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'''Fahnenflucht''', '''Desertation''' oder '''Desertion''' bezeichnet das Fernbleiben eines [[Soldat]]en von militärischen Verpflichtungen in [[Krieg]]s- oder [[Frieden]]szeiten – benannt nach der Flucht von der [[Truppenfahne|Regimentsfahne]], unter der sich alle Soldaten zum Gefecht zu versammeln hatten. Der fahnenflüchtige Soldat wird allgemein als '''Deserteur''' ({{frS|déserteur}}, abgeleitet von {{laS|deserere|de=verlassen}}) bezeichnet und ihm im Falle der Flucht vor einem bevorstehenden Kampfeinsatz oft das straferschwerende Attribut „[[Feigheit vor dem Feind#Militärgeschichte|Feigheit vor dem Feind]]“ angelastet.
 
Von den Deserteuren rechtlich unterschieden werden sogenannte [[Totalverweigerung|Totalverweigerer]]. Dabei handelt es sich um [[Wehrpflicht]]ige, die ihrer Gestellungspflicht nicht nachkommen und/oder den [[Fahneneid]] verweigern. Die Betreffenden entziehen sich widerrechtlich bereits der [[Musterung]] oder treten nach deren Absolvierung weder den Militär- noch den Ersatzdienst an. Mitunter entziehen sich diese Personen der nun anstehenden [[Zwangsrekrutierung]] oder strafrechtlichen Verfolgung durch Flucht. In der [[Napoleon Bonaparte|napoleonischen Ära]] wurden solche Personen im deutschen Sprachraum ''Refrakteure'' genannt, nach dem französischen Terminus ''Réfracteurs'' oder ''Réfractaires''.<ref>{{Literatur |Hrsg=Donald J. Stoker, Frederick C. Schneid, Harold D. Blanton |Titel=Conscription in the Napoleonic Era. A Revolution in Military Affairs? |Reihe=DArtificial Intelligence Series |Verlag=Taylor & Francis |Ort=London |Datum=2008 |ISBN=9781134270095 |Seiten=4}}</ref> Der Begriff steht im politischen Sinn für „Widerständige“ oder „Eidverweigerer“ und wurde analog im [[Französische Revolution|revolutionären Frankreich]] auf Priester angewandt, die den Eid auf die republikanische Verfassung verweigerten (''[[Zivilverfassung des Klerus|prêtres réfractaires]]'').<ref>{{Internetquelle |url=https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/franz%C3%B6sisch-deutsch/r%C3%A9fractaire |titel=de.pons.com |abruf=2024-06-21}}</ref>
 
== Rechtliche Regelungen ==
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=== Situation in Deutschland ===
==== Kaiserreich ====
Im [[Deutsches Kaiserreich|Deutschen Kaiserreich]] war die Fahnenflucht als Sonderfall der [[Unerlaubte Entfernung (Militär)|Unerlaubten Entfernung]] im Dritten Abschnitt des Militärstrafgesetzbuches des Deutschen Reiches<ref>Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich ([[:s:Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich|Volltext in Wikisource]])</ref> vom 20. Juni 1872 geregelt. Die Fahnenflucht war, wie im heutigen Militärrecht, eine unerlaubte Entfernung in der Absicht, sich dem Wehrdienst dauerhaft zu entziehen; auch der Versuch war strafbar. Zur Aburteilung von Fahnenflucht waren [[Militärgericht]]e berufen.
 
Die Strafandrohung war äußerst feingliedrig: Der Strafrahmen lag grundsätzlich bei sechs Monaten bis zwei Jahren [[Militärgefängnis]]. Im ersten Rückfall betrug die Strafe von einem Jahr bis fünf Jahren Militärgefängnis (durch Änderungsgesetz vom 14. Juli 1914 wurde die Mindeststrafe in minder schweren Fällen auf drei Monate, im Rückfall sechs Monate ermäßigt),<ref>Deutsches Reichsgesetzblatt 1914, Nr. 42 ([[:c:File:Deutsches Reichsgesetzblatt 1914 042 247.png|Digitalisat auf Wikimedia Commons]])</ref> im wiederholten Rückfall [[Zuchthaus]] von fünf bis zehn Jahren.
 
Wurde die Fahnenflucht im Felde (d. h. im Kriegseinsatz) begangen, betrug die Strafe fünf bis zehn Jahre Militärgefängnis (durch Änderungsgesetz vom 25. April 1917 wurde die Mindeststrafe in minder schweren Fällen auf mindestens ein Jahr ermäßigt); im Rückfall, wenn die frühere Fahnenflucht nicht im Felde begangen worden war Zuchthaus von fünf bis fünfzehn Jahren, wenn die frühere Fahnenflucht im Felde begangen worden war, wurde der Rückfall mit dem [[Todesstrafe|Tode]] bestraft (aufgrund Änderungsgesetz vom 25. April 1917 konnte stattdessen lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus von zehn bis fünfzehn Jahren verhängt werden).
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Als Nebenstrafe war auf die [[Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes]] zu erkennen, die Verhängung der Zuchthausstrafe führte zur Entfernung aus dem Militär.
 
Stellte sich ein Fahnenflüchtiger innerhalb sechs Wochen nach erfolgter Fahnenflucht, so konnte die an sich verwirkte [[Zuchthaus]]strafe oder Gefängnisstrafe bis auf die Hälfte ermäßigt werden, wenn er die Fahnenflucht nicht im Feld (d.&nbsp;h. im Kriegseinsatz) begangen hatte. Lag kein Rückfall vor, so konnte von der Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes abgesehen werden. Gegen Unteroffiziere musste jedoch auf [[Degradierung (Rang)|Degradierung]] erkannt werden. Durch Änderungsgesetz vom 25. April 1917 wurde die Milderung auch für Taten im Felde eingeführt, wenn sich der Fahnenflüchtige innerhalb einer Woche stellte, an Stelle der Todesstrafe konnte in diesen Fällen auf lebenslängliches Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren erkannt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Hans Walde |Titel=Militärstrafgesetzbuch |Sammelwerk=Juristische Handbibliothek |Band=7 |Auflage=2. |Verlag=Arthur Roßberg |Ort=Leipzig |Datum=1917-07 |Seiten=26}}</ref>
 
Die Unterlassung einer Meldung einer geplanten Fahnenflucht, von der jemand glaubhaft Kenntnis erhalten hatte, wurde mit Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monate, im Feld von ein bis drei Jahren bestraft.
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* Für die Fahnenflucht blieben die Strafrahmen des Kaiserreiches (s.&nbsp;o.) in Kraft, die für besonders militärisch ungünstige Fälle, aber keinesfalls generell, die Todesstrafe vorgesehen hatten. Die noch vor Kriegsbeginn ergangene [[Kriegssonderstrafrechtsverordnung]] (KSSVO) legte in §&nbsp;6 aber undifferenziert fest: „Bei Fahnenflucht ist auf Todesstrafe oder auf lebenslanges oder zeitiges Zuchthaus zu erkennen.“ Gefängnisstrafen waren damit grundsätzlich nicht mehr möglich; die Todesstrafe schien als bevorzugt; gemäß der fehlenden richterlichen Unabhängigkeit ist von einer maßgeblichen Wirkung des [[Adolf Hitler|Hitler]]-Zitats „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muß<!-- sic! --> sterben“ auszugehen (welches an sich der Rechtslage nicht einmal nach Erlass der [[Kriegssonderstrafrechtsverordnung|KSSVO]] entsprach). Stellte sich der Täter binnen einer Woche, um den Wehrdienst fortzusetzen, konnte das Gericht die Strafe auf Gefängnis mildern.<ref>{{Internetquelle |url=https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1940&page=1390&size=45 |titel=ÖNB-ALEX – Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945 |abruf=2021-11-07}}</ref> Schärfer als die Fahnenflucht wurde die Verleitung anderer zur Fahnenflucht bestraft, nämlich als einer der noch vergleichsweise präzise subsumierbaren Fälle der (recht dehnbar formulierten) [[Wehrkraftzersetzung]] (§&nbsp;5 Abs.&nbsp;1 Nr.&nbsp;1,&nbsp;2 [[Kriegssonderstrafrechtsverordnung|KSSVO]]); hier war die Todesstrafe außer in minder schweren Fällen alternativlos vorgesehen. Zuständig waren die [[Standgericht|Feldkriegsgerichte]].<ref>Ralf Buchterkirchen: ''„…und wenn sie mich an die Wand stellen.“ Desertion, Wehrkraftzersetzung und „Kriegsverrat“ von Soldaten in und aus Hannover 1933–1945.'' AK Region und Geschichte, Neustadt am Rübenberge 2011, ISBN 978-3-930726-16-5, S. 75.</ref>
 
