. Eine weitere Besonderheit ist, das Diskontinuitäten in den Anfangsbedingungen Schrittweise auf höhere Ableitungen verlagert werden. Wird z.B. obige DDE mit den Parametern <math>\mu=-0.1, \alpha p = 0.5,\tau=3 </math> mit <math>x(t)=0 </math> bei <math>-3\le t < 0 </math> und <math>x(0)=10</math> initialisiert, ergibt sich die abgebildete Populationsentwicklung. Zum Zeitpunkt <math> t=3 </math> wird der bei <math> t=0 </math> vorhandene Sprung von <math> x=0 </math> auf <math> x=10 </math> auf die erste Ableitung <math> \dot x </math> übertragen, bei <math>t=6</math> wird die Diskontinuität von der ersten Ableitung auf die Zweite und so weiter, siehe auch das Beispiel '''schrittweises Integrieren'''. Anfängliche Unstetigkeiten klingen bei DDEs mit der Zeit ab.
[[Bild:Delay-diff-eq-One-species-evolution.png|thumb|Populationsentwicklung einer Art]] Im Vergleich zu den Anfangswerten bei nicht-verzögerten Differentialgleichungen muss bei DDEs die Funktion <math>x(t)</math> über ein Zeitintervall gegeben sein, das mindestens so lang wie die maximale Verzögerung ist. Da man nun keine <math>n</math> Startwerte wie bei nicht-verzögerten Anfangswertproblemen, sondern Startfunktionen mit prinzipiell unendlich vielen Parametern hat, spricht man auch von unendlich-dimensionalen Systemen. Eine weitere Besonderheit ist, dass Diskontinuitäten in den Anfangsbedingungen schrittweise auf höhere Ableitungen verlagert werden. Wird z.B. obige DDE mit den Parametern <math>\mu=-0.1, \alpha p = 0.5,\tau=3 </math> mit <math>x(t)=0 </math> bei <math>-3\le t < 0 </math> und <math>x(0)=10</math> initialisiert, ergibt sich die abgebildete Populationsentwicklung. Zum Zeitpunkt <math>t=3</math> wird der bei <math>t=0</math> vorhandene Sprung von <math>x=0</math> auf <math>x=10</math> auf die erste Ableitung <math>\dot x</math> übertragen, bei <math>t=6</math> wird die Diskontinuität von der ersten Ableitung auf die zweite und so weiter, siehe auch das Beispiel '''schrittweises Integrieren'''. Anfängliche Unstetigkeiten klingen bei DDEs mit der Zeit ab.


== Lösungsmethoden ==
== Lösungsmethoden ==
Die meisten DDE haben keine analytische Lösung, so daß man auf [[Numerische Mathematik|numerische Verfahren]] angewiesen ist.<ref>Delay-differential equations, M.R. Roussel, 2005, http://people.uleth.ca/~roussel/nld/delay.pdf</ref>.
Die meisten DDE haben keine analytische Lösung, so dass man auf [[Numerische Mathematik|numerische Verfahren]] angewiesen ist.<ref>Delay-differential equations, M.R. Roussel, 2005, http://people.uleth.ca/~roussel/nld/delay.pdf</ref>.


==== Schrittweises Integrieren ====
==== Schrittweises Integrieren ====

Version vom 23. März 2009, 19:32 Uhr

Retardierte Differentialgleichungen sind ein spezieller Typ Differentialgleichung, oft auch als DDE (Delayed Differential Equation) abgekürzt oder als Differentialgleichung mit nacheilendem Argument bezeichnet. Bei ihnen hängt die Ableitung einer unbekannten Funktion zum Zeitpunkt nicht nur vom Funktionswertwert an diesem Zeitpunkt ab, sondern auch von Funktionswerten an früheren Zeitpunkten oder von Integralen über die Funktion über vergangene Zeitintervalle. DDEs spielen in Modellen eine Rolle, in denen die Wirkung erst verspätet (retardiert) auf die Ursache folgt. Bekannte Beispiele sind in der Epidemiologie (Infektion, Inkubationszeit), Populationsentwicklung in der Biologie (Fortpflanzung, Geschlechtsreife) und Regeltechnik (Verzögerungszeit) zu finden.

Notation

Eine DDE mit einer unbekannten Funktion und einer punktweisen Verzögerung kann als

notiert werden, mit
und .

Eine DDE mit kontinuierlicher Verzögerung kann als

geschrieben werden.

Beispiele

  • Populationsentwicklung

Sei die Populationsdichte geschlechtsreifer Individuen, die Dauer bis zur Geschlechtsreife, die pro-Kopf Fortpflanzungsrate, die Sterberate und die Wahrscheinlichkeit, dass die Geschlechtsreife erreicht wird. Dann entwickelt sich die Populationsdichte gemäß

[1]

Besonderheiten

Populationsentwicklung einer Art

Im Vergleich zu den Anfangswerten bei nicht-verzögerten Differentialgleichungen muss bei DDEs die Funktion über ein Zeitintervall gegeben sein, das mindestens so lang wie die maximale Verzögerung ist. Da man nun keine Startwerte wie bei nicht-verzögerten Anfangswertproblemen, sondern Startfunktionen mit prinzipiell unendlich vielen Parametern hat, spricht man auch von unendlich-dimensionalen Systemen. Eine weitere Besonderheit ist, dass Diskontinuitäten in den Anfangsbedingungen schrittweise auf höhere Ableitungen verlagert werden. Wird z.B. obige DDE mit den Parametern mit bei und initialisiert, ergibt sich die abgebildete Populationsentwicklung. Zum Zeitpunkt wird der bei vorhandene Sprung von auf auf die erste Ableitung übertragen, bei wird die Diskontinuität von der ersten Ableitung auf die zweite und so weiter, siehe auch das Beispiel schrittweises Integrieren. Anfängliche Unstetigkeiten klingen bei DDEs mit der Zeit ab.

Lösungsmethoden

Die meisten DDE haben keine analytische Lösung, so dass man auf numerische Verfahren angewiesen ist.[2].

Schrittweises Integrieren

  • Ist eine Trennung der Variablen möglich kann durch schrittweises Integrieren eine geschlossene Lösung gewonnen werden.

Beispiel: Die DDE mit für kann umgeschrieben werden zu

,

womit die Lösung für das Interval bekannt ist. Für das Interval findet man

,

und so weiter.

Als nichtverzögertes DGL-System umschreiben

Manchmal kann man kontinuierliche DDE als System gewöhnlicher Differentialgleichungen schreiben.

Beispiel:

Durch die Substitution erhält man

Quellen

  1. Delay Differential Equations and Applications, NATO Science Series II: Mathematics, Physics and Chemistry, Springer Netherlands 2006, Ed.: O. Arino, M.L. Hbid, E. Ait Dads
  2. Delay-differential equations, M.R. Roussel, 2005, http://people.uleth.ca/~roussel/nld/delay.pdf