Die [[Militärgerichtsbarkeit (Nationalsozialismus)|NS-Militärjustiz]] fällte laut Hochrechnungen etwa 30.000 Todesurteile; davon wurden etwa 23.000 auch vollstreckt.<ref name="buchterkirchen">Ralf Buchterkirchen: ''„…und wenn sie mich an die Wand stellen.“ Desertion, Wehrkraftzersetzung und „Kriegsverrat“ von Soldaten in und aus Hannover 1933–1945.'' AK Region und Geschichte, Neustadt am Rübenberge 2011, ISBN 978-3-930726-16-5.</ref> Eine neuere Studie des Historikers Stefan Treiber kommt allerdings zu niedrigeren Zahlen. Eine detailliertere Auswertung der Wehrmacht-Kriminalstatistik ergab, dass während des Zweiten Weltkrieges ca. 26.000 Soldaten wegen Fahnenflucht verurteilt wurden. In seiner Studie hatte Treiber die Rechtsprechung des Feldheeres während des Feldzugs gegen die Sowjetunion ausgewertet. Er kam dabei auf eine Todesurteilsquote von ca. 60 % bis Ende 1944. Die Vollstreckungsquote, gemessen an den Todesurteilen, lag auch bei ca. 60 %. Dies würde bedeuten, dass bis Ende 1944 ungefähr 10.000 Wehrmachtsdeserteure hingerichtet wurden.<ref>{{Literatur |Autor=Stefan Treiber |Titel=Helden oder Feiglinge? Deserteure der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg |Band=13 |Auflage=|Verlag=Campus Verlag |Ort=Frankfurt |Datum=2021 |ISBN=978-3-593-51426-0}}</ref> Insgesamt sind etwa 350.000 bis 400.000 Soldaten desertiert ([[Wehrmacht]]gerichte, siehe dort bei Lit.)<!-- (inklusive [[freiwillige Gefangennahme]] gegen Kriegsende) freiwillige Übergabe in die Gefangenschaft – vom Geschehen noch mal was anderes als Desertion. Siehe Disk.Seite -->. Das macht bei rund 18,2 Mio. Soldaten aller Bereiche eine Desertionsquote von rund 2 %.<ref>Thomas Geldmacher: ''„Auf Nimmerwiedersehen!“ Fahnenflucht, unerlaubte Entfernung und das Problem, die Tatbestände auseinander zu halten.'' In: Walter Manoschek: ''Opfer der NS-Militärjustiz.'' Wien 2003, S. 135–136.</ref>
 
Zwar wurde für Desertion häufig die Todesstrafe verhängt, es kam aber auch zur Verhängung von insbesondere Zuchthaus-, seltener auch von Gefängnisstrafen. Ab 1942, als Freiheitsstrafen vermehrt in Front-Strafeinheiten verbüßt wurden, konnte nach Ablauf einer Überprüfungszeit auch eine Überführung von dort in ein KZ erfolgen.<ref>Peter Lutz Kalmbach: ''Wehrmachtjustiz.'' Berlin 2012, S. 161 ff.</ref> In der Spätphase des Krieges konnte die Möglichkeit zur Begnadigung bestehen, welche als Bedingung an den Einsatz in einer militärischen [[Bewährungsbataillon|Bewährungseinheit]] geknüpft war, wobei dort oft Aufträge mit geringer Überlebenschance ausgeführt werden mussten.
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[[Datei:Mauerstreifen Schumann Berlin.jpg|mini|Denkmal für den Deserteur der DDR-Bereitschaftspolizei, [[Conrad Schumann]]]]
 
Nach der [[Wende und friedliche Revolution in der DDR|Wendefriedlichen Revolution]] wurde bezüglich der Rehabilitierung zwischen Verurteilungen wegen §&nbsp;254 und §&nbsp;256 unterschieden. Während Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung in den Regelkatalog des §&nbsp;1 Abs.&nbsp;1 [[Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz|StrRehaG]] aufgenommen wurden, galt dies nicht für Fahnenflucht. Der [[Deutscher Bundestag|Bundestag]] ging davon aus, Fahnenflucht sei „überwiegend kein politisches Delikt“ gewesen, während „Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen […] zu politischen Zwecken unterdrückt und unter Strafe gestellt“ worden sei.<ref>{{BT-Drs|12|1608}}, Anlage 2, S. 33.</ref> Sanktionen wegen Fahnenflucht sind deshalb nach Ansicht der Rehabilitierungsgerichte nicht in allen Fällen, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Faktoren rehabilitierungsfähig. Das ist etwa der Fall, wenn der Tat politische Motive zugrunde lagen.
 
Die DDR hatte von Anbeginn ihres Bestehens eine hohe Zahl vollendeter Fahnenfluchten zu verzeichnen, namentlich durch die an der [[Innerdeutsche Grenze|innerdeutschen Grenze]] und an der [[Berliner Mauer]] eingesetzten Polizisten und Soldaten. In Einzelfällen kam es mit Blick auf eine Begünstigung bzw. Verhinderung der Flucht zum Einsatz mitgeführter Schusswaffen, und es waren Tote und Verletzte zu beklagen.
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=== Situation in Italien ===
Im italienischen Militärstrafrecht sind die Straftatbestände „unerlaubte Abwesenheit“ und „Desertion“ definiert. Ersterer Tatbestand gilt bei eintägiger Abwesenheit als erfüllt, letzterer bei fünftägiger Abwesenheit. Als Strafmaß sind bis zu zwei Jahre Haft vorgesehen.<ref>[https://www.difesa.it/Giustizia_Militare/Legislazione/PeacetimeMilitarycriminalcodes/Second_book/Pagine/TitleII.aspx Art.&nbsp;147 ff.] des Militärstrafgesetzbuchs für Friedenszeiten (englisch).</ref> Im Kriegsfalle gelten sowohl hinsichtlich des Straftatbestandes als auch beim Strafmaß strengere Regelungen. Die [[Verfassung der Italienischen Republik|Verfassung von 1948]] schaffte die Todesstrafe zwar grundsätzlich ab, ermöglichte sie jedoch im Bereich des Kriegsstrafrechts bis zu einer Verfassungsänderung im Jahr 2007.<ref>[http://www.verfassungen.eu/it/ital48.htm ''Italienische Verfassung''] mit Hinweisen auf Verfassungsänderungen (Art.&nbsp;27) auf verfassungen.eu (deutsch).</ref> Im Kriegsstrafrecht selbst wurde die Todesstrafe 1994 abgeschafft, ihre Anwendung ''de facto'' seit 1948 grundsätzlich ausgesetzt. Bis 1994 war für Desertion im Krieg rechtlich die Todesstrafe vorgesehen, seither gilt in diesem Fall die in Italien allgemein mögliche Höchststrafe, also lebenslange Haft (unter Umständen mit vorzeitiger Freilassung).<ref>[https://www.difesa.it/SMD_/CASD/IM/ISSMI/Corsi/Corso_Consigliere_Giuridico/Documents/95805_CPMG.pdf ''Italienisches Kriegsstrafgesetzbuch''] auf difesa.it (italienisch).</ref>
 
=== Situation in der Sowjetarmee und in Russland ===
Auch in der Sowjetarmee wurde gegen Deserteure mit Haftstrafen vorgegangen; besonders in [[Krieg]]szeiten wurde die [[Todesstrafe]] vorgesehen. So wurden fahnenflüchtige Angehörige der [[Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland|sowjetischen Truppen in der DDR]] häufig extrem hart bestraft, wenn sie die Fahnenflucht überhaupt überlebten. Gründe für die Fahnenflucht waren oft die Behandlung der Armeeangehörigen: Zur Tradition der sowjetischen bzw. russischen Truppen gehört bis heute teilweise die menschenunwürdige Behandlung der neu eingezogenen [[Rekrut]]en ([[Dedowschtschina]]).
 
== Rechtliche Bewertung im Hinblick auf Asyl und Flüchtlingsstatus ==
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In der Europäischen Union sagt Artikel 9e der [[Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie)]] denjenigen Schutz zu, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und deshalb Bestrafung fürchten müssen.
 
In einzelnen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland, wird dies streng ausgelegt. Wer den Kriegsdienst verweigert und in Deutschland Asyl beantragt, muss sehr restriktiven Auflagen genügen (Nachweise der Einberufung sowie der Einsatzbefehle mit Aufforderungen zu völkerrechtswidrigen Handlungen; außerdem müssen Asylsuchende bereits im eigenen Land einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben). Angesichts des [[Russischer Überfall auf die Ukraine 2022|russischen Überfalls auf die Ukraine 2022]] verwies Deutschland zunächst auf Einzelfallprüfungen für russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer.<ref>{{Internetquelle |autor=Marion Mück-Raab |url=https://www.tagesschau.de/investigativ/fakt/russen-asyl-kriegsdienstverweigerung-101.html |titel=Asylverfahren: Hohe Hürden für russische Kriegsdienstverweigerer |werk=tagesschau.de |datum=2022-06-01 |sprache=en |abruf=2022-06-03}}</ref> Nach der russischen Teilmobilisierung im September 2022 drängten einige EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Linie für den Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern;<ref>{{Internetquelle |url=https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-deserteure-103.html |titel=Teilmobilmachung in Russland EU will Umgang mit Deserteuren klären |werk=tagesschau.de |datum=2022-09-23 |abruf=2022-09-27}}</ref><ref name="finanzen-net-2022-09-26">{{Internetquelle |url=https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/keine-eu-loesung-fuer-umgang-mit-russischen-kriegsdienstverweigerern-11743476 |titel=Keine EU-Lösung für Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern |werk=finanzen.net |datum=2022-09-26 |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20220927040902/https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/keine-eu-loesung-fuer-umgang-mit-russischen-kriegsdienstverweigerern-11743476 |archiv-datum=2022-09-27 |abruf=2022-09-27 |archiv-bot=2023-12-22 01:57:39 InternetArchiveBot}}</ref> die politischen Positionen hierzu liegen jedoch weit auseinander. Die EU-Kommission wurde aufgefordert, die Leitlinien zur Visavergabe „unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken der Mitgliedstaaten zu überprüfen, zu bewerten und gegebenenfalls zu aktualisieren“.<ref name="finanzen-net-2022-09-26" />
 
Von Kriegsbeginn bis Herbst 2023 haben etwa 3.500 russische Männer im wehrfähigen Alter in Deutschland Asyl beantragt, und über mehr als die Hälfte dieser Anträge wurde entschieden. Nur in 92 Fällen wurde Schutz bewilligt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/russland-kriegsdienstverweigerer-asyl-100.html |titel=Kriegsdienstverweigerer: Kein Asyl – trotz Flucht vor Putins Krieg |werk=tagesschau.de |datum=2023-11-21 |sprache=de |abruf=2023-11-22}}</ref>
 
{{siehe auch|Kriegsdienstverweigerung#Krieg Russlands gegen die Ukraine (seit 2022)}}
 
== {{Anker|natsoz}}Fahnenflucht aus Streitkräften zur Zeit des Nationalsozialismus ==
Die Rehabilitation von ungehorsamen Soldaten des Zweiten Weltkriegs war in Deutschland schwierig. Mittlerweile wurden die Urteile von [[Opfer der NS-Militärjustiz|NS-Richtern]] gegenüber Deserteuren aufgehoben.<ref name="buchterkirchen" /> Ursache des seinerzeit vehement geführten parlamentarischen Streits war ein Urteil des [[Bundessozialgericht]]s vom 11. September 1991, welches der Witwe eines 1945 erschossenen Wehrpflichtigen Entschädigung nach dem [[Bundesversorgungsgesetz]] zugesprochen hatte. In einem weiteren Urteil, dieses Mal des [[Bundesgerichtshof]]s aus dem Jahr 1991 wurde festgestellt, dass es sich bei der [[Militärgerichtsbarkeit (Nationalsozialismus)|Wehrmachtsjustiz]] um eine „Terrorjustiz“ handele und die Wehrmachtsrichter wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.<ref name="buchterkirchen-54f">Ralf Buchterkirchen: "…und wenn sie mich an die Wand stellen". Desertion, Wehrkraftzersetzung und "Kriegsverrat" von Soldaten in und aus Hannover 1933–1945. Neustadt am Rübenberge 2011: AK Region und Geschichte, ISBN 978-3-930726-16-5, S. 54 f.</ref> Der Bundestag wurde in dem Urteil aufgefordert, die Urteile der Wehrmachtsjustiz aufzuheben.<ref name="buchterkirchen-54f" />
 
Erst 1998 beschloss der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Rehabilitierung der Deserteure und eine symbolische Entschädigung der Überlebenden und ihrer Angehörigen.<ref name="buchterkirchen" /> Das [[Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege]] sah jedoch zunächst – im Unterschied zu anderen Opfergruppen – eine Einzelfallprüfung vor. Erst 2002 wurde das Gesetz in der Weise geändert, dass nun auch die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht pauschal aufgehoben wurden.<ref>Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({{BGBl|2002 I S. 2714}}) (PDF; 16&nbsp;kB).</ref> Der Bundestagsabgeordnete [[Norbert Geis]] (CSU) bezeichnete die „pauschale Aufhebung der Urteile gegen Deserteure im Zweiten Weltkrieg“ nach der ersten Lesung des Gesetzes am 28. Februar 2002 als eine „Schande“.<ref>Norbert Geis: [http://www.presseportal.de/pm/7846/328608/cdu-csu-bundestagsfraktion-geis-eine-schande Presseerklärung vom 1. März 2002]</ref> Am 8. September 2008 beschloss der Deutsche Bundestag einstimmig sämtliche Urteile der NS-Militärjustiz aufzuheben und die Verurteilten zu rehabilitieren. Bis dahin waren noch die Rehabilitierungen wegen Kriegsverrats offen.<ref>{{BT-Drs|16|13654}}.</ref><ref>Ralf Buchterkirchen: "…und wenn sie mich an die Wand stellen". Desertion, Wehrkraftzersetzung und "Kriegsverrat" von Soldaten in und aus Hannover 1933–1945. Neustadt am Rübenberge 2011: AK Region und Geschichte, ISBN 978-3-930726-16-5, S. 56.</ref>
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== Motive zur Fahnenflucht ==
Motive zur Desertion lassen sich nicht auf monokausale Entscheidungen zurückführen. Sie sind vielmehr auf einer Gemengelage von situativen Verhältnissen und längerfristigen Entscheidungen zurückzuführenberuhend. In der Forschungsliteratur sind wiederholt Systematisierungen versucht worden, so von Martin Schnackenberg<ref>{{Literatur |Autor=Martin Schnackenberg |Titel=Ich wollte keine Heldentaten mehr vollbringen - Wehrmachtsdeserteure im II. Weltkrieg: Motive und Folgen untersucht anhand von Selbstzeugnissen |Sammelwerk=Oldenburger Schriften zur Geschichtswissenschaft |Band=4 |Verlag=BIS-Verlag |Ort=Oldenburg |Datum=1997 |ISBN=97838142060283-8142-0602-9}}</ref> und Marco Dräger-<ref>{{Literatur |Autor=Marco Dräger |Titel=Deserteur-Denkmäler in der Geschichtskultur der Bundesrepublik Deutschland |Verlag=Peter Lang |Ort=Frankfurt am Main |Datum=2017 |ISBN=978-3-631-71971-8}}</ref>.
 
; Politische Motivation
Historiker, die Gerichtsquellen einsehen konnten, kamen zu dem Schluss, dass eine politische Motivation zur Fahnenflucht eher selten war. Aus Akteneinsicht schätzte Gerhard Paul<ref>{{Literatur |Autor=Gerhard Paul |Titel=Ungehorsame Soldaten: Dissens, Verweigerung und Widerstand deutscher Soldaten (1939-19451939–1945) |Verlag=Röhrig Universitätsverlag |Ort=St. Ingbert |Datum=1994}}</ref> 1994 etwa 20 Prozent pazifistische und anti-nationalsozialistische Motive. Von den analysierten Fällen der in die Schweiz geflohenen Deserteure gaben 14,4 Prozent oppositionelle Einstellungen an. Stefan Treiber hatuntersuchte 4.000 Akten von Deserteuren untersucht und kommtkam zu dem Befund, dass nur in einem Prozent aller Fälle politische Gründe, also Widerstand gegen den Krieg oder den Nationalsozialismus, als Motiv glaubhaft sind.<ref>{{Literatur |Autor=Stefan Treiber |Titel=Helden oder Feiglinge – Deserteure der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg |Auflage=1 |Reihe=Krieg und Konflikt, Band |BandReihe=13 |Auflage=1. |Verlag=Campus |Ort=Frankfurt |Datum=2021 |ISBN=978-3-593-51426-0}}</ref>. Winfried Dolderer weist in seiner Rezension<ref>{{Internetquelle |autor=Winfried Dolderer |url=https://www.spektrum.de/news/zweiter-weltkrieg-wehrmachtsdeserteure-und-ihre-ns-richter/1943626 |titel=Fahnenflucht, um zu leben |hrsg=Spektrum.de |abruf=2022-08-07}}</ref> dieses Buches auf die Problematik solcher Befunde hin: ''Ein„Ein gefasster Deserteur, der sich vor Gericht offen als Regime- und Kriegsgegner bekannt hätte, hätte auf mildernde Umstände kaum rechnen können. Erschließen lassen sich Hintergründe indes aus der in den Akten umfangreich dokumentierten Vorgeschichte der Angeklagten, den Umständen der Tat, Zeugenaussagen. Wo sich Hinweise fanden, dass ein Angeklagter bereits im Zivilleben als Regimegegner aufgefallen war, schien es plausibel, auch für die Desertion ein politisches Motiv anzunehmen.'' Wo aber – besonders im letzten Kriegsjahr – Urteile nahezu im Minutentakt gefällt wurden, fehlt jede Untersuchung der Vorgeschichte.
 
; Religiöse Motive
Die folgende Darstellung der unterschiedlichen Ursachen und Motive für eine Fahnenflucht folgt den Untersuchungen von Peter Richter und Norbert Haase.<ref name="Richter-Haase">Peter Richter, Norbert Haase: ''Denkmäler ohne Helden.'' 2019.</ref>{{rp|43–75}}
Religiöse Motive können radikalpazifistischen oder tief religiösen Männern zugeordnet werden. Eine solche Persönlichkeit war der Wehrdienstverweigerer [[Hermann Stöhr]]. Dass er 1940 als „Deserteur“ hingerichtet wurde, macht deutlich, wie wenig zwischen religiösen Wehrdienstverweigerern und fahnenflüchtigen Soldaten unterschieden wurde.
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; Traumata
Traumatische Schlüsselerlebnisse als Auslöser von Fahnenflucht sind fast nur in amerikanischen und englischen biografischen Darstellungen zu finden. Die Verfestigung traumatischer Erlebnisse ist seit 1980, nach dem [[Vietnamkrieg]], unter dem Begriff [[Posttraumatische Belastungsstörung]] (PTSD) als psychiatrische Erkrankung anerkannt. Symptome, wie das „Kriegszittern“ oder das englische ''shell shock'' im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] sind deutliche Zeichen einer schweren PTSD. Nach Kriegsende schätzten britische Stellen, dass von dieser Symptomatik ca. 80.000 Soldaten betroffen waren<ref>{{Literatur | Autor=Peter Riedesser und Axel Verderber | Titel=Maschinengewehre hinter der Front – Zur Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie | Auflage=4. | Verlag=Mabuse-Verlag | Ort=Frankfurt am Main | Datum=2016 | ISBN=978-3-93596452935964-52-4}}</ref>. Die eigentlich kranken Soldaten wurden als willensschwache „Psychopathen“ und als charakterlich minderwertig behandelt. Deutsche Psychiater gingen so weit, diese „Kriegsneurosen“ als ein Delikt der „Wehrkraftzersetzung“ einzustufen, das nach der Kriegssonderstrafordnung<ref>{{Literatur | Titel=KSSVO: Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) | Sammelwerk=Deutsches Reichsgesetzblatt | Band=1939, Teil I | Nummer=147 | Datum=1938 | Seiten=1455 – 1457}}</ref> von 1938 mit dem Tod zu ahnden war. Berücksichtigt man die umfangreiche US-amerikanische und israelische militärpsychologische Forschung<ref>{{Literatur |Autor=Charles W. Hoge, Jennifer L. Auchterlonie, Charles S. Milliken |Titel=Mental Health Problems, Use of Mental Health Services, and Attrition From Military Service After Returning From Deployment to Iraq or Afghanistan | Sammelwerk=JAMA |Band=295(9) |Datum=2006 |Seiten=1023-1032 |DOI=10.1001/jama.295.9.1023}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Sebastian Junger |Titel=TRIBE: Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit |Verlag=Karl Blessing |Ort=München |Datum=2017 |ISBN=978-3-8966758789667-587-3}}</ref> zum Thema PTSD in Kampfhandlungen, so ist es hochwahrscheinlich, dass Traumata auch eine Ursache für Fahnenflucht an der Front waren. In den erhaltenen Prozessakten finden sich gemäß dem damals fehlenden Wissen über die Krankheit PTSD kaum Hinweise auf diese Motivgruppe. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass von den zum Tode verurteilten Deserteuren in vielen Armeen ein nicht geringer Teil nach heutiger Kenntnis an einer schweren PTSD litt.
 
== Denkmale für Deserteure ==
[[Datei:Jäckeldenkmal, Ebersdorf (Löbau) (5).jpg|mini|hochkant|Deserteursdenkmal am Jäckelberg in [[Ebersdorf (Löbau)]]]]
[[Datei:Deserteure (Löbau).jpg|mini|hochkant|Deserteursdenkmal in [[Löbau]], Brunnenstraße]]
Erste Deserteursdenkmäler wurden in der [[Lausitz]] schon bald nach dem Krieg errichtet. Auf dem Gebiet der DDR entstanden zwischen 1950 und 1980 weitere Denkmäler. In den Recherchen über Deserteursdenkmäler in Deutschland sind sie weitgehend unbekannt geblieben und spielten im Diskurs der 1980er Jahre über die Errichtung von Deserteursdenkmälern in der Bundesrepublik keine Rolle. Erst die Arbeit von Peter Richter und Norbert Haase hat sie 2019 wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|86–93}}
* Im [[Löbau]]er Stadtteil [[Ebersdorf (Löbau)|Ebersdorf]] wurde im August 1945 am Südhang des Jäckelberges ein Gedenkstein aufgestellt mit der Inschrift ''Hier ruhen als Opfer des Faschismus 8 kriegsmüde deutsche Soldaten, erschossen 7. Mai 1945''. Die 8 Soldaten hatten sich bei [[Görlitz]] von ihrer Truppe entfernt, die Waffen weggeworfen und sich am Stadtrand von Löbau versteckt. Sie wurden verraten und am Morgen des 7. Mai binnen weniger Minuten von einem Standgericht zum Tode verurteilt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|92–93}}
* Ein zweiter Gedenkstein wurde in Löbau zwischen 1945 und 1948 auf der Brunnenstraße errichtet. Mit der Inschrift ''An dieser Stelle starben als Opfer des Faschismus einige kriegsmüde Soldaten'' erinnert er an die Erschießung des Panzerschützen Rudolf Wagner und des Pioniers Walter Wukasch am 13. März 1945 und eines weiteren Soldaten im April.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|91–92}}
* In der kleinen Stadt [[Peitz]] wurde 1948 auf dem städtischen Friedhof ein schwarzer Granitobelisk mit der Inschrift ''Hier ruhen vom faschistischen Terror gemordete 7 aufrechte unbekannte deutsche Soldaten'' errichtet. Er erinnerte an Wehrdienstverweigerer, die auf Befehl des Generals [[Ferdinand Schörner]] im Februar und März 1945 hingerichtet worden waren. Der Stein wurde zu Beginn der 1990er Jahre umgesetzt und 2015 mit neuer Inschrift aufgestellt, so dass jetzt fünf der Hingerichteten namentlich genannt sind, aber der Hinweis auf den faschistischen Terror fehlt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|89–90}}
* Am S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße befindet sich unter der Bahnbrücke eine Bronze-Gedenkplatte, die mit dem Text ''Kurz vor Beendigung des verbrecherischen Hitlerkrieges wurden hier zwei junge deutsche Soldaten von entmenschten SS-Banditen erhängt, 1952 / Erneuert 1999'' daran erinnert, dass die beiden Soldaten am 24. April 1945 hier am Fenstergitter der Bahnhofsbuchhandlung erhängt wurden, weil sie sich weigerten, den Krieg fortzuführen. Eine provisorische Gedenktafel wurde gleich nach dem Krieg angebracht, die Bronzetafel dann 1952. Nach der [[Wende und friedliche Revolution in der DDR|Friedlichen Revolution in der DDR]] wurde die Tafel gewaltsam entfernt.<ref>{{Internetquelle |url=http://niqolas.de/feindbeguenstigung.de/be_02.jpg |titel=Deserteursdenkmäler in der DDR |hrsg=Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt e. V., Hamburg |abruf=2022-08-07}}</ref> Die jetzige Tafel wurde nach dem Umbau des Bahnhofs angebracht.<ref>{{Literatur |Titel=Kurz vor Kriegsende ermordete die SS an der Friedrichstraße zwei junge Soldaten |Sammelwerk=Der Tagesspiegel |Datum=1999-12-08 |Online=https://www.tagesspiegel.de/berlin/kurz-vor-kriegsende-ermordete-die-ss-an-der-friedrichstrasse-zwei-junge-soldaten/109592.html |Abruf=2022-08-04}}</ref><ref name="Richter-Haase" />{{rp|94}}
* Die Stadt [[Görlitz]] blieb weitgehend von den Kampfhandlungen des Jahres 1945 weitgehend verschont, dennoch zeigten sich in den letzten Kriegstagen angesichts der tödlichen Bedrohung Auflösungserscheinungen in der Truppe. Die Leichen erschossener Soldaten und Bürger wurden auf dem Postplatz zur Abschreckung abgelegt und zur Schau gestellt. In den 1960er Jahren brachte man am Amtsgericht auf dem inzwischen umbenannten Platz eine Gedenktafel an: ''Platz der Befreiung / Auf diesem Platz lagen im Frühjahr 1945 von faschistischen Mordkommandos umgebrachte Soldaten und Bürger. / Die Toten mahnen die Lebenden.''<ref name="Richter-Haase" />{{rp|90–91}}
[[Datei:Denkmal an die Ermordung Johannes Rockstroh in Dippoldiswalde 8. Mai 1945.jpg|mini|hochkant|Denkmal an die Ermordung Johannes Rockstroh in Dippoldiswalde 8. Mai 1945]]
* In der sächsischen Kleinstadt [[Dippoldiswalde]] wurde am 8. Mai 1965 am Obertorplatz ein Gedenkstein aufgestellt mit der Inschrift ''Hier wurde von faschistischen Schergen der Soldat Johannes Rockstroh am 8. Mai 1945 ermordet''. Zwei Feldgendarmen hatten den 43-jährigen Soldaten ohne Waffen und Papiere in der Umgebung der Stadt aufgegriffen und deuteten das als Fahnenflucht. Wenige Stunden vor dem Kapitulationszeitpunkt (8. Mai 1945, 23:00 Uhr) wurde Johannes Rockstroh vor den Augen der Bevölkerung erhängt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|96}}
* In [[Forst (Lausitz)]] befindet sich an der Ecke Spremberger Straße / Triebeler Straße ein Findlingsstein[[Findling]]sstein mit Textplatte zum Gedenken an vier Soldaten, die 1945 durch ein Militärgericht wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Das Denkmal mit der Inschrift ''An dieser Stelle wurden 1945 4 Kriegsgegner durch die faschistische Wehrmacht ermordet / Ehre ihrem Andenken'' wurde 1977 eingeweiht.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|89–89}}
* Auf dem Hauptfriedhof in Forst (Lausitz), liegen 80 Deserteure, die im April 1945 von der SS-Sturmbrigade Dirlewanger in [[Weißagk]] (7 km nordwestlich von Forst) erschossen wurden. Ein Grabstein mit der Inschrift ''Hier ruhen 80 namenlose Deutsche / ermordet im April 1945 in Weissagk durch die SS'' wurde 1985 aufgestellt. Ursprünglich befanden sich die Gräber und der Stein in Weißagk, sie wurden vor der Abbaggerung des Ortes 1985 nach Forst umgebettet.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|86–87}}
* Gedenkort für Deserteure auf dem [[Nordfriedhof (Dresden)]]: Im entlegenen Nordteil des Friedhofs befinden sich Gräber für 136 von der NS-Justiz in Dresden zum Tode verurteilte und hingerichtete Wehrmachtsangehörige, die Urteile ergingen überwiegend wegen Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung. Im Februar 1956 wurden die Grabstellen zusammengefasst und mit einem schlichten Gedenkstein gekennzeichnet, der die Inschrift trägt ''Gedenken der Soldaten, die gegen Krieg und Faschismus kämpfend den Opfertod starben''. 2004 erhielten alle 136 Grabstellen Liegesteine, auf denen Name, Geburts- und Sterbedatum stehen. Nach 1945 wurden auf dem Friedhof auch Grabstätten für die hingerichteten Widerstandskämpfer des [[Attentat vom 20. Juli 1944|Attentats vom 20. Juli 1944]] [[Friedrich Olbricht]] und [[Hans Oster]] errichtet.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|165–167}}
* Deserteursdenkmäler in [[Leipzig]]: Auf dem [[Bienitz]], einem bewaldeten Hügel im Nordwesten Leipzigs, befand sich bis 1989 ein Truppenübungsplatz. Seit 2001 steht in der Nähe der „Alten Wache“ ein Gedenkstein mit der Inschrift ''ZUR ERINNERUNG AN DIE OP'''F'''ER DER NATIONALSOZIALISTISCHEN MILITÄ'''R'''JUSTIZ, DIE IN DEN JAHREN VON 1940 B'''I'''S 1944 AUF DEM EHEMALIGEN MILITÄRSCHIESSPLATZ BI'''E'''NITZ WEGEN FAHNENFLUCHT, WEHRKRAFTZERSETZUNG O'''D'''ER SELBSTVERSTÜMMELUNG HINGERICHT'''E'''T WORDEN SI'''N'''D''. Die hervorgehobenen Buchstaben ergeben das Wort FRIEDEN. Viele der Hingerichteten wurden auf dem [[Ostfriedhof (Leipzig)]] bestattet. Bereits 1946 wurden zur Erinnerung einfache Holzkreuze gesetzt. 1998 wurde an dieser abseits gelegenen Stelle eine Gedenkstele aufgestellt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|143–145}}
 
Erste Initiativen zur Errichtung von Deserteurdenkmälern in der Bundesrepublik entstanden 1981 in [[Kassel]] und 1983 in [[Bremen]].<ref>[{{Webarchiv |url=http://www.geibev.de/Desertion_und_Kriegsdienstverweigerung/articles/Denkmale_f%C3%BCr_Deserteure.html |text=''Denkmale für Deserteure.''.] |wayback=20150106221435 |archiv-bot=2023-12-22 01:57:39 InternetArchiveBot}} Außerparlamentarische Debatten, Initiativen, neue Forschung, Denkmale bei der Georg-Elser-Initiative Bremen.</ref>
[[Datei:Karlsaue 6.jpg|mini|hochkant|alt=KDV und Deserteure|Die Tafel für Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Widerständler]]
* 1981 forderte der Abgeordnete Ulrich Restat von der Grünen-Fraktion im [[Kassel]]erKasseler Stadtrat, für die Opfer der NS-Militärjustiz ein Denkmal in Kassel zu errichten und ihre Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Die Forschungsarbeit übernahm der Kasseler Historiker Jörg Kammler und legte 1985 das Ergebnis<ref name="kammler">Jörg Kammler: ''Ich habe die Metzelei satt und laufe über… – Kasseler Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand (1939–1945),.'' Fuldabrück, 1985.</ref> vor. Er rekonstruierte aus den Akten das Schicksal von 114 Soldaten aus Kassel, die sich dem NS-Regime widersetzt hatten. 56 von ihnen wurden zum Tode verurteilt, davon 29 hingerichtet. Nach mehrjähriger Debatte beschloss die Stadt Kassel, das Gedenken an diese Gruppe mit einer Gedenktafel am [[Ehrenmal (Karlsaue)]] zu unterstützen. Der Text wurde im Februar 1985 beschlossen, die Tafel aber erst im Mai 1987 enthüllt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|97–99}}
[[Datei:Deserteurdenkmal (Vegesack) 10.jpg|mini|hochkant|Denkmal für den unbekannten Deserteur in [[Bremen]]]]
* Am 18. Oktober 1986 wurde im ''Gustav-Heinemann-Bürgerhaus'' in Bremen-Vegesack von der Gruppe „Reservisten verweigern sich“ das Denkmal „Dem''Dem unbekannten Deserteur“Deserteur'' aufgestellt.
* Im November 1987 enthüllte die Gruppe „Reservisten verweigert“ der [[DFG-VK]] in München vor der [[Feldherrnhalle]] das Denkmal „Den''Den Deserteuren aller Kriege“Kriege''. Das DenkmalEs wurde danach im Stadtmuseum und im Foyer der Kammerspiele bei Veranstaltungen gezeigt, konnte aber in München keinen Platz finden. Es wurde nach Mannheim verbracht und dort steht es jetzt vor dem „Bücherladen Neckarstadt“. Der am Denkmal beteiligte Künstler [[Stefan von Reiswitz]] verstarb im Mai 2019 in München.<ref>[https://trauer.sueddeutsche.de/todesanzeige/stefan-freiherr-von-reiswitz-und-kaderzin ''Stefan Freiherr von Reiswitz und Kaderzin''] auf süddeutsche.de.</ref>
* Die „Darmstädter Friedenshetzer“ enthüllten ebenfalls im November 1987 eine Stahlplastik. Nach mehreren Aufstellungsorten hängt die Plastiksie seit 2018 auf dem Hiroshima-Nagasaki-Platz.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/DM_DenkmalFuerDenUnbekanntenDeserteur.htm |titel=Denkmal für den unbekannten Deserteur |werk=dfg-vk-darmstadt.de |datum=1987-11-12 |abruf=2021-12-27}}</ref>
* 1988 wurde das Denkmal für den unbekannten Deserteur auf dem [[Trammplatz]] in [[Hannover]] aufgestellt und 2015 im Rahmen von Umbaumaßnahmen von der Stadt Hannover entfernt. Ein städtisches Denkmal wurde anschließend auf dem [[Stadtteilfriedhof Fössefeld]] aufgestellt.<ref>Ralf Buchterkirchen: "Du''„Du brauchst dich wegen meiner Hinrichtung nicht zu schämen…". Ungehorsame Soldaten in Hannover 1933–1945.'' AK Region und Geschichte, Neustadt am Rübenberge 2020: AK Region und Geschichte, ISBN 978-3-930726-34-9, S.&nbsp;59–63.</ref>
* 1989 wurde auf Initiative des Bürgermeisters von [[Steinheim an der Murr]] Alfred Ulrich ein Gedenkstein für den am 17. April 1945 exekutierten Soldaten [[Erwin Kreetz]] errichtet. Der Vater von vier Kindern hathatte sich, nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau bei einem Bombenangriff auf Berlin ums Leben gekommen war, kurz vor der Befreiung durch amerikanische Truppen von seiner Einheit entfernt. Er wurde drei Tage vor der Befreiung in einem Steinbruch bei Steinheim an der Murr exekutiert.
[[Datei:Gedenktafel Erwin Kreetz.jpg|mini|Gedenktafel [[Erwin Kreetz]]]]
 
* Lange Zeit umstritten war auch das 1989 für die damalige Bundeshauptstadt [[Bonn]] geplante, nun aber auf dem ''[[Platz der Einheit (Potsdam)|Platz der Einheit]]'' in [[Potsdam]] aufgestellte ''[[Deserteurdenkmal (Bonn/Potsdam)|Denkmal für den unbekannten Deserteur]]'' von dem türkischen Bildhauer Mehmet Aksoy.<ref>[http://www.deserteur-denkmal.de/ Deserteur-Denkmal] in Potsdam/Bonn.</ref> Eine Darstellung des erbitterten Widerstands in Bonn gegen die Aufstellung des Denkmals findet sich bei Richter und Haase.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|108–113}}
* Nur anfänglichAnfänglich sorgte auch eine Gedenktafel für Deserteure, im September 1990 angebracht am Amtshaus der Stadt [[Göttingen]],<ref>Siehe [http://www.stadtarchiv.goettingen.de/chronik/1990_09.htm ''Göttinger Online-Chronik.''].</ref> für Konflikte. Sie trägt den Satz des Schriftstellers [[Alfred Andersch]] „nicht''nicht aus Furcht vor dem Tod, sondern aus dem Willen zu leben“leben''.<ref>{{Internetquelle |url=https://denkmale.goettingen.de/denkmale/die-kirschen-der-freiheit.html |titel=Die Kirschen der Freiheit |werk=Göttingen. Brunnen – Denkmale – Kunstwerke |hrsg=Stadt Göttingen |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20181107190149/https://denkmale.goettingen.de/denkmale/die-kirschen-der-freiheit.html |archiv-datum=2018-11-07 |abruf=2018-11-07 |archiv-bot=2023-12-22 01:57:39 InternetArchiveBot}}</ref>
[[Datei:Braunschweig Brunswick Deserteure (2006).JPG|mini|hochkant|Gedenkplatte für das entwendete Deserteursdenkmal in [[Braunschweig]]]]
* Am 1. September 1994 wurde in [[Braunschweig]] ein Deserteursdenkmal aufgestellt. Nachdem es binnen kurzem zweimal beschädigt worden war, wurde es in der Neujahrsnacht 1995 gestohlen. An seiner Stelle befindet sich seither eine Gedenkplatte.
* In [[Flensburg]] entstand 1994 auf Initiative einer Gruppe „Christen für die Abrüstung“ ein Denkmal, das dann 20 Jahre auf einem privaten Hof stand, bevor es 2014 am Platz der Gärtner, gegenüber dem Rathaus aufgestellt wurde. Es besteht aus einer drei Meter breiten Backsteinmauer mit eingelassenem Marmorrelief eines Soldaten, der sein Gewehr zerbrochen und seinen Helm abgelegt hat, und der Inschrift ''… für Menschen, die sich nicht missbrauchen ließen für einen verbrecherischen Krieg''.<ref>{{Internetquelle |url=https://sh-kunst.de/miloudi-assila-deserteur-denkmal/ |titel=Miloudi Assila: Deserteur-Denkmal |hrsg=KUNST@SH |abruf=2022-08-15}}</ref><ref name="Richter-Haase" />{{rp|121–123}}
[[Datei:Gedenkstein an die Marinesoldaten Fritz Wehrmann, Alfred Gail und Martin Schilling (Norgaardholz 2016), Bild 03.jpg|mini|hochkant|Gedenkstein für Fritz Wehrmann, Alfred Gail und Martin Schilling in Norgaardholz]]
* In [[Steinberg (Schleswig)|Norgaardholz]] wurde 1997 auf Beschluss des Kreistags Schleswig-Holstein ein Denkmal an der Geltinger Bucht errichtet, das an die Hinrichtung der drei Matrosen [[Fritz Wehrmann (Matrose)|Fritz Wehrmann]], Martin Schilling und Alfred Gail am 10. Mai, also nach der [[Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht|Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht]], erinnert.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|123–126}}
* Im Januar 1998 wurde in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs ein Gedenkstein zur Erinnerung an den [[Pazifist]]en und [[Widerstandskämpfer]] [[Hermann Stöhr]] aufgestellt und der Platz nach ihm benannt. Stöhr war 1939 zwei Einberufungsbefehlen nicht nachgekommen, wurde wegen [[Wehrkraftzersetzung]] zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 21. Juni 1940 im [[Gedenkstätte Plötzensee|Strafgefängnis Berlin-Plötzensee]] durch [[Enthauptung]] vollstreckt.
* In [[Ingolstadt]] entstand 1998 die [[Luitpoldpark (Ingolstadt)#Mahn- und Gedenkstätte|Mahn- und Gedenkstätte im Luitpoldpark und im Auwald]], zu der das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus gehört, das aus blauen Stelen mit Photographien von Opfern des Nationalsozialismus in Ingolstadt besteht. Am Auwaldsee, wo zwischen August 1944 und April 1945 63 Todesurteile gegen Wehrmachtsangehörige vollstreckt wurden, erinnert eine Stele an den fahnenflüchtigen Soldaten Johann Pommer.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|139–141}}
* Seit 1998 gibt es auch in [[Bernau bei Berlin]] ein [[Deserteurdenkmal (Bernau bei Berlin)|Deserteurdenkmal]], das an die [[Pazifismus|pazifistische]] Haltung vieler Deserteure erinnert.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.offenehuette.de/denk.htm |waybacktext=20051023231939Deserteurdenkmal |textwayback=Deserteurdenkmal20051023231939 |archiv-bot=2022-10-31 00:48:31 InternetArchiveBot }} in [[Bernau bei Berlin|Bernau]]</ref>
* Das [[Marburg]]er Deserteursdenkmal hat eine lange Geschichte. Es entstand aus der Arbeit der Geschichtswerkstatt Marburg e.&nbsp;V., die sich besonders mit der Geschichte des [[Militärgericht|Kriegsgerichts]] beschäftigte, das 1939 aus [[Gießen]] nach Marburg verlegt worden war und hier über 100 Wehrmachtssoldaten zum Tode verurteilt hatte. Im Sommer 1988 schlug die Grünen-Fraktion im Stadtparlament ein Denkmal für Wehrmachtsdeserteure vor und stellte es gleichzeitig im Schülerpark gegenüber dem Kriegerdenkmal auf. Der Antrag wurde abgelehnt und die Plastik musste entfernt werden. Die Auseinandersetzung in Marburg wurde besonders durch das lokale Wirken des 1948 an die Marburger Universität berufenen NS-Militärjuristen [[Erich Schwinge]] beeinflusst. Die Plastik wanderte vom Schülerpark ins Gefängnis, von dort zur Studentengemeinde und schließlich „zur Entsorgung“ in den städtischen Bauhof. Nur drei Tage duldete die Universität anlässlich der Ausstellung ''Verbrechen der Wehrmacht'' ihre Aufstellung vor dem Hörsaalgebäude. 1999 fand das Denkmal, ein menschlicher Torso auf einer Panzersperre und auf einem Stein die Inschrift ''Den Deserteuren des zweiten Weltkriegs'', endlich ihren heutigen Platz neben der Jäger-Kaserne an der Frankfurter Straße. Aber auch hier wurde es wiederholt geschändet, zuletzt 2017.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|137–139}}
[[Datei:Monument deserter Erfurt-front.jpg|mini|Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur (errichtet 1995) auf dem Petersberg in [[Erfurt]]]]
* In [[Erfurt]] wurde 1995 nach heftigen öffentlichen Debatten ein ''[[Deserteurdenkmal (Erfurt)|DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur]]'' auf dem [[Zitadelle Petersberg|Petersberg]] errichtet. Es stammt vom Erfurter Künstler Thomas Nicolai und besteht aus acht Eisenstelen, von denen eine den aus der Reihe tretenden Fahnenflüchtigen symbolisieren soll. In der Mitte befindet sich eine Tafel mit einem Zitat aus dem Werk ''Träume'' von [[Günter Eich]]: „Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt“. Im Kommandantenhaus der Zitadelle Petersberg befand sich seit 1940 das „Kriegsgericht 409 ID.“ der Wehrmacht, das rund 50 Deserteure zum Tode verurteilte; einige Verurteilte wurden auf dem Festungsgelände erschossen.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.erfurt-web.de/DenkmalDeserteur |text=Deserteurdenkmal in Erfurt |wayback=20080524014751}}</ref>
* Deserteursgedenken im ehemaligen [[KZ Buchenwald|Konzentrationslager Buchenwald]]: Ab Herbst 1944 wurden von der Wehrmacht verurteilte Fahnenflüchtige zum Zwecke des ''schweren und gefahrvollen Arbeitseinsatzes'' in die KZ Buchenwald und Mauthausen eingeliefert und größtenteils in das KZ Mittelbau-Dora gebracht. Dort wurden bis Kriegsende etwa 700 Deserteure gefangen gehalten. Am 15. Mai 2001, dem Tag der Kriegsdienstverweigerer, wurde im 'Lager Buchenwald eine schlichte Gedenkplatte eingeweiht, ''In 'Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz, die den Kriegsdienst verweigert haben und einem verbrecherischen Regime nicht mehr dienen wollten''.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|145–147}}
* Das [[Murellenberge, Murellenschlucht und Schanzenwald#Erschießungsstätte und Mahnmal|Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg]] in Berlin-Charlottenburg wurde am 8. Mai 2002 eingeweiht.
* Das Deserteursdenkmal am [[Theaterhaus Stuttgart]] wurde am 30. August 2007 unter Anwesenheit von mehr als 200 Personen eingeweiht. Das von Nikolaus Kernbach geschaffene Denkmal besteht aus einem hohen Granitquader und einer aus dem Quader geschnittenen Figur, die einige Meter davor steht. Seit 1996 hatte eine Privatinitiative mit Unterstützung verschiedener Organisationen für dieses Denkmal geworben.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|152–153}}<ref>{{Internetquelle |url=http://www.zeichen-der-erinnerung.org/siemensstr-11-theaterhaus |titel=Siemensstraße 11 Theaterhaus · Deserteursdenkmal |hrsg=Zeichen der Erinnerung e.&nbsp;V. |abruf=2022-08-15}}</ref>.
* In Hamburg schuf die Künstlerin Andrea Peschel 1991 als Reaktion auf den [[Zweiter Golfkrieg|ersten Irakkrieg]] ein ''Mahnmal für Frieden und Gewaltlosigkeit'' und stellte es neben dem [[Gedenkstein für die Erhebung Schleswig-Holsteins (Blankenese)]] am Mühlenberger Weg auf. Es zeigte einen aufspringenden Soldaten in Uniform mit Helm, der sein Gewehr über dem Knie zerbricht. Es wurde allgemein als Deserteursdenkmal bezeichnet. Schon nach wenigen Tagen wurde die Plastik umgestürzt, Gesicht und Hände zerstört. Am 12. März 1991 wurde im Beisein von Presse und Ortsvorsteher eine stabilere Fassung des Denkmals aus Stahl und Gießharz mit Stahlverankerung im Boden aufgestellt, aber schon sechs Tage später mit schwerer Technik aus dem Boden gerissen. Auf eine Reparatur durch die Künstlerin folgten in den Folgejahren immer wieder Beschädigungen. Ein Spendenaufruf 1999 für eine neue, stabilere Plastik erbrachte nicht die erforderliche Summe. Im Jahr 2000 erkannte das Bezirksamt Altona das Mahnmal als offizielles Denkmal an. Doch im April 2005 verschwand es im Zuge von Bauarbeiten gänzlich.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|118–121}}
* Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Hamburg-Höltigbaum wurde am 5. September 2003 eine Gedenktafel angebracht mit dem Text: ''Auf den Schießständen des Übungsplatzes wurden beginnend mit dem Jahr 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mindestens 330 Wehrmachtsangehörige hingerichtet. / Die Todesurteile fällten Kriegsgerichte der Wehrmacht in Hamburg, Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung waren zumeist die Gründe. / Aus den Soldaten der umliegenden Kasernen bildete man die Hinrichtungskommandos. Kurz vor Kriegsende, am 28. April 1945, fand die letzte Exekution statt.''<ref>{{Internetquelle |url=https://gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/zeige/gedenkstaette-schiessplatz-hoeltigbaum |titel=Gedenkstätte Schießplatz Höltingbaum |hrsg=Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen |abruf=2022-08-15}}</ref>
* Am 20. Juli 2009 wurde in Hamburg der erste Stolperstein für einen Wehrmachtsdeserteur verlegt. Der Stein auf der Walddörfer Str. 347 erinnert an Kurt Oldenburg, der 1941 in Bordeaux zusammen mit seinem Freund Kurt Baumann desertiert war. Eine Zollstreife griff beide auf, ein Kriegsgericht in Hamburg verurteilte sie 1942 zum Tode. Die Strafe wurde in 12 Jahre Zuchthaus umgewandelt, beide kamen in ein Bewährungsbataillon. Beim Einsatz an der Ostfront kam Oldenburg ums Leben. 2016 wurde in Wandsbek eine Straße nach Kurt Oldenburg benannt.<ref name="Richter-Haase" />{{rp|156–157}}
* In [[Hamburg]] gibt es am Stephansplatz seit November 2015 nach jahrelangem Streit ein von Volker Lang geschaffenes [[Deserteurdenkmal (Hamburg)|Deserteurdenkmal]]. Ludwig Baumann war bei der Einweihung ebenso anwesend wie Bürgermeister [[Olaf Scholz]].<ref>Volker Stahl: '',Hamburg hat umgedacht'. Die Hansestadt hat nun ein Deserteur-Denkmal – es ehrt die Opfer der NS-Militärjustiz.'' In: neues deutschland vom 26. November 2015, S.&nbsp;14.</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.hamburger-wochenblatt.de/barmbek/lokales/das-denkmal-fuer-deserteure-kommt-d2881.html |text=''Das Denkmal für Deserteure kommt''. |wayback=20160228154428}} Hamburger Wochenblatt; abgerufen am 29. Dezember 2012.</ref>
* In [[Ulm]] stand das 1989 geschaffene [[Deserteurdenkmal (Ulm)|Denkmal]] lange Jahre auf Privatgrund, weil der Gemeinderat die öffentliche Aufstellung ablehnte. Seit dem 19. &nbsp;November 2005 steht die von Hannah Stütz-Mentzel geschaffene Skulptur in der Nähe der historischen Hinrichtungsstätte in Ulm.<ref>{{Webarchiv |url=http://hatlie.de/history/sitesofmemory/ulmdeserters.html |text=Deserteurdenkmal in Ulm |wayback=20070313181726}}</ref>
* In [[Köln]] wurde im September 2009 das [[Deserteurdenkmal (Köln)|Denkmal für Wehrmachtsdeserteure und Kriegsgegner]] eingeweiht. Entworfen von dem Schweizer Designer [[Ruedi Baur]] hat es die Form einer Pergola.<ref>[[Andreas Rossmann]]: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/denkmal-fuer-deserteure-der-horizont-offen-1859803.html ''Der Horizont offen. In Köln steht das erste Denkmal für Deserteure in Deutschland, das im öffentlichen Raum errichtet wurde.''] [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ.net]]; abgerufen am 7. September 2009.</ref>
[[Datei:Vägershultmonument.JPG|mini|hochkant|Denkmal für Wehrmachtsdeserteure in [[Vägershult]], Schweden, errichtet 1945]]
* In Vägershult in der schwedischen Provinz [[Småland]] (Gemeinde Uppvidinge), wo der Großteil der nach Schweden geflüchteten Wehrmachtsdeserteure interniert war, steht ein von einem Deserteur bereits 1945 gestaltetes Denkmal; jedoch ist es viermal beschädigt worden.<ref>Jesper Johansson: ''Kamp om symboler''. i&m, Juni 2005.</ref>
* In [[Tübingen]] wurde im Oktober 2008 ein Platz im [[Französisches Viertel|Französischen Viertel]], dem Gelände der früheren [[Hindenburg-Kaserne (Tübingen)|Hindenburgkaserne]], in ''Platz des unbekannten Deserteurs'' umbenannt und mit einer Gedenktafel versehen.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Der-unbekannte-Deserteur-bekommt-jetzt-einen-Platz-255933.html |titel=Der "unbekannte Deserteur" bekommt jetzt einen Platz |hrsg=[[Schwäbisches Tagblatt]] |datum=2008-10-14| |abruf=2017-06-20}}</ref>
[[Datei:Wien - Denkmal für Deserteure.JPG|mini|Deserteursdenkmal bzw. Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz am Ballhausplatz, [[Wien]] (2014)]]
* In [[Wien]] wurde im April 2011 die Errichtung eines Denkmals für Deserteure der NS-Wehrmacht beschlossen<ref>[http://diepresse.com/home/panorama/wien/651989/Wien-baut-Denkmal-fuer-WehrmachtDeserteure?from=home.panorama.religion.sc.p1 ''Wien baut Denkmal für Wehrmacht Deserteure''], diepresse.com vom 20. April 2011.</ref> und Juni 2013 hat sich die Wettbewerbsjury auf das abgetreppte, begehbare, liegende „X“ mit den Inschriften „all“ und „alone“ für den Ballhausplatz – und nicht den Heldenplatz – geeinigt; es sollte noch 2013 aufgestellt werden.<ref>[http://wien.orf.at/news/stories/2590658/ ''Deserteursdenkmal wird blaue Treppenskulptur''], ORF.at vom 28. Juni 2013.</ref><ref>[http://wien.orf.at/news/stories/2554229/ ''Deserteursdenkmal auf Ballhausplatz''], ORF.at vom 28. Juni 2013.</ref> Es wurde am 24. Oktober 2014 als „[[Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz]]“ der Öffentlichkeit übergeben.
* In [[Bregenz]] erinnert das Mahnmal „Widerstand''Widerstand in Vorarlberg 1938–1945“1938–1945'' von Nataša Sienčnik seit November 2015 am Sparkassenplatz mit dreizeiliger Fallblattanzeige an etwa 100 Menschen, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten, desertierten oder Flüchtlingen halfen.<ref>{{Internetquelle |url=http://vorarlberg.orf.at/news/stories/2742329 |titel=Widerstandsmahnmal in Bregenz enthüllt |hrsg=vorarlberg.orf.at |abruf=2022-08-15}}</ref>
* In [[Sønderborg]] wurde am 9. September 2020 eine Gedenkstätte für 11 hingerichtete deutsche Marinesoldaten errichtet, die am 5. Mai 1945 in dänischen Gewässern zusammen mit 9 weiteren Kameraden den Kapitän ihres Minensuchboots [[M 612]] festsetzten, der nach der [[Teilkapitulation der Wehrmacht für Nordwestdeutschland, Dänemark und die Niederlande|Teilkapitulation]] noch einen Kriegseinsatz nach [[Kurland]] fahren wollte. Der Ermordeten gedachten bereits [[Siegfried Lenz]]’ Erzählung ''[[Ein Kriegsende]]'' (1948) und das DDR-Dokudrama ''[[Rottenknechte (Fernsehfilm)|Rottenknechte]]'' (1971).<ref>Annette Bruhns: ''75 Jahre wurde dieser Menschen nicht gedacht.'' ''[[Der Spiegel]],'' Ausgabe 37 vom 5. September 2020, S.&nbsp;22.</ref>
 
== Das Deserteur-Thema in Film, Literatur, Musik und Theater ==
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|Datum=2017
|ISBN=978-3-631-71971-8}}
* Jens Ebert, Thomas Jander (Hrsg.): '' Endlich wieder Mensch sein. Feldpostbriefe und Gefangenenpost des Deserteurs Hans Stock 1943/1944.'' Trafo, Berlin 2009, ISBN 978-3-89626-760-3 (''Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg'' 3). [https://www.spiegel.de/geschichte/feldpostbriefe-aus-dem-zweiten-weltkrieg-a-948216.html Ausschnitte] auf [[einestages]].
* Hans Frese (Hrsg.): ''Bremsklötze am Siegeswagen der Nation. Erinnerungen eines Deserteurs an Militärgefängnisse, Zuchthäuser und Moorlager in den Jahren 1941–1945.'' Edition Temmen, Bremen 1989, ISBN 3-926958-25-1 (''Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager <Papenburg>: Schriftenreihe des DIZ „Emslandlager“'' 1).
* Maria Fritsche: ''Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht.'' Böhlau, Wien u.&nbsp;a. 2004, ISBN 3-205-77181-8.
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* [[Jan Korte]], Dominic Heilig (Hrsg.): ''Kriegsverrat: Vergangenheitspolitik in Deutschland; Analysen, Kommentare und Dokumente einer Debatte''. Dietz, Berlin 2011, ISBN 978-3-320-02261-7.
* Thomas Kraft: ''Fahnenflucht und Kriegsneurose. Gegenbilder zur Ideologie des Kampfes in der deutschsprachigen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 1994, ISBN 3-88479-910-X (''Epistemata.'' Reihe Literaturwissenschaft 119), (Zugleich: München, Univ., Diss., 1993).
* Kerstin von Lingen, [[Peter Pirker (Historiker)|Peter Pirker]] (Hrsg.): ''Deserteure der Wehrmacht und der Waffen-SS. Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung'' (= ''Krieg in der Geschichte.'' Bd. 122). Brill Schöningh, Paderborn 2023, ISBN 978-3-506-79135-1.
* Hannes Metzler: ''Desertion im Hohen Haus. Die Rehabilitierung der Deserteure der Wehrmacht. Ein Vergleich von Deutschland und Österreich unter Berücksichtigung von Luxemburg''. Diplomarbeit, Wien 2006.
* Hannes Metzler: ''Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Deserteure der Wehrmacht. Ein Vergleich von Deutschland und Österreich unter Berücksichtigung von Luxemburg.'' Mandelbaum-Verlag, Wien 2007, ISBN 978-3-85476-218-8.
* {{Literatur
|Autor=Peter Richter, Norbert Haase
|Titel=Denkmäler ohne Helden
|Auflage=2.
|Verlag=Pabst Science Publishers
|Ort=Lengerich(Westf.)